Gefährdungshaftung
von Gerhard Wagner
1. Terminologie
Gefährdungshaftung bedeutet Verantwortlichkeit für den Schaden eines anderen ohne dass es auf eine Pflichtverletzung ankommt und in diesem Sinne Haftung ohne Verschulden. Die Einstandspflicht setzt nicht voraus, dass der Schädiger bewusst oder unbewusst die rechtlich gebotenen Sorgfaltsmaßnahmen vernachlässigt hat. „Gefährdungshaftung“ ist ein deutsches Wort, das in anderen Sprachen und Rechtsordnungen kein exaktes Pendant hat: So wird die von einer Pflichtverletzung losgelöste Haftung in Frankreich als responsabilité du fait des choses angesprochen, und im common law spricht man von strict liability.
Diese Unterschiede sind nicht bloß terminologischer Natur, sondern sie sind Ausdruck sachlicher Differenzen. Alle drei Konzepte – Gefährdungshaftung, responsabilité du fait des choses, strict liability – haben gemeinsam den Verzicht auf das Verschuldenserfordernis. Sie unterscheiden sich aber bei der Bestimmung des Zurechnungsprinzips, das an die Stelle des Verschuldensprinzips tritt. Während die Konzepte der responsabilité du fait des choses und der strict liability darauf keine unmittelbare Antwort geben, führt die Gefährdungshaftung das maßgebende Zurechnungskriterium in ihrem Namen: Der Schädiger haftet, weil er eine Quelle erhöhter Gefahr schuf oder kontrolliert und damit für seine Umwelt ein nicht vollständig zu unterdrückendes Schadensrisiko geschaffen hat. Der Zurechnungsgrund der Gefährdungshaftung trifft primär auf das Halten oder Betreiben eines technischen Geräts oder einer technischen Installation zu, passt auch noch auf die Haltung von Tieren, nicht aber auf das bloße Innehaben irgendeiner Sache. Die französische Sachhalterhaftung, die nach herrschender Ansicht nicht auf besonders gefährliche Sachen beschränkt ist, sondern für Gegenstände jedweder Art gilt und auch keinen sicherheitsrelevanten Fehler der Sache voraussetzt, ist deshalb zwar ein Fall verschuldensunabhängiger Haftung, aber keine Gefährdungshaftung im eigentlichen Sinne.
Die Abgrenzung von Verschuldens- und Gefährdungshaftung jenseits der gesetzlichen oder richterrechtlichen Vorgaben ist schwierig und umstritten. In den praktischen Ergebnissen stehen sich die beiden Haftungsgründe oft näher als der theoretische Gegensatz vermuten lässt. Dies hat seinen Grund zum einen darin, dass sich die Intensität der für die Verschuldenshaftung zentralen Sorgfaltsanforderungen nach der Schwere des drohenden Schadens und der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts, kurz gesagt also nach der Intensität der Gefahr richtet. Darüber hinaus verzichtet die Gefährdungshaftung bei Licht besehen lediglich darauf, das Verhalten des Schädigers an Sorgfaltsstandards zu messen, während das Verhalten des Opfers im Rahmen des Mitverschuldens durchaus einer solchen Prüfung unterzogen wird. In der Literatur wird die Nähe von Verschuldens- und Gefährdungshaftung zudem häufig mit dem Hinweis auf die Überspannung der Sorgfaltsanforderungen durch die Gerichte begründet. Vielfach wird daher nicht von zwei trennscharfen Kategorien von Zurechnungsgründen gesprochen, sondern von einer Grauzone zwischen verschuldensabhängiger und verschuldensunabhängiger Haftung. Gleichwohl bleibt der konzeptionell wie praktisch wichtige Unterschied, dass bei der Verschuldenshaftung die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens nachgewiesen werden muss, so dass Schäden, die trotz Beachtung des Sorgfaltsstandards eintreten, beim Geschädigten verbleiben (casum sentit dominus), während bei der Gefährdungshaftung der Halter der Gefahrenquelle dafür aufkommen muss.
Die Unterscheidung zwischen Verschuldens- und Gefährdungshaftung ist auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll. Zwar sind Verschuldens- und Gefährdungshaftung gleichermaßen dazu geeignet, dem potentiellen Schädiger Anreize zur Beachtung des maßgeblichen Sorgfaltsstandards zu vermitteln, d.h. Sorgfaltsmaßnahmen zu ergreifen, deren Kosten geringer sind als der Wert der dadurch vermiedenen Schäden. Die Verschuldenshaftung versagt jedoch bei der Steuerung der Menge potentiell schadensträchtiger Aktivitäten, während die Gefährdungshaftung auch das sog. Aktivitätsniveau zu beeinflussen vermag. Indem dem Verursacher sämtliche Schadenskosten seiner Aktivität zugerechnet werden, hat er einen Anreiz, Kosten und Nutzen der Aktivität gegeneinander abzuwägen. Aus diesem Grund ist die Gefährdungshaftung vorzugswürdig, wenn sich die mit einer gefährlichen Aktivität verbundenen Schäden nicht mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand vermeiden lassen und daher die Menge der schadensträchtigen Aktivität durch haftungsrechtliche Anreize gesteuert werden muss. Umgekehrt reicht die Verschuldenshaftung bei solchen Aktivitäten zur Verhaltenssteuerung aus, bei deren Ausführung sich Schäden mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand weitgehend vermeiden lassen. Dieser Maßgabe wird die Rechtsordnung gerecht, wenn sie die Gefährdungshaftung an das Halten einer Quelle erhöhter Gefahr knüpft.
2. Tendenzen in den nationalen Rechtsentwicklungen
Im Bereich der Verschuldenshaftung erweisen sich die europäischen Rechtsordnungen als relativ homogen, doch im Bereich der Haftung ohne Verschulden bestehen große Unterschiede. Während das französische Recht der verschuldensunabhängigen Haftung breiten Raum gibt, ist das englische Recht überaus zurückhaltend, und das deutsche Recht nimmt eine Mittelstellung ein. Die große Varianz im Bereich der Gefährdungshaftung hat historische Gründe: Die Verschuldenshaftung ist den europäischen Rechtsordnungen seit der Antike geläufig, denn sie hat sich aus der römischen lex Aquilia (Deliktsrecht) entwickelt. Zwar kannte das römische Recht auch einen Haftungstyp, der sich als Gefährdungshaftung ansprechen lässt, und zwar in Bezug auf die Schädigung durch domestizierte und wilde Tiere (actio de pauperie, edictum de feris). Daneben kannte das römische Recht eine Reihe von Tatbeständen der Haftung quasi ex delicto, etwa in Bezug auf Gegenstände, die aus Gebäuden auf die Straße geworfen wurden (actio de deiectis vel effusis) oder auf bestimmte Fälle der Gastwirtshaftung (actio de damno aut furto adversus nautas, caupones, stabularios). Die meisten dieser Quasidelikte sind im Laufe der Zeit abgeschliffen und in die allgemeine Verschuldenshaftung oder spezielle Institute wie die Receptumshaftung integriert worden. In ihrer modernen Form ist die Gefährdungshaftung ein Kind der Industrialisierung und damit des späten 19. Jahrhunderts. Sie ist die Reaktion des Haftungsrechts auf die Entwicklung und Verbreitung technischer Gefahrenquellen.
Die Geburtsstunde der Gefährdungshaftung in Deutschland liegt im Jahr 1838, als Friedrich Carl von Savigny das Preußische Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen entwarf und eine Bestimmung aufnahm, die den Bahnunternehmer einer verschuldensunabhängigen Haftung für Rechtsgutsverletzungen beim Betrieb der Bahn unterwarf. Trotz dieses Vorbilds konzentriert sich das BGB von 1900 ganz auf die Verschuldenshaftung, wenn man von der einzigen Ausnahme der Tierhalterhaftung gemäß § 833 BGB a.F. (§ 833 S. 1 BGB n.F.) einmal absieht. Die Gefährdungshaftung wurde so zu einer Domäne der Legislative und der Spezialgesetze. Der Gesetzgeber fühlt sich dem Enumerationsprinzip verpflichtet und ist daher dazu genötigt, die verschuldensunabhängige Haftung jeweils explizit mit Blick auf die einzelne Gefahrenquelle anzuordnen. Dies ist beispielsweise mit Blick auf Eisenbahnen, Kraftfahrzeuge und Luftfahrzeuge, Energie- und Rohrleitungsanlagen sowie umweltgefährliche Anlagen geschehen. Der dadurch entstandene Katalog an Gefährdungshaftungen wird immer wieder erweitert, sofern sich durch den Fortschritt in Wissenschaft und Technik neue Gefahrenquellen ergeben, wie etwa im Bereich der Gentechnik. Das Recht der verschuldensunabhängigen Haftung ist deshalb stark zersplittert. Die deutschen Gerichte lehnen es in ständiger Rechtsprechung ab, ihrerseits Tatbestände verschuldensunabhängiger Haftung zu kreieren oder auch nur die bestehenden Anspruchsgrundlagen behutsam im Wege der Analogie auszuweiten (BGH 25.1.1971, BGHZ 55, 229). Damit steht sie im Gegensatz zur österreichischen Rechtsprechung, die eine analoge Anwendung von Gefährdungshaftungstatbeständen für möglich hält (OGH 11.10.1995, JBl 1996, 446).
Das englische Recht ist gegenüber der Gefährdungshaftung noch zurückhaltender. Ihre Anerkennung erfolgte Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Entscheidung des House of Lords in Rylands v. Fletcher [1868] LR 3 HL 330. Danach haftete derjenige verschuldensunabhängig, der auf seinem Grundstück eine Anlage unterhielt, aus der Stoffe auf das Grundstück eines Nachbarn gelangten und dort Schaden anrichteten. Während es längere Zeit so schien, als habe das englische Recht damit eine Generalklausel der Gefährdungshaftung zur Verfügung, ist die Uhr später wieder zurückgedreht worden. Das House of Lords hat es abgelehnt, auf den Grundstücksbezug zu verzichten, um Anlagen jedweder Art sowie besonders gefährliche Tätigkeiten einer verschuldensunabhängigen Haftung unterwerfen zu können (Read v. Lyons & Co. Ltd. [1947] AC 156). Darüber hinaus verlangt das House of Lords neuerdings sogar die Vorhersehbarkeit des Schadens und nähert die Regel in Rylands v. Fletcher damit bis auf Haaresbreite an die Verschuldenshaftung an (Cambridge Water Co. v. Eastern Counties Leather Plc. [1994] 2 AC 264). Nach Auffassung des Gerichts ist es Aufgabe des Parlaments, nicht der Gerichte, neue Tatbestände der Gefährdungshaftung einzuführen (Transco plc v. Stockport Metropolitan Borough Council [2004] 1 All ER 589). Durch Spezialgesetze sind verschuldensunabhängige Haftungen in Bezug auf technische Gefahrenquellen verschiedener Art, wie etwa für den Betrieb kerntechnischer Anlagen oder von Abfallbeseitigungsanlagen, geschaffen worden. In scharfem Unterschied zur Rechtslage in den meisten Staaten des europäischen Kontinents unterliegt der Betrieb von Kraftfahrzeugen in England bis heute nicht der Gefährdungshaftung. Das Verkehrsunfallrecht ist somit eine ausschließliche Domäne der Verschuldenshaftung geblieben.
Im französischen Code civil findet sich in Art. 1385 in Bezug auf den Tierhalter ein klassischer Fall verschuldensunabhängiger Haftung. Darüber hinaus sieht das französische Recht in Art. 1384 Abs. 1 Code civil eine verschuldensunabhängige Haftung des Sachhalters (gardien de chose) vor Sachhalterhaftung. Die Sachhalterhaftung hat mit der Gefährdungshaftung im eigentlichen Sinn gemein, dass sie keine Pflichtverletzung voraussetzt, unterscheidet sich von ihr jedoch dadurch, dass sie nicht an das Halten einer Quelle besonderer Gefahr anknüpft. Das eigentliche Feld der Gefährdungshaftung ist auch in Frankreich eine Domäne des Gesetzgebers. Unter den Spezialgesetzen ist die sog. Loi Badinter von 1985 besonders bedeutsam, die für Straßenverkehrsunfälle nicht nur eine verschuldensunabhängige Haftung des Kraftfahrzeughalters gegenüber Passanten und nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmern statuiert, sondern überdies auch bei der Schadenszurechnung im Innenverhältnis zweier Kraftfahrzeughalter weitgehend vom Verschulden abstrahiert.
3. Vereinheitlichungsprojekte
Im rechtsvergleichenden Schrifttum ist immer wieder die Forderung erhoben worden, den Flickenteppich spezialgesetzlicher Gefährdungshaftungstatbestände durch eine Generalklausel zu ersetzen, die das Halten einer Quelle besonderer Gefahr einer verschuldensunabhängigen Haftung unterwirft. Die damit gegebene Alternative aus Enumerationsprinzip einerseits, Generalklausel andererseits, spiegelt sich in den aktuellen Vorschlägen zur Vereinheitlichung des europäischen Haftungsrechts.
Die European Group on Tort Law (Principles of European Tort Law) folgt der Forderung nach Einführung einer Generalklausel der Gefährdungshaftung. Gemäß Art. 5:101 PETL sind außergewöhnlich gefährliche Aktivitäten einer verschuldensunabhängigen Haftung unterworfen. Eine Aktivität gilt als außergewöhnlich gefährlich, wenn sie eine vorhersehbare und höchst signifikante Schadensgefahr schafft, selbst wenn jedwede gebotene Sorgfalt bei ihrer Ausführung gewahrt wird. Keine außergewöhnlich gefährliche Aktivität soll vorliegen, wenn sie „allgemein gebräuchlich“ ist. Damit fallen insbesondere Kraftfahrzeuge aus dem Anwendungsbereich der Generalklausel heraus, was ihre praktische Bedeutung erheblich reduziert. Dem Vorbild der PETL folgt weitgehend der Entwurf zur Reform des Schadensersatzrechts des österreichischen ABGB, der im Jahr 2005 vorgelegt worden ist (überarbeitete Fassung in Juristische Blätter 2008, 365).
Die Verfasser des Draft DCFR haben sich nicht dem Modell der Generalklausel, sondern dem Enumerationsprinzip verschrieben, das allerdings innerhalb des allgemeinen Haftungsrechts und nicht in Sondergesetzen realisiert werden soll. Im dritten Kapitel des sechsten Buches des DCFR finden sich Tatbestände strikter Haftung zu Lasten der Halter von unsicheren Gebäuden (Art. VI.-3:202 DCFR), Tieren (Art. VI.-3:203 DCFR) und Kraftfahrzeugen (Art. VI.-3:205) sowie der Betreiber von Anlagen und der Halter von gefährlichen Stoffen (Art. VI.-3:206 DCFR). Darüber hinaus kodifiziert Art. VI.-3:204 DCFR die Regelungen der Produkthaftungs-RL (RL 85/ 374) über die Einstandspflicht der Hersteller fehlerhafter Produkte.
Gemeinsam ist beiden Regelwerken, dass die angeordneten Gefährdungshaftungen – seien sie generalklauselartig oder in Form von Sondertatbeständen formuliert – nicht abschließend sind, sondern Öffnungsklauseln zugunsten des nationalen Rechts enthalten. Gemäß Art. 5:102 PETL kann das nationale Recht weitere Kategorien verschuldensunabhängiger Haftung für gefährliche Aktivitäten vorsehen, unabhängig davon, ob letztere „außergewöhnlich gefährlich“ sind. Diese Regelung ermöglicht es den meisten Mitgliedstaaten, die Gefährdungshaftung des Kraftfahrzeughalters beizubehalten. Der DCFR löst das Problem der Verkehrsunfallhaftung zwar selbst, kann aber auf eine Öffnungsklausel zugunsten der Mitgliedstaaten ebenfalls nicht verzichten (Art. VI.-3:207 DCFR). Prima facie mag es erstaunen, dass die Vereinheitlichungsprojekte es nicht schaffen, eine abschließende Regelung der Gefährdungshaftung vorzulegen, sei es in Gestalt einer Generalklausel, sei es in Gestalt eines Katalogs von Gefahrenquellen. An diesem Befund zeigt sich, wie heterogen die Vorstellungen über die legitime Reichweite der strikten Haftung in den Mitgliedstaaten sind. Selbst in relativ kleinen Gruppen von Wissenschaftlern ist es offenbar nicht möglich, einen Konsens über die richtige Zuordnung von Verschuldens- und Gefährdungshaftung zu erzielen.
4. Gemeinschaftsrecht und internationales Einheitsrecht
Die EU hat das Recht der außervertraglichen Haftung bisher kaum berührt. Außerhalb des Sonderbereichs der Staatshaftung wegen Verletzung von Gemeinschaftsrecht ist die Produkthaftungs-RL aus dem Jahr 1985 zu nennen. Mit der Richtlinie sollte nach dem Willen ihrer Verfasser eine strikte Haftung eingeführt werden, und dies trifft in dem Sinne zu, dass der Hersteller verschuldensunabhängig für Schäden einzustehen hat, die durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht worden sind. Demgegenüber ergibt eine genauere Analyse, dass die Verschuldensprüfung faktisch in den Fehlerbegriff der Richtlinie (Art. 6 Produkthaftungs-RL) verlagert wurde, da sich die Fehlerhaftigkeit des Produkts (Enttäuschung berechtigter Sicherheitserwartungen) nur mit Rücksicht auf eine Pflichtverletzung des Herstellers im Zeitpunkt des Inverkehrbringens begründen lässt. Im Bereich der Konstruktions- und Instruktionsfehler „verschlüsselt“ der Fehlerbegriff die Verhaltenspflichten des Herstellers. Wirklich strikt ist allerdings die Haftung für Fabrikationsfehler, da sie auch für sog. Ausreißer gilt, das sind Produktfehler, die sich auch durch Einsatz der gebotenen Sicherheitsmaßnahmen nicht vermeiden lassen.
Der Schutzbereich der harmonisierten Produkthaftung ist auf Verletzungen von Leib und Leben sowie Sachbeschädigungen und ‑zerstörungen begrenzt. Schäden an dem Produkt selbst sowie an gewerblich genutzten Sachen bleiben ausgeklammert, und im Übrigen gilt für Sachschäden ein Selbstbehalt von EUR 500,- (Art. 9 Produkthaftungs-RL). Trotz dieser Schutzlücken bewirkt die Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung des EuGH die Vollharmonisierung des Produkthaftungsrechts, ist also für die Mitgliedstaaten sowohl in Bezug auf eine Verschärfung als auch in Bezug auf eine Abmilderung der Haftung bindend (EuGH Rs C-402/03 – Bilka, Slg. 2006, I-199). Unberührt bleiben demgegenüber die Haftung für fehlerhafte Produkte aufgrund des Vertrags- und des allgemeinen Deliktsrechts der Mitgliedstaaten (Art. 13 Produkthaftungs-RL; EuGH Rs. C-52/00 – Kommission/Frankreich, Slg. 2002, I-3827).
Spezielle Gefährdungshaftungstatbestände für einzelne Gefahrenquellen finden sich auch in internationalen Übereinkommen. Dies gilt vor allem im Bereich der Umwelthaftung. Darüber hinaus ist der Luftverkehr zu nennen, für den die Haftungsfragen in dem Montrealer Übereinkommen von 1999 neu geordnet worden sind (Luftverkehr (Vertragliche Haftung); Luftverkehr (Deliktische Haftung)). Danach hat der Luftfrachtführer für Schäden infolge des Todes oder einer Körperverletzung des Reisenden verschuldensunabhängig einzustehen. Die strikte Haftung ist allerdings auf die Summe von 100.000 SZR (entspricht ca. EUR 120.000,-) für jeden Reisenden begrenzt; oberhalb dieser Summe greift eine Verschuldenshaftung mit widerlegbarer Vermutung der Pflichtwidrigkeit ein, wie sie das Warschauer Übereinkommen von 1929 noch generell enthielt. Für die Luftbeförderung innerhalb eines Mitgliedstaates gilt die VO 889/2002, die für Personenschäden auf die Regelungen des Montrealer Übereinkommens verweist und letztere um Haftungstatbestände für Gepäckschäden ergänzt.
Die strikte Haftung des Gastwirts für Schäden am Gepäck des Reisenden, die an die bloße Aufnahme des Gastes geknüpft ist, geht zurück auf die Rezeptumshaftung des römischen Rechts. Sie findet sich heute in dem Europäischen Übereinkommen von 1962 über die Haftung von Gastwirten (Gastwirtshaftung). Ob es sich dabei um einen Fall außervertraglicher Haftung oder nicht vielmehr um eine gesetzlich ausgestaltete Vertragshaftung handelt, ist streitig.
Das internationale Privatrecht der außervertraglichen Haftung ist mit Wirkung zum 11.1. 2009 durch die Rom II-VO (VO 864/2007) vereinheitlicht worden. Die Verordnung erfasst außervertragliche Schadensersatzansprüche unabhängig davon, ob sie aus einer Verschuldens- oder Gefährdungshaftung stammen. Maßgeblich ist grundsätzlich das Recht des Erfolgsorts, wobei für eine Reihe von Tatbeständen – Umwelthaftung, Produkthaftung – Sonderregeln zu beachten sind.
Literatur
Regina Ogorek, Untersuchungen zur Entwicklung der Gefährdungshaftung im 19. Jahrhundert, 1975; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, 1095 ff.; Christian von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. II, 1999, 306 ff.; Bernhard A. Koch, Helmut Koziol (Hg.), Unification of Tort Law: Strict Liability, 2002; Gerhard Wagner, Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, in: Reinhard Zimmermann (Hg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, 2003, 189 ff.; Nils Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 2003; Helmut Koziol, Die „Principles of European Tort Law“ der „European Group on Tort Law“, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 12 (2004) 234 ff.; Franz Werro, Vernon Valentine Palmer (Hg.), The Boundaries of Strict Liability in European Tort Law, 2004; Cees van Dam, European Tort Law, 2006, 255 ff.; Nils Jansen, Principles of European Tort Law, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 70 (2006) 732 ff.