Stellvertretung (IPR): Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 29. September 2021, 08:51 Uhr
von Simon Schwarz
1. Gegenstand
Gegenstand des internationalen Privatrechts der Stellvertretung ist die Frage, nach welcher Rechtsordnung die Voraussetzungen und die Wirkungen einer Stellvertretungssituation (dazu 2.) zu beurteilen sind (law applicable to agency; conflit de lois en matière de représentation). Anhand des Ursprungs der jeweiligen Vertretungsmacht lässt sich das Rechtsinstitut der Stellvertretung in zwei Kategorien unterteilen, nämlich in die gewillkürte Stellvertretung einerseits (voluntary/consensual agency; représentation volontaire/conventionnelle) und die gesetzliche Stellvertretung andererseits (agency by operation of law; représentation légale). Während erstere auf einem freiwilligen Willensakt des Vertretenen beruht, folgt letztere aus dem objektiven Recht und ermöglicht die Teilnahme von an sich nicht handlungsfähigen Rechtssubjekten am Rechtsverkehr.
Kollisionsrechtlich folgt die gesetzliche Stellvertretung einem einfachen und einheitlichen Prinzip: Sie unterliegt grundsätzlich der akzessorischen Anknüpfung an dasjenige Rechtsverhältnis, dem die jeweilige Vertretungsmacht entspringt. Daher untersteht etwa die organschaftliche Vertretung der lex societatis (Gesellschaftsrecht, internationales), die elternschaftliche dem auf das Eltern-Kind-Verhältnis anzuwendenden Recht (Kindschaftsrecht, internationales), die Vertretungsbefugnis unter Ehegatten dem Ehewirkungsstatut (Familienrecht, internationales ; Ehe), diejenige des Testamentsvollstreckers dem Erbstatut (Erbrecht, internationales) sowie diejenige des Insolvenzverwalters der lex concursus (Insolvenz, grenzüberschreitende).
Demgegenüber gelten in den meisten Rechtsordnungen für rechtsgeschäftlich erteilte Vollmachten besondere Kollisionsnormen (dazu 3.). Diesbezüglich lässt sich rechtsvergleichend eine Tendenz zur Kodifikation des IPR der gewillkürten Stellvertretung verzeichnen. So gilt in einigen Ländern das Haager Stellvertretungsüberkommen (HStÜ, dazu 3. b) und 5.), und in vielen Staaten existieren autonome gesetzliche Regelungen (etwa Belgien, Bulgarien, Estland, Italien, Liechtenstein, Litauen, Österreich, Portugal, Rumänien, Spanien, Schweiz, Angola, Mosambik, Korea, Quebec, in Vorbereitung in Albanien, China). Andere Rechtsordnungen kennen indes lediglich ungeschriebene Kollisionsnormen für rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsbefugnisse, deren exakte Ausgestaltung in Wissenschaft und Praxis noch nicht vollständig geklärt ist (etwa Deutschland, England).
2. Dreieckssituation der Stellvertretung
Das Rechtsinstitut der Stellvertretung ist von größtem wirtschaftlichem Interesse und betrifft eine zentrale Frage des Allgemeinen Teils des materiellen Vertragsrechts, namentlich des Vertragsschlusses. Es geht um das Problem, ob und unter welchen Voraussetzungen eine handelnde Person (Vertreter) eine andere Person (Vertretenen, Geschäftsherrn, Prinzipal) einem Dritten gegenüber wirksam verpflichten kann und welche Rechtsfolgen an das Vertreterhandeln im Einzelfall zu knüpfen sind. Diesbezüglich erlangt die Frage nach dem Bestehen und dem Umfang der (vermeintlichen) Vertretungsbefugnis des Vertreters entscheidende Bedeutung. Aufgrund von Unterschieden zwischen den nationalen Stellvertretungsrechten können die Konsequenzen einer grenzüberschreitenden Stellvertretungssituation erheblich divergieren, je nachdem, welches Recht zur Entscheidung über diese Rechtsfragen berufen wird (Vertretungsmacht; Stellvertretung). Ziel des Vertretungskollisionsrechts ist es, den Beteiligten trotz materiellrechtlicher Regelungsdivergenzen bestmögliche Rechtssicherheit ex ante zu gewährleisten und damit dem Bedürfnis nach einem reibungslosen Einsatz von Stellvertretern im internationalen Rechtsverkehr gerecht zu werden.
Als Ausgangspunkt der kollisionsrechtlichen Einordnung der gewillkürten Stellvertretung dient die Einsicht, dass bei Vertragsabschlüssen unter Einschaltung von Vertretern die Konstellation eines Drei-Personen-Verhältnisses vorliegt, in dem drei unterschiedliche Rechtverhältnisse entstehen. Im Zentrum des Interesses steht das Rechtsverhältnis zwischen dem Prinzipal und dem kontrahierenden Dritten, also das zu vermittelnde Rechtsgeschäft (Hauptgeschäft, Außenverhältnis). Dessen wirksamer Abschluss ist der originäre Zweck der Stellvertretungssituation. Daneben bestehen Rechtsbeziehungen zwischen dem Geschäftsherrn und dem Vertreter (Innen- oder Grundverhältnis) sowie zwischen dem Vertreter und dem mit diesem verhandelnden Dritten. Aufgrund ihres schuldvertraglichen Charakters richten sich sowohl Hauptgeschäft als auch Innenverhältnis nach den Kollisionsnormen der Rom I-VO (VO 593/2008; Vertragliche Schuldverhältnisse (IPR)).
Für die Vollmacht ist es charakteristisch, dass sie sich als Rechtsmacht des Vertreters, mit unmittelbarer Wirkung für und gegen den Vertretenen Willenserklärungen gegenüber Dritten abzugeben (Art. 3:202 PECL; Art. 2.2.3 UNIDROIT PICC), potentiell in allen drei Rechtsbeziehungen auswirkt. Im Außenverhältnis hängt von ihr die Wirksamkeit des Hauptrechtsgeschäfts als die zentrale Frage der Stellvertretungssituation ab. Damit beeinflusst sie spiegelbildlich zugleich das Verhältnis zwischen dem Vertreter und dem Dritten, etwa bezüglich einer möglichen Haftung als falsus procurator (Art. 3:204 PECL; Art. 2.2.6 UNIDROIT PICC). Schließlich sind ihr Bestehen und ihre Reichweite z.B. für einen etwaigen Regress im Innenverhältnis von Bedeutung.
Im Rahmen der Suche nach einem Anknüpfungspunkt für die Vollmacht tritt folgender Interessenkonflikt auf: Dem Dritten geht es fundamental um die Frage, ob er den avisierten Vertrag nach den einschlägigen materiellrechtlichen Vorschriften wirksam mit dem Prinzipal schließen kann. Er möchte daher spätestens bei Vertragsschluss zu vertretbaren Kosten herausfinden können, welches Recht auf die Vertretungsmacht anwendbar ist und welchen Inhalt es hat. Besteht nach dem ihm erkennbaren Recht eine (Anscheins‑)Vollmacht des (vermeintlichen) Vertreters, sollte er unter dem Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes auf dessen Geltung vertrauen dürfen. Demgegenüber ist der (vermeintlich) Vertretene daran interessiert, nicht durch solche Verträge gebunden zu werden, die zwar in seinem Namen abgeschlossen wurden, zu denen er aber tatsächlich kein Einverständnis in Form einer hinreichenden Bevollmächtigung gegeben hat. Schließlich hat auch der Vertreter ein Interesse an einer klaren und vorhersehbaren Anknüpfung der Vollmacht, um sein Haftungsrisiko gegenüber dem Prinzipal und dem Drittem einschätzen zu können.
3. Einzelstaatliche Regelungsstrukturen
Als Lösung für das Anknüpfungsproblem lassen sich in den europäischen Rechtsordnungen zwei Grundmodelle in unterschiedlichen Varianten nachweisen: erstens eine akzessorische Anknüpfung entweder an das der Vollmachtserteilung zu Grunde liegende Innenverhältnis oder an das mittels Vollmacht abzuschließende Hauptgeschäft sowie zweitens die Maßgeblichkeit einer von diesen beiden Rechtsverhältnissen unabhängigen, noch näher zu bestimmenden eigenen Kollisionsnorm.
a) Unselbständige Anknüpfung der Vollmacht
Insbesondere in Frankreich wurde die Vollmacht noch bis zum Inkrafttreten des HStÜ im Jahre 1992 dem auf das Innenverhältnis anzuwendende Recht unterstellt (ebenso früher Belgien, Luxemburg, teilweise Italien, England, Schweiz). Dieser Regelungsansatz dürfte u.a. auf dem Umstand beruhen, dass der frz. Code civil materiellrechtlich nicht zwischen Innen- und Außenverhältnis trennt, die Vollmacht also nicht abstrakt konstruiert wird, obgleich diese Konsequenz nicht als zwingend erscheint. Denn die Vollmacht wird z.B. in Österreich schon lange gesondert (abstrakt) angeknüpft, obwohl sie materiellrechtlich im ABGB akzessorisch ausgestaltet ist. Kollisionsrechtlich verwirklicht ein Gleichlauf mit dem Innenverhältnis den Schutz des Prinzipals und des Vertreters. Diese haben den das Innenverhältnis prägenden Vertrag ausgehandelt. Allerdings sind Vollmachten stets auf eine Außenwirkung gegenüber Dritten gerichtet. Letztere haben regelmäßig keinen Einblick in die Vertreterbestellung und können insbesondere im Falle einer Rechtswahl kaum feststellen, welchem Recht das Innenverhältnis unterliegt. Bei einer akzessorischen Anknüpfung hätten Dritte daher keine angemessene Möglichkeit zu überprüfen, ob der Vertreter den Prinzipal wirksam verpflichten konnte. Aus Verkehrsschutzgesichtspunkten wird die Vollmacht deshalb heute nahezu einhellig kollisionsrechtlich vom Grundverhältnis getrennt.
Vor allem im Interesse des Dritten wird eine zweite Variante der akzessorischen Anknüpfung vorgeschlagen, nämlich die Anwendung des nach den allgemeinen Regeln für den Hauptvertrag maßgeblichen Rechts (sog. Geschäftsstatut). Diese Position wird heute (wohl) vom englischen common law eingenommen, wobei die maßgeblichen Entscheidungen nicht frei von Widersprüchen sind und sich für mehrere Lösungsansätze gleichzeitig anführen lassen. Trotz dieser Interpretationsunsicherheit wird im Ergebnis mehrheitlich davon ausgegangen, dass die Stellvertretung im englischen Recht im Sinne eines einheitlichen geschäftlichen Vorgangs akzessorisch an das Statut des Hauptgeschäfts anzuknüpfen ist. Auf diese Weise wird der Dritte vor der Pflicht zur Ermittlung eines weiteren Rechts bewahrt. Vor allem jedoch entstehen keine schwierigen Abgrenzungsprobleme zwischen Geschäfts- und Vollmachtsstatut, wie sie im Falle der gesonderten Anknüpfung notwendigerweise auftreten. Die englische Lösung findet deshalb auch bei einigen kontinentalen Autoren Gefallen. Mehrheitlich wird gegen einen Gleichlauf mit dem Hauptvertrag indes vorgebracht, dass dieser den Besonderheiten des Drei-Personen-Verhältnisses nicht hinreichend Rechnung trage. Der Vertreter könne seine Vertretungsbefugnis nämlich gemeinsam mit dem Dritten durch die Wahl eines besonders liberalen Geschäftsstatuts erweitern. Umgekehrt sei auch eine nachträgliche Beschränkung zu Lasten des Vertreters durch Rechtswahl zwischen Prinzipal und Drittem denkbar. Als Kernproblem der akzessorischen Anknüpfung wird allerdings der Umstand bezeichnet, dass sich die Vollmacht bis zum Abschluss des Hauptgeschäfts in einem kollisionsrechtlichen Vakuum befindet. Denn solange der Vertrag als Anknüpfungsgegenstand nicht existiere, gingen auch die subjektive und objektive Anknüpfung des Vertrags und damit der Vollmacht ins Leere. Die Beteiligten hätten also keinen Anhaltspunkt, schon vor Vertragsschluss Bestand und Umfang der Befugnisse des Vermittlers zu überprüfen. Dies führe zu Unsicherheiten bei der Verhandlung vermittelter Verträge.
b) Selbständige Anknüpfung der Vollmacht
Die Mehrzahl der Rechtsordnungen unterstellt die gewillkürte Stellvertretung heute daher einem eigenen Statut, dem sog. Vollmachtsstatut. Dieser Befund trifft auf alle Kodifikationen des internationalen Privatrechts zu, welche die Vollmacht eigens regeln (oben 1.), und entspricht der gewohnheitsrechtlich anerkannten Anknüpfung in Deutschland und wohl in Griechenland. Dabei haben sich der Gebrauchsort der Vollmacht (lex loci actus) und der Ort der Niederlassung professioneller Vertreter als objektive Anknüpfungspunkte für das Vollmachtsstatut durchgesetzt. Zwar wurde die Frage, ob überhaupt eine Bevollmächtigung vorliegt, bis in die 1960er Jahre zum Schutze des Prinzipals teilweise nach dessen Heimatrecht beurteilt (etwa Deutschland, Schweiz). Diese Sichtweise wurde indes aus Gründen des Verkehrsschutzes nahezu vollständig aufgegeben (anders ggf. noch das russische und teilweise das englische Recht).
Soweit ersichtlich, lassen alle Rechtsordnungen zunächst eine Rechtswahl für das Vollmachtsstatut zu. Unterschiedlich wird indes die Frage beurteilt, welche Personen hieran konkret beteiligt werden sollen. Während sich einige Rechtsordnungen für eine bilaterale Rechtswahl zwischen Prinzipal und Drittem aussprechen (HStÜ, Bulgarien, Rumänien, Schweiz, Quebec), lassen andere eine unilaterale Bestimmung des Vollmachtsstatuts durch den Geschäftsherrn genügen, sofern diese Bestimmung den anderen Beteiligten vor Vertragsschluss erkennbar war (Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Spanien, Korea).
Fehlt eine Rechtswahlbestimmung, berufen alle genannten Rechtsordnungen früher oder später die lex loci actus als Vollmachtsstatut. Diese Lösung wird mit dem Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes erklärt. Danach sollen Dritte in ihrem Vertrauen auf die Geltung derjenigen Stellvertretungsregeln geschützt werden, die an dem Ort gelten, an dem der Vertreter die relevanten Rechtshandlungen vornimmt. Denn der Handlungsort ist der einzige Anhaltspunkt, anhand dessen Dritte das auf die Vertretungsbefugnis anwendbare Recht ermitteln können, sofern kein näherliegendes Anknüpfungskriterium offen zutage tritt. Zudem wird der Handlungsort in der Regel in dem gleichen Land liegen, in dem auch der Dritte einer Geschäftstätigkeit nachgeht. In dieser Konstellation soll mit Hilfe der Gebrauchsortanknüpfung das Vertrauen in den reibungslosen Ablauf von Vertretergeschäften auf einem bestimmten Markt gestärkt und der Handelsverkehr erleichtert werden. Allerdings kann der konkrete Handlungsort im Zeitalter höchster Mobilität und grenzenloser elektronischer Kommunikation vielfach zufällig und/oder schwer zu lokalisieren sein.
Die meisten Rechtsordnungen knüpfen die Vollmacht objektiv daher nicht stets an die lex loci actus (so Estland, Litauen, Spanien), sondern unter bestimmten Voraussetzungen an das am Ort der Niederlassung eines geschäftsmäßigen Vertreters geltende Recht an (etwa HStÜ, Belgien, Bulgarien, Deutschland, Italien, Liechtenstein, Österreich, Rumänien, Schweiz, Korea, Angola, Mosambik). Dieser Ansatz trägt dem Umstand Rechnung, dass es im internationalen Verkehr üblich ist, sich ständiger professioneller Vermittler zu bedienen. Deren vielfältige Dienstleistungen haben daher auch eine zentrale Bedeutung für den europäischen Binnenmarkt (siehe Handelsvertreter; Versicherungsvermittler; Franchising; Anwaltschaft, Finanzintermediär). Von den kollisionsrechtlichen Interessen der Beteiligten aus betrachtet, liegt der Ort der Niederlassung des Vertreters gleichsam „in der Mitte“. Dieser Anknüpfungspunkt ist in der Regel sowohl für den Prinzipal als auch für den Dritten gleichermaßen gut und frühzeitig erkennbar (Geschäftskorrespondenz, Visitenkarten). Als fixes Kriterium im Sinne des Ausgangspunktes der Vermittlungstätigkeit ist er zudem wenig manipulationsanfällig und nur selten als zufällig anzusehen. Vor allem jedoch wird eine einheitliche Behandlung von Dauervollmachten ständiger Vertreter ermöglicht. Nationale Unterschiede bestehen indes hinsichtlich des systematischen Rangverhältnisses der Niederlassungs- zur Gebrauchsortanknüpfung. Während in vielen Ländern das Recht des Handlungsortes nur subsidiär für den Fall gilt, dass die geschäftliche Niederlassung des Vertreters dem Dritten in der konkreten Situation nicht erkennbar war (Deutschland, Italien, Liechtenstein, Österreich, Rumänien, Schweiz, Korea, Angola, Mosambik, ähnlich Belgien), berufen andere Rechtsordnungen die lex loci actus faktisch primär, nämlich immer dann, wenn entweder der Dritte oder der Prinzipal im konkreten Handlungsland niedergelassen ist (HStÜ, Rumänien, Quebec).
Die Hauptschwierigkeit der kontinentalen Lösung in Form einer eigenständigen Anknüpfung der Vollmacht liegt in der Abgrenzung des Vollmachtsstatuts von der Reichweite des Geschäftsstatuts. Während insbesondere das deutsche Recht von einem verhältnismäßig engen Anwendungsbereich des Vollmachtsstatuts ausgeht, welches im Wesentlichen auf die Kernfragen der Vertretungsbefugnis begrenzt ist (Bestand, Umfang, Rechtsschein), wird in der Mehrheit der erwähnten Rechtsordnungen von einem umfassenderen „Vertretungsstatut“ (statut de la représentation) ausgegangen. Dieses umfasst neben der Reichweite der Vollmacht sämtliche Rechtsfolgen des Vertreterhandelns in Bezug auf den avisierten Vertrag, einschließlich der Haftung als falsus procurator und vielfach der Wirkungen der mittelbaren Stellvertretung (dazu Stellvertretung).
4. Gemeinschaftsrechtliche Regelungsstrukturen
Die Voraussetzungen und Rechtswirkungen der Stellvertretung stellen wesentliche Probleme des „Zustandekommens und der Wirksamkeit des Vertrages“ i.S.v. Art. 10(1) Rom I-VO (VO 593/2008) dar und gehören somit zu den Zentralfragen des internationalen Vertragsrechts (Vertragliche Schuldverhältnisse (IPR)). Dennoch schließt Art. 1(1)(g) Rom I-VO „die Frage, ob ein Vertreter die Person, für deren Rechnung er zu handeln vorgibt, Dritten gegenüber verpflichten kann“, ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Verordnung aus. Die wortgleiche Vorgängernorm des Art. 1(2)(f) EVÜ wurde seinerzeit mit der Erwägung gerechtfertigt, dass die Parteiautonomie als zentraler Grundsatz des Übereinkommens im internationalen Stellvertretungsrecht nicht anerkannt werden könne. Diese Einschätzung ist durch die internationale Rechtsentwicklung überholt worden. Der erste Kommissionsvorschlag für eine Rom I-VO enthielt daher auch noch eine eigenständige Regelung für „Vertreterverträge“ (Art. 7 KOM(2005) 650 endg.). Inhaltlich lehnte sich die Vorschrift an die Anknüpfungsregeln des HStÜ an (dazu 3. b). Die konkret gefundene Formulierung wurde jedoch allgemein als weitgehend missglückt angesehen. Im weiteren Gesetzgebungsprozess wurde der neue Regelungsansatz ersatzlos gestrichen, wobei die Abkehr von einer europäischen Kodifikation des Vollmachtstatuts wohl maßgeblich auf den diesbezüglichen Widerstand Englands zurückgeht. Schließlich enthält auch die Handelsvertreter-RL (RL 86/653) keine eigene Kollisionsnorm für die Folgen des Vertreterhandelns. Die Ingmar-Rechsprechung (EuGH Rs. C-381/98 – Ingmar, Slg. 2000, I-9305) betrifft lediglich Fragen des Innenverhältnisses.
5. Einheitsrechtliche Regelungsstrukturen
Im Rahmen der Haager Konferenz für IPR wurde die Convention on the Law Applicable to Agency vom 14.3.1978 (Haager Stellvertretungsübereinkommen, HStÜ) ausgearbeitet, die sich allerdings als nicht besonders erfolgreich erwiesen hat: Das HStÜ steht erst seit 1992 in Kraft, und zwar bisher nur für vier Staaten (Argentinien, Frankreich, Niederlande, Portugal, ferner Vorlage für autonomes IPR in Bulgarien, Rumänien). Sachlich erfasst das HStÜ sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Stellvertretung (Art. 1, 2) und untergliedert sich in zwei Hauptteile: der erste enthält Kollisionsnormen für das Innenverhältnis zwischen Prinzipal und Vertreter (Art. 5–9) unter Ausschluss von Arbeitsverträgen (Art. 10), der zweite betrifft das auf die Rechtswirkungen der Stellvertretung im Verhältnis Prinzipal/Drittem (Art. 11–14) bzw. Vertreter/Drittem (Art. 15) anwendbare Recht. Diese Rechtsbeziehungen folgen der oben unter 3. b) beschriebenen selbständigen Anknüpfung in Form eines Statuts der Stellvertretung. Für das Innenverhältnis ist primär eine zwischen Prinzipal und Vertreter (konkludent) getroffene Rechtswahl beachtlich (Art. 5). Wurde kein Recht gewählt, untersteht das Grundverhältnis dem am Ort der Niederlassung des Vertreters geltenden Recht (Art. 6(1)); es sei denn, der Vertreter soll nach dem Vertrag ganz überwiegend im Land der Niederlassung des Prinzipals handeln, dann ist das dortige Recht maßgeblich (Art. 6(2)). Damit gelten ähnliche Prinzipien wie unter Art. 3, 4 Rom I-VO. Im Verhältnis unter den Vertragstaaten gehen die Lösungen des HStÜ den europäischen Regeln auch bei rein innergemeinschaftlichen Sachverhalten systematisch vor (Art. 25(1) Rom I-VO).
Literatur
François Rigaux, Agency, in: IECL III, Kap. 29-1 ff., 1973; Ulrich Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht im internationalen Privatrecht, 1979; Jürgen Basedow, Das Vertretungsrecht im Spiegel konkurrierender Harmonisierungsentwürfe, RabelsZ 45 (1981) 195 ff.; H.L.E. Verhagen, Agency in Private International Law, 1995; Ricardo Rueda Valdivia, La representación voluntaria en la contratación internacional, 1998; Max Planck Institute for Foreign Private and Private International Law, Comments on the European Commission’s Green Paper on the conversion of the Rome Convention of 1980 on the law applicable to contractual obligations into a Community instrument and its modernization, RabelsZ 68 (2004) 1, 90 ff.; Lawrence Collins (Hg.), Dicey, Morris and Collins on The Conflict of Laws, Bd. II, 14. Aufl. 2006, Rn. 33R-404 ff., 33R-428 ff.; Max Planck Institute for Comparative and International Private Law, Comments on the European Commission’s Proposal for a Regulation of the European Parliament and the Council on the law applicable to contractual obligations (Rome I), RabelsZ 71 (2007) 225, 298 ff.; Ulrich Spellenberg, Vertreterverträge, in: Franco Ferrari, Stefan Leible (Hg.), Ein neues internationales Vertragsrecht für Europa – Der Vorschlag für eine Rom I-Verordnung, 2007, 152 ff.; Simon Schwarz, Das internationale Stellvertretungsrecht im Spiegel nationaler und supranationaler Kodifikationen, RabelsZ 71 (2007) 729 ff.