Unwirksamkeit: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 29. September 2021, 12:23 Uhr

von Phillip Hellwege

1. Gegenstand und Zweck

Die Rechte Europas kennen verschiedene Unwirksamkeitsgrade. Sie werden danach unterschieden, wer sich auf die Unwirksamkeit berufen kann, wie sie geltend zu machen ist und wie sie wirkt; Unwirksamkeit ist also ein Oberbegriff. In der Rechtsvereinheitlichung setzt sich der Begriff invalidity (Ungültigkeit) durch (PECL, UNIDROIT PICC, DCFR). Formen der Unwirksamkeit sind z.B. die relative Unwirksamkeit, die Anfechtbarkeit und die Teilunwirksamkeit. Die nationalen Gesetze definieren diese Unwirksamkeitsgrade nicht. Stattdessen ist es Aufgabe der Wissenschaft, die Formen der Unwirksamkeit in ein kohärentes System zu bringen. Dass dies gelingt, ist nicht selbstverständlich: Das römische und gemeine Recht kannten noch kein klares System der Unwirksamkeitstypen, dieses wurde erst seit dem 19. Jahrhundert entwickelt.

Die europäische Rechtswissenschaft beschäftigt sich aus zwei Gründen mit dem Begriff der Unwirksamkeit. Sie versucht dort, wo europäische Regelwerke verschiedene Unwirksamkeitsgrade kennen, diese zu ordnen. So spricht der Code Européen des Contrats etwa von nullité, inefficacité, inexistence, annulation, rescision, extinction, [cesser] d’avoir effet. Des Weiteren wirkt sie auf einen stimmigen Einsatz der Unwirksamkeitsgrade in der weiteren Rechtsvereinheitlichung hin. Freilich steht der wissenschaftliche Diskurs über den Unwirksamkeitsbegriff auf europäischer Ebene noch am Anfang.

2. Gegenstand der Unwirksamkeit

Die Unwirksamkeitsgrade werden heute im Vertragsrecht (Italien, Frankreich, England) oder der Rechtsgeschäftslehre (Deutschland) (Rechtsgeschäft) dargestellt. Die PECL und die UNIDROIT PICC sind von vornherein auf das Vertragsrecht und damit auf die Unwirksamkeit von Verträgen beschränkt. Aber auch Urteile, Gesetze und Verwaltungsakte können unwirksam sein. Zwar gibt es für die Unwirksamkeit aller juristischer Tatsachen gemeinsame historische Wurzeln: So entwickelte sich die Restitutionsklage gegen ein rechtskräftiges Urteil aus der römischen restitutio in integrum, welche auch bei der Vertragsanfechtung wegen Minderjährigkeit statthaft war. Doch wäre ein System der Unwirksamkeitstypen aller juristischen Tatsachen nicht leistungsfähig, und entsprechende Systematisierungsversuche blieben erfolglos.

Ist ein unwirksamer Vertrag vollzogen worden, erfolgt eine Rückabwicklung. In Deutschland wird die Rückabwicklung nicht von dem Unwirksamkeitsbegriff erfasst, sondern im Bereicherungsrecht (Leistungskondiktion) geregelt. Doch ist diese Trennung von Unwirksamkeit und Rückabwicklung nicht selbstverständlich: So zielt die spanische Nichtigkeitsklage (acción de nulidad) etwa wegen Irrtums auf die Vernichtung des Vertrages und zugleich auf dessen Rückabwicklung. In England ist Anfechtungsvoraussetzung, dass der Anfechtende Erlangtes zurückgewähren und so restitutio in integrum leisten kann, und der Begriff rescission beschreibt auch die Rückabwicklung. Auch die PECL und die UNIDROIT PICC regeln im Abschnitt zur Gültigkeit ebenfalls die Rückabwicklung als Anfechtungsfolge. Unwirksamkeit und Rückabwicklung gehen hier jeweils Hand in Hand.

Schließlich gibt es neben den allgemeinen noch besondere Regeln zur Unwirksamkeit von Verträgen, z.B. im Ehe- und Gesellschaftsrecht. Hier müssen die Regelungsprobleme – wer darf sich auf die Unwirksamkeit berufen? Wie ist sie geltend zu machen? Wie wirkt sie? – anderen Lösungen zugeführt werden als im allgemeinen Vertragsrecht. Die wissenschaftliche Diskussion darf sich indes nicht auf den Unwirksamkeitsbegriff des allgemeinen Vertragsrechts beschränken, sondern muss die Verknüpfungen zu den besonderen Regeln herstellen. Denn nur so offenbart sich, dass die allgemeinen Regeln immer Ausnahmen haben, es werden die Wertungen der Regeln und Ausnahmen deutlich, und nur so ist es möglich, einen stimmigen Einsatz auch der Ausnahmen in der zukünftigen Rechtsvereinheitlichung vorzubereiten.

3. Gründe der Unwirksamkeit

Die klassischen Unwirksamkeitsgründe sind im Kapitel der PECL zur validity abgebildet: Irrtum, Täuschung, Drohung, unangemessene Ausnutzung, mangelnde Geschäftsfähigkeit, Gesetzes- und Sittenwidrigkeit. Es handelt sich um Fehler, die bereits bei Vertragsschluss vorliegen und die nach den PECL den Vertrag ex tunc vernichten sollen. So scheinen die PECL die Unwirksamkeit von drei Seiten her zu beschränken: Sie wirkt zurück, vernichtet den Vertrag, und ihr Grund liegt bei Vertragsschluss vor. Dieser Unwirksamkeitsbegriff schimmert auch in vielen nationalen Wissenschaften durch. Eine europäische Wissenschaft muss sich freilich seiner Grenzen bewusst sein: Möchte man Mängel bei Vertragsschluss ordnen, sollte man einen Oberbegriff wählen, der den Blick auf die Unwirksamkeitsgründe lenkt, etwa Fehlerhaftigkeit. Unwirksamkeit ist eine Rechtsfolge. Sie kann auch bei Vertragsdurchführung eintreten (auflösende Bedingung). Umgekehrt werden nicht alle Fehler bei Vertragsschluss berücksichtigt (anfängliche Unmöglichkeit), sondern nur solche, die eine bestimmte Rechtsfolge (ex tunc-Nichtigkeit) haben. Es besteht auch nicht unbedingt ein Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt des Mangels und seiner Wirkung: Bei Gesellschafts- und Arbeitsverträgen wirkt auch ein anfänglicher Fehler nur ex nunc. Es kann also nur auf die Vernichtung als Rechtsfolge ankommen. Damit sind die Fälle ausgeblendet, in denen die Parteien nur von der Erfüllung befreit werden (anfängliche Unmöglichkeit, Nichterfüllung). Diese Ausblendung ist indes ebenfalls nicht zwingend: So ist in England und Schottland die unenforceability ein Unwirksamkeitsgrad, obwohl sie den Vertrag nicht vernichtet. Auch die PECL nennen die Gesetzeswidrigkeit im Kapitel zur validity als Unwirksamkeitsgrund, ordnen im Kapitel zur illegality aber gerade nicht die Nichtigkeit an, sondern verfolgen ein flexibles System von Unwirksamkeitsgraden, das die unenforceablity einschließt. Der oben skizzierte Unwirksamkeitsbegriff ist mithin allenfalls eine Annäherung, aber keine Definition.

Man sollte demnach die Unwirksamkeit allein von der Rechtsfolge blickend definieren: Ein unwirksamer Vertrag erzeugt die intendierten Wirkungen ex tunc oder ex nunc nicht oder nicht vollständig. Diese Definition erfasst die unenforceability und die Rücktrittsfolgen. Denn durch den Rücktritt verliert der Vertrag als Behaltensgrund ausgetauschter Leistungen seine Wirkung. Unwirksamkeitsgrund ist, was diese Folge hat. Diese Definition vermeidet Abgrenzungsprobleme. Sie vereinfacht den Rechtsvergleich, denn sie lässt die unterschiedliche dogmatische Erfassung etwa der anfänglichen Unmöglichkeit und des Rücktritts nicht als Systemunterschiede erscheinen. Zwar berühren Nichterfüllung und anfängliche Unmöglichkeit in der modernen Entwicklung den Vertrag nicht in seinem Bestand. Doch vielerorts führt die anfängliche Unmöglichkeit noch zur Nichtigkeit (Frankreich, Italien, Portugal, Ungarn) und der Rücktritt zur Vertragsauflösung ex tunc (Frankreich, Spanien, Österreich). Diese Unterschiede sind nur noch verschiedene Einordnungen in einem System abgestufter Unwirksamkeitsgrade. Die vorgeschlagene Definition vereinfacht auch die weitere Rechtsvereinheitlichung, indem sie den Regelgebern ein solches System abgestufter Unwirksamkeitsgrade zur Verfügung stellt. Schließlich ist sie mit den Rechten Europas, den PECL, UNIDROIT PICC und dem DCFR vereinbar. Auch wenn alle Regelwerke den Begriff der Unwirksamkeit benutzen, definieren sie ihn nicht als Oberbegriff. Der Unwirksamkeitsbegriff ist ein Begriff der Wissenschaft, der sich allein an seiner Leistungsfähigkeit messen lassen muss.

Schließlich klammern einige Rechte den Tatbestandsmangel aus (Deutschland, Ungarn): Nur der tatbestandlich existierende Vertrag kann unwirksam sein. Diese Trennung ist schlüssig, doch ohne praktische Relevanz und findet sich vielerorts nicht (England, Italien). Ein rechtsfolgenorientierter Unwirksamkeitsbegriff vermag den Tatbestandsmangel zu erfassen. Auch er führt dazu, dass der (vermeintliche) Vertrag die intendierten Wirkungen nicht erzeugt.

4. Wer darf die Unwirksamkeit geltend machen?

Kann nur eine der Vertragsparteien die Unwirksamkeit geltend machen, spricht man von einer relativen Unwirksamkeit, von einer absoluten Unwirksamkeit, wenn sich jeder auf sie berufen kann. Ausnahmsweise dürfen sich nur bestimmte Dritte auf die Unwirksamkeit berufen, so bei der Testamentsanfechtung. Auch in diesen Fällen sollte man von einer relativen Unwirksamkeit sprechen.

Die Grenzen zwischen absoluter und relativer Unwirksamkeit einerseits und Nichtigkeit und Anfechtbarkeit andererseits laufen in der Regel, aber nicht immer parallel. So führt das deutsche gesetzliche Veräußerungsverbot zu einer relativen Unwirksamkeit, wird aber von Amts wegen berücksichtigt. In den PECL kann die Gesetzeswidrigkeit dazu führen, dass nur eine Partei die Erfüllung nicht verlangen kann. Trotzdem wird sie von Amts wegen berücksichtigt. In Deutschland können Eheverbote vertreten durch öffentliche Stellen von der Allgemeinheit geltend gemacht werden, doch werden sie nur in einem besonderen Aufhebungsverfahren berücksichtigt (Anfechtung).

Die Abgrenzung zwischen absoluter und relativer Unwirksamkeit erfolgt danach, ob durch die Unwirksamkeitsanordnung nur eine bestimmte Partei oder Interessen der Allgemeinheit geschützt werden. Uneinheitlich zugeordnet werden dabei die fehlende Geschäftsfähigkeit (absolut: Deutschland, Griechenland, Polen; relativ: Frankreich, Italien, Niederlande) und die Übervorteilung (absolut: Deutschland; relativ: Frankreich, Italien, Polen, Ungarn, Niederlande, PECL). Die relative Unwirksamkeit ist immer nur ein Durchgangsstadium zu einem Zustand, der dem der absoluten Nichtigkeit entspricht.

5. Wie muss die Unwirksamkeit geltend gemacht werden?

Die meisten Rechte unterscheiden zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit (Italien, Portugal, England, Schottland, Irland, Niederlande, Deutschland, PECL, UNIDROIT PICC, DCFR). Bei der Nichtigkeit wird die Unwirksamkeit von Amts wegen berücksichtigt, bei der Anfechtbarkeit muss sie besonders geltend gemacht werden. Freilich wird der Begriff der Nichtigkeit nicht nur über das Wie der Geltendmachung definiert. Die Nichtigkeit beschreibt zugleich die sachliche Wirkung der Unwirksamkeit. Der nichtige Vertrag erzeugt überhaupt keine Wirkungen. Die unenforceability wird zwar auch von Amts wegen berücksichtigt, aber ohne dass der Vertrag nichtig ist. Ein Gegenbegriff zur Anfechtbarkeit als Oberbegriff für alle Unwirksamkeiten, die von Amts wegen beachtet werden, ist noch nicht gefunden.

Für die Anfechtung sehen viele Rechte ihre klageweise Durchsetzung vor (Frankreich, Belgien, Griechenland, Spanien). Wird der Anfechtungsberechtigte verklagt, kann er die Unwirksamkeit auch einredeweise geltend machen. Diese Rechte stehen in der Tradition des gemeinen Rechts, das ebenfalls die Anfechtung durch actio und exceptio kannte. Doch setzt sich die Anfechtung durch Erklärung durch (Deutschland, Polen, PECL, UNIDROIT PICC, DCFR). Das niederländische Recht kennt zwar beides, doch ist die Anfechtung durch Erklärung die Regel. Bedenkt man die Tendenz in Europa, dass eine bloße Anfechtungserklärung in der Regel ausreicht, wirkt die Debatte in England, die Anfechtung durch Erklärung zu verdrängen (Janet O’Sullivan), rückwärtsgewandt. Freilich ist die Anfechtung durch Erklärung überall auf das allgemeine Vertragsrecht begrenzt. In Deutschland müssen etwa Beschlüsse der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft und Ehen (Eheaufhebung) durch Klage angefochten werden. Die PECL, UNIDROIT PICC und der DCFR kennen diese Ausnahmen nicht, weil sie in ihrem Anwendungsbereich auf das allgemeine Vertragsrecht beschränkt sind. Dort wo eine Anfechtungserklärung ausreicht, kann sie meist formlos erfolgen (PECL, UNIDROIT PICC, DCFR). In Polen ist dagegen eine schriftliche Erklärung erforderlich. In Deutschland muss eine besondere Form nur ausnahmsweise beachtet werden, so bei Anfechtung eines Erbvertrags. Neben Klage, Einrede und Erklärung erwähnte Friedrich Carl v. Savigny noch die Anfechtung in Gestalt „einer Obligation auf neue juristische Handlung von einem, der früheren Thatsache entgegengesetzten, Erfolg“. Das deutsche Recht kennt diese Anfechtung durch Geltendmachung eines Anspruchs bis heute bei der Anfechtung wegen Gläubigerbenachteilung. Im Übrigen ist sie in den Hintergrund getreten.

Definiert man die Anfechtung darüber, dass eine Unwirksamkeit besonders geltend gemacht werden muss, und versteht man auch die Nichterfüllung als Unwirksamkeitsgrund, so handelt es sich auch beim Rücktritt (ebenso wie bei der Kündigung und dem Widerspruch des Verbrauchers) um eine Anfechtung. Das erscheint aus dem Blickwinkel des allgemeinen Vertragsrechts, das strikt zwischen Anfechtung, Widerruf, Rücktritt und Kündigung trennt, ungewöhnlich. Freilich ist ein solch weiter Anfechtungsbegriff nicht ohne Vorbilder: Historisch war die Anfechtung nicht auf die regelmäßig ex tunc wirkende Anfechtung durch Erklärung wegen anfänglicher Vertragsfehler begrenzt. Und noch heute wird der Begriff der Anfechtung in Deutschland außerhalb der Rechtsgeschäftslehre sehr weit verstanden. In England umfasste der Begriff der rescission bis vor kurzem sowohl die Anfechtung als auch den Rücktritt. Man kann also eine Anfechtung im engeren Sinne und eine im weiteren Sinn unterscheiden.

Einige Rechte kennen im allgemeinen Vertragsrecht besondere Formen der Anfechtung, so bei Übervorteilung (Italien, Frankreich, Code Européen des Contrats). In England unterscheidet man bis heute die Anfechtung nach law und equity: Nur die Unwirksamkeitsgründe, die ihre historische Wurzel in der equity haben, müssen klageweise durchgesetzt werden. Die Tendenz geht jedoch dahin, innerhalb des allgemeinen Vertragsrechts die Anfechtung nicht weiter zu untergliedern (PECL, UNIDROIT PICC).

Kennzeichen der Nichtigkeit ist, dass sie von Amts wegen berücksichtigt wird. Auch hiervon gibt es Ausnahmen (Frankreich, Spanien). So unterscheidet man in Frankreich nicht zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit, sondern zwischen nullité absolue und nullité relative. Die nullité absolue soll der Nichtigkeit entsprechen, doch muss sie regelmäßig durch Klage geltend gemacht werden. Außerhalb des allgemeinen Vertragsrechts kennen freilich auch andere Rechte eine Nichtigkeitsklage: In Deutschland ist sie etwa bei der Nichtigkeit eines rechtskräftigen Urteils nötig und in Österreich bei der Nichtigkeit einer Ehe. Hier sollte man besser von einer Anfechtung sprechen.

Im allgemeinen Vertragsrecht führen Gesetzes- und Sittenwidrigkeit und die Nichteinhaltung eines Formerfordernisses zur Nichtigkeit, Willensmängel dagegen zur Anfechtbarkeit. Uneinigkeit herrscht wiederum bei Zuordnung der fehlenden Geschäftsfähigkeit und der Übervorteilung. Nach den PECL sind unangemessene Vertragsklauseln, die nicht individuell ausgehandelt worden sind, also insbesondere unangemessene AGB, nur anfechtbar. Die Zuordnung zur Nichtigkeit und Anfechtbarkeit erfolgt grundsätzlich danach, ob nur eine bestimmte Partei oder Interessen der Allgemeinheit geschützt werden. Hinzu kommen aber noch Erwägungen der Verkehrssicherheit. Besonders bedeutende, komplexe oder eine Vielzahl von Personen betreffende Geschäfte sollen nur durch (gegebenenfalls förmliche) Erklärung oder Klage angefochten werden können.

6. Wirkungen der Unwirksamkeit

Bei den Wirkungen der Unwirksamkeit muss eine zeitliche und eine sachliche Ebene unterschieden werden. In zeitlicher Hinsicht kann eine Unwirksamkeit ex tunc oder ex nunc wirken. Die Nichtigkeit wirkt regelmäßig ex tunc, ebenso die Anfechtung wegen Mängeln bei Vertragsschluss. Von diesem Grundsatz kennen alle Rechte Europas Ausnahmen (Arbeits- und Gesellschaftsverträge).

In sachlicher Hinsicht sind Voll- und Teilunwirksamkeit zu trennen. Eine besondere Form der Teilunwirksamkeit ist die quantitative Teilunwirksamkeit. Strittig ist, ob die Teilunwirksamkeit die Regel oder die Ausnahme sein soll, wenn der Unwirksamkeitsgrund nur einen Teil des Vertrags betrifft. Im gemeinen Recht leitete man aus den antiken Quellen die regelmäßige Restwirksamkeit des übrigen Vertrages her (utile per inutile non vitiatur). Das deutsche BGB wich in § 139 BGB hiervon ab. Doch gehen Theorie und Praxis in Übereinstimmung mit der Tendenz der Rechtsentwicklung in Europa inzwischen wieder in der Regel von einer Restwirksamkeit aus. In Europa wird die Frage unterschiedlich beantwortet, wann von der regelmäßigen Restwirksamkeit Ausnahmen zuzulassen sind. Zum Teil wird auf den Willen der Parteien abgestellt (Griechenland), zum Teil auch darauf, ob die Nichtigkeit einen wesentlichen oder nur unwesentlichen Teil des Vertrages betrifft (Frankreich) oder ob beide Teile des Vertrags in einem unlösbaren Zusammenhang stehen (Niederlande). Als besonders bedeutsam erweist sich überall der Zweck des Unwirksamkeitsgrundes. Dieser Zweck bestimmt auch, ob eine geltungserhaltende Reduktion möglich ist. Die PECL, UNIDROIT PICC und der DCFR machen die Frage, ob der gesamte Vertrag von der Unwirksamkeit erfasst werden soll, zu einer Frage der reasonableness.

Zudem stellt sich in sachlicher Hinsicht die Frage, ob eine Unwirksamkeit dingliche Wirkung hat. Rechte, die das Abstraktionsprinzip kennen, lehnen sie ab, wenn nicht das Verfügungsgeschäft selbst vom Unwirksamkeitsgrund erfasst wird (Deutschland, Schottland); Rechte, denen es unbekannt ist, bejahen regelmäßig die dingliche Wirkung (Italien, Frankreich, Portugal, Niederlande).

Weiterhin kann in sachlicher Hinsicht danach unterschieden werden, ob eine Unwirksamkeit bereits endgültig eingetreten ist oder ob ihr Eintritt oder auch die Endgültigkeit ihres Eintritts noch unentschieden ist. Das letztere ist der Fall bei der schwebenden Unwirksamkeit und der schwebenden Wirksamkeit.

Versteht man auch die Rücktritts-, Widerrufs- und Kündigungsfolgen als Unwirksamkeiten, so muss man für die Frage der Auswirkungen der Unwirksamkeit zwischen den verschiedenen Wirkungen, die ein Vertrag oder ein Rechtsgeschäft hat, sachlich unterscheiden. Nichtigkeit und Anfechtung im engeren Sinne vernichten den Vertrag regelmäßig ex tunc und hinsichtlich jeder Wirkung. Der Rücktritt vernichtet den Vertrag in der Regel ex tunc als Behaltensgrund für ausgetauschte Leistungen. Insoweit ist der Vertrag unwirksam. Im Übrigen, z.B. in Hinblick auf Schadensersatzansprüche, führt der Rücktritt in vielen Rechten aber nur ex nunc zur Auflösung des Vertrages. Die Kündigung wirkt in jeder Hinsicht nur ex nunc.

7. Wie kann ein unwirksamer Vertrag gerettet werden?

Alle Rechte Europas kennen mit der Heilung, Umdeutung, Genehmigung, Bestätigung und Neuvornahme verschiedene Instrumente, um einen Vertrag vor der Unwirksamkeit zu retten. Diese Instrumente unterscheiden sich in ihren Voraussetzungen, Anwendungsbereichen und Wirkungen. Ein weiteres Instrument, um Verträge vor der Unwirksamkeit zu retten, kennt die Auslegungslehre: So soll nach vielen nationalen Rechten wie auch nach den PECL diejenige Auslegung bevorzugt werden, die zu einer Wirksamkeit des Vertrages führt.

Literatur

Friedrich Carl v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. IV, 1841, 536 ff.; Friedrich Hellmann, Zur Terminologie der römischen Rechtsquellen in der Lehre von der Unwirksamkeit der juristischen Thatsachen, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung 23 (1902) 380 ff., 24 (1903) 50 ff.; Alfred Manigk, Unwirksamkeit. Ungültigkeit, in: Fritz Stier-Somlo, Alexander Elster (Hg.), Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Bd. 6, 1929, 292 ff.; Manfred Harder, Die historische Entwicklung der Anfechtbarkeit von Willenserklärungen, Archiv für die civilistische Praxis 173 (1973) 209 ff; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, 678 ff.; Janet O’Sullivan, Rescission as a self-help remedy: a critical analysis, Cambridge Law Journal 59 (2000) 509 ff.; Peter Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa, Bd. I, 2000, 403 ff.; András Földi, Zur Frage der Gültigkeit und der Wirksamkeit im modernen Zivilrecht, in: Festschrift für Ferenc Benedek, 2001, 73 ff; Bruno Schmidlin, Der Rücktritt vom Vertrag: Von der Nichtigkeit ex tunc zum vertraglichen Liquidationsverhältnis: Ein dogmengeschichtlicher Wandel, in: Festschrift für Theo Mayer-Maly, 2002, 677 ff.

Abgerufen von Unwirksamkeit – HWB-EuP 2009 am 22. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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