Schweizerisches Zivilgesetzbuch: Unterschied zwischen den Versionen

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==Quellen==
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Die aktuelle Fassung des ZGB findet sich gedruckt in der Systematischen Sammlung des Bundesrechts (SR) unter Nummer 210. Im Internet ist sie abrufbar unter http://www.admin.ch/‌‌ch/‌d/‌sr/‌sr.html; Gesetzesmaterialien finden sich etwa bei ''Urs Fasel'','' ''Sachenrechtliche Materialien: Von den ersten Entwürfen bis zum Gesetz 1912, 2005; ''Markus Reber'', ''Christoph Hurni ''(Hg.), Materialien zum Zivilgesetzbuch, Bd. II des Berner Kommentars zum schweizerischen Privatrecht: Die Erläuterungen von Eugen Huber. Text des Vorentwurfs von 1900, 2007.
Die aktuelle Fassung des ZGB findet sich gedruckt in der Systematischen Sammlung des Bundesrechts (SR) unter Nummer 210. Im Internet ist sie abrufbar unter <nowiki>http://www.admin.ch/‌‌ch/‌d/‌sr/‌sr.html</nowiki>; Gesetzesmaterialien finden sich etwa bei ''Urs Fasel'','' ''Sachenrechtliche Materialien: Von den ersten Entwürfen bis zum Gesetz 1912, 2005; ''Markus Reber'', ''Christoph Hurni ''(Hg.), Materialien zum Zivilgesetzbuch, Bd. II des Berner Kommentars zum schweizerischen Privatrecht: Die Erläuterungen von Eugen Huber. Text des Vorentwurfs von 1900, 2007.


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Aktuelle Version vom 23. November 2021, 21:48 Uhr

von Kurt Siehr

1. Entstehung

Das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) vom 10.12.1907 ist nach Art. 61 Abs. 1 seines Schlusstitels am 1.1.1912 in Kraft getreten. Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29.5.1874 wurde in der Volksabstimmung vom 13.11.1898 um den Art. 64 Abs. 2 erweitert und dem Bund die „Gesetzgebung auch in den übrigen Gebieten des Zivilrechts“ zugestanden, also zusätzlich zu der bereits seit 1874 bestehenden Bundeszuständigkeit für das Recht der Handlungsfähigkeit sowie für das Obligationen- und Immaterialgüterrecht (Schweizerisches Obligationenrecht). Die Vorbereitungen für das ZGB hatten jedoch schon früher begonnen. Am 16.9.1884 beantragte der Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements auf dem Schweizerischen Juristentag in Lausanne, „de provoquer une étude comparée complète de la législation civile des états de la Suisse“. Diese Aufgabe übernahm Eugen Huber (1849–1923), damals Professor in Basel, und schuf in seinem vierbändigen Hauptwerk „System und Geschichte des schweizerischen Privatrechts“ (1886–1893) die Grundlage für die spätere bundesweite Vereinheitlichung des Privatrechts. Im Jahr 1892 wurde Eugen Huber aus Halle, wo er seit 1888 lehrte, in die Heimat zurück gerufen und vom Bundesrat (d.h. der Bundesregierung) mit der Ausarbeitung eines einheitlichen Zivilgesetzbuches betraut. Neben seiner Tätigkeit als Ordinarius der Universität Bern und seit 1902 als Mitglied des Nationalrates arbeitete Eugen Huber an dem ZGB, das – nach Ergänzung der Bundesverfassung im Jahr 1898 – am 10.12.1907 schließlich Gesetz wurde.

Mit dem ZGB wurde das schweizerische Zivilrecht außerhalb des Obligationenrechts, also das Personen-, Familien-, Erb- und Sachenrecht zum ersten Mal vereinheitlicht. Vor Inkrafttreten des ZGB galt in der Schweiz auf diesen Gebieten kantonales Recht und die Kantone versuchten durch Konkordate, später der Bund durch das Bundesgesetz betreffend die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter vom 25.6.1891, die interkantonalen Konflikte zu lösen. Das kantonale Recht vor Inkrafttreten des ZGB lässt sich in vier Gruppen einteilen. (1) die erste Gruppe von Kantonen der West- und Südschweiz (vor allem Genf) hatten Kodifikationen, die sich am französischen Code civil orientierten. (2) Eine zweite Gruppe (so z.B. Bern, Luzern und Solothurn) lehnte sich in ihren Gesetzbüchern an das ABGB an. (3) Für den Kanton Zürich schuf Johann Caspar Bluntschli (1808–1881) das Privatrechtliche Gesetzbuch von 1853/‌55 auf der Grundlage deutscher Pandektistik. Dasselbe tat Peter Conradin von Planta (1815–1902) für den Kanton Graubünden im Bündnerischen Civilgesetzbuch von 1862. (4) Eine letzte Gruppe (z.B. Basel, St. Gallen) schließlich lebte unter ungeschriebenem Recht und Partikulargesetzen.

2. Inhalt

Das ZGB, das in den drei Amtssprachen des Bundes Deutsch, Französisch und Italienisch gleichermaßen verbindlich ist, regelt nach einer kurzen Einleitung (Art. 1–10) in vier Teilen das Personenrecht (Art. 11–85bis), das Familienrecht (Art. 90–455), das Erbrecht (Art. 457–640) und das Sachenrecht (Art. 641–977). Der Schlusstitel enthält in seinen Art. 1–251 Anwendungs- und Einführungsbestimmungen, insbesondere intertemporalrechtliche Vorschriften. Das Obligationenrecht (OR) ist im Bundesgesetz vom 30.3.1911 betreffend die Ergänzung des ZGB (Fünfter Teil: Obligationenrecht) gesondert geregelt (Schweizerisches Obligationenrecht).

Das ZGB zeichnet sich durch zumindest fünf Charakteristika aus:

(1) Es verzichtet auf einen allgemeinen Teil, wie ihn das BGB kennt.

(2) Es gilt (nebst dem OR) nicht nur für bürgerliche Rechtsverhältnisse, sondern auch für den Handel. Die Schweiz hat bewusst auf ein Handelsgesetzbuch verzichtet.

(3) Häufig findet man im ZGB Vorschriften über das gerichtliche Verfahren (vgl. etwa Art. 135 ff. über das Scheidungsverfahren). Das beruht darauf, dass der Bund bis zur neuen Bundesverfassung vom 18.4.1999 keine Gesetzgebungszuständigkeit für den Zivilprozess hatte und dass deswegen gewisse Grundfragen des Zivilverfahrens in das materielle Recht mit aufgenommen wurden.

(4) Das ZGB ist eine eigenständige Kodifikation, die bewusst und überlegt manchmal der Tradition der deutschsprachigen Kantone folgt, manchmal derjenigen der französischsprachigen Landesteile.

(a) Im Personenrecht findet sich bereits Art. 28 Abs. 1 ZGB a.F.: „Wer in seinen persönlichen Verhältnissen unbefugterweise verletzt wird, kann auf Beseitigung der Störung klagen.“ Dieser Persönlichkeitsschutz aus dem Jahr 1907 ist ein Beispiel für die vorausschauende und mutige Gesetzgebung des ZGB.

(b) Das ursprüngliche Familienrecht war patriarchalisch orientiert, wie alle Zivilgesetzbücher der frühen Zeit, was folgende Vorschriften in kurzen und kernigen Worten zeigen: „Der Ehemann ist das Haupt der Gemeinschaft.“ (Art. 160 Abs. 1 ZGB a.F.). „Der Ehemann verwaltet das eheliche Vermögen. “ (Art. 200 Abs. 1 ZGB a.F.). „Die Kinder sind den Eltern Gehorsam und Ehrerbietung schuldig.“ (Art. 275 Abs. 1 ZGB a.F.). Andererseits war das ZGB jedoch auch fortschrittlicher als andere Gesetzbücher, indem es – abgesehen von außerehelichen Kindern, die im Ehebruch oder in Blutschande gezeugt wurden (Art. 304 ZGB a.F.) – die Anerkennung der Vaterschaft zuließ und auch die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung mit oder ohne Standesfolge vorsah (Art. 307 ff. ZGB a.F.).

(c) Das Eherecht war patriarchalisch konzipiert, der Ehemann bzw. Vater hatte nach der Urfassung des ZGB das Sagen. Der gesetzliche Güterstand war ursprünglich die Güterverbindung (Art. 191 ff. ZGB a.F.), die alles Vermögen, das den Ehegatten zur Zeit der Eheschließung gehört oder während der Ehe auf sie übergeht, zum ehelichen Vermögen, das der Ehemann verwaltet (Art. 200 Abs. 1 ZGB a.F.), vereinigt. Die Ehescheidung war zulässig. Im Scheidungsprozess herrschte die Offizialmaxime.

(d) Im Erbrecht fällt die starke Bindung des Erblassers auf. Nur die engste Familie ist erbberechtigt, so dass die Erbberechtigung der Blutsverwandten mit dem Stamm der Großeltern aufhört (Art. 460 Abs. 1 ZGB), auch die Geschwister waren pflichtteilsberechtigt (Art. 470 Abs. 1 ZGB a.F.). Das Pflichtteilsrecht ist als Noterbrecht ausgestaltet, und zwar mit wenig Verfügungsfreiheit des Erblassers (Art. 471, 522 ff. ZGB).

(e) Das Sachenrecht kennt die kausale Übereignung, folgt dem Vorbild des Code civil auch beim gutgläubigen Erwerb gestohlener Sachen (Art. 934 Abs. 1 und 2 ZGB), und regelt den Besitz sehr ausführlich (Art. 919 ff. ZGB).

(5) Das ZGB ist eine mutige und selbstbewusste Kodifikation. Es bekennt sich zur Lückenhaftigkeit und weist in Art. 1 Abs. 2 ZGB – im Anschluss an Aristoteles (Nicomachische Ethik V, 10, 5) – das Gericht an, bei einer Lücke „nach der Regel [zu] entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.“ Außerdem ermahnt es in Art. 2 ZGB jedermann, „in der Ausübung seiner Rechte und in Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln“ (Abs. 1), und „offenbare[n] Missbrauch eines Rechtes“ zu unterlassen (Abs. 2). Schließlich fordert das ZGB den Richter auf, bei Ermessensentscheidungen „seine Entscheidung nach Recht und Billigkeit zu treffen“ (Art. 4 ZGB).

3. Fortentwicklung

Im Laufe von fast hundert Jahren seit seinem Inkrafttreten am 1.1.1912 hat das ZGB zahlreiche Reformen erfahren.

(a) Im Personenrecht ist vor allem das Recht des Persönlichkeitsschutzes (Persönlichkeitsrecht) durch Bundesgesetz vom 16.12.1983 verstärkt (Art. 27, 28 ZGB) und das Stiftungsrecht (Art. 80 ff.) ist durch Bundesgesetz vom 8.10.2004 revidiert worden.

(b) Vom ursprünglichen Familienrecht ist heute nur noch wenig übrig geblieben. Beginnend mit dem Adoptionsrecht (Bundesgesetz vom 30.6.1972) und dem übrigen Kindesrecht (Bundesgesetz vom 25.6.1976), ist das Recht der Ehewirkungen (Bundesgesetz vom 5.10.1984) und das Recht der Ehescheidung (Bundesgesetz vom 26.6.1998) modernisiert worden. Heute ist auch in der Schweiz das Wohl des Kindes vorrangig und im Eherecht gelten der Grundsatz der Gleichberechtigung sowie die Errungenschaftsbeteiligung als gesetzlicher Güterstand der Gütertrennung mit Ausgleich der Errungenschaft bei Beendigung des Güterstandes (Art. 196 ff. ZGB). Das Vormundschaftsrecht wird gerade erneuert und im Recht des Erwachsenenschutzes neu geordnet (BBl. 2006, 7139). Außerhalb des ZGB ist die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare durch Bundesgesetz vom 18.6.2004 (PartG) geregelt

(c) Das Erbrecht ist immer nur in Zusammenhang mit anderen Teilen des ZGB sporadisch geändert worden. So sind z.B. die erbrechtliche Stellung des überlebenden Ehegatten verstärkt (Art. 462 ZGB), alle Kinder gleichbehandelt (Art. 457 ZGB) und der Pflichtteil der Geschwister (Art. 471 ZGB) beseitigt worden.

(d) Das Sachenrecht hat vor allem für Immobilien Änderungen erfahren, nämlich durch die Bundesgesetze vom 19.12.1963 über Miteigentum und Stockwerkeigentum, vom 19.3.1965 über das Baurecht und Grundstücksverkehrsrecht und vom 4.10.1991 über das Immobiliarsachenrecht und bäuerliche Bodenrecht. Das Mobiliarsachenrecht sieht heute vor, dass Tiere keine Sachen sind (Art. 641a Abs. 1 ZGB), und auf Grund des Kulturgütertransfergesetzes vom 20.6.2003 sind Kulturgüter stärker als bisher vor Verlust durch Ersitzung (Art. 728 Abs. 1ter ZGB) und vor gutgläubigem Erwerb vom Nichtberechtigten (Art. 934 Abs. 1bis ZGB) geschützt.

Außerdem ist das ZGB durch eine behutsame Rechtsprechung der Gerichte, insbesondere des Bundesgerichts, sowie durch kluge Beiträge der Wissenschaft, vor allem durch umfangreiche Kommentierungen des ZGB (Basler, Berner und Zürcher Kommentar), konkretisiert und fortentwickelt worden.

4. Bedeutung

Das ZGB ist auch außerhalb der Schweiz als ein vorzügliches Zivilgesetzbuch gepriesen worden. Geschätzt wird vor allem seine Verständlichkeit, die zu einem wesentlichen Teil darauf beruht, dass es in den drei vollen Amtssprachen der Schweiz (Deutsch, Französisch, Italienisch) gleichermaßen verbindlich ist und deshalb in den drei Versionen klar und eindeutig sein muss. Doch nicht nur dies. Es wurde ins Türkische übersetzt und mit wenigen Ausnahmen (z.B. im Ehegüterrecht) als türkisches ZGB von 1926 in der Türkei in Kraft gesetzt Seitdem orientiert sich die Türkei im Zivilrecht auch weiterhin an der Rechtsentwicklung in der Schweiz. Bei der Ausarbeitung des italienischen Codice civile von 1942 und des griechischen Zivilgesetzbuchs von 1940/‌46 sowie in anderen Ländern wurde das ZGB ebenfalls zu Rate gezogen. Bis zum heutigen Tage gilt das ZGB als ein hervorragendes Beispiel für eine gelungene Kodifizierung des Zivilrechts.

Literatur

Josef Kohler, Eugen Huber und das Schweizer Zivilgesetzbuch, Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozessrecht des In- und Auslandes 5 (1913) 1 ff.; Max Rümelin, Eugen Huber, 1923; Paul Mutzner, Eugen Huber, Zeitschrift für Schweizerisches Recht 43 (1924) 1 ff.; Theo Guhl, Eugen Huber, in: Hans Schultheß (Hg.), Schweizer Juristen der letzten hundert Jahre, 1945, 323 ff.; Ernst Hirsch, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch in der Türkei, Schweizeri-sche Juristen-Zeitung 1954, 337 ff.; Erich Pritsch, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch in der Türkei, Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 59 (1957) 123 ff.; Ferdinand Elsener, Die Schweizer Rechtsschulen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, 1975; Pio Caroni (Hg.), L’unification du droit privé suisse au XIXe siècle, 1986; Pio Caroni, Rechtseinheit. Drei historische Studien zu Art. 64 BV, 1986; Dominique Manaï, Eugen Huber – Jurisconsulte charismatique, 1990; François Dessemontet, Tuğrul Ansay (Hg.), Introduction to Swiss Law, 2. Aufl. 1995; Peter Gauch, Jörg Schmid (Hg.), Die Rechtsentwicklung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Symposium zum Schweizerischen Privatrecht, 2001; Susanne Genner, Dekodifikation. Zur Auflösung der kodifikatorischen Einheit im schweizerischen Zivilrecht, 2006.

Quellen

Die aktuelle Fassung des ZGB findet sich gedruckt in der Systematischen Sammlung des Bundesrechts (SR) unter Nummer 210. Im Internet ist sie abrufbar unter http://www.admin.ch/‌‌ch/‌d/‌sr/‌sr.html; Gesetzesmaterialien finden sich etwa bei Urs Fasel, Sachenrechtliche Materialien: Von den ersten Entwürfen bis zum Gesetz 1912, 2005; Markus Reber, Christoph Hurni (Hg.), Materialien zum Zivilgesetzbuch, Bd. II des Berner Kommentars zum schweizerischen Privatrecht: Die Erläuterungen von Eugen Huber. Text des Vorentwurfs von 1900, 2007.

Abgerufen von Schweizerisches Zivilgesetzbuch – HWB-EuP 2009 am 21. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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