Erbenhaftung
von Tobias Helms
1. Grundprinzipien
Es besteht Einigkeit über alle Grenzen und Epochen hinweg, dass die Schulden eines Erblassers mit seinem Tod nicht erlöschen. In den meisten Rechtsordnungen, die in der Tradition des römischen Rechts stehen, sind es grundsätzlich die Erben des Verstorbenen (Erbfolge), die für diese Verbindlichkeiten persönlich einzustehen haben. Dieses Konzept hängt mit dem Grundsatz der Universalsukzession zusammen, wonach das Vermögen des Erblassers im Ganzen (also sowohl die Aktiva als auch die Passiva) auf einen Rechtsnachfolger übergeht. Denn wem die Vorteile einer Erbschaft zufallen, der soll auch ihre Nachteile tragen (Belgien: Art. 724 Abs. 1 Code civil; Deutschland: §§ 1922 Abs. 1, 1967 BGB; Frankreich: Art. 724, 785 Code civil; Italien: Art. 459 Codice civile; Niederlande: Art. 800 Abs. 1, 1002 Abs. 1 BW; Österreich: §§ 547 f. ABGB; Polen: Art. 922 Abs. 1 Kodeks zywilny; Portugal: Art. 2068, 2071 Código civil; Schweiz: Art. 560 ZGB; Spanien: Art. 657, 659, 661 Código civil).
Daneben existiert in Europa aber noch ein anderes Modell, das von der Prämisse ausgeht, die Erben sollten ausschließlich den nach Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten übrigbleibenden Vorteil erlangen. So sehen vor allem das englische und skandinavische Recht ein Verfahren vor, durch das zunächst die Schulden von einem Verwalter, der für die Nachlassverbindlichkeiten selbst nicht unbeschränkt haftet, beglichen werden und nur der Überschuss verteilt wird. Nach englischem Recht wird der für die Nachlassabwicklung zuständige personal representative testamentarisch eingesetzt (executor) oder gerichtlich bestellt (administrator). Im norwegischen und dänischen Recht übernimmt diese Funktion ein Gericht, das für die Zeitdauer der Nachlassabwicklung zum Rechtsträger des Nachlasses wird. Einen anderen Weg wählt das schwedische Recht, das den Nachlass selbst zur juristischen Person (dödsboet) und damit zum Rechtsträger der Rechte und Pflichten des Erblassers werden lässt.
Allerdings zeigt sich, dass es sich bei den beiden unterschiedlichen Ausgangspunkten nicht um unversöhnliche Gegensätze handelt, sondern vielfach ein Übergang vom einen zum anderen Regime möglich ist: So können die Erben nach dänischem Recht eine gerichtliche Nachlassabwicklung abwenden, wenn sie erklären, persönlich haften zu wollen. Dann treten sie selbst in die Rechte und Pflichten des Erblassers ein. In Norwegen reicht es aus, dass ein einziger Erbe sich bereit erklärt, persönlich zu haften. Umgekehrt ist manchen römisch-rechtlich geprägten Rechtsordnungen eine bloße Haftung des Nachlasses während eines Zwischenstadiums durchaus bekannt, vor allem solange die Universalsukzession noch nicht eingetreten ist (hereditas iacens), wie etwa in Österreich vor der Einantwortung oder in Italien vor der Erbschaftsannahme/-ausschlagung. Außerdem gibt es Mechanismen, um nachträglich wieder eine Trennung der Vermögensmassen herbeizuführen und die Nachlassabwicklung in die Hände Dritter zu legen.
Neben den Schulden des Erblassers umfasst die Erbenhaftung auch die Verantwortlichkeit für die durch den Erbfall ausgelösten Verbindlichkeiten, vor allem für Pflichtteilsansprüche und, soweit der Erblasser nichts anderes bestimmt hat, auch für Vermächtnisse und Auflagen. Meist wird daher auch terminologisch getrennt (etwa Frankreich: dettes et charges, Österreich: Verbindlichkeiten und Lasten, England: debts and expenses). Regelmäßig sind diese Verbindlichkeiten gegenüber den Erblasserschulden nachrangig.
2. Haftungssubjekte
Die Rechtsordnungen, die vom Prinzip der Universalsukzession ausgehen, unterscheiden in aller Regel zwischen (gesetzlichen und testamentarisch eingesetzten) Erben auf der einen Seite, die in ihrer Eigenschaft als Gesamtrechtsnachfolger der Erbenhaftung unterliegen, und Vermächtnisnehmern auf der anderen Seite, die nicht für Nachlassverbindlichkeiten haften. In manchen Rechtsordnungen (z.B. Frankreich und Belgien) kann der Erblasser allerdings durch letztwillige Verfügung keine Erben einsetzen, sondern lediglich durch Vermächtnisse über sein Vermögen verfügen. Daher werden hier auch bestimmte Vermächtnisnehmer in den Kreis der Personen einbezogen, die für die Nachlassverbindlichkeiten einzustehen haben. So haften etwa nach französischem und belgischem Recht auch der légataire universel, der Universalvermächtnisnehmer (jeweils Art. 1009 Code civil) und der légataire à titre universel, der Erbteilvermächtnisnehmer (jeweils Art. 1012 Code civil). Darüber hinaus erstreckt auch das spanische Recht die Erbenhaftung auf Vermächtnisnehmer, wenn der gesamte Nachlass durch Vermächtnisse verteilt wird (Art. 891 Código civil).
Außerdem ist in vielen europäischen Rechtsordnungen das Pflichtteilsrecht nicht wie beispielsweise in Deutschland als rein schuldrechtlicher Anspruch ausgestaltet, sondern als Noterbrecht, so dass die Noterben tatsächlich Erben werden und dann auch als solche haften (vgl. Frankreich: Art. 912 ff. Code civil; Italien: Art. 536 ff. Codice civile; Spanien: Art. 806 Código civil; Belgien: Art. 913 ff. Code Civil; Schweiz: Art. 470 ff. ZGB; Schweden: ÄB 7:1 ff.).
3. Gesamtschuldnerische Haftung und Haftung pro rata
Sind mehrere Erben zur Rechtsnachfolge berufen (Erbrecht), stellt sich für die Rechtsordnungen, die nicht dem nordischen bzw. englischen Modell der Nachlassverwaltung durch einen einheitlichen Rechtsträger folgen, die Frage, wie sich die Haftung unter den Erben aufteilt: Das römische Recht sah vor, dass mit der Teilung des Nachlasses alle nicht beglichenen Schulden ipso iure in Teilschulden zerfallen, soweit sie teilbar sind. Jeder Erbe haftet dann nur pro rata, das heißt nach seinem Anteil am Nachlass. Fast alle romanischen Rechtsordnungen (Frankreich: Art. 1220 f. Code civil; Niederlande: Art. 4:182 Abs. 2 BW; Italien: Art. 753 Abs. 1 Codice civile; Portugal: Art. 2098 Código civil), aber auch viele andere europäische Staaten folgen nach wie vor diesem Ansatz (Griechenland: Art. 1884 f. ZGB; Polen: Art. 1034 Abs. 2 Kodeks zywilny; Tschechien: § 470 Abs. 2 ZGB).
Das gläubigerfreundliche Gegenmodell, das heute vor allem in Deutschland (§ 2058 BGB) und Spanien (Art. 1084 Código civil) vertreten wird, geht von einer gesamtschuldnerischen Haftung der Erben aus (Gesamtschuld). Doch auch in Deutschland kann durch das sog. Gläubigeraufgebot nach § 2061 BGB von der Gesamtschuld zur Haftung pro rata übergegangen werden. Österreich weist ein Mischsystem auf: Bei unbedingter Erbserklärung haftet der Erbe nach der Einantwortung als Gesamtschuldner (§ 820 ABGB), bei bedingter Erbserklärung hingegen nur pro rata (§ 821 ABGB). Das schweizerische ZGB geht wie das deutsche BGB von einer gesamtschuldnerischen Haftung nach der Teilung aus (Art. 639 ZGB), außer wenn der Gläubiger der Teilung zugestimmt hat.
Eine pro-rata-Haftung kann sich für Nachlassgläubiger als nachteilig erweisen, weshalb ihnen daran gelegen sein muss, möglichst schon aus dem ungeteilten Nachlass befriedigt zu werden. In Rechtsordnungen mit pro-rata-Haftung haben die noch nicht befriedigten Gläubiger daher bei der Erbteilung in der Regel besondere Mitspracherechte (vgl. etwa in Frankreich: Art. 882 Code civil (Widerspruchsrecht gegen Teilung); in den Niederlanden: Art. 3:193 BW (Antragsrecht auf gerichtliche Bestellung eines Abwicklers) und Art. 3:193 S. 2 BW (Anfechtung der Teilung); in Griechenland: Art. 1913 ZGB (Antragsrecht auf gerichtliche Liquidation)).
4. Vermeidung und Beschränkung der Haftung
Während sich in den verwaltungsgeprägten Rechtsordnungen die Haftung des verwaltenden Rechtsträgers normalerweise auf den Nachlass beschränkt, werden nach dem römisch-rechtlichen Modell die Erben grundsätzlich unbeschränkt in die Pflicht genommen. Als Ausgleich stehen ihnen verschiedene Instrumente zur Verfügung, um eine persönliche Haftung auszuschließen oder zumindest zu beschränken. In einer vergleichsweise komfortablen Situation befinden sich die Erben in Portugal, weil sich ihre Haftung bereits generell auf den Nachlasswert beschränkt (Art. 2071 Código civil).
a) Annahme und Ausschlagung
Die effektivste Möglichkeit, einer Erbenhaftung zu entgehen, besteht darin, den Anfall der Erbschaft (Universalsukzession) zu vermeiden oder wieder rückgängig zu machen (Erbschaftsannahme/-ausschlagung): Der römischen Rechtstradition folgend geht eine erste Gruppe europäischer Rechtsordnungen davon aus, dass der Erbe zwar von selbst die Erbschaft erwirbt, aber seine Erbenstellung und damit auch die Erbenhaftung rückwirkend durch Ausschlagung wieder beseitigen kann (z.B. Deutschland: §§ 1943 f. BGB; Frankreich: Art. 711, 718, 786 Code civil; Griechenland: Art. 1847 f. ZGB; Schweiz: Art. 566 Abs. 2 ZGB). Das Gegenmodell geht davon aus, dass die Erbschaft nicht von selbst, sondern erst durch Annahme (Italien: Art. 459, 470 ff. Codice civile; Spanien: Art. 988 ff. Código civil) oder gerichtliche Einantwortung (Österreich: § 799 ABGB) erworben wird. Der personal representative nach englischem Recht, den unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. unter 5.) eine persönliche Haftung treffen kann, hat gleichfalls die Möglichkeit zu entscheiden, ob er das Amt annehmen oder zurückweisen will. Das Gericht kann den Betroffenen auffordern, sich hierüber zu erklären.
b) Annahme unter Inventarvorbehalt
Da es für einen Erben aber oftmals nicht von vornherein absehbar ist, ob der Nachlass überschuldet ist oder nicht, sehen viele Rechtsordnungen als Alternative zur radikalen Lösung, den Anfall der Erbschaft komplett zurückzuweisen, die Annahme unter Inventarvorbehalt vor. Nach römischem Recht hafteten die Erben ursprünglich unbeschränkt und unbeschränkbar. Nachdem jedoch unter Kaiser Gordian zunächst Soldaten ein Haftungsprivileg eingeräumt worden war, wurde das beneficium inventarii im Corpus Juris Civilis zu einer allgemeinen Möglichkeit der Haftungsbeschränkung ausgeweitet.
Die überwiegende Mehrzahl der europäischen Rechtsordnungen hat diesen Mechanismus aufgegriffen: So findet sich in Spanien die Annahme „a beneficio de inventario“ (Art. 1010 ff. Código civil), in Italien „col beneficio d’inventario“ (Art. 470 Codice civile), in Portugal „a benefício de inventário“ (Art. 2052 Abs. 1 Código civil). Unter anderem Namen, aber mit ähnlicher Bedeutung, findet sich in Polen die Annahme „z dobrodziejstwem inwentarza“ (Art. 1012 Kodeks zywilny), in den Niederlanden „onder voorrecht van boedelbeschrijving“ (Art. 4:190 Abs. 1 BW) und in Österreich „mit Vorbehalt der Rechtswohltat des Inventariums“ (§ 800 ABGB). In Frankreich gab es bis 2007 noch die Annahme „sous bénéfice d’inventaire“ (Art. 732 Code civil), die inzwischen durch die grundsätzlich ähnliche Annahme „à concurrence de l’actif net“ ersetzt wurde. In der Schweiz kann zunächst die amtliche Inventarserrichtung beantragt werden (Art. 580 ZGB) und nach deren Abschluss das Erbe ausgeschlagen, vorbehaltlos oder unter Inventarvorbehalt angenommen oder amtliche Nachlassliquidation verlangt werden (Art. 588 ZGB).
Voraussetzung für die Annahme unter Inventarvorbehalt ist typischerweise die Einhaltung bestimmter Fristen für die Erklärung des Vorbehalts einerseits und die Errichtung des Inventars andererseits. Die Erstellung des Inventars erfolgt entweder durch den Erben selbst oder eine öffentliche Stelle bzw. einen Amtsträger, wobei auch Mischformen vorkommen. Was die Wirkungen anbelangt, so führt der Inventarvorbehalt regelmäßig zu einer gegenständlichen (Italien: Art. 490 Nr. 1 und 2 Codice civile; Spanien: Art. 1010, 1014, 1024 Código civil; Portugal: Art. 2071 Abs. 1 Código civil; Griechenland: Art. 1904 ZGB), teilweise aber auch nur zu einer – praktisch schwieriger handhabbaren – wertmäßigen (Frankreich: Art. 791 Nr. 3 Code civil; Polen: Art. 1031 Abs. 2 Kodeks zywilny) Haftungsbeschränkung des Erben auf den Nachlass. Die Wirkungen des Inventarvorbehalts gehen verloren, wenn der Erbe wissentlich ein unrichtiges Inventar errichtet (vgl. etwa Italien: Art. 494 Codice civile; Spanien: Art. 1023 Código civil; Griechenland: Art. 1911 Nr. 2 ZGB; Frankreich: Art. 800 Abs. 4 Code civil).
Demgegenüber führt die Inventarerrichtung im deutschen Recht nicht zu einer Beschränkung der Haftung des Erben, sondern ist ein Instrument der Gläubiger, um einen Überblick über den Nachlassbestand zu gewinnen. Soweit der Erbe innerhalb einer gerichtlich bestimmten Frist (§ 1994 Abs. 1 BGB) das Inventar nicht oder absichtlich falsch errichtet, verliert er die Möglichkeit zur Herbeiführung einer Haftungsbeschränkung (§ 2013 BGB). Will der Erbe im deutschen Recht seine Haftung beschränken, muss er eine Nachlassverwaltung (§§ 1981 ff. BGB) oder – bei Überschuldung des Nachlasses – die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens beantragen (§§ 315 ff. InsO).
c) Gläubigeraufgebot
Ein ebenfalls weit verbreiteter Ansatz, um das Haftungsrisiko zu begrenzen, ist die öffentliche Aufforderung der Gläubiger, ihre Forderungen in einem formalisierten Verfahren anzumelden. Unterschiedlich sind allerdings die Rechtsfolgen, die an eine verspätete Anmeldung geknüpft werden. Nach norwegischem Recht etwa erlöschen grundsätzlich die nach einer Gläubigeraufforderung nicht rechtzeitig angemeldeten Forderungen (§ 75 Abs. 1 Teilungsgesetz). Die gleiche Rechtsfolge tritt nach französischem Recht in Bezug auf Forderungen ein, die nicht dinglich gesichert sind, wenn sich der Gläubiger in den 15 Monaten nach der Veröffentlichung der Vorbehaltsannahme nicht gemeldet hat (Art. 792 Code civil).
Demgegenüber kann nach deutschem Recht (das keine Annahme unter Inventarvorbehalt kennt) der Erbe die Befriedigung des Gläubigers nur verweigern, soweit der Nachlass bereits durch die rechtzeitig angemeldeten Gläubiger erschöpft ist (§ 1973 Abs. 1 BGB). Gleiches gilt für Österreich (§ 814 ABGB), doch besitzt hier das Gläubigeraufgebot – wie in einer Reihe weiterer Rechtsordnungen – eine zusätzliche Funktion. Denn wenn der Erbe die Einberufung der Gläubiger unterlässt, kommt ihm die Rechtswohltat des Inventariums nur noch in eingeschränktem Maß zugute, weil die Gläubiger dann Zahlungen an andere Nachlassgläubiger nicht mehr gegen sich gelten lassen müssen, soweit die gesetzlich vorgesehene Reihenfolge für ihre Befriedigung nicht beachtet wurde (§ 815 ABGB). In der Schweiz wird im Zusammenhang mit der Errichtung eines öffentlichen Inventars, das Voraussetzung für jede Haftungsbegrenzung ist, stets ein Gläubigeraufgebot (Rechnungsruf) durchgeführt (Art. 582 ZGB). Hier ist die Rechtsfolge für die nicht angemeldeten Gläubiger deutlich härter. Für sie haftet weder der Nachlass noch der Erbe (Art. 590 ZGB). Unterlässt der Gläubiger die Anmeldung unverschuldet, so haftet der Erbe, soweit er durch den Nachlass noch bereichert ist (Art. 590 Abs. 2 ZGB).
Im italienischen Recht darf der Erbe die Nachlassgläubiger grundsätzlich in der Reihenfolge der Geltendmachung ihrer Ansprüche befriedigen (Art. 495 Abs. 1 a.E. Codice civile). Allerdings können andere Gläubiger widersprechen, um eine gleichmäßige Befriedigung herbeizuführen. Will der Erbe das Privileg des beneficium inventarii behalten, muss er daraufhin in ein spezielles Abwicklungsverfahren eintreten, das auch die Aufforderung an die Gläubiger zur Anmeldung ihrer Forderungen einschließt (Art. 498, 499 Codice civile). In England ist die öffentliche Gläubigeraufforderung (advertisement; sec. 27 Trustee Act 1925) für den personal representative ein zentrales Instrument, um sicherzustellen, dass er sich durch die Nachlassverteilung nicht gegenüber den Nachlassgläubigern persönlich haftbar macht. Hat er die Gläubigeraufforderung durchgeführt und den Nachlass verteilt, so haftet er den nicht angemeldeten Gläubigern nicht mehr, es sei denn, er hat auf anderem Wege Kenntnis von den betreffenden Verbindlichkeiten erlangt.
d) Abandon und Nachlassverwaltung
Eine noch weitergehende Möglichkeit, die Haftung des Erben auszuschließen, stellt der in einigen Rechtsordnungen verbreitete abandon dar. Der beschränkt haftende Erbe kann sich mit Hilfe dieses Instruments auch seiner „beschränkten“ Pflicht zur sorgfältigen Abwicklung des Nachlasses entziehen, indem er den Nachlass den Nachlassgläubigern überlässt. Während Frankreich mit der Reform aus dem Jahre 2006, durch welche das bénéfice d’inventaire durch die acceptation de la succession à concurrence de l’actif net ersetzt wurde, dieses Institut abgeschafft hat (vgl. Art. 802 Nr. 1 Code civil a.F.), existiert es etwa noch in Italien (Art. 507 Codice civile) und Griechenland (Art. 1909 ZGB). Der Sache nach entspricht dieses Vorgehen der amtlichen Liquidation nach schweizerischem Recht (Art. 593 ff. ZGB) sowie der Nachlassverwaltung in Belgien (Art. 803 bis Code civil) und Deutschland (§ 1981 ff. BGB), die auf Antrag des Erben angeordnet werden und ebenfalls zu einem vollständigen Ausschluss der Haftung führen. Im Fall des abandon wird die Verantwortung für die Verwaltung des Nachlasses auf die Gläubiger übertragen, während im Fall der amtlichen Liquidation und der Nachlassverwaltung – vergleichbar mit den Abwicklungsregeln des englischen und des nordischen Rechts – ein unabhängiger Verwalter die Verteilung des Nachlasses an die Gläubiger übernimmt. Bleibt nach der Befriedigung der Gläubiger noch ein Rest zurück, so gebührt dieser den Erben (Deutschland: § 1986 Abs. 1 BGB; Italien: Art. 508 Abs. 3 Codice civile; Schweiz: Art. 596 Abs. 3 ZGB).
5. Haftungsausweitung
Während die Rechtsordnungen, die vom Prinzip der unbeschränkten Erbenhaftung ausgehen, vielfältige Mechanismen kennen, um diese Haftung einzuschränken, gibt es in den nordischen Rechtsordnungen und England, die vom entgegengesetzten Standpunkt ausgehen, die Möglichkeit einer Haftungsausweitung. In erster Linie geht es um die persönliche Haftung der Personen, die mit der Nachlassabwicklung betraut sind. In England (für Schweden vgl. ÄB 18:6) nennt sich diese Art von Pflichtverletzung devastavit. Das einschlägige Pflichtenprogramm umfasst das Einsammeln und Bewahren der Erbschaft, den sorgfältigen Umgang mit den Nachlassgegenständen, die Pflicht zur Begleichung der Schulden, den Schutz des Nachlasses vor unberechtigten Ansprüchen sowie die korrekte Verteilung. Eine andere Möglichkeit der Ausweitung der Haftung findet sich in Dänemark, wo die Erben auf das formalisierte Verteilungsverfahren verzichten und den Nachlass frei aufteilen können, woraus dann aber eine persönliche Haftung resultiert (vgl. § 53 SL).
6. Gläubigerschutz
Zu guter Letzt ist ein wesentlicher Aspekt der Erbenhaftung nicht nur das Verhältnis der Nachlassgläubiger zum Erben, sondern auch das Verhältnis von Nachlassgläubigern zu Gläubigern des Erben. Kritisch wird es immer dann, wenn entweder der Erbe oder aber der Nachlass überschuldet ist. Ist der Erbe überschuldet, profitieren die persönlichen Gläubiger des Erben vom Erbgang, weil sie eine zusätzliche Haftungsmasse erhalten, während die Nachlassgläubiger benachteiligt werden können, weil sie nun mit weiteren Gläubigern konkurrieren müssen. Umgekehrt haben die Nachlassgläubiger im Fall des überschuldeten Nachlasses einen Vorteil durch den Erbgang, weil das Vermögen des Erben als zusätzliche Haftungsmasse hinzukommt. Die persönlichen Gläubiger hingegen laufen Gefahr, nur noch mit einer geringeren Quote befriedigt zu werden.
Diese Probleme halten sich in den Rechtsordnungen in Grenzen, die keine Universalsukzession kennen, sondern stattdessen in einem formalisierten Verfahren zunächst alle Nachlassverbindlichkeiten aus dem Nachlass befriedigen und nur den Überschuss an die Erben auskehren. In anderen Rechtsordnungen wird ein Schutz dadurch erzielt, dass die Gläubiger eine rechtliche Trennung der Vermögensmassen herbeiführen können. Traditionell wird diese Möglichkeit, die schon im römischen Recht als separatio bonorum bekannt war, nur den Nachlassgläubigern, hingegen nicht den persönlichen Gläubigern des Erben gewährt (vgl. Belgien: Art. 878, 881 Code civil; Italien: Art. 512 ff. Codice civile; anders nunmehr Frankreich: vgl. Art. 878 Code civil n.F. gegenüber Art. 881 Code civil a.F.). Der zu Grunde liegende Gedanke ist der, dass kein Gläubiger davor geschützt werden kann, dass sein Schuldner neue Schulden macht, auch wenn dies durch Annahme einer überschuldeten Erbschaft geschieht. So gewährt etwa auch das deutsche BGB – neben dem Erben – nur den Nachlassgläubigern das Recht, eine Nachlassverwaltung zu beantragen (§ 1981 Abs. 2 S. 1 BGB), die zu einer Vermögenstrennung führt (vgl. § 1984 Abs. 2 BGB). Das Gleiche gilt für die Liquidation nach schweizerischem Recht (Art. 594 ZGB) und die sog. Absonderung nach österreichischem Recht (§ 812 ABGB). Soweit eine Vorbehaltsannahme erklärt wurde, wird in den meisten Rechtsordnungen bereits hierdurch eine Trennung der Vermögensmassen erreicht (vgl. etwa Spanien: Art. 1023 Código civil; Belgien: Art. 802 S. 1 Code civil; Griechenland: Art. 1905 ZGB; Frankreich Art. 791 Nr. 1 Code civil).
7. Fazit
Versucht man, die beiden unterschiedlichen Ansatzpunkte der Erbenhaftung in Europa zu bewerten, so wird man wohl sagen können, dass die erbenfreundliche Haltung des englischen und skandinavischen Rechts durch höhere Kosten für die Verwaltung und Einschränkungen bezüglich der freien Nachlassverwaltung erkauft wird. Daher kann es auch nicht verwundern, dass sich bei genauerem Hinsehen zeigt, dass es vielfältige und differenzierte Übergangsmöglichkeiten vom einen zum anderen Abwicklungsmodus gibt, so dass in der Sache die in Europa für das Problem der Erbenhaftung gefundenen Lösungen nicht allzu weit auseinander liegen.
Literatur
Max Kollenscher, Das beneficium inventarii nach justinianischem und heutigem gemeinen Recht, 1898; Walter Hallstein, Schuldenhaftung des Erben, in: Franz Schlegelberger (Hg.), Rechtsvergleichendes Handwörterbuch für das Zivil- und Handelsrecht des In- und Auslandes, Bd. 6, 1938, 233 ff.; Hermann Brunck, Betrachtung des Rechtsinstituts des beneficium inventarii, 1980; Friedrich Trockels, Die Erbengemeinschaft im französischen Recht: L’indivision héréditaire et la répartition des dettes et des créances, 1987; Gunter Wesener, Zur Erbenhaftung in historischer Sicht, in: Festschrift für Ulrich von Lübtow, 1991, 113 ff.; Rembert Süß, (Hg.), Erbrecht in Europa, 2. Aufl. 2008; Murad Ferid, Karl Firsching, Heinrich Dörner, Rainer Hausmann, Internationales Erbrecht, 9 Bde. (Loseblatt); Walter Pintens (Hg.), International Encyclopedia of Laws, Bd. 2, Family and Succession Law (Loseblatt).