Seriositätsindizien

Aus HWB-EuP 2009

von Hein Kötz

1. Allgemeines

Hat jemand eine Leistung versprochen, ohne dass sich ein anderer ihm gegenüber zu einer Gegenleistung verpflichtet hat, so kann zweifelhaft sein, ob das Versprechen wirklich so ernsthaft gewollt und so sorgfältig überdacht war, dass es als rechtlich bindend anerkannt und dem Versprechensempfänger ein durchsetzbarer Anspruch auf Erfüllung oder auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Versprechens gewährt werden kann. Um diese Zweifel auszuräumen, wird in solchen Fällen gewöhnlich verlangt, dass bestimmte „Seriositätsindizien“ vorliegen, also besondere Voraussetzungen erfüllt sein müssen, die auf die Ernsthaftigkeit des Verpflichtungswillens schließen lassen. Im römischen Recht stellte sich die Frage noch nicht, weil ein Versprechen nur dann als rechtlich bindend angesehen wurde, wenn es von den Parteien in die besondere Form der stipulatio gekleidet worden war oder unter den numerus clausus der Konsensualverträge fiel und daher an seiner Seriosität kein Zweifel bestand. Erst als sich im Laufe des 17. Jahrhunderts unter dem Einfluss des kanonischen Rechts und der Bedürfnisse des Handelsverkehrs die Auffassung durchgesetzt hatte, dass grundsätzlich jedes pactum der Parteien zu klagbaren Ansprüchen führen könne, trat die Frage auf, ob dadurch nicht das Tor zu weit geöffnet sei. Sollte wirklich der bloße Konsens geschäftsfähiger Parteien, der ohne Irrtum, Täuschung oder Drohung zustande gekommen ist, stets für die Annahme einer durchsetzbaren vertraglichen Bindung ausreichen? Die Frage hat man überall verneint. Für die Gültigkeit eines Versprechens wurden zusätzliche Gründe verlangt, so in Frankreich, dass ihm eine gültige cause zugrunde liegen müsse. „Tout engagement doit avoir une cause honnête“, stellte Robert Joseph Pothier fest, und Art. 1131 Code civil bestimmt deshalb noch heute, dass „l’obligation sans cause, ou sur une fausse cause, ou sur une cause illicite, ne peut avoir aucun effet“. Ähnlich das englische Recht: Nachdem anerkannt war, dass grundsätzlich jeder auf Schadensersatz belangt werden konnte, der irgendein vertragliches Versprechen abgegeben, aber nicht oder nicht ordentlich erfüllt hatte, wurde die Regel hinzugefügt, dass dies nur dann gelte, wenn dem Versprechen ein vernünftiges Motiv – eine good, sufficient oder adequate consideration – zugrunde liege.

2. Formerfordernisse

Ein wichtiges Indiz für die Seriosität einer Erklärung ist gegeben, wenn sie vom Erklärenden in einer besonderen Form abgegeben worden ist. In allen Rechtsordnungen findet man daher Formerfordernisse, also gesetzliche Vorschriften, die für die Gültigkeit bestimmter Geschäfte die Wahrung einer besonderen Form verlangen und auf diese Weise erreichen wollen, dass die Beteiligten vor den Risiken solcher Geschäfte gewarnt werden und sich erst nach sorgfältiger Überlegung auf sie einlassen. Formbedürftig sind insbesondere Geschäfte, die wirtschaftlich bedeutsam oder gefährlich sind, wie z.B. Bürgschaften, Grundstückskaufverträge oder auch Gerichtsstandsvereinbarung. Ein Versprechen, das unter den Begriff der Schenkung fällt, wird von den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen sogar nur dann als gültig angesehen, wenn es in einer notariellen Urkunde (acte authentique) niedergelegt ist. Dadurch soll der Gefahr entgegengewirkt werden, dass der Schenker seinen Entschluss aus unbedachter Freigebigkeit oder nur deshalb gefasst hat, weil ihm jemand leere Versprechungen gemacht oder Krokodilstränen vorgeweint hat. Dieses Schutzes bedarf derjenige Schenker nicht, der die schenkweise versprochene Leistung bewirkt, also das Geschenk dem Beschenkten übergeben oder dafür gesorgt hat, dass ihm der geschenkte Geldbetrag auf seinem Konto gutgeschrieben wird. Er kann also die Leistung nicht nachträglich deshalb zurückfordern, weil sein Versprechen nicht beurkundet worden ist. Auch bedarf ein Versprechen nur dann der notariellen Beurkundung, wenn die versprochene Leistung wirklich „unentgeltlich“ erbracht werden soll. Diese Voraussetzung wird von der Rechtsprechung oft verneint, wenn der Schenker für die von ihm versprochene Leistung zwar keinerlei greifbare Gegenleistung erhalten soll, er aber doch mit ihr einen wohltätigen oder gemeinnützigen Zweck verfolgt hat oder einer Verpflichtung gerecht wird, deren Erfüllung zwar nicht rechtlich erzwingbar ist, aber auf verdienstlichen oder achtenswerten Motiven beruht. Auch liegt keine Schenkung vor, wenn jemand sich zwar zu einer unentgeltlichen Leistung verpflichtet hat, diese Leistung aber nicht aus seinem Vermögen erbracht wird, also insbesondere nicht darin besteht, dass er die Übereignung einer Sache oder die Zahlung von Geld versprochen hat. Die für Schenkungen erforderliche Form braucht also nicht gewahrt zu werden, wenn sich jemand unentgeltlich verpflichtet, für einen anderen ein Geschäft zu besorgen, ihm eine Auskunft zu erteilen, seine Sachen aufzubewahren, ihm ein zinsloses Darlehen zu gewähren oder ihm ein Grundstück zur Nutzung zu überlassen (Unentgeltliche Geschäfte).

3. Rechtsbindungswille

Hat jemand eine unentgeltliche Leistung versprochen, bei der es sich nicht um eine Schenkung handelt, so wird die Seriosität des Versprechens dadurch geprüft, dass die Frage gestellt wird, ob die versprechende Partei eine rechtliche Bindung wirklich gewollt, ob sie mit einer intention of creating legal relations oder en vue de produire des effets juridiques gehandelt hat. Daran kann es z.B. fehlen, wenn Verabredungen unter Familienangehörigen getroffen werden oder wenn jemand einem anderen die Aufbewahrung oder Beförderung von Sachen, die Beschaffung von Informationen oder die Besorgung irgendeines anderen Geschäfts nur aus Gefälligkeit oder par pure complaisance versprochen hat.

4. Die consideration-Doktrin

Eine umfassende und besonders ambitionierte Lösung des Problems hat das englische common law mit seiner consideration-Doktrin entwickelt. Danach ist ein vertragliches Versprechen nur dann bindend und durchsetzbar, wenn es entweder in der besonderen Form eines deed festgehalten oder im Hinblick auf eine Gegenleistung des Versprechensempfängers abgegeben worden ist. Unter deed wird eine schriftliche Erklärung verstanden, die der Erklärende als deed bezeichnet und unterschrieben hat und in der außerdem von einem Zeugen die Echtheit der Unterschrift des Erklärenden bestätigt worden ist. Fehlt es an dieser Form, so hängt die Durchsetzbarkeit des Versprechens davon ab, dass auch der Versprechensempfänger sich seinerseits zu einer Leistung verpflichtet hat; es genügt auch, dass er sich zu der Leistung zwar nicht verpflichtet hat, das Versprechen aber nur für den Fall gelten soll, dass der Versprechensempfänger seine Leistung tatsächlich bewirkt. Daraus folgt, dass sich im Netz der consideration-Doktrin viele Versprechen fangen, die nicht unter den Begriff der Schenkung fallen und daher auf dem Kontinent grundsätzlich auch ohne die Wahrung einer bestimmten Form gültig sind. Mangels consideration sind insbesondere alle Versprechen ungültig, durch die sich jemand unentgeltlich zu einer Auskunft oder zur Besorgung irgendeines anderen Geschäfts verpflichtet hat. Zwar kann, wenn die Auskunft unrichtig erteilt oder das Geschäft schlecht besorgt wird, eine Haftung auf Schadensersatz bestehen. Sie gründet sich aber nicht auf Vertragsbruch, sondern allenfalls auf eine unerlaubte Handlung. An der consideration-Doktrin können auch andere Geschäfte scheitern, selbst wenn kein Zweifel daran besteht, dass das Versprechen, obwohl unentgeltlich, ernsthaft gewollt war. Schwierigkeiten bereitet z.B. der Fall, in dem jemand eine Zahlung zwar nicht wegen irgendeiner Gegenleistung, aber doch aus höchst achtbaren Gründen versprochen hat, etwa deshalb, weil er den Versprechensempfänger nachträglich für bereits erbrachte Dienste belohnen oder den Unterhalt einer ihm nahestehenden Person zwar nicht aus rechtlichen, wohl aber aus moralischen Gründen sicherstellen will. Erheblichen juristischen Scharfsinns bedarf es auch, um trotz der consideration-Doktrin zur Gültigkeit einer Vereinbarung zu gelangen, durch die ein bestehender Vertrag nachträglich in der Weise abgeändert wird, dass die eine Partei, ohne dass ihr dafür eine greifbare Gegenleistung versprochen oder erbracht wird, der anderen einen Preiszuschlag oder einen Preisnachlass bewilligt, etwa deshalb, weil sonst die Gefahr besteht, dass die andere Partei wegen finanzieller Schwierigkeiten den Vertrag nicht so wie ursprünglich vereinbart erfüllen wird. Auch leuchtet es nicht ein, warum jemand, der ausdrücklich versprochen hat, dass er sich an sein Angebot für eine bestimmte Frist gebunden halten wolle, sein Versprechen nur deshalb als nicht bindend soll ansehen und das Angebot auch vor Fristablauf ohne alle rechtliche Folgen soll widerrufen dürfen, weil ihm für das Versprechen ein Preis nicht bezahlt oder versprochen worden ist.

5. Die cause-Doktrin

Sowohl der Code civil wie auch das italienische Codice civile und das spanische Código civil Zivilgesetzbuch machen die Gültigkeit eines Vertrages davon abhängig, dass ihm eine gültige cause oder causa zugrunde liegt (vgl. Art. 1131 Code civil; Art. 1343, 1418 Codice civile; Art. 1261 Código civil). Zwar ist oft die Ansicht vertreten worden, dass mit diesem Gültigkeitserfordernis – ähnlich wie mit der consideration – der Zweck verfolgt wird, ernstgemeinte und deshalb durchsetzbare Verträge von undurchsetzbaren zu unterscheiden. Bei näherer Betrachtung zeigt sich freilich, dass die Ungültigkeit von Verträgen, auch wenn sie formal auf das Fehlen einer wirksamen cause gestützt wird, auf inhaltlichen und dazu noch auf ganz unterschiedlichen Erwägungen beruht und daher die cause-Doktrin gleichsam als juristische Vielzweckwaffe eingesetzt wird. So ist auch in Frankreich ein Vertrag unwirksam, der gegen gesetzliche Vorschriften oder die guten Sitten verstößt. Dieses Ergebnis wird jedoch, ohne dass sich daraus irgendein Erkenntnisgewinn ergäbe, auf den Umstand gestützt, dass die dem Vertrag zugrunde liegende cause gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstoße (Gesetz- und Sittenwidrigkeit). Auch in anderen Fällen wird die Ungültigkeit des Vertrages zwar mit dem Fehlen einer cause begründet, aber im Grunde daraus hergeleitet, dass eine Partei bei seinem Abschluss unter dem Einfluss einer Täuschung oder Drohung gehandelt hat, beide Parteien einem gemeinsamen Irrtum unterlegen waren oder die eine Partei eine wirtschaftlich wertlose Leistung versprochen und den deshalb unausgewogenen Vertrag nur unter Ausnutzung der Arglosigkeit ihres Kontrahenten zustande gebracht hat. In der bekannten affaire Chronopost hat der Kassationshof sogar die Ungültigkeit einer haftungsbeschränkenden AGB-Klausel auf das Fehlen einer gültigen cause gestützt (Cass.com 22.10.1996, D 1997, 121). Obwohl in Frankreich über das richtige Verständnis der cause ganze Ströme gelehrter Tinte ausgegossen worden sind und viele Autoren den Begriff der cause als entbehrlich ansehen, sind die Verfasser des Vorentwurfs zur Reform des französischen Obligationenrechts (2005) dem Vorschlag von Ghestin gefolgt, indem sie an der cause als Voraussetzung der Gültigkeit eines Vertrages nicht nur festgehalten, sondern diesem Gegenstand sogar eine besonders ausführliche Regelung gewidmet haben.

6. Neuere Entwicklungen im europäischen Privatrecht

In den Texten, die den Grundlagen des europäischen Vertragsrechts gewidmet sind, wird für einen gültigen Vertrag zwar verlangt, dass ein Rechtsbindungswille vorliegen müsse; dagegen fehlt es an Regeln, die sich aus der consideration- oder der cause-Doktrin herleiten lassen. So kommt gemäß Art. 2:101 PECL ein Vertrag zustande, if (a) the parties intend to be legally bound and (b) they reach a sufficient agreement (ebenso Art. 3.2 UNIDROIT PICC; Art. II.-IV:101 DCFR). Dies gilt, wie überall mit ausdrücklicher Wendung gegen consideration- und cause-Doktrin klargestellt wird, „without any further requirement“. Auch aus dem CISG ergibt sich, dass es bestimmten Konsequenzen der consideration-Doktrin nicht folgen will. Hat z.B. der Offerent für sein Angebot eine feste Frist bestimmt, innerhalb derer es angenommen werden kann, so kann er es auch dann nicht widerrufen, wenn ihm für die Bindung vom anderen Teil Geld oder eine andere Gegenleistung weder gezahlt noch versprochen worden ist (Art. 16(2)). Aus Art. 29(1) CISG ergibt sich ferner, dass es zu einer wirksamen nachträglichen Änderung oder Aufhebung des Vertrages auch „durch bloße Vereinbarung“ kommen kann.

Literatur

Werner Lorenz, Entgeltliche und unentgeltliche Geschäfte, in: Festschrift für Max Rheinstein, Bd. II, 1969, 547 ff.; John P. Dawson, Gifts and Promises, 1980; Arthur T. von Mehren, A General View of Contract, in: IECL VII/‌1, Kap. 1–30 ff, 1980; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, 498 ff., 546 ff.; Arthur T. von Mehren, Formal Requirements, in: IECL VII/‌1, Kap. 10–128 ff, 1997; Hein Kötz, Europäisches Vertragsrecht, Bd. I, 1996, 77 ff.; Konrad Zweigert, Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, 382 ff. Ferdinand Fromholzer, Consideration, US-amerikanisches Recht im Vergleich zum deutschen Recht, 1996; Jacques Ghestin, Faut-il-conserver la cause en droit européen des contrats?, European Review of Contract Law 1 (2005) 396 ff.

Abgerufen von Seriositätsindizien – HWB-EuP 2009 am 19. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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