Handelsrecht: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 8. September 2021, 11:28 Uhr

von Klaus J. Hopt

1. Begriff und Rechtsquellen des Handelsrechts

Einen festen, europäisch einheitlichen Begriff des Handelsrechts gibt es nicht. Allenfalls national kann zur Abgrenzung beitragen, ob das Handelsrecht in einem eigenen Gesetz wie in Frankreich dem Code de Commerce von 1807 oder in Deutschland dem HGB von 1897 (ähnlich Belgien, Luxemburg, Spanien, Portugal, Griechenland; als Mustergesetz auch in den USA der Uniform Commercial Code seit 1954) kodifiziert oder Teil des allgemeinen bürgerlichen Rechts ist wie in der Schweiz (Schweizerisches Obligationenrecht 1881 und Schweizerisches ZGB 1907) und, von einem eigenen Handelsgesetzbuch abgehend, Italien (Codice civile 1942) und in jüngerer Zeit den Niederlanden das Burgerlijk Wetboek) oder ob es überhaupt nur in Einzelgesetzen wie in Skandinavien oder vor allem auch im Richterrecht wie in Großbritannien und Irland enthalten ist. National unterschiedlich ist demnach auch, wie weit Handelsrecht verstanden wird, also ob es auch Bilanzrecht, Transportrecht (Transportvertrag), Gesellschaftsrecht, Bank- und Börsenrecht (Bankrecht; Bankrecht, internationales; Börsen), Versicherungsrecht (Versicherungsvertrag; Versicherungsvertragsrecht, internationales) und Teile des Arbeitsrechts umfasst.

Am ehesten lässt sich Handelsrecht als Sonderrecht für bestimmte am Geschäftsverkehr teilnehmende Personen oder für bestimmte wirtschaftliche Geschäfte und Tätigkeiten verstehen. Das Handelsrecht kann zu seiner Abgrenzung je nachdem auf die Geschäfte abstellen (Handelsgeschäfte, objektives System) oder wie das deutsche oder österreichische HGB entscheidend auf die Person (Kaufmann bzw. Unternehmer, subjektives System, meistens gemischtes System). Letzterenfalls ist Handelsrecht das Recht des Handelsstandes, also der Kaufleute, und das Handelsrecht regelt die Handelsgeschäfte derselben. Handelsrecht ist trotz einzelner öffentlich-rechtlicher Vorschriften, z.B. betreffend Handelsregister, Handelsfirma und Buchführung, Teil des Privatrechts.

Rechtsquellen des Handelsrechts sind in Kontinentaleuropa vor allem das Gesetzesrecht, daneben und in common law-Ländern vor allem das Richterrecht. Wichtiger als im allgemeinen Privatrecht sind Handelsbräuche und Verkehrssitte, was an den Besonderheiten des Handelsrechts liegt. Besonders wichtig sind Handelsbräuche im internationalen Handelsverkehr. In weiten Bereichen des Handelsrechts dominieren Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), mit besonderen Problemen im internationalen Verkehr. Wichtig sind außerdem die Empfehlungen der Internationalen Handelskammer und anderer, auch nationaler Gremien.

2. Besonderheiten des Handelsrechts gegenüber dem Bürgerlichen Recht

Als Unternehmer, der sich im Wettbewerb behaupten muss oder aus dem Markt ausscheidet, muss der Kaufmann seine Geschäfte frei gestalten können. Privatautonom gesetztes Recht (vor allem Vertragsrecht einschließlich AGB) spielt deshalb im Handelsrecht eine große Rolle. Außer für das kaufmännische Personal und die Handelsvertreter tritt zwingendes Recht zurück; der Kaufmann muss die Risiken und Chancen im Handelsverkehr selbst abschätzen.

Für den Handelsverkehr sind Einfachheit und Schnelligkeit entscheidend. Das Handelsrecht verzichtet deshalb auf unnötige Formalitäten und zwingt den Kaufmann zur raschen Äußerung und Disposition. Handelsrechtsnormen, international einheitliche Vertragsklauseln wie die Incoterms und Handelsbräuche typisieren die Erklärungen und Vertragsschlüsse im Handelsverkehr. Das Handelsrecht fördert Typisierung und (vereinfachende) Formalisierung, z.B. Unbeschränkbarkeit bestimmter handelsrechtlicher Vertretungsmachten.

Selbstverantwortliche Entscheidung, Einfachheit und Schnelligkeit setzen voraus, dass sich der Kaufmann zuverlässig über seine Vertragspartner informieren und sich auf ihr (äußeres) Verhalten im Handelsverkehr verlassen kann. Die handelsregisterrechtliche Publizität und die Rechtsscheinhaftung spielen deshalb im Handelsrecht eine zentrale Rolle.

Handelsrecht ist weitgehend aus der Praxis heraus gewachsen. Das spiegelt sich in den Rechtsquellen und der großen Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit (Schiedsverfahren, internationales) wider. Handelsrecht ist, auch wenn seiner Rechtsnatur nach nationales Recht, immer auch auf den internationalen Verkehr ausgerichtet. Handelsinteressen machen an Grenzen nicht Halt. Das Handelsrecht ist nicht nur offen für Einflüsse von außen, sondern besonders auch für eine pragmatische internationale Rechtsvereinheitlichung. Das allgemeine deutsche Handelsrecht (|ADHGB von 1861) ging der staatlichen Einheit um ein Jahrzehnt und dem einheitlichen BGB um nahezu ein halbes Jahrhundert voraus.

3. Internationale Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des Handelsrechts

Das Streben nach Rechtsangleichung im Interesse des Handelsverkehrs ist alt, wie beispielsweise das |ADHGB zeigt. Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung hat bereits das Reichsoberhandelsgericht betrieben. Vorstufen der Rechtsangleichung durch Angleichung der Handelspraxis sind z.B. die Incoterms oder einheitlichen Richtlinien und Gebräuche für Dokumentenakkreditive (Akkreditive) der Internationalen Handelskammer. Seit der Jahrhundertwende finden sich Anfänge eines Welthandelsrechts in großen Übereinkommen besonders auf dem Gebiet des Verkehrs, z.B. Internationales Übereinkommen über den Eisenbahn-Frachtverkehr (CIM) 1890/‌1961 und über den Eisenbahn-Personen- und Gepäckverkehr (CIV) (Eisenbahnverkehr), über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßen- und Güterverkehr (CMR) (Straßengüterverkehr) und über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Warschauer Abkommen). 1930/‌1931 kam es zur Genfer Wechsel- und Scheckrechtsvereinheitlichung. Weitere internationale Rechtsvereinheitlichungsmaßnahmen betreffen das UN-Kaufrecht (Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)), das Finanzierungsleasing und das Factoring (UNIDROIT-Konventionen), die Garantieverträge (UN-Konvention; Garantie), das Lager- und Umschlaggeschäft (UN-Konvention) und weitere Gebiete des Transportrechts – von der lex mercatoria, model laws, principles und Klauselrecht ganz zu schweigen.

4. Europäische Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Handelsrechts

Heute gewinnt die Rechtsangleichung in der Europäischen Union eine rasch zunehmende Bedeutung. Zahlreiche Richtlinien zur Koordinierung des Handelsrechts im weiteren Sinn sind bereits verbindlich. Man kann insoweit von einem Kernbestand des europäischen Handelsrechts sprechen, was zu der Forderung eines europäischen Handelsgesetzbuches beigetragen hat. Bei Nichtumsetzung von EG-Richtlinien droht Haftung des Mitgliedstaates gegenüber seinen Bürgern auf Schadensersatz. Europarechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts nach Umsetzung kann schwierige Probleme aufwerfen, etwa wenn wie in der Handelsvertreterrichtlinie die Interessenwahrungspflicht vorgegeben ist, diese dann aber im nationalen Recht in vielen Details ausgestaltet wird. Praktisch und prozessual wichtig ist, dass für Zweifelsfragen bei der Auslegung der Richtlinien der EuGH im Vorlageverfahren nach Art. 234 EG/‌267 AEUV zuständig ist. Eine Verkennung der Vorlagepflicht ist eine Vorenthaltung des „gesetzlichen Richters“.

Für das Handelsrecht im hier verstandenen, engeren Sinn, für das eine in aller Regel nur Teilregelungen enthaltende europäische Rechtsangleichung vorgenommen wurde, sind unter anderem relevant: die Publizität des Handelsregisters (1. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie vom 9.3.1968, Publizitäts-RL, RL 68/‌151) und allgemeiner das Handelsregisterrecht mit dem elektronischen Handelsregister (Publizitäts-Änderungs-RL vom 15.7.2003, RL 2003/‌58), der Jahresabschluss und der Konzernabschluss jeweils einschließlich Lagebericht von Kapitalgesellschaften (4. und 7. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie, Jahresabschluss-RL, RL 78/‌660 vom 25.7. 1978, sowie Konzernabschluss-RL, RL 83/‌349 vom 13.6.1983), die klarstellende Einbeziehung der GmbH & Co. in diese Rechnungslegungspublizität (RL 90/‌605 vom 8.11.1990, GmbH & Co.-RL), Abschlussprüfer (8. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie vom 10.4.1984, Abschlussprüfer-RL, RL 84/‌253, aufgehoben durch die Richtlinie vom 17.5.2006 über Abschlussprüfungen (Abschlussprüfer), RL 2006/‌43; Empfehlung der Kommission vom 16.5.2002 zur Unabhängigkeit des Abschlussprüfers; Empfehlung der Kommission vom 5.6.2008 zur Beschränkung der zivilrechtlichen Haftung von Abschlussprüfern und Prüfungsgesellschaften), das Handelsvertreterrecht (Richtlinie vom 18.12.1986, Handelsvertreter-RL, RL 86/‌653) und das Zweigniederlassungsrecht (11. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie vom 22.12.1989, Zweigniederlassungs-RL, RL 89/‌ 666).

Wenn man diesen Bestand an europarechtlichen Rechtsangleichungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Handelsrechts im engeren Sinn Revue passieren lässt, wird leicht erkenntlich, dass das Hauptaugenmerk des europäischen Gesetzgebers auf drei Gebieten liegt: der handels- und gesellschaftsrechtlichen Publizität, dem Handelsvertreterrecht und dem Recht der Zweigniederlassungen. Die Gründe dafür sind leicht nachvollziehbar. Publizität ist im Handels- und Wirtschaftsrecht eines der wichtigsten Regelungsinstrumente, weil sie die Unternehmen zwingt, sich am Markt der Kontrolle und dem Wettbewerb zu stellen. Für den europäischen Gesetzgeber ist die Publizität auch deswegen besonders wichtig, weil sie eine weniger einschneidende Alternative zu eigentlichen Sachregelungen enthält, der zuzustimmen die Mitgliedstaaten sich eher bereit finden. Das Handelsvertreterrecht ist ein zentraler Bereich des Vertriebs, der im europäischen Binnenmarkt ohne Hindernisse grenzüberschreitend möglich sein muß (Handelsvertreter). Zugleich enthält das Handelsvertreterrecht Schutznormen, denen der europäische Gesetzgeber auch in anderen Bereichen, etwa Aktionärs-, Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz, zunehmend Aufmerksamkeit widmet. Das Recht der Zweigniederlassungen schließlich ist im europäischen Binnenmarkt zentral.

5. Europäische Rechtsangleichung auf handelsrechtsnahen Gebieten

Wenn man einen weiten Begriff des Handelsrechts (s.o. 1.) zugrundelegt oder auf die europäische Rechtsangleichung auf handelsrechtsnahen Gebieten wie dem Gesellschaftsrecht, Bank- und Börsenrecht, Versicherungsrecht und in Teilen des Arbeitsrechts abhebt, nimmt die Zahl der europarechtlichen Rechtsangleichungsmaßnahmen drastisch zu, so dass es keinen Sinn macht, diese hier näher anzusprechen; vielmehr muss auf einzelne andere Stichwörter verwiesen werden. So zählt eine Textsammlung von 2007 zum europäischen Gesellschafts- und Finanzrecht 32 Einträge, zum Bankrecht 42, zum Recht des Verbraucherschutzes bei Finanztransaktionen 24, zum Börsen- und Kapitalmarktrecht 34, zum Versicherungsrecht 40 und zum Unternehmensrecht 13.

6. Ein europäisches Handelsgesetzbuch?

Verschiedentlich ist die Forderung nach einem europäischen Handelsgesetzbuch erhoben worden (z.B. von Ulrich Magnus). Zur Begründung wird vorgebracht, dass abgesehen vom Vertragsschluss und vom allgemeinen Vertragsrecht bereits eine Reihe von besonderen Verträgen des Handelsrechts ganz oder teilweise international einheitlich geregelt seien (Handelskauf, Finanzierungsleasing [Leasing], Factoring, Garantieverträge [Garantie], Transportverträge, Handelsvertreterverträge, Lagerverträge, Dokumentenakkreditive [Akkreditive] und Überweisungen [Überweisungsverkehr (grenzüberschreitender)]). Es fehlten jedoch so wichtige Handelsverträge wie Vertriebsverträge (Vertrieb) und Franchising, Lizenzverträge, Know-how- und Technologietransferverträge. Diese Bausteine bedürften nur der Zusammenfügung zu einem stimmigen Gebäude.

Daran ist sicher richtig, dass die Auswahl und Reichweite dieser Rechtsvereinheitlichungen vielfach nur politisch oder interessengetrieben zu verstehen ist. So ist beispielsweise nicht recht verständlich, warum aus dem gesamten Vertriebsrecht, bei dem der Unternehmer doch die Wahl zwischen Direktvertrieb, Handelsvertretervertrieb oder Vertriebe über Vertragshändler hat, nur das Handelsvertreterrecht erfasst ist und auch dieses nur in Einzelheiten, z.B. hinsichtlich der Vergütung der Handelsvertreter und der Vertragsbeendigung mit Ausgleichsansprüchen, nicht aber das Recht der Vertragshändler (von dem öffentlich-rechtlichen Wettbewerbsrecht abgesehen). Indessen ist eingangs darauf hingewiesen worden, dass eine eigene Kodifikation des Handelsrechts in den Mitgliedstaaten keineswegs allgemeine Zustimmung findet, sondern eher im Gegenteil eine Bewegung dahin festzustellen ist, das Handelsrecht in das bürgerliche Recht zurückzuholen. Auch bestehen zu Begriff und Reichweite des Handelsrechts in den Mitgliedstaaten ganz erhebliche Unterscheide und Meinungsverschiedenheiten. Schließlich hat die europäische Bewegung wenn nicht hin zu einem europäischen Zivilgesetzbuch, so doch zu einer allgemeineren Vertragsrechtsvereinheitlichung durch principles, model laws und tools in den letzten Jahren ganz erheblich an Bedeutung gewonnen. Dort wird man eher weiterschreiten.

Literatur

Peter Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, dogmatische Grundlagen und Sinnwandlung des Handelsrechts, 1965; Wolfgang Zöllner, Wovon handelt das Handelsrecht? Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 1983, 82ff.; Franz Bydlinski, Handels- oder Unternehmensrecht als Sonderprivatrecht, 1990; Uwe Blaurock, Übernationales Recht des Internationalen Handels, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 1 (1993) 247 ff.; Herbert Kronke, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung des Reichsoberhandelsgerichts, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 5 (1997) 735 ff.; Ulrich Magnus, Die Gestalt eines Europäischen Handelsgesetzbuches, in: Festschrift für Ulrich Drobnig, 1998, 57 ff.; Karsten Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl. 1999; Klaus J. Hopt (Hg.), Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, 3. Aufl. 2007; Klaus J. Hopt, Eddy Wymeersch (Hg.), European Company and Financial Law, 4. Aufl. 2007; Adolf Baumbach, Klaus J. Hopt, Hanno Merkt, Handelsgesetzbuch mit GmbH & Co, Handelsklauseln, Bank- und Börsenrecht, Transportrecht (ohne Seerecht), 34. Aufl. 2009.

Abgerufen von Handelsrecht – HWB-EuP 2009 am 24. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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