Ehe

Aus HWB-EuP 2009

von Dagmar Coester-Waltjen

1. Entwicklung

In fast allen Staaten Europas (Ausnahme: Vatikanstaat und Andorra) ist die Ehe heute ein rechtliches, staatlichen Regelungen unterliegendes Institut, das einen formalisierten, freiwilligen Ehekonsens der Eheschließungswilligen voraussetzt und als personale, grundsätzlich zeitlich unbegrenzte Gemeinschaft zweier Menschen gedacht ist. Das Vorhandensein oder die Zeugung von Kindern mag Folge dieser Lebensgemeinschaft sein, ist aber nicht notwendiges Element. Emotionale und sexuelle Beziehungen der Ehepartner sind in der Regel kennzeichnend, aber ebenfalls nicht notwendige Voraussetzungen. Dies alles ist das Ergebnis einer jahrtausendelangen Entwicklung. Dennoch bestehen in Grundverständnis und Grundfragen, und erst recht in den einzelnen Regelungen in den europäischen Rechtsordnungen, zum Teil erhebliche Unterschiede.

Dass die Ehe als Rechtsverhältnis aufgefasst und nicht nur – wie im frühen römischen Recht – als soziale Tatsache gewertet wird, ist vor allem auf christlich-religiösen Einfluss zurückzuführen: Die orthodoxe wie auch die römisch-katholische Kirche betrachten die Ehe als Sakrament; der sakramentale Charakter hindert die freie Disponibilität und verlangt nach rechtlicher Bindung und Regulierung. Dabei hindert der sakrale Charakter allerdings – anders als im hinduistischen Recht – nicht die (bereits im römischen Recht einsetzende) Betonung des Ehekonsenses von Mann und Frau als essentialium der Eheschließung, die damit (auch) vertragsrechtlichen Charakter erhält. Auch andere monotheistische Religionen – wie das Judentum und später die protestantischen Kirchen – sehen die Eheschließung als einen Vertrag an. Die Ehe ist aber in diesen Religionen, obgleich auch diese religiösen Rechte eherechtliche Regelungen enthalten, kein Sakrament und damit nicht grundsätzlich unauflösbar. Die islamische Grundkonzeption der Ehe ist insoweit ähnlich, wobei allerdings ursprünglich entweder Bräutigam und Brautfamilie Partner des islamischen Ehevertrages waren oder die Braut bei diesem Akt durch ihre Familie (i.d.R. den Wali) vertreten werden musste (z.T. auch heute noch vertreten werden muss) (islamisches Recht).

In Europa konnte sich zunächst nur das christlich-religiöse Eheverständnis – die Ehe als freiwillig eingegangene, lebenslange Bindung eines Mannes und einer Frau – als Leitbild durchsetzen. Es überlagerte und verdrängte sodann andere vorgefundene Formen (beispielsweise des germanischen Rechts). Dabei war und ist der Streit um die Regelungskompetenz für dieses Rechtsinstitut ein lang währender; er hält letztlich noch immer an. Familie, Staat, Kirche und Individuum stehen in den Fragen, was die Ehe ist, wer sie schließen kann, wie sie gestaltet und wie sie eventuell aufgelöst wird, in einem Konkurrenzverhältnis. In Europa nahmen zunächst die römisch-katholische Kirche und die Ostkirchen den Regelungsprimat in Anspruch. Durch die Betonung des Ehekonsenses der Eheschließenden selbst (siehe Romeo und Julia) drängte die in Westeuropa vorherrschende römisch-katholische Kirche den Einfluss der Familie ein Stück weit zurück und beschränkte mit ausgedehnten Ehehindernissen der Verwandtschaft und der Schwägerschaft die Möglichkeiten der Akkumulierung von Macht und Vermögen in den europäischen Herrscherhäusern. Die herausragende Bedeutung des Konsenses der Eheschließenden (1. Lateranisches Konzil 1215) ist damit unter anderem auch ein Produkt der mittelalterlichen Machtkämpfe. Diese Akzeptanz wurde „erkauft“ mit der Bereitschaft der (West‑)Kirche zu einer Formalisierung und Publizität der Eheschließung durch das in Teilen Europas Geltung beanspruchende Dekret Tametsi (auf dem Konzil von Trient 1545-1573). Die Formalisierung und Publizität der Eheschließung sowie die Abspaltung der protestantischen Kirchen im 16. Jahrhundert bereiteten den Boden für eine staatliche Regulierung der Ehe, zunächst in starker Anlehnung an das kirchliche Recht (so die Ordonnance de Blois 1579) oder in Personalunion von König und Kirche (so in England seit Heinrich VIII.). Die Idee der Ehe als grundsätzlich unauflösbarer Gemeinschaft eines Mannes und einer Frau, die nur mit dem Segen der Kirche wirksam zustande kommen kann, hielt sich in den vorwiegend römisch-katholischen oder christlich-orthodoxen Ländern Europas sehr lange, und der religiöse Wertekanon spiegelt sich auch heute noch in dem institutionellen Ehedenken (die Ehe als naturrechtlich vorgegebene Institution) einiger Rechtsordnungen wider.

Mit der graduellen Übernahme der Regelungszuständigkeit in die staatliche Kompetenz wurden eherechtliche Regelungen auch zur Verfolgung staatlicher oder allgemein gesellschaftlicher Ziele nutzbar gemacht, wovon Eheverbote zum Beispiel für Verarmte, Ehebeschränkungen für Beamte und hohe Militärs, die unseligen Rassengesetze und häufig sehr paternalistische Regelungen zur Ausgestaltung der Ehe (vgl. z.B. § 174 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten) zeugen. Gegentendenzen gibt es bereits seit der Aufklärung; an das säkularisierte Eherecht wird seitdem die Forderung gestellt, dem Individuum in der Frage des Eheschlusses, der Ausgestaltung der Ehe und ihrer Auflösung den notwendigen Freiraum einzuräumen. Wie weit dieser Freiraum gehen soll oder muss, wie weit staatliche Regulierung und Kontrolle notwendig und legitim sind, ist eine von jeder Gesellschaft und jeder Epoche zu regelnde Ordnungsfrage, die von dem jeweiligen Eheverständnis beeinflusst wird.

2. Völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Hintergrund

Die Freiheit, eine Ehe einzugehen, wird in verschiedenen internationalen Konventionen proklamiert (UN-Deklaration vom 10.12.1948; UN-Übereinkunft über den Ehekonsens etc., UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, EMRK) – allerdings unter dem Vorbehalt der näheren Regelungen durch die nationalen Gesetzgeber. Auch die Verfassungen vieler europäischer Staaten garantieren ausdrücklich die Eheschließungsfreiheit und den Schutz der Ehe. Die GRCh (Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK), die die gegenwärtigen Grundrechtestandards in der Europäischen Gemeinschaft verkörpert, schützt ebenfalls Eheschließungsfreiheit und Privatsphäre (Art. 7, 9). Damit soll das Ermöglichen und Aufrechterhalten der personalen Gemeinschaft und die Abwehr vor Eingriffen in dieselbe insbesondere durch den Staat garantiert werden. Auch die EU-Verträge (Art. 17 EG/20 AEUV) und die europäischen Richtlinien (RL 2003/86 und RL 2004/38) verpflichten die Mitgliedstaaten zur Gewährung von Freizügigkeit unter Beachtung personaler Verbindungen.

Trotz des Gestaltungsspielraums, den die internationalen Abkommen und Verträge sowie die nationalen Verfassungen dem einfachen Gesetzgeber lassen, herrschen heute innerhalb Europas – verfestigt und konkretisiert vor allem durch die Rechtsprechung des EGMR – die Prinzipien der Eheschließungsfreiheit, der Ehegestaltungsfreiheit und (weitgehend auch) der Eheauflösungsfreiheit. Dennoch bestehen Unterschiede in der Grundkonzeption wie in den Einzelregelungen.

3. Strukturelemente der Ehe

Herausragendes Kennzeichen der Ehe ist innerhalb Europas jedenfalls heute, dass sie fehlerfrei nur durch den freiwilligen Konsens der Eheschließungswilligen zustande kommen kann. Keine europäische Rechtsordnung sieht einen Zwang zur Eheschließung (beispielsweise bei vorheriger Verführung oder infolge einer von einem Dritten, z.B. einem Wali im islamischen Recht, zu gebenden Erklärung) vor. Indirekten Zwang durch religiöse Überzeugungen, gesellschaftliche oder familiäre Sanktionen kann das Recht nicht vermeiden, es kann jedoch im Falle eines die freie Willensbestimmung ausschließenden Drucks Korrekturmöglichkeiten (Anfechtung, Aufhebung) vorsehen. Umgekehrt ist Eheschließungswilligen grundsätzlich der Zugang zur Ehe eröffnet. Die rechtlichen Hindernisse sind reduziert worden; staatliche Regelungen, die die Eheschließungsfreiheit beschränken, bedürfen der Legitimation. Dementsprechend sind in allen europäischen Staaten die Eheverbote und die Beschränkungen der Ehefähigkeit in den vergangenen Jahren entscheidend reduziert worden. Die Diskussion um die Ehefähigkeit Minderjähriger (mit oder ohne elterliche Zustimmung) spielt dabei heute angesichts der Absenkung des Volljährigkeitsalters und des gestiegenen faktischen Heiratsalters kaum noch eine Rolle. Höchstgrenzen des Heiratsalters gibt es nicht, auch so genannte Totenbett-Ehen sind zulässig. Einige wenige Rechtsordnungen (Frankreich) erlauben sogar eine post-mortem-Ehe. Auch Eheverbote der Verwandtschaft und Schwägerschaft – einst einen großen Kreis von familiären Beziehungen umfassend – sind deutlich verringert worden. Zum Teil (so z.B. in Schweden) erfassen sie – um sexuelle Beziehungen innerhalb der Kernfamilie zu tabuisieren – allein die direkte Linie und vollbürtige Geschwister. Das aus dem kanonischen Recht kommende Verbot der Bigamie hat sich in allen europäischen Rechtsordnungen durchgesetzt: Die „europäische“ Ehe ist – jedenfalls theoretisch – monogam. Dies gilt über den ordre public grundsätzlich auch dann, wenn die Eheschließungswilligen nach den kollisionsrechtlichen Regelungen (internationales Privatrecht) einem die Polygamie erlaubenden Recht unterliegen. Allerdings werden in vielen europäischen Staaten die in einer anderen Rechtsordnung nach dieser und nach dem auf die Beteiligten anwendbaren Recht wirksam geschlossenen polygamen Ehen anerkannt. In den Staaten mit vielen Zuwanderern aus islamischen Rechtsordnungen gibt es daher in dieser Hinsicht eine kulturelle und rechtliche Vielfalt des Ehebildes.

Ob die Eheschließungsfreiheit nur die Wahl eines Partners des anderen Geschlechts erlaubt, ist seit Beginn der 1990er Jahre eine stark diskutierte Frage. Das traditionelle Eheverständnis in Europa ist sicherlich von dem Bild der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau geprägt. Die internationalen Verträge proklamieren zwar zum Teil die Eheschließungsfreiheit für Männer und Frauen, es wird jedoch verschiedentlich dahin argumentiert, dass diese Garantie sich nicht auf eine Ehe zwischen Männern und Frauen beschränke. Die GRCh verzichtet auf Geschlechtsbezeichnungen. Der EGMR hat nach einer Kehrtwende zur Einbeziehung transsexueller Personen die Eheschließungsfreiheit (noch?) nicht auf gleichgeschlechtliche Partner erstreckt. Einige europäische Rechtsordnungen aber haben die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet (die Niederlande, Belgien, Spanien, Norwegen), andere ermöglichen statt der gleichgeschlechtlichen Ehe (Schweden, Frankreich, Deutschland, Schweiz, Dänemark, Schottland, England, Luxemburg, Andorra, Finnland, Island, Ungarn, Tschechien, Slowenien) oder neben ihr (die Niederlande, Spanien, Belgien) eine andere Art der Formalisierung des Zusammenlebens gleichgeschlechtlicher Partner mit mehr oder weniger eheähnlichen Konsequenzen („registrierte Partnerschaft“ u.ä. gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften). Dabei gibt es eine große Spannbreite der Regelungsformen und der Regelungsinhalte. Andere Rechtsordnungen stehen sowohl der einen wie auch der anderen Form gleichgeschlechtlicher Partnerschaft ablehnend gegenüber, und in allen Rechtsordnungen ist der Diskussionsprozess noch nicht abgeschlossen.

Ein weiteres Strukturelement der Ehe ist der formalisierte Eheschluss. Die von allen staatlichen Rechten geforderte Formalisierung muss aber nicht notwendig stets vor einer staatlichen Einrichtung erfolgen. Zwar ermöglichen fast alle europäischen Staaten die zivile Eheschließung (Standesbeamter, civil registrar), viele erlauben daneben aber auch die kirchliche Eheschließung als Alternative. Dabei wird das Vorliegen der Eheschließungsvoraussetzungen häufig durch das Erfordernis einer staatlichen Bescheinigung hierüber sichergestellt. Dem Bedürfnis nach Statusklarheit wird in der Regel durch die Notwendigkeit einer anschließenden staatlichen Registrierung entsprochen. Anders als in einigen außereuropäischen Rechtsordnungen ist die alleinige Möglichkeit einer religiösen Eheschließung nur noch in Andorra und im Vatikanstaat gegeben, in denen ausschließlich kanonisches Recht gilt.

Durch diese Formalisierung des Eheschlusses unterschied sich die Ehe viele Jahrhunderte lang von anderen Formen des Zusammenlebens. Mit der Einführung registrierter Partnerschaften – zunächst in den skandinavischen Ländern und begrenzt auf gleichgeschlechtliche Paare, später geographisch und personell ausgeweitet – ist dieser Unterschied auf die Art der Formalisierung reduziert worden. Allerdings sind Voraussetzungen und Folgen einer Registrierung der Partnerschaft zwar in der Regel nicht mit denen der Ehe identisch, häufig aber doch weitgehend dem Eherecht angeglichen. Es gibt daher in Europa formalisierte (verschieden- oder gleichgeschlechtliche) Lebenspartnerschaften, die nicht als Ehe einzuordnen sind, die aber in Voraussetzungen und Folgen der Ehe sehr ähneln. Rechtstatsächlich gibt es daneben nach wie vor Paare (unterschiedlichen und gleichen Geschlechts), die ohne Eheschließung oder andere Arten von Formalisierung dauerhaft zusammenleben. Für diese „nichtehelichen Lebensgemeinschaften“ sieht in Europa u.a. das Recht Sloweniens und der autonomen Region Galizien eine volle Erstreckung des Eherechts vor (außerhalb Europas z.B. auch Brasilien). Einige europäische Rechtsordnungen halten begrenzte Regelungen für den Fall des Auseinandergehens der Gemeinschaft vor und/oder berücksichtigen den sozialen Tatbestand in verschiedenen Rechtsnormen. Wie weit Gesetzgeber und Richter den Willen zu einem wechselseitigen Füreinandereinstehenwollen und eine gegenseitige Verantwortungsübernahme, die mit der Ehe üblicherweise verbunden ist, auch bei diesen formfreien Partnerschaften unterstellen dürfen, ist in der Diskussion. Den speziellen Schutz und die Förderung, den EMRK und verschiedene nationale Verfassungen der Ehe garantieren, können die formfreien Partnerschaften aber in der Regel nicht oder nur begrenzt in Anspruch nehmen. Vertreter einer funktionalen Betrachtungsweise sehen hierin allerdings eine unzulässige Diskriminierung.

Der besondere Schutz der Ehe als personaler Gemeinschaft wird u.a. in aufenthaltsrechtlichen und asylrechtlichen Regelungen berücksichtigt; die Ehe erfährt in vielen europäischen Rechtsordnungen Privilegierungen und Förderung (z.B. im Steuerrecht, bei staatlichen Leistungen). Bezüglich Zuordnung und der Rechtsstellung von Kindern (Elterliche Verantwortung) ist die Bedeutung der ehelichen Herkunft aber auf dem Rückzug.

Die mit der Eheschließung begründete rechtliche Verbindung untersteht in allen Rechtsordnungen besonderen eherechtlichen Regelungen. Geprägt sind diese im heutigen Europa weitgehend durch die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Das jahrhundertelang vorherrschende patriarchalische Ehebild ist fast völlig (aus dem Recht) verschwunden. Die Fähigkeit von Ehegatten, Verträge – auch miteinander – einzugehen, ist unbestritten. Weitgehend können die Eheleute ihre rechtlichen Verhältnisse in der Ehe (z.B. Namenswahl, Rollenverteilung, Vermögenszuordnung) privatautonom durch einen vor oder während der Ehe geschlossenen Vertrag regeln. (Ehevertrag; Vertragsfreiheit; Sittenwidrigkeit; Ehegüterrecht). Staatliche Regelungen des Eheinhalts und der Ehegestaltung sind weitgehend auf dem Rückzug; staatliche Regelungen und Eingriffe (z.B. Schutz des Persönlichkeitsrechts; Gewaltschutz; Inhaltskontrolle von Verträgen) sind weitgehend zum Schutz des schwächeren Ehepartners gedacht. Größere Divergenzen bestehen zwischen den europäischen Rechtsordnungen in der Frage, ob und wie weit den Ehepartnern die Disposition über die Auflösung der Ehe und deren Folgen gegeben ist.

Strukturmerkmal einer Ehe ist heute – ungeachtet des grundsätzlich unbefristeten Eingehens dieser Lebensgemeinschaft – die Auflösbarkeit derselben. Abgesehen von Andorra, Malta und dem Vatikanstaat erlauben alle europäischen Rechtsordnungen eine Auflösung der Ehe durch Scheidung. Bisher ist eine Ehescheidung in den europäischen Rechtsordnungen nur über die Einschaltung einer staatlichen Institution möglich. Als staatliche Institution werden überwiegend – zum Teil speziell für Ehe- und Familiensachen eingerichtete – Gerichte, in den skandinavischen Ländern Verwaltungsbehörden tätig. Eine Scheidung allein durch Registrierung (wie z.B. in Japan) ist bisher in keiner europäischen Rechtsordnung zulässig, nicht einmal dann, wenn es sich um die einverständliche Scheidung eines kinderlosen Ehepaares handelt. Wieweit Privatscheidungen in einer europäischen Rechtsordnung vollzogen oder anerkannt werden, wenn sie nach dem kollisionsrechtlich anwendbaren Recht (z.B. nach einem der verschiedenen islamischen Rechte) zulässig sind, entscheiden das jeweilige internationale Privatrecht und internationale Verfahrensrecht.

Die verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Voraussetzungen der Ehescheidung sind sehr unterschiedlich. Bei Einverständnis beider Partner mit der Scheidung sind die Anforderungen in der Regel gering, das Verfahren vereinfacht und beschleunigt. Entsprechend dem zugrunde liegenden Eheverständnis lassen jedoch viele Rechtsordnungen das Einvernehmen der Ehegatten über die Ehescheidung allein nicht ausreichen, sondern verlangen einen Scheidungsgrund, wie zum Beispiel das Scheitern der Ehe. Der streitigen Scheidung muss häufig ein längeres Getrenntleben der Ehegatten vorausgehen. Die meisten Rechtsordnungen verzichten auf die Feststellung einer „Scheidungsschuld“, einige ermöglichen wahlweise die Verschuldensscheidung; eine Mediation vor, neben oder im Verfahren soll ein friedliches Auseinandergehen bewirken. In ähnlicher Weise variieren die Scheidungsfolgen. Eher selten sind sie verschuldensabhängig geregelt. Ehevertragliche Vereinbarungen werden in der gerichtlichen Auseinandersetzung beispielsweise im englischen Recht vom Richter nur als ein möglicherweise beachtlicher Gesichtspunkt herangezogen, binden ihn aber nicht. Im deutschen Recht sind sie demgegenüber zwar grundsätzlich bindend, können aber einer gerichtlichen Wirksamkeits- oder Ausübungskontrolle unterzogen werden. In dieser Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zeigt sich deutlich die unterschiedliche Gewichtung von Autonomie und Schutz der Beteiligten.

4. Rechtsharmonisierungs- und Rechtsvereinheitlichungsbe­strebungen

Einheitliches materielles Eherecht ist bisher weder über Konventionen des Europarates noch über solche der Haager Konferenz oder anderer internationaler Instrumente geschaffen worden. Der EU fehlt – jedenfalls nach überwiegender Meinung – die Kompetenz zu einer Vereinheitlichung des materiellen Rechts; auf dem Gebiet des internationalen Verfahrensrechts ist sie mit der Brüssel IIa-VO (VO 2201/2003 – als Nachfolgeregelung der Brüssel II-VO) tätig geworden, für den kollisionsrechtlichen Bereich (internationales Privatrecht) war ein Verordnungsentwurf (Rom III-VO) in der Diskussion. Ob die europarechtlichen Grundsätze der Freizügigkeit eine von kollisionsrechtlichen Regelungen unabhängige Anerkennung der in einem Mitgliedstaat wirksam geschlossenen oder der mit bestimmten Rechtswirkungen versehenen Ehe fordern, ist in der Diskussion. Zu verschiedenen sachrechtlichen Aspekten des Familienrechts und damit auch zur Ehe erarbeitet eine durch die EU geförderte Gruppe von Wissenschaftlern (CEFL) Grundprinzipien, die innerhalb Europas allgemein akzeptabel erscheinen können (Principles of European Family Law). Auf diese Weise sollen für gesetzgeberische oder richterrechtliche Reformen Vorbilder geschaffen und damit eine Rechtsharmonisierung innerhalb Europas vorbereitet werden. Auch Einzelvorschläge zur Gestaltung eines europäischen Eherechts sind unterbreitet worden. Betrachtet man allerdings die sehr unterschiedlichen Ehebilder – von der Ehe als einem allein religiösem Recht unterstehenden Sakrament (Andorra, Vatikanstaat) oder als einer unauflösbaren Verbindung (auch Malta) zwischen Mann und Frau bis zur jederzeit auch einseitig „kündbaren“ Ehe, die unter anderem zwischen Personen gleichen Geschlechts geschlossen werden kann (so Schweden) oder die in Voraussetzung und Folgen fast keinen Unterschied zu einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft aufweist – dann wird trotz der zweifellos vorhandenen Konvergenzen (Abbau der Ehehindernisse, Stärkung der Autonomie der Eheleute vor, während und bei Auflösung der Ehe; Gleichberechtigung von Mann und Frau) deutlich, dass bis zu einer Harmonisierung selbst innerhalb Europas noch ein weiter Weg ist.

Literatur

Emil Friedberg, Das Recht der Eheschließung in seiner geschichtlichen Entwicklung, 1865; Rudolf Weigand, Liebe und Ehe im Mittelalter, 1993; Dagmar Coester-Waltjen, Michael Coester, Formation of Marriage, in: IECL IV/3, 1991; Dieter Henrich, Dieter Schwab (Hg.), Eheliche Gemeinschaft, Partnerschaft und Vermögen im europäischen Vergleich, 1999; Walter Pintens, European Family Law (Casebook), 2001; Katharina Boele-Woelki (Hg.), Perspectives for the Unification and Harmonisation of Family Law in Europe, 2003; Nina Dethloff, Europäische Vereinheitlichung des Familienrechts, Archiv für die civilistische Praxis 204 (2004) 545 ff.; Ingeborg Schwenzer, Model Family Code from a Global Perspective, 2006; Rembert Süß, Gerhard Ring, Eherecht in Europa, 2006; Dagmar Coester-Waltjen, Human Rights and the Harmonisation of Family Law in Europe, in: Katharina Boele-Woelki, Tone Sverdrup (Hg.), European Challenges in Contemporary Family Law, 2008.

Abgerufen von Ehe – HWB-EuP 2009 am 19. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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