Rechtsdurchsetzung im Gesellschaftsrecht und Rechtsgeschichte: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Heribert Hirte]]''
von ''[[Johannes Liebrecht]]''
== 1. Rechtsgeschichte und Rechtsgeschichten ==
Die Rechtsordnungen der europäischen Staaten enthalten bekanntlich eine Vielzahl an Gebieten, die stark abweichende Strukturen und Zielsetzungen sowie unterschiedliche Veränderungsdynamiken aufweisen. Nicht nur außerhalb des Privatrechts gibt es zahlreiche anders gelagerte Felder des Rechts, auch innerhalb des Privatrechts finden sich sowohl spezielle Materien, etwa [[Verbraucher und Verbraucherschutz]] oder das Recht des [[Versicherungsvertrag]]s, als auch eigenständige Rechtsgebiete (wie etwa das [[Handelsrecht|Handels-]], [[Gesellschaftsrecht|Gesellschafts-]] oder [[Arbeitsrecht, internationales|Arbeitsrecht]]). Neben diese Vielfalt an gewachsenen Sachstrukturen im Recht tritt ein nicht minder breites Angebot an analytischen Zugängen zu ihm, über die bisweilen heftige Kontroversen geführt werden. Sie reichen von traditionell-dogmatischer Argumentation, die sich an der [[Auslegung von Rechtsnormen]] und vielfach am Ideal systemischer Kohärenz orientiert, über eine funktional angelegte [[Rechtsvergleichung]] und eine empirisch-soziologische Erhebung der Rechtswirklichkeit bis hin zur [[Ökonomische Analyse des Europäischen Privatrechts|ökonomischen Analyse des Rechts]] in ihren verschiedenen Spielarten. Dass es keine einheitliche ''Geschichte'' des Rechts gibt, verwundert angesichts dessen nicht. Denn auch sie kann nicht nur von je unterschiedlichen Rechtsgebieten her, sondern ebenso mit verschiedenen Maßgaben erschlossen werden. Es gibt sie als eine Geschichte weit zurückreichender Rechtsregeln (etwa der Mängelgewährleistung beim [[Kauf]]), doch auch als eine umfassend-allgemeine, eher philosophienahe Ideengeschichte (etwa über die Entstehung der Vorstellung vom ''subjektiven Recht''). Sie kann sowohl als Geschichte von rechtlich verfassten Institutionen innerhalb einer Gesellschaft (so von [[Ehe]] und [[Scheidung]] und ihrem Recht), wie auch als Geschichte von öffentlichen Strategien zur gesellschaftlichen Disziplinierung und der Sanktionierung abweichenden Verhaltens (historische Kriminologie), aber auch unter vielen weiteren Perspektiven verstanden werden. Nur scheinbar überzeitliche Faktoren wie Rechtslehre, Rechtsprechung oder Gesetz und Gesetzgebung gewinnen dabei je unterschiedliches Gewicht.


Das Gesellschaftsrecht als das Recht der privaten Zweckverbände ist hinsichtlich der Problematik der Rechtsdurchsetzung von einem Dualismus der Durchsetzung durch die Verbandsorgane und durch dessen Mitglieder geprägt (siehe 1.). Dazu treten noch die Interessen der Öffentlichkeit an einer Rechtsdurchsetzung, die durch umfangreiche (zusätzliche) staatliche Durchsetzungsmechanismen verwirklicht werden (siehe 2.).
== 2. Die europäische Dimension der Privatrechtsgeschichte ==
Eine dieser vielfältigen Geschichten vom Recht umfasst die Entwicklung des heutigen Privatrechts in Europa. In ihr vollzieht sich eine der für die westliche Zivilisation wichtigsten Entwicklungen des Rechts, denn sie handelt von der Entstehung und Überlieferung einer spezifischen, dogmatisch-wissenschaftlich betriebenen Rechtslehre, ein in dieser Weise singuläres und folgenreiches Geschehen. Sein Beginn lenkt in die vorchristliche Zeit zurück, als die hellenistischen Wissenschaftslehren in die Rechtskultur der römischen Antike eindrangen und zur Ausbildung einer immer höher differenzierten und regelgeleiteten Rechtsordnung, zu einer spezifischen juristischen Literatur und der neuartigen Profession der ''Juristen'' führten. Die Lehren des sog. klassischen [[römisches Recht|römischen Recht]]s, im wesentlichen gruppiert um heute als Privatrecht verstandene Materien, gingen in die Kompilation des ''[[Corpus Juris Civilis]]'' ein und wurden so konserviert. Ihre Wirkung entfaltete sich erneut seit der Epoche des Hochmittelalters: Im Italien des 11. Jahrhunderts wieder entdeckt, zog der Textbestand erhebliches Interesse auf sich, und mit der Entstehung der Universitäten breiteten sich die glossierten, dann kommentierten Lehrsätze und Regeltechniken des römischen Rechts in ganz Europa, insb. auf dem Kontinent, aus. Von ähnlich großer Wirkung für Form und Aufbau der europäischen Privatrechtsordnungen war ein zweite, auch im Hochmittelalter einsetzenden Bewegung, die der fallrechtlich entstandenen römischen Lehrtradition eine neue Ordnungsvorstellung zur Seite stellte. Die Emanzipation der Kirche vom weltlichen Kaisertum, die im Investiturstreit gipfelte, ließ nicht allein den Gedanken einer säkularen Weltordnung entstehen, die Kirche organisierte sich auch selbst in einer bislang nie gekannten Weise zu einer hierarchischen, rechtlich verfassten Anstalt um und schuf mit dem ''ius canonicum ''([[Kanonisches Recht]]) das erste moderne Rechts- und Gerichtssystem Europas (''Harold Berman''). Die römischen, vermeintlich kaiserlichen Rechtstraditionen und die kirchlichen, von theologischer Wahrheit gestützten Ordnungsideale formten Fragestellungen und Antworten der sich nun ausbreitenden gelehrten Jurisprudenz in Europa und führten zur Ausbildung des [[Ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']]. Obgleich die Autorität der römischen Überlieferung schon seit der Epoche des [[Humanismus]] neu befragt, im Zeitalter des [[Naturrecht]]s als Ausgangspunkt gar verlassen wurde, befanden sich die Doktrinen des frühneuzeitlichen ''ius commune'' in steter Transformation und reichten bis in die großen europäischen [[Kodifikation]]en und die rechtswissenschaftliche Erneuerung der [[Historische Rechtsschule|historischen Schule]] des 19. Jahrhunderts hinein. Sogar die Eigenständigkeit des angelsächsischen ''[[common law]]'' demgegenüber lässt sich bei näherer Betrachtung relativieren, denn auch hier gibt es Einflüsse aus der kontinentalen Rechtsentwicklung (''Reinhard Zimmermann''), so tief die dogmatischen und rechtskulturellen Unterschiede im Übrigen waren und sind. Innerhalb dieses Rahmens lässt sich die Entstehung vieler der heute bekannten privatrechtlichen Dogmen und Strukturen im einzelnen nachvollziehen: eine komplexe Entwicklung von Kernbegriffen und randseitigen Konzepten des Privatrechts, die über Jahrhunderte immer wieder unter neuen Umwelteinflüssen gleichsam abgerieben und in ihrem Verhältnis zueinander bestimmt wurden, teils verschwanden, andernteils einer Umdeutung unterzogen wurden. Beispiele hierfür finden sich viele, ob anhand des römischen Zentralbildes des Warenkaufs und seiner dogmatischen Ausgestaltungen, anhand der erst sukzessiven Herausbildung eines allgemeinen [[Deliktsrecht: Allgemeines und lex Aquilia|Deliktsrecht]]s, anhand des wachsenden Einflusses der Willensdoktrinen auf das Privatrechtsdenken, der Irrtumslehre ([[Irrtum]]) in ihren Transformationen und zahlreichen weiteren Teilgeschichten. Daneben tritt eine Reihe von Faktoren, die das heutige Bild des Privatrechts in Europa nicht minder geprägt haben. Nicht bloß die Denkwelt des ''common law'' gehört hierher, auch eine unübersehbare Vielfalt regionaler Rechtstraditionen in ganz Europa, die mit den gelehrten Doktrinen unterschiedlich stark verschmolzen. Allen voran geschah dies im Bereich der [[Stadtrecht]]e, die zu regional erheblich abweichenden, unterschiedlich stark romanisierten Rechtsregeln führten, und in den Lehren des ''[[usus modernus]]''. Tief wurde das gesamte europäische Privatrecht durch die Wandlungen des sich strukturierenden neuzeitlichen Kapitalismus gezeichnet: mit dem aufstrebenden Banken- und Versicherungswesen, mit den Handelscompagnien des 17. und 18. Jahrhunderts und ihrem komplexer werdenden Handels- und Gesellschafts-, sogar einem sich abzeichnenden Aktienrecht, und überhaupt durch die vielen praxisverhafteten Innovationen des europäischen Handelsverkehrs. Das 19. Jahrhundert schließlich propagierte unter dem Einfluss der bürgerlichen Ideologie eine neue Reichweite privatrechtlicher Freiheit und formte dies rechtsinstitutionell aus. Infolge der industriellen Revolution erfuhr das Privatrecht wenig später einschneidende Umwälzungen – etwa für Produktions- und Handelsprozesse oder die rechtliche Normierung abhängiger Lohnarbeit.


== 1. Private Rechtsdurchsetzung ==
Die Geschichte der europäischen Privatrechte weist also große strukturelle Parallelen und zugleich die Vielzahl ihrer nationalen Sonderentwicklungen auf. Der Dominanz der letzteren wird seit einigen Jahrzehnten durch den wachsenden Einfluss des europäischen [[Gemeinschaftsprivatrecht/‌ Unionsprivatrecht|Gemeinschaftsprivatrechts]] und durch Diskussionen wie jene um ein [[Europäisches Zivilgesetzbuch]] entgegengewirkt. Ein Spezifikum privatrechtlichen Denkens lässt sich allerdings bis in seine römische Epoche zurückverfolgen: Durch die Epochen seiner stärksten Veränderungen hindurch, sei dies in frühneuzeitlichen, naturrechtlichen ([[Naturrecht]]) oder später pandektistischen Lehren ([[Pandektensystem]]), hat es seine Verankerung im akademischen Unterricht nie verloren. Denn es basiert auf einer eigenen, autonomen Terminologie, die als ein sozialtheoretischer Ordnungsplan sich nicht von selbst versteht, sondern gelernt und eingeübt werden muss. Suchen europäische Privatrechtler ihre viel berufenen ''Lösungen'', so finden sie weniger pragmatische Auswege aus realen Konfrontationen, sondern entwerfen vielmehr typologisierte Konzepte zu Rechtsfragen, durch die eine eigenständige Rechtsdogmatik erst entstehen kann. In diesem Prozess der sog. ''Verwissenschaftlichung'' des Rechts (''Franz Wieacker'') kann man einen Motor für die Rationalisierungsprozesse der westlichen Gesellschaften seit dem Hochmittelalter erkennen. Sein wirkliches Gewicht ist freilich jenseits allgemeiner Hypothesen kaum präzise zu benennen.
Das Gesellschaftsrecht wird von mehrseitigen Rechtsbeziehungen geprägt. Dabei geht es neben der Durchsetzung durch die Verbandsorgane (siehe a) vor allem auch um eine Rechtsdurchsetzung durch die Verbandsmitglieder (siehe b).


=== a) Rechtsdurchsetzung durch Verbandsorgane ===
== 3. Privatrechtsgeschichte und europäische Rechtsvereinheitlichung ==
Die Rechtsdurchsetzung durch die Verbandsorgane findet sich in Form von Intraorganstreitigkeiten und Organstreitigkeiten. Während es bei Intraorganstreitigkeiten um die Durchsetzung rechtmäßigen Verhaltens gegenüber Mitgliedern desselben Organs geht, steht bei Organstreitigkeiten die Durchsetzung rechtmäßigen Verhaltens gegenüber einem anderen Organ im Vordergrund. Einen Sonderfall der Rechtsdurchsetzung durch Verbandsorgane bilden die Ausschlussklagen des Verbands gegen einzelne Verbandsmitglieder, für die im Allgemeinen ein wichtiger Grund notwendig ist.
Die vornationale, auf gemeinsame sozial- und geisteshistorische Ursprünge zurückgehende Entstehungsgeschichte vieler Lehren der europäischen Privatrechte wirft die Frage auf, inwieweit die rechtsgeschichtliche Forschung im aktuellen Prozess der Europäisierung des Privatrechts eine Orientierungs- und Hilfsfunktion einnehmen kann. Als historische (sog. vertikale) Rechtsvergleichung betrieben, deckt sie strukturelle Differenzen und deren Ursprünge auf, ähnlich wie dies die Disziplin der [[Rechtsvergleichung]] für die Gegenwart (horizontal) leistet. Derartige vergleichend-historische Analysen können versuchen, die europäische Nationalisierung des Privatrechts zu überwinden und in ein zukunftsfähiges Bild eines gemeineuropäischen Privatrechts zu überführen. Sie werden bereits seit längerem, vor allem in der deutschen, niederländischen, auch in der angelsächsischen Diskussion betrieben, und gerade die Nähe der akademischen Disziplin der Rechtsvergleichung zur Wissenschaft von der Rechtsgeschichte, aus der sie im frühen 20. Jahrhundert wesentliche Fragestellungen übernommen hat, legt eine solche Kooperation nahe. Bis zu welchem Umfang sich auf diesem Wege tatsächlich eine gemeineuropäisch-vergleichende Privatrechtsgeschichte als Wegbereiter für die Europäisierung des Privatrechts erreichen lässt, ist indessen fraglich. Das hängt weniger an den wissenschaftstheoretischen Einwänden dagegen, die sich in dieser Weise auch in der Rechtsvergleichung wiederfinden lassen: Es ist etwa umstritten, ob sich eine solche, stark am Leitbild des entwickelten Privatrechts orientierte Art des Vergleichs ohne weiteres auf die Geschichte des Rechts insgesamt und ihre Methoden ausdehnen lässt, ohne dabei andere Rechtsgebiete in eine konzeptionelle Peripherie zu verdrängen, die deren tatsächliches historisches oder aktuelles Gewicht verzerren würde. Ebenso wird bestritten, dass Rechtsgeschichte in erster Linie im Hinblick auf rechtsdogmatische Lösungen und nicht in Form einer ausschließlich kognitiven Geistes- und Sozialwissenschaft zu erfolgen habe – auch dies eine der Rechtsvergleichung bekannte Debatte. Das vermutlich größere Hindernis stellt vielmehr die in Europa schon bestehende Diversität der Ansätze und Traditionen dar, Rechtsgeschichte zu schreiben. Hier wird man nicht leichter zu einer gemeinsamen Version finden können als im europäischen Privatrecht selbst zu seiner Vereinheitlichung.


=== b) Rechtsdurchsetzung durch die Mitglieder des Verbands ===
== 4. Die Wissenschaften von der Rechtsgeschichte in Europa ==
Weitaus größere Bedeutung hat allerdings die Rechtsdurchsetzung durch die Mitglieder des Verbands. Diese Rechtsdurchsetzung steht dabei in einem Spannungsverhältnis zur Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis der jeweiligen Gesellschafterorgane, die im Rahmen dieser Befugnis auf die Rechtmäßigkeit des eigenen Handelns und des Handelns des Verbands verpflichtet sind. Die Möglichkeit der Durchsetzung eines allgemeinen rechtmäßigen Handelns durch die Verbandsmitglieder ist dabei rechtsformabhängig und entsprechend unterschiedlich ausgestaltet. Während etwa die Gesellschafter einer Personengesellschaft oder einer GmbH rechtmäßiges Handeln auch klageweise durchsetzen können, besteht eine solche Möglichkeit für die Aktionäre einer Aktiengesellschaft nicht. Eine bedeutsame Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang die Gesellschafterklage wegen Ansprüchen der Gesellschaft (''actio pro socio ''bzw.'' pro societate'') dar. In diesen Fällen kann das einzelne Verbandsmitglied trotz Bestehens einer Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis anderer Gesellschaftsorgane die Gesellschaft selbst bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche vertreten. Die Gesellschafterklage wegen Ansprüchen der Gesellschaft ist dabei streng von Gesellschafterklagen aus eigenem Recht zu trennen, bei denen gerade nicht in die Organisationsstruktur des Verbands in Form der Zuordnung von Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnissen an bestimmte Verbandsorgane eingegriffen wird, sondern bei denen der Gesellschafter einen ihm selbst entstandenen Anspruch geltend macht, der sich nicht in einem bloßen Reflexschaden erschöpfen darf.
Denn die rechtsgeschichtlichen Wissenschaften entstanden zwar unter im Großen ähnlichen Fragestellungen, bildeten sich aber in nationalen Kontexten näher heraus und weisen heute dementsprechend viele unterschiedliche Merkmale auf. Als historiographische Reflexion auf vergangenes Recht setzten sie im [[Humanismus]] ein, als Zeugnisse vergangenen Rechts als Gegenstand genuin historischen Interesses relevant zu werden begannen. In einem engeren Sinne ließen erst im 17. Jahrhundert neue Fragen nach den Hintergründen der eigenen nationalen Rechtstradition (so in England mit ''Sir Matthew Hale'') oder nach dem Ereignis der Rezeption des [[römisches Recht|römischen Recht]]s (so in Deutschland durch ''Hermann Conring'') die Rechtsvergangenheit als eigenes Erkenntnisobjekt entstehen. Einen auf weite Teile Europas ausstrahlenden Professionalisierungsschub erfuhr das rechtsgeschichtliche Denken durch die deutsche [[Historische Rechtsschule|historische Schule]]. Infolge ihrer Grundannahmen entwickelte sich eine quellenkritisch-philologisch unterbaute Geschichtsforschung des Rechts und begründete sich als ein eigenständiges wissenschaftliches Fach. Zum Jahrhundertende hin, einerseits unter dem Einfluss der historischen Methode ''Leopold von Rankes'', andererseits durch die sich abzeichnende [[Kodifikation]] des deutschen [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]] von 1900, steuerte es indes auf eine rechtspolitische Bedeutungslosigkeit zu und wandelte sich zwischen 1870 und etwa 1930 zu einer rein philologisch-historischen Disziplin innerhalb der rechtswissenschaftlichen Fakultäten. Die im Zuge dieser Bewegung freigesetzte, bis heute nicht wieder erreichte Intensität der rechtshistorischen Forschungsarbeit diente zwar in mehreren Ländern als Anreiz, die eigene rechtsgeschichtliche Wissenschaft zu professionalisieren (etwa in England durch ''Frederick William Maitland'' oder in Spanien durch ''Eduardo de Hinojosa''). Dies führte jedoch keineswegs zu einer gleichlaufenden wissenschaftlichen Ausrichtung, in der bis heute unterschiedliche nationale Perspektiven dominieren.


Einer der zentralen Rechtsdurchsetzungsmechanismen für Verbandsmitglieder stellt zudem das Beschlussmängelrecht dar. Die Willensbildung der Gesellschafterversammlung wird durch das Beschlussmängelrecht dahingehend geschützt, dass jede Verletzung des Gesetzes oder der Satzung einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen ist. Während schwere Mängel dabei zur Nichtigkeit des Beschlusses führen, ist für die übrigen Mängel die Unwirksamkeit von einer vorherigen gerichtlichen Geltendmachung abhängig. Im Rahmen des Beschlussmängelrechts nimmt dabei das Informationsrecht der Gesellschafter eine besondere Rolle ein, da das Beschlussmängelrecht der zentrale Sanktionsmechanismus für eine unvollständige oder unrichtige Information der Gesellschafter ist.
Einige der gemeinsamen Fragen in den europäischen Rechtsgeschichtswissenschaften sind allerdings auf gleiche äußere Einflüsse zurückzuführen, die das Verständnis vom Recht und seiner Geschichte vorbestimmen: So lässt sich im 20. Jahrhundert europaweit ein massiver Verfall des früheren Interesses an antiker und mittelalterlicher Rechtsgeschichte konstatieren, die beide zwar immer noch gelehrt und betrieben werden, neben die jedoch in starkem Maße Themen der neuzeitlichen oder modernen Rechtgeschichte, insb. des 19. Jahrhunderts selbst, getreten sind − Ausdruck einer sich verkürzenden Vergangenheitsorientierung. Ähnlich länderübergreifend stand früher die europäische Rechtsgeschichte unter dem Bann der großen Kodifikationen Europas und fokussierte auch ihr Interesse daher auf die Geschichte von ''Rechtsnormen''. Wie die französische Rechtsgeschichte im Verlauf des 20. Jahrhunderts erst langsam die Quellen gerichtlicher Praxis für sich neu entdeckte, so rückte auch in der deutschen Forschung das tatsächliche geübte Recht stärker in den Mittelpunkt, gleichlaufend mit entsprechenden Wandlungen innerhalb der [[Rechtsvergleichung]]. In Italien wurden derselbe Wechsel gar durch einen Komparatisten initiiert (''Gino Gorla''); nur im nicht vom Kodifikationsdenken geprägten England konnte sich diese Bewegung nicht ähnlich bemerkbar machen. Schließlich lässt sich feststellen, dass die Rechtsgeschichtswissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts europaweit ihre nationale Fixierung abzulegen begonnen haben, eine Folge der sich langsam neu ausrichtenden politischen Fixierung auf Gesamteuropa: Die zuweilen durch Autarkie geprägte französische Rechtshistorie begann ebenso, sich allgemeineren und übernationalen Fragen zu öffnen wie die früher oft isolationistisch wirkende englische Rechtshistorie. Auch in Italien und Deutschland dominierten lange nationale, teils nationalistische Themen und werden übernational-vergleichende Perspektiven erst seit einigen Jahrzehnten vermehrt verfolgt; offener waren dagegen seit langem die Wissenschaften in kleineren Ländern ausgerichtet (etwa den skandinavischen Ländern, in Holland, Schottland, Österreich oder der Schweiz). Natürlich kommen diese Verschiebungen auch einer gemeineuropäischen Privatrechtsgeschichte entgegen. Noch immer aber existiert nur eine kleine Zahl tiefgehender und zugleich umfassend übernational angelegter Werke.


=== c) Einfluss des europäischen Privatrechts ===
Die ähnlich gelagerten Tendenzen täuschen nicht darüber hinweg, dass die europäischen Wissenschaften der Rechtsgeschichte weiterhin disparat ausgerichtet sind. Sie entsprechen den jeweiligen nationalen Rechtsidentitäten, und sie erfassen Vergangenheit und Entwicklung des Rechts unter je anderen und ungleichzeitigen Vorbegriffen, was große Konsequenzen auch für die methodische Herangehensweise hat. Während in Frankreich die alte Fixierung auf die nationalmythische Epochengrenze von Französischer Revolution und ''[[Code civil]] ''erst langsam zu verblassen beginnt, erhebt sich in manchen Teilen Europas die Frage nach der nationalen Identität einer eigenen Rechtsgeschichte seit 1989 erst neu und mit ungebrochener Kraft, etwa in der Slowakei oder Litauen. Während einige osteuropäische Staaten kaum über eine gewachsene rechtsgeschichtliche Forschung verfügen, blicken andere (etwa Polen oder Ungarn) auf eine schon lange Tradition zurück. In der deutschen Rechtskultur nimmt die akademische Rechtslehre traditionell einen hohen Stellenwert ein, und so pflegt auch die deutsche Rechtsgeschichtswissenschaft ein großes Interesse an der gelehrten Jurisprudenz der Vergangenheit. Dagegen existiert ein ganz anderes Vorverständnis in der englischen Rechtsgeschichte. Hier führt seit je her das Leitbild eines tradierten und in seiner Grundsubstanz unkodifzierten Rechts zu einem eigenen Ansatz: Rechtsgeschichte ist eher auf frühere Rechtsprechung und Urteilsbegründungen denn auf die akademische Rechtslehre fixiert. Überhaupt versteht sie sich seltener als auf dem Kontinent als eine Form historisierter Erkenntnis; sie ist stärker geneigt, die eigene Rechtsvergangenheit nach Autorität und auf normative Kraft hin zu durchsuchen, womit der rechtshistorischen Analyse eine andere Rolle zukommt als auf dem Kontinent (insb. Italien, Spanien oder Frankreich).
(i) Harmonisierung des nationalen Gesellschaftsrechts. Trotz der umfangreichen Maßnahmen zur Harmonisierung des Gesellschaftsrechts im Binnenmarkt war der Problemkreis der Rechtsdurchsetzung davon bisher kaum betroffen.  


Die umfangreichste Regelung findet sich insofern in der Publizitäts-RL (RL 68/‌151), die aber stärker die staatliche Rechtsdurchsetzung in Form der registerrechtlichen Kontrolle betrifft (s.u. 2.b)(i)). Weitere Regelungen betreffend die Durchsetzung mitgliedschaftlicher Rechte enthielt zudem der Vorschlag für eine Fünfte gesellschaftsrechtliche Richtlinie (Struktur-RL), die vom europäischen Gesetzgeber zwischenzeitlich allerdings aufgegeben wurde. Schließlich hat die Aktionärsrechte-RL (RL 2007/‌‌36) erheblichen Einfluss auf die Durchsetzung mitgliedschaftlicher Rechte bei börsennotierten Gesellschaften. Dabei sind vor allem die Modalitäten der Unterrichtung von Aktionären im Vorfeld der Hauptversammlung etwa in Form der Verpflichtung der Gesellschaft zur Bereitstellung von Unterlagen zur Vorbereitung der Hauptversammlung im Internet betroffen (Art. 4 ff.). Darüber hinaus werden auch die Fragerechte der Aktionäre auf der Hauptversammlung und die Ausübung des Stimmrechts auf der Hauptversammlung insbesondere auch auf elektronischem Wege harmonisiert (Art. 8 ff.). Keine ausdrückliche Regelung enthält die Aktionärsrechte-RL allerdings hinsichtlich der Sanktionen bei einer Verletzung dieser Regelungen durch die Gesellschaft bzw. ihre Vertreter. Insofern werden weitergehende Klagerechte oder andere Formen der Rechtsdurchsetzung für die Verbandsorgane oder deren Mitglieder durch die Aktionärsrechte-RL auch nicht geschaffen.
Neben derartige, durch die jeweilige [[Rechtskultur]] bedingte Differenzen tritt das grundsätzliche Positionierungsdilemma der Rechtsgeschichte zwischen den Rechts- und den Geschichtswissenschaften. „What the lawyer wants is authority”, brachte dies ''Maitland ''knapp auf eine Formel, „what the historian wants is evidence … The lawyer must be orthodox otherwise he is no lawyer; an orthodox history seems to me a contradiction in terms.” Nur auf den ersten Blick ist dies identisch mit einer zweiten Frage: In welchem Maße sollen in der Rechtsgeschichte kultur- und sozialwissenschaftliche Kategorien dominieren, wie weit dagegen genuin rechtswissenschaftliche Begriffe? Eine Anschauung von ihr geben schon die einzelnen Forschungstraditionen. Unterschiede zeigen sich etwa zwischen der französischen und der italienischen Auffassung von dem, was ''Institutionengeschichte'' sei, oder besonders plastisch anhand der Rechtsgeschichtsforschung in den USA, die trotz ihrer Zugehörigkeit zur ''common law''-Tradition weitaus stärker als die britische nach sozialwissenschaftlichen Idealen ausgerichtet ist. Doch nicht zwischen den verschiedenen nationalen Rechtskulturen, sondern mitten in ihnen selbst verlaufen diese Fronten der methodischen Grundorientierungen für die Sicht auf das vergangene Recht; es sind diejenigen der heutigen Rechtswissenschaften insgesamt. Auch eine Privatrechtsgeschichte muss hier ihren Bezugsrahmen wählen, der unterschiedlich ausfallen kann. Die heute wahrgenommene Beschleunigung des rechtskulturellen Wandels zieht oft den Verlust von Kontinuitätsbewusstsein nach sich, und die Suche nach einer rechtsdogmatischen Ordnung der Vergangenheit mag dementsprechend an Reiz verlieren. Es kann aber im Gegenteil auch zum Versuch anregen, das Recht der Gegenwart kohärenter und traditionsbewusster zu gestalten. Derart weltanschauungsgeladene Alternativen verleiten, zumal im Verbund mit einem euphorischen Glauben an die Macht wissenschaftlicher Methodik, zu leidenschaftlichen Theorie-Debatten, wo es tatsächlich um Bekenntnis geht. Welche Ausrichtung die Geschichte des europäischen Privatrechts auch künftig erhält – aus den vielen Rechtsgeschichten wird eine europäische Rechtsgeschichtswissenschaft nur in dem Maße werden, in dem der Europäisierungsprozess des Rechts selbst fortgeschritten und nachvollzogen ist.


Die Harmonisierungsbemühungen des europäischen Gesetzgebers konzentrieren sich in einer Reihe von Richtlinien zunehmend auf die Verantwortlichkeit von Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorganen von börsennotierten Gesellschaften. So normieren etwa Art. 50c Jahresabschluss-RL (RL 78/‌660) und Art. 7 Transparenz-RL (RL 2004/‌109) eine Verantwortlichkeit für die Aufstellung bzw. Veröffentlichung von Unternehmensabschlüssen.
==Literatur==
 
''Helmut Coing'', Die europäische Privatrechtsgeschichte der neueren Zeit als einheitliches Forschungsgebiet, Ius Commune 1 (1967) 1 ff.; ''Francisco Tomás y Valiente'','' ''Escuelas e historiografía en la historia del derecho español (1960–1985), in: Bartolomé Clavero, Paolo Grossi, Francisco Tomás y Valiente (Hg.), Hispania entre derechos proprios y derechos nacionales, 1990, 11 ff;'' Reinhard Zimmermann'', Der europäische Charakter des englischen Rechts, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 1 (1993) 4 ff; ''Jean Hilaire'','' ''L’approche historique d’un système juridique: l’enjeu français, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 62 (1994) 35 ff.;'' Peter Stein'','' ''Legal history: the british perspective, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 62 (1994) 71 ff; ''Mathias Reimann'','' Alain Levasseur'','' ''Comparative Law and Legal History in the United States, American Journal of Comparative Law Supplement 46 (1998) 1 ff;'' Pio Caroni'','' Gerhard Dilcher'' (Hg.), Norm und Tradition. Welche Geschichtlichkeit für die Rechtsgeschichte?/‌Fra norma e tradizione: Quale storicità per la storia giuridica?, 1998; ''Kjell Å. Modéer'' (Hg.), Rättshistoria i förändring. Olinska stiftelsen 50 år/‌Legal History in Change. The Olin Foundation for Legal History 50 Years, 2002.  
Die vor allem auf dem Gebiet des Kartellrechts (Weißbuch der Kommission „Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts“, KOM (2008) 165 endg.) und des Verbraucherschutzrechts zunehmende Debatte über die Schaffung einer kollektiven Durchsetzungsmöglichkeit für Geschädigte sind bisher auf dem Gebiet des Europäischen Gesellschaftsrechts nicht weiter fortgeschritten.
 
(ii)&nbsp;Supranationale Gesellschaften. Die bisherigen supranationalen Gesellschaftsformen ([[Gesellschaftsrecht]]) der [[Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung|Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV)]], der [[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)|Europäischen Aktiengesellschaft (SE – ''Societas Europaea'']]) und der [[Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea)|Europäischen Genossenschaft (SCE – ''Societas Cooperativa Europaea'')]] enthalten zur Rechtsdurchsetzung durch die jeweilige Organe oder Gesellschafter kaum (eigene) Vorschriften, so dass entsprechend das nationale Recht des Sitzstaates für Fragen des Beschlussmängelrechts, der Intraorganstreitigkeiten bzw. Organstreitigkeiten<nowiki> und der Klagen der Gesellschafter zur Anwendung kommt (Art.&nbsp;2 Abs.&nbsp;1 EWIV-VO [VO&nbsp;2137/‌85], Art.&nbsp;9 SE-VO [VO&nbsp;2157/‌2001], Art.&nbsp;8 SCE-VO [VO&nbsp;1435/‌2003]). Auch das an sich auf eine Anwendung nationalen Rechts verzichtende Statut der </nowiki>geplanten [[Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea)|Europäischen Privatgesellschaft]] (SPE –''Societas Privata Europaea'') enthält keine direkten Durchsetzungsmechanismen für die Organe oder die Gesellschafter. Insofern bleibt es für die Durchsetzung – die Begründung eines klagbaren Anspruchs durch das SPE-Statut vorausgesetzt – bei der Anwendung nationalen Rechts.
 
(iii)&nbsp;Europäisches Zivilprozess- und Insolvenzrecht. Das [[Europäisches Zivilprozessrecht|europäische Zivilprozessrecht]] regelt die Fragen der Rechtsdurchsetzung im Gesellschaftsrecht nur äußerst sporadisch und meist unzureichend. So enthält die Brüssel&nbsp;I-VO (VO&nbsp;44/‌2001) ([[Zuständigkeit, internationale]]; [[Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen]]) zu den gesellschaftsrechtlichen Klagearten kaum Regelungen. Lediglich Art.&nbsp;22 Nr.&nbsp;2 Brüssel&nbsp;I-VO statuiert einen ausschließlichen Gerichtsstand am Sitz der Gesellschaft oder juristischen Person für Klagen betreffend die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder juristischen Person oder die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe. Dabei wird allerdings die Frage nach der Bestimmung des Sitzes der Gesellschaft oder juristischen Person bereits dem internationalen Privatrecht des jeweiligen Mitgliedstaates überantwortet. Abgesehen von dieser unvollständigen Zuständigkeitsregelung enthält das europäische Prozessrecht keine weiteren gesellschaftsrechtlichen Regelungen. Insofern bleibt es bei der Anwendung der allgemeinen Vorschriften, die aber aufgrund des meist bestehenden Beklagtengerichtsstandes oftmals keine Verfahrenskonzentration am Sitz der Gesellschaft bewirken und insofern eine entsprechende Rechtsdurchsetzung erschweren.
 
Ähnlich verhält es sich auch im Rahmen des europäischen Insolvenzrechts ([[Insolvenz, grenzüberschreitende]]). Die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO, VO&nbsp;1346/‌2000) enthält für die Insolvenz von Gesellschaften oder juristischen Personen keinerlei gesonderte Regelungen, so dass insofern die auch auf natürliche Personen geltenden Vorschriften zur Anwendung kommen. Lediglich bei der Zuständigkeit enthält Art.&nbsp;3(1)2 EuInsVO eine Sonderregelung in Form einer widerlegbaren Vermutung des Bestehens des Mittelpunkts seiner hauptsächlichen Interessen (''Center of Main Interest ''<nowiki>[COMI]</nowiki>'')'' am Satzungssitz der Gesellschaft bzw. der juristischen Person. Der EuGH hat den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen in der ''Eurofood''-Entscheidung (EuGH Rs.&nbsp;C-341/‌04, Slg. 2006, I-3813) dahingehend konkretisiert, dass dafür objektive und für Dritte feststellbare Kriterien vorliegen müssen, so dass insbesondere bei Konzerntochtergesellschaften der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nicht ohne weiteres am Sitz der Konzernmuttergesellschaft besteht.
 
(iv) Einfluss der Grundfreiheiten. Die Grundfreiheiten sind für die Rechtsdurchsetzung von Gesellschaftsrecht durch Verbandsorgane oder Verbandsmitglieder bisher nicht von Bedeutung. Ein Bezugspunkt besteht lediglich hinsichtlich der [[Niederlassungsfreiheit]] dahingehend, dass sowohl für Verbände als auch für deren Mitglieder eine umfassende Mobilität im Binnenmarkt besteht und entsprechende Beschränkungen der Mitgliedstaaten europarechtswidrig und daher nicht anzuwenden sind. Diese Mobilität führt aufgrund der unzureichenden Regelung von gesellschaftsrechtlichen Zuständigkeiten im Europäischen Zivilprozessrecht oftmals zu einer fehlenden Konzentration der Streitigkeiten am Sitz der Gesellschaft (s.o. 1.c)(iii)).
 
== 2. Staatliche Rechtsdurchsetzung  ==
Die staatliche Rechtsdurchsetzung im Gesellschaftsrecht erfolgt im Wesentlichen durch die registerrechtliche Kontrolle. Darüber hinaus erfolgt eine zunehmende Durchsetzung gesellschaftsrechtlicher Fragestellungen durch kapitalmarktrechtliche Aufsichtsbehörden ([[Kapitalmarktrecht]]). Auch der [[Abschlussprüfer]] und die staatliche Überwachung seiner Tätigkeit sowie diejenige der von ihm erstellen Abschlüsse gehören hierher
 
=== a) Registerrechtliche Kontrolle ===
Bei der registerrechtlichen Kontrolle muss zwischen deklaratorischen und konstitutiven Handelsregistereintragungen unterschieden werden. Das Registergericht prüft aber unabhängig von der Frage des konstitutiven oder deklaratorischen Charakters einer Eintragung zunächst aber immer die förmlichen und materiellen Voraussetzungen einer Eintragung (§&nbsp;12 FGG).
 
Bei den deklaratorischen Handelsregistereintragungen besteht zwar keine unmittelbare staatliche Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit in Form der Kontrolle durch das Registergericht, allerdings wird eine mittelbare Durchsetzungsmöglichkeit durch die Wirkungen der Registerpublizität erreicht, da sich die Eintragungsverpflichteten gegenüber dem allgemeinen Rechtsverkehr auf eine Änderung der Rechtslage erst berufen können, wenn diese auch im Handelsregister eingetragen wurde. Die zentrale staatliche Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit stellt aber die konstitutive Handelsregistereintragung dar, da der Eintritt der Änderung der Rechtslage von einer Eintragung im Handelsregister und damit von einer vorherigen Prüfung durch das Registergericht abhängt. Vor allem im Recht der Kapitalgesellschaften spielt die Registerkontrolle bei den meisten Gründungsvorgängen und Strukturmaßnahmen eine zentrale Rolle.
 
=== b) Einfluss des europäischen Privatrechts ===
(i)&nbsp;Harmonisierung des nationalen Gesellschaftsrechts. Das Handelsregister wird vor allem durch die Publizitäts-RL adressiert. Dabei beschränkt sich die Publizitäts-RL allerdings auf die Publi-zitätswirkungen von Handelsregistereintragungen, ohne aber selbst zu regeln, in welchem Umfang die Registergerichte die einzutragenden Umstände bzw. einzureichenden Unterlagen auf ihre Richtigkeit überprüfen sollen. Auch die weiteren gesellschaftsrechtlichen Richtlinien enthalten zwar meist einen Verweis auf die Publizitäts-RL hinsichtlich des Offenlegungsverfahrens, der Maßstab der Kontrolle durch das Registergericht ist aber aufgrund einer fehlender Regelung dem nationalen Recht überlassen. So verweist etwa Art.&nbsp;25 Kapitalschutz-RL (RL&nbsp;77/‌‌91) für die Bekanntmachung einer Kapitalerhöhung lediglich auf das Verfahren nach Art.&nbsp;3 Publizitäts-RL.


(ii)&nbsp;Supranationale Gesellschaften. Bei den supranationalen Gesellschaften ist eine Kontrolle durch die Registergerichte bei der Gründung der Gesellschaft – insbesondere hinsichtlich der Anwendung der Mitbestimmungsregeln bei der Europäischen Aktiengesellschaft und der Europäischen Genossenschaft – und bei ihrer (sofern zugelassen) Sitzverlegung vorgesehen (vgl. für die Europäische Aktiengesellschaft (SE – ''Societas Europaea'') Art.&nbsp;8(8) und 9, 15&nbsp;ff. SE-VO; für die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) Art.&nbsp;14(2) EWIV-VO; für die Europäische Genossenschaft (SCE – ''Societas Cooperativa Europaea'') Art.&nbsp;7 Abs.&nbsp;8, 11(2), 17&nbsp;ff. SCE-VO). Das gleiche gilt auch für das Statut der geplanten Europäischen Privatgesellschaft (SPE – ''Societas Privata Europaea'') nach deren Art.&nbsp;10(4)(a). Für die übrigen Verfahren wird für die supranationalen Gesellschaftsformen auf das in der Publizitäts-RL geregelte Verfahren verwiesen.
==Gesamtdarstellungen==
 
''Franz Wieacker'', Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.&nbsp;Aufl. 1967; ''John Gilissen'','' ''Introduction historique au droit. Esquisse d’une histoire universelle du droit, 1979; ''Helmut Coing'','' ''Europäisches Privatrecht, Bd.&nbsp;1 1985, Bd.&nbsp;2 1989;'' Harold J. Berman'', Recht und Revolution. Die Bildung der westlichen Rechtstradition, 1991;'' Reinhard Zimmermann'', The Law of Obligations, 1996; ''Olivia F. Robinson'','' T. David Fergus'','' William M. Gordon'', European Legal History, 3.&nbsp;Aufl. 2000.
(iii)&nbsp;Europäisches Prozessrecht. Das Eintragungsverfahren bei den Handelsregistern unterfällt als öffentlich-rechtliches Verfahren nicht der Brüssel&nbsp;I-VO. Insofern bleibt es auch hinsichtlich des Zuständigkeitsrechts bei der Anwendung nationalen Rechts.
 
Eine Besonderheit besteht zudem im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art.&nbsp;234 EG/‌267 AEUV. Nach der Rechtsprechung des EuGH besteht für Registergerichte kein Vorlagerecht im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art.&nbsp;234(2) EG/‌267(2) AEUV, da es sich bei Registergerichten nicht um Gerichte i.S.v. Art.&nbsp;234 EG, sondern vielmehr um bloße Verwaltungsbehörden handeln soll (EuGH Rs.&nbsp;C-86/‌00 – ''HSB-Wohnbau GmbH'', Slg. 2001, I-5353, 5360; EuGH Rs.&nbsp;C-447/‌00 – ''Holto Ltd''., Slg. 2002, I-735, 744). Diese Beschränkung des Vorlagerechts verhindert eine effektive Durchsetzung des Europäischen Gesellschaftsrechts, da eine Reihe von Auslegungs- und Anwendungsfragen des harmonisierten Rechts sich typischerweise im Zusammenhang mit einer registerrechtlichen Kontrolle stellen.
 
==Literatur==
''Karsten Schmidt'', „Insichprozesse“ durch Leistungsklagen in der Aktiengesellschaft, Zeitschrift für den Zivilprozess 92 (1979) 212&nbsp;ff.; ''Peter Hommelhoff'', Der aktienrechtliche Organstreit. Vorüberlegungen zu den Organkompetenzen und ihrer gerichtlichen Durchsetzbarkeit, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 143 (1979) 288&nbsp;ff.; ''Ludwig Häsemeyer'', Der interne Rechtsschutz zwischen Organen, Organmitgliedern und Mitgliedern der Kapitalgesellschaft als Problem der Prozeßführungsbefugnis, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 144 (1980) 265&nbsp;ff; ''Barbara Grunewald'', Die Gesellschafterklage in der Personengesellschaft und GmbH, 1990; ''Klaus Gerd Krieger'', Aktionärsklage zur Kontrolle des Vorstands- und Aufsichtsratshandelns, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 163 (1999) 343&nbsp;ff.; ''Martin Schwab'', Das Prozessrecht gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten, 2005; ''Klaus J. Hopt'' (Hg.), Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, 2005; ''Sebastian Mock'', Die actio pro socio im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 72 (2008) 264&nbsp;ff.


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Version vom 28. September 2021, 18:44 Uhr

von Johannes Liebrecht

1. Rechtsgeschichte und Rechtsgeschichten

Die Rechtsordnungen der europäischen Staaten enthalten bekanntlich eine Vielzahl an Gebieten, die stark abweichende Strukturen und Zielsetzungen sowie unterschiedliche Veränderungsdynamiken aufweisen. Nicht nur außerhalb des Privatrechts gibt es zahlreiche anders gelagerte Felder des Rechts, auch innerhalb des Privatrechts finden sich sowohl spezielle Materien, etwa Verbraucher und Verbraucherschutz oder das Recht des Versicherungsvertrags, als auch eigenständige Rechtsgebiete (wie etwa das Handels-, Gesellschafts- oder Arbeitsrecht). Neben diese Vielfalt an gewachsenen Sachstrukturen im Recht tritt ein nicht minder breites Angebot an analytischen Zugängen zu ihm, über die bisweilen heftige Kontroversen geführt werden. Sie reichen von traditionell-dogmatischer Argumentation, die sich an der Auslegung von Rechtsnormen und vielfach am Ideal systemischer Kohärenz orientiert, über eine funktional angelegte Rechtsvergleichung und eine empirisch-soziologische Erhebung der Rechtswirklichkeit bis hin zur ökonomischen Analyse des Rechts in ihren verschiedenen Spielarten. Dass es keine einheitliche Geschichte des Rechts gibt, verwundert angesichts dessen nicht. Denn auch sie kann nicht nur von je unterschiedlichen Rechtsgebieten her, sondern ebenso mit verschiedenen Maßgaben erschlossen werden. Es gibt sie als eine Geschichte weit zurückreichender Rechtsregeln (etwa der Mängelgewährleistung beim Kauf), doch auch als eine umfassend-allgemeine, eher philosophienahe Ideengeschichte (etwa über die Entstehung der Vorstellung vom subjektiven Recht). Sie kann sowohl als Geschichte von rechtlich verfassten Institutionen innerhalb einer Gesellschaft (so von Ehe und Scheidung und ihrem Recht), wie auch als Geschichte von öffentlichen Strategien zur gesellschaftlichen Disziplinierung und der Sanktionierung abweichenden Verhaltens (historische Kriminologie), aber auch unter vielen weiteren Perspektiven verstanden werden. Nur scheinbar überzeitliche Faktoren wie Rechtslehre, Rechtsprechung oder Gesetz und Gesetzgebung gewinnen dabei je unterschiedliches Gewicht.

2. Die europäische Dimension der Privatrechtsgeschichte

Eine dieser vielfältigen Geschichten vom Recht umfasst die Entwicklung des heutigen Privatrechts in Europa. In ihr vollzieht sich eine der für die westliche Zivilisation wichtigsten Entwicklungen des Rechts, denn sie handelt von der Entstehung und Überlieferung einer spezifischen, dogmatisch-wissenschaftlich betriebenen Rechtslehre, ein in dieser Weise singuläres und folgenreiches Geschehen. Sein Beginn lenkt in die vorchristliche Zeit zurück, als die hellenistischen Wissenschaftslehren in die Rechtskultur der römischen Antike eindrangen und zur Ausbildung einer immer höher differenzierten und regelgeleiteten Rechtsordnung, zu einer spezifischen juristischen Literatur und der neuartigen Profession der Juristen führten. Die Lehren des sog. klassischen römischen Rechts, im wesentlichen gruppiert um heute als Privatrecht verstandene Materien, gingen in die Kompilation des Corpus Juris Civilis ein und wurden so konserviert. Ihre Wirkung entfaltete sich erneut seit der Epoche des Hochmittelalters: Im Italien des 11. Jahrhunderts wieder entdeckt, zog der Textbestand erhebliches Interesse auf sich, und mit der Entstehung der Universitäten breiteten sich die glossierten, dann kommentierten Lehrsätze und Regeltechniken des römischen Rechts in ganz Europa, insb. auf dem Kontinent, aus. Von ähnlich großer Wirkung für Form und Aufbau der europäischen Privatrechtsordnungen war ein zweite, auch im Hochmittelalter einsetzenden Bewegung, die der fallrechtlich entstandenen römischen Lehrtradition eine neue Ordnungsvorstellung zur Seite stellte. Die Emanzipation der Kirche vom weltlichen Kaisertum, die im Investiturstreit gipfelte, ließ nicht allein den Gedanken einer säkularen Weltordnung entstehen, die Kirche organisierte sich auch selbst in einer bislang nie gekannten Weise zu einer hierarchischen, rechtlich verfassten Anstalt um und schuf mit dem ius canonicum (Kanonisches Recht) das erste moderne Rechts- und Gerichtssystem Europas (Harold Berman). Die römischen, vermeintlich kaiserlichen Rechtstraditionen und die kirchlichen, von theologischer Wahrheit gestützten Ordnungsideale formten Fragestellungen und Antworten der sich nun ausbreitenden gelehrten Jurisprudenz in Europa und führten zur Ausbildung des ius commune. Obgleich die Autorität der römischen Überlieferung schon seit der Epoche des Humanismus neu befragt, im Zeitalter des Naturrechts als Ausgangspunkt gar verlassen wurde, befanden sich die Doktrinen des frühneuzeitlichen ius commune in steter Transformation und reichten bis in die großen europäischen Kodifikationen und die rechtswissenschaftliche Erneuerung der historischen Schule des 19. Jahrhunderts hinein. Sogar die Eigenständigkeit des angelsächsischen common law demgegenüber lässt sich bei näherer Betrachtung relativieren, denn auch hier gibt es Einflüsse aus der kontinentalen Rechtsentwicklung (Reinhard Zimmermann), so tief die dogmatischen und rechtskulturellen Unterschiede im Übrigen waren und sind. Innerhalb dieses Rahmens lässt sich die Entstehung vieler der heute bekannten privatrechtlichen Dogmen und Strukturen im einzelnen nachvollziehen: eine komplexe Entwicklung von Kernbegriffen und randseitigen Konzepten des Privatrechts, die über Jahrhunderte immer wieder unter neuen Umwelteinflüssen gleichsam abgerieben und in ihrem Verhältnis zueinander bestimmt wurden, teils verschwanden, andernteils einer Umdeutung unterzogen wurden. Beispiele hierfür finden sich viele, ob anhand des römischen Zentralbildes des Warenkaufs und seiner dogmatischen Ausgestaltungen, anhand der erst sukzessiven Herausbildung eines allgemeinen Deliktsrechts, anhand des wachsenden Einflusses der Willensdoktrinen auf das Privatrechtsdenken, der Irrtumslehre (Irrtum) in ihren Transformationen und zahlreichen weiteren Teilgeschichten. Daneben tritt eine Reihe von Faktoren, die das heutige Bild des Privatrechts in Europa nicht minder geprägt haben. Nicht bloß die Denkwelt des common law gehört hierher, auch eine unübersehbare Vielfalt regionaler Rechtstraditionen in ganz Europa, die mit den gelehrten Doktrinen unterschiedlich stark verschmolzen. Allen voran geschah dies im Bereich der Stadtrechte, die zu regional erheblich abweichenden, unterschiedlich stark romanisierten Rechtsregeln führten, und in den Lehren des usus modernus. Tief wurde das gesamte europäische Privatrecht durch die Wandlungen des sich strukturierenden neuzeitlichen Kapitalismus gezeichnet: mit dem aufstrebenden Banken- und Versicherungswesen, mit den Handelscompagnien des 17. und 18. Jahrhunderts und ihrem komplexer werdenden Handels- und Gesellschafts-, sogar einem sich abzeichnenden Aktienrecht, und überhaupt durch die vielen praxisverhafteten Innovationen des europäischen Handelsverkehrs. Das 19. Jahrhundert schließlich propagierte unter dem Einfluss der bürgerlichen Ideologie eine neue Reichweite privatrechtlicher Freiheit und formte dies rechtsinstitutionell aus. Infolge der industriellen Revolution erfuhr das Privatrecht wenig später einschneidende Umwälzungen – etwa für Produktions- und Handelsprozesse oder die rechtliche Normierung abhängiger Lohnarbeit.

Die Geschichte der europäischen Privatrechte weist also große strukturelle Parallelen und zugleich die Vielzahl ihrer nationalen Sonderentwicklungen auf. Der Dominanz der letzteren wird seit einigen Jahrzehnten durch den wachsenden Einfluss des europäischen Gemeinschaftsprivatrechts und durch Diskussionen wie jene um ein Europäisches Zivilgesetzbuch entgegengewirkt. Ein Spezifikum privatrechtlichen Denkens lässt sich allerdings bis in seine römische Epoche zurückverfolgen: Durch die Epochen seiner stärksten Veränderungen hindurch, sei dies in frühneuzeitlichen, naturrechtlichen (Naturrecht) oder später pandektistischen Lehren (Pandektensystem), hat es seine Verankerung im akademischen Unterricht nie verloren. Denn es basiert auf einer eigenen, autonomen Terminologie, die als ein sozialtheoretischer Ordnungsplan sich nicht von selbst versteht, sondern gelernt und eingeübt werden muss. Suchen europäische Privatrechtler ihre viel berufenen Lösungen, so finden sie weniger pragmatische Auswege aus realen Konfrontationen, sondern entwerfen vielmehr typologisierte Konzepte zu Rechtsfragen, durch die eine eigenständige Rechtsdogmatik erst entstehen kann. In diesem Prozess der sog. Verwissenschaftlichung des Rechts (Franz Wieacker) kann man einen Motor für die Rationalisierungsprozesse der westlichen Gesellschaften seit dem Hochmittelalter erkennen. Sein wirkliches Gewicht ist freilich jenseits allgemeiner Hypothesen kaum präzise zu benennen.

3. Privatrechtsgeschichte und europäische Rechtsvereinheitlichung

Die vornationale, auf gemeinsame sozial- und geisteshistorische Ursprünge zurückgehende Entstehungsgeschichte vieler Lehren der europäischen Privatrechte wirft die Frage auf, inwieweit die rechtsgeschichtliche Forschung im aktuellen Prozess der Europäisierung des Privatrechts eine Orientierungs- und Hilfsfunktion einnehmen kann. Als historische (sog. vertikale) Rechtsvergleichung betrieben, deckt sie strukturelle Differenzen und deren Ursprünge auf, ähnlich wie dies die Disziplin der Rechtsvergleichung für die Gegenwart (horizontal) leistet. Derartige vergleichend-historische Analysen können versuchen, die europäische Nationalisierung des Privatrechts zu überwinden und in ein zukunftsfähiges Bild eines gemeineuropäischen Privatrechts zu überführen. Sie werden bereits seit längerem, vor allem in der deutschen, niederländischen, auch in der angelsächsischen Diskussion betrieben, und gerade die Nähe der akademischen Disziplin der Rechtsvergleichung zur Wissenschaft von der Rechtsgeschichte, aus der sie im frühen 20. Jahrhundert wesentliche Fragestellungen übernommen hat, legt eine solche Kooperation nahe. Bis zu welchem Umfang sich auf diesem Wege tatsächlich eine gemeineuropäisch-vergleichende Privatrechtsgeschichte als Wegbereiter für die Europäisierung des Privatrechts erreichen lässt, ist indessen fraglich. Das hängt weniger an den wissenschaftstheoretischen Einwänden dagegen, die sich in dieser Weise auch in der Rechtsvergleichung wiederfinden lassen: Es ist etwa umstritten, ob sich eine solche, stark am Leitbild des entwickelten Privatrechts orientierte Art des Vergleichs ohne weiteres auf die Geschichte des Rechts insgesamt und ihre Methoden ausdehnen lässt, ohne dabei andere Rechtsgebiete in eine konzeptionelle Peripherie zu verdrängen, die deren tatsächliches historisches oder aktuelles Gewicht verzerren würde. Ebenso wird bestritten, dass Rechtsgeschichte in erster Linie im Hinblick auf rechtsdogmatische Lösungen und nicht in Form einer ausschließlich kognitiven Geistes- und Sozialwissenschaft zu erfolgen habe – auch dies eine der Rechtsvergleichung bekannte Debatte. Das vermutlich größere Hindernis stellt vielmehr die in Europa schon bestehende Diversität der Ansätze und Traditionen dar, Rechtsgeschichte zu schreiben. Hier wird man nicht leichter zu einer gemeinsamen Version finden können als im europäischen Privatrecht selbst zu seiner Vereinheitlichung.

4. Die Wissenschaften von der Rechtsgeschichte in Europa

Denn die rechtsgeschichtlichen Wissenschaften entstanden zwar unter im Großen ähnlichen Fragestellungen, bildeten sich aber in nationalen Kontexten näher heraus und weisen heute dementsprechend viele unterschiedliche Merkmale auf. Als historiographische Reflexion auf vergangenes Recht setzten sie im Humanismus ein, als Zeugnisse vergangenen Rechts als Gegenstand genuin historischen Interesses relevant zu werden begannen. In einem engeren Sinne ließen erst im 17. Jahrhundert neue Fragen nach den Hintergründen der eigenen nationalen Rechtstradition (so in England mit Sir Matthew Hale) oder nach dem Ereignis der Rezeption des römischen Rechts (so in Deutschland durch Hermann Conring) die Rechtsvergangenheit als eigenes Erkenntnisobjekt entstehen. Einen auf weite Teile Europas ausstrahlenden Professionalisierungsschub erfuhr das rechtsgeschichtliche Denken durch die deutsche historische Schule. Infolge ihrer Grundannahmen entwickelte sich eine quellenkritisch-philologisch unterbaute Geschichtsforschung des Rechts und begründete sich als ein eigenständiges wissenschaftliches Fach. Zum Jahrhundertende hin, einerseits unter dem Einfluss der historischen Methode Leopold von Rankes, andererseits durch die sich abzeichnende Kodifikation des deutschen BGB von 1900, steuerte es indes auf eine rechtspolitische Bedeutungslosigkeit zu und wandelte sich zwischen 1870 und etwa 1930 zu einer rein philologisch-historischen Disziplin innerhalb der rechtswissenschaftlichen Fakultäten. Die im Zuge dieser Bewegung freigesetzte, bis heute nicht wieder erreichte Intensität der rechtshistorischen Forschungsarbeit diente zwar in mehreren Ländern als Anreiz, die eigene rechtsgeschichtliche Wissenschaft zu professionalisieren (etwa in England durch Frederick William Maitland oder in Spanien durch Eduardo de Hinojosa). Dies führte jedoch keineswegs zu einer gleichlaufenden wissenschaftlichen Ausrichtung, in der bis heute unterschiedliche nationale Perspektiven dominieren.

Einige der gemeinsamen Fragen in den europäischen Rechtsgeschichtswissenschaften sind allerdings auf gleiche äußere Einflüsse zurückzuführen, die das Verständnis vom Recht und seiner Geschichte vorbestimmen: So lässt sich im 20. Jahrhundert europaweit ein massiver Verfall des früheren Interesses an antiker und mittelalterlicher Rechtsgeschichte konstatieren, die beide zwar immer noch gelehrt und betrieben werden, neben die jedoch in starkem Maße Themen der neuzeitlichen oder modernen Rechtgeschichte, insb. des 19. Jahrhunderts selbst, getreten sind − Ausdruck einer sich verkürzenden Vergangenheitsorientierung. Ähnlich länderübergreifend stand früher die europäische Rechtsgeschichte unter dem Bann der großen Kodifikationen Europas und fokussierte auch ihr Interesse daher auf die Geschichte von Rechtsnormen. Wie die französische Rechtsgeschichte im Verlauf des 20. Jahrhunderts erst langsam die Quellen gerichtlicher Praxis für sich neu entdeckte, so rückte auch in der deutschen Forschung das tatsächliche geübte Recht stärker in den Mittelpunkt, gleichlaufend mit entsprechenden Wandlungen innerhalb der Rechtsvergleichung. In Italien wurden derselbe Wechsel gar durch einen Komparatisten initiiert (Gino Gorla); nur im nicht vom Kodifikationsdenken geprägten England konnte sich diese Bewegung nicht ähnlich bemerkbar machen. Schließlich lässt sich feststellen, dass die Rechtsgeschichtswissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts europaweit ihre nationale Fixierung abzulegen begonnen haben, eine Folge der sich langsam neu ausrichtenden politischen Fixierung auf Gesamteuropa: Die zuweilen durch Autarkie geprägte französische Rechtshistorie begann ebenso, sich allgemeineren und übernationalen Fragen zu öffnen wie die früher oft isolationistisch wirkende englische Rechtshistorie. Auch in Italien und Deutschland dominierten lange nationale, teils nationalistische Themen und werden übernational-vergleichende Perspektiven erst seit einigen Jahrzehnten vermehrt verfolgt; offener waren dagegen seit langem die Wissenschaften in kleineren Ländern ausgerichtet (etwa den skandinavischen Ländern, in Holland, Schottland, Österreich oder der Schweiz). Natürlich kommen diese Verschiebungen auch einer gemeineuropäischen Privatrechtsgeschichte entgegen. Noch immer aber existiert nur eine kleine Zahl tiefgehender und zugleich umfassend übernational angelegter Werke.

Die ähnlich gelagerten Tendenzen täuschen nicht darüber hinweg, dass die europäischen Wissenschaften der Rechtsgeschichte weiterhin disparat ausgerichtet sind. Sie entsprechen den jeweiligen nationalen Rechtsidentitäten, und sie erfassen Vergangenheit und Entwicklung des Rechts unter je anderen und ungleichzeitigen Vorbegriffen, was große Konsequenzen auch für die methodische Herangehensweise hat. Während in Frankreich die alte Fixierung auf die nationalmythische Epochengrenze von Französischer Revolution und Code civil erst langsam zu verblassen beginnt, erhebt sich in manchen Teilen Europas die Frage nach der nationalen Identität einer eigenen Rechtsgeschichte seit 1989 erst neu und mit ungebrochener Kraft, etwa in der Slowakei oder Litauen. Während einige osteuropäische Staaten kaum über eine gewachsene rechtsgeschichtliche Forschung verfügen, blicken andere (etwa Polen oder Ungarn) auf eine schon lange Tradition zurück. In der deutschen Rechtskultur nimmt die akademische Rechtslehre traditionell einen hohen Stellenwert ein, und so pflegt auch die deutsche Rechtsgeschichtswissenschaft ein großes Interesse an der gelehrten Jurisprudenz der Vergangenheit. Dagegen existiert ein ganz anderes Vorverständnis in der englischen Rechtsgeschichte. Hier führt seit je her das Leitbild eines tradierten und in seiner Grundsubstanz unkodifzierten Rechts zu einem eigenen Ansatz: Rechtsgeschichte ist eher auf frühere Rechtsprechung und Urteilsbegründungen denn auf die akademische Rechtslehre fixiert. Überhaupt versteht sie sich seltener als auf dem Kontinent als eine Form historisierter Erkenntnis; sie ist stärker geneigt, die eigene Rechtsvergangenheit nach Autorität und auf normative Kraft hin zu durchsuchen, womit der rechtshistorischen Analyse eine andere Rolle zukommt als auf dem Kontinent (insb. Italien, Spanien oder Frankreich).

Neben derartige, durch die jeweilige Rechtskultur bedingte Differenzen tritt das grundsätzliche Positionierungsdilemma der Rechtsgeschichte zwischen den Rechts- und den Geschichtswissenschaften. „What the lawyer wants is authority”, brachte dies Maitland knapp auf eine Formel, „what the historian wants is evidence … The lawyer must be orthodox otherwise he is no lawyer; an orthodox history seems to me a contradiction in terms.” Nur auf den ersten Blick ist dies identisch mit einer zweiten Frage: In welchem Maße sollen in der Rechtsgeschichte kultur- und sozialwissenschaftliche Kategorien dominieren, wie weit dagegen genuin rechtswissenschaftliche Begriffe? Eine Anschauung von ihr geben schon die einzelnen Forschungstraditionen. Unterschiede zeigen sich etwa zwischen der französischen und der italienischen Auffassung von dem, was Institutionengeschichte sei, oder besonders plastisch anhand der Rechtsgeschichtsforschung in den USA, die trotz ihrer Zugehörigkeit zur common law-Tradition weitaus stärker als die britische nach sozialwissenschaftlichen Idealen ausgerichtet ist. Doch nicht zwischen den verschiedenen nationalen Rechtskulturen, sondern mitten in ihnen selbst verlaufen diese Fronten der methodischen Grundorientierungen für die Sicht auf das vergangene Recht; es sind diejenigen der heutigen Rechtswissenschaften insgesamt. Auch eine Privatrechtsgeschichte muss hier ihren Bezugsrahmen wählen, der unterschiedlich ausfallen kann. Die heute wahrgenommene Beschleunigung des rechtskulturellen Wandels zieht oft den Verlust von Kontinuitätsbewusstsein nach sich, und die Suche nach einer rechtsdogmatischen Ordnung der Vergangenheit mag dementsprechend an Reiz verlieren. Es kann aber im Gegenteil auch zum Versuch anregen, das Recht der Gegenwart kohärenter und traditionsbewusster zu gestalten. Derart weltanschauungsgeladene Alternativen verleiten, zumal im Verbund mit einem euphorischen Glauben an die Macht wissenschaftlicher Methodik, zu leidenschaftlichen Theorie-Debatten, wo es tatsächlich um Bekenntnis geht. Welche Ausrichtung die Geschichte des europäischen Privatrechts auch künftig erhält – aus den vielen Rechtsgeschichten wird eine europäische Rechtsgeschichtswissenschaft nur in dem Maße werden, in dem der Europäisierungsprozess des Rechts selbst fortgeschritten und nachvollzogen ist.

Literatur

Helmut Coing, Die europäische Privatrechtsgeschichte der neueren Zeit als einheitliches Forschungsgebiet, Ius Commune 1 (1967) 1 ff.; Francisco Tomás y Valiente, Escuelas e historiografía en la historia del derecho español (1960–1985), in: Bartolomé Clavero, Paolo Grossi, Francisco Tomás y Valiente (Hg.), Hispania entre derechos proprios y derechos nacionales, 1990, 11 ff; Reinhard Zimmermann, Der europäische Charakter des englischen Rechts, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 1 (1993) 4 ff; Jean Hilaire, L’approche historique d’un système juridique: l’enjeu français, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 62 (1994) 35 ff.; Peter Stein, Legal history: the british perspective, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 62 (1994) 71 ff; Mathias Reimann, Alain Levasseur, Comparative Law and Legal History in the United States, American Journal of Comparative Law Supplement 46 (1998) 1 ff; Pio Caroni, Gerhard Dilcher (Hg.), Norm und Tradition. Welche Geschichtlichkeit für die Rechtsgeschichte?/‌Fra norma e tradizione: Quale storicità per la storia giuridica?, 1998; Kjell Å. Modéer (Hg.), Rättshistoria i förändring. Olinska stiftelsen 50 år/‌Legal History in Change. The Olin Foundation for Legal History 50 Years, 2002.

Gesamtdarstellungen

Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967; John Gilissen, Introduction historique au droit. Esquisse d’une histoire universelle du droit, 1979; Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 1 1985, Bd. 2 1989; Harold J. Berman, Recht und Revolution. Die Bildung der westlichen Rechtstradition, 1991; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, 1996; Olivia F. Robinson, T. David Fergus, William M. Gordon, European Legal History, 3. Aufl. 2000.