Gefahrübergang und Gefährdungshaftung: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Florian Faust]]''
von ''[[Gerhard Wagner]]''
== 1. Gegenstand und Zweck ==
== 1. Terminologie ==


Die Frage des Gefahrübergangs stellt sich im Rahmen des Leistungsstörungsrechts. Sie ist ein Unteraspekt des allgemeinen Problems der Gefahrtragung. Es geht dabei um die Gefahr des Eintritts von Umständen, die eine Leistung erschweren oder unmöglich machen.
Gefährdungshaftung bedeutet Verantwortlichkeit für den Schaden eines anderen ohne dass es auf eine Pflichtverletzung ankommt und in diesem Sinne Haftung ohne Verschulden. Die Einstandspflicht setzt nicht voraus, dass der Schädiger bewusst oder unbewusst die rechtlich gebotenen Sorgfaltsmaßnahmen vernachlässigt hat. „Gefährdungshaftung“ ist ein deutsches Wort, das in anderen Sprachen und Rechtsordnungen kein exaktes Pendant hat: So wird die von einer Pflichtverletzung losgelöste Haftung in Frankreich als ''responsabilité du fait des choses'' angesprochen, und im ''[[common law]]'' spricht man von ''strict liability''.


Sachlogisch kann man zwischen Leistungsgefahr und Gegenleistungs- oder Preisgefahr unterscheiden. Der mitunter verwendete Begriff der Sachgefahr entstammt dagegen nicht dem Leistungsstörungsrecht; er bezeichnet das allgemeine Risiko des Verlusts oder der Beschädigung einer Sache, das nach dem Satz ''casum sentit dominus'' normalerweise der Eigentümer trägt.
Diese Unterschiede sind nicht bloß terminologischer Natur, sondern sie sind Ausdruck sachlicher Differenzen. Alle drei Konzepte – Gefährdungshaftung, ''responsabilité du fait des choses'','' strict liability'' – haben gemeinsam den Verzicht auf das Verschuldenserfordernis. Sie unterscheiden sich aber bei der Bestimmung des Zurechnungsprinzips, das an die Stelle des Verschuldensprinzips tritt. Während die Konzepte der ''responsabilité du fait des choses ''und der'' strict liability'' darauf keine unmittelbare Antwort geben, führt die Gefährdungshaftung das maßgebende Zurechnungskriterium in ihrem Namen: Der Schädiger haftet, weil er eine Quelle erhöhter Gefahr schuf oder kontrolliert und damit für seine Umwelt ein nicht vollständig zu unterdrückendes Schadensrisiko geschaffen hat. Der Zurechnungsgrund der Gefährdungshaftung trifft primär auf das Halten oder Betreiben eines technischen Geräts oder einer technischen Installation zu, passt auch noch auf die Haltung von Tieren, nicht aber auf das bloße Innehaben irgendeiner Sache. Die französische [[Sachhalterhaftung]], die nach herrschender Ansicht nicht auf besonders gefährliche Sachen beschränkt ist, sondern für Gegenstände jedweder Art gilt und auch keinen sicherheitsrelevanten Fehler der Sache voraussetzt, ist deshalb zwar ein Fall verschuldensunabhängiger Haftung, aber keine Gefährdungshaftung im eigentlichen Sinne.


=== a) Leistungsgefahr===
Die Abgrenzung von Verschuldens- und Gefährdungshaftung jenseits der gesetzlichen oder richterrechtlichen Vorgaben ist schwierig und umstritten. In den praktischen Ergebnissen stehen sich die beiden Haftungsgründe oft näher als der theoretische Gegensatz vermuten lässt. Dies hat seinen Grund zum einen darin, dass sich die Intensität der für die Verschuldenshaftung zentralen Sorgfaltsanforderungen nach der Schwere des drohenden Schadens und der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts, kurz gesagt also nach der Intensität der Gefahr richtet. Darüber hinaus verzichtet die Gefährdungshaftung bei Licht besehen lediglich darauf, das Verhalten des Schädigers an Sorgfaltsstandards zu messen, während das Verhalten des Opfers im Rahmen des Mitverschuldens durchaus einer solchen Prüfung unterzogen wird. In der Literatur wird die Nähe von Verschuldens- und Gefährdungshaftung zudem häufig mit dem Hinweis auf die Überspannung der Sorgfaltsanforderungen durch die Gerichte begründet. Vielfach wird daher nicht von zwei trennscharfen Kategorien von Zurechnungsgründen gesprochen, sondern von einer Grauzone zwischen verschuldensabhängiger und verschuldensunabhängiger Haftung. Gleichwohl bleibt der konzeptionell wie praktisch wichtige Unterschied, dass bei der Verschuldenshaftung die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens nachgewiesen werden muss, so dass Schäden, die trotz Beachtung des Sorgfaltsstandards eintreten, beim Geschädigten verbleiben (''casum sentit dominus''), während bei der Gefährdungshaftung der Halter der Gefahrenquelle dafür aufkommen muss.


Bei der Leistungsgefahr geht es um die Frage, ob der Schuldner eine Leistung trotz bestehender oder eintretender Hindernisse erbringen muss. Aus Sicht des Schuldners bezeichnet die Leistungsgefahr daher das Risiko, seine Leistungsanstrengungen aufgrund von Leistungshindernissen intensivieren zu müssen. Aus Sicht des Gläubigers ist die Leistungsgefahr das Risiko, die Leistung des Schuldners infolge von Leistungshindernissen nicht oder nicht ordnungsgemäß zu erhalten. Die Leistungsgefahr ist bei allen Arten von Verbindlichkeiten von Belang, z.B. auch bei Vermächtnissen. Unmittelbar relevant werden kann sie nur, soweit die betreffende Rechtsordnung überhaupt [[Erfüllungsanspruch|Erfüllungsansprüche]] vorsieht. Ist dies – wie normalerweise im ''[[common law]]'' – nicht der Fall, kann sich die Leistungsgefahr nur mittelbar auswirken, nämlich als Vorfrage für Sekundärrechtsbehelfe, insbesondere Schadensersatzansprüche ([[Schadensersatz]]): Ob der Schuldner die Leistungsgefahr trug und deshalb ein Leistungshindernis hätte überwinden müssen, entscheidet dann darüber, ob er sich durch die Nichtleistung schadensersatzpflichtig gemacht hat.
Die Unterscheidung zwischen Verschuldens- und Gefährdungshaftung ist auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll. Zwar sind Verschuldens- und Gefährdungshaftung gleichermaßen dazu geeignet, dem potentiellen Schädiger Anreize zur Beachtung des maßgeblichen Sorgfaltsstandards zu vermitteln, d.h. Sorgfaltsmaßnahmen zu ergreifen, deren Kosten geringer sind als der Wert der dadurch vermiedenen Schäden. Die Verschuldenshaftung versagt jedoch bei der Steuerung der Menge potentiell schadensträchtiger Aktivitäten, während die Gefährdungshaftung auch das sog. Aktivitätsniveau zu beeinflussen vermag. Indem dem Verursacher sämtliche Schadenskosten seiner Aktivität zugerechnet werden, hat er einen Anreiz, Kosten und Nutzen der Aktivität gegeneinander abzuwägen. Aus diesem Grund ist die Gefährdungshaftung vorzugswürdig, wenn sich die mit einer gefährlichen Aktivität verbundenen Schäden nicht mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand vermeiden lassen und daher die Menge der schadensträchtigen Aktivität durch haftungsrechtliche Anreize gesteuert werden muss. Umgekehrt reicht die Verschuldenshaftung bei solchen Aktivitäten zur Verhaltenssteuerung aus, bei deren Ausführung sich Schäden mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand weitgehend vermeiden lassen. Dieser Maßgabe wird die Rechtsordnung gerecht, wenn sie die Gefährdungshaftung an das Halten einer Quelle erhöhter Gefahr knüpft.


Zu beachten ist, dass es „die“ Leistungsgefahr nicht gibt, sondern dass hinsichtlich der jeweiligen Leistungsstörung zu differenzieren ist und die verschiedenen Leistungsgefahren unterschiedlich zugewiesen sein können. So trägt das Risiko einer unbehebbaren Verschlechterung des einzigen erfüllungstauglichen Stücks zwangsläufig der Gläubiger, weil er im Fall einer solchen Verschlechterung keine mangelfreie Leistung erhält. Das Risiko einer behebbaren Verschlechterung kann dagegen sowohl der Gläubiger als auch der Schuldner tragen, je nachdem, ob der Schuldner zur Beseitigung der Verschlechterung verpflichtet ist oder nicht. Das Risiko des Untergangs aller (nach dem ursprünglichen Inhalt der Verbindlichkeit) erfüllungstauglichen Stücke trägt zwangsläufig der Gläubiger, während das Risiko des Untergangs einzelner solcher Stücke entweder dem Schuldner oder dem Gläubiger zugewiesen sein kann. Der Vorgang, durch den das Risiko des Untergangs und der unbehebbaren Verschlechterung einzelner erfüllungstauglicher Stücke vom Schuldner auf den Gläubiger übergeht, wird im deutschen Recht Konkretisierung (seltener Konzentration) genannt. Plastisch umschrieben wird dies in der Rechtsfolge von § 243 Abs. 2 BGB: „… so beschränkt sich das Schuldverhältnis auf diese Sache.“ Die Beschränkung des Schuldverhältnisses auf die betreffenden Stücke führt dazu, dass der Gläubiger die Leistungsgefahr hinsichtlich des Untergangs und der unbehebbaren Verschlechterung dieser Stücke trägt, während es zuvor der Schuldner war, weil er gegebenenfalls mit anderen Stücken erfüllen musste.
== 2. Tendenzen in den nationalen Rechtsentwicklungen ==


Die Leistungsgefahr kann unabhängig davon relevant sein, ob der Schuldner die Leistungsstörung – nach welchen Kriterien auch immer – zu vertreten hat. So trägt der Gläubiger die Leistungsgefahr in Bezug auf nicht überwindbare Leistungsstörungen zwangsläufig auch dann, wenn der Schuldner diese zu vertreten hat. Aber auch für vom Schuldner zu vertretende überwindbare Leistungsstörungen kann die Leistungsgefahr dem Gläubiger auferlegt werden, etwa wenn sich der Schuldner auf die Konkretisierung berufen kann, obwohl er den Untergang der betreffenden Sache zu vertreten hat. Die Interessen des Gläubigers können dann durch einen Ausgleich auf der Ebene der Sekundärrechte – insbesondere durch einen Schadensersatzanspruch – gewahrt werden.
Im Bereich der Verschuldenshaftung erweisen sich die europäischen Rechtsordnungen als relativ homogen, doch im Bereich der Haftung ohne Verschulden bestehen große Unterschiede. Während das französische Recht der verschuldensunabhängigen Haftung breiten Raum gibt, ist das englische Recht überaus zurückhaltend, und das deutsche Recht nimmt eine Mittelstellung ein. Die große Varianz im Bereich der Gefährdungshaftung hat historische Gründe: Die Verschuldenshaftung ist den europäischen Rechtsordnungen seit der Antike geläufig, denn sie hat sich aus der römischen ''lex Aquilia'' ([[Deliktsrecht: Allgemeines und lex Aquilia|Deliktsrecht]]) entwickelt. Zwar kannte das römische Recht auch einen Haftungstyp, der sich als Gefährdungshaftung ansprechen lässt, und zwar in Bezug auf die Schädigung durch domestizierte und wilde Tiere (''actio de pauperie'','' edictum de feris''). Daneben kannte das römische Recht eine Reihe von Tatbeständen der Haftung ''quasi ex delicto'', etwa in Bezug auf Gegenstände, die aus Gebäuden auf die Straße geworfen wurden (''actio de deiectis vel effusis'') oder auf bestimmte Fälle der Gastwirtshaftung (''actio de damno aut furto adversus nautas'','' caupones'','' stabularios''). Die meisten dieser Quasidelikte sind im Laufe der Zeit abgeschliffen und in die allgemeine Verschuldenshaftung oder spezielle Institute wie die Receptumshaftung integriert worden. In ihrer modernen Form ist die Gefährdungshaftung ein Kind der Industrialisierung und damit des späten 19. Jahrhunderts. Sie ist die Reaktion des Haftungsrechts auf die Entwicklung und Verbreitung technischer Gefahrenquellen.


===b) Gegenleistungs- oder Preisgefahr===
Die Geburtsstunde der Gefährdungshaftung in Deutschland liegt im Jahr 1838, als ''Friedrich Carl von Savigny'' das Preußische Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen entwarf und eine Bestimmung aufnahm, die den Bahnunternehmer einer verschuldensunabhängigen Haftung für Rechtsgutsverletzungen beim Betrieb der Bahn unterwarf. Trotz dieses Vorbilds konzentriert sich das BGB von 1900 ganz auf die Verschuldenshaftung, wenn man von der einzigen Ausnahme der Tierhalterhaftung gemäß § 833 BGB a.F. (§ 833 S. 1 BGB n.F.) einmal absieht. Die Gefährdungshaftung wurde so zu einer Domäne der Legislative und der Spezialgesetze. Der Gesetzgeber fühlt sich dem Enumerationsprinzip verpflichtet und ist daher dazu genötigt, die verschuldensunabhängige Haftung jeweils explizit mit Blick auf die einzelne Gefahrenquelle anzuordnen. Dies ist beispielsweise mit Blick auf Eisenbahnen, Kraftfahrzeuge und Luftfahrzeuge, Energie- und Rohrleitungsanlagen sowie umweltgefährliche Anlagen geschehen. Der dadurch entstandene Katalog an Gefährdungshaftungen wird immer wieder erweitert, sofern sich durch den Fortschritt in Wissenschaft und Technik neue Gefahrenquellen ergeben, wie etwa im Bereich der Gentechnik. Das Recht der verschuldensunabhängigen Haftung ist deshalb stark zersplittert. Die deutschen Gerichte lehnen es in ständiger Rechtsprechung ab, ihrerseits Tatbestände verschuldensunabhängiger Haftung zu kreieren oder auch nur die bestehenden Anspruchsgrundlagen behutsam im Wege der Analogie auszuweiten (BGH 25.1.1971, BGHZ 55, 229). Damit steht sie im Gegensatz zur österreichischen Rechtsprechung, die eine analoge Anwendung von Gefährdungshaftungstatbeständen für möglich hält (OGH 11.10.1995, JBl 1996, 446).


Die Gegenleistungs- oder Preisgefahr entscheidet über das Schicksal der Gegenleistung für die Leistung, die von einem Leistungshindernis betroffen wird. Sie ist daher nur relevant, wenn es eine solche Gegenleistung gibt, nicht also z.B. bei unentgeltlichen Leistungen. Aus Sicht des Schuldners bezeichnet die Preisgefahr das Risiko, die Gegenleistung für seine eigene Leistung nicht oder nicht vollständig zu erhalten, weil bei der eigenen Leistung Probleme auftreten. Aus Sicht des Gläubigers ist die Preisgefahr das Risiko, seine eigene Leistung (vollständig) erbringen zu müssen, ohne die Gegenleistung ordnungsgemäß zu erhalten. Der Gläubiger kann die Preisgefahr nur in Bezug auf solche Umstände tragen, für die er auch die Leistungsgefahr trägt, da die Preisgefahr nur relevant wird, wenn die Leistung des Schuldners nicht oder nicht ordnungsgemäß erbracht werden muss.
Das englische Recht ist gegenüber der Gefährdungshaftung noch zurückhaltender. Ihre Anerkennung erfolgte Mitte des 19.&nbsp;Jahrhunderts durch die Entscheidung des ''House of Lords'' in ''Rylands v. Fletcher''<nowiki> [1868] LR 3 HL 330. Danach haftete derjenige verschuldensunabhängig, der auf seinem Grundstück eine Anlage unterhielt, aus der Stoffe auf das Grundstück eines Nachbarn gelangten und dort Schaden anrichteten. Während es längere Zeit so schien, als habe das englische Recht damit eine Generalklausel der Gefährdungshaftung zur Verfügung, ist die Uhr später wieder zurückgedreht worden. Das </nowiki>''House of Lords'' hat es abgelehnt, auf den Grundstücksbezug zu verzichten, um Anlagen jedweder Art sowie besonders gefährliche Tätigkeiten einer verschuldensunabhängigen Haftung unterwerfen zu können (''Read v. Lyons & Co. Ltd.''<nowiki> [1947] AC 156). Darüber hinaus verlangt das </nowiki>''House of Lords'' neuerdings sogar die Vorhersehbarkeit des Schadens und nähert die'' ''Regel in'' Rylands v. Fletcher'' damit bis auf Haaresbreite an die Verschuldenshaftung an (''Cambridge Water Co. v. Eastern Counties Leather Plc.''<nowiki> [1994] 2 AC 264). Nach Auffassung des Gerichts ist es Aufgabe des Parlaments, nicht der Gerichte, neue Tatbestände der Gefährdungshaftung einzuführen (</nowiki>''Transco plc v. Stockport Metropolitan Borough Council''<nowiki> [2004] 1 All ER 589). Durch Spezialgesetze sind verschuldensunabhängige Haftungen in Bezug auf technische Gefahrenquellen verschiedener Art, wie etwa für den Betrieb kerntechnischer Anlagen oder von Abfallbeseitigungsanlagen, geschaffen worden. In scharfem Unterschied zur Rechtslage in den meisten Staaten des europäischen Kontinents unterliegt der Betrieb von Kraftfahrzeugen in England bis heute nicht der Gefährdungshaftung. Das Verkehrsunfallrecht ist somit eine ausschließliche Domäne der Verschuldenshaftung geblieben.</nowiki>


Die Preisgefahr kann nur bezogen auf spezifische Güter übergehen, die eindeutig dem Vertrag zugeordnet sind (Art.&nbsp;67(2), 69(3) CISG; Art.&nbsp;16, 20 ''Sale of Goods Act 1979''<nowiki>; Art.&nbsp;1585&nbsp;f. frz. </nowiki>''Code civil'', Art.&nbsp;5:102(2) PEL&nbsp;S). Das ist von Bedeutung, wenn die Gefahr unabhängig von der Übergabe übergeht.
Im französischen ''[[Code civil]]'' findet sich in Art.&nbsp;1385 in Bezug auf den Tierhalter ein klassischer Fall verschuldensunabhängiger Haftung. Darüber hinaus sieht das französische Recht in Art.&nbsp;1384 Abs.&nbsp;1 ''Code civil'' eine verschuldensunabhängige Haftung des Sachhalters (''gardien'' ''de chose'') vor [[Sachhalterhaftung]]. Die Sachhalterhaftung hat mit der Gefährdungshaftung im eigentlichen Sinn gemein, dass sie keine Pflichtverletzung voraussetzt, unterscheidet sich von ihr jedoch dadurch, dass sie nicht an das Halten einer Quelle besonderer Gefahr anknüpft. Das eigentliche Feld der Gefährdungshaftung ist auch in Frankreich eine Domäne des Gesetzgebers. Unter den Spezialgesetzen ist die sog. ''Loi Badinter'' von 1985 besonders bedeutsam, die für Straßenverkehrsunfälle nicht nur eine verschuldensunabhängige Haftung des Kraftfahrzeughalters gegenüber Passanten und nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmern statuiert, sondern überdies auch bei der Schadenszurechnung im Innenverhältnis zweier Kraftfahrzeughalter weitgehend vom Verschulden abstrahiert.


Im Gegensatz zur Leistungsgefahr ist die Gegenleistungsgefahr typischerweise nur bei nicht vom Schuldner zu vertretenden Leistungshindernissen einschlägig; hat der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten, wird der Gläubiger nämlich zumindest von der Gegenleistungspflicht ganz oder teilweise frei.
== 3. Vereinheitlichungsprojekte ==


Auch im Hinblick auf die Freiheit von Sachmängeln ist sinnvollerweise auf den Zeitpunkt des Übergangs der Preisgefahr abzustellen, da das Risiko der Verschlechterung vorher dem Schuldner und nachher dem Gläubiger zur Last fallen soll (z.B. Art.&nbsp;36(1) CISG, Art.&nbsp;25 Entwurf der Verbraucherrechte-RL, §&nbsp;434 BGB, Art.&nbsp;2:208 (1) PEL&nbsp;S, Art.&nbsp;IV.A.-2:308(1) Draft [[Common Frame of Reference|DCFR]]).
Im rechtsvergleichenden Schrifttum ist immer wieder die Forderung erhoben worden, den Flickenteppich spezialgesetzlicher Gefährdungshaftungstatbestände durch eine Generalklausel zu ersetzen, die das Halten einer Quelle besonderer Gefahr einer verschuldensunabhängigen Haftung unterwirft. Die damit gegebene Alternative aus Enumerationsprinzip einerseits, Generalklausel andererseits, spiegelt sich in den aktuellen Vorschlägen zur Vereinheitlichung des europäischen Haftungsrechts.  


== 2.&nbsp;Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Die ''European Group on Tort Law'' (''[[Principles of European Tort Law]]'') folgt der Forderung nach Einführung einer Generalklausel der Gefährdungshaftung. Gemäß Art.&nbsp;5:101 PETL sind außergewöhnlich gefährliche Aktivitäten einer verschuldensunabhängigen Haftung unterworfen. Eine Aktivität gilt als außergewöhnlich gefährlich, wenn sie eine vorhersehbare und höchst signifikante Schadensgefahr schafft, selbst wenn jedwede gebotene Sorgfalt bei ihrer Ausführung gewahrt wird. Keine außergewöhnlich gefährliche Aktivität soll vorliegen, wenn sie „allgemein gebräuchlich“ ist. Damit fallen insbesondere Kraftfahrzeuge aus dem Anwendungsbereich der Generalklausel heraus, was ihre praktische Bedeutung erheblich reduziert. Dem Vorbild der PETL folgt weitgehend der Entwurf zur Reform des Schadensersatzrechts des österreichischen [[Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch|ABGB]], der im Jahr 2005 vorgelegt worden ist (überarbeitete Fassung in Juristische Blätter 2008, 365).


Im Zentrum der gesetzlichen Normen steht der Übergang der Preisgefahr; so wurde im [[römisches Recht|römischen Recht]] unter ''periculum'' nur die Preisgefahr verstanden. In Bezug auf die Leistungsgefahr werden zwar die Grenzen der Einstandspflicht des Schuldners geregelt, aber es wird nur selten angeordnet, dass sich diese Einstandspflicht verringert, d.h. die Leistungsgefahr (teilweise) auf den Gläubiger übergeht. Wichtiges Beispiel sind §§&nbsp;243 Abs.&nbsp;2, 300 Abs.&nbsp;2 BGB, die die Konkretisierung von Gattungsschulden betreffen. Allerdings kann aus den Regeln über die Preisgefahr häufig auf die Leistungsgefahr geschlossen werden, da der Gläubiger spätestens von dem Zeitpunkt an, ab dem er die Preisgefahr trägt, auch die Leistungsgefahr tragen muss, weil die Preisgefahr nur Wirkung entfalten kann, wenn der Schuldner nicht mehr leisten muss.
Die Verfasser des Draft [[Common Frame of Reference|DCFR]] haben sich nicht dem Modell der Generalklausel, sondern dem Enumerationsprinzip verschrieben, das allerdings innerhalb des allgemeinen Haftungsrechts und nicht in Sondergesetzen realisiert werden soll. Im dritten Kapitel des sechsten Buches des DCFR finden sich Tatbestände strikter Haftung zu Lasten der Halter von unsicheren Gebäuden (Art.&nbsp;VI.-3:202 DCFR), Tieren (Art.&nbsp;VI.-3:203 DCFR) und Kraftfahrzeugen (Art.&nbsp;VI.-3:205) sowie der Betreiber von Anlagen und der Halter von gefährlichen Stoffen (Art.&nbsp;VI.-3:206 DCFR). Darüber hinaus kodifiziert Art.&nbsp;VI.-3:204 DCFR die Regelungen der Produkthaftungs-RL (RL&nbsp;85/‌ 374) über die Einstandspflicht der Hersteller fehlerhafter Produkte.


Nach der berühmten Regel aus Inst.&nbsp;III,23,3 galt: „emptione perfecta periculum est emptoris“; die Preisgefahr ging also schon mit Abschluss des Kaufvertrags – unabhängig vom Verbleib der Kaufsache – auf den Käufer über, sofern die Sache dem Vertrag eindeutig zugeordnet war. Der Anwendungsbereich der Regel war allerdings ursprünglich wohl deshalb beschränkt, weil der Verkäufer zwischen Vertragsschluss und Übergabe der strengen ''custodia''-Haftung unterlag; auf die Gefahrtragung kam es dann nur im Fall höherer Gewalt an. In den modernen Regelwerken hat die römische Regel wenig Gefolgschaft gefunden; sie findet sich insbesondere noch in Art.&nbsp;185 OR. Etliche nationale Rechte lassen die Gefahr gleichzeitig mit dem Eigentum übergehen (z.B. Art.&nbsp;1138 Abs.&nbsp;2 frz. ''Code civil'', sec. 20 Abs.&nbsp;1 ''Sale of Goods Act 1979''); der Preisgefahr kommt dann keine eigenständige Bedeutung zu. Sofern das Eigentum mit Abschluss des Kaufvertrags übergeht (Art.&nbsp;1583 frz. ''Code civil''), führt das zum selben Ergebnis wie ''periculum est emptoris''. Die Tendenz geht – gerade im [[Einheitsrecht]] und den internationalen Modellregeln – dahin, diejenige Partei die Gefahr tragen zu lassen, in deren Herrschaftsbereich sich die Ware befindet. Denn diese Partei kann die Güter am besten vor Schaden schützen und auch am besten versichern (Art.&nbsp;69(1) CISG, §&nbsp;446 S.&nbsp;1 BGB, §§&nbsp;1049, 1064 ABGB). Muss der Schuldner dem Gläubiger die Ware zusenden, wird ein Übergang der Preisgefahr teilweise schon mit Auslieferung der Ware an den Beförderer angeordnet (Art.&nbsp;67 CISG, §&nbsp;447 Abs.&nbsp;1 BGB). Schließlich sehen viele Rechtsordnungen einen Übergang der Preisgefahr auf den Gläubiger vor, wenn dieser seiner Pflicht oder Obliegenheit zur Abnahme der Ware nicht nachkommt (§§&nbsp;326 Abs.&nbsp;2 S.&nbsp;1 Alt.&nbsp;2, 446 S.&nbsp;3 BGB, Art.&nbsp;20 Abs.&nbsp;2 ''Sale of Goods Act 1979'').
Gemeinsam ist beiden Regelwerken, dass die angeordneten Gefährdungshaftungen – seien sie generalklauselartig oder in Form von Sondertatbeständen formuliert – nicht abschließend sind, sondern Öffnungsklauseln zugunsten des nationalen Rechts enthalten. Gemäß Art. 5:102 PETL kann das nationale Recht weitere Kategorien verschuldensunabhängiger Haftung für gefährliche Aktivitäten vorsehen, unabhängig davon, ob letztere „außergewöhnlich gefährlich“ sind. Diese Regelung ermöglicht es den meisten Mitgliedstaaten, die Gefährdungshaftung des Kraftfahrzeughalters beizubehalten. Der DCFR löst das Problem der Verkehrsunfallhaftung zwar selbst, kann aber auf eine Öffnungsklausel zugunsten der Mitgliedstaaten ebenfalls nicht verzichten (Art.&nbsp;VI.-3:207 DCFR). ''Prima facie'' mag es erstaunen, dass die Vereinheitlichungsprojekte es nicht schaffen, eine abschließende Regelung der Gefährdungshaftung vorzulegen, sei es in Gestalt einer Generalklausel, sei es in Gestalt eines Katalogs von Gefahrenquellen. An diesem Befund zeigt sich, wie heterogen die Vorstellungen über die legitime Reichweite der strikten Haftung in den Mitgliedstaaten sind. Selbst in relativ kleinen Gruppen von Wissenschaftlern ist es offenbar nicht möglich, einen Konsens über die richtige Zuordnung von Verschuldens- und Gefährdungshaftung zu erzielen.


Bei [[Verbraucherverträge (IPR und IZPR)|Verbraucherverträgen]] gelten teilweise spezielle Regeln, mit der Tendenz, dass die Gefahr erst mit der Übergabe oder eventuell der Nicht-Abnahme auf den Käufer übergeht (§&nbsp;474 Abs.&nbsp;2 S.&nbsp;2 BGB, Art.&nbsp;20 Abs.&nbsp;4 ''Sale of Goods Act 1979'', Art.&nbsp;5:103 PEL&nbsp;S).
== 4. Gemeinschaftsrecht und internationales Einheitsrecht  ==


== 3.&nbsp;Internationales Einheitsrecht und internationale Modellregeln ==
Die [[Europäische Union|EU]] hat das Recht der außervertraglichen Haftung bisher kaum berührt. Außerhalb des Sonderbereichs der Staatshaftung wegen Verletzung von Gemeinschaftsrecht ist die Produkthaftungs-RL aus dem Jahr 1985 zu nennen. Mit der Richtlinie sollte nach dem Willen ihrer Verfasser eine strikte Haftung eingeführt werden, und dies trifft in dem Sinne zu, dass der Hersteller verschuldensunabhängig für Schäden einzustehen hat, die durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht worden sind. Demgegenüber ergibt eine genauere Analyse, dass die Verschuldensprüfung faktisch in den Fehlerbegriff der Richtlinie (Art.&nbsp;6 Produkthaftungs-RL) verlagert wurde, da sich die Fehlerhaftigkeit des Produkts (Enttäuschung berechtigter Sicherheitserwartungen) nur mit Rücksicht auf eine Pflichtverletzung des Herstellers im Zeitpunkt des Inverkehrbringens begründen lässt. Im Bereich der Konstruktions- und Instruktionsfehler „verschlüsselt“ der Fehlerbegriff die Verhaltenspflichten des Herstellers. Wirklich strikt ist allerdings die Haftung für Fabrikationsfehler, da sie auch für sog. Ausreißer gilt, das sind Produktfehler, die sich auch durch Einsatz der gebotenen Sicherheitsmaßnahmen nicht vermeiden lassen.


<nowiki>Die Regelwerke des Einheitsrechts und die internationalen Modellregeln enthalten Vorschriften über die Grenzen des Erfüllungsanspruchs (Art.&nbsp;79 CISG, Art.&nbsp;3(3) Verbrauchsgüterkauf-RL [RL 1999/‌44]), Art.&nbsp;26(3) Entwurf der Verbraucherrechte-RL [KOM(2008) 614 endg.], Art.&nbsp;7.2.2 UNIDROIT PICC, Art.&nbsp;9:102 PECL, Art.&nbsp;4:202(1) PEL&nbsp;S, Art.&nbsp;III.-3:302 DCFR) und verteilen dadurch die Leistungsgefahr. Regeln zum Übergang der Leistungsgefahr d.h. Regeln, nach denen sich die vom Schuldner verlangten Leistungsanstrengungen ab einem bestimmten Zeitpunkt vermindern – finden sich für Kaufverträge</nowiki> ([[Kauf]]) nicht. In ''Comment&nbsp;C'' zu Art.&nbsp;5:101 PEL&nbsp;S wird jedoch festgestellt, dass (spätestens) ab dem Übergang der Preisgefahr der Verkäufer Leistungshindernisse nicht überwinden muss; das ergibt sich im übrigen schon aus dem Grundsatz, dass die Preisgefahr nicht vor der Leistungsgefahr übergehen kann.
Der Schutzbereich der harmonisierten Produkthaftung ist auf Verletzungen von Leib und Leben sowie Sachbeschädigungen und &#8209;zerstörungen begrenzt. Schäden an dem Produkt selbst sowie an gewerblich genutzten Sachen bleiben ausgeklammert, und im Übrigen gilt für Sachschäden ein Selbstbehalt von EUR 500,- (Art.&nbsp;9 Produkthaftungs-RL). Trotz dieser Schutzlücken bewirkt die [[Richtlinie]] nach ständiger Rechtsprechung des [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] die Vollharmonisierung des Produkthaftungsrechts, ist also für die Mitgliedstaaten sowohl in Bezug auf eine Verschärfung als auch in Bezug auf eine Abmilderung der Haftung bindend (EuGH Rs&nbsp;C-402/‌03 – ''Bilka'', Slg. 2006, I-199). Unberührt bleiben demgegenüber die Haftung für fehlerhafte Produkte aufgrund des Vertrags- und des allgemeinen Deliktsrechts der Mitgliedstaaten (Art. 13 Produkthaftungs-RL; EuGH Rs.&nbsp;C-52/‌00 ''Kommission/‌Frankreich'','' ''Slg. 2002, I-3827).


Keines der Regelwerke folgt dem Prinzip „periculum est emptoris“. Die Preisgefahr wird vielmehr zunächst jeweils dem Schuldner zugewiesen. Dies geschieht entweder dadurch, dass die Gegenleistungspflicht automatisch erlischt, soweit der Schuldner ''excused'' ist (Art.&nbsp;III.-3:104(4)2 DCFR), oder dadurch, dass der Gläubiger bei ''excuse'' des Schuldners zurücktreten (Art.&nbsp;49 CISG, Art.&nbsp;3(5) Verbrauchsgüterkauf-RL, Art.&nbsp;26(3) Entwurf der Verbraucherrechte-RL, Art.&nbsp;7.3.1 UNIDROIT PICC, Art.&nbsp;9:301&nbsp;ff. PECL, Art.&nbsp;4:201 (2)(a) PEL&nbsp;S) oder mindern (Art.&nbsp;50&nbsp;f. CISG, Art.&nbsp;3(5) Verbrauchsgüterkauf-RL, Art.&nbsp;26(3) Entwurf der Verbraucherrechte-RL, Art.&nbsp;9:401 PECL, Art.&nbsp;4:201(2)(b) PEL&nbsp;S) kann.
Spezielle Gefährdungshaftungstatbestände für einzelne Gefahrenquellen finden sich auch in internationalen Übereinkommen. Dies gilt vor allem im Bereich der [[Umwelthaftung]]. Darüber hinaus ist der Luftverkehr zu nennen, für den die Haftungsfragen in dem Montrealer Übereinkommen von 1999 neu geordnet worden sind ([[Luftverkehr (Vertragliche Haftung)]]; [[Luftverkehr (Deliktische Haftung)]]). Danach hat der Luftfrachtführer für Schäden infolge des Todes oder einer Körperverletzung des Reisenden verschuldensunabhängig einzustehen. Die strikte Haftung ist allerdings auf die Summe von 100.000 SZR (entspricht ca. EUR&nbsp;120.000,-) für jeden Reisenden begrenzt; oberhalb dieser Summe greift eine Verschuldenshaftung mit widerlegbarer Vermutung der Pflichtwidrigkeit ein, wie sie das Warschauer Übereinkommen von 1929 noch generell enthielt. Für die Luftbeförderung innerhalb eines Mitgliedstaates gilt die VO&nbsp;889/‌2002, die für Personenschäden auf die Regelungen des Montrealer Übereinkommens verweist und letztere um Haftungstatbestände für Gepäckschäden ergänzt.


Zum Übergang der Preisgefahr enthalten die Verbrauchsgüterkauf-RL, die UNIDROIT PICC und die [[Principles of European Contract Law|PECL]] keine Regeln; erstere überlässt nach ihrer 14.&nbsp;Begründungserwägung die Regelung des Gefahrübergangs ausdrücklich dem nationalen Recht. Der Entwurf der Verbraucherrechte-RL legt dagegen den Zeitpunkt des Gefahrübergangs selbst fest; abweichende nationale Vorschriften sind auch zugunsten des Verbrauchers unzulässig (Art.&nbsp;4). Nach Art.&nbsp;23 geht das Risiko eines Verlusts und einer Beschädigung auf den Verbraucher über, wenn er oder ein von ihm bestimmter Dritter, der nicht der Beförderer ist, den Besitz an den Waren erwirbt. Unternimmt der Verbraucher oder ein von ihm benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, keine angemessenen Schritte, um den Besitz an den Waren zu erwerben, geht das Risiko zum vereinbarten Liefertermin auf den Verbraucher über. Gedacht ist dabei etwa an den Fall, dass der Verbraucher die Ware nicht innerhalb der von der Post angegebenen Frist beim „Postamt“ abholt (Begründungserwägung&nbsp;38).
Die strikte Haftung des Gastwirts für Schäden am Gepäck des Reisenden, die an die bloße Aufnahme des Gastes geknüpft ist, geht zurück auf die Rezeptumshaftung des [[römisches Recht|römischen Recht]]s. Sie findet sich heute in dem Europäischen Übereinkommen von 1962 über die Haftung von Gastwirten ([[Gastwirtshaftung]]). Ob es sich dabei um einen Fall außervertraglicher Haftung oder nicht vielmehr um eine gesetzlich ausgestaltete Vertragshaftung handelt, ist streitig.


Detaillierte – und einander recht ähnliche – Normen in Bezug auf Kaufverträge finden sich in Art.&nbsp;66&nbsp;ff. CISG, Art.&nbsp;5:101&nbsp;ff. PEL&nbsp;S und Art.&nbsp;IV.A.-5:101&nbsp;ff. DCFR. Übergehen soll allerdings nur die Gefahr von Schäden, die nicht auf eine Handlung oder Unterlassung des Verkäufers zurückzuführen sind. Welche Art der Zurechnung damit gemeint ist, ist unklar. In den ''Comments''<nowiki> zu Art.&nbsp;5:101 PEL&nbsp;S finden sich ganz unterschiedliche Formulierungen: „in a fortuitous event, i.e. due to no fault of either party“, „events that neither party could foresee“, „if the seller is [not] responsible“. Die Entstehungsgeschichte des CISG legt nahe, dass dort ein pflichtwidriges, wenn auch (wegen eines engen Verständnisses der vertraglichen Nebenpflichten) nicht vertragswidriges Verhalten des Verkäufers gemeint ist.</nowiki>
Das internationale Privatrecht der außervertraglichen Haftung ist mit Wirkung zum 11.1. 2009 durch die Rom&nbsp;II-VO (VO&nbsp;864/‌2007) vereinheitlicht worden. Die Verordnung erfasst außervertragliche Schadensersatzansprüche unabhängig davon, ob sie aus einer Verschuldens- oder Gefährdungshaftung stammen. Maßgeblich ist grundsätzlich das Recht des Erfolgsorts, wobei für eine Reihe von Tatbeständen – Umwelthaftung, Produkthaftung – Sonderregeln zu beachten sind.
 
Nach dem CISG geht die Preisgefahr prinzipiell auf den Käufer über, wenn er die Ware übernimmt, wenn sie ihm vertragsgemäß vom Verkäufer an einem anderen Ort als an dessen Niederlassung zur Verfügung gestellt wird und der Käufer dies weiß oder wenn er die Ware vertragswidrig nicht abnimmt (Art.&nbsp;69 CISG). Beim Versendungskauf ist die Übergabe an den Beförderer maßgeblich (Art.&nbsp;67 CISG), beim Verkauf reisender Ware der Vertragsschluss oder (rückwirkend) die Übergabe an den Beförderer (Art.&nbsp;68 CISG).
 
Die PEL&nbsp;S stellen ebenfalls prinzipiell auf die Übernahme der Ware ab (Art.&nbsp;5:102 PEL&nbsp;S). Außer bei Verbraucherkäufen geht die Gefahr ferner über, wenn die Ware dem Käufer mit dessen Wissen zur Verfügung gestellt wird (Art.&nbsp;5:201 PEL&nbsp;S), wenn sie bei Versendungskäufen dem Beförderer übergeben wird (Art.&nbsp;5:202 PEL&nbsp;S) und – bei reisender Ware – bei Übergabe an den Beförderer oder bei Vertragsschluss (Art.&nbsp;5:203 PEL&nbsp;S). Bei Verbraucherverträgen führt neben der Übernahme der Ware nur die vertragswidrige Nicht-Abnahme zum Gefahrübergang (Art.&nbsp;5:103 PEL&nbsp;S).
 
Der DCFR stellt grundsätzlich auf die Übernahme der Ware durch den Käufer (Art.&nbsp;IV.A.-5:102(1) und Art.&nbsp;IV.A.-5:103(1) DCFR) oder den Eintritt eines Annahmeverzugs ab, dessen Voraussetzungen näher umschrieben werden (Art. IV.A.-5:103(2), IV.A.-5:201 DCFR). Außer bei Verbraucherverträgen geht die Preisgefahr auch über, wenn der Käufer Dokumente übernimmt, die die Ware repräsentieren (Art.&nbsp;IV.A.-5:102(1) DCFR), oder wenn die Güter vertragsgemäß einem Beförderer übergeben werden (Art.&nbsp;IV.A.-5:202 DCFR); beim Verkauf von Waren, die sich auf dem Transport befinden, ist der Abschluss des Kaufvertrags oder die Übergabe an den ersten Beförderer ausschlaggebend (Art.&nbsp;IV.A.-5:203 DCFR). Der DCFR enthält Regeln über den Übergang der Preisgefahr auch für Bauverträge, ''processing contracts'' (Verträge über Arbeiten an existierenden Sachen) und Lagerverträge. Der Einlagerer muss die vereinbarte Vergütung trotz einer Beschädigung oder Zerstörung des Lagerguts, die der Lagerhalter nicht zu vertreten hat, zahlen, wenn der Lagerhalter die Rücknahme des Lagerguts verlangt hat (Art.&nbsp;IV.C.-5:108(2) DCFR). Für Bauverträge und ''processing contracts'' findet sich auch eine Regel über die Leistungsgefahr: Der Unternehmer muss nicht mehr leisten und kann trotzdem die vereinbarte Vergütung verlangen, wenn (1.) das Bauwerk oder die zu reparierende, zu säubernde etc. Sache aus Gründen, die der Unternehmer nicht zu vertreten hat, beschädigt oder zerstört wird und (2.) der Unternehmer vorher zu Recht die Übernahme der Sache verlangt hatte, weil er die Arbeit als abgeschlossen betrachtete, oder – falls es bei Bauwerken keiner Übernahme bedarf – den Bauherrn über der Fertigstellung der Arbeiten informiert hatte (Art.&nbsp;IV.C.-3:108(5), IV.C.-4:107(2) DCFR). Preis- und Leistungsgefahr gehen also durch das berechtigte Rücknahmeverlangen über.


==Literatur==
==Literatur==
''Günter Hager'', Die Gefahrtragung beim Kauf, 1982; ''Bernd von Hoffmann'', Passing of Risk in International Sales of Goods, in: Petar Sarcevic, Paul Volken (Hg.), International Sale of Goods: Dubrovnik Lectures, 1986, 265&nbsp;ff.; ''Reinhard Zimmermann'', The Law of Obligations, 1996, 281&nbsp;ff.; ''Claus-Wilhelm Canaris'', Die Bedeutung des Übergangs der Gegenleistungsgefahr im Rahmen von §&nbsp;243 Abs.&nbsp;2 BGB und §&nbsp;275 Abs.&nbsp;2 BGB, Juristische Schulung 2007, 793&nbsp;ff.; ''Franz Dorn'', §&nbsp;243, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd.&nbsp;II/‌1, 2007; ''Martin Josef Schermaier'', §&nbsp;326, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd.&nbsp;II/‌2, 2007; ''Günter Hager'', ''Felix Maultzsch'', Art.&nbsp;66&nbsp;ff., in: Peter Schlechtriem, Ingeborg Schwenzer (Hg), Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 5.&nbsp;Aufl. 2008.
''Regina Ogorek'', Untersuchungen zur Entwicklung der Gefährdungshaftung im 19.&nbsp;Jahrhundert, 1975; ''Reinhard Zimmermann'', The Law of Obligations, 1996, 1095&nbsp;ff.; ''Christian von Bar'', Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd.&nbsp;II, 1999, 306&nbsp;ff.;'' Bernhard A.&nbsp;Koch'','' Helmut Koziol'' (Hg.), Unification of Tort Law: Strict Liability, 2002;'' Gerhard Wagner'', Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Reinhard Zimmermann (Hg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 2003, 189&nbsp;ff.; ''Nils Jansen'', Die Struktur des Haftungsrechts, 2003; ''Helmut Koziol'', Die „Principles of European Tort Law“ der „European Group on Tort Law“, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 12 (2004) 234&nbsp;ff.;'' Franz Werro'','' Vernon Valentine Palmer'' (Hg.), The Boundaries of Strict Liability in European Tort Law, 2004; ''Cees van Dam'', European Tort Law, 2006, 255&nbsp;ff.; ''Nils Jansen'', Principles of European Tort Law, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 70 (2006) 732&nbsp;ff.


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Version vom 28. September 2021, 16:57 Uhr

von Gerhard Wagner

1. Terminologie

Gefährdungshaftung bedeutet Verantwortlichkeit für den Schaden eines anderen ohne dass es auf eine Pflichtverletzung ankommt und in diesem Sinne Haftung ohne Verschulden. Die Einstandspflicht setzt nicht voraus, dass der Schädiger bewusst oder unbewusst die rechtlich gebotenen Sorgfaltsmaßnahmen vernachlässigt hat. „Gefährdungshaftung“ ist ein deutsches Wort, das in anderen Sprachen und Rechtsordnungen kein exaktes Pendant hat: So wird die von einer Pflichtverletzung losgelöste Haftung in Frankreich als responsabilité du fait des choses angesprochen, und im common law spricht man von strict liability.

Diese Unterschiede sind nicht bloß terminologischer Natur, sondern sie sind Ausdruck sachlicher Differenzen. Alle drei Konzepte – Gefährdungshaftung, responsabilité du fait des choses, strict liability – haben gemeinsam den Verzicht auf das Verschuldenserfordernis. Sie unterscheiden sich aber bei der Bestimmung des Zurechnungsprinzips, das an die Stelle des Verschuldensprinzips tritt. Während die Konzepte der responsabilité du fait des choses und der strict liability darauf keine unmittelbare Antwort geben, führt die Gefährdungshaftung das maßgebende Zurechnungskriterium in ihrem Namen: Der Schädiger haftet, weil er eine Quelle erhöhter Gefahr schuf oder kontrolliert und damit für seine Umwelt ein nicht vollständig zu unterdrückendes Schadensrisiko geschaffen hat. Der Zurechnungsgrund der Gefährdungshaftung trifft primär auf das Halten oder Betreiben eines technischen Geräts oder einer technischen Installation zu, passt auch noch auf die Haltung von Tieren, nicht aber auf das bloße Innehaben irgendeiner Sache. Die französische Sachhalterhaftung, die nach herrschender Ansicht nicht auf besonders gefährliche Sachen beschränkt ist, sondern für Gegenstände jedweder Art gilt und auch keinen sicherheitsrelevanten Fehler der Sache voraussetzt, ist deshalb zwar ein Fall verschuldensunabhängiger Haftung, aber keine Gefährdungshaftung im eigentlichen Sinne.

Die Abgrenzung von Verschuldens- und Gefährdungshaftung jenseits der gesetzlichen oder richterrechtlichen Vorgaben ist schwierig und umstritten. In den praktischen Ergebnissen stehen sich die beiden Haftungsgründe oft näher als der theoretische Gegensatz vermuten lässt. Dies hat seinen Grund zum einen darin, dass sich die Intensität der für die Verschuldenshaftung zentralen Sorgfaltsanforderungen nach der Schwere des drohenden Schadens und der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts, kurz gesagt also nach der Intensität der Gefahr richtet. Darüber hinaus verzichtet die Gefährdungshaftung bei Licht besehen lediglich darauf, das Verhalten des Schädigers an Sorgfaltsstandards zu messen, während das Verhalten des Opfers im Rahmen des Mitverschuldens durchaus einer solchen Prüfung unterzogen wird. In der Literatur wird die Nähe von Verschuldens- und Gefährdungshaftung zudem häufig mit dem Hinweis auf die Überspannung der Sorgfaltsanforderungen durch die Gerichte begründet. Vielfach wird daher nicht von zwei trennscharfen Kategorien von Zurechnungsgründen gesprochen, sondern von einer Grauzone zwischen verschuldensabhängiger und verschuldensunabhängiger Haftung. Gleichwohl bleibt der konzeptionell wie praktisch wichtige Unterschied, dass bei der Verschuldenshaftung die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens nachgewiesen werden muss, so dass Schäden, die trotz Beachtung des Sorgfaltsstandards eintreten, beim Geschädigten verbleiben (casum sentit dominus), während bei der Gefährdungshaftung der Halter der Gefahrenquelle dafür aufkommen muss.

Die Unterscheidung zwischen Verschuldens- und Gefährdungshaftung ist auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll. Zwar sind Verschuldens- und Gefährdungshaftung gleichermaßen dazu geeignet, dem potentiellen Schädiger Anreize zur Beachtung des maßgeblichen Sorgfaltsstandards zu vermitteln, d.h. Sorgfaltsmaßnahmen zu ergreifen, deren Kosten geringer sind als der Wert der dadurch vermiedenen Schäden. Die Verschuldenshaftung versagt jedoch bei der Steuerung der Menge potentiell schadensträchtiger Aktivitäten, während die Gefährdungshaftung auch das sog. Aktivitätsniveau zu beeinflussen vermag. Indem dem Verursacher sämtliche Schadenskosten seiner Aktivität zugerechnet werden, hat er einen Anreiz, Kosten und Nutzen der Aktivität gegeneinander abzuwägen. Aus diesem Grund ist die Gefährdungshaftung vorzugswürdig, wenn sich die mit einer gefährlichen Aktivität verbundenen Schäden nicht mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand vermeiden lassen und daher die Menge der schadensträchtigen Aktivität durch haftungsrechtliche Anreize gesteuert werden muss. Umgekehrt reicht die Verschuldenshaftung bei solchen Aktivitäten zur Verhaltenssteuerung aus, bei deren Ausführung sich Schäden mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand weitgehend vermeiden lassen. Dieser Maßgabe wird die Rechtsordnung gerecht, wenn sie die Gefährdungshaftung an das Halten einer Quelle erhöhter Gefahr knüpft.

2. Tendenzen in den nationalen Rechtsentwicklungen

Im Bereich der Verschuldenshaftung erweisen sich die europäischen Rechtsordnungen als relativ homogen, doch im Bereich der Haftung ohne Verschulden bestehen große Unterschiede. Während das französische Recht der verschuldensunabhängigen Haftung breiten Raum gibt, ist das englische Recht überaus zurückhaltend, und das deutsche Recht nimmt eine Mittelstellung ein. Die große Varianz im Bereich der Gefährdungshaftung hat historische Gründe: Die Verschuldenshaftung ist den europäischen Rechtsordnungen seit der Antike geläufig, denn sie hat sich aus der römischen lex Aquilia (Deliktsrecht) entwickelt. Zwar kannte das römische Recht auch einen Haftungstyp, der sich als Gefährdungshaftung ansprechen lässt, und zwar in Bezug auf die Schädigung durch domestizierte und wilde Tiere (actio de pauperie, edictum de feris). Daneben kannte das römische Recht eine Reihe von Tatbeständen der Haftung quasi ex delicto, etwa in Bezug auf Gegenstände, die aus Gebäuden auf die Straße geworfen wurden (actio de deiectis vel effusis) oder auf bestimmte Fälle der Gastwirtshaftung (actio de damno aut furto adversus nautas, caupones, stabularios). Die meisten dieser Quasidelikte sind im Laufe der Zeit abgeschliffen und in die allgemeine Verschuldenshaftung oder spezielle Institute wie die Receptumshaftung integriert worden. In ihrer modernen Form ist die Gefährdungshaftung ein Kind der Industrialisierung und damit des späten 19. Jahrhunderts. Sie ist die Reaktion des Haftungsrechts auf die Entwicklung und Verbreitung technischer Gefahrenquellen.

Die Geburtsstunde der Gefährdungshaftung in Deutschland liegt im Jahr 1838, als Friedrich Carl von Savigny das Preußische Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen entwarf und eine Bestimmung aufnahm, die den Bahnunternehmer einer verschuldensunabhängigen Haftung für Rechtsgutsverletzungen beim Betrieb der Bahn unterwarf. Trotz dieses Vorbilds konzentriert sich das BGB von 1900 ganz auf die Verschuldenshaftung, wenn man von der einzigen Ausnahme der Tierhalterhaftung gemäß § 833 BGB a.F. (§ 833 S. 1 BGB n.F.) einmal absieht. Die Gefährdungshaftung wurde so zu einer Domäne der Legislative und der Spezialgesetze. Der Gesetzgeber fühlt sich dem Enumerationsprinzip verpflichtet und ist daher dazu genötigt, die verschuldensunabhängige Haftung jeweils explizit mit Blick auf die einzelne Gefahrenquelle anzuordnen. Dies ist beispielsweise mit Blick auf Eisenbahnen, Kraftfahrzeuge und Luftfahrzeuge, Energie- und Rohrleitungsanlagen sowie umweltgefährliche Anlagen geschehen. Der dadurch entstandene Katalog an Gefährdungshaftungen wird immer wieder erweitert, sofern sich durch den Fortschritt in Wissenschaft und Technik neue Gefahrenquellen ergeben, wie etwa im Bereich der Gentechnik. Das Recht der verschuldensunabhängigen Haftung ist deshalb stark zersplittert. Die deutschen Gerichte lehnen es in ständiger Rechtsprechung ab, ihrerseits Tatbestände verschuldensunabhängiger Haftung zu kreieren oder auch nur die bestehenden Anspruchsgrundlagen behutsam im Wege der Analogie auszuweiten (BGH 25.1.1971, BGHZ 55, 229). Damit steht sie im Gegensatz zur österreichischen Rechtsprechung, die eine analoge Anwendung von Gefährdungshaftungstatbeständen für möglich hält (OGH 11.10.1995, JBl 1996, 446).

Das englische Recht ist gegenüber der Gefährdungshaftung noch zurückhaltender. Ihre Anerkennung erfolgte Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Entscheidung des House of Lords in Rylands v. Fletcher [1868] LR 3 HL 330. Danach haftete derjenige verschuldensunabhängig, der auf seinem Grundstück eine Anlage unterhielt, aus der Stoffe auf das Grundstück eines Nachbarn gelangten und dort Schaden anrichteten. Während es längere Zeit so schien, als habe das englische Recht damit eine Generalklausel der Gefährdungshaftung zur Verfügung, ist die Uhr später wieder zurückgedreht worden. Das House of Lords hat es abgelehnt, auf den Grundstücksbezug zu verzichten, um Anlagen jedweder Art sowie besonders gefährliche Tätigkeiten einer verschuldensunabhängigen Haftung unterwerfen zu können (Read v. Lyons & Co. Ltd. [1947] AC 156). Darüber hinaus verlangt das House of Lords neuerdings sogar die Vorhersehbarkeit des Schadens und nähert die Regel in Rylands v. Fletcher damit bis auf Haaresbreite an die Verschuldenshaftung an (Cambridge Water Co. v. Eastern Counties Leather Plc. [1994] 2 AC 264). Nach Auffassung des Gerichts ist es Aufgabe des Parlaments, nicht der Gerichte, neue Tatbestände der Gefährdungshaftung einzuführen (Transco plc v. Stockport Metropolitan Borough Council [2004] 1 All ER 589). Durch Spezialgesetze sind verschuldensunabhängige Haftungen in Bezug auf technische Gefahrenquellen verschiedener Art, wie etwa für den Betrieb kerntechnischer Anlagen oder von Abfallbeseitigungsanlagen, geschaffen worden. In scharfem Unterschied zur Rechtslage in den meisten Staaten des europäischen Kontinents unterliegt der Betrieb von Kraftfahrzeugen in England bis heute nicht der Gefährdungshaftung. Das Verkehrsunfallrecht ist somit eine ausschließliche Domäne der Verschuldenshaftung geblieben.

Im französischen Code civil findet sich in Art. 1385 in Bezug auf den Tierhalter ein klassischer Fall verschuldensunabhängiger Haftung. Darüber hinaus sieht das französische Recht in Art. 1384 Abs. 1 Code civil eine verschuldensunabhängige Haftung des Sachhalters (gardien de chose) vor Sachhalterhaftung. Die Sachhalterhaftung hat mit der Gefährdungshaftung im eigentlichen Sinn gemein, dass sie keine Pflichtverletzung voraussetzt, unterscheidet sich von ihr jedoch dadurch, dass sie nicht an das Halten einer Quelle besonderer Gefahr anknüpft. Das eigentliche Feld der Gefährdungshaftung ist auch in Frankreich eine Domäne des Gesetzgebers. Unter den Spezialgesetzen ist die sog. Loi Badinter von 1985 besonders bedeutsam, die für Straßenverkehrsunfälle nicht nur eine verschuldensunabhängige Haftung des Kraftfahrzeughalters gegenüber Passanten und nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmern statuiert, sondern überdies auch bei der Schadenszurechnung im Innenverhältnis zweier Kraftfahrzeughalter weitgehend vom Verschulden abstrahiert.

3. Vereinheitlichungsprojekte

Im rechtsvergleichenden Schrifttum ist immer wieder die Forderung erhoben worden, den Flickenteppich spezialgesetzlicher Gefährdungshaftungstatbestände durch eine Generalklausel zu ersetzen, die das Halten einer Quelle besonderer Gefahr einer verschuldensunabhängigen Haftung unterwirft. Die damit gegebene Alternative aus Enumerationsprinzip einerseits, Generalklausel andererseits, spiegelt sich in den aktuellen Vorschlägen zur Vereinheitlichung des europäischen Haftungsrechts.

Die European Group on Tort Law (Principles of European Tort Law) folgt der Forderung nach Einführung einer Generalklausel der Gefährdungshaftung. Gemäß Art. 5:101 PETL sind außergewöhnlich gefährliche Aktivitäten einer verschuldensunabhängigen Haftung unterworfen. Eine Aktivität gilt als außergewöhnlich gefährlich, wenn sie eine vorhersehbare und höchst signifikante Schadensgefahr schafft, selbst wenn jedwede gebotene Sorgfalt bei ihrer Ausführung gewahrt wird. Keine außergewöhnlich gefährliche Aktivität soll vorliegen, wenn sie „allgemein gebräuchlich“ ist. Damit fallen insbesondere Kraftfahrzeuge aus dem Anwendungsbereich der Generalklausel heraus, was ihre praktische Bedeutung erheblich reduziert. Dem Vorbild der PETL folgt weitgehend der Entwurf zur Reform des Schadensersatzrechts des österreichischen ABGB, der im Jahr 2005 vorgelegt worden ist (überarbeitete Fassung in Juristische Blätter 2008, 365).

Die Verfasser des Draft DCFR haben sich nicht dem Modell der Generalklausel, sondern dem Enumerationsprinzip verschrieben, das allerdings innerhalb des allgemeinen Haftungsrechts und nicht in Sondergesetzen realisiert werden soll. Im dritten Kapitel des sechsten Buches des DCFR finden sich Tatbestände strikter Haftung zu Lasten der Halter von unsicheren Gebäuden (Art. VI.-3:202 DCFR), Tieren (Art. VI.-3:203 DCFR) und Kraftfahrzeugen (Art. VI.-3:205) sowie der Betreiber von Anlagen und der Halter von gefährlichen Stoffen (Art. VI.-3:206 DCFR). Darüber hinaus kodifiziert Art. VI.-3:204 DCFR die Regelungen der Produkthaftungs-RL (RL 85/‌ 374) über die Einstandspflicht der Hersteller fehlerhafter Produkte.

Gemeinsam ist beiden Regelwerken, dass die angeordneten Gefährdungshaftungen – seien sie generalklauselartig oder in Form von Sondertatbeständen formuliert – nicht abschließend sind, sondern Öffnungsklauseln zugunsten des nationalen Rechts enthalten. Gemäß Art. 5:102 PETL kann das nationale Recht weitere Kategorien verschuldensunabhängiger Haftung für gefährliche Aktivitäten vorsehen, unabhängig davon, ob letztere „außergewöhnlich gefährlich“ sind. Diese Regelung ermöglicht es den meisten Mitgliedstaaten, die Gefährdungshaftung des Kraftfahrzeughalters beizubehalten. Der DCFR löst das Problem der Verkehrsunfallhaftung zwar selbst, kann aber auf eine Öffnungsklausel zugunsten der Mitgliedstaaten ebenfalls nicht verzichten (Art. VI.-3:207 DCFR). Prima facie mag es erstaunen, dass die Vereinheitlichungsprojekte es nicht schaffen, eine abschließende Regelung der Gefährdungshaftung vorzulegen, sei es in Gestalt einer Generalklausel, sei es in Gestalt eines Katalogs von Gefahrenquellen. An diesem Befund zeigt sich, wie heterogen die Vorstellungen über die legitime Reichweite der strikten Haftung in den Mitgliedstaaten sind. Selbst in relativ kleinen Gruppen von Wissenschaftlern ist es offenbar nicht möglich, einen Konsens über die richtige Zuordnung von Verschuldens- und Gefährdungshaftung zu erzielen.

4. Gemeinschaftsrecht und internationales Einheitsrecht

Die EU hat das Recht der außervertraglichen Haftung bisher kaum berührt. Außerhalb des Sonderbereichs der Staatshaftung wegen Verletzung von Gemeinschaftsrecht ist die Produkthaftungs-RL aus dem Jahr 1985 zu nennen. Mit der Richtlinie sollte nach dem Willen ihrer Verfasser eine strikte Haftung eingeführt werden, und dies trifft in dem Sinne zu, dass der Hersteller verschuldensunabhängig für Schäden einzustehen hat, die durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht worden sind. Demgegenüber ergibt eine genauere Analyse, dass die Verschuldensprüfung faktisch in den Fehlerbegriff der Richtlinie (Art. 6 Produkthaftungs-RL) verlagert wurde, da sich die Fehlerhaftigkeit des Produkts (Enttäuschung berechtigter Sicherheitserwartungen) nur mit Rücksicht auf eine Pflichtverletzung des Herstellers im Zeitpunkt des Inverkehrbringens begründen lässt. Im Bereich der Konstruktions- und Instruktionsfehler „verschlüsselt“ der Fehlerbegriff die Verhaltenspflichten des Herstellers. Wirklich strikt ist allerdings die Haftung für Fabrikationsfehler, da sie auch für sog. Ausreißer gilt, das sind Produktfehler, die sich auch durch Einsatz der gebotenen Sicherheitsmaßnahmen nicht vermeiden lassen.

Der Schutzbereich der harmonisierten Produkthaftung ist auf Verletzungen von Leib und Leben sowie Sachbeschädigungen und ‑zerstörungen begrenzt. Schäden an dem Produkt selbst sowie an gewerblich genutzten Sachen bleiben ausgeklammert, und im Übrigen gilt für Sachschäden ein Selbstbehalt von EUR 500,- (Art. 9 Produkthaftungs-RL). Trotz dieser Schutzlücken bewirkt die Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung des EuGH die Vollharmonisierung des Produkthaftungsrechts, ist also für die Mitgliedstaaten sowohl in Bezug auf eine Verschärfung als auch in Bezug auf eine Abmilderung der Haftung bindend (EuGH Rs C-402/‌03 – Bilka, Slg. 2006, I-199). Unberührt bleiben demgegenüber die Haftung für fehlerhafte Produkte aufgrund des Vertrags- und des allgemeinen Deliktsrechts der Mitgliedstaaten (Art. 13 Produkthaftungs-RL; EuGH Rs. C-52/‌00 – Kommission/‌Frankreich, Slg. 2002, I-3827).

Spezielle Gefährdungshaftungstatbestände für einzelne Gefahrenquellen finden sich auch in internationalen Übereinkommen. Dies gilt vor allem im Bereich der Umwelthaftung. Darüber hinaus ist der Luftverkehr zu nennen, für den die Haftungsfragen in dem Montrealer Übereinkommen von 1999 neu geordnet worden sind (Luftverkehr (Vertragliche Haftung); Luftverkehr (Deliktische Haftung)). Danach hat der Luftfrachtführer für Schäden infolge des Todes oder einer Körperverletzung des Reisenden verschuldensunabhängig einzustehen. Die strikte Haftung ist allerdings auf die Summe von 100.000 SZR (entspricht ca. EUR 120.000,-) für jeden Reisenden begrenzt; oberhalb dieser Summe greift eine Verschuldenshaftung mit widerlegbarer Vermutung der Pflichtwidrigkeit ein, wie sie das Warschauer Übereinkommen von 1929 noch generell enthielt. Für die Luftbeförderung innerhalb eines Mitgliedstaates gilt die VO 889/‌2002, die für Personenschäden auf die Regelungen des Montrealer Übereinkommens verweist und letztere um Haftungstatbestände für Gepäckschäden ergänzt.

Die strikte Haftung des Gastwirts für Schäden am Gepäck des Reisenden, die an die bloße Aufnahme des Gastes geknüpft ist, geht zurück auf die Rezeptumshaftung des römischen Rechts. Sie findet sich heute in dem Europäischen Übereinkommen von 1962 über die Haftung von Gastwirten (Gastwirtshaftung). Ob es sich dabei um einen Fall außervertraglicher Haftung oder nicht vielmehr um eine gesetzlich ausgestaltete Vertragshaftung handelt, ist streitig.

Das internationale Privatrecht der außervertraglichen Haftung ist mit Wirkung zum 11.1. 2009 durch die Rom II-VO (VO 864/‌2007) vereinheitlicht worden. Die Verordnung erfasst außervertragliche Schadensersatzansprüche unabhängig davon, ob sie aus einer Verschuldens- oder Gefährdungshaftung stammen. Maßgeblich ist grundsätzlich das Recht des Erfolgsorts, wobei für eine Reihe von Tatbeständen – Umwelthaftung, Produkthaftung – Sonderregeln zu beachten sind.

Literatur

Regina Ogorek, Untersuchungen zur Entwicklung der Gefährdungshaftung im 19. Jahrhundert, 1975; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, 1095 ff.; Christian von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. II, 1999, 306 ff.; Bernhard A. Koch, Helmut Koziol (Hg.), Unification of Tort Law: Strict Liability, 2002; Gerhard Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Reinhard Zimmermann (Hg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 2003, 189 ff.; Nils Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 2003; Helmut Koziol, Die „Principles of European Tort Law“ der „European Group on Tort Law“, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 12 (2004) 234 ff.; Franz Werro, Vernon Valentine Palmer (Hg.), The Boundaries of Strict Liability in European Tort Law, 2004; Cees van Dam, European Tort Law, 2006, 255 ff.; Nils Jansen, Principles of European Tort Law, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 70 (2006) 732 ff.