Naturrecht und Nichteheliche Lebensgemeinschaft: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Johannes Liebrecht]]''
von ''[[Jens M. Scherpe]]''
== 1. Vielfalt der Naturrechts-Begriffe ==
== 1. Begriffsbestimmung ==
Mit dem Begriff Naturrecht werden verschiedene historische Phänomene benannt. Sie weisen den Kern eines gemeinsamen Sinnbezugs auf, denn sie treffen sich in ihrer Suche nach allgemeingültigen, unveränderlichen Grundsätzen für ein gerechtes und menschengemäßes Recht. Über Jahrhunderte konnte dadurch das Naturrechtsdenken zum Maßstab und Keim von Rechtskritik werden. Im Einzelnen aber variiert seine Erscheinungsweise erheblich, je nachdem welchen Inhalts die Bezugsgröße Natur gewesen ist: Es macht einen Unterschied, ob ein teleologisch aufgeladener, doch an der je konkret aktualisierten Bestimmung eines Menschen ausgerichteter Naturbegriff (bei ''Aristoteles'') zugrunde liegt oder aber der Naturbegriff auf die menschliche Natur insgesamt ausgreift (wie innerhalb der ''logos''-durchwalteten Weltenordnung der ''Stoa''). Die Natur der Philosophien des christlichen Mittelalters bietet als rein diesseitige Sphäre keinen Ort für Götter, und ihr Naturrecht mag einen Plan Gottes offenbaren, ist jedoch anders als das antike stets einem ''ius divinum'' untergeordnet. Der christlich-scholastischen Philosophie entgegengestellt, begründet sich wiederum das neuzeitliche Naturrecht als ein vernunftrechtliches, später zunehmend durch die Aufklärung gezeichnetes Denken: Natur, menschliche Natur und ihre Sozialität sind hier ein durch fortschreitende wissenschaftliche Untersuchung zu erschließender Bereich. Der Terminus Naturrecht führt hingegen nicht nur zu den Stufen einer ideengeschichtlichen Periodisierung. Unter seinem Etikett werden noch heute, insbesondere im angelsächsischen Raum, fundamentale Aspekte der Rechtstheorie verhandelt und philosophische, manchmal stark aussagenlogisch gefärbte Dimensionen rechtlicher Normativität erschlossen. Die hierhinter stehenden Fragen um Geltung und Positivität des Rechts, um seinen Bezug auf Moral oder Sitte sind in kodifikationsgeprägten Ländern an sich nicht minder problematisch, werden dort jedoch häufig hinter dem Horizont eines durch [[Kodifikation]] ebengültigen Rechts vermutet und in das kleine Randfach der Rechtsphilosophie abgedrängt. In der jüngsten Geschichte wurden sie jedoch auch auf dem Kontinent verschiedentlich aktuell: So erlebte die Debatte um das Naturrecht nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine europaweite Blüte, oder nach 1989 tauchte sie in Deutschland im Rahmen der sog. „Mauerschützenprozesse“ erneut auf.
In seiner weitesten Auslegung umfasst der Begriff der „nichtehelichen Lebensgemeinschaft“ (engl. zumeist ''cohabitation'') jegliche Lebensgemeinschaft zwischen Personen, die nicht miteinander verheiratet sind, also auch alle anderen formalisierten Lebensgemeinschaften, einschließlich eingetragener/‌registrierter Partnerschaften zwischen Personen verschiedenen oder desselben Geschlechts. Letztere wären bei einer engeren Auslegung jedenfalls dann nicht mit eingeschlossen, wenn die formalisierte Lebensgemeinschaft ein exklusiv für gleichgeschlechtliche Paare geschaffenes, funktionales Äquivalent zur Ehe darstellt, wie etwa die deutsche eingetragene Lebenspartnerschaft, die schweizerische eingetragene Partnerschaft oder die registrierte Partnerschaft in den nordischen Ländern ([[Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften|Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft]]). Im Folgenden wird von diesem engeren Begriff ausgegangen.


== 2. Naturrecht als Epoche ==
Die Begriffe „eheähnliche Gemeinschaft“ und „Ehe ohne Trauschein“ sowie ''common law marriage'' (''[[common law]]'') werden oftmals verwendet, um nichteheliche Lebensgemeinschaften zu bezeichnen; sie signalisieren aber eine funktionale Ähnlichkeit der Lebensgemeinschaft zur [[Ehe]], die nicht allen nichtehelichen Lebensgemeinschaften gerecht wird – insbesondere dann, wenn sich die Partner bewusst gegen eine Ehe (oder ihr funktionales Äquivalent) entschieden haben.
Für das europäische Privatrecht ist die gerade als neuzeitliches Naturrecht erwähnte historische Phase besonders wichtig gewesen. Sie bezeichnet eine gesamteuropäische geistige Strömung im 17. und 18. Jahrhundert, die, losgelöst von den Axiomen der christlichen Moraltheologie, eine richtige Struktur menschlicher Ordnung zu bestimmen suchte und einen neuen Rahmen für das Recht schuf; zahllose Arbeiten auch zum Zivilrecht wurden in ihrem Namen verfasst und eigene Lehrstühle eingerichtet.


Zum sog. frühen Naturrecht wird zum Teil bereits ''Johannes Althusius'' gezählt, sein erster maßgeblicher Vertreter war der Holländer ''Hugo Grotius'', der als ethischen Ausgangspunkt seines Naturrechts die menschliche Bereitschaft zur vernünftigen und friedlichen Koexistenz voraussetzte (''socialitas'') und hieraus nähere, zumeist vertragsrechtlich konstruierte Prinzipien erarbeite. Im klassischen Naturrecht wurden bei Denkern wie ''Thomas Hobbes'', ''Samuel von Pufendorf'' oder ''Christian Thomasius'' dann die großen Naturrechtssysteme entwickelt. Das für die europäische Privatrechtsgeschichte bedeutendste verfasste der in Schweden und Preußen lehrende ''Pufendorf''. Gegenüber ''Grotius'' ging er von der menschlichen Schwäche und Bedürftigkeit als Grundlage aus (''imbecillitas''): hieraus entsteht eine Ordnung gegenseitiger Hilfeleistungen, wird also erst eine ''socialitas'' konstituiert. Demgemäß ist sein Naturrechtsbegriff auch primär am Begriff der Pflicht (''officium'') ausgerichtet und angebunden an die gottverliehene Bestimmung des Menschen zu dienen, aus welcher sich erst ein Recht ergebe. Schon hier und weiterhin im späteren Naturrecht bildete sich aus diesen Grundlagen eine vernunftbestimmte Gesellschaftsprogrammatik, die auf große, in einem neuen Sinne als umfassend und systematisch verstandene Gesetzgebungswerke der Gegenwart, die neuen Kodifikationen umgelegt und auf sie hin ausgebildet wurde. Die Naturrechtler'' Christian Wolff ''und'' Daniel'' ''Nettelbladt'' wirkten durch ihre Schule etwa auf die Abfassung des [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|Preußischen ALR von 1794]], doch die Breitenwirkung war ungleich größer.
Rechtshistorisch wurde häufig der Begriff des Konkubinats (''concubinatus'') zur Bezeichnung nichtehelicher Lebensgemeinschaften verwendet, wobei nur jeweils aus dem gesellschaftlich-historischen Zusammenhang zu ersehen ist, ob es sich etwa um ein ''neben'' oder ''außerhalb ''der Ehe bestehendes Verhältnis handelt, bzw. z.T. sogar um ein Verhältnis ''innerhalb'' einer Ehe minderen Rechts. Lange Zeit war das Konkubinat durchaus eine akzeptierte oder zumindest geduldete Lebensform, das Konzil von Trient schrieb jedoch mit dem Dekret ''Tametsi'' vom 11.11.1563 das Verbot des Konkubinats endgültig fest.


Die Vielfalt des naturrechtlichen Denkens fast zweier Jahrhunderte geht über diese Figuren weit hinaus, sie lässt sich europaweit und in vielen unterschiedlichen Ausprägungen ausmachen, sei es in Absolutismus-nahen Konzepten oder ebenso in liberalen Ideologien wie denen von ''John Locke'', der mit seiner calvinistisch geprägten, auf diesseitige Freiheit und Eigentum gerichteten Gesellschaftslehre überragenden Einfluss auf die angelsächsichen politischen Ideale gewann. Als übergreifende Sozialphilosophie der Moderne glich das Naturrecht einem universalen Gelehrtendiskurs (''Franz Wieacker''<nowiki>; </nowiki>''Klaus Luig''). Sein tatsächlicher Ort war indes der einer genuin juristischen Grundlagendisziplin. ''Pufendorf'' verstand seine Lehrtätigkeit als rechtswissenschaftliche und sah sein Denken als ein zeitgemäßes neues Bild vom Recht: Das Recht im Ganzen sollte neu entworfen und begründet werden, ohne Abhängigkeit von der gelehrten Jurisprudenz des frühen [[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']] und ebenso unabhängig von der Moraltheologie. Möglicherweise ist die große Anziehungskraft dieses Ziels auch durch den Autoritätsverlust des Textbestands des ''[[Corpus Juris Civilis]]'' zu erklären, das auf seine kritische Aneignung und Erweiterungen im [[Humanismus]] sowie die neuen europäischen Rechtskonzepte um Individualität und Subjektivität keine ausreichenden Muster mehr bieten konnte und eine neuartige Rechtsreflexion erforderlich werden ließ.
Der Ausspruch „Les concubins ignorent la loi, la loi ignore donc les concubins“ (oder auch „Les concubins'' se ''passent de la loi, la loi se désinteresse d'eux“) wird gemeinhin Napoléon zugerechnet; dennoch ist heutzutage in „seinem“ ''Code civil'' in Art.&nbsp;515-8 die ''concubinage'' nunmehr legal definiert als „ein faktisches Zusammenleben, das sich durch eine stabile, dauerhafte Lebensgemeinschaft zwischen zwei Personen unterschiedlichen oder gleichen Geschlechts kennzeichnet, die als Paar zusammenleben“; eine concubinage ist daher auch neben einer Ehe oder sonstigen formalisierten Lebensgemeinschaft möglich. Das schwedische Sambolag (2003:376) (Gesetz über Zusammenwohnende) definiert in §&nbsp;1&nbsp;sambor (Zusammenwohnende) als „zwei Personen, die dauerhaft als Paar zusammenleben und einen gemeinsamen Haushalt haben“. Wie in der Mehrzahl der europäischen Rechtsordnungen (aber z.B. nicht in Frankreich für die concubinage oder nach den Reformvorschlägen in England und Wales sowie in Irland) ist in Schweden aber die Anwendung der Vorschriften für nichteheliche Lebensgemeinschaften ausgeschlossen, wenn eine der Personen anderweitig verheiratet bzw. registrierter Partner ist. Auch werden die anderen Eheverbote grundsätzlich sinngemäß auf nichteheliche Lebensgemeinschaften übertragen; eine Ausnahme in Europa bildet hier lediglich Belgien, wo ein „gesetzliches Zusammenwohnen“ (welches eine gemeinsame schriftliche Erklärung gegenüber dem Standesbeamten erfordert) auch zwischen Blutsverwandten wie Geschwistern oder etwa Vater und Sohn möglich ist.


== 3. Säkularisierung des Rechtsdenkens  ==
== 2. Rechtstatsächliche Bedeutung ==
Die große Wirkung des Naturrechts wird jedoch erst vor seinem Entstehungs-Hintergrund verständlich. Als Glaubensspaltung und Konfessionskriege im neuzeitlichen Europa eine bisher ungeahnte Orientierungsnot aufrissen und sich souveräne Staaten mit einander feindlich gestimmten Bekenntnissen gegenüberstanden, wurde eine neue Fundierung des Rechts notwendig, die tauglich sein musste, auf Elemente theologischer Letztbegründung zu verzichten. Schon von ''Grotius'' wurde die Frage nach den Bedingungen friedlicher Koexistenz neu gestellt und nach Rechtsregeln innerhalb der Gesellschaft und zwischen den Völkern gesucht. Während er dabei mit seiner Frage, welches Recht gelte, wenn es einen Gott nicht gäbe, noch eher der scholastischen ''quaestiones''-Kultur verpflichtet war, drang ''Hobbes'' zu einer grundsätzlich säkularen Rechtsbegründung durch, die die Rolle des Staates als normsetzende Gewalt erstmals neu konzipierte. Neben einem hier profan verorteten Naturrecht tauchte zudem die neue Semantik einer ebenso legitimierten'' Menschenwürde'' auf: als individuales, aus einer säkularisierten Gleichheitsvermutung abgeleitetes Recht und Auftrag an den politischen Gesetzgeber, so bei ''Pufendorf'' und weit verbreitet im europäischen politischen Diskurs des 18.&nbsp;Jahrhunderts. Das Naturrecht vollzog gerade in dieser Periode einen noch tiefer greifenden Wandel. Indem die Vorstellung von Gott als dem Schöpfer des Naturrechts verblasste, trat es nicht nur zunehmend als Erzeugnis der menschlichen Vernunft hervor. Im Schatten dieser Umformulierung des Naturrechts zum Vernunftrecht drang das ''positive Recht'' als Bezugsgröße neben ihm weiter in den Vordergrund und etablierte sich immer deutlicher als erster Maßstab des Rechtsdenkens. Insbesondere seit der Frühaufklärung findet sich so eine starke Ausrichtung auf die Gesetze – bei ''Thomasius'' so weit, dass er das Naturrecht daneben gar dem Bereich der Ethik zuweisen möchte. Diese Tendenz konnte sich im Verlauf des 18.&nbsp;Jahrhunderts verfestigen und radikalisieren: Recht wurde nun vermehrt als Menschen-hervorgebracht verstanden, gleichsam vergegenständlicht und zugleich auf die Schlüsselidee des Gesetzes verengt. Als euphorische Überhöhung menschlicher Selbstbestimmung erreichte dies im revolutionären Frankreich seinen bekanntesten Ausdruck in der ''Déclaration des droits de l’homme'' von 1789. Für die Naturrechtler selbst stand freilich eine gottbefreite Vision des Rechts nie zur Debatte, denn alle menschliche Existenz war ihnen selbstverständlich eine gottgegründete, und ihre Philosophie war eine christliche. Die wachsende Marginalisierung der religiösen Grundlagen in ihrer Rechtstheorie und deren Emanzipation von der Theologie ließen allerdings auch Aufklärer wie ''Jean-Jacques Rousseau'' auf ihr Rechtsdenken zurückgreifen.
Die tatsächliche Bedeutung nichtehelicher Lebensgemeinschaften scheint einer gesellschaftlichen Entwicklung zu folgen, die grob in drei Phasen eingeteilt werden kann. In der ersten Phase sind nichteheliche Lebensgemeinschaften soziale Einzelfälle und werden von der großen Mehrheit der Bevölkerung als von der (Ehe&#8209;) Norm abweichend und negativ empfunden bzw. sozial geächtet, z.T. sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen. In der folgenden Phase sind nichteheliche Lebensgemeinschaften häufiger und zumindest geduldet, vor allem als Vorstufe zur Ehe, in der die Lebensgemeinschaft durch das Zusammenleben „getestet“ wird; die Ehe bleibt jedoch die von der gesellschaftlichen Mehrheit als angemessen empfundene Lebensform, insbesondere wenn Kinder geboren werden. In der dritten Phase sind schließlich nichteheliches Zusammenleben und Ehe mit und ohne Kinder gleichermaßen sozial akzeptiert.


== 4. ''Mos geometricus'' ==
Die aufgezeigte Entwicklung lässt sich nahezu in allen europäischen Rechtsordnungen finden, wobei sich ein gewisses Nord-Süd-Gefälle in Europa feststellen lässt. In den nordischen Ländern, Frankreich und in einigen osteuropäischen Staaten wie Slowenien und Kroatien ist die Entwicklung am weitesten fortgeschritten. Mitteleuropa (einschließlich Deutschland) sowie Großbritannien nehmen eine Zwischenposition ein. Die südeuropäischen Länder (und Nordirland) stehen zumeist eher am Anfang dieser Entwicklung, auch wenn z.B. in den spanischen Autonomen Gemeinschaften bereits seit einiger Zeit Gesetze für nichteheliche Lebensgemeinschaften bestehen. Unabhängig vom Stand der Entwicklung im jeweiligen Land kann jedenfalls festgestellt werden, dass nichteheliche Lebensgemeinschaften in allen europäischen Staaten generell an sozialer Bedeutung zunehmen, mehr und mehr Kinder außerhalb der Ehe geboren werden (z.B. in den nordischen Ländern, Frankreich und Slowenien 40–50&nbsp;% aller Kinder) und dass sich hieraus sehr spezifische Rechtsprobleme ergeben, die einer Lösung bedürfen.
Die neue Rechtstheorie führte zu einschneidenden Veränderungen bis hinein in das Privatrecht. Die auffälligste Wirkung für die Struktur der heutigen europäischen Privatrechte lag in einer dabei vollzogenen methodischen Neuausrichtung der Rechtswissenschaft. Sie gelangte zu einer neuartigen Reflexion darüber, auf welche Weise sich ein Rechtssystem ''als System'' darzustellen habe und wie es anzulegen sei. Im 17.&nbsp;Jahrhundert erlebte dieses Leitbild im Angesicht der aufstrebenden exakten Wissenschaften eine neue Blüte. Experiment und Beobachtung von Naturgesetzen schienen einen Fundus an verborgenen Erkenntnissen auch für eine Gesellschaftslehre zu eröffnen, den es endlich zu analysieren galt. Die probate Methode der richtigen Schlussfolgerung lag dafür in einer mathematikgleichen, exakt zwingenden Deduktion aus gegebenen Prämissen. Während schon ''Grotius'' seine Ausführungen in einen Zusammenhang mit dem abstrahierenden Vorgehen der Mathematik stellte, übte bald darauf die berühmte Methodenschrift von ''René Descartes'' (1637) mit ihrer rationalistischen Zurückweisung der tradierten Metaphysik großen Eindruck auf die neue Rechtslehre aus. Ein erstes mit Anspruch auf Vollständigkeit auftretendes System des Naturrechts nahm ''Hobbes'' in Angriff, und vor allem ''Pufendorf'' entwarf, anders als ''Grotius'', einen durchgehenden Ableitungszusammenhang von naturrechtlichen Sätzen: Seine Ausführungen über die Schuldverträge etwa versuchte er, in Kohärenz zu bestimmten obersten Prinzipien zu entwerfen, aus denen die Einzelsätze je zu deduzieren seien. Für die privatrechtliche Argumentationskultur in einigen Teilen Europas waren später die Werke von ''Wolff'' und seiner Schule von besonderer Wirkung: Er ging weit über das ''Pufendorf''’sche Systematisierungsmaß hinaus und baute sein System konsequent auf syllogistische Schlüsse auf, die sämtlich minutiös aus den obersten Prinzipien seines Naturrechts deduzierbar sein sollten. Dieses Ideal geometrischer, gleichsam reiner Methode floss in die sog. Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts ein und reichte als Zielbild sowohl äußerlich-formeller als auch sachlich-terminologischer Kohärenz bis in die Gestaltung des deutschen [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]] von 1900. Es steht einem anderen, der römischen Überlieferung stärker verbundenen Ideal gegenüber, das vom Naturrecht nicht unbeeindruckt, doch näher beim tradierten privatrechtlichen Institutionen-Denken verblieben war; ihm entspricht beispielsweise der französische ''[[Code civil]]'' von 1804.


== 5. Nationalisierung des Privatrechts  ==
== 3. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Die sich hier zeigende Differenz verwundert schon angesichts der breiten Wirkung naturrechtlichen Denkens nicht. Wie im ''[[usus'' ''modernus'' und in der eleganten Jurisprudenz lässt sich an den Naturrechtsschriften und &#8209;lehren das zeittypische Phänomen wachsenden nationalstaatlichen Eigenbewusstseins ablesen. Es erscheinen im Privatrecht verstärkt nationale Lehrbücher, in denen sich der Sinn für die eigene Teilrechtsordnung manifestiert. Gleichlaufend treten in den europäischen Wissenschaften die Nationalsprachen hervor, und Latein als jahrhundertlange ''lingua'' ''franca'' der europäischen Rechtslehre büßt langsam an Bedeutung ein. Übersetzungen werden erforderlich und für die Verbreitung des Naturrechts besonders wichtig; berühmt wurde etwa die Arbeit von ''Jean'' ''Barbeyrac'', der ''Pufendorf'' ins Französische übertrug und umfangreich kommentierte. Die Vorstellung, die gemeineuropäische Basis des ''[[Ius commune (Gemeines Recht)|ius commune]]'' sei vom sich nationalisierenden Naturrechtsdenken zentrifugal auseinander getrieben worden, würde allerdings darüber hinwegtäuschen, dass es zugleich eine erhebliche Vereinheitlichung des Zivilrechts auf nationaler bzw. territorialer Ebene ermöglichte und die vielfältige lokale Rechtszersplitterung der europäischen Regionen zu überwinden half. Denn die politische Ordnungskraft des Naturrechts trug dazu bei, die Rechtssetzung beim National- bzw. Territorialstaat zu monopolisieren. Besonders plastisch kulminierte dies in den deutschsprachigen Kodifikationen jener Jahre, dem ''Codex'' ''Maximilianeus'' ''Bavaricus'' ''Civilis'' (1756), dem [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|Preußischen ALR (1794)]] und dem österreichischen [[Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch|ABGB]] (1811/‌12), die wohl keine unvermittelten Umsetzungen der Lehren des Naturrechts, doch von deren Selbstverständnis, Strukturierungsideal und Begrifflichkeit stark beeinflusst waren.
Angesichts der steigenden Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften in den europäischen Staaten ergaben sich zwangsläufig soziale und rechtliche Konflikte. Als erste Reaktion sind daher durch Rechtsprechung und Gesetzgebung zahlreiche Einzelfallregelungen ergangen. Typischerweise finden sich die ersten solcher Regelungen (und damit eine „Anerkennung“ nichtehelicher Lebensgemeinschaften, durchaus auch zum Nachteil der Betroffenen) im öffentlichen Recht, insbesondere im Sozialrecht. Häufig sind auch schon in einer frühen Phase der Entwicklung gesetzliche Regelungen bzgl. der Wohnung, etwa hinsichtlich der Mietnachfolge im Todesfall (z.B. §&nbsp;563 Abs.&nbsp;2 S.&nbsp;4 BGB) oder bzgl. der Wohnungszuweisung bei Trennung (z.B. in den sec. 36 und 38 ''Family Law Act 1996'' in England).


Die Erfolgsgeschichte des Naturrechts ist freilich insgesamt ein in erster Linie protestantisches Geschehen des nördlichen Europa, voran in Holland, Deutschland und Skandinavien, doch auch in den Alpenländern, Frankreich und England. In Italien gerieten die dem Klerus verdächtigen Werke teilweise unter Subversions-Verdacht und konnten weniger rasch durchdringen. Auch auf der iberischen Halbinsel verzögerte sich die Aufnahme der Lehren, die gegenüber der moraltheologisch abgesicherten Spätscholastik den Nachteil profanen Zuschnitts zu haben schienen. In England wiederum zog der politische Diskurs von Naturrecht und Aufklärung weite Kreise, jedoch blieb der rechtswissenschaftliche Niederschlag eines ''mos geometricus'' angesichts der eigenen Rechtstradition vergleichsweise gering. Nicht nur in ''William Blackstones'' Schriften, auch in vielen zeitgenössischen Entscheidungen lässt sich allerdings auch hier Einfluss feststellen; eine umfassendere Aufnahme der naturrechtlichen Systematisierung in das ''[[common law]]'' ereignete sich später im 19.&nbsp;Jahrhundert. Eine besonders selektive Rezeption erfuhr das Naturrecht in der amerikanischen Unabhängigskeitsbewegung, etwa in den Schriften ''Thomas Jeffersons''. Sie greifen sowohl auf die politisch liberalen, aufklärungsnahen Doktrinen des Naturrechts als auch die Schriften ''Pufendorfs'' zurück, lassen zugleich an der theonomen Verankerung ihres Naturrechts und der Verpflichtung auf die Bibel keinen Zweifel.
In Ermangelung gesetzlicher Regelungen greifen die Gerichte zumeist auf das allgemeine Zivilrecht zurück (s. etwa BGH 9.7.2008, FamRZ 2008, 1822, 1828), welches aber – wenig überraschend – nicht immer adäquate Lösungen für diese letztlich speziellen familienrechtlichen Probleme bieten kann.


== 6. Neue Formen für das europäische Privatrecht ==
Daher haben sich einige Gesetzgeber entschlossen, nichtehelichen Lebensgemeinschaften einen festen, kohärenten rechtlichen Rahmen zu geben. Hierbei haben sich zwei Grundtypen herausgebildet: zum einen Rechtsordnungen, in denen die Anwendung der Rechtsregeln eine Formalisierung der Lebensgemeinschaft etwa durch Vertrag oder Registrierung erfordert, wie etwa der französische ''pacte civil de solidarité ''(PACS), die niederländische ''geregistreerd partnerschap'' oder die registrierte Partnerschaft in Ungarn sowie in einigen spanischen Autonomen Gemeinschaften, Andorra und Luxemburg; zum zweiten Rechtsordnungen, in denen kein formeller Rechtsakt, wohl aber sonstige faktische Voraussetzungen (wie z.B. das Zusammenleben für einen gewissen Zeitraum und/‌oder gemeinsame Kinder) erforderlich ist (wie etwa in Schweden, Portugal, Schottland, Kroatien oder Slowenien). Daneben bestehen Mischformen, z.B. in einigen spanischen autonomen Gemeinschaften, in denen die beiden genannten Grundtypen nebeneinander bestehen, d.h. dass die rechtlichen Wirkungen entweder unmittelbar durch einen formellen Rechtsakt oder aber erst bei Vorliegen faktischer Voraussetzungen (meist einer Mindestdauer des Zusammenlebens) eintreten.
Auch in den Zentralgebieten des Privatrechts gewannen die Innovationen des Naturrechts einen Einfluss, weit über Nordeuropa hinaus und in je unterschiedlicher Gestalt. Die bekanntesten Beispiele zeigen, dass diese Kondensationsvorgänge Begriffe prägten, ohne welche die momentane Privatrechtsdogmatik kaum vorstellbar erschiene. So erfuhr innerhalb der vertragstheoretisch aufgestellten Naturrechtsbegründungen auch die allgemeine privatrechtliche Vertragsdoktrin eine steile Entwicklung. Als eine auf gegenseitiger Anerkennung beruhende Basis des Rechtsverkehrs rückte der [[Vertrag]] ins Zentrum. Bei ''Pufendorf'' etwa findet sich eine eingehende Konzipierung des Vertragsgeschehens, die nicht allein in der Folge der kanonistischen ''pactum''-Lehre die alten römischen Vertragstypen überwand, sondern bereits die Idee vom Synallagma, eine Kategorisierung von Haupt- und Nebenpflichten, den Gedanke der Geschäftsgrundlage und andere Merkmale einer Vertragstypik ausarbeitete. Ein ähnlicher Ausbau allgemeiner Kategorien findet sich auch bei anderen Rechtsbegriffen. Der verallgemeinerte Transaktionen-Begriff der ''negotia'' konnte sich weiter als konzeptionelle Basis des Zivilrechts etablieren und zur Grundeinheit von [[Rechtsgeschäft]]/‌''acte juridique'' werden. Über die gemeinrechtlichen Auslegungslehren hinaus wurde der kundgetane Parteiwille mit der ''Willenserklärung'' nun erstmalig als eine eigene rechtsdogmatische Figur verstanden und behandelt ([[Auslegung von Verträgen]]; [[Irrtum]]), wie überhaupt der Vorgang des Vertragsschlusses selbst jetzt rechtsdogmatisch erschlossen wurde. Eher eine Vertiefung denn Entdeckung bedeutete der Ausbau des ''Obligationen''gedanken für eine Systematisierung der zivilrechtlichen Dogmatik, weiter führte hingegen die Reflexion über Begründung und Reichweite außervertraglicher Schadenersatzpflicht bei den naturrechtlichen Denkern. Ihre pflichtenbezogenen Doktrinen erhoben im [[Deliktsrecht: Allgemeines und lex Aquilia|Deliktsrecht]] die ''unerlaubte Handlung'' zur deliktsrechtlichen Grundkategorie, es entstanden eine haftungsrechtliche Generalklausel und ein klareres System. Ein spezieller Niederschlag zunächst im deutschen Privatrecht, wenn auch von wissenschaftlicher Ausstrahlungskraft darüber hinaus, war die Entwicklung eines [[Allgemeiner Teil|Allgemeinen Teil]]s, der um einer kohärenten Regelbildung willen den spezielleren Ordnungsgebieten des Privatrechts vorgeschaltet wurde und für alle gültige Normen enthalten sollte (vor allem durch die Schule ''Wolffs'', später auch außerhalb des Naturrechts weitergeführt). Europaweit hingegen schlugen sich die Lehren zur [[Eigentumsübertragung (beweglicher Sachen)|Eigentumsübertragung von beweglichen Sachen]] nieder, die zwischen Konsensual- und Traditionsprinzip schwanken und sich heute in den europäischen Nationalrechtsordnungen mit unterschiedlichen Tatbeständen wiederfinden.


In manchen Fällen, etwa dem letzten, bleibt indes fraglich, inwieweit ein spezifischer Einfluss gerade des Naturrechts vorgelegen hat. Denn sie stehen zugleich im allgemeinen Fluss der wissenschaftlichen Ausdifferenzierung des europäischen Privatrechts, der sich über Jahrhunderte erstreckte und von mehreren geistes-, aber auch wirtschaftshistorischen Ursachen angetrieben wurde. Die Ausarbeitung der systematischen Vertragslehren lässt sich etwa bis in die Lehren der spanischen Spätscholastik (''James Gordley''), andere Syntheseansätze lassen sich noch weiter zurück verfolgen. Das Naturrecht hat diese aufgenommen wie sogar die Entstehung der naturrechtlichen Philosophie selbst als ein Niederschlag des vorangegangenen juristischen Diskurses an der Schwelle zur Neuzeit interpretiert werden kann (''Merio Scattola''). Angesichts der fließenden Grenze zu den Arbeiten des ''[[Usus modernus|usus modernus]]'' und der vielfältigen Wechselwirkungen hierbei ist gerade für die privatrechtliche Dogmengeschichte eine Zuordnung nicht immer klar zu treffen. Erstaunen muss das nicht. War der ''usus modernus'' selbst eher an Praxis und sachgerechter Lösung von Rechtsfragen orientiert, entwarf das Naturrecht deren konzeptionell-philosophischen Überbau; beide zogen sie das Feld für die privatrechtliche Moderne.
=== a) Formalisierte nichteheliche Lebensgemeinschaft ===
In denjenigen europäischen Rechtsordnungen, die einen formellen Rechtsakt zur Voraussetzung für die Anwendung eines gesetzlichen Regimes für nichteheliche Lebensgemeinschaften machen (z.B. Art. 515&nbsp;ff. frz. ''Code civil'', Art.&nbsp;1475&nbsp;ff. belg. ''Code civil'', Art.&nbsp;80a&nbsp;ff. BW), hat der Gesetzgeber somit im Ergebnis der Privatautonomie der Parteien Priorität gegenüber der Schutzbedürftigkeit des schwächeren Partners eingeräumt: ohne den ausdrücklichen Willen beider Parteien sollen – wie bei der Ehe – keine Rechtsfolgen eintreten.
 
Es ist zudem festzustellen, dass auf diese Weise eingeführte rechtliche Regime stets sowohl verschieden- als auch gleichgeschlechtlichen Paaren offen stehen, da der Gesetzgeber zwei familienrechtliche Fragen gleichzeitig regeln wollte: die Rechtsstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften und die Anerkennung [[Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften|gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften]]. Dieser Ansatz ist jedoch problematisch, da diese Lebensgemeinschaften oft unterschiedliche Ausgangs- und Interessenlagen haben: Die einen wollen nicht heiraten (oder haben schlicht nicht geheiratet), die anderen können nicht heiraten. Zudem stehen auf diese Weise verschiedengeschlechtlichen Paaren zwei Möglichkeiten zur Formalisierung ihrer Beziehung zur Auswahl (und damit eine echte Alternative zur Ehe), gleichgeschlechtlichen Paaren jedoch nur eine Möglichkeit, so dass man von einer fortdauernden Diskriminierung letzterer sprechen kann. Solche Erwägungen haben letztlich die Niederlande und Belgien veranlasst, in einem zweiten Schritt die [[Ehe]] für gleichgeschlechtliche Paare ([[Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften]]) zu öffnen.
 
Die bestehenden Rechtsregelungen für formalisierte nichteheliche Lebensgemeinschaften sind inhaltlich sehr unterschiedlich. Die umfassendsten Rechtsfolgen bestehen in den Niederlanden und Ungarn; hier gelten über Verweisungen für die ''geregistreerd partnerschap/‌''registrierte Partnerschaft nahezu dieselben Rechtsregelungen wie für Ehepaare (mit geringen Ausnahmen, etwa bei der Auflösung). Frankreich hat dagegen mit dem ''pacte civil de solidarité ''(PACS) ein eigenes, von den Rechtsregelungen der Ehe grundverschiedenes Regime eingeführt. Das belgische „gesetzliche Zusammenwohnen“ hat zwar – abgesehen vom jüngst eingeführten Erbrecht und einigen weiteren Bestimmungen – nur geringe zivilrechtliche Wirkungen, wohl aber weitreichende Folgen im Steuer- und Sozialrecht.
 
Allen Systemen der formalisierten nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist schließlich gemein, dass sie nicht die Rechtsprobleme aller nichtehelichen Lebensgemeinschaften lösen können. Eine Vielzahl von Paaren wird – aus den unterschiedlichsten Gründen – den notwendigen formellen Akt nicht vornehmen und daher nicht unter den Anwendungsbereich des formellen Regimes fallen.
 
Insofern ist festzustellen, dass in allen Rechtsordnungen, die ein formelles Regime kennen, weiter die Notwendigkeit besteht, mit den Rechtsproblemen der nichtformalisierten Lebensgemeinschaften umzugehen. In der Tat bestehen daher dort z.T. vereinzelte Rechtsvorschriften für bestimmte Rechtsgebiete und die Gerichte müssen weiter vermittels des hierfür nur bedingt geeigneten allgemeinen Zivilrechts Rechtsstreitigkeiten zwischen nichtehelichen Lebenspartnern lösen. Ein Regime formalisierter nichtehelicher Lebensgemeinschaften fügt somit letztendlich nur eine „Zwischenebene“ zwischen Ehe und nichtformalisierten nichtehelichen Lebensgemeinschaften ein.
 
=== b) Informelle nichteheliche Lebensgemeinschaft bzw. faktisches Zusammenleben ===
Diejenigen Rechtsordnungen, in denen die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen an das Vorliegen bloßer Fakten geknüpft ist, geben scheinbar dem Schutz der schwächeren Partei den Vorrang gegenüber der Privatautonomie: Die Rechtsfolgen treten grundsätzlich unabhängig vom Willen der Parteien ein. Die Privatautonomie ist jedoch insofern gewahrt, als dass es den Parteien in den meisten dieser Rechtsordnungen grundsätzlich freisteht, per Vertrag auf die Anwendung der entsprechenden Rechtsregeln zu verzichten (sog. ''opt-out'').
 
Die erforderlichen Fakten bzw. Voraussetzungen sind zumeist das Zusammenleben als Paar/‌ein gemeinsamer Haushalt für einen Mindestzeitraum (je nach Rechtsordnung entweder für einen bestimmten ausdrücklich genannten Zeitraum von zwei bis fünf Jahren oder aber bewusst offen formuliert als „längerer Zeitraum“); hat das Paar gemeinsame Kinder, so entfällt in einigen Rechtsordnungen das Zeiterfordernis.
 
Die in den europäischen Rechtsordnungen an ein informelles nichteheliches Zusammenleben anknüpfenden Regelungen sind in ihrer inhaltlichen Reichweite sehr unterschiedlich. Zum Teil lehnen sie sich sehr eng an diejenigen der Ehe an (Slowenien, Kroatien), zum Teil wurden bewusst von den Regelungen für die Ehe abweichende Vorschriften geschaffen (Schweden, Schottland; so auch die Reformvorschläge in England und Wales sowie in der Republik Irland).
 
== 4. EuGH, EGMR und nichteheliche Lebensgemeinschaften ==
Der EuGH hatte mehrmals Gelegenheit, zur Abgrenzung von Ehe und nichteheliche Lebensgemeinschaften Stellung zu nehmen, zumeist im Zusammenhang mit Vergünstigungen, die ausdrücklich nur Eheleuten eingeräumt waren (siehe etwa EuGH Rs.&nbsp;59/‌85 – ''The Netherlands v. Reed'', Slg. 1986, 1283). Dabei hat der EuGH stets den Begriff der Ehe autonom ausgelegt und durchweg entschieden, dass Ehe und nichteheliche Lebensgemeinschaft nicht zwingend gleich zu behandeln seien und dass der Begriff „Ehegatte“ (engl.: ''spouse'') nicht dahingehend interpretiert werden könne, dass er auch die Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften mit umfasse. Ebenso sieht auch der EGMR formalisierte Lebensgemeinschaften wie die Ehe und bloße ''de facto'' Lebensgemeinschaften als grundsätzlich verschieden an, eine Ungleichbehandlung liege daher im Ermessen des nationalen Gesetzgebers (vgl. etwa EGMR Nr.&nbsp;56501/‌00 – ''Mata Estevez/‌ Spain<nowiki>; </nowiki>''EGMR Nr.&nbsp;13378/‌05 – ''Burden/‌Vereinigtes Königreich'' und EGMR Nr.&nbsp;4479/‌06 – ''Courten/‌ Vereinigtes Königreich'').
 
== 5. Konvention Nr. 32 der ''Commission Internationale de l’État Civil'' ==
Die [[Internationale Zivilstandskommission (CIEC)|''Commission Internationale de l’État Civil'' (CIEC) (Internationale Kommission)]] hat am 5.9.2007 eine Konvention zur Anerkennung von registrierten Partnerschaften (''Convention (no. 32) sur la reconnaissance des partenariats enregistrés'') verabschiedet, die bislang aber noch von keinem Staat gezeichnet wurde. Die Konvention ist eine Kompromisslösung; die schon bestehenden Regelungen vieler Rechtsordnungen gehen im Regelungsumfang bereits über die in der Konvention enthaltenen hinaus. Gegenstand dieser Konvention ist die Anerkennung formalisierter gleich- und verschiedengeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, nicht jedoch die Anerkennung von Rechtsregimen, die an ein bloßes faktisches Zusammenleben anknüpfen.
 
Eine baldige Regelung zur grundsätzlichen Anerkennung von ausländischen Rechtsregimen für nichteheliche Lebensgemeinschaften (sowohl formalisierter als auch informeller) erscheint angesichts der Vielzahl der verschiedenen Rechtsinstitute in den europäischen Rechtsordnungen unentbehrlich, vor allem mit Blick auf die [[Arbeitnehmerfreizügigkeit]] in der [[Europäische Union|Europäischen Union]]. Denn nur, wenn familienrechtliche Regime, die in einem Mitgliedstaat wirksam sind, auch in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden, ist ein Arbeitnehmer wirklich frei bei der Wahl seines Arbeitsplatzes.
 
== 6. Künftige Entwicklung ==
Die steigende Zahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften setzt die nationalen europäischen Gesetzgeber – in unterschiedlichem Maße – unter Druck, sich dieser sozialen Entwicklung anzunehmen und angemessene rechtliche Lösungen zur Verfügung zu stellen. Wo Reformen erwogen werden, ist eine klare Tendenz zu Lösungen unter Anknüpfung an faktische Voraussetzungen (und nicht an einen formellen Akt) festzustellen. Im Zuge der Diskussion über Reformen in diesem Bereich wird in nahezu allen europäischen Staaten argumentiert, dass die rechtliche Anerkennung nichtehelicher Lebensgemeinschaften das Rechtsinstitut der Ehe als gesellschaftliches Leitbild gefährden würde. Zumindest mit Blick auf die nordischen Länder, in denen nichteheliche Lebensgemeinschaften in weit größerem Maße akzeptiert sind als in anderen Rechtsordnungen, lässt sich die Validität dieser Befürchtung nicht nachweisen. Angesichts der gesamteuropäischen Entwicklung spricht jedoch einiges dafür, dass der soziale Leidensdruck, die Schutzbedürftigkeit des schwächeren Partners und der Kinder, früher oder später in den europäischen Rechtsordnungen zur Einführung von Rechtsregeln für nichteheliche Lebensgemeinschaften führen werden.


==Literatur==
==Literatur==
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Version vom 8. September 2021, 12:25 Uhr

von Jens M. Scherpe

1. Begriffsbestimmung

In seiner weitesten Auslegung umfasst der Begriff der „nichtehelichen Lebensgemeinschaft“ (engl. zumeist cohabitation) jegliche Lebensgemeinschaft zwischen Personen, die nicht miteinander verheiratet sind, also auch alle anderen formalisierten Lebensgemeinschaften, einschließlich eingetragener/‌registrierter Partnerschaften zwischen Personen verschiedenen oder desselben Geschlechts. Letztere wären bei einer engeren Auslegung jedenfalls dann nicht mit eingeschlossen, wenn die formalisierte Lebensgemeinschaft ein exklusiv für gleichgeschlechtliche Paare geschaffenes, funktionales Äquivalent zur Ehe darstellt, wie etwa die deutsche eingetragene Lebenspartnerschaft, die schweizerische eingetragene Partnerschaft oder die registrierte Partnerschaft in den nordischen Ländern (Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft). Im Folgenden wird von diesem engeren Begriff ausgegangen.

Die Begriffe „eheähnliche Gemeinschaft“ und „Ehe ohne Trauschein“ sowie common law marriage (common law) werden oftmals verwendet, um nichteheliche Lebensgemeinschaften zu bezeichnen; sie signalisieren aber eine funktionale Ähnlichkeit der Lebensgemeinschaft zur Ehe, die nicht allen nichtehelichen Lebensgemeinschaften gerecht wird – insbesondere dann, wenn sich die Partner bewusst gegen eine Ehe (oder ihr funktionales Äquivalent) entschieden haben.

Rechtshistorisch wurde häufig der Begriff des Konkubinats (concubinatus) zur Bezeichnung nichtehelicher Lebensgemeinschaften verwendet, wobei nur jeweils aus dem gesellschaftlich-historischen Zusammenhang zu ersehen ist, ob es sich etwa um ein neben oder außerhalb der Ehe bestehendes Verhältnis handelt, bzw. z.T. sogar um ein Verhältnis innerhalb einer Ehe minderen Rechts. Lange Zeit war das Konkubinat durchaus eine akzeptierte oder zumindest geduldete Lebensform, das Konzil von Trient schrieb jedoch mit dem Dekret Tametsi vom 11.11.1563 das Verbot des Konkubinats endgültig fest.

Der Ausspruch „Les concubins ignorent la loi, la loi ignore donc les concubins“ (oder auch „Les concubins se passent de la loi, la loi se désinteresse d'eux“) wird gemeinhin Napoléon zugerechnet; dennoch ist heutzutage in „seinem“ Code civil in Art. 515-8 die concubinage nunmehr legal definiert als „ein faktisches Zusammenleben, das sich durch eine stabile, dauerhafte Lebensgemeinschaft zwischen zwei Personen unterschiedlichen oder gleichen Geschlechts kennzeichnet, die als Paar zusammenleben“; eine concubinage ist daher auch neben einer Ehe oder sonstigen formalisierten Lebensgemeinschaft möglich. Das schwedische Sambolag (2003:376) (Gesetz über Zusammenwohnende) definiert in § 1 sambor (Zusammenwohnende) als „zwei Personen, die dauerhaft als Paar zusammenleben und einen gemeinsamen Haushalt haben“. Wie in der Mehrzahl der europäischen Rechtsordnungen (aber z.B. nicht in Frankreich für die concubinage oder nach den Reformvorschlägen in England und Wales sowie in Irland) ist in Schweden aber die Anwendung der Vorschriften für nichteheliche Lebensgemeinschaften ausgeschlossen, wenn eine der Personen anderweitig verheiratet bzw. registrierter Partner ist. Auch werden die anderen Eheverbote grundsätzlich sinngemäß auf nichteheliche Lebensgemeinschaften übertragen; eine Ausnahme in Europa bildet hier lediglich Belgien, wo ein „gesetzliches Zusammenwohnen“ (welches eine gemeinsame schriftliche Erklärung gegenüber dem Standesbeamten erfordert) auch zwischen Blutsverwandten wie Geschwistern oder etwa Vater und Sohn möglich ist.

2. Rechtstatsächliche Bedeutung

Die tatsächliche Bedeutung nichtehelicher Lebensgemeinschaften scheint einer gesellschaftlichen Entwicklung zu folgen, die grob in drei Phasen eingeteilt werden kann. In der ersten Phase sind nichteheliche Lebensgemeinschaften soziale Einzelfälle und werden von der großen Mehrheit der Bevölkerung als von der (Ehe‑) Norm abweichend und negativ empfunden bzw. sozial geächtet, z.T. sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen. In der folgenden Phase sind nichteheliche Lebensgemeinschaften häufiger und zumindest geduldet, vor allem als Vorstufe zur Ehe, in der die Lebensgemeinschaft durch das Zusammenleben „getestet“ wird; die Ehe bleibt jedoch die von der gesellschaftlichen Mehrheit als angemessen empfundene Lebensform, insbesondere wenn Kinder geboren werden. In der dritten Phase sind schließlich nichteheliches Zusammenleben und Ehe mit und ohne Kinder gleichermaßen sozial akzeptiert.

Die aufgezeigte Entwicklung lässt sich nahezu in allen europäischen Rechtsordnungen finden, wobei sich ein gewisses Nord-Süd-Gefälle in Europa feststellen lässt. In den nordischen Ländern, Frankreich und in einigen osteuropäischen Staaten wie Slowenien und Kroatien ist die Entwicklung am weitesten fortgeschritten. Mitteleuropa (einschließlich Deutschland) sowie Großbritannien nehmen eine Zwischenposition ein. Die südeuropäischen Länder (und Nordirland) stehen zumeist eher am Anfang dieser Entwicklung, auch wenn z.B. in den spanischen Autonomen Gemeinschaften bereits seit einiger Zeit Gesetze für nichteheliche Lebensgemeinschaften bestehen. Unabhängig vom Stand der Entwicklung im jeweiligen Land kann jedenfalls festgestellt werden, dass nichteheliche Lebensgemeinschaften in allen europäischen Staaten generell an sozialer Bedeutung zunehmen, mehr und mehr Kinder außerhalb der Ehe geboren werden (z.B. in den nordischen Ländern, Frankreich und Slowenien 40–50 % aller Kinder) und dass sich hieraus sehr spezifische Rechtsprobleme ergeben, die einer Lösung bedürfen.

3. Tendenzen der Rechtsentwicklung

Angesichts der steigenden Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften in den europäischen Staaten ergaben sich zwangsläufig soziale und rechtliche Konflikte. Als erste Reaktion sind daher durch Rechtsprechung und Gesetzgebung zahlreiche Einzelfallregelungen ergangen. Typischerweise finden sich die ersten solcher Regelungen (und damit eine „Anerkennung“ nichtehelicher Lebensgemeinschaften, durchaus auch zum Nachteil der Betroffenen) im öffentlichen Recht, insbesondere im Sozialrecht. Häufig sind auch schon in einer frühen Phase der Entwicklung gesetzliche Regelungen bzgl. der Wohnung, etwa hinsichtlich der Mietnachfolge im Todesfall (z.B. § 563 Abs. 2 S. 4 BGB) oder bzgl. der Wohnungszuweisung bei Trennung (z.B. in den sec. 36 und 38 Family Law Act 1996 in England).

In Ermangelung gesetzlicher Regelungen greifen die Gerichte zumeist auf das allgemeine Zivilrecht zurück (s. etwa BGH 9.7.2008, FamRZ 2008, 1822, 1828), welches aber – wenig überraschend – nicht immer adäquate Lösungen für diese letztlich speziellen familienrechtlichen Probleme bieten kann.

Daher haben sich einige Gesetzgeber entschlossen, nichtehelichen Lebensgemeinschaften einen festen, kohärenten rechtlichen Rahmen zu geben. Hierbei haben sich zwei Grundtypen herausgebildet: zum einen Rechtsordnungen, in denen die Anwendung der Rechtsregeln eine Formalisierung der Lebensgemeinschaft etwa durch Vertrag oder Registrierung erfordert, wie etwa der französische pacte civil de solidarité (PACS), die niederländische geregistreerd partnerschap oder die registrierte Partnerschaft in Ungarn sowie in einigen spanischen Autonomen Gemeinschaften, Andorra und Luxemburg; zum zweiten Rechtsordnungen, in denen kein formeller Rechtsakt, wohl aber sonstige faktische Voraussetzungen (wie z.B. das Zusammenleben für einen gewissen Zeitraum und/‌oder gemeinsame Kinder) erforderlich ist (wie etwa in Schweden, Portugal, Schottland, Kroatien oder Slowenien). Daneben bestehen Mischformen, z.B. in einigen spanischen autonomen Gemeinschaften, in denen die beiden genannten Grundtypen nebeneinander bestehen, d.h. dass die rechtlichen Wirkungen entweder unmittelbar durch einen formellen Rechtsakt oder aber erst bei Vorliegen faktischer Voraussetzungen (meist einer Mindestdauer des Zusammenlebens) eintreten.

a) Formalisierte nichteheliche Lebensgemeinschaft

In denjenigen europäischen Rechtsordnungen, die einen formellen Rechtsakt zur Voraussetzung für die Anwendung eines gesetzlichen Regimes für nichteheliche Lebensgemeinschaften machen (z.B. Art. 515 ff. frz. Code civil, Art. 1475 ff. belg. Code civil, Art. 80a ff. BW), hat der Gesetzgeber somit im Ergebnis der Privatautonomie der Parteien Priorität gegenüber der Schutzbedürftigkeit des schwächeren Partners eingeräumt: ohne den ausdrücklichen Willen beider Parteien sollen – wie bei der Ehe – keine Rechtsfolgen eintreten.

Es ist zudem festzustellen, dass auf diese Weise eingeführte rechtliche Regime stets sowohl verschieden- als auch gleichgeschlechtlichen Paaren offen stehen, da der Gesetzgeber zwei familienrechtliche Fragen gleichzeitig regeln wollte: die Rechtsstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften und die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften. Dieser Ansatz ist jedoch problematisch, da diese Lebensgemeinschaften oft unterschiedliche Ausgangs- und Interessenlagen haben: Die einen wollen nicht heiraten (oder haben schlicht nicht geheiratet), die anderen können nicht heiraten. Zudem stehen auf diese Weise verschiedengeschlechtlichen Paaren zwei Möglichkeiten zur Formalisierung ihrer Beziehung zur Auswahl (und damit eine echte Alternative zur Ehe), gleichgeschlechtlichen Paaren jedoch nur eine Möglichkeit, so dass man von einer fortdauernden Diskriminierung letzterer sprechen kann. Solche Erwägungen haben letztlich die Niederlande und Belgien veranlasst, in einem zweiten Schritt die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare (Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften) zu öffnen.

Die bestehenden Rechtsregelungen für formalisierte nichteheliche Lebensgemeinschaften sind inhaltlich sehr unterschiedlich. Die umfassendsten Rechtsfolgen bestehen in den Niederlanden und Ungarn; hier gelten über Verweisungen für die geregistreerd partnerschap/‌registrierte Partnerschaft nahezu dieselben Rechtsregelungen wie für Ehepaare (mit geringen Ausnahmen, etwa bei der Auflösung). Frankreich hat dagegen mit dem pacte civil de solidarité (PACS) ein eigenes, von den Rechtsregelungen der Ehe grundverschiedenes Regime eingeführt. Das belgische „gesetzliche Zusammenwohnen“ hat zwar – abgesehen vom jüngst eingeführten Erbrecht und einigen weiteren Bestimmungen – nur geringe zivilrechtliche Wirkungen, wohl aber weitreichende Folgen im Steuer- und Sozialrecht.

Allen Systemen der formalisierten nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist schließlich gemein, dass sie nicht die Rechtsprobleme aller nichtehelichen Lebensgemeinschaften lösen können. Eine Vielzahl von Paaren wird – aus den unterschiedlichsten Gründen – den notwendigen formellen Akt nicht vornehmen und daher nicht unter den Anwendungsbereich des formellen Regimes fallen.

Insofern ist festzustellen, dass in allen Rechtsordnungen, die ein formelles Regime kennen, weiter die Notwendigkeit besteht, mit den Rechtsproblemen der nichtformalisierten Lebensgemeinschaften umzugehen. In der Tat bestehen daher dort z.T. vereinzelte Rechtsvorschriften für bestimmte Rechtsgebiete – und die Gerichte müssen weiter vermittels des hierfür nur bedingt geeigneten allgemeinen Zivilrechts Rechtsstreitigkeiten zwischen nichtehelichen Lebenspartnern lösen. Ein Regime formalisierter nichtehelicher Lebensgemeinschaften fügt somit letztendlich nur eine „Zwischenebene“ zwischen Ehe und nichtformalisierten nichtehelichen Lebensgemeinschaften ein.

b) Informelle nichteheliche Lebensgemeinschaft bzw. faktisches Zusammenleben

Diejenigen Rechtsordnungen, in denen die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen an das Vorliegen bloßer Fakten geknüpft ist, geben scheinbar dem Schutz der schwächeren Partei den Vorrang gegenüber der Privatautonomie: Die Rechtsfolgen treten grundsätzlich unabhängig vom Willen der Parteien ein. Die Privatautonomie ist jedoch insofern gewahrt, als dass es den Parteien in den meisten dieser Rechtsordnungen grundsätzlich freisteht, per Vertrag auf die Anwendung der entsprechenden Rechtsregeln zu verzichten (sog. opt-out).

Die erforderlichen Fakten bzw. Voraussetzungen sind zumeist das Zusammenleben als Paar/‌ein gemeinsamer Haushalt für einen Mindestzeitraum (je nach Rechtsordnung entweder für einen bestimmten ausdrücklich genannten Zeitraum von zwei bis fünf Jahren oder aber bewusst offen formuliert als „längerer Zeitraum“); hat das Paar gemeinsame Kinder, so entfällt in einigen Rechtsordnungen das Zeiterfordernis.

Die in den europäischen Rechtsordnungen an ein informelles nichteheliches Zusammenleben anknüpfenden Regelungen sind in ihrer inhaltlichen Reichweite sehr unterschiedlich. Zum Teil lehnen sie sich sehr eng an diejenigen der Ehe an (Slowenien, Kroatien), zum Teil wurden bewusst von den Regelungen für die Ehe abweichende Vorschriften geschaffen (Schweden, Schottland; so auch die Reformvorschläge in England und Wales sowie in der Republik Irland).

4. EuGH, EGMR und nichteheliche Lebensgemeinschaften

Der EuGH hatte mehrmals Gelegenheit, zur Abgrenzung von Ehe und nichteheliche Lebensgemeinschaften Stellung zu nehmen, zumeist im Zusammenhang mit Vergünstigungen, die ausdrücklich nur Eheleuten eingeräumt waren (siehe etwa EuGH Rs. 59/‌85 – The Netherlands v. Reed, Slg. 1986, 1283). Dabei hat der EuGH stets den Begriff der Ehe autonom ausgelegt und durchweg entschieden, dass Ehe und nichteheliche Lebensgemeinschaft nicht zwingend gleich zu behandeln seien und dass der Begriff „Ehegatte“ (engl.: spouse) nicht dahingehend interpretiert werden könne, dass er auch die Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften mit umfasse. Ebenso sieht auch der EGMR formalisierte Lebensgemeinschaften wie die Ehe und bloße de facto Lebensgemeinschaften als grundsätzlich verschieden an, eine Ungleichbehandlung liege daher im Ermessen des nationalen Gesetzgebers (vgl. etwa EGMR Nr. 56501/‌00 – Mata Estevez/‌ Spain; EGMR Nr. 13378/‌05 – Burden/‌Vereinigtes Königreich und EGMR Nr. 4479/‌06 – Courten/‌ Vereinigtes Königreich).

5. Konvention Nr. 32 der Commission Internationale de l’État Civil

Die Commission Internationale de l’État Civil (CIEC) (Internationale Kommission) hat am 5.9.2007 eine Konvention zur Anerkennung von registrierten Partnerschaften (Convention (no. 32) sur la reconnaissance des partenariats enregistrés) verabschiedet, die bislang aber noch von keinem Staat gezeichnet wurde. Die Konvention ist eine Kompromisslösung; die schon bestehenden Regelungen vieler Rechtsordnungen gehen im Regelungsumfang bereits über die in der Konvention enthaltenen hinaus. Gegenstand dieser Konvention ist die Anerkennung formalisierter gleich- und verschiedengeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, nicht jedoch die Anerkennung von Rechtsregimen, die an ein bloßes faktisches Zusammenleben anknüpfen.

Eine baldige Regelung zur grundsätzlichen Anerkennung von ausländischen Rechtsregimen für nichteheliche Lebensgemeinschaften (sowohl formalisierter als auch informeller) erscheint angesichts der Vielzahl der verschiedenen Rechtsinstitute in den europäischen Rechtsordnungen unentbehrlich, vor allem mit Blick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union. Denn nur, wenn familienrechtliche Regime, die in einem Mitgliedstaat wirksam sind, auch in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden, ist ein Arbeitnehmer wirklich frei bei der Wahl seines Arbeitsplatzes.

6. Künftige Entwicklung

Die steigende Zahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften setzt die nationalen europäischen Gesetzgeber – in unterschiedlichem Maße – unter Druck, sich dieser sozialen Entwicklung anzunehmen und angemessene rechtliche Lösungen zur Verfügung zu stellen. Wo Reformen erwogen werden, ist eine klare Tendenz zu Lösungen unter Anknüpfung an faktische Voraussetzungen (und nicht an einen formellen Akt) festzustellen. Im Zuge der Diskussion über Reformen in diesem Bereich wird in nahezu allen europäischen Staaten argumentiert, dass die rechtliche Anerkennung nichtehelicher Lebensgemeinschaften das Rechtsinstitut der Ehe als gesellschaftliches Leitbild gefährden würde. Zumindest mit Blick auf die nordischen Länder, in denen nichteheliche Lebensgemeinschaften in weit größerem Maße akzeptiert sind als in anderen Rechtsordnungen, lässt sich die Validität dieser Befürchtung nicht nachweisen. Angesichts der gesamteuropäischen Entwicklung spricht jedoch einiges dafür, dass der soziale Leidensdruck, die Schutzbedürftigkeit des schwächeren Partners und der Kinder, früher oder später in den europäischen Rechtsordnungen zur Einführung von Rechtsregeln für nichteheliche Lebensgemeinschaften führen werden.

Literatur

Justitiedepartementet, Statens offentliga utredningar (SOU) 1999:104 – Nya samboregler (Schweden), 1999; Kathleen Kiernan, The Rise of Cohabitation and Childbearing Outside Marriage in Western Europe, International Journal of Law, Policy and the Family 15 (2001) 1 ff.; Wendy Schrama, De niet-huwelijkse samenleving in het Nederlandse en het Duitse recht, 2004; Cristina González Beilfuss, Parejas de hecho y matrimonios del mismo sexo en la Unión Europea, 2004; Jens M. Scherpe, Nadjma Yassari (Hg.), Die Rechtsstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften – The Legal Status of Cohabitants, 2005; Anne Barlow, Simon Duncan, Grace James, Alison Park, Cohabitation, Marriage and the Law – Social Change and Legal Reform in the 21st Century, 2005; Herbert Grziwotz, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, 4. Aufl. 2006; The Law Reform Commission [Irland], Report – Rights and Duties of Cohabitants, Law Reform Commission 82-2006; The Law Commission [England und Wales], Cohabitation: The Legal Consequences of Relationship Breakdown, Consultation Paper No. 179, 2006; Report Law Com No. 307, 2007; Inge Kroppenberg, Dieter Schwab, Dieter Henrich, Peter Gottwald, Andreas Spickhoff (Hg.), Rechtsregeln für nichteheliches Zusammenleben, 2009.