Humanismus und Immaterieller Schaden (Nichtvermögensschaden): Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Klaus Luig]]''
von ''[[Wolfgang Wurmnest]]''
== 1. Zielvorstellungen und Grundlagen ==
== 1. Gegenstand und Zweck ==


Als Humanismus bezeichnet man die geistige Strömung, die sich beginnend im Italien des 14. Jahrhunderts bis zu den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts in polemischer Wendung gegen die scholastische Wissenschaft des Mittelalters das Ziel der Vollendung des wahren Menschentums durch das Studium der Antike gesetzt hatte. Das Ideal war, dass der Mensch sich zum mündigen, sein Leben selbst gestaltenden und moralisch verantwortlichen Glied der Gesellschaft ausbilde. Dieses Ziel sollte durch das Studium der Antike und durch die Erschließung der Vorbildlichkeit der antiken Kultur, und damit natürlich auch der Rechtskultur, verfolgt werden. Es ging um „Humanität“ (''humanitas''), um menschliche Qualitäten, um ein selbstverantwortetes gutes Leben in öffentlicher und privater Hinsicht. Wie der Humanismus generell das antike Menschenbild erneuern wollte, so zielte die humanistische Jurisprudenz auf die Erschließung der Vorbildlichkeit der antiken Rechte für die Gegenwart. Für die humanistischen Juristen kennzeichnend ist die Diskussion des ''aequitas''-Gedankens. Als ein Beispiel einer humanistischen Innovation auf dem Gebiete des Rechts kann die zunehmende Zahl der gegen die Folter gerichteten Schriften angesehen werden. Auch lässt sich der Humanismus einordnen in die große, von ''Henry Maine ''beobachtete Entwicklung „from status to contract“ sowie in den von ''Werner Sombart ''für den Anfang des 16. Jahrhunderts festgestellten Beginn des „kapitalistischen Zeitalters“. Was das alles im Einzelnen für die Gesellschaft und ihr Recht bedeutete, ist noch nicht umfassend erforscht worden.
Viele europäische Rechtsordnungen unterscheiden beim Schadensausgleich ([[Schadensersatz]]) zwischen materiellen und immateriellen Einbußen bzw. Vermögens- und Nichtvermögensschäden. Ein Vermögensschaden (''pecuniary loss'','' dommage patrimonial'','' danno patrimonale'') liegt vor, wenn der Schaden in Geld messbar und auch nicht der Persönlichkeitssphäre zuzuordnen ist. Ein solcher Schaden wird somit maßgeblich durch die Objektivierbarkeit des Ausgleichs gekennzeichnet. Sie ist gegeben, wenn der erlittene Nachteil unabhängig von subjektiven Empfindungen, Neigungen und Anschauungen des jeweils Betroffenen bewertet werden kann. Ein immaterieller Schaden (''non-pecuniary loss'','' dommage moral'','' danno morale'') wird zumeist negativ abgegrenzt, als Nachteil, der kein Vermögensschaden ist. Näher umschreiben kann man immaterielle Einbußen als Beeinträchtigung eines personengebundenen Wertes, für den es keinen objektiven Maßstab gibt.


Grundlegend für den Humanismus war das Bewusstsein seiner Vertreter, eine Epoche einzuleiten, in der die antike Tradition zu neuer Blüte gebracht werden sollte. Auch der Humanismus der Juristen ist einzureihen in die geistigen Bestrebungen des späten Mittelalters, die religiösen und gesellschaftlichen Krisen durch neue, Sicherheit verbürgende Prinzipien zu überwinden. Daher wendete sich der Humanismus gegen die von der christlichen Lehre geprägte scholastische Jurisprudenz des „klerikalen“ Mittelalters. Positiv besteht ein Zusammenhang des Humanismus mit Protestantismus, Reformation, Gallikanismus (national-kirchliche Selbständigkeit Frankreichs) und Calvinismus. Der Rückgriff auf die heidnische Antike bedeutete schließlich auch eine gewisse Säkularisierung.
Diese Zweiteilung des Schadensbegriffs beruht auf der Vorstellung, dass es möglich sei, alle Nachteile anhand objektiver Kriterien der Kategorie „materiell“ oder der Kategorie „immateriell“ zuzuordnen. Überspitzt formuliert ist zwischen solchen Einbußen zu unterscheiden, die nach den Anschauungen des Wirtschaftsverkehrs in Geld beziffert werden können, und solchen, die aufgrund einer Inkommensurabilität von „seelischem Leid und Geld“ nur durch ein Werturteil quantifiziert werden können.


Das Mittel, mit dessen Hilfe der Humanismus seine Ziele verfolgte, war eine als Renaissance bezeichnete Erneuerung des Studiums der mustergültigen Hervorbringungen der antiken Kultur, insbesondere der antiken Literatur. Die durch den Zerfall des römischen Reiches in Vergessenheit geratenen Errungenschaften auf den Gebieten von Literatur, Kunst und Philosophie sollten als Mittel zur Erreichung der inhaltlichen Ziele des Humanismus wieder belebt werden. So deutet der Begriff Humanismus auf den Inhalt der Bewegung, nämlich die Verkündung des neuen Menschenbildes, wohingegen der Begriff Renaissance eher auf die Mittel, die Methode der Erneuerung zielt. Daher spricht man auch vom „Humanismus der Renaissance“ oder gar von „Renaissance-Humanismus“ als einem einheitlichen Begriff.
Heute ist in allen Privatrechtsordnungen in Europa anerkannt, dass die Ersatzpflicht des Schädigers nicht allein auf den Ausgleich von Vermögensschäden begrenzt sein kann. Große Unterschiede bestehen dagegen in Bezug auf die Frage, welche immateriellen Einbußen als ersatzfähiger Schaden anzusehen und in welchem Umfang sie zu ersetzen sind. Vereinfacht ausgedrückt sehen die Rechtsordnungen im Einflussbereich des französischen ''Code civil'' den Ersatz immaterieller Einbußen als allgemeine Grundregel vor – und zwar unabhängig von der Anspruchsgrundlage. Andere Rechtsordnungen gewähren Immaterialschadensersatz nur soweit dies (spezial)gesetzlich bestimmt ist. Hintergrund dieser einschränkenden Regeln sind die Sorge vor einer ausufernden Haftung und die Schwierigkeiten der Taxierung immaterieller Einbußen. Eine solche Einschränkung sehen etwa das deutsche, italienische, niederländische und österreichische Recht vor, wobei wiederum Unterschiede bestehen, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Anspruch gewährt werden soll. Im englischen Schadensrecht, das ganz überwiegend auf ungeschriebenem, von der Rechtsprechung entwickeltem Fallrecht beruht (''[[common law]]''), wird der Ersatz von Nichtvermögensschäden vornehmlich als Rechtsfolge von Körperverletzungen (''personal injury cases'') betrachtet. Solche Schäden können aber auch im Zusammenhang mit anderen ''torts'' ausgeglichen werden.


Nach dem Geschichtsbild der Humanisten hatte die Kultur auf die glänzende Blüte des römischen Reiches in den Zeiten der Barbareneinfälle der Völkerwanderung einen Niedergang erlitten, aus dem sich erst etwa seit der Mitte des 14. Jahrhunderts durch Rückgriff auf das antike Rom nach und nach eine neue Blüte mit einer an den Werten der Antike orientierten humanen, d.h. menschlichen, Bildung entwickelte.
== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung  ==


== 2. Humanistische Jurisprudenz ==
Die Einstellung gegenüber der Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden hat sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts überall in Europa beträchtlich gewandelt. Zentrale Entwicklungslinien waren dabei die Ausweitung der ersatzfähigen Einbußen, ferner die Aufweichung der tradierten Dichotomie durch die Herausbildung einer Gruppe von Schäden, die zwischen materiellen und immateriellen Einbußen angesiedelt werden, und schließlich die Tendenz zur Pauschalierung des Schadensersatzes bei bestimmten massenhaft auftretenden Schadensfällen.


=== a) Entwicklungslinien ===
a) Der Wandel der Einstellung gegenüber der Wertigkeit immaterieller Einbußen kommt insbesondere – aber keinesfalls ausschließlich – in der Rechtsentwicklung derjenigen Staaten zum Ausdruck, die den Ersatz solcher Einbußen besonderen Beschränkungen unterworfen haben. Die zum Ausklang des 19. Jahrhunderts vorherrschende Zurückhaltung gegenüber einem allgemeinen Anspruch auf Geldersatz für immaterielle Schäden, die dazu führte, dass der BGB-Gesetzgeber den Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden im Wesentlichen auf deliktische Körper- und Gesundheitsverletzungen sowie Freiheitsentziehungen beschränkte, lässt sich auf das [[römisches Recht|römische Recht]] zurückführen. Das römische Schadensrecht ging von dem Grundsatz aus, dass der Körper eines freien Menschen einer monetären Wertung entzogen sei. Bei Real- und Verbalinjurien war jedoch eine Art Strafzahlung zu leisten, die auch die immateriellen Einbußen des Geschädigten vergelten sollte (''actio iniuriarum''). Diese Grundsätze blieben lange Zeit prägend, erst langsam setzte sich der naturrechtliche Grundsatz der Totalreparation ([[Naturrecht]], [[Schadensersatz]]) durch, der auch den Ausgleich immaterieller Einbußen ermöglichte. Dies war in erster Linie ein angemessenes Schmerzensgeld bei Personenschäden, das auch nach deutschrechtlicher Tradition zu entrichten war. Es verwundert daher nicht, dass im deutschen Recht immaterieller Schadensersatz auch heute noch oftmals mit dem Schmerzensgeldanspruch gleichgesetzt wird, während etwa französische und englische Gerichte einzelne Aspekte des Immaterialschadensersatzes bei Personenschäden seit langem deutlich feiner ausdifferenzieren. Der enge Ansatz des deutschen Rechts, der maßgeblich mit der Furcht vor einem Missbrauch einer modernern ''actio iniuriarum'' sowie einem starken Misstrauen gegenüber der Fähigkeit der Richterschaft begründet wurde, immaterielle Schäden zu taxieren, vermochte im Laufe der Zeit immer weniger zu überzeugen. Vor allem das Aufkommen von Massenmedien zeigte die Schutzlücken des BGB überdeutlich. Diese Entwicklung bewegte die Rechtsprechung dazu, den zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz unter Berufung auf die Grundrechte deutlich auszubauen und damit zum Ausdruck zu bringen, dass auch immaterielle Werte umfassenden haftungsrechtlichen Schutz verdienen. Auch in anderen Rechtsordnungen wurden immaterielle Schadenspositionen immer umfassender ersetzt. Gleichzeitig wurde bei der Bemessung des Schadensersatzes der Präventionsgedanke ([[Schadensersatz]]) immer stärker berücksichtigt. In Deutschland führte dieser Wertewandel schließlich zur Schadensersatzreform von 2002, bei der die vom Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts zu eng gezogenen Grenzen weiter gesteckt wurden.


Wie der Humanismus generell das antike Menschenbild erneuern wollte, so zielte die humanistische Jurisprudenz auf die Erschließung der Vorbildlichkeit der antiken Rechte für die Gegenwart. Auf dem Gebiete des Rechts wurde der Humanismus allerdings erst im 16. Jahrhundert voll wirksam. Doch als Vorläufer und Wegbereiter durch Kritik des mittelalterlichen Wissenschaftsbetriebs und Hinweis auf die Bedeutung der antiken Vorbilder im Rahmen des Studiums der ''artes liberales'' kann man bereits die Italiener ''Francesco Petrarca'' (1304–1374), ''Coluccio Salutati'' (1331–1406), ''Maffeo Veggio'' (1406–1458) sowie ''Lorenzo Valla'' (1405–1457) mit seiner Entlarvung der Konstantinischen Schenkung als Fälschung bezeichnen. ''Angelo Poliziano ''(1454–1494) studierte als erster die Florentiner Digestenhandschrift (''[[Corpus Juris Civilis]]'') und verglich sie mit den damals gebräuchlichen Vulgathandschriften. ''Poliziano''s Bemühungen wurden schließlich durch die Ausgabe der Digesten im Jahre 1553 durch ''Lelio Torelli'' (1498–1576) vollendet. Die Krönung der editorischen Bemühungen der Humanisten bildete die Ausgabe des gesamten ''[[Corpus Juris Civilis]]'' durch ''Dionysius Gothofredus'' (1549–1622) im Jahre 1583, die jahrhundertelang für Praxis und Wissenschaft unentbehrlich bleiben sollte.
b) Mit der stetigen Zunahme von Klagen auf immateriellen Schadensersatz in den 1960er Jahren wurde schnell deutlich, dass die Grenzen zwischen materiellen und immateriellen Schäden fließend sind und eine „objektive“ Zuordnung zu der einen oder anderen Kategorie ohne wertende Betrachtung oftmals nicht möglich ist. Welche Einbußen in Geld messbar sind, ist durch das Entstehen neuer Märkte ständigem Wandel unterworfen. Ferner weicht die stetig fortschreitende Kommerzialisierung die eindeutige Zuordnung von Gütern zur Persönlichkeitssphäre auf. Im Laufe der Zeit haben sich daher Fallgruppen herausgebildet, die auf der Grenzlinie zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschäden angesiedelt sind. Es verwundert dabei nicht, dass in denjenigen Rechtsordnungen, die eine § 253 BGB vergleichbare Vorschrift kennen, die Gerichte oftmals versucht haben, das zu enge gesetzliche Korsett durch eine besonders weite Auslegung des Vermögensschadensbegriffs oder die Schaffung neuer Kategorien zu unterlaufen. Diese Tendenz ist besonders stark im italienischen Recht ausgeprägt. Nach dem ''Codice civile'' kommt es für den Ersatz des immateriellen Schadens im Wesentlichen darauf an, dass der Schädiger ein Strafgesetz verletzt hat (Art. 2059 ''Codice civile'', Art. 185 ''Codice penale''). Da der Strafrechtsschutz nicht als ausreichend angesehen wurde, haben die italienischen Gerichte unter Rückgriff auf das Verfassungsrecht die Figur des ''danno biologico'' bzw. des ''danno alla salute'' entwickelt. Nach dieser Rechtsprechung ist – unabhängig von der Verletzung eines Strafgesetzes – ein Ausgleich für jede durch eine rechtswidrige Beeinträchtigung der Gesundheit bzw. des Wohlbefindens verursachte Beschränkung der persönlichen Entfaltung im sozialen Umfeld zu gewähren. Mit dieser Begründung können selbst offensichtliche Nichtvermögensschäden als biologischer Schaden nach der deliktischen Generalklausel (Art. 2043 ''Codice civile'') ausgeglichen werden – etwa die Beklemmung und die Trauer des Eigentümers eines überfahrenen Haustieres (Conc. Udine 9.3.1995, NGCC 1995 I, 784).


Die entscheidenden Anstöße zu der Reform der Rechtswissenschaft und des Rechtsunterrichts aus dem Geiste des Humanismus gab das schon von den Zeitgenossen sogenannte „Triumvirat“ ''Andrea Alciato'' (1492–1550), ''Guillaume Budé'' (1467–1540) und ''Ulrich Zasius'' (1461–1535). Zentrum der Bewegung war zunächst die 1464 gegründete Universität Bourges. Dort lehrten ''Alciato'' und ''Budé''.
c) Die Ausweitung des Immaterialschadensersatzes in Kombination mit dem massenhaften Auftreten bestimmter Schadensfälle, etwa durch Verkehrsunfälle, hat schließlich das Bedürfnis nach einer stärker abstrakten Bewertungsmethode deutlich vergrößert. Die meisten Rechtsordnungen haben auf dieses Problem reagiert, indem Massenrisiken ein Stück weit durch pauschale Entschädigungsbeiträge abgegolten werden. Paradigmatisch für diese Entwicklung steht der Einsatz von Schmerzensgeldtabellen, die in Europa weit verbreitet sind und dem Rechtsanwender einen Anhaltspunkt geben, in welcher Größenordnung ein Ausgleich zu gewähren ist.


Weniger bedeutend waren die für die Anfänge der historischen Rechtswissenschaft so wichtigen oberitalienischen Universitäten, die letztlich den herkömmlichen Methoden treu blieben. Immerhin müssen als italienische Humanisten, wenn auch außerhalb von Italien lehrend, ''Alberico Gentili'' (1552–1608) und ''Giulio Pace'' (1550–1535) erwähnt werden. Deutschland war in dieser Entwicklung zunächst nur durch den Freiburger Stadtschreiber und Juraprofessor ''Zasius'' vertreten. Doch dann ergab sich eine intensive Diskussion über den Gegensatz zwischen der mittelalterlichen, als ''mos italicus'' bezeichneten Methode und dem neuen, ''mos gallicus'' genannten Stil von Lehre und Wissenschaft. Zu nennen sind die Namen von ''Johannes Apel'' (1486–1536), ''Johannes Sichard ''(1499–1552), ''Gregor Haloander'' (1501–1531) und ''Johannes Fichard'' (1512–1581). Einig war man sich über das Ziel aller Rechtswissenschaft, die Erschließung des Gehaltes der antiken, in ihrer Autorität unbestrittenen Texte, den Rückgriff ''ad fontes'' nach dem Muster der Theologie.
== 3. Regelungsstrukturen ==


Außer ''Alciato'' und ''Budé'', der nach ''Alciato'' zunächst die Führungsposition einnahm, hat Frankreich noch weitere bedeutende Humanisten aufzuweisen, darunter etwa ''Eguinaire Baron'' (1495–1550), ''François Le Douaren'' (''Duarenus'', 1509–1559), ''Jean Coras'' (''Corasius'', 1513–1572), ''Antoine Le Conte'' (''Contius'', 1517–1586) und ''François'' ''Baudouin'' (''Balduinus'', 1520–1573) und als Höhepunkte ''Jacques Cujas'' (''Cuiaeius'', 1522–1590) und ''Hugo Donellus ''(1527–1591).
Die europäischen Privatrechtsordnungen beantworten die Frage, welche Nichtvermögensschäden in welchem Umfang zu ersetzen sind, sehr unterschiedlich. Lediglich für einen gewissen Kernbestand der Problematik lassen sich einige sehr allgemeine Grundstrukturen aufzeigen.


Für die Mehrzahl der Juristen, einschließlich der Juristen humanistischer Prägung, stand nach wie vor das römische Recht, wie es im ''Corpus Juris Civilis'' aufgezeichnet war, im Mittelpunkt des Interesses. Dieses Recht war in Deutschland positiv geltendes Recht, wohingegen es in Frankreich eine Autorität als ''ratio'' besaß. Die Lehre vollzog sich weiterhin vorwiegend, wie gewohnt, in den einzelnen Schritten des im Jahre 1541 von ''Gribaldus Mopha'' formulierten Merkverses: ''Praemitto'','' scindo'','' summo'','' casumque figuro'','' perlego do causas'','' connoto et obiicio ''(ich mache Vorbemerkungen, teile auf, bilde Fälle, lese vor, begründe, verweise auf Parallelstellen und erhebe Einwendungen). Auch die große Bedeutung der ''communis opinio'' blieb bestehen. Außerdem wendeten sich insbesondere die französischen Juristen in starkem Maße auch dem Studium einheimischer Rechtsquellen zu.
a) Im Grundsatz besteht breite Übereinstimmung darüber, dass nach [[Deliktsrecht: Allgemeines und lex Aquilia|Deliktsrecht]] solche immateriellen Einbußen zu ersetzen sind, die daraus resultieren, dass der Geschädigte einen Personenschaden erlitten hat oder seine menschliche Würde, Freiheit oder ein anderes Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist. Der Ersatz des sog. Affektionsinteresses bei Zerstörung oder Beschädigung von Sachen wird dagegen deutlich kritischer betrachtet und allenfalls in engen Ausnahmefällen ersetzt.


===b) Hauptpunkte der Rechtskritik ===
Im Lichte der neueren Rechtsentwicklung kann man zudem die Tendenz ausmachen, dass Immaterialschadensersatz nicht allein auf Grundlage verschuldensabhängiger deliktischer Ansprüche ([[Deliktsrecht: Allgemeines und lex Aquilia|Deliktsrecht]]) und Ansprüchen aus [[Gefährdungshaftung]] zu ersetzen sind. Auch bei einer Verletzung vertraglicher Ansprüche müssen immaterielle Schäden ersetzt werden, wobei große Unterschiede dahingehend bestehen, in welcher Form die Weite der Haftung gesteuert werden soll. Einig ist man sich darin, dass die Vertragspartei, die etwa die geschuldete Ware zu spät anliefert, nicht generell für Ärger und Aufregung haften soll, den ihre verspätete Leistungserbringung bei der anderen Partei des Vertrags hervorgerufen hat. Einige Rechtsordnungen ersetzen immaterielle Schäden daher nur dann, wenn diese für den Schuldner vorhersehbar waren, andere machen den Ersatz davon abhängig, dass solche Einbußen vom Schutzzweck des Vertrages umfasst waren, und wiederum andere verlangen die Verletzung eines gesetzlich geschützten Rechts oder Rechtsguts.


Hauptpunkte der Kritik der humanistischen Jurisprudenz an der mittelalterlichen Lehre und Wissenschaft waren die Autoritätsgläubigkeit der Juristen mit ihrer Bindung an die oft den Gesetzestext selbst in seiner Bedeutung gering achtenden herrschende Lehre (''communis opinio'') sowie die gleichfalls durch die Herrschaft der ''communis opinio'' bedingte Weitschweifigkeit bei der Erörterung der verschiedenen Lehrmeinungen und Kontroversen. Damit verbunden war auch die Kritik an der ausufernden Consilienpraxis (''Zasius'').
b) Die vorgenannten Grundlinien des Immaterialschadensersatzes spiegeln sich – in unterschiedlicher Ausprägung – auch in den Vorschlägen zur Vereinheitlichung des Haftungsrechts wider, die zum einen von der ''European Group on Tort Law'' (''[[Principles of European Tort Law]]'') und zum anderen von der ''[[Study Group on a European Civil Code]]/‌European Research Group on Existing EC Private Law'' ([[Common Frame of Reference|Gemeinsamer Referenzrahmen]])'' ''vorgelegt wurden. Im Bereich des Deliktsrechts werden immaterielle Schäden unabhängig vom Haftungsgrund gewährt. Auch in Bezug auf die ersatzfähigen Einbußen setzen die Regelwerke einen Schwerpunkt bei einer Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter (besonders deutlich Art. 10:301(1) PETL). Der DCFR regelt – anders als die PETL – auch die vertragliche Haftung. Die vertragsrechtlichen Teile des DCFR basieren im Wesentlichen auf den von der [[Europäische Kommission|Europäischen Kommission]] für Vertragsrecht ausgearbeiteten [[Principles of European Contract Law|PECL]]. Sowohl die PECL als auch der DCFR machen die Zusprechung immaterieller Schäden im Fall der Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung davon abhängig, dass der geltend gemachte Schaden für die in Anspruch genommene Vertragspartei bei Vertragsschluss als wahrscheinliche Folge der Nichterfüllung vorhersehbar war – es sei denn, die Nichterfüllung war vorsätzlich oder grob fahrlässig (Art. 9:501(2)(a), Art. 9:503 PECL; Art. III.-3:701(3), Art. III.-3:703 DCFR). Dagegen wollen die ''Acquis Principles'' der ''European Research Group on Existing EC Private Law ''die Gewährung von Immaterialschadensersatz in einem solchen Fall davon abhängig machen, dass der Schutz vor solchen Einbußen Zweck des jeweiligen Vertrages war (Art. 8:402(4) ACQP).


Dazu kam als weiterer Hauptpunkt der Kritik die Verwendung von mangelhaften Handschriften mit fehlerhaften Textüberlieferungen sowie die Nichtberücksichtigung zahlreicher relevanter Textstellen und auch ganzer Gesetze, insbesondere soweit sie in griechischer Sprache abgefasst waren. Kritisiert von Seiten der Humanisten wurden weiter die sprachliche Unkultur, die Verwendung eines „barbarischen“ Lateins und die mangelhaften historischen Kenntnisse der Juristen des Mittelalters, insbesondere der Kommentatoren, die Ursache von vielen unnötigen Harmonisierungsversuchen von Texten seien, die zu ganz verschiedenen Zeiten entstanden waren.
c) Wenngleich sich die nationalen Privatrechtsordnungen im Ausgangspunkt einig sind, dass bei Körper- und Gesundheitsverletzungen ein Ausgleich immaterieller Schäden in Geld zu gewähren ist, gehen die Ansichten doch weit darüber auseinander, in welchem Umfang dies zu geschehen hat. Exemplarisch dafür kann die Fallgruppe des Ausgleichs immaterieller Reflexschäden Dritter genannt werden. Gesetzt den Fall, dass ein betrunkener Autofahrer einen anderen Verkehrsteilnehmer bei einem Unfall tötet oder schwer verletzt, stellt sich die Frage, ob nahe Angehörige des Opfers eigene Ersatzansprüche geltend machen können. Im deutschen Recht ist dies nur der Fall, wenn die Benachrichtigung vom Unfall einen sog. Schockschaden auslöst, der so schwer ist, dass er einen (medizinisch diagnostizierbaren) eigenen Gesundheitsschaden begründet. Das französische Recht ist dagegen deutlich geschädigtenfreundlicher und erkennt auch Schadensersatzansprüche mittelbar Betroffener großzügig an (''victimes par ricochet''). Diese werden dafür entschädigt, dass sie durch die Trauer um eine geliebte Person in ihrer Lebensfreude beeinträchtigt werden. Anspruchsberechtigt sind all diejenigen, die eine enge und stabile Beziehung zum Unfallopfer haben. Dies können nicht nur Familienangehörige, sondern auch Partner einer nichtehelichen oder gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft sein. Haben diese Personen darüber hinaus auch einen eigenen Gesundheitsschaden erlitten, so ist der Ausgleichsbetrag zu erhöhen. Das englische Recht nimmt eine Mittelposition ein. Auf der einen Seite können Ansprüche wegen eines Schockschadens nur dann geltend gemacht werden, wenn der Schock durch die eigene Beobachtung des Unfalls hervorgerufen wird. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf ''damages for bereavement ''(Schadensersatz im Trauerfall) normiert, der allein dem überlebenden Ehegatten und Eltern minderjähriger Kinder zugestanden wird. Der Ausgleichsbetrag ist der Höhe nach begrenzt und liegt derzeit bei GBP 11.800,-.  


Aus dieser Kritik ergeben sich die Aufgaben der humanistischen Rechtswissenschaft.
d) Auf europäischer Ebene plädieren sowohl der DCFR als auch die PETL für die Festschreibung eines Angehörigenschmerzensgelds. Ähnlich wie im französischen Recht soll dieser Anspruch allen Personen zuerkannt werden, die zum Zeitpunkt des Todes in einer (besonders) engen Verbindung mit dem Opfer stehen (Art. VI.-2:202(1) DCFR; Art. 10:301(1) PETL). Die PETL machen den Ersatzanspruch zudem davon abhängig, dass das Opfer getötet oder besonders schwer verletzt wurde. Von einer gesetzlichen Fixierung der Anspruchshöhe, die dem Richter die Beantwortung der Frage erspart, was das Unfallopfern seinen Angehörigen wert war bzw. wie intensiv diese um das Opfer getrauert haben, haben beide Gruppen abgesehen. Ebenso wenig wurde der Kreis der ersatzberechtigten Personen näher definiert.


=== c) Aufgaben und Untersuchungsprogramme: Rechtsquellen ===
Diese, wie auch andere Fragen des Immaterialschadensersatzes, müssten – sollten die Regelwerke eines Tages Gesetz werden – somit von der Judikative konkretisiert werden. Um eine gewisse Einheitlichkeit der Auslegung sicherzustellen, bemühen sich die PETL daher, konkrete und detaillierte Regeln für die Bemessung immaterieller Schäden aufzustellen. Bei der Bemessung des Ersatzumfangs sollen alle Umstände des Falles, einschließlich der Schwere, Dauer und Folgen der Verletzung, berücksichtigt werden. Zudem wird der Rechtsanwender verpflichtet, bei der Bemessung des Schadensersatzes ähnliche Beträge für objektiv ähnliche Verletzungen zuzubilligen (Art. 10:301(2) und (3) PETL). Angestrebt wird also eine relativ umfassende Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlagen, so dass ein immaterieller Schaden in Portugal im Prinzip ebenso hoch entschädigt wird wie in Lettland. In der Praxis wären die Gerichte gehalten, Entscheidungen aus anderen Rechtsordnungen bei der Festsetzung des Schadensersatzes zu berücksichtigen. Eine solche Vereinheitlichung strebt der DCFR hingegen nicht an, sondern weist die Bemessung des Nichtvermögensschadens dem jeweils anwendbaren nationalen Recht zu (Art. VI.-6:203(2) DCFR).


Die erste den Humanisten gestellte Aufgabe war die Herstellung zuverlässiger Texte des [[römisches Recht|römischen Recht]]s, insbesondere des ''[[Corpus Juris Civilis]]'' durch Textkritik und Textverbesserung mit Hilfe der Bildung von Genealogien von Handschriften, die möglichst zur Urfassung der Texte führen sollten. Nach dem Vorbild der Reformatoren strebte man nach den reinen Quellen.
== 4. Rechtsvereinheitlichung ==


Die Aufdeckung und Korrektur irrtümlicher Lesarten erfolgte mit Hilfe aller in Betracht kommenden Quellen, – auch außerjuristischen.
a) Das ''internationale Einheitsrecht'' berührt den Ersatz immaterieller Schäden nur am Rande. Eine Ausnahme bildet die Europäische Menschenrechtskonvention ([[Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK]]). Der [[Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte|EGMR]] kann erfolgreichen Beschwerdeführern nach Art. 41 EMRK eine gerechte Entschädigung zusprechen, wenn das nationale Recht nur eine unvollkommene Wiedergutmachung der Folgen der Konventionsverletzung vorsieht. Diese umfasst auch den Ersatz immaterieller Einbußen. Daneben haben die Europäischen Grundrechte eine nicht unerhebliche Ausstrahlungswirkung auf das nationale Schadensrecht entfaltet. Betroffen ist vor allem der Bereich des Privatrechtsschutzes (Art. 8 EMRK). So hat der EGMR in einer Entscheidung aus dem Jahre 2004 eine Neukonzeption des deutschen Persönlichkeitsrechtsschutz erzwungen, indem er die einschlägige Rechtsprechung der Fachgerichte und des Bundesverfassungsgerichts als unvereinbar mit dem Grundrecht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) ansah (EGMR Nr. 59320/‌00 – ''Caroline von Hannover/‌Deutschland''). Das Fotografieren von prominenten Zeitgenossen bei rein privaten Tätigkeiten in der Öffentlichkeit, befand der EGMR entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 15.12.1999, BVerfGE 101, 361 ff. ''Caroline von Monaco I''), sei nur dann durch die Pressefreiheit gerechtfertigt, wenn diese Art der Berichterstattung für eine öffentliche Debatte in einer demokratischen Gesellschaft von Bedeutung ist, und nicht, wenn lediglich die voyeuristische Neugier einer bestimmten Leserschaft befriedigt werden soll. In der Folge haben die deutschen Fachgerichte unter Berufung auf den EGMR den Schutz vor aufdringlichen Fotografen deutlich ausgeweitet. Auch die englische Rechtsprechung hat unter Bezugnahme auf Art. 8 EMRK den Schutz der Privatsphäre vor Eingriffen durch die Massenmedien durch eine Fortentwicklung tradierter ''common law''-Deliktstatbestände ausgedehnt ([[Persönlichkeitsrecht]]).


Einen weiteren Schritt bildete die Wiederherstellung (Palingenesie) der Werke der großen Juristen der klassischen Zeit des römischen Rechts, aus deren Exzerpten die Juristen ''Justinians'' die Digesten zusammengestellt hatten, und somit die Wiederherstellung des klassischen römischen Rechts der ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderte. Diese Rekonstruktion entsprach der Forderung nach einem historischen Verständnis der Quellen. Außerdem hat bei der Palingenesie die Überzeugung eine Rolle gespielt, dass ''Justinian'' als Gesetzgeber staatsrechtlich keinen Anspruch mehr auf Gehorsam habe, so dass es allein auf die Vorbildlichkeit der klassischen Texte ankomme. Im Ganzen blieb aber die Autorität des justinianischen ''Corpus Juris ''ungebrochen.
b) Das ''Recht der [[Europäische Union|Europäischen Union]]'' hat den Immaterialschadensersatz nur sehr punktuell harmonisiert. Die größte Überlagerung des nationalen Rechts erfolgt insofern durch die Antidiskriminierungsrichtlinien. Diese verbieten im Vertragsrecht eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts ([[Diskriminierungsverbot im allgemeinen Vertragsrecht]]). Noch weitergehende Diskriminierungsverbote sind für das Arbeitsrecht verabschiedet worden ([[Diskriminierungsverbot im Arbeitsrecht]]). Die meisten Mitgliedstaaten haben Schadensersatzansprüche eingeführt, um gemeinschaftsrechtlich verbotene Diskriminierungen zu sanktionieren, in deren Rahmen auch der immaterielle Schaden auszugleichen ist. Neben dem Antidiskriminierungsrecht hat die Gemeinschaft Schadensersatzansprüche im Reisevertragsrecht angeglichen. Die Pauschalreiserichtlinie ([[Reisevertrag (Pauschalreisen)|Reisevertrag]]) verpflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass einem Verbraucher die Schäden ersetzt werden, die aus der mangelhaften Erfüllung des Pauschalreisevertrags entstehen. Dabei sind auch Einbußen wegen entgangener Urlaubsfreude zu ersetzen, wie der EuGH unlängst klargestellt hat (EuGH Rs. C-168/‌00 – ''Leitner/‌TUI'', Slg. 2002, I-2631).


Hinzu kam die Erweiterung der Textbasis der [[Rechtswissenschaft]] durch das Studium der in griechischer Sprache verfassten Teile des ''Corpus Juris Civilis'' und auch sämtlicher griechischer Rechtstexte aus byzantinischer Zeit. Dazu kamen außerdem alle irgendwie für die Frage nach dem Recht ergiebigen antiken Schriftsteller, insbesondere ''Marcus Tullius'' ''Cicero'', aber auch andere Verfasser nichtjuristischer Literatur, die der Verbesserung des historischen Verständnisses diente.
c) Die Arbeiten an einem ''gemeineuropäischen Privatrecht'' haben ebenfalls das Immaterialschadensersatzrecht zum Gegenstand. In den letzten Jahren ist eine deutliche Intensivierung der rechtsvergleichenden und rechtshistorischen Forschung auf dem Gebiet des Schadensrechts zu konstatieren. Zudem wurden eine Reihe europäischer Regelwerke zum Haftungs- und Schadensrecht vorgelegt. Die ausführlichsten Regelungen auf dem Gebiet des Immaterialschadensersatzes enthalten die PETL und der DCFR, dessen Schadensrecht auf den PEL Liab. Dam. und den PECL aufbaut. Die ''Acquis Principles'' berühren hingegen das Immaterialschadensrecht nur am Rande. Diese und andere rechtsvergleichende und rechtshistorische Arbeiten haben den Boden für ein europäisches Schadensrecht zumindest ein Stück weit bereitet. Die Wissenschaft steht nunmehr vor der großen Herausforderung, die verschiedenen Entwürfe zu einem kohärenten europäischen Schadensrecht fortzuentwickeln.
 
Die Erkenntnis, dass die Geltung des ''Corpus Juris'' ''Justinian''s auf Geschichte beruhte und nicht auf einem Akt des Gesetzgebers, führte zu einer Minderung der Rolle des ''Corpus Juris ''und machte den Weg frei für andere Quellen des Rechts. Daher spielten auch Editionen einheimischer, nationaler Quellen als Rückbesinnung auf wertvolle Traditionen der eigenen Geschichte eine große Rolle. Das auslösende Moment dieser Rückbesinnung war, was Deutschland anbelangt, die Germania des ''Cornelius Tacitus''. Außerhalb dieses Systems von schriftlichen Rechtsquellen blieb die Rolle der ''aequitas'' (Billigkeit) als Rechtsquelle.
 
Objekt des Studiums waren jetzt auch andere antike Rechtstexte wie etwa die Zwölf Tafeln und der ''Codex Theodosianus''. Dazu kam ein Interesse am Strafrecht und am Verfassungsrecht. Mit allem verfolgten die Humanisten insbesondere in Deutschland auch politische Absichten. Ihr Ziel war die Stärkung der Position der territorialen Fürstenstaaten.
 
Zu der Arbeit an den Texten kam die Aufgabe der Verbesserung der Interpretationsmethoden der Texte. Voraussetzung dafür waren bessere Lateinkenntnisse, ein enzyklopädisches Wissen sowie historisches Verständnis. Ziel der Humanisten war aber nicht Versenkung in die Geschichte und ästhetischer („antiquarischer“) Kult literarischer Ideale, sondern die Herstellung der Übereinstimmung des materiellen Rechts mit den Erfordernissen des neuen humanistischen Menschenbildes, kurz die Verbesserung des materiellen Rechts. So betrieben die dem Humanismus anhängenden Juristen ebenso sehr gründliche philologische und historische Studien, wie sie auch an der dogmatischen Erschließung der römischen Quellen arbeiteten. Auf diesem Gebiete erwarb sich ''Cujas'' die größten Verdienste.
 
Das neue Material an Rechtsnormen zwang die Juristen, sich Gedanken zu machen über die rechte Anordnung des gesamten Rechtsstoffs (System). Auch die Arbeit mit einem System war zunächst das Verstehen der antiken und damit idealen Ordnung des Inhaltes der Quellen. Auch für diese Richtung stehen in erster Linie die Arbeiten von ''Cujas''. Von größerer Wirkung für die Zukunft jedoch waren die Entwürfe von im Verhältnis zu den Quellen unabhängigen, neuen systematischen Ordnungen des Rechtsstoffes. Darum haben sich ''Franciscus Connanus ''(1508–1551), ''Franciscus Duarenus'' und mit größter Wirkung für die Zukunft ''Hugo Donellus'' verdient gemacht. Er stellte das gesamte Recht dar, systematisch geordnet nach logischen Kategorien und nach Prinzipien des [[Naturrecht|Natur-]] und Völkerrechts. Die schon bei ''Connanus'' begonnene Systematisierung wurde unter dem Stichwort ''methodus'' mit didaktischen Intentionen in ganz Europa diskutiert. Für das System spielten insbesondere die Institutionen ''Justinians'' eine große Rolle. Die neue Ordnung diente in erster Linie dem leichteren Erlernen des Rechts. Ob und in welchem Umfange die Systematisierung des Rechtsstoffes auch inhaltliche Konsequenzen hatte, ist umstritten.
 
Voraussetzung für die Verfolgung humanistischer Ziele war weiter auch eine Neugestaltung des Rechtsunterrichts, die äußerst intensiv diskutiert, jedoch weniger realisiert wurde.
 
Durchgeführt wurde das humanistische Reformprogramm in mehreren, gegenüber dem Mittelalter weithin neuen Literaturformen. Im Einzelnen kann man nach ''Hans-Erich'' ''Troje'' mit gewissen Überschneidungen unterscheiden: Editionen, ''adnotationes'' und ''observationes'' für die Textkritik, dogmatische Monographien, Schriften zur ''ratio studendi'' (Methode des Studiums), Argumentationslehre, Diskussion der rechten Stoffordnung und ausgeführte Systeme sowie Kommentare und Nachschlagewerke.
 
Die Instrumente der Auslegung auf der zweiten Stufe der Arbeit des Humanisten waren dann mit von Autor zu Autor verschiedener Auswahl und verschiedener Gewichtung in erster Linie: die Aufspürung des historischen Ursprungs der auszulegenden Textstelle, die Rekonstruktion ihres historischen Kontextes (Palingenesie), die Ermittlung der Umstände der Einfügung der Textstelle in das ''Corpus Juris Civilis'' (Interpolationenkritik), weiter aber auch die Herausarbeitung von generellen Prinzipien, die Bildung eines Systems und die Einfügung der Ergebnisse in das System.
 
Die selbständige Ableitung von Rechtssätzen aus der vom Humanismus postulierten autonomen Vernunft des Menschen, wie sie später das Naturrecht der Aufklärung unternehmen wird, haben die Juristen im Humanismus nicht zu ihrem Programm gemacht, obwohl durchaus die Frage nach dem Zusammenhang des positiven Rechts mit einem übergeordneten Naturrecht gestellt wurde. Die Betonung der Prinzipien und die systematische Durchdringung des Stoffes verbunden mit der Einsicht in den Zusammenhang von Philosophie und Rechtswissenschaft waren jedoch geeignet, die strenge Bindung an die antiken Quellen zu lockern. Hier bestanden Ansatzpunkte für den Übergang zu den vollständig ausgeführten Systemen eines materialen Naturrechts.
 
== 3. Einfluss auf die Privatrechtswissenschaft ==
 
Nach ''Helmut'' ''Coing'' ist der unmittelbare Einfluss des Humanismus auf die Privatrechtswissenschaft des [[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']] „nicht umwälzend“ gewesen. ''Coing'' meint, die moderne Forschung habe die materielle Bedeutung des Humanismus eher überschätzt. Bedeutende Wirkungen des Humanismus auf die Rechtswirklichkeit sieht er im Grunde nur in der zunehmenden Bedeutung der nationalen Rechte. Es würde die Mühe lohnen, die Frage nach dem materiellen Einfluss der humanistischen Rechtswissenschaft auf die Lehren des Privatrechts noch einmal zu überprüfen.
 
Der Beginn der Verfolgung der Hugenotten seit 1573 verhinderte die Etablierung einer dauerhaften humanistischen Tradition des französischen Rechts. Seine Fortsetzung fand der Humanismus in der sogenannten eleganten Schule in den Niederlanden.


==Literatur==
==Literatur==
''Domenico Maffei'', Gli inizi dell’ umanesimo giuridico, 1964; ''Hans-Erich Troje'', Die Literatur des gemeinen Rechts unter dem Einfluss des Humanismus, in: Helmut Coing (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. II/‌1, 1977, 615 ff; ''Helmut Coing'', Europäisches Privatrecht, Bd. I, 1985, 68 ff; ''Klaus Luig'', Humanismus und Privatrecht, in: Festschrift für G. Wesener, 1992, 285 ff; ''Jan Schröder'', Recht als Wissenschaft: Geschichte der juristischen Methode vom Humanismus bis zur historischen Schule, 2001; ''Italo Birocchi'', Alla ricerca dell’ ordine. Fonti e cultura giuridica nell’età moderna, 2002, 1 ff; ''Govart C.J.J. van den Bergh'', Die holländische elegante Schule, 2002; Klaus Luig, Staat und Recht in den Emblemen von Andrea Alciato (1492–1550), in: Festsschrift für Bernhard Großfeld, 1999, 727 ff.; ''Aldo Mazzacane'', Humanism, in: International Encyclopedia of Legal History, 2009.
''Christian von Bar'', Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, 1999, 57 ff.; ''Ulrich Magnus ''(Hg.), Unification of Tort Law: Damages, 2000; ''W.V. Horton Rogers'' (Hg.), Damages for Non-Pecuniary Loss in a Comparative Perspective, 2001; ''Nils Jansen'', Die Struktur des Haftungsrechts, 2003; ''Bernhard A. Koch'','' Helmut Koziol'' (Hg.), Compensation for Personal Injury in a Comparative Perspective, 2003; ''Wolfgang Wurmnest'', Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, 280 ff.; ''Johannes Ady'', Ersatzansprüche wegen immaterieller Einbußen, 2004; ''Gerhard Wagner'', Ersatz immaterieller Schäden: Bestandsaufnahme und europäische Perspektiven, Juristenzeitung 2004, 319 ff.; ''Helmut Koziol'','' Alexander Warzilek'' (Hg.), The Protection of Personality Rights against Invasion by Mass Media, 2005; ''Nils Jansen'', §§ 249–253, 255, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II/‌1, 2007.  


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Version vom 28. September 2021, 17:25 Uhr

von Wolfgang Wurmnest

1. Gegenstand und Zweck

Viele europäische Rechtsordnungen unterscheiden beim Schadensausgleich (Schadensersatz) zwischen materiellen und immateriellen Einbußen bzw. Vermögens- und Nichtvermögensschäden. Ein Vermögensschaden (pecuniary loss, dommage patrimonial, danno patrimonale) liegt vor, wenn der Schaden in Geld messbar und auch nicht der Persönlichkeitssphäre zuzuordnen ist. Ein solcher Schaden wird somit maßgeblich durch die Objektivierbarkeit des Ausgleichs gekennzeichnet. Sie ist gegeben, wenn der erlittene Nachteil unabhängig von subjektiven Empfindungen, Neigungen und Anschauungen des jeweils Betroffenen bewertet werden kann. Ein immaterieller Schaden (non-pecuniary loss, dommage moral, danno morale) wird zumeist negativ abgegrenzt, als Nachteil, der kein Vermögensschaden ist. Näher umschreiben kann man immaterielle Einbußen als Beeinträchtigung eines personengebundenen Wertes, für den es keinen objektiven Maßstab gibt.

Diese Zweiteilung des Schadensbegriffs beruht auf der Vorstellung, dass es möglich sei, alle Nachteile anhand objektiver Kriterien der Kategorie „materiell“ oder der Kategorie „immateriell“ zuzuordnen. Überspitzt formuliert ist zwischen solchen Einbußen zu unterscheiden, die nach den Anschauungen des Wirtschaftsverkehrs in Geld beziffert werden können, und solchen, die aufgrund einer Inkommensurabilität von „seelischem Leid und Geld“ nur durch ein Werturteil quantifiziert werden können.

Heute ist in allen Privatrechtsordnungen in Europa anerkannt, dass die Ersatzpflicht des Schädigers nicht allein auf den Ausgleich von Vermögensschäden begrenzt sein kann. Große Unterschiede bestehen dagegen in Bezug auf die Frage, welche immateriellen Einbußen als ersatzfähiger Schaden anzusehen und in welchem Umfang sie zu ersetzen sind. Vereinfacht ausgedrückt sehen die Rechtsordnungen im Einflussbereich des französischen Code civil den Ersatz immaterieller Einbußen als allgemeine Grundregel vor – und zwar unabhängig von der Anspruchsgrundlage. Andere Rechtsordnungen gewähren Immaterialschadensersatz nur soweit dies (spezial)gesetzlich bestimmt ist. Hintergrund dieser einschränkenden Regeln sind die Sorge vor einer ausufernden Haftung und die Schwierigkeiten der Taxierung immaterieller Einbußen. Eine solche Einschränkung sehen etwa das deutsche, italienische, niederländische und österreichische Recht vor, wobei wiederum Unterschiede bestehen, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Anspruch gewährt werden soll. Im englischen Schadensrecht, das ganz überwiegend auf ungeschriebenem, von der Rechtsprechung entwickeltem Fallrecht beruht (common law), wird der Ersatz von Nichtvermögensschäden vornehmlich als Rechtsfolge von Körperverletzungen (personal injury cases) betrachtet. Solche Schäden können aber auch im Zusammenhang mit anderen torts ausgeglichen werden.

2. Tendenzen der Rechtsentwicklung

Die Einstellung gegenüber der Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden hat sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts überall in Europa beträchtlich gewandelt. Zentrale Entwicklungslinien waren dabei die Ausweitung der ersatzfähigen Einbußen, ferner die Aufweichung der tradierten Dichotomie durch die Herausbildung einer Gruppe von Schäden, die zwischen materiellen und immateriellen Einbußen angesiedelt werden, und schließlich die Tendenz zur Pauschalierung des Schadensersatzes bei bestimmten massenhaft auftretenden Schadensfällen.

a) Der Wandel der Einstellung gegenüber der Wertigkeit immaterieller Einbußen kommt insbesondere – aber keinesfalls ausschließlich – in der Rechtsentwicklung derjenigen Staaten zum Ausdruck, die den Ersatz solcher Einbußen besonderen Beschränkungen unterworfen haben. Die zum Ausklang des 19. Jahrhunderts vorherrschende Zurückhaltung gegenüber einem allgemeinen Anspruch auf Geldersatz für immaterielle Schäden, die dazu führte, dass der BGB-Gesetzgeber den Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden im Wesentlichen auf deliktische Körper- und Gesundheitsverletzungen sowie Freiheitsentziehungen beschränkte, lässt sich auf das römische Recht zurückführen. Das römische Schadensrecht ging von dem Grundsatz aus, dass der Körper eines freien Menschen einer monetären Wertung entzogen sei. Bei Real- und Verbalinjurien war jedoch eine Art Strafzahlung zu leisten, die auch die immateriellen Einbußen des Geschädigten vergelten sollte (actio iniuriarum). Diese Grundsätze blieben lange Zeit prägend, erst langsam setzte sich der naturrechtliche Grundsatz der Totalreparation (Naturrecht, Schadensersatz) durch, der auch den Ausgleich immaterieller Einbußen ermöglichte. Dies war in erster Linie ein angemessenes Schmerzensgeld bei Personenschäden, das auch nach deutschrechtlicher Tradition zu entrichten war. Es verwundert daher nicht, dass im deutschen Recht immaterieller Schadensersatz auch heute noch oftmals mit dem Schmerzensgeldanspruch gleichgesetzt wird, während etwa französische und englische Gerichte einzelne Aspekte des Immaterialschadensersatzes bei Personenschäden seit langem deutlich feiner ausdifferenzieren. Der enge Ansatz des deutschen Rechts, der maßgeblich mit der Furcht vor einem Missbrauch einer modernern actio iniuriarum sowie einem starken Misstrauen gegenüber der Fähigkeit der Richterschaft begründet wurde, immaterielle Schäden zu taxieren, vermochte im Laufe der Zeit immer weniger zu überzeugen. Vor allem das Aufkommen von Massenmedien zeigte die Schutzlücken des BGB überdeutlich. Diese Entwicklung bewegte die Rechtsprechung dazu, den zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz unter Berufung auf die Grundrechte deutlich auszubauen und damit zum Ausdruck zu bringen, dass auch immaterielle Werte umfassenden haftungsrechtlichen Schutz verdienen. Auch in anderen Rechtsordnungen wurden immaterielle Schadenspositionen immer umfassender ersetzt. Gleichzeitig wurde bei der Bemessung des Schadensersatzes der Präventionsgedanke (Schadensersatz) immer stärker berücksichtigt. In Deutschland führte dieser Wertewandel schließlich zur Schadensersatzreform von 2002, bei der die vom Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts zu eng gezogenen Grenzen weiter gesteckt wurden.

b) Mit der stetigen Zunahme von Klagen auf immateriellen Schadensersatz in den 1960er Jahren wurde schnell deutlich, dass die Grenzen zwischen materiellen und immateriellen Schäden fließend sind und eine „objektive“ Zuordnung zu der einen oder anderen Kategorie ohne wertende Betrachtung oftmals nicht möglich ist. Welche Einbußen in Geld messbar sind, ist durch das Entstehen neuer Märkte ständigem Wandel unterworfen. Ferner weicht die stetig fortschreitende Kommerzialisierung die eindeutige Zuordnung von Gütern zur Persönlichkeitssphäre auf. Im Laufe der Zeit haben sich daher Fallgruppen herausgebildet, die auf der Grenzlinie zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschäden angesiedelt sind. Es verwundert dabei nicht, dass in denjenigen Rechtsordnungen, die eine § 253 BGB vergleichbare Vorschrift kennen, die Gerichte oftmals versucht haben, das zu enge gesetzliche Korsett durch eine besonders weite Auslegung des Vermögensschadensbegriffs oder die Schaffung neuer Kategorien zu unterlaufen. Diese Tendenz ist besonders stark im italienischen Recht ausgeprägt. Nach dem Codice civile kommt es für den Ersatz des immateriellen Schadens im Wesentlichen darauf an, dass der Schädiger ein Strafgesetz verletzt hat (Art. 2059 Codice civile, Art. 185 Codice penale). Da der Strafrechtsschutz nicht als ausreichend angesehen wurde, haben die italienischen Gerichte unter Rückgriff auf das Verfassungsrecht die Figur des danno biologico bzw. des danno alla salute entwickelt. Nach dieser Rechtsprechung ist – unabhängig von der Verletzung eines Strafgesetzes – ein Ausgleich für jede durch eine rechtswidrige Beeinträchtigung der Gesundheit bzw. des Wohlbefindens verursachte Beschränkung der persönlichen Entfaltung im sozialen Umfeld zu gewähren. Mit dieser Begründung können selbst offensichtliche Nichtvermögensschäden als biologischer Schaden nach der deliktischen Generalklausel (Art. 2043 Codice civile) ausgeglichen werden – etwa die Beklemmung und die Trauer des Eigentümers eines überfahrenen Haustieres (Conc. Udine 9.3.1995, NGCC 1995 I, 784).

c) Die Ausweitung des Immaterialschadensersatzes in Kombination mit dem massenhaften Auftreten bestimmter Schadensfälle, etwa durch Verkehrsunfälle, hat schließlich das Bedürfnis nach einer stärker abstrakten Bewertungsmethode deutlich vergrößert. Die meisten Rechtsordnungen haben auf dieses Problem reagiert, indem Massenrisiken ein Stück weit durch pauschale Entschädigungsbeiträge abgegolten werden. Paradigmatisch für diese Entwicklung steht der Einsatz von Schmerzensgeldtabellen, die in Europa weit verbreitet sind und dem Rechtsanwender einen Anhaltspunkt geben, in welcher Größenordnung ein Ausgleich zu gewähren ist.

3. Regelungsstrukturen

Die europäischen Privatrechtsordnungen beantworten die Frage, welche Nichtvermögensschäden in welchem Umfang zu ersetzen sind, sehr unterschiedlich. Lediglich für einen gewissen Kernbestand der Problematik lassen sich einige sehr allgemeine Grundstrukturen aufzeigen.

a) Im Grundsatz besteht breite Übereinstimmung darüber, dass nach Deliktsrecht solche immateriellen Einbußen zu ersetzen sind, die daraus resultieren, dass der Geschädigte einen Personenschaden erlitten hat oder seine menschliche Würde, Freiheit oder ein anderes Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist. Der Ersatz des sog. Affektionsinteresses bei Zerstörung oder Beschädigung von Sachen wird dagegen deutlich kritischer betrachtet und allenfalls in engen Ausnahmefällen ersetzt.

Im Lichte der neueren Rechtsentwicklung kann man zudem die Tendenz ausmachen, dass Immaterialschadensersatz nicht allein auf Grundlage verschuldensabhängiger deliktischer Ansprüche (Deliktsrecht) und Ansprüchen aus Gefährdungshaftung zu ersetzen sind. Auch bei einer Verletzung vertraglicher Ansprüche müssen immaterielle Schäden ersetzt werden, wobei große Unterschiede dahingehend bestehen, in welcher Form die Weite der Haftung gesteuert werden soll. Einig ist man sich darin, dass die Vertragspartei, die etwa die geschuldete Ware zu spät anliefert, nicht generell für Ärger und Aufregung haften soll, den ihre verspätete Leistungserbringung bei der anderen Partei des Vertrags hervorgerufen hat. Einige Rechtsordnungen ersetzen immaterielle Schäden daher nur dann, wenn diese für den Schuldner vorhersehbar waren, andere machen den Ersatz davon abhängig, dass solche Einbußen vom Schutzzweck des Vertrages umfasst waren, und wiederum andere verlangen die Verletzung eines gesetzlich geschützten Rechts oder Rechtsguts.

b) Die vorgenannten Grundlinien des Immaterialschadensersatzes spiegeln sich – in unterschiedlicher Ausprägung – auch in den Vorschlägen zur Vereinheitlichung des Haftungsrechts wider, die zum einen von der European Group on Tort Law (Principles of European Tort Law) und zum anderen von der Study Group on a European Civil Code/‌European Research Group on Existing EC Private Law (Gemeinsamer Referenzrahmen) vorgelegt wurden. Im Bereich des Deliktsrechts werden immaterielle Schäden unabhängig vom Haftungsgrund gewährt. Auch in Bezug auf die ersatzfähigen Einbußen setzen die Regelwerke einen Schwerpunkt bei einer Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter (besonders deutlich Art. 10:301(1) PETL). Der DCFR regelt – anders als die PETL – auch die vertragliche Haftung. Die vertragsrechtlichen Teile des DCFR basieren im Wesentlichen auf den von der Europäischen Kommission für Vertragsrecht ausgearbeiteten PECL. Sowohl die PECL als auch der DCFR machen die Zusprechung immaterieller Schäden im Fall der Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung davon abhängig, dass der geltend gemachte Schaden für die in Anspruch genommene Vertragspartei bei Vertragsschluss als wahrscheinliche Folge der Nichterfüllung vorhersehbar war – es sei denn, die Nichterfüllung war vorsätzlich oder grob fahrlässig (Art. 9:501(2)(a), Art. 9:503 PECL; Art. III.-3:701(3), Art. III.-3:703 DCFR). Dagegen wollen die Acquis Principles der European Research Group on Existing EC Private Law die Gewährung von Immaterialschadensersatz in einem solchen Fall davon abhängig machen, dass der Schutz vor solchen Einbußen Zweck des jeweiligen Vertrages war (Art. 8:402(4) ACQP).

c) Wenngleich sich die nationalen Privatrechtsordnungen im Ausgangspunkt einig sind, dass bei Körper- und Gesundheitsverletzungen ein Ausgleich immaterieller Schäden in Geld zu gewähren ist, gehen die Ansichten doch weit darüber auseinander, in welchem Umfang dies zu geschehen hat. Exemplarisch dafür kann die Fallgruppe des Ausgleichs immaterieller Reflexschäden Dritter genannt werden. Gesetzt den Fall, dass ein betrunkener Autofahrer einen anderen Verkehrsteilnehmer bei einem Unfall tötet oder schwer verletzt, stellt sich die Frage, ob nahe Angehörige des Opfers eigene Ersatzansprüche geltend machen können. Im deutschen Recht ist dies nur der Fall, wenn die Benachrichtigung vom Unfall einen sog. Schockschaden auslöst, der so schwer ist, dass er einen (medizinisch diagnostizierbaren) eigenen Gesundheitsschaden begründet. Das französische Recht ist dagegen deutlich geschädigtenfreundlicher und erkennt auch Schadensersatzansprüche mittelbar Betroffener großzügig an (victimes par ricochet). Diese werden dafür entschädigt, dass sie durch die Trauer um eine geliebte Person in ihrer Lebensfreude beeinträchtigt werden. Anspruchsberechtigt sind all diejenigen, die eine enge und stabile Beziehung zum Unfallopfer haben. Dies können nicht nur Familienangehörige, sondern auch Partner einer nichtehelichen oder gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft sein. Haben diese Personen darüber hinaus auch einen eigenen Gesundheitsschaden erlitten, so ist der Ausgleichsbetrag zu erhöhen. Das englische Recht nimmt eine Mittelposition ein. Auf der einen Seite können Ansprüche wegen eines Schockschadens nur dann geltend gemacht werden, wenn der Schock durch die eigene Beobachtung des Unfalls hervorgerufen wird. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf damages for bereavement (Schadensersatz im Trauerfall) normiert, der allein dem überlebenden Ehegatten und Eltern minderjähriger Kinder zugestanden wird. Der Ausgleichsbetrag ist der Höhe nach begrenzt und liegt derzeit bei GBP 11.800,-.

d) Auf europäischer Ebene plädieren sowohl der DCFR als auch die PETL für die Festschreibung eines Angehörigenschmerzensgelds. Ähnlich wie im französischen Recht soll dieser Anspruch allen Personen zuerkannt werden, die zum Zeitpunkt des Todes in einer (besonders) engen Verbindung mit dem Opfer stehen (Art. VI.-2:202(1) DCFR; Art. 10:301(1) PETL). Die PETL machen den Ersatzanspruch zudem davon abhängig, dass das Opfer getötet oder besonders schwer verletzt wurde. Von einer gesetzlichen Fixierung der Anspruchshöhe, die dem Richter die Beantwortung der Frage erspart, was das Unfallopfern seinen Angehörigen wert war bzw. wie intensiv diese um das Opfer getrauert haben, haben beide Gruppen abgesehen. Ebenso wenig wurde der Kreis der ersatzberechtigten Personen näher definiert.

Diese, wie auch andere Fragen des Immaterialschadensersatzes, müssten – sollten die Regelwerke eines Tages Gesetz werden – somit von der Judikative konkretisiert werden. Um eine gewisse Einheitlichkeit der Auslegung sicherzustellen, bemühen sich die PETL daher, konkrete und detaillierte Regeln für die Bemessung immaterieller Schäden aufzustellen. Bei der Bemessung des Ersatzumfangs sollen alle Umstände des Falles, einschließlich der Schwere, Dauer und Folgen der Verletzung, berücksichtigt werden. Zudem wird der Rechtsanwender verpflichtet, bei der Bemessung des Schadensersatzes ähnliche Beträge für objektiv ähnliche Verletzungen zuzubilligen (Art. 10:301(2) und (3) PETL). Angestrebt wird also eine relativ umfassende Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlagen, so dass ein immaterieller Schaden in Portugal im Prinzip ebenso hoch entschädigt wird wie in Lettland. In der Praxis wären die Gerichte gehalten, Entscheidungen aus anderen Rechtsordnungen bei der Festsetzung des Schadensersatzes zu berücksichtigen. Eine solche Vereinheitlichung strebt der DCFR hingegen nicht an, sondern weist die Bemessung des Nichtvermögensschadens dem jeweils anwendbaren nationalen Recht zu (Art. VI.-6:203(2) DCFR).

4. Rechtsvereinheitlichung

a) Das internationale Einheitsrecht berührt den Ersatz immaterieller Schäden nur am Rande. Eine Ausnahme bildet die Europäische Menschenrechtskonvention (Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK). Der EGMR kann erfolgreichen Beschwerdeführern nach Art. 41 EMRK eine gerechte Entschädigung zusprechen, wenn das nationale Recht nur eine unvollkommene Wiedergutmachung der Folgen der Konventionsverletzung vorsieht. Diese umfasst auch den Ersatz immaterieller Einbußen. Daneben haben die Europäischen Grundrechte eine nicht unerhebliche Ausstrahlungswirkung auf das nationale Schadensrecht entfaltet. Betroffen ist vor allem der Bereich des Privatrechtsschutzes (Art. 8 EMRK). So hat der EGMR in einer Entscheidung aus dem Jahre 2004 eine Neukonzeption des deutschen Persönlichkeitsrechtsschutz erzwungen, indem er die einschlägige Rechtsprechung der Fachgerichte und des Bundesverfassungsgerichts als unvereinbar mit dem Grundrecht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) ansah (EGMR Nr. 59320/‌00 – Caroline von Hannover/‌Deutschland). Das Fotografieren von prominenten Zeitgenossen bei rein privaten Tätigkeiten in der Öffentlichkeit, befand der EGMR entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 15.12.1999, BVerfGE 101, 361 ff. – Caroline von Monaco I), sei nur dann durch die Pressefreiheit gerechtfertigt, wenn diese Art der Berichterstattung für eine öffentliche Debatte in einer demokratischen Gesellschaft von Bedeutung ist, und nicht, wenn lediglich die voyeuristische Neugier einer bestimmten Leserschaft befriedigt werden soll. In der Folge haben die deutschen Fachgerichte unter Berufung auf den EGMR den Schutz vor aufdringlichen Fotografen deutlich ausgeweitet. Auch die englische Rechtsprechung hat unter Bezugnahme auf Art. 8 EMRK den Schutz der Privatsphäre vor Eingriffen durch die Massenmedien durch eine Fortentwicklung tradierter common law-Deliktstatbestände ausgedehnt (Persönlichkeitsrecht).

b) Das Recht der Europäischen Union hat den Immaterialschadensersatz nur sehr punktuell harmonisiert. Die größte Überlagerung des nationalen Rechts erfolgt insofern durch die Antidiskriminierungsrichtlinien. Diese verbieten im Vertragsrecht eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts (Diskriminierungsverbot im allgemeinen Vertragsrecht). Noch weitergehende Diskriminierungsverbote sind für das Arbeitsrecht verabschiedet worden (Diskriminierungsverbot im Arbeitsrecht). Die meisten Mitgliedstaaten haben Schadensersatzansprüche eingeführt, um gemeinschaftsrechtlich verbotene Diskriminierungen zu sanktionieren, in deren Rahmen auch der immaterielle Schaden auszugleichen ist. Neben dem Antidiskriminierungsrecht hat die Gemeinschaft Schadensersatzansprüche im Reisevertragsrecht angeglichen. Die Pauschalreiserichtlinie (Reisevertrag) verpflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass einem Verbraucher die Schäden ersetzt werden, die aus der mangelhaften Erfüllung des Pauschalreisevertrags entstehen. Dabei sind auch Einbußen wegen entgangener Urlaubsfreude zu ersetzen, wie der EuGH unlängst klargestellt hat (EuGH Rs. C-168/‌00 – Leitner/‌TUI, Slg. 2002, I-2631).

c) Die Arbeiten an einem gemeineuropäischen Privatrecht haben ebenfalls das Immaterialschadensersatzrecht zum Gegenstand. In den letzten Jahren ist eine deutliche Intensivierung der rechtsvergleichenden und rechtshistorischen Forschung auf dem Gebiet des Schadensrechts zu konstatieren. Zudem wurden eine Reihe europäischer Regelwerke zum Haftungs- und Schadensrecht vorgelegt. Die ausführlichsten Regelungen auf dem Gebiet des Immaterialschadensersatzes enthalten die PETL und der DCFR, dessen Schadensrecht auf den PEL Liab. Dam. und den PECL aufbaut. Die Acquis Principles berühren hingegen das Immaterialschadensrecht nur am Rande. Diese und andere rechtsvergleichende und rechtshistorische Arbeiten haben den Boden für ein europäisches Schadensrecht zumindest ein Stück weit bereitet. Die Wissenschaft steht nunmehr vor der großen Herausforderung, die verschiedenen Entwürfe zu einem kohärenten europäischen Schadensrecht fortzuentwickeln.

Literatur

Christian von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht II, 1999, 57 ff.; Ulrich Magnus (Hg.), Unification of Tort Law: Damages, 2000; W.V. Horton Rogers (Hg.), Damages for Non-Pecuniary Loss in a Comparative Perspective, 2001; Nils Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, 2003; Bernhard A. Koch, Helmut Koziol (Hg.), Compensation for Personal Injury in a Comparative Perspective, 2003; Wolfgang Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, 280 ff.; Johannes Ady, Ersatzansprüche wegen immaterieller Einbußen, 2004; Gerhard Wagner, Ersatz immaterieller Schäden: Bestandsaufnahme und europäische Perspektiven, Juristenzeitung 2004, 319 ff.; Helmut Koziol, Alexander Warzilek (Hg.), The Protection of Personality Rights against Invasion by Mass Media, 2005; Nils Jansen, §§ 249–253, 255, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II/‌1, 2007.