Erbenhaftung und Erbfolge: Unterschied zwischen den Seiten

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== 1. Grundprinzipien ==
== 1. Begriff und Verhältnis der Erbfolgen ==
Es besteht Einigkeit über alle Grenzen und Epochen hinweg, dass die Schulden eines Erblassers mit seinem Tod nicht erlöschen. In den meisten Rechtsordnungen, die in der Tradition des [[römisches Recht|römischen Recht]]s stehen, sind es grundsätzlich die Erben des Verstorbenen ([[Erbfolge]]), die für diese Verbindlichkeiten persönlich einzustehen haben. Dieses Konzept hängt mit dem Grundsatz der [[Universalsukzession]] zusammen, wonach das Vermögen des Erblassers im Ganzen (also sowohl die Aktiva als auch die Passiva) auf einen Rechtsnachfolger übergeht. Denn wem die Vorteile einer Erbschaft zufallen, der soll auch ihre Nachteile tragen (Belgien: Art.&nbsp;724 Abs.&nbsp;1&nbsp;''Code civil''<nowiki>; Deutschland: §§&nbsp;1922 Abs.&nbsp;1, 1967 BGB; Frankreich: Art.&nbsp;724, 785 </nowiki>''Code civil''<nowiki>; Italien: Art.&nbsp;459 </nowiki>''Codice civile''<nowiki>; Niederlande: Art.&nbsp;800 Abs.&nbsp;1, 1002 Abs.&nbsp;1 BW; Österreich: §§&nbsp;547&nbsp;f. ABGB; Polen: Art.&nbsp;922 Abs.&nbsp;1 </nowiki>''Kodeks zywilny''<nowiki>; Portugal: Art.&nbsp;2068, 2071&nbsp;</nowiki>''Código civil''<nowiki>; Schweiz: Art.&nbsp;560 ZGB; Spanien: Art.&nbsp;657, 659, 661 </nowiki>''Código civil'').
Die Erbfolge zu regeln, ist ein zentrales Anliegen jeder Erbrechtsordnung ([[Erbrecht]]). Erbfolgeordnungen stellen rechtliche Ordnungsrahmen zur Verfügung, die es erlauben, den oder die Rechtsnachfolger des Erblassers sowie die durch seinen Tod erbrechtlich begünstigten Personen zu bestimmen. Zwei Erbfolgetypen sind zu unterscheiden, die rechtsgeschäftliche und die gesetzliche. Die rechtsgeschäftliche Erbfolge räumt dem Erblasser privatautonome Gestaltungsbefugnis von Todes wegen ein. Sie ist von der [[Testierfreiheit]] geprägt. Die gesetzliche oder Intestaterbfolge ist gegenüber der rechtsgeschäftlichen subsidiär. Sie kommt entweder zur Anwendung, wenn der Erblasser keine Verfügung von Todes wegen errichtet hat oder diese unwirksam ist. Der Grundsatz ''nemo pro parte testatus'','' pro parte intestatus decedere potest'', dass also niemand sowohl aufgrund rechtsgeschäftlicher als auch aufgrund Intestaterbfolge beerbt werden kann (Inst.&nbsp;2,14,5, Ulp.&nbsp;D.29,1,6), gilt nur in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen romanischen Ursprungs.


Die Intestaterbfolge bringt den Gedanken der Familienerbfolge zur Geltung. Über das Pflichtteilsrecht und das materielle Noterbrecht von nahen Familienangehörigen des Erblassers kommt er auch in der testamentarischen Erbfolge zum Ausdruck ([[Pflichtteilsrecht]]). Die Familienerbfolge gibt bestimmten Angehörigen des Erblassers ein Teilhaberecht am Nachlass. Die in Betracht kommenden Personen sind zwei Gruppen zugehörig. Zum einen begründet die Verwandtschaft die gesetzliche Erbberechtigung, zum anderen die Eigenschaft als Ehegatte des Erblassers ([[Ehe]]). In Ländern, die eine registrierte Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Personen kennen, steht der Lebenspartner dem Ehegatten erbrechtlich gleich ([[gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften]]). Verschieden geschlechtliche Personen, die zusammenleben, haben in Kontinentaleuropa in denjenigen Ländern von Gesetzes wegen eine erbrechtliche Position, in denen die [[nichteheliche Lebensgemeinschaft]] familienrechtlich institutionalisiert ist (Belgien, Frankreich, Niederlande). In England hat der nichteheliche Lebenspartner ohnehin Anspruch auf ''family provision.'' Was die Verwandtenerbfolge anbelangt, so haben an Kindes statt angenommene Abkömmlinge ([[Adoption]]) dieselbe gesetzliche Erbberechtigung wie leibliche. In den letzten Jahrzehnten ist die erbrechtliche Stellung nichtehelicher Kinder in den europäischen Rechtsordnungen an die ehelicher Abkömmlinge angeglichen worden. In den meisten Ländern spielt die Unterscheidung für die Beerbung daher heute keine Rolle mehr.


Daneben existiert in Europa aber noch ein anderes Modell, das von der Prämisse ausgeht, die Erben sollten ausschließlich den nach Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten übrigbleibenden Vorteil erlangen. So sehen vor allem das englische und skandinavische Recht ein Verfahren vor, durch das zunächst die Schulden von einem Verwalter, der für die Nachlassverbindlichkeiten selbst nicht unbeschränkt haftet, beglichen werden und nur der Überschuss verteilt wird. Nach englischem Recht wird der für die Nachlassabwicklung zuständige ''personal representative'' testamentarisch eingesetzt ''(executor) ''oder gerichtlich bestellt (''administrator''). Im norwegischen und dänischen Recht übernimmt diese Funktion ein Gericht, das für die Zeitdauer der Nachlassabwicklung zum Rechtsträger des Nachlasses wird. Einen anderen Weg wählt das schwedische Recht, das den Nachlass selbst zur juristischen Person (''dödsboet'') und damit zum Rechtsträger der Rechte und Pflichten des Erblassers werden lässt.
== 2. Geschichte der Intestat&shy;erbfolge ==
Historisch geht die Unterscheidung von rechtsgeschäftlicher Erbfolge und Intestaterbfolge auf das römische Recht zurück. Das gilt auch für das Verhältnis der beiden Erbfolgetypen. In Rom blieb für die Erbfolge ''ab intestato'' nur Raum, wenn entweder nicht testiert worden war, das Testament sich als unwirksam erwies oder nachträglich hinfällig wurde. Auf Grundlage der zivilen Erbfolgeordnung waren an erster Stelle die Hauserben (''sui heredes'') berufen. Dabei handelte es sich um Personen, die zum Oberhaupt der römischen ''familia'' (''pater familias'') in einem besonderen Gewaltverhältnis standen (der ''patria potestas'' bei ehelichen Abkömmlingen und der ''manus'' bei Ehefrauen), durch seinen Tod aber gewaltfrei wurden. Die Erbberechtigung knüpfte sich also nicht etwa an die Blutsverwandtschaft, sondern an das über die väterliche Gewalt vermittelte (agnatische) Verwandtschaftsverhältnis. Männer und Frauen waren in der zivilen Erbfolge gleichberechtigt. Die Erbfolge folgte bei den ''sui heredes'' dem Stammprinzip (''stirpes'') und dem Grundsatz der Repräsentation. Die Abkömmlinge und die Ehefrau ''in manu'', die ihren Kindern rechtlich gleich stand, bildeten jeweils einen Stamm, auf den gleich große Erbteile entfielen. Der näher mit dem Erblasser verwandte Erbe repräsentierte dabei die anderen Mitglieder seines Stammes und schloss diese von der Erbfolge aus. War ein Sohn vor dem Erblasser verstorben oder aus dem Familienverband ausgeschieden, rückten seine Kinder und seine Ehefrau ''in manu'' an seine Stelle (so genanntes Eintrittsrecht). Die Erbfolge nach Stämmen, die Repräsentation und das Eintrittsrecht sind Grundsätze, die auch die modernen Erbfolgeordnungen kennen. Das gilt auch für die Beerbung nach Kopfteilen und nach Verwandtschaftsgrad. Auf die Nähe des Verwandtschaftsverhältnisses zum Erblasser kam es an, wenn beim Erbfall keine Hauserben (''sui heredes'') vorhanden waren. In diesem Fall fiel die Erbschaft eines frei geborenen Erblassers an den gradnächsten Agnaten in der Seitenlinie. Mehrere gleich nah verwandte Agnaten erbten nach Köpfen.


Allerdings zeigt sich, dass es sich bei den beiden unterschiedlichen Ausgangspunkten nicht um unversöhnliche Gegensätze handelt, sondern vielfach ein Übergang vom einen zum anderen Regime möglich ist: So können die Erben nach dänischem Recht eine gerichtliche Nachlassabwicklung abwenden, wenn sie erklären, persönlich haften zu wollen. Dann treten sie selbst in die Rechte und Pflichten des Erblassers ein. In Norwegen reicht es aus, dass ein einziger Erbe sich bereit erklärt, persönlich zu haften. Umgekehrt ist manchen römisch-rechtlich geprägten Rechtsordnungen eine bloße Haftung des Nachlasses während eines Zwischenstadiums durchaus bekannt, vor allem solange die Universalsukzession noch nicht eingetreten ist (''hereditas iacens''), wie etwa in Österreich vor der Einantwortung oder in Italien vor der [[Erbschaftsannahme/-ausschlagung]]. Außerdem gibt es Mechanismen, um nachträglich wieder eine Trennung der Vermögensmassen herbeizuführen und die Nachlassabwicklung in die Hände Dritter zu legen.
In der späten Republik entwickelte sich neben der zivilen eine zweite Intestaterbfolge, die so genannte ''bonorum possessio intestati''. Die prätorische Erbfolge modifizierte die zivile, verdrängte sie aber nicht vollständig. Sie blieb etwa die maßgebliche Erbfolge, wenn der vom Prätor Berufene, der nicht zugleich ziviler Erbe war, die ''bonorum possessio'' nicht beantragte. Zugleich machte der Prätor sich die zivile Erbfolge in bestimmten Fällen als Grundlage der prätorischen zueigen. Aus der prätorischen ''bonorum possessio intestati'' stammt die Idee, die Erbberechtigung an die Blutsverwandtschaft, die so genannte cognatische Verwandtschaft, zu knüpfen, die die rechtlich begründete agnatische auf Dauer abgelöst hat. Auch das organisatorische Prinzip, erbberechtigte Personen in hierarisch organisierte Klassen oder Ordnungen einzuteilen, von denen die niedrigere Ordnung die höhere von der Erbfolge ausschließt, differenzierte sich im Recht der ''bonorum possessio'' aus. Die Blutsverwandtschaft konnte sowohl von Frauen als auch von Männern vermittelt werden. Gradnähere schlossen gradfernere Verwandte von der Erbfolge aus. Gleich nah verwandte Personen teilten sich den auf sie entfallenden Erbteil nach Köpfen.


Neben den Schulden des Erblassers umfasst die Erbenhaftung auch die Verantwortlichkeit für die durch den Erbfall ausgelösten Verbindlichkeiten, vor allem für Pflichtteilsansprüche und, soweit der Erblasser nichts anderes bestimmt hat, auch für [[Vermächtnis]]se und Auflagen. Meist wird daher auch terminologisch getrennt (etwa Frankreich: ''dettes et charges'', Österreich: Verbindlichkeiten und Lasten, England: ''debts and expenses''). Regelmäßig sind diese Verbindlichkeiten gegenüber den Erblasserschulden nachrangig.
Das Erbrecht des Mittelalters war in erster Linie Familienerbrecht. Von der römischen Intestaterbfolge, die eine Auffangordnung bei testamentslosem Versterben eines Erblassers zur Verfügung stellte, unterschieden sich die mittelalterlichen Erbfolgeordnungen funktionell. Sie sicherten nicht nur den Übergang privater Vermögen, sondern vermittelten politische Macht ([[Erbrecht]]). Die Vererblichkeit von Lehen verstärkte personale Herrschaftsbeziehungen, die auf dem Grundeigentum beruhten. Strukturell kam der politische Charakter darin zum Ausdruck, dass es sich um ein Verwandten- und Sippenerbrecht handelte. Der Grundsatz „Das Gut rinnt wie das Blut“ brachte zum Ausdruck, dass der Einzelne in die kollektive Struktur der Sippe eingebunden und diese daher natürlich erbberechtigt war. Der überlebende Ehegatte wurde nicht erbrechtlich, sondern güterrechtlich abgesichert, männliche Abkömmlinge gegenüber weiblichen bevorzugt. Namentlich das für die Ausübung politischer Macht so wichtige Grundeigentum konnten Frauen ursprünglich nicht erben.


== 2. Haftungssubjekte ==
Mit dem Beginn des bürgerlichen Zeitalters verlor die Erbfolge ihre politische Funktion wieder. Der überlebende Ehegatte etablierte sich nun endgültig im Kreis der erbrechtlich begünstigten Personen. Die bürgerlichen [[Kodifikation]]en Kontinentaleuropas des 18. und 19. Jahrhunderts beseitigten die letzten feudalen Strukturen der Erbfolge, indem sie den Vorrang der testamentarischen vor der gesetzlichen Erbfolge festschrieben und auf der Gleichberechtigung der Intestaterben gleicher Stufe unabhängig von deren Geschlecht bestanden.
Die Rechtsordnungen, die vom Prinzip der Universalsukzession ausgehen, unterscheiden in aller Regel zwischen (gesetzlichen und testamentarisch eingesetzten) Erben auf der einen Seite, die in ihrer Eigenschaft als Gesamtrechtsnachfolger der Erbenhaftung unterliegen, und Vermächtnisnehmern auf der anderen Seite, die nicht für Nachlassverbindlichkeiten haften. In manchen Rechtsordnungen (z.B. Frankreich und Belgien) kann der Erblasser allerdings durch letztwillige Verfügung keine Erben einsetzen, sondern lediglich durch Vermächtnisse über sein Vermögen verfügen. Daher werden hier auch bestimmte Vermächtnisnehmer in den Kreis der Personen einbezogen, die für die Nachlassverbindlichkeiten einzustehen haben. So haften etwa nach französischem und belgischem Recht auch der ''légataire universel'', der Universalvermächtnisnehmer (jeweils Art.&nbsp;1009 ''Code civil'') und der ''légataire à titre universel'', der Erbteilvermächtnisnehmer (jeweils Art.&nbsp;1012 ''Code civil''). Darüber hinaus erstreckt auch das spanische Recht die Erbenhaftung auf Vermächtnisnehmer, wenn der gesamte Nachlass durch Vermächtnisse verteilt wird (Art.&nbsp;891 ''Código civil'').


Außerdem ist in vielen europäischen Rechtsordnungen das [[Pflichtteilsrecht]] nicht wie beispielsweise in Deutschland als rein schuldrechtlicher Anspruch ausgestaltet, sondern als Noterbrecht, so dass die Noterben tatsächlich Erben werden und dann auch als solche haften (vgl. Frankreich: Art.&nbsp;912&nbsp;ff. ''Code civil''<nowiki>; Italien: Art. 536&nbsp;ff. </nowiki>''Codice civile''<nowiki>; Spanien: Art.&nbsp;806 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Belgien: Art.&nbsp;913&nbsp;ff. </nowiki>''Code Civil''<nowiki>; Schweiz: Art.&nbsp;470&nbsp;ff. ZGB; Schweden: ÄB 7:1&nbsp;ff.).</nowiki>
== 3. Gesetzliche Erbfolgemodelle in Europa ==
=== a) Verwandtenerbfolge ===
Das Ordnungsprinzip der Verwandtenerbfolge in Kontinentaleuropa sind die Erbfolgeordnungen oder Klassen. Sie versammeln blutsmäßig und rechtlich mit dem Erblasser verwandte Personen in verschiedenen Gruppen von erbberechtigten Personen und teilen ihnen Erbquoten zu. Die Konstruktion der Kernfamilie im bürgerlichen Zeitalter hatte insoweit Auswirkungen auf die Konturierung der Erbfolgeordnungen, als seither in der Mehrzahl der europäischen Erbrechte entferntere Verwandte des Erblassers ausgeschlossen und die Erbfolgeordnungen zahlenmäßig begrenzt sind. In entfernteren Ordnungen sind Abkömmlinge nicht zur Erbfolge berufen (Frankreich, Griechenland, Österreich). Nur Deutschland und Schottland kennen mit den fernen Ordnungen bzw. Klassen eine unbegrenzte Verwandtenerbfolge. Der Regelfall in Europa sind vier (Frankreich, Italien, Niederlande) oder drei Erbfolgeordnungen (Dänemark, England, Tschechien, Schweiz). Polen lässt sogar nur die Angehörigen der ersten und zweiten Erbfolgeordnung zum Zuge kommen.  


== 3. Gesamtschuldnerische Haftung und Haftung ''pro rata'' ==
Die Erbrechtsordnungen Europas konturieren ihr Personal unterschiedlich. Die Mehrzahl kennt ein eigenständiges Erbrecht von Seitenverwandten sowohl neben Verwandten der geraden Linie als auch in einer eigenen ferneren Ordnung. Sie sind also nicht als Parentelordnungen organisiert, bei der Erbberechtigte in einer Erbfolgeordnung zusammen gefasst werden, die von einem gemeinsamen Vorfahren (= ''parens'') abstammen. So erben in Belgien, Frankreich und Luxemburg die Geschwister und deren Abkömmlinge neben den Eltern als Angehörige der zweiten Erbfolgeordnung, während alle übrigen Aszendenten der dritten und die weiteren Seitenverwandten der vierten Ordnung angehören. In Portugal bilden die Geschwister samt Abkömmlingen die dritte, die weiteren Verwandten in der Seitenlinie die vierte Ordnung. In Dänemark tauchen die Brüder und Schwestern des Vaters oder der Mutter des Erblassers erst in der dritten Erbfolgeordnung auf, in Belgien in der vierten. Die fünfte Klasse der gesetzlichen Erbanwärter bilden sie in Italien.  
Sind mehrere Erben zur Rechtsnachfolge berufen ([[Erbrecht]]), stellt sich für die Rechtsordnungen, die nicht dem nordischen bzw. englischen Modell der Nachlassverwaltung durch einen einheitlichen Rechtsträger folgen, die Frage, wie sich die Haftung unter den Erben aufteilt: Das römische Recht sah vor, dass mit der Teilung des Nachlasses alle nicht beglichenen Schulden ''ipso iure'' in Teilschulden zerfallen, soweit sie teilbar sind. Jeder Erbe haftet dann nur ''pro rata'', das heißt nach seinem Anteil am Nachlass. Fast alle romanischen Rechtsordnungen (Frankreich: Art.&nbsp;1220&nbsp;f. ''Code civil''<nowiki>; Niederlande: Art.&nbsp;4:182 Abs.&nbsp;2 BW; Italien: Art.&nbsp;753 Abs.&nbsp;1 </nowiki>''Codice civile''<nowiki>; Portugal: Art.&nbsp;2098 </nowiki>''Código civil''), aber auch viele andere europäische Staaten folgen nach wie vor diesem Ansatz (Griechenland: Art.&nbsp;1884&nbsp;f. ZGB; Polen: Art.&nbsp;1034 Abs.&nbsp;2 ''Kodeks zywilny''<nowiki>; Tschechien: §&nbsp;470 Abs.&nbsp;2 ZGB).</nowiki>


Das gläubigerfreundliche Gegenmodell, das heute vor allem in Deutschland (§&nbsp;2058 BGB) und Spanien (Art.&nbsp;1084 ''Código civil'') vertreten wird, geht von einer gesamtschuldnerischen Haftung der Erben aus ([[Gesamtschuld]]). Doch auch in Deutschland kann durch das sog. Gläubigeraufgebot nach §&nbsp;2061 BGB von der Gesamtschuld zur Haftung ''pro rata'' übergegangen werden. Österreich weist ein Mischsystem auf: Bei unbedingter Erbserklärung haftet der Erbe nach der Einantwortung als Gesamtschuldner (§&nbsp;820 ABGB), bei bedingter Erbserklärung hingegen nur ''pro rata'' (§&nbsp;821 ABGB). Das schweizerische ZGB geht wie das deutsche BGB von einer gesamtschuldnerischen Haftung nach der Teilung aus (Art.&nbsp;639 ZGB), außer wenn der Gläubiger der Teilung zugestimmt hat.
Dagegen gehören Verwandte in der Seitenlinie in Deutschland und Griechenland nicht zu den eigenständig erbberechtigten Personen. Sie werden nur als Abkömmlinge von Verwandten der geraden Linie erfasst (Parentelordnungen). Übereinstimmung besteht in den Erbrechtsordnungen Europas darüber, dass die jüngere Generation vor der älteren bevorzugt wird, weil die Abkömmlinge in Kontinentaleuropa überwiegend der ersten Erbfolgeordnung angehören, die Eltern und Voreltern, die sog. Aszendenten, dagegen den weiteren Erbfolgeordnungen. Auch kennen alle Erbrechte Europas ein subisidiäres Erbrecht des Fiskus.


Eine pro-rata-Haftung kann sich für Nachlassgläubiger als nachteilig erweisen, weshalb ihnen daran gelegen sein muss, möglichst schon aus dem ungeteilten Nachlass befriedigt zu werden. In Rechtsordnungen mit pro-rata-Haftung haben die noch nicht befriedigten Gläubiger daher bei der Erbteilung in der Regel besondere Mitspracherechte (vgl. etwa in Frankreich: Art.&nbsp;882 ''Code civil'' (Widerspruchsrecht gegen Teilung); in den Niederlanden: Art.&nbsp;3:193 BW (Antragsrecht auf gerichtliche Bestellung eines Abwicklers) und Art.&nbsp;3:193 S.&nbsp;2 BW (Anfechtung der Teilung); in Griechenland: Art.&nbsp;1913 ZGB (Antragsrecht auf gerichtliche Liquidation)).
Dagegen weichen die Prinzipien, nach denen die Auswahl der gesetzlichen Erben aus den verschiedenen Erbfolgeordnungen und innerhalb einer Ordnung erfolgt, in den kontinentaleuropäischen Erbrechten voneinander ab. Die meisten Rechtsordnungen strukturieren die Erbfolgeordnungen hierarchisch. Wird eine Person aus einer vorangehenden Ordnung Erbe, schließt sie Angehörige ferner Ordnungen von der gesetzlichen Erbfolge aus. Im Grundsatz gilt das auch für das reformierte französische Erbrecht. Jedoch macht es eine Ausnahme für den Fall, dass in der zweiten Ordnung ein Elternteil des Erblassers vorverstorben ist und keine Geschwister vorhanden sind. In diesem Fall fällt eine Nachlasshälfte an die Verwandten des vorverstorbenen Elternteils in aufsteigender Linie, kommt es also zu einer Aufspaltung des Nachlasses in eine väterliche und eine mütterliche Linie. In Italien gibt es keine feste Reihenfolge der Erbfolgeklassen. Die Abgrenzung erfolgt vielmehr im Einzelfall. Allerdings haben sich auch hier allgemeine Regeln ausgebildet. So schließen Abkömmlinge alle anderen Verwandten von der Erbfolge aus und entfernte Verwandte in der Seitenlinie kommen nur zum Zuge, wenn keine anderen erbberechtigten Personen vorhanden sind.


== 4. Vermeidung und Beschränkung der Haftung ==
Innerhalb einer Ordnung oder Klasse gibt es in Europa Erbfolgesysteme, die die gesetzliche Erbberechtigung ausschließlich oder vorrangig nach der Nähe der Verwandtschaft zum Erblasser bestimmen (Gradualsysteme). Das ist etwa in Belgien, Frankreich und Portugal der Fall. Die Erbfolgeordnungen Dänemarks, Deutschlands, Griechenlands und Österreichs setzen dagegen ganz oder jedenfalls in den näheren Ordnungen auf das Prinzip der Erbfolge nach Stämmen und Linien. Innerhalb einer Ordnung sind der Grundsatz der Repräsentation und das Eintrittsrecht bestimmend. In Deutschland richtet sich die Erbfolge ab der vierten Ordnung nach dem Verwandtschaftsgrad, in Griechenland bereits ab der zweiten.
Während sich in den verwaltungsgeprägten Rechtsordnungen die Haftung des verwaltenden Rechtsträgers normalerweise auf den Nachlass beschränkt, werden nach dem römisch-rechtlichen Modell die Erben grundsätzlich unbeschränkt in die Pflicht genommen. Als Ausgleich stehen ihnen verschiedene Instrumente zur Verfügung, um eine persönliche Haftung auszuschließen oder zumindest zu beschränken. In einer vergleichsweise komfortablen Situation befinden sich die Erben in Portugal, weil sich ihre Haftung bereits generell auf den Nachlasswert beschränkt (Art.&nbsp;2071 ''Código civil'').


=== a) Annahme und Ausschlagung ===
England hatte unter den europäischen Erbfolgesystemen bis zum Jahre 1925 insofern eine besondere Stellung, als für die Vererbung von ''personal property'' und ''real property'' ([[Eigentum]]) verschiedene Regeln galten. Seither gestaltet sich die Erbfolge jedoch für das gesamte Erblasservermögen einheitlich. Auch das englische Recht ordnet die Verwandten des Erblassers nach dem Parentelsystem, freilich nur für den Fall, dass der Erblasser keinen Ehegatten hinterlässt. In erster Linie erben dann die Abkömmlinge, in zweiter Linie die Eltern oder der überlebende Elternteil, sodann die Großeltern, Onkel und Tanten, deren Abkömmlinge und subsidiär die Krone. Abkömmlinge, Geschwister und deren Abkömmlinge sowie Onkel und Tanten erwerben nur dann Ansprüche auf den Nachlass, wenn sie 18&nbsp;Jahre alt werden oder vor diesem Zeitpunkt heiraten. Bis dahin bleibt der Nachlass als ''statutory trust'' ([[Trust und Treuhand|''Trust'' und Treuhand]]) dem Erbschaftsverwalter zu treuen Händen zugeordnet ([[Universalsukzession]]).
Die effektivste Möglichkeit, einer Erbenhaftung zu entgehen, besteht darin, den Anfall der Erbschaft ([[Universalsukzession]]) zu vermeiden oder wieder rückgängig zu machen ([[Erbschaftsannahme/-ausschlagung]]): Der römischen Rechtstradition folgend geht eine erste Gruppe europäischer Rechtsordnungen davon aus, dass der Erbe zwar von selbst die Erbschaft erwirbt, aber seine Erbenstellung und damit auch die Erbenhaftung rückwirkend durch Ausschlagung wieder beseitigen kann (z.B. Deutschland: §§ 1943&nbsp;f. BGB; Frankreich: Art.&nbsp;711, 718, 786 ''Code civil''<nowiki>; Griechenland: Art.&nbsp;1847&nbsp;f. ZGB; Schweiz: Art.&nbsp;566 Abs.&nbsp;2 ZGB). Das Gegenmodell geht davon aus, dass die Erbschaft nicht von selbst, sondern erst durch Annahme (Italien: Art.&nbsp;459, 470&nbsp;ff. </nowiki>''Codice civile''<nowiki>; Spanien: Art.&nbsp;988&nbsp;ff. </nowiki>''Código civil'') oder gerichtliche Einantwortung (Österreich: §&nbsp;799 ABGB) erworben wird. Der ''personal representative'' nach englischem Recht, den unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. unter 5.) eine persönliche Haftung treffen kann, hat gleichfalls die Möglichkeit zu entscheiden, ob er das Amt annehmen oder zurückweisen will. Das Gericht kann den Betroffenen auffordern, sich hierüber zu erklären.


=== b) Annahme unter Inventarvorbehalt ===
=== b) Ehegattenerbfolge ===
Da es für einen Erben aber oftmals nicht von vornherein absehbar ist, ob der Nachlass überschuldet ist oder nicht, sehen viele Rechtsordnungen als Alternative zur radikalen Lösung, den Anfall der Erbschaft komplett zurückzuweisen, die Annahme unter Inventarvorbehalt vor. Nach römischem Recht hafteten die Erben ursprünglich unbeschränkt und unbeschränkbar. Nachdem jedoch unter Kaiser ''Gordian'' zunächst Soldaten ein Haftungsprivileg eingeräumt worden war, wurde das ''beneficium inventarii'' im ''[[Corpus Juris Civilis]]'' zu einer allgemeinen Möglichkeit der Haftungsbeschränkung ausgeweitet.
Nicht minder vielgestaltig als die Verwandtenerbfolge ist die Position des überlebenden Ehegatten in den Erbfolgeordnungen Europas. Einigkeit besteht darüber, dass die [[Ehe]] im Zeitpunkt des Erbfalls bestehen muss. Ein geschiedener Ehegatte ([[Scheidung]]) scheidet aus dem Kreis der gesetzlich erbberechtigten Personen ''de lege lata'' aus. Der überlebende Ehegatte kann dagegen in allen europäischen Erbrechtsordnungen allein aufgrund seines Status mit einer erbrechtlichen Begünstigung rechnen – unabhängig von der Dauer der Ehe und auch ohne Rücksicht auf seine konkrete Bedürftigkeit. Auch richtet sich das Erbrecht des Ehegatten danach, welche anderen Personen neben ihm erben. Wieviel ein Ehegatte beim Tod des anderen tatsächlich erhält, hängt schließlich in Kontinentaleuropa vom Güterstand ab, in dem die Eheleute gelebt haben.


Die überwiegende Mehrzahl der europäischen Rechtsordnungen hat diesen Mechanismus aufgegriffen: So findet sich in Spanien die Annahme „a beneficio de inventario“ (Art. 1010&nbsp;ff. ''Código civil''), in Italien „col beneficio d’inventario“ (Art.&nbsp;470 ''Codice civile''), in Portugal „a benefício de inventário“ (Art.&nbsp;2052 Abs.&nbsp;1 ''Código civil''). Unter anderem Namen, aber mit ähnlicher Bedeutung, findet sich in Polen die Annahme „z dobrodziejstwem inwentarza“ (Art. 1012 ''Kodeks zywilny''), in den Niederlanden „onder voorrecht van boedelbeschrijving“ (Art. 4:190 Abs.&nbsp;1 BW) und in Österreich „mit Vorbehalt der Rechtswohltat des Inventariums“ (§&nbsp;800 ABGB). In Frankreich gab es bis 2007 noch die Annahme „sous bénéfice d’inventaire“ (Art.&nbsp;732 ''Code civil''), die inzwischen durch die grundsätzlich ähnliche Annahme „à concurrence de l’actif net“ ersetzt wurde. In der Schweiz kann zunächst die amtliche Inventarserrichtung beantragt werden (Art.&nbsp;580 ZGB) und nach deren Abschluss das Erbe ausgeschlagen, vorbehaltlos oder unter Inventarvorbehalt angenommen oder amtliche Nachlassliquidation verlangt werden (Art.&nbsp;588 ZGB).
War das, wie in den meisten Staaten Europas, der Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft, erhält der Überlebende regelmäßig die Hälfte des gemeinsam in der Ehe erwirtschafteten Vermögens. Die andere Hälfte der Errungenschaft und das persönliche Vermögen des Erblassers werden nach den Erbfolgeregeln verteilt. In Ländern, in denen nach einem Güterstand der Gütertrennung beim Tod eines Ehegatten ein Zugewinnausgleich erfolgt (Deutschland, Frankreich), scheidet der Zugewinn aus dem Nachlass aus.


Voraussetzung für die Annahme unter Inventarvorbehalt ist typischerweise die Einhaltung bestimmter Fristen für die Erklärung des Vorbehalts einerseits und die Errichtung des Inventars andererseits. Die Erstellung des Inventars erfolgt entweder durch den Erben selbst oder eine öffentliche Stelle bzw. einen Amtsträger, wobei auch Mischformen vorkommen. Was die Wirkungen anbelangt, so führt der Inventarvorbehalt regelmäßig zu einer gegenständlichen (Italien: Art.&nbsp;490 Nr.&nbsp;1 und 2 ''Codice civile''<nowiki>; Spanien: Art.&nbsp;1010, 1014, 1024 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Portugal: Art.&nbsp;2071 Abs.&nbsp;1 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Griechenland: Art.&nbsp;1904 ZGB), teilweise aber auch nur zu einer </nowiki>– praktisch schwieriger handhabbaren – wertmäßigen (Frankreich: Art.&nbsp;791 Nr.&nbsp;3 ''Code civil''<nowiki>; Polen: Art.&nbsp;1031 Abs.&nbsp;2 </nowiki>''Kodeks zywilny'') Haftungsbeschränkung des Erben auf den Nachlass. Die Wirkungen des Inventarvorbehalts gehen verloren, wenn der Erbe wissentlich ein unrichtiges Inventar errichtet (vgl. etwa Italien: Art.&nbsp;494 ''Codice civile''<nowiki>; Spanien: Art.&nbsp;1023 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Griechenland: Art.&nbsp;1911 Nr.&nbsp;2 ZGB; Frankreich: Art.&nbsp;800 Abs.&nbsp;4 </nowiki>''Code civil'').
Die erbrechtliche Beteiligung des Ehegatten gestaltet sich in den europäischen Rechtsordnungen unterschiedlich. Auf dem Rückzug ist in Europa die Vorstellung, dem Ehegatten solle kein eigenes Erbteil zustehen, sondern nur ein Nießbrauchsrecht am Vermögen des Erblassers. Kein geltendes kontinentaleuropäisches Recht sieht den Ehegatten noch ausschließlich als Begünstigten eines Nießbrauchs an. In Frankreich, das diesem Prinzip ursprünglich folgte, hat der Ehegatte seit dem Jahr 2001 ein Wahlrecht zwischen dem Nießbrauch am ganzen Nachlass und einem Erbteil in Höhe eines Viertels der Erbschaft (ähnlich Luxemburg mit höherer Erbquote). Das spanische Recht beschränkt den Ehegatten neben Abkömmlingen und Aszendenten auf den Nießbrauch, billigt ihm aber sonst ein Erbteil zu. Das belgische Recht gibt dem Ehegatten einen Nießbrauch am Nachlassganzen, wenn er mit Abkömmlingen zusammen trifft. Sonst kommt es auf den Güterstand an. Bestand Gütertrennung, bleibt es beim Nießbrauch, bestand gesetzliche oder vertragliche Gütergemeinschaft, erwirbt der Überlebende das Gesamtgut zu Eigentum und erhält überdies den Nießbrauch am gesamten Nachlass.


Demgegenüber führt die Inventarerrichtung im deutschen Recht nicht zu einer Beschränkung der Haftung des Erben, sondern ist ein Instrument der Gläubiger, um einen Überblick über den Nachlassbestand zu gewinnen. Soweit der Erbe innerhalb einer gerichtlich bestimmten Frist (§&nbsp;1994 Abs.&nbsp;1 BGB) das Inventar nicht oder absichtlich falsch errichtet, verliert er die Möglichkeit zur Herbeiführung einer Haftungsbeschränkung (§&nbsp;2013 BGB). Will der Erbe im deutschen Recht seine Haftung beschränken, muss er eine Nachlassverwaltung (§§&nbsp;1981&nbsp;ff. BGB) oder – bei Überschuldung des Nachlasses die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens beantragen (§§&nbsp;315&nbsp;ff. InsO).
In Dänemark, Deutschland, Griechenland, Italien, Österreich, Portugal und Schweden ist der Ehegatte des Erblassers dagegen stets gesetzlicher Erbe. Die Höhe seines Erbteils richtet sich danach, ob und neben welchen Verwandten er erbt. Auch in England hängt die Ausgestaltung des Erbrechts des Ehegatten davon ab, mit welchen Verwandten er zusammen trifft. Muss er den Nachlass mit Abkömmlingen teilen, erhält er neben den ''personal chattels'' bis zu GBP 125000,-, neben Eltern, Geschwistern oder deren Abkömmlingen sogar bis zu GBP 250000,-, sofern der Nachlass weniger wert ist, stets das gesamte Vermögen. Außerdem kommt, wenn Abkömmlinge vorhanden sind, ein ''life interest'' an der Hälfte des noch verbleibenden Nachlasses hinzu. Neben Eltern, Geschwistern oder deren Abkömmlingen erwirbt der Ehegatte die Hälfte sogar zu unbeschränktem Eigentum. Sind keine Angehörigen der ersten und zweiten Parentel vorhanden, erbt er ohnehin allein.


=== c) Gläubigeraufgebot ===
Ein ganz anderes Konzept verfolgt das niederländische Erbrecht. Das gesamte Vermögen geht mit den Verbindlichkeiten im Zeitpunkt des Erbfalls ''ipso iure'' auf den überlebenden Ehegatten über. Die Kinder haben einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Elternteil in Höhe des Wertes ihres gesetzlichen Erbteils. Er ist grundsätzlich erst dann durchsetzbar, wenn auch der Ehegatte verstirbt, der den Erblasser überlebt hat.
Ein ebenfalls weit verbreiteter Ansatz, um das Haftungsrisiko zu begrenzen, ist die öffentliche Aufforderung der Gläubiger, ihre Forderungen in einem formalisierten Verfahren anzumelden. Unterschiedlich sind allerdings die Rechtsfolgen, die an eine verspätete Anmeldung geknüpft werden. Nach norwegischem Recht etwa erlöschen grundsätzlich die nach einer Gläubigeraufforderung nicht rechtzeitig angemeldeten Forderungen (§&nbsp;75 Abs.&nbsp;1 Teilungsgesetz). Die gleiche Rechtsfolge tritt nach französischem Recht in Bezug auf Forderungen ein, die nicht dinglich gesichert sind, wenn sich der Gläubiger in den 15&nbsp;Monaten nach der Veröffentlichung der Vorbehaltsannahme nicht gemeldet hat (Art.&nbsp;792 ''Code civil'').


Demgegenüber kann nach deutschem Recht (das keine Annahme unter Inventarvorbehalt kennt) der Erbe die Befriedigung des Gläubigers nur verweigern, soweit der Nachlass bereits durch die rechtzeitig angemeldeten Gläubiger erschöpft ist (§&nbsp;1973 Abs.&nbsp;1 BGB). Gleiches gilt für Österreich (§&nbsp;814 ABGB), doch besitzt hier das Gläubigeraufgebot – wie in einer Reihe weiterer Rechtsordnungen – eine zusätzliche Funktion. Denn wenn der Erbe die Einberufung der Gläubiger unterlässt, kommt ihm die Rechtswohltat des Inventariums nur noch in eingeschränktem Maß zugute, weil die Gläubiger dann Zahlungen an andere Nachlassgläubiger nicht mehr gegen sich gelten lassen müssen, soweit die gesetzlich vorgesehene Reihenfolge für ihre Befriedigung nicht beachtet wurde (§&nbsp;815 ABGB). In der Schweiz wird im Zusammenhang mit der Errichtung eines öffentlichen Inventars, das Voraussetzung für jede Haftungsbegrenzung ist, stets ein Gläubigeraufgebot (Rechnungsruf) durchgeführt (Art.&nbsp;582 ZGB). Hier ist die Rechtsfolge für die nicht angemeldeten Gläubiger deutlich härter. Für sie haftet weder der Nachlass noch der Erbe (Art.&nbsp;590 ZGB). Unterlässt der Gläubiger die Anmeldung unverschuldet, so haftet der Erbe, soweit er durch den Nachlass noch bereichert ist (Art.&nbsp;590 Abs.&nbsp;2 ZGB).
== 4. Strukturen eines einheitlichen Intestaterbrechts ==
Die Ausgestaltung der Rechte des überlebenden Ehegatten gehört zu den schwierigsten Fragen, die bei einer europäischen Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des gesetzlichen Erbrechts zu beantworten sind (''Dieter Leipold''). In der Tat sind die Lösungen der europäischen Rechtssysteme konstruktiv recht weit voneinander entfernt, sowohl was das Erbrecht, als auch was das Güterrecht anbelangt. Beide Rechtsmaterien sind auf einander bezogen. Ein europäisches Ehegattenerbrecht muss die unterschiedlichen Ausgleichsinstrumente der einzelnen Güterrechte auch dann mit bedenken, wenn man sich zu einer rein erbrechtlichen Lösung entschließen sollte.


Im italienischen Recht darf der Erbe die Nachlassgläubiger grundsätzlich in der Reihenfolge der Geltendmachung ihrer Ansprüche befriedigen (Art.&nbsp;495 Abs.&nbsp;1 a.E. ''Codice civile''). Allerdings können andere Gläubiger widersprechen, um eine gleichmäßige Befriedigung herbeizuführen. Will der Erbe das Privileg des ''beneficium inventarii'' behalten, muss er daraufhin in ein spezielles Abwicklungsverfahren eintreten, das auch die Aufforderung an die Gläubiger zur Anmeldung ihrer Forderungen einschließt (Art. 498, 499 ''Codice civile''). In England ist die öffentliche Gläubigeraufforderung (''advertisement; sec. 27'' ''Trustee Act 1925'') für den ''personal representative'' ein zentrales Instrument, um sicherzustellen, dass er sich durch die Nachlassverteilung nicht gegenüber den Nachlassgläubigern persönlich haftbar macht. Hat er die Gläubigeraufforderung durchgeführt und den Nachlass verteilt, so haftet er den nicht angemeldeten Gläubigern nicht mehr, es sei denn, er hat auf anderem Wege Kenntnis von den betreffenden Verbindlichkeiten erlangt.
Immerhin gibt es einige Tendenzen, die die Vereinheitlichungsdiskussion prägen: Die Stärkung der Paarbeziehung beruht auf einem erbrechtlichen Paradigmenwechsel weg von einem „vertikalen“ (auf das Verhältnis Eltern und Abkömmlingen bezogenen) und hin zu einem „horizontalen“ Erbrecht, das den Ehegatten als den primär versorgungsbedürftigen Erben verstärkt in den Blick nimmt. In den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen wird das Erbrecht des Ehegatten vom Nutzungs- zum Eigentumsrecht ausgebaut und seine Erbquote oder der ihm gebührende Geldbetrag auf Kosten der Verwandten erhöht. Bei kleineren und mittleren Nachlässen soll der Ehegatte der alleinige Rechtsnachfolger sein.


=== d) ''Abandon'' und Nachlassverwaltung ===
Was die einheitsrechtliche Ausgestaltung der Verwandtenerbfolge anbelangt, sollte über eine Begrenzung der Erbfolgeordnungen nachgedacht werden. Sie ist ohnehin schon die Regel in Europa, so dass eine Beschränkung auf drei Erbfolgeordnungen realistisch ist. Mit dem Parentelprinzip lässt sich eine weitere Reduktion von erbberechtigten Verwandten erreichen, da Verwandte in der Seitenlinie hier nicht selbst zu Erben berufen sind. Auf das Gradualsystem kann man in einer auf nahe Verwandte beschränkten Erbfolge verzichten. Schließlich ist auch an eine Erhöhung der Erbquote des überlebenden Ehegatten neben den Kindern zu denken.
Eine noch weitergehende Möglichkeit, die Haftung des Erben auszuschließen, stellt der in einigen Rechtsordnungen verbreitete ''abandon'' dar. Der beschränkt haftende Erbe kann sich mit Hilfe dieses Instruments auch seiner „beschränkten“ Pflicht zur sorgfältigen Abwicklung des Nachlasses entziehen, indem er den Nachlass den Nachlassgläubigern überlässt. Während Frankreich mit der Reform aus dem Jahre 2006, durch welche das ''bénéfice d’inventaire'' durch die ''acceptation de la succession à concurrence de l’actif net'' ersetzt wurde, dieses Institut abgeschafft hat (vgl. Art.&nbsp;802 Nr.&nbsp;1 ''Code civil'' a.F.), existiert es etwa noch in Italien (Art.&nbsp;507 ''Codice civile'') und Griechenland (Art.&nbsp;1909 ZGB). Der Sache nach entspricht dieses Vorgehen der amtlichen Liquidation nach schweizerischem Recht (Art.&nbsp;593&nbsp;ff. ZGB) sowie der Nachlassverwaltung in Belgien (Art.&nbsp;803 bis ''Code civil'') und Deutschland (§&nbsp;1981&nbsp;ff. BGB), die auf Antrag des Erben angeordnet werden und ebenfalls zu einem vollständigen Ausschluss der Haftung führen. Im Fall des ''abandon'' wird die Verantwortung für die Verwaltung des Nachlasses auf die Gläubiger übertragen, während im Fall der amtlichen Liquidation und der Nachlassverwaltung – vergleichbar mit den Abwicklungsregeln des englischen und des nordischen Rechts – ein unabhängiger Verwalter die Verteilung des Nachlasses an die Gläubiger übernimmt. Bleibt nach der Befriedigung der Gläubiger noch ein Rest zurück, so gebührt dieser den Erben (Deutschland: §&nbsp;1986 Abs.&nbsp;1 BGB; Italien: Art.&nbsp;508 Abs.&nbsp;3 ''Codice civile''<nowiki>; Schweiz: Art.&nbsp;596 Abs.&nbsp;3 ZGB).</nowiki>


== 5. Haftungsausweitung ==
Die Vorschläge beschränken sich bisher auf eine Reform der traditionellen Erbrechtsordnungen Kontinentaleuropas. Noch wenig geklärt ist die Frage, ob nicht das niederländische Konzept angesichts des demografischen Wandels und der Veränderung der Familienstrukturen ([[Familie]]) das zukunftsweisende ist. Dem Ehegatten bleibt hier, solange er lebt, der Nachlass ungeschmälert als Lebensgrundlage erhalten. Dasselbe Ergebnis erzielt auch das englische Erbfolgemodell mit seinen festen Geldbeträgen, die kleinere und mittlere Vermögen zu Lasten der Verwandten wertmäßig erschöpfen. Bisher wurde kaum diskutiert, ob die Ehedauer für die gesetzliche Erbberechtigung des Ehegatten entscheidend sein soll. Eine Ausweitung der Ehegatten- auf Kosten der Verwandtenerbfolge würde wohl eher akzeptiert, wenn der Erblasser nur einmal verheiratet war und die Ehe lange angedauert hat.
Während die Rechtsordnungen, die vom Prinzip der unbeschränkten Erbenhaftung ausgehen, vielfältige Mechanismen kennen, um diese Haftung einzuschränken, gibt es in den nordischen Rechtsordnungen und England, die vom entgegengesetzten Standpunkt ausgehen, die Möglichkeit einer Haftungsausweitung. In erster Linie geht es um die persönliche Haftung der Personen, die mit der Nachlassabwicklung betraut sind. In England (für Schweden vgl. ÄB&nbsp;18:6) nennt sich diese Art von Pflichtverletzung ''devastavit''. Das einschlägige Pflichtenprogramm umfasst das Einsammeln und Bewahren der Erbschaft, den sorgfältigen Umgang mit den Nachlassgegenständen, die Pflicht zur Begleichung der Schulden, den Schutz des Nachlasses vor unberechtigten Ansprüchen sowie die korrekte Verteilung. Eine andere Möglichkeit der Ausweitung der Haftung findet sich in Dänemark, wo die Erben auf das formalisierte Verteilungsverfahren verzichten und den Nachlass frei aufteilen können, woraus dann aber eine persönliche Haftung resultiert (vgl. §&nbsp;53 SL).
 
== 6. Gläubigerschutz ==
Zu guter Letzt ist ein wesentlicher Aspekt der Erbenhaftung nicht nur das Verhältnis der Nachlassgläubiger zum Erben, sondern auch das Verhältnis von Nachlassgläubigern zu Gläubigern des Erben. Kritisch wird es immer dann, wenn entweder der Erbe oder aber der Nachlass überschuldet ist. Ist der Erbe überschuldet, profitieren die persönlichen Gläubiger des Erben vom Erbgang, weil sie eine zusätzliche Haftungsmasse erhalten, während die Nachlassgläubiger benachteiligt werden können, weil sie nun mit weiteren Gläubigern konkurrieren müssen. Umgekehrt haben die Nachlassgläubiger im Fall des überschuldeten Nachlasses einen Vorteil durch den Erbgang, weil das Vermögen des Erben als zusätzliche Haftungsmasse hinzukommt. Die persönlichen Gläubiger hingegen laufen Gefahr, nur noch mit einer geringeren Quote befriedigt zu werden.
 
Diese Probleme halten sich in den Rechtsordnungen in Grenzen, die keine Universalsukzession kennen, sondern stattdessen in einem formalisierten Verfahren zunächst alle Nachlassverbindlichkeiten aus dem Nachlass befriedigen und nur den Überschuss an die Erben auskehren. In anderen Rechtsordnungen wird ein Schutz dadurch erzielt, dass die Gläubiger eine rechtliche Trennung der Vermögensmassen herbeiführen können. Traditionell wird diese Möglichkeit, die schon im römischen Recht als ''separatio bonorum'' bekannt war, nur den Nachlassgläubigern, hingegen nicht den persönlichen Gläubigern des Erben gewährt (vgl. Belgien: Art.&nbsp;878, 881 ''Code civil''<nowiki>; Italien: Art.&nbsp;512&nbsp;ff. </nowiki>''Codice civile''<nowiki>; anders nunmehr Frankreich: vgl. Art.&nbsp;878 </nowiki>''Code civil'' n.F. gegenüber Art.&nbsp;881 ''Code civil'' a.F.). Der zu Grunde liegende Gedanke ist der, dass kein Gläubiger davor geschützt werden kann, dass sein Schuldner neue Schulden macht, auch wenn dies durch Annahme einer überschuldeten Erbschaft geschieht. So gewährt etwa auch das deutsche BGB – neben dem Erben – nur den Nachlassgläubigern das Recht, eine Nachlassverwaltung zu beantragen (§&nbsp;1981 Abs.&nbsp;2 S.&nbsp;1 BGB), die zu einer Vermögenstrennung führt (vgl. §&nbsp;1984 Abs.&nbsp;2 BGB). Das Gleiche gilt für die Liquidation nach schweizerischem Recht (Art.&nbsp;594 ZGB) und die sog. Absonderung nach österreichischem Recht (§&nbsp;812 ABGB). Soweit eine Vorbehaltsannahme erklärt wurde, wird in den meisten Rechtsordnungen bereits hierdurch eine Trennung der Vermögensmassen erreicht (vgl. etwa Spanien: Art.&nbsp;1023 ''Código civil''<nowiki>; Belgien: Art.&nbsp;802 S.&nbsp;1 </nowiki>''Code civil''<nowiki>; Griechenland: Art.&nbsp;1905 ZGB; Frankreich Art.&nbsp;791 Nr.&nbsp;1 </nowiki>''Code civil'').
 
== 7. Fazit ==
Versucht man, die beiden unterschiedlichen Ansatzpunkte der Erbenhaftung in Europa zu bewerten, so wird man wohl sagen können, dass die erbenfreundliche Haltung des englischen und skandinavischen Rechts durch höhere Kosten für die Verwaltung und Einschränkungen bezüglich der freien Nachlassverwaltung erkauft wird. Daher kann es auch nicht verwundern, dass sich bei genauerem Hinsehen zeigt, dass es vielfältige und differenzierte Übergangsmöglichkeiten vom einen zum anderen Abwicklungsmodus gibt, so dass in der Sache die in Europa für das Problem der Erbenhaftung gefundenen Lösungen nicht allzu weit auseinander liegen.


==Literatur==
==Literatur==
''Max Kollenscher'', Das beneficium inventarii nach justinianischem und heutigem gemeinen Recht, 1898; ''Walter'' ''Hallstein'', Schuldenhaftung des Erben, in: Franz Schlegelberger (Hg.), Rechtsvergleichendes Handwörterbuch für das Zivil- und Handelsrecht des In- und Auslandes, Bd.&nbsp;6, 1938, 233&nbsp;ff.; ''Hermann Brunck'', Betrachtung des Rechtsinstituts des beneficium inventarii, 1980; ''Friedrich Trockels'', Die Erbengemeinschaft im französischen Recht: L’indivision héréditaire et la répartition des dettes et des créances, 1987; ''Gunter Wesener'', Zur Erbenhaftung in historischer Sicht, in: Festschrift für Ulrich von Lübtow, 1991, 113&nbsp;ff.; ''Rembert Süß'', (Hg.), Erbrecht in Europa, 2.&nbsp;Aufl. 2008; ''Murad Ferid'', ''Karl Firsching'', ''Heinrich Dörner'', ''Rainer Hausmann'', Internationales Erbrecht, 9&nbsp;Bde. (Loseblatt); ''Walter Pintens ''(Hg.), International Encyclopedia of Laws, Bd.&nbsp;2, Family and Succession Law (Loseblatt).
''Jean C. Sonnekus'', The New Dutch Code on Succession as Evaluated through the Eyes of a Hybrid Legal System, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 3 (1995) 71&nbsp;ff.; ''Stephen M. Cretney'', Reform of intestacy: the best we can do?, Law Quarterly Review 111 (1995) 77&nbsp;ff.; ''Marius J. de Waal'', The social and economic foundations of the law of succession, Stellenbosch Law Review 8 (1997) 162&nbsp;ff.; ''Dieter Leipold'', Europa und das Erbrecht, in: Festschrift für Alfred Söllner, 2000, 647&nbsp;ff.; ''Dieter Henrich'','' Dieter Schwab'' (Hg.), Familienerbrecht und Testierfreiheit im europäischen Vergleich, 2001; ''Walter Pintens'', Die Europäisierung des Erbrechts, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 9 (2001) 628&nbsp;ff.; ''idem'', Grundgedanken und Perspektiven einer Europäisierung des Familien- und Erbrechts, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2003, 329&nbsp;ff., 417&nbsp;ff., 499&nbsp;ff.; ''Alain Verbeke'','' Yves-Henri Leleu'', Harmonisation of the Law of Succession, in: Arthur Hartkamp, Martijn Hesselink, Ewoud Hondius, Carla Joustra, Edgar du Perron, Muriel Veldman (Hg.), Towards a European Civil Code, 3.&nbsp;Aufl. 2004, 335&nbsp;ff.; ''Marius J. de Waal'', A Comparative Overview, in: Kenneth G.C. Reid, Marius J. de Waal, Reinhard Zimmermann (Hg.), Exploring the Law of Succession, 2007, 1&nbsp;ff; ''Reinhard Zimmermann'', The Present State of European Private Law, American Journal of Comparative Law 57 (2009) 479&nbsp;ff., 503&nbsp;ff.


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Version vom 28. September 2021, 15:52 Uhr

von Inge Kroppenberg

1. Begriff und Verhältnis der Erbfolgen

Die Erbfolge zu regeln, ist ein zentrales Anliegen jeder Erbrechtsordnung (Erbrecht). Erbfolgeordnungen stellen rechtliche Ordnungsrahmen zur Verfügung, die es erlauben, den oder die Rechtsnachfolger des Erblassers sowie die durch seinen Tod erbrechtlich begünstigten Personen zu bestimmen. Zwei Erbfolgetypen sind zu unterscheiden, die rechtsgeschäftliche und die gesetzliche. Die rechtsgeschäftliche Erbfolge räumt dem Erblasser privatautonome Gestaltungsbefugnis von Todes wegen ein. Sie ist von der Testierfreiheit geprägt. Die gesetzliche oder Intestaterbfolge ist gegenüber der rechtsgeschäftlichen subsidiär. Sie kommt entweder zur Anwendung, wenn der Erblasser keine Verfügung von Todes wegen errichtet hat oder diese unwirksam ist. Der Grundsatz nemo pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest, dass also niemand sowohl aufgrund rechtsgeschäftlicher als auch aufgrund Intestaterbfolge beerbt werden kann (Inst. 2,14,5, Ulp. D.29,1,6), gilt nur in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen romanischen Ursprungs.

Die Intestaterbfolge bringt den Gedanken der Familienerbfolge zur Geltung. Über das Pflichtteilsrecht und das materielle Noterbrecht von nahen Familienangehörigen des Erblassers kommt er auch in der testamentarischen Erbfolge zum Ausdruck (Pflichtteilsrecht). Die Familienerbfolge gibt bestimmten Angehörigen des Erblassers ein Teilhaberecht am Nachlass. Die in Betracht kommenden Personen sind zwei Gruppen zugehörig. Zum einen begründet die Verwandtschaft die gesetzliche Erbberechtigung, zum anderen die Eigenschaft als Ehegatte des Erblassers (Ehe). In Ländern, die eine registrierte Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Personen kennen, steht der Lebenspartner dem Ehegatten erbrechtlich gleich (gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften). Verschieden geschlechtliche Personen, die zusammenleben, haben in Kontinentaleuropa in denjenigen Ländern von Gesetzes wegen eine erbrechtliche Position, in denen die nichteheliche Lebensgemeinschaft familienrechtlich institutionalisiert ist (Belgien, Frankreich, Niederlande). In England hat der nichteheliche Lebenspartner ohnehin Anspruch auf family provision. Was die Verwandtenerbfolge anbelangt, so haben an Kindes statt angenommene Abkömmlinge (Adoption) dieselbe gesetzliche Erbberechtigung wie leibliche. In den letzten Jahrzehnten ist die erbrechtliche Stellung nichtehelicher Kinder in den europäischen Rechtsordnungen an die ehelicher Abkömmlinge angeglichen worden. In den meisten Ländern spielt die Unterscheidung für die Beerbung daher heute keine Rolle mehr.

2. Geschichte der Intestat­erbfolge

Historisch geht die Unterscheidung von rechtsgeschäftlicher Erbfolge und Intestaterbfolge auf das römische Recht zurück. Das gilt auch für das Verhältnis der beiden Erbfolgetypen. In Rom blieb für die Erbfolge ab intestato nur Raum, wenn entweder nicht testiert worden war, das Testament sich als unwirksam erwies oder nachträglich hinfällig wurde. Auf Grundlage der zivilen Erbfolgeordnung waren an erster Stelle die Hauserben (sui heredes) berufen. Dabei handelte es sich um Personen, die zum Oberhaupt der römischen familia (pater familias) in einem besonderen Gewaltverhältnis standen (der patria potestas bei ehelichen Abkömmlingen und der manus bei Ehefrauen), durch seinen Tod aber gewaltfrei wurden. Die Erbberechtigung knüpfte sich also nicht etwa an die Blutsverwandtschaft, sondern an das über die väterliche Gewalt vermittelte (agnatische) Verwandtschaftsverhältnis. Männer und Frauen waren in der zivilen Erbfolge gleichberechtigt. Die Erbfolge folgte bei den sui heredes dem Stammprinzip (stirpes) und dem Grundsatz der Repräsentation. Die Abkömmlinge und die Ehefrau in manu, die ihren Kindern rechtlich gleich stand, bildeten jeweils einen Stamm, auf den gleich große Erbteile entfielen. Der näher mit dem Erblasser verwandte Erbe repräsentierte dabei die anderen Mitglieder seines Stammes und schloss diese von der Erbfolge aus. War ein Sohn vor dem Erblasser verstorben oder aus dem Familienverband ausgeschieden, rückten seine Kinder und seine Ehefrau in manu an seine Stelle (so genanntes Eintrittsrecht). Die Erbfolge nach Stämmen, die Repräsentation und das Eintrittsrecht sind Grundsätze, die auch die modernen Erbfolgeordnungen kennen. Das gilt auch für die Beerbung nach Kopfteilen und nach Verwandtschaftsgrad. Auf die Nähe des Verwandtschaftsverhältnisses zum Erblasser kam es an, wenn beim Erbfall keine Hauserben (sui heredes) vorhanden waren. In diesem Fall fiel die Erbschaft eines frei geborenen Erblassers an den gradnächsten Agnaten in der Seitenlinie. Mehrere gleich nah verwandte Agnaten erbten nach Köpfen.

In der späten Republik entwickelte sich neben der zivilen eine zweite Intestaterbfolge, die so genannte bonorum possessio intestati. Die prätorische Erbfolge modifizierte die zivile, verdrängte sie aber nicht vollständig. Sie blieb etwa die maßgebliche Erbfolge, wenn der vom Prätor Berufene, der nicht zugleich ziviler Erbe war, die bonorum possessio nicht beantragte. Zugleich machte der Prätor sich die zivile Erbfolge in bestimmten Fällen als Grundlage der prätorischen zueigen. Aus der prätorischen bonorum possessio intestati stammt die Idee, die Erbberechtigung an die Blutsverwandtschaft, die so genannte cognatische Verwandtschaft, zu knüpfen, die die rechtlich begründete agnatische auf Dauer abgelöst hat. Auch das organisatorische Prinzip, erbberechtigte Personen in hierarisch organisierte Klassen oder Ordnungen einzuteilen, von denen die niedrigere Ordnung die höhere von der Erbfolge ausschließt, differenzierte sich im Recht der bonorum possessio aus. Die Blutsverwandtschaft konnte sowohl von Frauen als auch von Männern vermittelt werden. Gradnähere schlossen gradfernere Verwandte von der Erbfolge aus. Gleich nah verwandte Personen teilten sich den auf sie entfallenden Erbteil nach Köpfen.

Das Erbrecht des Mittelalters war in erster Linie Familienerbrecht. Von der römischen Intestaterbfolge, die eine Auffangordnung bei testamentslosem Versterben eines Erblassers zur Verfügung stellte, unterschieden sich die mittelalterlichen Erbfolgeordnungen funktionell. Sie sicherten nicht nur den Übergang privater Vermögen, sondern vermittelten politische Macht (Erbrecht). Die Vererblichkeit von Lehen verstärkte personale Herrschaftsbeziehungen, die auf dem Grundeigentum beruhten. Strukturell kam der politische Charakter darin zum Ausdruck, dass es sich um ein Verwandten- und Sippenerbrecht handelte. Der Grundsatz „Das Gut rinnt wie das Blut“ brachte zum Ausdruck, dass der Einzelne in die kollektive Struktur der Sippe eingebunden und diese daher natürlich erbberechtigt war. Der überlebende Ehegatte wurde nicht erbrechtlich, sondern güterrechtlich abgesichert, männliche Abkömmlinge gegenüber weiblichen bevorzugt. Namentlich das für die Ausübung politischer Macht so wichtige Grundeigentum konnten Frauen ursprünglich nicht erben.

Mit dem Beginn des bürgerlichen Zeitalters verlor die Erbfolge ihre politische Funktion wieder. Der überlebende Ehegatte etablierte sich nun endgültig im Kreis der erbrechtlich begünstigten Personen. Die bürgerlichen Kodifikationen Kontinentaleuropas des 18. und 19. Jahrhunderts beseitigten die letzten feudalen Strukturen der Erbfolge, indem sie den Vorrang der testamentarischen vor der gesetzlichen Erbfolge festschrieben und auf der Gleichberechtigung der Intestaterben gleicher Stufe unabhängig von deren Geschlecht bestanden.

3. Gesetzliche Erbfolgemodelle in Europa

a) Verwandtenerbfolge

Das Ordnungsprinzip der Verwandtenerbfolge in Kontinentaleuropa sind die Erbfolgeordnungen oder Klassen. Sie versammeln blutsmäßig und rechtlich mit dem Erblasser verwandte Personen in verschiedenen Gruppen von erbberechtigten Personen und teilen ihnen Erbquoten zu. Die Konstruktion der Kernfamilie im bürgerlichen Zeitalter hatte insoweit Auswirkungen auf die Konturierung der Erbfolgeordnungen, als seither in der Mehrzahl der europäischen Erbrechte entferntere Verwandte des Erblassers ausgeschlossen und die Erbfolgeordnungen zahlenmäßig begrenzt sind. In entfernteren Ordnungen sind Abkömmlinge nicht zur Erbfolge berufen (Frankreich, Griechenland, Österreich). Nur Deutschland und Schottland kennen mit den fernen Ordnungen bzw. Klassen eine unbegrenzte Verwandtenerbfolge. Der Regelfall in Europa sind vier (Frankreich, Italien, Niederlande) oder drei Erbfolgeordnungen (Dänemark, England, Tschechien, Schweiz). Polen lässt sogar nur die Angehörigen der ersten und zweiten Erbfolgeordnung zum Zuge kommen.

Die Erbrechtsordnungen Europas konturieren ihr Personal unterschiedlich. Die Mehrzahl kennt ein eigenständiges Erbrecht von Seitenverwandten sowohl neben Verwandten der geraden Linie als auch in einer eigenen ferneren Ordnung. Sie sind also nicht als Parentelordnungen organisiert, bei der Erbberechtigte in einer Erbfolgeordnung zusammen gefasst werden, die von einem gemeinsamen Vorfahren (= parens) abstammen. So erben in Belgien, Frankreich und Luxemburg die Geschwister und deren Abkömmlinge neben den Eltern als Angehörige der zweiten Erbfolgeordnung, während alle übrigen Aszendenten der dritten und die weiteren Seitenverwandten der vierten Ordnung angehören. In Portugal bilden die Geschwister samt Abkömmlingen die dritte, die weiteren Verwandten in der Seitenlinie die vierte Ordnung. In Dänemark tauchen die Brüder und Schwestern des Vaters oder der Mutter des Erblassers erst in der dritten Erbfolgeordnung auf, in Belgien in der vierten. Die fünfte Klasse der gesetzlichen Erbanwärter bilden sie in Italien.

Dagegen gehören Verwandte in der Seitenlinie in Deutschland und Griechenland nicht zu den eigenständig erbberechtigten Personen. Sie werden nur als Abkömmlinge von Verwandten der geraden Linie erfasst (Parentelordnungen). Übereinstimmung besteht in den Erbrechtsordnungen Europas darüber, dass die jüngere Generation vor der älteren bevorzugt wird, weil die Abkömmlinge in Kontinentaleuropa überwiegend der ersten Erbfolgeordnung angehören, die Eltern und Voreltern, die sog. Aszendenten, dagegen den weiteren Erbfolgeordnungen. Auch kennen alle Erbrechte Europas ein subisidiäres Erbrecht des Fiskus.

Dagegen weichen die Prinzipien, nach denen die Auswahl der gesetzlichen Erben aus den verschiedenen Erbfolgeordnungen und innerhalb einer Ordnung erfolgt, in den kontinentaleuropäischen Erbrechten voneinander ab. Die meisten Rechtsordnungen strukturieren die Erbfolgeordnungen hierarchisch. Wird eine Person aus einer vorangehenden Ordnung Erbe, schließt sie Angehörige ferner Ordnungen von der gesetzlichen Erbfolge aus. Im Grundsatz gilt das auch für das reformierte französische Erbrecht. Jedoch macht es eine Ausnahme für den Fall, dass in der zweiten Ordnung ein Elternteil des Erblassers vorverstorben ist und keine Geschwister vorhanden sind. In diesem Fall fällt eine Nachlasshälfte an die Verwandten des vorverstorbenen Elternteils in aufsteigender Linie, kommt es also zu einer Aufspaltung des Nachlasses in eine väterliche und eine mütterliche Linie. In Italien gibt es keine feste Reihenfolge der Erbfolgeklassen. Die Abgrenzung erfolgt vielmehr im Einzelfall. Allerdings haben sich auch hier allgemeine Regeln ausgebildet. So schließen Abkömmlinge alle anderen Verwandten von der Erbfolge aus und entfernte Verwandte in der Seitenlinie kommen nur zum Zuge, wenn keine anderen erbberechtigten Personen vorhanden sind.

Innerhalb einer Ordnung oder Klasse gibt es in Europa Erbfolgesysteme, die die gesetzliche Erbberechtigung ausschließlich oder vorrangig nach der Nähe der Verwandtschaft zum Erblasser bestimmen (Gradualsysteme). Das ist etwa in Belgien, Frankreich und Portugal der Fall. Die Erbfolgeordnungen Dänemarks, Deutschlands, Griechenlands und Österreichs setzen dagegen ganz oder jedenfalls in den näheren Ordnungen auf das Prinzip der Erbfolge nach Stämmen und Linien. Innerhalb einer Ordnung sind der Grundsatz der Repräsentation und das Eintrittsrecht bestimmend. In Deutschland richtet sich die Erbfolge ab der vierten Ordnung nach dem Verwandtschaftsgrad, in Griechenland bereits ab der zweiten.

England hatte unter den europäischen Erbfolgesystemen bis zum Jahre 1925 insofern eine besondere Stellung, als für die Vererbung von personal property und real property (Eigentum) verschiedene Regeln galten. Seither gestaltet sich die Erbfolge jedoch für das gesamte Erblasservermögen einheitlich. Auch das englische Recht ordnet die Verwandten des Erblassers nach dem Parentelsystem, freilich nur für den Fall, dass der Erblasser keinen Ehegatten hinterlässt. In erster Linie erben dann die Abkömmlinge, in zweiter Linie die Eltern oder der überlebende Elternteil, sodann die Großeltern, Onkel und Tanten, deren Abkömmlinge und subsidiär die Krone. Abkömmlinge, Geschwister und deren Abkömmlinge sowie Onkel und Tanten erwerben nur dann Ansprüche auf den Nachlass, wenn sie 18 Jahre alt werden oder vor diesem Zeitpunkt heiraten. Bis dahin bleibt der Nachlass als statutory trust (Trust und Treuhand) dem Erbschaftsverwalter zu treuen Händen zugeordnet (Universalsukzession).

b) Ehegattenerbfolge

Nicht minder vielgestaltig als die Verwandtenerbfolge ist die Position des überlebenden Ehegatten in den Erbfolgeordnungen Europas. Einigkeit besteht darüber, dass die Ehe im Zeitpunkt des Erbfalls bestehen muss. Ein geschiedener Ehegatte (Scheidung) scheidet aus dem Kreis der gesetzlich erbberechtigten Personen de lege lata aus. Der überlebende Ehegatte kann dagegen in allen europäischen Erbrechtsordnungen allein aufgrund seines Status mit einer erbrechtlichen Begünstigung rechnen – unabhängig von der Dauer der Ehe und auch ohne Rücksicht auf seine konkrete Bedürftigkeit. Auch richtet sich das Erbrecht des Ehegatten danach, welche anderen Personen neben ihm erben. Wieviel ein Ehegatte beim Tod des anderen tatsächlich erhält, hängt schließlich in Kontinentaleuropa vom Güterstand ab, in dem die Eheleute gelebt haben.

War das, wie in den meisten Staaten Europas, der Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft, erhält der Überlebende regelmäßig die Hälfte des gemeinsam in der Ehe erwirtschafteten Vermögens. Die andere Hälfte der Errungenschaft und das persönliche Vermögen des Erblassers werden nach den Erbfolgeregeln verteilt. In Ländern, in denen nach einem Güterstand der Gütertrennung beim Tod eines Ehegatten ein Zugewinnausgleich erfolgt (Deutschland, Frankreich), scheidet der Zugewinn aus dem Nachlass aus.

Die erbrechtliche Beteiligung des Ehegatten gestaltet sich in den europäischen Rechtsordnungen unterschiedlich. Auf dem Rückzug ist in Europa die Vorstellung, dem Ehegatten solle kein eigenes Erbteil zustehen, sondern nur ein Nießbrauchsrecht am Vermögen des Erblassers. Kein geltendes kontinentaleuropäisches Recht sieht den Ehegatten noch ausschließlich als Begünstigten eines Nießbrauchs an. In Frankreich, das diesem Prinzip ursprünglich folgte, hat der Ehegatte seit dem Jahr 2001 ein Wahlrecht zwischen dem Nießbrauch am ganzen Nachlass und einem Erbteil in Höhe eines Viertels der Erbschaft (ähnlich Luxemburg mit höherer Erbquote). Das spanische Recht beschränkt den Ehegatten neben Abkömmlingen und Aszendenten auf den Nießbrauch, billigt ihm aber sonst ein Erbteil zu. Das belgische Recht gibt dem Ehegatten einen Nießbrauch am Nachlassganzen, wenn er mit Abkömmlingen zusammen trifft. Sonst kommt es auf den Güterstand an. Bestand Gütertrennung, bleibt es beim Nießbrauch, bestand gesetzliche oder vertragliche Gütergemeinschaft, erwirbt der Überlebende das Gesamtgut zu Eigentum und erhält überdies den Nießbrauch am gesamten Nachlass.

In Dänemark, Deutschland, Griechenland, Italien, Österreich, Portugal und Schweden ist der Ehegatte des Erblassers dagegen stets gesetzlicher Erbe. Die Höhe seines Erbteils richtet sich danach, ob und neben welchen Verwandten er erbt. Auch in England hängt die Ausgestaltung des Erbrechts des Ehegatten davon ab, mit welchen Verwandten er zusammen trifft. Muss er den Nachlass mit Abkömmlingen teilen, erhält er neben den personal chattels bis zu GBP 125000,-, neben Eltern, Geschwistern oder deren Abkömmlingen sogar bis zu GBP 250000,-, sofern der Nachlass weniger wert ist, stets das gesamte Vermögen. Außerdem kommt, wenn Abkömmlinge vorhanden sind, ein life interest an der Hälfte des noch verbleibenden Nachlasses hinzu. Neben Eltern, Geschwistern oder deren Abkömmlingen erwirbt der Ehegatte die Hälfte sogar zu unbeschränktem Eigentum. Sind keine Angehörigen der ersten und zweiten Parentel vorhanden, erbt er ohnehin allein.

Ein ganz anderes Konzept verfolgt das niederländische Erbrecht. Das gesamte Vermögen geht mit den Verbindlichkeiten im Zeitpunkt des Erbfalls ipso iure auf den überlebenden Ehegatten über. Die Kinder haben einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Elternteil in Höhe des Wertes ihres gesetzlichen Erbteils. Er ist grundsätzlich erst dann durchsetzbar, wenn auch der Ehegatte verstirbt, der den Erblasser überlebt hat.

4. Strukturen eines einheitlichen Intestaterbrechts

Die Ausgestaltung der Rechte des überlebenden Ehegatten gehört zu den schwierigsten Fragen, die bei einer europäischen Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des gesetzlichen Erbrechts zu beantworten sind (Dieter Leipold). In der Tat sind die Lösungen der europäischen Rechtssysteme konstruktiv recht weit voneinander entfernt, sowohl was das Erbrecht, als auch was das Güterrecht anbelangt. Beide Rechtsmaterien sind auf einander bezogen. Ein europäisches Ehegattenerbrecht muss die unterschiedlichen Ausgleichsinstrumente der einzelnen Güterrechte auch dann mit bedenken, wenn man sich zu einer rein erbrechtlichen Lösung entschließen sollte.

Immerhin gibt es einige Tendenzen, die die Vereinheitlichungsdiskussion prägen: Die Stärkung der Paarbeziehung beruht auf einem erbrechtlichen Paradigmenwechsel weg von einem „vertikalen“ (auf das Verhältnis Eltern und Abkömmlingen bezogenen) und hin zu einem „horizontalen“ Erbrecht, das den Ehegatten als den primär versorgungsbedürftigen Erben verstärkt in den Blick nimmt. In den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen wird das Erbrecht des Ehegatten vom Nutzungs- zum Eigentumsrecht ausgebaut und seine Erbquote oder der ihm gebührende Geldbetrag auf Kosten der Verwandten erhöht. Bei kleineren und mittleren Nachlässen soll der Ehegatte der alleinige Rechtsnachfolger sein.

Was die einheitsrechtliche Ausgestaltung der Verwandtenerbfolge anbelangt, sollte über eine Begrenzung der Erbfolgeordnungen nachgedacht werden. Sie ist ohnehin schon die Regel in Europa, so dass eine Beschränkung auf drei Erbfolgeordnungen realistisch ist. Mit dem Parentelprinzip lässt sich eine weitere Reduktion von erbberechtigten Verwandten erreichen, da Verwandte in der Seitenlinie hier nicht selbst zu Erben berufen sind. Auf das Gradualsystem kann man in einer auf nahe Verwandte beschränkten Erbfolge verzichten. Schließlich ist auch an eine Erhöhung der Erbquote des überlebenden Ehegatten neben den Kindern zu denken.

Die Vorschläge beschränken sich bisher auf eine Reform der traditionellen Erbrechtsordnungen Kontinentaleuropas. Noch wenig geklärt ist die Frage, ob nicht das niederländische Konzept angesichts des demografischen Wandels und der Veränderung der Familienstrukturen (Familie) das zukunftsweisende ist. Dem Ehegatten bleibt hier, solange er lebt, der Nachlass ungeschmälert als Lebensgrundlage erhalten. Dasselbe Ergebnis erzielt auch das englische Erbfolgemodell mit seinen festen Geldbeträgen, die kleinere und mittlere Vermögen zu Lasten der Verwandten wertmäßig erschöpfen. Bisher wurde kaum diskutiert, ob die Ehedauer für die gesetzliche Erbberechtigung des Ehegatten entscheidend sein soll. Eine Ausweitung der Ehegatten- auf Kosten der Verwandtenerbfolge würde wohl eher akzeptiert, wenn der Erblasser nur einmal verheiratet war und die Ehe lange angedauert hat.

Literatur

Jean C. Sonnekus, The New Dutch Code on Succession as Evaluated through the Eyes of a Hybrid Legal System, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 3 (1995) 71 ff.; Stephen M. Cretney, Reform of intestacy: the best we can do?, Law Quarterly Review 111 (1995) 77 ff.; Marius J. de Waal, The social and economic foundations of the law of succession, Stellenbosch Law Review 8 (1997) 162 ff.; Dieter Leipold, Europa und das Erbrecht, in: Festschrift für Alfred Söllner, 2000, 647 ff.; Dieter Henrich, Dieter Schwab (Hg.), Familienerbrecht und Testierfreiheit im europäischen Vergleich, 2001; Walter Pintens, Die Europäisierung des Erbrechts, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 9 (2001) 628 ff.; idem, Grundgedanken und Perspektiven einer Europäisierung des Familien- und Erbrechts, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2003, 329 ff., 417 ff., 499 ff.; Alain Verbeke, Yves-Henri Leleu, Harmonisation of the Law of Succession, in: Arthur Hartkamp, Martijn Hesselink, Ewoud Hondius, Carla Joustra, Edgar du Perron, Muriel Veldman (Hg.), Towards a European Civil Code, 3. Aufl. 2004, 335 ff.; Marius J. de Waal, A Comparative Overview, in: Kenneth G.C. Reid, Marius J. de Waal, Reinhard Zimmermann (Hg.), Exploring the Law of Succession, 2007, 1 ff; Reinhard Zimmermann, The Present State of European Private Law, American Journal of Comparative Law 57 (2009) 479 ff., 503 ff.