Verwahrung (Wertpapiere)
von Simon Schwarz
1. Gegenstand und Zweck
Die Aufbewahrung und Verwaltung von Wertpapieren bzw. Finanzinstrumenten durch Depotbanken (custodians) hat sich zu einem von den Regeln der allgemeinen Verwahrung zu unterscheidenden Bereich entwickelt, dem Depotgeschäft (global custody, custody of investments). Im weiteren Sinne beschäftigt sich das Recht der Wertpapierverwahrung (Depotrecht) mit der Ausgestaltung und Funktionsweise derjenigen Infrastrukturen, die sich zur reibungslosen Abwicklung und Erfüllung von Wertpapierhandelsgeschäften sowie zur Verwaltung von Anteilsrechten herausgebildet haben (näher 2.). Systematisch ist das Depotrecht daher Teil des Bankrechts sowie des Kapitalmarktrechts und dient insbesondere dem Kapitalanlegerschutz.
2. Infrastruktur moderner Finanzmärkte
a) Immobilisierung von Wertpapieren
Verfügungen über handelbare Kapitalmarkttitel (Effekten) werden nur noch durch Depotkontobuchungen verlautbart. Diese Entwicklung wurde zunächst durch die Immobilisierung oder Mediatisierung von Wertpapieren ermöglicht: Alle innerhalb eines Landes begebenen Wertpapierurkunden werden unmittelbar nach ihrer Emission einer zentralen Stelle zur dauerhaften Aufbewahrung übergeben (Zentralverwahrer, central securities depository, CSD). Handelt es sich um eintragungsbedürftige Finanzinstrumente (registered securities) wird anstelle der Investoren entweder der CSD oder ein Strohmann (nominee) im maßgeblichen Register eingetragen. Im Rahmen des Handels braucht dann keine Umschreibung zu erfolgen (u.U. aber für die Legitimation gegenüber dem Emittenten). Innerhalb dieses indirekten Verwahrungssystems verweist die Urkunde bzw. der Registereintrag als Repräsentationsmittel des Anteils nicht mehr direkt auf den Anleger (indirect holding system). Der CSD besitzt die Anteile nicht für sich, sondern für seine Kunden, in der Regel eine limitierte Anzahl von Depotbanken (Teilnehmer). Auf Depotkonten wird aufgeschlüsselt, für welche Teilnehmer der CSD welche Wertpapiere in welcher Menge verwahrt (erste Verwahrungsebene). Die Teilnehmer halten die Anteile zum Teil als Eigenbestände, überwiegend jedoch als Fremdbestände für eigene Kunden und weisen dies auf entsprechenden Konten aus (zweite Verwahrungsebene). Es können weitere Verwahrungsstellen bis zum Endanleger folgen, wodurch eine Verwahrungspyramide mit beliebig tiefen Verwahrungsketten entsteht. Jedes Glied, das Werte für nachgeordnete Kunden verbucht, ist ein Intermediär. Vergleichbar dem Geldgiroverkehr werden Verfügungen ausschließlich durch Zu- und Abbuchungen auf den von den Intermediären geführten Depotkonten auf Weisung der Anleger vollzogen, physische Übergaben finden nicht statt (Effektengiroverkehr, Art. 2(2)(g) RL 47/2002). Dadurch ist ein nahezu vollständiger Funktionsverlust der Wertpapierurkunde eingetreten; selbst der Genuss von Investorenrechten wie z.B. Dividenden- und Zinszahlungen oder Bezugs- und Stimmrechte (corporate actions) wird weitgehend über Intermediäre abgewickelt (hierzu RL 36/2007 über Aktionärsrechte).
b) Transparente und intransparente Verwahrungsstrukturen
Innerhalb des mediatisierten Verwahrungssystems bestehen vertragliche Verhältnisse (Depotverträge) stets nur zwischen den jeweiligen Nachbarn in der Verwahrungskette. Dabei unterhalten die Intermediäre für ihre Kunden vielfach Sammelkonten, auf denen alle Anteile zusammengefasst und ungetrennt verbucht werden, selbst wenn der Kontoinhaber die Werte für nachgelagerte Kunden hält (omnibus accounts, dépôt en fongibilité, verzameldepot). Auf höheren Ebenen ist der Endanleger daher unbekannt, seine Berechtigung ergibt sich erst aus der Gutschrift bei seinem unmittelbaren Intermediär. Man spricht von einer intransparenten Struktur (so Belgien, Deutschland, Frankreich, Niederlande, Österreich, Schweiz, Kanada, USA, fakultativ England). Es bestehen allerdings auch transparente Verwahrungssysteme, bei denen die einzelnen Wertpapierbestände auf allen Ebenen direkt dem Endinvestor zugeordnet sind (so Griechenland, nordische Länder, Spanien, fakultativ England). Hierzu können teilweise selbst Privatanleger Teilnehmer des CSD werden, der dann eine beliebig große Menge an Einzelkonten führt (einstufige Verwahrung, z.B. Griechenland, fakultativ England). In anderen Systemen lassen sich die Intermediärsdepots beim CSD in Unterkonten aufschlüsseln, auf denen die Endanleger namentlich ausgewiesen sind (z.B. Finland, Spanien, fakultativ Schweden). Bei diesen Systemen kann also mit einem Blick in die Bücher des CSD der jeweilige Anteilseigner bestimmt werden.
c) Entmaterialisierung von Wertpapieren
Die Diskrepanz zwischen Erstellungs- und Verwahrungskosten körperlicher Einzelurkunden und deren praktischer Bedeutung führte vielerorts zu einem mit der Immobilisierung eng verwobenen Phänomen, nämlich der Entmaterialisierung im Sinne eines teilweisen oder völligen Verzichts auf Urkunden als Repräsentationsmittel von Rechten. Der erste Schritt ist die zusammengefasste Verbriefung mehrerer gleichartiger Anteile in Sammel- oder Globalurkunden (global/jumbo certificates; z.B. Deutschland, England, Luxemburg, Österreich, Schweiz, Kanada, USA.). Bei der häufig verwendeten Dauerglobalurkunde wird die gesamte Emission dauerhaft in einer einzigen Urkunde verbrieft. Kraft gesetzlicher Fiktion repräsentiert diese zwar eine mit der Stückelung der Emission übereinstimmende Anzahl von Einzelurkunden. Jedoch wurde die Auslieferung effektiver Stücke in den Emissionsbedingung ausgeschlossen. Trotz physischer Grundlage sind Verfügungen daher nur noch im Buchungswege möglich („Zwangsgiro“). Konsequenter erscheint daher der vollständige Verzicht auf jedes Papier. An dessen Stelle treten elektronische Registereinträge zur Verlautbarung von Anteilsrechten (Wertrechte, dematerialised/ uncertificated securities). Als erste Rechtsordnung hat Frankreich sein Wertpapiersystem in den 1980er Jahren für alle Kapitalmarktwerte aller Emittenten zwingend auf reine Wertrechte umgestellt; ein Beispiel, das zunehmend Schule macht (etwa Belgien, Griechenland, Italien, Spanien, nordische Länder, Japan, bevorstehend Niederlande, fakultativ [z.T. schon früher] England, Schweiz, USA, Kanada, Australien, beschränkt auf Regierungsleihen Deutschland, Österreich).
d) Abwicklung von Handelsgeschäften (Clearing & Settlement)
Diejenigen Geschäftsprozesse, die auf den Abschluss eines Wertpapierhandelsgeschäfts über eine Börse oder einem anderen Markt für Finanzinstrumente (trading) folgen und der Abrechnung (clearing) und Abwicklung (settlement) des Geschäfts dienen, werden zusammenfassend als Nachhandels- oder post trade-Phase bzw. als das Clearing und Settlement (C&S) der Transaktion bezeichnet. Als Oberbegriff umschreibt Clearing alle Prozesse, die zur Feststellung der gegenseitigen Verbindlichkeiten notwendig sind und deren Erfüllung vorbereiten (Übermittlung und Abgleich von Geschäftsdaten, Aufrechnung gegenläufiger Verpflichtungen, Feststellung etwaiger Besicherungspflichten etc.). Immer häufiger wird im Rahmen des Clearing eine zentrale Vertragspartei in den Abwicklungsprozess mit einbezogen (central counterparty, CCP, Art. 2(c) RL 26/1998). Dabei werden alle Verträge zwischen den Marktteilnehmern in zwei identische Einzelgeschäfte mit dem CCP als Kontrahenten aufgespaltet (Kauf A-B wird zu Kauf A-CCP und CCP-B). Der CCP trägt das Ausfallrisiko der Teilnehmer, welche zur Absicherung Finanzsicherheiten bestellen müssen (margening). Soweit sie sich auf dieselbe Wertpapiergattung beziehen, werden die zwischen den Teilnehmern und dem CCP entstandenen Einzelverträge zu einer einzigen Nettolieferpflicht („Spitze“) saldiert (mulilateral netting), wodurch die effektiv zu bewegendem Volumina und damit verbundenen Risiken um ein Vielfaches (über 90%) reduziert werden. Der letzte Abwicklungsschritt ist die Belieferung der einzelnen Geschäfte durch entsprechende Depotumbuchungen (settlement). Auf der obersten Verwahrungsebene nimmt der CSD die Umbuchungen vor (Settlementsystem), auf den nachgelagerten Stufen sind die Intermediäre für die Kontenumstellungen verantwortlich. Im Falle der Einschaltung eines CCP werden im Settlementsystem lediglich die Spitzen ausgeglichen, während auf den unteren Ebenen alle Handelsgeschäfte buchungstechnisch erfüllt werden müssen. Deswegen lässt sich bei Börsengeschäften in der Regel keine durchgängige Buchungskette zwischen Verkäufer und Käufer mehr identifizieren. Innerhalb des buchungsgestützten Effektensystems ist der (vermittelte) Zugang zu einem Verwahrungs- und Settlementsystem Voraussetzung zur Teilnahme an einem Wertpapiermarkt (essential facility), weshalb sich die Infrastrukturen auch grenzüberschreitend immer stärker vernetzen. In Belgien und Luxemburg existieren zudem zwei spezialisierte Knotenpunkte zur Abwicklung internationaler Wertpapiertransaktionen, die international central securities depositories (ICSD).
3. Einzelstaatliche Regelungsstrukturen
Werden Vermögensgegenstände nicht nach Hinterlegern getrennt, sondern gattungsmäßig gesammelt (fungibel) bei einem Dritten verwahrt, liegt grundsätzlich ein depositum irregulare vor, so dass dem Hinterleger nur ein schuldrechtlicher Rückgabeanspruch zusteht (Verwahrung (allgemein)). Der Anleger wäre folglich dem Insolvenzrisiko seines Intermediärs ausgesetzt und stünde schlechter als nach klassischem Wertpapierrecht. Die Abschirmung des Investments vor dem Kredit- und Einlagenrisiko der Bank stellt daher ein Kernziel des depotrechtlichen Regimes dar. Zudem stößt das klassische Wertpapierrecht mit seinem physischen Anknüpfungspunkt zur Übertragung von Anteilsrechten auf modernen Kapitalmärkten an seine konstruktiven Grenzen. Besondere Probleme werfen Fragen des gutgläubigen Erwerbs (Erwerb vom Nichtberechtigten) sowie die Unmöglichkeit der eindeutigen Nachverfolgung (tracing, droit de suite) von Vermögensgegenständen entlang einer Buchungskette auf. Viele Einzelfragen harren in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen einer abschließenden Klärung. Insgesamt lassen sich zwei (fließend in einander übergehende) Lösungsansätze identifizieren, die Miteigentumslösungen und die Treuhandlösungen.
a) Miteigentumslösungen
Die meisten kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen gewähren dem Investor ein dingliches (Mit‑)Eigentumsrecht an der Gesamtheit der beim Zentralverwahrer hinterlegten Wertpapiere bzw. in dessen Namen eingetragenen Wertrechte. Insofern besteht also eine direkte sachenrechtliche Beziehung zwischen dem Anleger und dem Repräsentationsmittel des Vermögensgegenstandes. Dabei hat der Investor kein Recht auf ein einzelnes, nummernmäßig bestimmtes Papier bzw. Registereintrag, sondern verfügt in Höhe seiner Gutschrift über Bruchteilseigentum an allen beim CSD verwahrten Vermögensgegenständen gleicher Gattung (so deutsches [1937] und österreichisches [1969] DepotG). In anderen Rechtsordnungen wird durch die Übernahme in die Sammelverwahrung ein globaler Gesamtsammelbestand fingiert, der aus sämtlichen bei allen am Buchungssystem teilnehmenden Verwahrern verbuchten Werten gleicher Gattung besteht, ungeachtet ihres tatsächlichen Verwahrungsortes (universalité de titre de même espèce). An diesem gedachten (ideellen) Sammelbestand erhält der Hinterleger ein „unkörperliches Miteigentumsrecht“ (droit de copropriété, de nature incorporelle, so belgisches Arrêté Royal n° 62 [1967], ganz ähnlich luxemburgische Loi du 1.8.2001 [ehemals Règlement Grand-Ducal du 17.2.1971], niederländisches Wet giraal effectenverkeer [1977]). Diese Eigentümerstellung darf außerhalb der Insolvenz des Kontoführers allerdings nicht gegenüber jedermann, sondern nur gegenüber dem eigenen Intermediär „mediatisiert“ ausgeübt werden (Belgien, Luxemburg, Niederlande; umstritten in Deutschland, Österreich). Selbst das papierfreie französische System hält an einer „körperlichen“ Terminologie fest, indem der Eininvestor als Eigentümer eines „durch die Kontogutschrift materialisierten“ Wertrechts bezeichnet wird (valeurs mobilières ne sont matérialisés que par une inscription au compte de leur propriétaire, Art. R211-1 Code monétaire et financier). Der italienische Gesetzgeber fingierte die depotrechtliche Verwahrung kurzerhand als depositum regulare, wobei die Buchung als normale Übergabe behandelt wird, mit der Folge, dass der Hinterleger sein ursprüngliches dingliches Recht behält (Legge 19.6.1986, n. 289). Die transparenten Systeme gewähren dem Investor stets ein direktes Eigentumsrecht an den beim CSD verbuchten Anteilen.
Für die Übertragung der dinglichen Rechte wenden einige Rechtsordnungen im Grundsatz schlicht die allgemeinen Regeln zur Eigentumsübertragung an, wobei die Kontobuchung als der Übergang des mittelbaren Besitzes an den Urkunden verstanden wird (Deutschland, Österreich). In anderen Gesetzen findet sich ein ausdrücklicher Hinweis auf die Kontobuchung als Übertragungsmodus (virement de compte à compte, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande). Als problematisch stellt sich in vielen Rechtsordnungen die Reichweite dieser Regeln dar, insbesondere, ob ein gutgläubiger Erwerb (Erwerb vom Nichtberechtigten) auf Grundlage der Buchung als Besitzsurrogat möglich ist. Die herrschende Ansicht bejaht dies in Deutschland und Österreich. In Frankreich ist bis heute unklar, ob der Grundsatz la possession vaut titre des Art. 2279 Code civil auch für den „Buchungsbesitz“ gilt; in Belgien wurde dies explizit angeordnet. Nach italienischem Recht sind einer im Buchungswege vorgenommenen Übertragung die gleichen Wirkungen beizumessen, wie in den allgemeinen Regeln über den Umlauf von Wertpapieren für physische Übergaben vorgesehen. Insgesamt behandeln die Miteigentumslösungen damit die mediatisierten und weitgehend entmaterialisierten Anteilsrechte verfügungstechnisch analog dem klassischen Wertpapierrecht. Dabei herrscht die Vorstellung, dass bei Handelsgeschäften derselbe Vermögensgegenstand übertragen wird, nämlich das dingliches Anteilsrecht am Sammelbestand; und zwar unabhängig davon, ob sich Veräußerer und Erwerber ex ante oder ex post identifizieren lassen und durch eine durchgängige Buchungskette miteinander verbunden sind.
b) Treuhandlösungen
Nach den Treuhandlösungen steht dem Anleger an den beim Zentralverwahrer befindlichen Vermögensgegenständen kein unmittelbares dingliches Recht zu. Ein solches erhält der Investor vielmehr nur in Bezug auf die bei seinem unmittelbaren Intermediär befindlichen Vermögenswerte. Federführend für dieses Modell ist das security entitlement nach Art. 8 des Uniform Commercial Code (UCC) in der revidierten Fassung von 1994 (dieses Konzept wurde in Kanada, Puerto Rico, Panama übernommen). Im Ausgangspunkt ist das security entitlement ein Paket von Rechten, welches sich gegen den unmittelbaren Intermediär richtet und u.a. zu Verfügungsanweisungen berechtigt und den Intermediär verpflichtet, dem Anleger den Genuss von Investorenrechten zu ermöglichen. Im Kern handelt es sich beim security entitlement also um einen schuldrechtlichen Anspruch. Dieser wird jedoch insofern „verdinglicht“, als alle Gutschriften, die dem Intermediär von seinem Verwahrer erteilt werden, nicht dem Zugriff der allgemeinen Gläubiger des Intermediärs unterliegen, sondern allein der Deckung der Ansprüche der Investoren dienen. Es entsteht ein Vermögensrecht sui generis zwischen Schuld- und Sachenrecht. Trotz einiger Auslegungszweifel wird das ungeschriebene englische Recht mehrheitlich dahingehend ausgelegt, dass es sachlich dem security entitlement entspricht. Die Verwahrung durch Intermediäre wird nämlich als eine Kette von nacheinander geschalteten trusts zugunsten der jeweiligen Kunden verstanden. Die Vermögensgegenstände der (sub‑) trusts zugunsten der Anleger bestehen aus den equitable interests (equity) der Depotbanken an den von ihren eigenen Intermediären gehaltenen Werten. Die Teilnehmer des Settlementsystems sind legal owner der Anteilsrechte und halten diese on trust für nachgelagerte Ebenen. Eine vergleichbare Treuhandlösung sehen zudem einige kontinentaleuropäische Rechtsordnungen für im Ausland gelagerte, aber von inländischen Investoren gehaltene Effekten vor (z.B. Deutschland, Österreich; andere Länder dehnen das inländische Regime auf im Ausland verwahrte, aber auf inländischen Konten verbuchte Werte aus, etwa Belgien, Luxemburg, Niederlande). Das schweizerische Bucheffektengesetz von 2008 kombiniert das Miteigentumsmodell mit dem Konzept des security entitlement und schafft einen eigenen Vermögenswert zwischen beiden Lösungen (in diese Richtung schon Belgien, Luxemburg, Niederlande).
Verfügungen im Treuhandsystem vollziehen sich rechtlich nach dem Modell der Giroüberweisung: Mit der Gutschrift entsteht eine neue Berechtigung beim Erwerber, während die alte Berechtigung des Veräußerers mit der Belastung des Kontos erlischt; es wird also gerade nicht derselbe Vermögensgegenstand „durchgereicht“. Bei diesem Modell stellt sich die Frage des gutgläubigen Erwerbs folglich nicht. Zudem bereitet die Praxis des netting keine konstruktiven Schwierigkeiten. Allerdings können im Treuhandsystem mehr Berechtigungen gutgeschrieben werden, als ursprünglich Anteile emittiert wurden, was zu Problemen bei corporate actions führen kann.
4. Gemeinschaftsrechtrechtliche Regelungsstrukturen
Die Eckpfeiler des europäischen Marktinfrastrukturrechts markieren die Finalitätsrichtlinie (RL 26/1998) und die Finanzsicherheitenrichtlinie (RL 47/2002) (Finanzsicherheiten). Zudem enthält die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) (RL 39/2004) inklusive Durchführungsrichtlinie (RL 73/2006) verwahrungsrelevante Vorschriften, etwa Vorgaben zu Verbuchung und Weitergabe mediatisierter Vermögenswerte (Art. 13(7) MiFID, 16 ff. RL 73/ 2006). Die MiFID gewährt den Marktteilnehmern ferner einen Anspruch auf (grenzüberschreitenden) Zugang zu und Wahl von C&S-Systemen (Art. 34, 46). Als Folge ist nicht mehr jedem Markt genau ein Abwicklungssystem zugeordnet, so dass eine Transaktion in Land A abgeschlossen, in Land B abgerechnet und in Land C abgewickelt werden kann, sofern die Systeme miteinander vernetzt und kompatibel sind. Letzteres kann nur von den Anbietern selbst verwirklicht werden. Aus diesem Grund, und um kartellrechtlichen Bedenken zu begegnen, hat die C&S-Industrie einen Code of Conduct mit Vorschriften u.a. zu Preistransparenz und Systemkompatibilität ausgearbeitet, über deren Umsetzung eine von der Kommission eingesetzte Monitoring Group of the Code of Conduct on Clearing and Settlement (MOG) berichtet.
Fragen der Wertpapierverwahrung rücken zunehmend in den rechtspolitischen Fokus der Europäischen Kommission, da eine klare rechtliche Basis für die Abwicklung (grenzüberschreitender) Wertpapiertransaktionen eine Grundvoraussetzung für einen effizienten europäischen Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen und die Ausübung der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit ist (reichhaltiges Material unter GD MARKT, Finanzdienstleistungen, Infrastruktur). Ausgangspunkt waren zwei Berichte der sog. Giovannini Group, die 15 Markthindernisse identifizierte (2001) und entsprechende Lösungswege aufzeigte (2003). Hieraus resultierte eine Mitteilung zu künftigen Maßnahmen im C&S-Bereich (KOM(2004) 312 endg.). In der Folge berief die Kommission mehrere Expertengruppen ein, namentlich die Clearing and Settlement Advisory and Monitoring Expert Group (CESAME) zu Technik, Marktpraktiken und Governance, die Clearing and Settlement Fiscal Compliance Expert Group (FISCO) zum Steuerrecht sowie die Legal Certainty Group (LCG) zur Vereinheitlichung des Rechts der Intermediär-verwahrten Wertpapiere. Daneben gibt es vielfältige Arbeitspapiere und Empfehlungen internationaler Sachverständigengruppen, etwa der Group of Thirty (G30), European Financial Markets Lawyers Group (EFMLG), European Central Securities Depositories Association (ECSDA), Committee of European Securities Regulators (CESR), Committee on Payment and Settlement Systems (CPSS).
Im August 2008 legte die Legal Certainty Group ihren ausführlichen Abschlussbericht nebst Regelungsempfehlungen vor. Ausgehend von einem funktionalen Ansatz wird dort nicht die Rechtsnatur des Anteils (Eigentum, Treuhand), sondern lediglich die Wirkung von Depotgutschriften festgelegt (book entry securities, Empfehlung 4). Diese werden grundsätzlich vor der Insolvenz des Intermediärs geschützt. Mit Gutschrift werden die Anteile Dritten (nicht notwendig dem Emittenten) gegenüber wirksam erworben und durch Belastungsbuchung veräußert; gutgläubiger Erwerb ist möglich (Empfehlung 5-7). Zudem enthält der Bericht Empfehlungen, unter welchen Voraussetzungen Depotgutschriften und ‑belastungen rückgängig gemacht oder vorläufig erteilt werden dürfen und welche Rechtsfolgen etwaige Stornierungen zeitigen (Empfehlung 6 f., 9). Darüber hinaus sind Vorschläge zur mediatisierten Ausübung von Investorenrechten enthalten (Empfehlung 12-14). Schließlich sollen Emittenten wählen können, ob ihre Emission beim inländischen oder einem ausländischen CSD immobilisiert wird (Empfehlung 15). Insgesamt sind die Empfehlungen der LCG detaillierter und zielen auf einen höheren Harmonisierungsgrad ab als das einheitsrechtliche Projekt von UNIDROIT (dazu 5.). Die Ergebnisse der LCG sollen in eine zukünftige Richtlinie zum Depotrecht münden, wozu die Kommission im April 2009 eine öffentliche Konsultation eingeleitet hat. Der DFCR verhält sich zu depotrechtlichen Fragestellungen uneinheitlich: Während die Vorschriften zur allgemeinen Verwahrung (Art. IV.C.-5:101(2)(c)) und zur Eigentumsübertragung beweglicher Sachen (Art. VII.-1:101(4)(a)) Wertpapiere aussparen, sind die Regelungen über Mobiliarsicherheiten auf immobilisierte Anteilsrechte explizit anwendbar (Art. IX.-1:201(7), (8)) (Finanzsicherheiten).
5. Einheitsrechtsrechtliche Regelungsstrukturen
Ein globales Modell der Wertpapierverwahrung schlägt die von UNIDROIT erarbeitete Draft Convention on Substantive Rules regarding Intermediated Securities vor, die im Oktober 2009 in Genf verabschiedet werden soll. Der Entwurf zielt nicht auf eine Vollharmonisierung ab, sondern strebt eine dem funktionalen Ansatz folgende Kompromisslösung zwischen grenzüberschreitender Rechtssicherheit und Bewahrung nationaler Regelungsstrukturen an (functional approach, internal soundness). Mit der Gutschrift erhält der Endinvestor u.a. einen insolvenzfesten (Art. 14, 21) Anspruch auf die aus dem Wertpapier folgenden Vorteile sowie das Recht, über seinen Anteil im Wege der Buchungsanweisung zu verfügen (Art. 9). Der Anteil wird durch Gutschrift erworben und durch Belastung veräußert (Art. 11; zur Verpfändung Finanzsicherheiten), wobei gutgläubiger Erwerb (Erwerb vom Nichtberechtigten) zugelassen wird (Art. 18). Die Konvention überlässt die Frage nach der Wirksamkeit bzw. Stornierungsmöglichkeit einer Depotbuchung jedoch nahezu vollständig dem nationalen Recht (Art. 16), wodurch der erreichte Grad an Rechtssicherheit wesentlich geschmälert wird. Auch an vielen weiteren Stellen verweist die Konvention auf nationales Recht, weshalb letzterem und damit dem Kollisionsrecht weiterhin erhebliche Bedeutung beizumessen sein wird.
6. Internationales Privatrecht
Das internationale Privatrecht der Intermediär-verwahrten Wertpapiere unterliegt besonderen gemeinschaftsrechtlichen und einheitsrechtlichen Regelungen (Finanzsicherheiten).
Literatur
James Steven Rogers, Policy Perspectives on Revised U.C.C. Article 8, UCLA Law Review 43 (1996) 1431 ff.; Joanna Benjamin, Madeleine Yates, The Law of Global Custody, 2. Aufl. 2002; Frédéric Nizard, Les titres négociables, 2003; Eva Micheler, Wertpapierrecht zwischen Schuldrecht und Sachenrecht, 2004; Matthias Haentjens, Harmonisation of Securities Law, Custody and Transfer of Securities in European Private Law, 2007; Philipp R. Wood, Set-Off and Netting, Derivatives, Clearing Systems, 2. Aufl. 2007, Rn. 18-001 ff.; Luc Thévenoz, Intermediated Securities, Legal Risk, and the International Harmonisation of Commercial Law, Stanford Journal of Law, Business & Finance 13 (2008) 384 ff.; Law Commission, The Unidroit Convention on Substantive Rules regarding Intermediated Securities, Further Updated Advice to HM Treasury, May 2008; Legal Certainty Group, Second Advice of the Legal Certainty Group: Solutions to Legal Barriers related to Post trading within the EU, August 2008; Dorothee Einsele, Depotgeschäft, in: Münchener Kommentar zum HGB, Bd. 5, 2. Aufl. 2009.