Immaterieller Schaden (Nichtvermögensschaden)
1. Gegenstand und Zweck
Viele europäische Rechtsordnungen unterscheiden beim Schadensausgleich (Schadensersatz) zwischen materiellen und immateriellen Einbußen bzw. Vermögens- und Nichtvermögensschäden. Ein Vermögensschaden (pecuniary loss, dommage patrimonial, danno patrimonale) liegt vor, wenn der Schaden in Geld messbar und auch nicht der Persönlichkeitssphäre zuzuordnen ist. Ein solcher Schaden wird somit maßgeblich durch die Objektivierbarkeit des Ausgleichs gekennzeichnet. Sie ist gegeben, wenn der erlittene Nachteil unabhängig von subjektiven Empfindungen, Neigungen und Anschauungen des jeweils Betroffenen bewertet werden kann. Ein immaterieller Schaden (non-pecuniary loss, dommage moral, danno morale) wird zumeist negativ abgegrenzt, als Nachteil, der kein Vermögensschaden ist. Näher umschreiben kann man immaterielle Einbußen als Beeinträchtigung eines personengebundenen Wertes, für den es keinen objektiven Maßstab gibt.
Diese Zweiteilung des Schadensbegriffs beruht auf der Vorstellung, dass es möglich sei, alle Nachteile anhand objektiver Kriterien der Kategorie „materiell“ oder der Kategorie „immateriell“ zuzuordnen. Überspitzt formuliert ist zwischen solchen Einbußen zu unterscheiden, die nach den Anschauungen des Wirtschaftsverkehrs in Geld beziffert werden können, und solchen, die aufgrund einer Inkommensurabilität von „seelischem Leid und Geld“ nur durch ein Werturteil quantifiziert werden können.
Heute ist in allen Privatrechtsordnungen in Europa anerkannt, dass die Ersatzpflicht des Schädigers nicht allein auf den Ausgleich von Vermögensschäden begrenzt sein kann. Große Unterschiede bestehen dagegen in Bezug auf die Frage, welche immateriellen Einbußen als ersatzfähiger Schaden anzusehen und in welchem Umfang sie zu ersetzen sind. Vereinfacht ausgedrückt sehen die Rechtsordnungen im Einflussbereich des französischen Code civil den Ersatz immaterieller Einbußen als allgemeine Grundregel vor – und zwar unabhängig von der Anspruchsgrundlage. Andere Rechtsordnungen gewähren Immaterialschadensersatz nur soweit dies (spezial)gesetzlich bestimmt ist. Hintergrund dieser einschränkenden Regeln sind die Sorge vor einer ausufernden Haftung und die Schwierigkeiten der Taxierung immaterieller Einbußen. Eine solche Einschränkung sehen etwa das deutsche, italienische, niederländische und österreichische Recht vor, wobei wiederum Unterschiede bestehen, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Anspruch gewährt werden soll. Im englischen Schadensrecht, das ganz überwiegend auf ungeschriebenem, von der Rechtsprechung entwickeltem Fallrecht beruht (common law), wird der Ersatz von Nichtvermögensschäden vornehmlich als Rechtsfolge von Körperverletzungen (personal injury cases) betrachtet. Solche Schäden können aber auch im Zusammenhang mit anderen torts ausgeglichen werden.
2. Tendenzen der Rechtsentwicklung
Die Einstellung gegenüber der Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden hat sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts überall in Europa beträchtlich gewandelt. Zentrale Entwicklungslinien waren dabei die Ausweitung der ersatzfähigen Einbußen, ferner die Aufweichung der tradierten Dichotomie durch die Herausbildung einer Gruppe von Schäden, die zwischen materiellen und immateriellen Einbußen angesiedelt werden, und schließlich die Tendenz zur Pauschalierung des Schadensersatzes bei bestimmten massenhaft auftretenden Schadensfällen.
a) Der Wandel der Einstellung gegenüber der Wertigkeit immaterieller Einbußen kommt insbesondere – aber keinesfalls ausschließlich – in der Rechtsentwicklung derjenigen Staaten zum Ausdruck, die den Ersatz solcher Einbußen besonderen Beschränkungen unterworfen haben. Die zum Ausklang des 19. Jahrhunderts vorherrschende Zurückhaltung gegenüber einem allgemeinen Anspruch auf Geldersatz für immaterielle Schäden, die dazu führte, dass der BGB-Gesetzgeber den Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden im Wesentlichen auf deliktische Körper- und Gesundheitsverletzungen sowie Freiheitsentziehungen beschränkte, lässt sich auf das römische Recht zurückführen. Das römische Schadensrecht ging von dem Grundsatz aus, dass der Körper eines freien Menschen einer monetären Wertung entzogen sei. Bei Real- und Verbalinjurien war jedoch eine Art Strafzahlung zu leisten, die auch die immateriellen Einbußen des Geschädigten vergelten sollte (actio iniuriarum). Diese Grundsätze blieben lange Zeit prägend, erst langsam setzte sich der naturrechtliche Grundsatz der Totalreparation (Naturrecht, Schadensersatz) durch, der auch den Ausgleich immaterieller Einbußen ermöglichte. Dies war in erster Linie ein angemessenes Schmerzensgeld bei Personenschäden, das auch nach deutschrechtlicher Tradition zu entrichten war. Es verwundert daher nicht, dass im deutschen Recht immaterieller Schadensersatz auch heute noch oftmals mit dem Schmerzensgeldanspruch gleichgesetzt wird, während etwa französische und englische Gerichte einzelne Aspekte des Immaterialschadensersatzes bei Personenschäden seit langem deutlich feiner ausdifferenzieren. Der enge Ansatz des deutschen Rechts, der maßgeblich mit der Furcht vor einem Missbrauch einer modernern actio iniuriarum sowie einem starken Misstrauen gegenüber der Fähigkeit der Richterschaft begründet wurde, immaterielle Schäden zu taxieren, vermochte im Laufe der Zeit immer weniger zu überzeugen. Vor allem das Aufkommen von Massenmedien zeigte die Schutzlücken des BGB überdeutlich. Diese Entwicklung bewegte die Rechtsprechung dazu, den zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz unter Berufung auf die Grundrechte deutlich auszubauen und damit zum Ausdruck zu bringen, dass auch immaterielle Werte umfassenden haftungsrechtlichen Schutz verdienen. Auch in anderen Rechtsordnungen wurden immaterielle Schadenspositionen immer umfassender ersetzt. Gleichzeitig wurde bei der Bemessung des Schadensersatzes der Präventionsgedanke (Schadensersatz) immer stärker berücksichtigt. In Deutschland führte dieser Wertewandel schließlich zur Schadensersatzreform von 2002, bei der die vom Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts zu eng gezogenen Grenzen weiter gesteckt wurden.
b) Mit der stetigen Zunahme von Klagen auf immateriellen Schadensersatz in den 1960er Jahren wurde schnell deutlich, dass die Grenzen zwischen materiellen und immateriellen Schäden fließend sind und eine „objektive“ Zuordnung zu der einen oder anderen Kategorie ohne wertende Betrachtung oftmals nicht möglich ist. Welche Einbußen in Geld messbar sind, ist durch das Entstehen neuer Märkte ständigem Wandel unterworfen. Ferner weicht die stetig fortschreitende Kommerzialisierung die eindeutige Zuordnung von Gütern zur Persönlichkeitssphäre auf. Im Laufe der Zeit haben sich daher Fallgruppen herausgebildet, die auf der Grenzlinie zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschäden angesiedelt sind. Es verwundert dabei nicht, dass in denjenigen Rechtsordnungen, die eine § 253 BGB vergleichbare Vorschrift kennen, die Gerichte oftmals versucht haben, das zu enge gesetzliche Korsett durch eine besonders weite Auslegung des Vermögensschadensbegriffs oder die Schaffung neuer Kategorien zu unterlaufen. Diese Tendenz ist besonders stark im italienischen Recht ausgeprägt. Nach dem Codice civile kommt es für den Ersatz des immateriellen Schadens im Wesentlichen darauf an, dass der Schädiger ein Strafgesetz verletzt hat (Art. 2059 Codice civile, Art. 185 Codice penale). Da der Strafrechtsschutz nicht als ausreichend angesehen wurde, haben die italienischen Gerichte unter Rückgriff auf das Verfassungsrecht die Figur des danno biologico bzw. des danno alla salute entwickelt. Nach dieser Rechtsprechung ist – unabhängig von der Verletzung eines Strafgesetzes – ein Ausgleich für jede durch eine rechtswidrige Beeinträchtigung der Gesundheit bzw. des Wohlbefindens verursachte Beschränkung der persönlichen Entfaltung im sozialen Umfeld zu gewähren. Mit dieser Begründung können selbst offensichtliche Nichtvermögensschäden als biologischer Schaden nach der deliktischen Generalklausel (Art. 2043 Codice civile) ausgeglichen werden – etwa die Beklemmung und die Trauer des Eigentümers eines überfahrenen Haustieres (Conc. Udine 9.3.1995, NGCC 1995 I, 784).
c) Die Ausweitung des Immaterialschadensersatzes in Kombination mit dem massenhaften Auftreten bestimmter Schadensfälle, etwa durch Verkehrsunfälle, hat schließlich das Bedürfnis nach einer stärker abstrakten Bewertungsmethode deutlich vergrößert. Die meisten Rechtsordnungen haben auf dieses Problem reagiert, indem Massenrisiken ein Stück weit durch pauschale Entschädigungsbeiträge abgegolten werden. Paradigmatisch für diese Entwicklung steht der Einsatz von Schmerzensgeldtabellen, die in Europa weit verbreitet sind und dem Rechtsanwender einen Anhaltspunkt geben, in welcher Größenordnung ein Ausgleich zu gewähren ist.
3. Regelungsstrukturen
Die europäischen Privatrechtsordnungen beantworten die Frage, welche Nichtvermögensschäden in welchem Umfang zu ersetzen sind, sehr unterschiedlich. Lediglich für einen gewissen Kernbestand der Problematik lassen sich einige sehr allgemeine Grundstrukturen aufzeigen.
a) Im Grundsatz besteht breite Übereinstimmung darüber, dass nach Deliktsrecht solche immateriellen Einbußen zu ersetzen sind, die daraus resultieren, dass der Geschädigte einen Personenschaden erlitten hat oder seine menschliche Würde, Freiheit oder ein anderes Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist. Der Ersatz des sog. Affektionsinteresses bei Zerstörung oder Beschädigung von Sachen wird dagegen deutlich kritischer betrachtet und allenfalls in engen Ausnahmefällen ersetzt.
Im Lichte der neueren Rechtsentwicklung kann man zudem die Tendenz ausmachen, dass Immaterialschadensersatz nicht allein auf Grundlage verschuldensabhängiger deliktischer Ansprüche (Deliktsrecht) und Ansprüchen aus Gefährdungshaftung zu ersetzen sind. Auch bei einer Verletzung vertraglicher Ansprüche müssen immaterielle Schäden ersetzt werden, wobei große Unterschiede dahingehend bestehen, in welcher Form die Weite der Haftung gesteuert werden soll. Einig ist man sich darin, dass die Vertragspartei, die etwa die geschuldete Ware zu spät anliefert, nicht generell für Ärger und Aufregung haften soll, den ihre verspätete Leistungserbringung bei der anderen Partei des Vertrags hervorgerufen hat. Einige Rechtsordnungen ersetzen immaterielle Schäden daher nur dann, wenn diese für den Schuldner vorhersehbar waren, andere machen den Ersatz davon abhängig, dass solche Einbußen vom Schutzzweck des Vertrages umfasst waren, und wiederum andere verlangen die Verletzung eines gesetzlich geschützten Rechts oder Rechtsguts.
b) Die vorgenannten Grundlinien des Immaterialschadensersatzes spiegeln sich – in unterschiedlicher Ausprägung – auch in den Vorschlägen zur Vereinheitlichung des Haftungsrechts wider, die zum einen von der European Group on Tort Law (Principles of European Tort Law) und zum anderen von der Study Group on a European Civil Code/European Research Group on Existing EC Private Law (Gemeinsamer Referenzrahmen) vorgelegt wurden. Im Bereich des Deliktsrechts werden immaterielle Schäden unabhängig vom Haftungsgrund gewährt. Auch in Bezug auf die ersatzfähigen Einbußen setzen die Regelwerke einen Schwerpunkt bei einer Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter (besonders deutlich Art. 10:301(1) PETL). Der DCFR regelt – anders als die PETL – auch die vertragliche Haftung. Die vertragsrechtlichen Teile des DCFR basieren im Wesentlichen auf den von der Europäischen Kommission für Vertragsrecht ausgearbeiteten PECL. Sowohl die PECL als auch der DCFR machen die Zusprechung immaterieller Schäden im Fall der Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung davon abhängig, dass der geltend gemachte Schaden für die in Anspruch genommene Vertragspartei bei Vertragsschluss als wahrscheinliche Folge der Nichterfüllung vorhersehbar war – es sei denn, die Nichterfüllung war vorsätzlich oder grob fahrlässig (Art. 9:501(2)(a), Art. 9:503 PECL; Art. III.-3:701(3), Art. III.-3:703 DCFR). Dagegen wollen die Acquis Principles der European Research Group on Existing EC Private Law die Gewährung von Immaterialschadensersatz in einem solchen Fall davon abhängig machen, dass der Schutz vor solchen Einbußen Zweck des jeweiligen Vertrages war (Art. 8:402(4) ACQP).
c) Wenngleich sich die nationalen Privatrechtsordnungen im Ausgangspunkt einig sind, dass bei Körper- und Gesundheitsverletzungen ein Ausgleich immaterieller Schäden in Geld zu gewähren ist, gehen die Ansichten doch weit darüber auseinander, in welchem Umfang dies zu geschehen hat. Exemplarisch dafür kann die Fallgruppe des Ausgleichs immaterieller Reflexschäden Dritter genannt werden. Gesetzt den Fall, dass ein betrunkener Autofahrer einen anderen Verkehrsteilnehmer bei einem Unfall tötet oder schwer verletzt, stellt sich die Frage, ob nahe Angehörige des Opfers eigene Ersatzansprüche geltend machen können. Im deutschen Recht ist dies nur der Fall, wenn die Benachrichtigung vom Unfall einen sog. Schockschaden auslöst, der so schwer ist, dass er einen (medizinisch diagnostizierbaren) eigenen Gesundheitsschaden begründet. Das französische Recht ist dagegen deutlich geschädigtenfreundlicher und erkennt auch Schadensersatzansprüche mittelbar Betroffener großzügig an (victimes par ricochet). Diese werden dafür entschädigt, dass sie durch die Trauer um eine geliebte Person in ihrer Lebensfreude beeinträchtigt werden. Anspruchsberechtigt sind all diejenigen, die eine enge und stabile Beziehung zum Unfallopfer haben. Dies können nicht nur Familienangehörige, sondern auch Partner einer nichtehelichen oder gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft sein. Haben diese Personen darüber hinaus auch einen eigenen Gesundheitsschaden erlitten, so ist der Ausgleichsbetrag zu erhöhen. Das englische Recht nimmt eine Mittelposition ein. Auf der einen Seite können Ansprüche wegen eines Schockschadens nur dann geltend gemacht werden, wenn der Schock durch die eigene Beobachtung des Unfalls hervorgerufen wird. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf damages for bereavement (Schadensersatz im Trauerfall) normiert, der allein dem überlebenden Ehegatten und Eltern minderjähriger Kinder zugestanden wird. Der Ausgleichsbetrag ist der Höhe nach begrenzt und liegt derzeit bei GBP 11.800,-.
d) Auf europäischer Ebene plädieren sowohl der DCFR als auch die PETL für die Festschreibung eines Angehörigenschmerzensgelds. Ähnlich wie im französischen Recht soll dieser Anspruch allen Personen zuerkannt werden, die zum Zeitpunkt des Todes in einer (besonders) engen Verbindung mit dem Opfer stehen (Art. VI.-2:202(1) DCFR; Art. 10:301(1) PETL). Die PETL machen den Ersatzanspruch zudem davon abhängig, dass das Opfer getötet oder besonders schwer verletzt wurde. Von einer gesetzlichen Fixierung der Anspruchshöhe, die dem Richter die Beantwortung der Frage erspart, was das Unfallopfern seinen Angehörigen wert war bzw. wie intensiv diese um das Opfer getrauert haben, haben beide Gruppen abgesehen. Ebenso wenig wurde der Kreis der ersatzberechtigten Personen näher definiert.
Diese, wie auch andere Fragen des Immaterialschadensersatzes, müssten – sollten die Regelwerke eines Tages Gesetz werden – somit von der Judikative konkretisiert werden. Um eine gewisse Einheitlichkeit der Auslegung sicherzustellen, bemühen sich die PETL daher, konkrete und detaillierte Regeln für die Bemessung immaterieller Schäden aufzustellen. Bei der Bemessung des Ersatzumfangs sollen alle Umstände des Falles, einschließlich der Schwere, Dauer und Folgen der Verletzung, berücksichtigt werden. Zudem wird der Rechtsanwender verpflichtet, bei der Bemessung des Schadensersatzes ähnliche Beträge für objektiv ähnliche Verletzungen zuzubilligen (Art. 10:301(2) und (3) PETL). Angestrebt wird also eine relativ umfassende Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlagen, so dass ein immaterieller Schaden in Portugal im Prinzip ebenso hoch entschädigt wird wie in Lettland. In der Praxis wären die Gerichte gehalten, Entscheidungen aus anderen Rechtsordnungen bei der Festsetzung des Schadensersatzes zu berücksichtigen. Eine solche Vereinheitlichung strebt der DCFR hingegen nicht an, sondern weist die Bemessung des Nichtvermögensschadens dem jeweils anwendbaren nationalen Recht zu (Art. VI.-6:203(2) DCFR).
4. Rechtsvereinheitlichung
a) Das internationale Einheitsrecht berührt den Ersatz immaterieller Schäden nur am Rande. Eine Ausnahme bildet die Europäische Menschenrechtskonvention (Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK). Der EGMR kann erfolgreichen Beschwerdeführern nach Art. 41 EMRK eine gerechte Entschädigung zusprechen, wenn das nationale Recht nur eine unvollkommene Wiedergutmachung der Folgen der Konventionsverletzung vorsieht. Diese umfasst auch den Ersatz immaterieller Einbußen. Daneben haben die Europäischen Grundrechte eine nicht unerhebliche Ausstrahlungswirkung auf das nationale Schadensrecht entfaltet. Betroffen ist vor allem der Bereich des Privatrechtsschutzes (Art. 8 EMRK). So hat der EGMR in einer Entscheidung aus dem Jahre 2004 eine Neukonzeption des deutschen Persönlichkeitsrechtsschutz erzwungen, indem er die einschlägige Rechtsprechung der Fachgerichte und des Bundesverfassungsgerichts als unvereinbar mit dem Grundrecht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) ansah (EGMR Nr. 59320/00 – Caroline von Hannover/Deutschland). Das Fotografieren von prominenten Zeitgenossen bei rein privaten Tätigkeiten in der Öffentlichkeit, befand der EGMR entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 15.12.1999, BVerfGE 101, 361 ff. – Caroline von Monaco I), sei nur dann durch die Pressefreiheit gerechtfertigt, wenn diese Art der Berichterstattung für eine öffentliche Debatte in einer demokratischen Gesellschaft von Bedeutung ist, und nicht, wenn lediglich die voyeuristische Neugier einer bestimmten Leserschaft befriedigt werden soll. In der Folge haben die deutschen Fachgerichte unter Berufung auf den EGMR den Schutz vor aufdringlichen Fotografen deutlich ausgeweitet. Auch die englische Rechtsprechung hat unter Bezugnahme auf Art. 8 EMRK den Schutz der Privatsphäre vor Eingriffen durch die Massenmedien durch eine Fortentwicklung tradierter common law-Deliktstatbestände ausgedehnt (Persönlichkeitsrecht).
b) Das Recht der Europäischen Union hat den Immaterialschadensersatz nur sehr punktuell harmonisiert. Die größte Überlagerung des nationalen Rechts erfolgt insofern durch die Antidiskriminierungsrichtlinien. Diese verbieten im Vertragsrecht eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts (Diskriminierungsverbot im allgemeinen Vertragsrecht). Noch weitergehende Diskriminierungsverbote sind für das Arbeitsrecht verabschiedet worden (Diskriminierungsverbot im Arbeitsrecht). Die meisten Mitgliedstaaten haben Schadensersatzansprüche eingeführt, um gemeinschaftsrechtlich verbotene Diskriminierungen zu sanktionieren, in deren Rahmen auch der immaterielle Schaden auszugleichen ist. Neben dem Antidiskriminierungsrecht hat die Gemeinschaft Schadensersatzansprüche im Reisevertragsrecht angeglichen. Die Pauschalreiserichtlinie (Reisevertrag) verpflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass einem Verbraucher die Schäden ersetzt werden, die aus der mangelhaften Erfüllung des Pauschalreisevertrags entstehen. Dabei sind auch Einbußen wegen entgangener Urlaubsfreude zu ersetzen, wie der EuGH unlängst klargestellt hat (EuGH Rs. C-168/00 – Leitner/TUI, Slg. 2002, I-2631).
c) Die Arbeiten an einem gemeineuropäischen Privatrecht haben ebenfalls das Immaterialschadensersatzrecht zum Gegenstand. In den letzten Jahren ist eine deutliche Intensivierung der rechtsvergleichenden und rechtshistorischen Forschung auf dem Gebiet des Schadensrechts zu konstatieren. Zudem wurden eine Reihe europäischer Regelwerke zum Haftungs- und Schadensrecht vorgelegt. Die ausführlichsten Regelungen auf dem Gebiet des Immaterialschadensersatzes enthalten die PETL und der DCFR, dessen Schadensrecht auf den PEL Liab. Dam. und den PECL aufbaut. Die Acquis Principles berühren hingegen das Immaterialschadensrecht nur am Rande. Diese und andere rechtsvergleichende und rechtshistorische Arbeiten haben den Boden für ein europäisches Schadensrecht zumindest ein Stück weit bereitet. Die Wissenschaft steht nunmehr vor der großen Herausforderung, die verschiedenen Entwürfe zu einem kohärenten europäischen Schadensrecht fortzuentwickeln.
Literatur
Christian von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, 1999, 57 ff.; Ulrich Magnus (Hg.), Unification of Tort Law: Damages, 2000; W.V. Horton Rogers (Hg.), Damages for Non-Pecuniary Loss in a Comparative Perspective, 2001; Nils Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 2003; Bernhard A. Koch, Helmut Koziol (Hg.), Compensation for Personal Injury in a Comparative Perspective, 2003; Wolfgang Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, 280 ff.; Johannes Ady, Ersatzansprüche wegen immaterieller Einbußen, 2004; Gerhard Wagner, Ersatz immaterieller Schäden: Bestandsaufnahme und europäische Perspektiven, Juristenzeitung 2004, 319 ff.; Helmut Koziol, Alexander Warzilek (Hg.), The Protection of Personality Rights against Invasion by Mass Media, 2005; Nils Jansen, §§ 249–253, 255, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II/1, 2007.