Gesellschaft mit beschränkter Haftung und Gesellschaftsrecht: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Daniel Annoff]]''
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== 1. Begriff und Strukturtypus ==
== 1. Funktion ==


Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ist die deutsche Variante einer (i) personalistischen, (ii) nicht börsenfähigen (iii) Kapitalgesellschaft ohne Außenhaftung der Gesellschafter. Vergleichbare Gesellschaftsformen finden sich in den gesellschaftsrechtlichen Organisationsgesetzen aller EU-Mitgliedstaaten und zahlreicher weiterer europäischer Länder. Dementsprechend können (i)-(iii) heutzutage als Begriffsmerkmale eines einheitlichen Gesellschaftsformtypus aller europäischen Rechtsordnungen wie auch der EU-Rechtsordnung ([[Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea)|Europäische Privatgesellschaft]]) angesehen werden, wobei (i) die empirisch überwiegende Realstruktur und nicht die unterschiedlich ausfallende Ausformung durch das jeweilige (abänderbare) Normalstatut betrifft (Frankreich: personalistisch; England: kapitalistisch; Deutschland/‌Schweiz: hybrid). Neben der eigenständigen Entwicklung der englischen ''[[Private Limited Company (in England und Wales)|Private Limited Company]]'' ist vor allem das Modell der deutschen GmbH als „wichtigster und erfolgreichster Exportartikel im Recht“ (''Marcus Lutter'') – mit z.T. erheblichen Modifizierungen – in eine Vielzahl europäischer (und internationaler) Gesellschaftsrechtsordnungen übernommen worden.
Das Gesellschaftsrecht regelt die innere und äußere Verfassung von Gesellschaften. Es hat eine ''eröffnende'' Funktion, soweit es ihre Errichtung und Organisation abweichend von den allgemeinen Regeln, insbesondere über Rechtsgeschäfte und Verträge, ermöglicht. Soweit das Gesellschaftsrecht – wie ganz überwiegend – die allgemeinen Regeln nur ergänzt oder abändert, hat es eine ''regulierende'' Funktion.


Die Attraktivität der GmbH ist auf ihren Strukturtypus zurückzuführen. Dieser liegt in der vielseitigen Verwendbarkeit zu gewerblichen und nicht-gewerblichen Zwecken (''Non-profit'' Organisation) und in einer Organisationsverfassung, die sowohl für kleinere (Einzelpersonen‑) und mittlere (Familien‑)Unternehmen als auch für Unternehmensgruppen (v.a. GmbH & Co. KG), Konzern(-Holding‑)gesellschaften und öffentliche Unternehmen Spielraum für eine maßgeschneiderte Ausgestaltung lässt. Nach dem Konzept des deutschen Gesetzgebers ist die GmbH nicht auf Sammlung von Publikumskapital sowie Fungibilität und Marktgängigkeit der Anteile ausgerichtet und bedarf daher eines geringeren Publikumsschutzes als die [[Aktiengesellschaft]]. Zudem ist die GmbH aufgrund weitgehender Satzungsautonomie flexibler als die (in Deutschland) satzungsstrenge [[Aktiengesellschaft]] und gestattet den Gesellschaftern, kapitalbezogene durch personenbezogene Konstruktionsmerkmale zu ersetzen, insbesondere in großem Umfang auf die Geschäftsleitung Einfluss zu nehmen (''de facto''-Selbstorganschaft vs. gesetzliche Drittorganschaft). Die Einrichtung eines [[Aufsichtsrat/Board/Vorstand|Aufsichtsrates]] ist grundsätzlich fakultativ, nur nach Maßgabe der Mitbestimmungsgesetze obligatorisch. Schließlich lässt die Finanzverfassung den Gesellschaftern mehr Spielraum als die einer strikten Vermögensbindung unterworfene [[Aktiengesellschaft]]; insbesondere unterliegt die GmbH nicht den strengen Bestimmungen zur [[Kapitalaufbringung und ‑erhaltung|Kapitalaufbringung und ‑erhaltung]] und folgt nur hinsichtlich des Gläubigerschutzes einschließlich Rechnungslegung und Publizität – mit vielfachen Lockerungen – deren Regelungsmodell.
Einen ersten Zugang zur funktionalen Bedeutung des Gesellschaftsrechts erhält, wer ausgehend von seiner nationalen Rechtsordnung danach fragt, ob und inwieweit das Gesellschaftsrecht gegenüber den allgemeinen Vorschriften etwas Zusätzliches eröffnet. Dies ist von Land zu Land verschieden. In einer essentiellen Frage, der Vermögensverfassung, hat das Gesellschaftsrecht überall eine ''eröffnende ''Funktion: Vertraglich lassen sich das individuelle (Privat‑)Vermögen der Gesellschafter und das gemeinsame (Geschäfts‑)Vermögen der Gesellschaft nicht hinreichend trennen („Prinzip beidseitiger Vermögenstrennung“).


== 2. Geschichte ==
Die Bestimmung der Funktion des Gesellschaftsrechts hat bedeutende Implikationen für seine Abgrenzung zu benachbarten Rechtsgebieten, insbesondere zum Kapitalmarktrecht und zum Insolvenzrecht.


Die GmbH ist eine „Kunstschöpfung“ des Gesetzgebers von 1892 ohne historisches oder rechtsvergleichendes Vorbild. Anlass war das seinerzeit vor allem aus der Außenwirtschaft vorgebrachte Bedürfnis kleiner und mittlerer Unternehmen an einer kostengünstig erreichbaren Haftungsbeschränkung. Diesbezüglich wies das Spektrum der hergebrachten Gesellschaftsformen ([[Aktiengesellschaft]], oHG, KG) infolge der erheblich verdichteten Regulierung der [[Aktiengesellschaft]] durch die „Jahrhundert“-Reform von 1884 in der Praxis zunehmend eine Lücke auf. Der ursprüngliche Vorschlag des Reichstagsabgeordneten ''Wilhelm von'' ''Oechelhäuser'' zur Schaffung einer typengemischten Rechtsform („Handelsgesellschaft mit beschränkter Haftpflicht“; 1884) wurde im Zuge der Reformdiskussion 1888–1891 abgelehnt. Legislatorisches Leitbild der neuen Gesellschaftsform wurde die Ausfüllung einer „Mittelstellung“ zwischen der „streng individualistischen“ oHG und der [[Aktiengesellschaft]] „als äußerste Konsequenz des kapitalistischen Prinzips“: Die GmbH sollte sich als „kleine Schwester“ der [[Aktiengesellschaft]] durch ein Weniger an gerichtlicher Kontrolle und ein Mehr an vertraglicher Gestaltungsfreiheit auszeichnen. Dieses Modell wurde am 21.3.1892 vom Reichstag beschlossen und ist am 10.5.1892 in Kraft getreten. Trotz wiederholter Reformdebatten (1909–1914; 1939; 1969/‌73) ist das GmbHG bis auf eine Novelle von 1980 über 100 Jahre nahezu unverändert geblieben. Mit der Novelle von 1980 (Ein-Personen-Gesellschaft; Auskunftsrecht) verwurzelte der Gesetzgeber ein zweites Leitbild der GmbH: Ins Zentrum rückte die GmbH als Tätigkeits- und Vermögensgemeinschaft der Gesellschafter. Gleichwohl fehlt es (bis heute) an einer Ausrichtung des gesetzlichen Normalstatuts an der empirisch vorherrschenden personalistischen Realstruktur. Mittelfristig ist in diesem Zusammenhang vor dem Versagen der ''default rule'' im GmbHG, also der Ergänzungsfunktion des Gesetzesrechtes, zu warnen. Entscheidende Bedeutung für die Fortentwicklung des GmbH-Rechts kommt bis heute der Ausfüllung von Regelungslücken durch die Gerichte mittels Heranziehung aktienrechtlicher und/‌oder personengesellschaftsrechtlicher Bestimmungen zu. Die Geschichte des GmbH-Rechts ist damit vor allem eine Geschichte der richterlichen Rechtsfortbildung (teilweise auch der Rechtsrückbildung), die vor dem Hintergrund einer einfallsreichen Kautelarpraxis in insgesamt konsequenter Fortentwicklung der gesetzlichen Konzeption zahlreiche Verschärfungen (im Kapitalschutzsystem) eingeführt hat. Der grundlegende gesetzgeberische Eingriff durch das MoMiG stellt in diesem Kontext neuerdings einen kleinen Paradigmenwechsel dar.
== 2. Begriff ==


== 3. Rezeption der deutschen GmbH in Europa ==
Der gegenwärtige Rechts- und Wirtschaftsverkehr gebraucht den Begriff der Gesellschaft meist in einem sehr weiten Sinne als ''alle Vereinigungen des Privatrechts zur gemeinsamen Zweckverfolgung'' ''sowie'' – in Definitionen regelmäßig übergangen – ''Einpersonengesellschaften''. Hierunter fallen sowohl die Gesellschaften im engeren Sinne (''societas'', ''société'', ''partnership'') als auch die Körperschaften oder Vereine (''universitas'', ''association'', ''company/‌corporation''). Körperschaften sind auf überindividuelle Ziele gerichtet und deshalb vom jeweiligen Bestand ihrer Mitglieder unabhängig. Demgegenüber verfolgen Gesellschaften im engeren Sinne die gemeinsamen Interessen ihrer Gesellschafter und haben – grundsätzlich – keine von ihren Mitgliedern unabhängige Existenz. In ihrer Reinform werden Gesellschaften deshalb aufgelöst, wenn ein Gesellschafter stirbt (Inst. 3,25,5), kündigt (Inst. 3,25,4) oder insolvent wird (Inst. 3,25,7/‌8).


In Deutschland fand die GmbH nach ihrer Einführung alsbald erhebliche Verbreitung, während in Europa die ersten Folgejahre durch eine abwartende bzw. ablehnende Reaktion gekennzeichnet waren. In den ersten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts fand dann eine frühe Rezeptionsperiode des GmbH-Modells durch Gesetz (1901: Portugal; 1906: Österreich; 1919: Polen) bzw. durch die Rechtspraxis (Spanien; 1919 gesetzlich bestätigt) statt. Ab den 1920er-Jahren setzte sich die GmbH im Zuge einer zweiten Rezeptionsphase, insbesondere in Folge der Übernahme durch das französische Recht (1925), in Kontinentaleuropa als neue Gesellschaftsform endgültig durch (1933: Luxemburg; 1935: Belgien; 1937: Schweiz; 1942: Italien; 1955: Griechenland). Weitere Länder folgten mit eigenen Regelungsmodellen für eine „kleine“ Kapitalgesellschaft vor dem Hintergrund einer Neuordnung des Gesellschaftsrechts (1963: Irland; 1971: Niederlande) bzw. dem Beitritt zur EWG (1973: Dänemark). Die jüngste Verbreitungs- und Entwicklungsphase ist schließlich im Hinblick auf die nahezu gleichzeitige (Wieder‑)Einführung des GmbH-Modells in den vormals sozialistischen Ländern Osteuropas nach dem politischen Umbruch 1989/‌1990 festzustellen. Kennzeichnend für alle aufgezählten Rezeptionsvorgänge ist eine individuelle Konturierung und Akzentuierung des Strukturtypus der deutschen GmbH unter Anpassung an das jeweils herrschende Ordnungsprinzip einer Einheitskapitalgesellschaft bzw. mehrerer paralleler Kapitalgesellschaften. Alle europäischen Gesellschaftsrechtsordnungen verfügen somit über ein eigenes Regelungsregime für eine „kleine“ bzw. geschlossene Kapitalgesellschaft; das Rechtsbild einer solchen Gesellschaft ergibt sich regelmäßig in Zusammenschau eines zentralen Organisationsgesetzes mit weiteren Nebengesetzen.
Das Gesellschaftsrecht kennt eine Vielzahl unterschiedlicher Gesellschaftsformen; in der Bundesrepublik ist eine „hinreichende Vielfalt“ sogar verfassungsrechtlich (Art. 9 Abs. 1 GG) garantiert (BVerfG 1.3.1979, BVerfGE 50, 290, 355). Gesellschaften im engeren Sinne sind (in Deutschland) die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, die stille Gesellschaft, die [[Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung|Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung]], die Partnerschaftsgesellschaft und die Reederei. Körperschaften sind die [[Aktiengesellschaft]], die [[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)|Europäische Aktiengesellschaft]], die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die eingetragene Genossenschaft, die [[Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea)|Europäische Genossenschaft]], der Verein und der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Die [[Gesellschaft mit beschränkter Haftung]] lässt sich weder nach ihrer typisierenden Regelung im Gesetz noch ihrer heterogenen Ausgestaltung in der Praxis einer dieser Kategorien zuordnen; sie ist historisch als Mischform konzipiert und hat diesen Charakter bis heute behalten.


== 4. Wirtschaftliche und rechtspraktische Bedeutung ==
== 3. Geschichte ==


Seit der Einführung vor mehr als 115 Jahren hat sich die GmbH in Deutschland kontinuierlich zur typischen Organisationsform für den Mittelstand entwickelt, sowohl im produzierenden Gewerbe als auch im Dienstleistungssektor; zahlenmäßige Schätzungen belaufen sich seit dem Jahr 2005 mit tendenziell leichtem Zuwachs auf rund 975.000 Gesellschaften. Eine relativ vergleichbare wirtschaftliche und rechtspraktische Bedeutung haben die entsprechenden Gesellschaftsformen in Dänemark, England, Estland, Finnland, Frankreich, Lettland, Österreich, Polen, Portugal und Spanien, mit Einschränkungen auch in Griechenland, Italien und den Niederlanden; in der Schweiz dominiert wegen der auch für kleinere und mittlere Unternehmen attraktiven Struktur zahlenmäßig die [[Aktiengesellschaft]].
Bereits der ''Codex Hammurabi'' (18. Jahrhundert v. Chr.) enthielt Vorschriften über die arbeitsteilige Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke (§§ 77+f, 100-107). Am weitesten ausdifferenziert unter den antiken Rechten und gemeinsame Grundlage des modernen europäischen Gesellschaftsrechts ist das römische Sozietätsrecht, das ''ius societatis''. Sowohl die Institutionen des ''Gaius'' (Gai. Inst. 3,148-3,154b) und ''Justinians'' (Inst. 3,25) als auch die Digesten (Dig. 17,2) und der ''Codex Iustinianus'' (Cod. Iust. 4,37) behandeln die ''societas'' in einem eigenen Abschnitt. Eine zweite Grundlage des modernen Gesellschaftsrechts sind die germanischen Rechte und Praktiken des Mittelalters (bekannt, aber unklar Sachsenspiegel, Landrecht, I 12: „andere lude er gut to samene hebbet“). Mit der [[Rezeption]] des [[römisches Recht|römischen Recht]]s vermischten sich die germanischen und die römischen Regeln und vereinigten sich – jedenfalls lokal (exemplarisch Frankfurter Reformation von 1578, Teil II, Tit. XXIII) – zu einem weitgehend homogenen Ganzen. Bei manchen Zweifelsfragen kommen die unterschiedlichen Ausgangspunkte aber wieder zum Vorschein: etwa im 19. Jahrhundert beim Streit um die Rechtsnatur der [[Aktiengesellschaft]] oder in der jüngeren Vergangenheit bei der Diskussion um die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts.


== 5. Faktoren der Vereinheitlichung im europäischen „GmbH“-Recht ==
Den größten Einfluss auf die Entwicklung des modernen Gesellschaftsrechts in Kontinentaleuropa hatten die Vorschriften des ''[[Code civil]]'' (21.3.1804) ''du contrat de société ''(Art. 1832–1873) und des ''Code de Commerce'' (15.9.1807) ''des sociétés'' (Art. 18–64). Das französische Gesellschaftsrecht ist seitdem mehrfach grundlegend umgestaltet worden, findet sich aber bis heute ganz überwiegend im ''Code Civil'' (Art. 1832–1873) und im ''Code de Commerce ''(Art. L. 210-Art. L 252-12). Die erste gesamtdeutsche Regelung des Gesellschaftsrechts enthielt der Entwurf eines [[Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch|Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches]] (ADHGB) (12.3.1861) (Art. 85–270). Vier Jahrzehnte später wurden diese Vorschriften teils revidiert, teils unverändert in das Handelsgesetzbuch (10.5.1897) (§§ 105–342) übernommen; gleichzeitig erhielt das Bürgerliche Gesetzbuch (18.8.1896) einen Abschnitt über die ''Gesellschaft'' (§§ 705–740). Die Bestimmungen über die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, die stille Gesellschaft und die Gesellschaft bürgerlichen Rechts sind seitdem kaum verändert worden. Die übrigen Gesellschaftsformen sind heute andernorts geregelt: Der [[Gesellschaft mit beschränkter Haftung]] wurde bei ihrer „Erfindung“ 1892 ein eigenständiges Gesetz gewidmet (20.4. 1892); das Aktienrecht wurde 1937 in ein eigenes Gesetz überführt (Aktiengesetz vom 30.1.1937) und bis heute in einem Spezialgesetz (Aktiengesetz vom 6.9.1965) belassen. Nach anfangs sehr anlassorientierter und unsystematischer Gesetzgebung hat der englische Gesetzgeber das Gesellschaftsrecht erstmals im ''Companies Act 1862'' sowie zuletzt im ''Companies Act 1985'' bzw. im ''Companies Act 2006 ''konsolidiert und kodifiziert.


Ein allgemeiner Trend im Hinblick auf die Entwicklung und Verbreitung der mit der deutschen GmbH vergleichbaren Gesellschaftsformen kann nicht festgestellt werden; in manchen europäischen Ländern beruht die Schaffung auf einer allgemeinen Liberalisierung der Wirtschaft (ehemals sozialistische Länder), in anderen Staaten werden gewachsene Gesellschaftsrechtsordnungen – teils durch Regulierung (Belgien; zunächst auch Italien), teils durch Deregulierung (Deutschland; Frankreich; Italien; Portugal; Spanien) – insgesamt an gewandelte wirtschaftliche Verhältnisse und rechtspolitische Strömungen angepasst. Bei übergreifender Betrachtung lassen sich im Recht der mit der deutschen GmbH begriffs- und strukturverwandten europäischen Gesellschaftsformen jedoch folgende zwei Faktoren einer Rechtsvereinheitlichung beobachten:
== 4. Rechtsvergleichung ==


=== a) Harmonisierung innerhalb der ­EG/‌‌ EU-Gesell­schaftsrechts­ordnungen ===
Rechtsvergleichung ist im Bereich des Gesellschaftsrechts seit jeher eine der wichtigsten Erkenntnisquellen. Der ''Code de Commerce'' (1807) im Allgemeinen und seine gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen im Besonderen dienten zahlreichen weiteren Handelsgesetzbüchern zum Vorbild, beispielsweise dem span. ''Código de Comercio ''(1829), dem portug. ''Código Commercial'' (1833) und dem niederl. ''Wetboek van Koophandel'' (1838) sowie – abgeschwächt – dem Entwurf eines [[Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch|Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches]] (ADHGB).


Die direkten gesellschaftsrechtlichen Harmonisierungsbestrebungen auf Ebene der EG waren bislang in erster Linie auf die [[Aktiengesellschaft]] konzentriert. Einzig die RL 89/‌667 befasst sich vorrangig mit der GmbH und vergleichbaren Gesellschaftsformen; darüber hinaus fallen diese in den Anwendungsbereich der gesellschaftsrechtlichen RL 68/‌151 und 89/‌666, der 4., 7. und (inzwischen aufgehobenen) 8. Richtlinie zum Rechnungslegungsrecht (RL 78/‌669, RL 83/‌349, RL 84/‌253), einschließlich der Ergänzungs-RL RL 90/‌604 und RL 90/‌605, sowie der RL 2006/‌43 über Abschlussprüfungen. Die Bedeutung der im Verordnungsentwurf des EU-Rates existierenden [[Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea)|Europäischen Privatgesellschaft]] bleibt abzuwarten. Ein indirekter Harmonisierungseffekt wurde zudem im internationalen [[Gesellschaftsrecht]] durch die Rechtsprechung des [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] zur Niederlassungsfreiheit in den Rs. 81/‌87 – ''Daily Mail'', Slg. 1988, 5483, Rs. C-212/‌97 – ''Centros'', Slg. 1999, I-1459, Rs. C-208/‌00 – ''Überseering'', Slg. 2002, I-9919 und Rs. C-167/‌01 ''Inspire Art'', Slg. 2003, I-10159 ausgelöst und mittlerweile durch die Entscheidungen Rs. C-9/‌02 – ''Lasteyrie du Saillant'', Slg. 2004, I-2409, Rs. C-411/‌03 – ''Sevic'', Slg. 2005, I-10805 fortgeführt, zuletzt allerdings für die sog. Wegzug-Fälle eingeschränkt durch Rs. C-210/‌06 – ''Cartesio'', NJW 2009, 569.
In den Gebieten des Gesellschaftsrechts, in welchen die Gesetzgebung bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen abgeschlossen wurde, ist die Rechtsvergleichung beinahe zum Erliegen gekommen. Am augenfälligsten ist dies für die Gesellschaften im engeren Sinne (s.o. 2.). Dort, wo Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft bis heute um ein geeignetes Regelungsregime ringen – also insbesondere bei der [[Aktiengesellschaft]] und der [[Gesellschaft mit beschränkter Haftung]] – war die Rechtsvergleichung durchgehend (allerdings mit qualitativen und quantitativen Unterschieden) bedeutsam (näher bei der Darstellung der einzelnen Gesellschaftsformen).


=== b) Wettbewerb der Rechtsformen ===
== 5. Rechtsvereinheitlichung ==


Der sog. Wettbewerb der Rechtsformen wird im Anschluss an die genannte EuGH-Rechtsprechung oftmals als Triebfeder für die Fortentwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts angesehen. Rechtstatsächlich hat sich das Auseinanderfallen von Satzungs- und Verwaltungssitz in der Tat vermehrt (z.B. ''[[Private Limited Company (in England und Wales)|Private Limited Company]]'' mit Verwaltungssitz in Deutschland). Um Wettbewerb im Sinne eines Marktmodells handelt es sich bisher indes nicht. Der Effekt der neuen Wahlfreiheit in Bezug auf den Inkorporationsstaat ist vielmehr in einer Art gesamteuropäischem Ideenwettbewerb zu sehen, welcher das Interesse an rechtsvergleichender Umschau und die Bereitschaft zur Hebung von Deregulierungspotentialen erhöht; dies gilt insbesondere für das MoMiG in Deutschland und neuerdings auch für Reformberatungen in den Niederlanden ([[Wettbewerb der Rechtsordnungen]]).
In einzelnen Fragen des Gesellschaftsrechts ist die europäische Rechtsharmonisierung weit fortgeschritten (etwa für die Rechnungslegung). Ebenso wie beim [[Kapitalmarktrecht]] liegt dies an der Bedeutung des Gesellschaftsrechts für die Verwirklichung eines [[Europäischer Binnenmarkt|europäischen Binnenmarkt]]s. Zu unterscheiden ist zwischen vereinheitlichtem nationalem Gesellschaftsrecht (nachfolgend a), supranationalem Gesellschaftsrecht (b) und der Verwirklichung der [[Niederlassungsfreiheit]] bzw. der [[Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit]] (c).


== 6. Deregulierungsansätze und -lösungen; Entwick­lungs­perspektiven ==
=== a) Vereinheitlichtes nationales Gesellschaftsrecht ===


Gemeinschafts- und europaweit lässt sich im „GmbH“-Recht eine zunehmende Konvergenz der Deregulierungs''ansätze'' feststellen; diese bezieht sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings (meist) noch auf wenige „Pionier“-Rechtsordnungen. Betroffen sind im Wesentlichen fünf Regelungskomplexe:
(i)&nbsp;Zur Vereinheitlichung des nationalen Gesellschaftsrechts sind bislang zwölf grundlegende Richtlinien ergangen (im Folgenden geordnet nach dem Datum ihrer Verabschiedung, nicht nach der von der zeitlichen Abfolge teilweise abweichenden und mittlerweile aufgegebenen offiziellen Nummerierung): (1)&nbsp;Erste Richtlinie (RL&nbsp;68/‌151 vom 9.3.1968) zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (sog. Publizitäts-RL). (2) Zweite Richtlinie (RL&nbsp;77/‌91 vom 13.12.1976) zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (sog. Kapital-RL). (3) Vierte Richtlinie (RL&nbsp;78/‌660 vom 25.7.1978) über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechts<nowiki>formen (sog. Jahresabschluss-RL). (4) Dritte Richtlinie (RL&nbsp;78/‌855 vom 9.10.1978) betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (sog. Verschmelzungs-RL). (5) Sechste Richtlinie (RL&nbsp;82/‌891 vom 17.12.1982) betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften (sog. Spaltungs-RL). (6) Siebente Richtlinie (RL&nbsp;83/‌349 vom 13.6.1983) über den konsolidierten Abschluß (sog. Konzernabschluß-RL). (7) Achte Richtlinie (RL&nbsp;84/‌253 vom 10.4.1984) über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen, abgelöst von der RL&nbsp;2006/‌43 vom 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen (sog. Abschlussprüfer-RL). (8) Elfte Richtlinie (RL&nbsp;89/‌666 vom 21.12.1989) über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen (sog. Zweigniederlassungs-RL). (9) Zwölfte Richtlinie (RL&nbsp;89/‌667 vom 21.12.1989) betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter (sog. Einpersonengesellschafts-RL). (10) Richtlinie (RL&nbsp;2004/‌25 vom 21.4.2004) betreffend Übernahmeangebote (sog. Übernahme-RL) [ursprünglich als Dreizehnte Richtlinie vorgeschlagen]. (11) Richtlinie (RL&nbsp;2005/‌56 vom 26.10.2005) über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (sog. Internationale Verschmelzungs-RL) [ursprünglich als Zehnte Richtlinie vorgeschlagen]. (12) Richtlinie (RL&nbsp;2007/‌36 vom 11.7.2007) über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (sog. Aktionärsrechte-RL).</nowiki>


(i)&nbsp;Gründung: Senkung der Transaktionskosten mittels Zentralisierung, Verkürzung, Verbilligung und Beschleunigung des Verfahrens sowie Vereinfachung materiell-rechtlicher Anforderungen;
(ii)&nbsp;Nicht weiterverfolgt oder noch nicht erlassen wurden: (1)&nbsp;Vorschlag (zuletzt 91/‌C 321/‌09 vom 20.11.1991) für eine fünfte Richtlinie über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe (sog. Struktur-RL). (2)&nbsp;Vorentwurf (DOK. Nr.&nbsp;III/‌1639/‌ 84 von 1984) einer neunten Richtlinie (sog. Konzernrechts-RL). (3)&nbsp;Vorentwurf (zuletzt DOK. Nr. XV/‌43/‌87 von 1987) einer Richtlinie (sog. Liquidations-RL). (4)&nbsp;Vorentwurf (vom 22.4. 1997) für eine vierzehnte Richtlinie über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts (sog. Sitzverlegungs-RL).


(ii)&nbsp;Geschäftsanteile: Senkung der Transaktionsaktionskosten für die Führung der Gesellschaft mittels Entformalisierung der Übertragungserfordernisse und Schaffung von Rechtsscheinträgern;
(iii)&nbsp;Die [[Europäische Kommission]] hat in den letzten Jahren zwei Empfehlungen (Art. 249(5) Alt.&nbsp;1 EG/‌288(5) Alt.&nbsp;1 AEUV) ausgesprochen: (1) Empfehlung (2004/‌913 vom 14.12. 2004) zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften. (2) Empfehlung (2005/‌162 vom 15.2. 2005) zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren bzw. Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrats.


(iii)&nbsp;Kapitalaufbringung/‌Mindestkapital: Senkung der Systemkosten mittels Abbau präventiver Kontrollen (direkte „versunkene“ Kosten) und mittels Marginalisierung des Festkapitals bis zum gänzlichem Verzicht hierauf (indirekte Kosten in Form von Marktversagen bei an sich profitablen Gründungen sowie in Form von Renditeineffizienzen);
=== b) Supranationales Gesellschaftsrecht ===


(iv)&nbsp;Gläubigerschutz/‌Kapitalerhaltung: Senkung der Agenturkosten des Fremdkapitals mittels (partiellen) Übergangs vom System eines Festkapitals, gesetzlicher Vorgabe des Mindestkapitals und starren Ausschüttungssperren (''ex-ante''-Kapitalschutz) zu einem auf flexiblen Verhaltenspflichten bei der Unternehmensführung und situativen Ausschüttungssperren basierenden System (''ex-post''-Kapitalschutz);
Auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts hat sich die [[Europäische Gemeinschaft]] nicht darauf beschränkt, das nationale Gesellschaftsrecht zu vereinheitlichen. Vielmehr wurde außerdem unmittelbar geltendes, supranationales Gesellschaftsrecht erlassen.


(v)&nbsp;Geschäftsleiter: Senkung der Agenturkosten des Eigen- sowie des Fremdkapitals mittels Annäherung der Geschäftsleiterinteressen an die Gesellschafter-/‌Gläubigerinteressen in Form von Inhabilitätsregeln.
(i)&nbsp;Alle börsennotierten Unternehmen sind per Verordnung (VO&nbsp;1606/‌2002 vom 19.7.2002) seit 2005 verpflichtet, ihre Abschlüsse nach den ''International Accounting Standards'' (IAS) bzw. nunmehr ''International Financial Reporting Standards'' (IFRS) zu erstellen ([[Rechnungslegung]]).


Der folgende Rechtsvergleich der in den genannten Bereichen entwickelten Deregulierungs''lösungen'' weist neben Übereinstimmungen vielzählige Unterschiede in der Einzelausgestaltung auf und deutet damit zugleich mögliche Entwicklungsperspektiven im europäischen „GmbH“-Recht an:
(ii)&nbsp;Nach außen hin am deutlichsten als Erscheinungen supranationalen Gesellschaftsrechts zu erkennen sind die drei europäischen Gesellschaftsformen: (1)&nbsp;Die [[Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung|Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung]] (EWIV) wurde 1985 mittels einer Verordnung (VO 2137/‌85 vom 25.7.1985) und nationaler Ausführungsgesetze geschaffen. In der nicht selbst auf Gewinnerzielung gerichteten EWIV, deren Vorbild der französische'' groupement d'intérêt économique (Code de Commerce'', Art.&nbsp;L.&nbsp;251-1–Art.&nbsp;L&nbsp;251-23) ist, können grenzüberschreitende Hilfstätigkeiten organisiert werden. Die praktische Relevanz der EWIV ist gering; in der Bundesrepublik als dem größten Mitgliedstaat gibt es nur 27 solcher Gesellschaften mit nennenswerter Tätigkeit (Umsatzsteuerstatistik 2006; das Unternehmensregister weist für 2008 insgesamt 68 Veröffentlichungen von 249 Unternehmen aus). (2)&nbsp;Die [[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)|Europäische Aktiengesellschaft (''Societas Europaea'')]] (SE) ist das „Flaggschiff des europäischen Gesellschaftsrechts“ (''Klaus J. Hopt''). Sie entspricht funktional wie strukturell der [[Aktiengesellschaft]] und wurde nach der Jahrtausendwende mittels einer Verordnung (VO&nbsp;2157/‌2001 vom 8.10.2001), einer Richtlinie (RL&nbsp;2001/‌86 vom 8.10.2001) und nationaler Umsetzungsgesetze eingeführt. Die ''Societas Europaea'' hat die (im Laufe der jahrzehntelangen Diskussionen immer weiter reduzierten) Erwartungen vieler Beobachter übertroffen: Aktuell (Stand: Juni 2008) gibt es europaweit 213&nbsp;Gesellschaften, in Deutschland 70, in Frankreich sieben, im Vereinigten Königreich fünf (so die empirische Untersuchung von ''Horst Eidenmüller'', ''Andreas Engert'', ''Lars Hornuf'', 2008). (3)&nbsp;Die [[Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea)|Europäische Genossenschaft (''Societas Cooperativa Europaea'') (SCE)]] beruht wie die ''Societas Europaea'' auf einer Verordnung (VO 1435/‌2003 vom 22.7.2003), einer ergänzenden Richtlinie (RL&nbsp;2003/‌72 vom 22.7.2003) und nationalen Umsetzungsgesetzen.


(i)&nbsp;Gründung: Am bedeutsamsten ist die Zusammenfassung und Verknüpfung des traditionellerweise aus zwei Schritten (Gründungsakt; Eintragung im Handels- bzw. Unternehmensregister) bestehenden Gründungsverfahrens zu einem einzigen Gründungs- und Registrierungsvorgang. In England hat das zentrale ''Companies House'' hierfür eine Software bereitgestellt, mit deren Hilfe sämtliche Gründungsdokumente von einem spezialisierten Dienstleister (''company'' ''formation agent'') elektronisch übermittelt werden können. In Spanien steht für die ''Sociedad Limitada Nueva Empresa'' als hinreichende Gründungsurkunde ebenfalls ein elektronisches Dokument zur Verfügung. In Frankreich kann eine elektronische Gründung über die ''Centres de Formalités des Entreprises'' erfolgen. In diesen Ländern, ebenso wie in Portugal mit der zentral zu registrierenden ''Empresa Na Hora'', ist damit eine Gründung binnen 24 Stunden möglich. In England, Frankreich und Deutschland stellt das Gesetz ferner einen Mustervertrag bzw. ein Musterprotokoll bereit. In Italien und Ungarn existieren jeweils drei verschiedene Gründungsmodelle mit abgestufter Gründungsgeschwindigkeit. In Finnland und Schweden können mehrere Gründungserfordernisse in einer eintägigen sog. Simultangründung erfüllt werden. In materiell-rechtlicher Hinsicht sind die Zulassung der Schriftform (Frankreich; Rumänien) bzw. einer Ausfertigung unter Zeugen (England) für die Gründungsdokumente anstelle des allgegenwärtigen Notariatsaktes eine erhebliche Vereinfachung (rückschrittlich: Deutschland für das Gründungsprotokoll); zudem kommt der in Deutschland neu eingeführten Entkopplung zwischen der Registrierung und dem Vorliegen staatlicher Genehmigungen eine gewisse Leuchtturmfunktion zu.
(iii)&nbsp;Es gibt bzw. gab auf europäischer Ebene Pläne, für weitere supranationale Rechtsformen (1)&nbsp;Kürzlich hat die Kommission den Vorschlag (25.6.2008) einer [[Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea)|Europäischen Privatgesellschaft]] (''Societas Privata Europaea'') vorgelegt. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber der [[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)|Europäischen Aktiengesellschaft]] ist, dass die Anteile an der Privatgesellschaft nicht öffentlich handelbar sind; es geht also um eine Art europäische [[Gesellschaft mit beschränkter Haftung]]. (2)&nbsp;Die Entwürfe einer Verordnung (zuletzt 93/‌C 236/‌05 vom 6.7.1993) und einer Richtlinie (zuletzt 93/‌C 236/‌06 vom 6.7.1993) zur Einführung einer Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft hat die Kommission im Frühjahr 2006 zurückgenommen (2006/‌C 64/‌03). (3)&nbsp;Dasselbe gilt für den Europäischen Verein, für den eine Verordnung (zuletzt 93/‌C 236/‌01 vom 6.7.1993) und eine Richtlinie (zuletzt 93/‌C 236/‌02 vom 6.7.1993) vorgeschlagen, aber zwischenzeitlich ebenfalls zurückgenommen worden sind (2006/‌C 64/‌03). (4)&nbsp;Im Zusammenhang mit den europäischen Gesellschaftsformen zu erwähnen ist außerdem die [[Europäische Stiftung]].


(ii)&nbsp;Geschäftsanteile: Trotz fehlender Börsengängigkeit von kaum zu überschätzender Bedeutung für die Praxis ist die Gewährleistung eines hinreichenden Maßes an Fungibilität und Transaktionssicherheit, insbesondere wegen des Rückbezugs auf die Gesellschafterversammlung. Nahezu alle europäischen Rechtsordnungen (Ausnahmen: Portugal; Schweiz) stellen die allgegenwärtig beliebig stückelbaren Geschäftsanteile vorbehaltlich der Satzung frei veräußerlich, teilweise bestehen (quorenmäßige) Zustimmungserfordernisse bei Übertragung an Nichtgesellschafter (Belgien, Frankreich; Luxemburg; Spanien). Wichtigstes Element einer Deregulierung ist der Verzicht auf das noch weit verbreitete Erfordernis eines Notariatsaktes für eine wirksame Anteilsübertragung (fortschrittlich: Belgien; England; Frankreich; Schweiz). Zur Stärkung der Transaktionssicherheit existieren unterschiedliche Lösungen. Alle europäischen Ländern kennen Dokumentationsregister (z.B. Gesellschafterbuch); hinzu treten zunehmend Vorschriften für einen Gutglaubenserwerb (Dänemark; Deutschland; Italien); eine Vorrangstellung hat England mit einem hybriden Regelungsmodell (''share/‌share certificate''), insbesondere in Bezug auf Gutglaubensschutz bei Anteilsübertragungen.
=== c) Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit ===


(iii)&nbsp;Kapitalaufbringung/‌Mindestkapital: Der Systemnutzen eines Festkapitals für den Gläubigerschutz soll in der Etablierung einer Seriositätsschwelle bzw. einer Missbrauchskontrolle bei der Unternehmensgründung sowie eines Verlustpuffers bei der Unternehmensführung bestehen; eine Durchsicht der europäischen Gesellschaftsrechtordnungen ergibt hierzu ein tendenziell skeptisches Bild: Ein ausdrücklicher Verzicht auf ein Mindeststammkapital findet sich bei der englischen ''Private Limited Company'', bei der französischen ''société à responsabilité limitée'' und neuerdings bei der deutschen Unternehmergesellschaft, aktuelle Reformpläne sehen dies auch für die niederländische ''beslooten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid''<nowiki> vor (ferner Rumänien: symbolisches Mindeststammkapital ca.&nbsp;EUR&nbsp;70,-); im Übrigen existieren drei Gruppen, die nach zahlenmäßigen Anteilen auf eine Marginalisierung der Mindestkapitalanforderungen hindeuten: ≤&nbsp;EUR&nbsp;10.000,- (Hauptgruppe, z.B. Baltische Staaten: <&nbsp;EUR&nbsp;3.000,-; Spanien: EUR&nbsp;3.006,- bzw. EUR&nbsp;3.012,-; Portugal: EUR 5.000,-; Italien: EUR&nbsp;10.000,-), ≤&nbsp;EUR&nbsp;20.000,- (z.B. Luxemburg: EUR&nbsp;12.394,68; (noch) Niederlande: EUR&nbsp;18.000,-) sowie >&nbsp;EUR 20.000,- (Deutschland: EUR&nbsp;25.000,-; Österreich: EUR 35.000,-). Die Kapitalaufbringung ist gemeinschafts- und europaweit in Form von Bar- und Sacheinlagen möglich. Letztere unterliegen weitgehend einer strengen (Sachverständigen- und anschließenden gerichtlichen) Wertdeckungskontrolle, teils ist die gerichtliche Werthaltigkeitsprüfung – abgesichert mit zivil- und/‌oder strafsanktionierten Versicherungen der Geschäftsleiter – reduziert worden (vorbildlich: Deutschland); in England und Italien sind Dienstleistungen grundsätzlich einlagefähig. Die Entwicklungsperspektive besteht in der Gleichbehandlung aller Einlagegearten sowie der Aufgabe der präventiven Registerkontrolle und deren Ersetzung durch eine retroaktive Bilanzkontrolle (Differenzhaftung der Gesellschafter; Bilanzersteller- und Abschlussprüferhaftung). Letztere ist im Recht der</nowiki> [[Private Limited Company (in England und Wales)|''Private Limited Company'']] vorgesehen, ebenso für die ''Sociedad de Responsabilidad Limitada''. In Deutschland existieren mit der Zulassung einer Einlagenrückgewähr beim Hin- und Herzahlen und den neuen Rechtsfolgen einer verdeckten Sacheinlage ähnliche Deregulierungslösungen; parallel hierzu stellt die Möglichkeit einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital (gegenläufig: Abschaffung der Unterscheidung ''authorized/‌issued capital'' in England) eine für die Systemkostenreduzierung beachtliche Regelung dar.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil des europäischen Gesellschaftsrechts sind die Urteile des [[Europäischer Gerichtshof|Europäischen Gerichtshof]]s (EuGH) zur Verwirklichung der [[Niederlassungsfreiheit]] (Art. 43–48 EG/‌49–55 AEUV) und der [[Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit]] (Art.&nbsp;56–60 EG/‌63–66, 75 AEUV).


(iv)&nbsp;Gläubigerschutz/‌Kapitalerhaltung: Die im Recht der Kapitalaufbringung begonnenen Deregulierungen werden im Recht der Kapitalerhaltung mithilfe (in Deutschland: zusätzlicher) verhaltensbezogener Haftungsregelungen fortgeführt und kompensieren so teilweise Lockerungen in der kapitalmäßigen Registerkontrolle. In Deutschland wird diese Tendenz mittels der neuen Regeln zum Hin- und Herzahlen, der verdeckten Sacheinlage sowie der Möglichkeit zu Auszahlungen an Gesellschafter im Rahmen eines ''cash-pooling ''dokumentiert; Paradebeispiel ist die neue Geschäftsleiterhaftung für Insolvenzverursachung, die eine ''solvency test''-ähnliche Fortbestehensprognose voraussetzt: der statische Schutz der Kapitalausstattung wird zum situativen Schutz des Kapitalbedarfs; die dinglich-gegenständliche Betrachtung bei der Kapitalaufbringung verändert sich zu einer für den Gläubigerschutz effizienteren Perspektive der Gesamtverwertung (entsprechend dem Verständnis eines modernen Bilanzrechts, z.B. IFRS); das System der Gesellschafterhaftung wandelt sich zu einem System der Geschäftsleiterhaftung; normenstrukturell wird dies von einem Wechsel von ''rules'' zu ''standards'' begleitet. Ansätze eines ''ex-post''-Kapitalschutzes finden sich schon in der Rechtsprechung zur sog. Existenzvernichtungshaftung ([[Durchgriff]]) und lassen sich auch in der Verlagerung des Eigenkapitalersatzrechts in das Insolvenzanfechtungsrecht mittels genereller Subordination von Gesellschafterdarlehen erkennen. Eine echte situative Ausschützungssperre findet sich im neuen schwedischen Recht. Pionierbedeutung kommt im Gläubigerschutz ferner dem englischen Recht mit der Haftung wegen ''wrongful trading'' (in der Insolvenzpraxis bedeutsamer: ''transaction at an undervalue'') und dem französischen Recht mit der weitgreifenden ''action en responsabilité pour insuffisance d’actif'' zu ([[Insolvenz der Kapitalgesellschaft]]). Die Entwicklungsperspektiven liegen in der Fortentwicklung des ''ex-post''-Kapitalschutzes: Integration der weit verbreiteten Insolvenzantragspflicht (und der in Deutschland daran anknüpfenden Insolvenzverschleppungshaftung); Ausdifferenzierung der Geschäftsleiterhaftung bei empirisch belegten strukturellen Fehlanreizen unter Kalibrierung des Handlungsermessens; Vereinheitlichung der Verantwortlichkeit faktischer Organe nach Vorbild der ''de facto ''bzw. ''shadow directors ''(England), ''dirigeants de fait ''(Frankreich) sowie ''faktischen Organe'' und ''Organe durch Kundgabe ''(Schweiz).
(i)&nbsp;Die sechs wichtigsten Entscheidungen zur Niederlassungsfreiheit, die ausdrücklich auch für Gesellschaften gilt (Art.&nbsp;48 EG/‌54 AEUV), sind ''Daily Mail'' (Rs. 81/‌87, Slg. 1988, 5483), ''Centros'' (Rs. C-212/‌97, Slg. 1999, I-1459), ''Überseering'' (Rs. C-208/‌00, Slg. 2002, I-9919), ''Inspire Art'' (Rs. C-167/‌01, Slg. 2003, I-10155), ''SEVIC Systems'' (Rs. C-411/‌03, Slg. 2005, I-10805) und ''Cartesio'' (Rs. C-210/‌06, NJW 2009, 569). Die Urteile haben eine juristische und eine politische Dimension. Rechtlich geht es um die Frage, ob und inwieweit nach dem Recht eines Mitgliedstaats errichtete Gesellschaften ihre Geschäftstätigkeit auf einen anderen Mitgliedstaat konzentrieren oder ganz dorthin „umziehen“ können, was sowohl im Erst- als auch im Zweitstaat Probleme bereiten kann. Die politische Bedeutung der Urteile liegt darin, dass eine weite Auslegung der Niederlassungsfreiheit zu einem [[Wettbewerb der Rechtsordnungen]] um das – meist aus Sicht der Gründer – „bessere“ Gesellschaftsrecht führt.


(v)&nbsp;Geschäftsleiter: Flankierend zu den Deregulierungsansätzen im Kapitalschutz werden die Inhabilitätsregeln in gegenständlicher und zeitlicher Hinsicht ausgeweitet (v.a. Beteiligung an früheren Insolvenzen); eine Vorreiterrolle hat hier der englische ''Company Directors Disqualification Act 1986''. Auch das französische Recht verfügt über weit entwickelte Regelungen, Deutschland hat mit dem MoMiG nachgezogen. Funktional soll mit diesen Regelungsansätzen die Marginalisierung des Mindestkapitals kompensiert werden. Entwicklungsperspektiven liegen in erster Linie in einer gewerbeordnungsrechtlichen Neustrukturierung sowie einer informationsbündelnden Verzahnung mit dem Handels- bzw. Unternehmensregister; weitere Reformschritte könnten dann in der Fortentwicklung der Sanktions-Pubilizität (''corporate shaming'') unter Abstimmung auf die Wirkungsdimension informeller Reputations- und Kontrollmechanismen (''social norms'') bestehen.
(ii)&nbsp;Die Kapitalverkehrsfreiheit überschneidet sich für die unternehmerische Beteiligung an Gesellschaften mit der Niederlassungsfreiheit (gesehen, aber nicht gelöst von Art.&nbsp;43(2) EG/‌49(2) AEUV). Alle insoweit ergangenen Entscheidungen des Gerichtshofs betreffen Hindernisse bei der Unternehmensübernahme. Sechsmal hatte der Gerichtshof über sog. ''Goldene Aktien'' zu entscheiden. Hierbei handelt es sich um Sonderrechte, die staatlichen Stellen eingeräumt sind und die Übernahme von (zuvor privatisierten) Unternehmen erschweren. Die diesbezüglichen Urteile betrafen Regelungen in Portugal (Rs. C-367/‌98, Slg. 2002, I-4731), in Frankreich (Rs. C&#8209;83/‌99, Slg. 2002, I-4781), in Belgien (Rs. C-503/‌99, Slg. 2002, I-4809), in Spanien (Rs. C-463/‌00, Slg. 2003, I-4581), im Vereinigten Königeich (Rs. C-98/‌01, Slg. 2003, I-4641) und in den Niederlanden (Rs. C-282/‌04, C-283/‌04, Slg. 2006, I-9141). Über verwandte Fragen hatte der Gerichtshof in zwei Verfahren gegen Italien zu entscheiden (Rs. C-174/‌04, Slg. 2005, I-4933 und Rs. C-463/‌04, C-464/‌04, Slg. 2007, I-10419). Nicht nur um eine Goldene Aktie, sondern um einzelne Bestimmungen eines „Goldenen Gesetzes“ ging es in der Entscheidung (Rs. C-112/‌05, Slg. 2007, I-8995) zum sog. Volkswagen-Gesetz (Gesetz vom 21.7.1960); ob die in Umsetzung des Urteils vorgenommenen Streichungen (Gesetz vom 8.12.2008) ausreichen, um das Gesetz in Einklang mit den europäischen Vorgaben zu bringen, ist fraglich.
 
== 6. Aktuelle Herausforderungen ==
 
Die aktuellen Herausforderungen des Gesellschaftsrechts sind, soweit sie auf einzelne Gesellschaftsformen beschränkt sind, in deren Kontext zu besprechen. Rechtsformübergreifend werden in Europa nur wenige Themen erörtert.
 
(i)&nbsp;Seit Jahrzehnten in der Diskussion, aber keine genuin gesellschaftsrechtliche Problematik ist die unternehmerische [[Mitbestimmung]] der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsrat größerer Gesellschaften. Ihretwegen behindert die Bundesrepublik seit Jahrzehnten die Harmonisierung des nationalen Gesellschaftsrechts und die Schaffung europäischen Einheitsrechts.
 
(ii)&nbsp;Ein allgemeines Problem im Schnittbereich von Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht (s.o. 1.) ist die Frage, inwieweit gläubigerschützende Vorschriften im Vorfeld von Insolvenzen gesellschaftsrechtlich oder insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind. Der deutsche Gesetzgeber (Insolvenzantragspflicht, §&nbsp;15a InsO) und der Bundesgerichtshof (Existenzvernichtungshaftung, §&nbsp;826 BGB) haben jüngst zwei ehedem gesellschaftsrechtliche Materien in das allgemeine Insolvenz- bzw. Deliktsrecht überführt. Unausgesprochen dürfte es sich hierbei um den Versuch handeln, diese Regelungsmaterien aus dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit (Art.&nbsp;43–48 EG/‌49–55 AEUV) herauszunehmen, um ausländische Gesellschaften trotz der jüngeren Rechtsprechung des EuGH (s.o. 5.c.) denselben Regeln unterwerfen zu können wie inländische. Vermutlich wird es für die europarechtliche Qualifikation als gesellschafts- oder insolvenzrechtlich aber nicht auf den Regelungsstandort, sondern auf den funktionellen Regelungsinhalt ankommen. Der erscheint bei der Insolvenzantragspflicht weniger gesellschaftsrechtlich als bei der Existenzvernichtungshaftung.
 
(iii)&nbsp;Nicht nur eine formelle, sondern eine wichtige materielle Frage ist, wie weit die Kompetenzen der europäischen Entscheidungsträger zur Harmonisierung des Ge<nowiki>sellschaftsrechts reichen bzw. reichen sollten. Der EG-Vertrag ermächtigt Rat und Kommission nur, „Schutzbestimmungen [zu] koordinieren, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften ... im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten“ (Art.&nbsp;44(2)(g) EG/‌50(2)(g) AEUV). Eine Allzuständigkeit gibt es für das Gesellschaftsrecht bislang ebenso wenig wie allgemein.</nowiki>
 
== 7. Ausblick ==
 
Das europäische Gesellschaftsrecht steht vor einer wichtigen Richtungsentscheidung. Die erste Phase der Angleichung der nationalen Gesellschaftsrechte und der Schaffung europäischen Einheitsrechts ist nahezu beendet – nicht, weil alle ursprünglichen Ziele erreicht wurden, sondern weil derzeit allenfalls noch die Sitzverlegungs-RL und die Europäische Privatgesellschaft Realisierungschancen haben. Ob die bisherigen Maßnahmen sinnvoll sind und ob weitere folgen sollten, bedarf eingehender Diskussion. Die Rechtswissenschaft könnte zu dieser Debatte einen genaueren Vergleich der nationalen Gesellschaftsrechte beisteuern. Hilfreich wird dieser Beitrag aber nur sein, wenn mehr als die gegenwärtigen Rechtsvorschriften verglichen wird:
 
Erstens sollte endlich die große historische Forschungslücke geschlossen und eingehend untersucht werden, inwieweit die modernen Gesellschaftsrechte einem gemeinsamen Vorbild folgen und wo sie eigene Wege gehen. Entgegen dem vielbetonten Klischee von der Andersartigkeit und Eigenartigkeit des ''common law'' scheint das englische Gesellschaftsrecht jedenfalls bei kursorischer Durchsicht seiner historischen Grundlagen und gegenwärtigen Ausgestaltung in zentralen Fragen näher am römischen Sozietätsrecht zu liegen als das französische und das deutsche Gesellschaftsrecht. Für die Fortentwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts ist diese gemeinsame historische Grundlage eine große Chance, weil sie der Diskussion einen konsensfähigen Ausgangspunkt gibt.
 
Zweitens sollte sich die Rechtswissenschaft gemeinsam mit den Sozialwissenschaften um eine genauere empirische Aufarbeitung des europäischen Gesellschaftswesens bemühen. Eine Aktiengesellschaft und eine ''société anonyme'' unterscheidet mehr als ihr Name und ihr Regelungsregime.
 
Gefordert ist mithin eine funktionale Analyse des europäischen Gesellschaftsrechts, mit vertikaler wie horizontaler Rechtsvergleichung und unter Einbeziehung interdisziplinärer Erkenntnisse. Derartige Forschung könnte sich als Ausgangspunkt erweisen für eine dezentrale Fortentwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts hin zu einem ''novum ius societatis commune''.


==Literatur==
==Literatur==
''Marcus Lutter'', Die Entwicklung der GmbH in Europa und in der Welt, in: Festschrift 100 Jahre GmbHG, 1992, 49&nbsp;ff.;'' Guido Ferrarini'', ''Paolo Giudici'', ''Mario Stella Richter'', Company Law Reform in Italy: Real Progress?, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 69 (2005) 658&nbsp;ff.; ''Michel Menjucq'', The Company Law Reform in France, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 69 (2005) 698&nbsp;ff.; ''Rembert Süß'', ''Thomas Wachter ''(Hg.), Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 2006; ''Horst Eidenmüller'', Die GmbH im Wettbewerb der Rechtsformen, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2007, 168&nbsp;ff.; ''Paul Davies'','' Jonathan Rickford'', An Introduction to the New UK Companies Act, European Company and Financial Law Review&nbsp;2008, 48&nbsp;ff. und 239&nbsp;ff.; ''Holger Fleischer'', Zur ergänzenden Anwendung von Aktienrecht auf die GmbH, GmbH Rundschau 2008, 673&nbsp;ff.; ''Holger Fleischer'', Die Lückenausfüllung des GmbH-Rechts und das Recht der Personengesellschaften, GmbH Rundschau 2008, 1121&nbsp;ff.; ''Heribert Hirte'', Die „Große GmbH-Reform“: Ein Überblick über das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht&nbsp;2008, 761&nbsp;ff.; ''Holger Fleischer'','' ''100 Jahre GmbHR-Reform und 100 Jahre GmbH Rundschau, GmbH Rundschau 2009, 1&nbsp;ff.
''Marcus Lutter'', Europäisches Unternehmensrecht, 4.&nbsp;Aufl. 1996; ''Günter Christian Schwarz'', Europäisches Gesellschaftsrecht, 2&nbsp;Bde., 2000; ''Georges Ripert'', ''René Roblot'', Traité de droit commercial, Bd.&nbsp;I, Halbbd.&nbsp;2: Les sociétés commerciales, 18.&nbsp;Aufl., fortgeführt von Michel Germain, 2002; ''Stefan Grundmann'', Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004 (revidiert in Zusammenarbeit mit ''Florian Möslein'': European Company Law, 2007); ''Reinier H. Kraakman'', ''Paul Davies'', ''Henry Hansmann'', ''Gerard Hertig'', ''Klaus J. Hopt'', ''Hideki Kanda'', ''Edward B. Rock'', The Anatomy of Corporate Law, 2004; ''Mathias Habersack'', Europäisches Gesellschaftsrecht, 3.&nbsp;Aufl. 2006; ''Klaus J. Hopt'', Comparative Company Law, in: Mathias Reimann, Reinhard Zimmermann (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, 1161&nbsp;ff.; ''Paul L. Davies'', Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8. Aufl. 2008; ''Andreas Engert'', Gesellschaftsrecht, in: Katja Langenbucher (Hg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl. 2008, §&nbsp;5 (225&nbsp;ff.); ''Andreas M. Fleckner'', Antike Kapitalvereinigungen, in Vorbereitung für 2010.
 
==Quellen==
Auswahl: Codex Hammurabi, 18.&nbsp;Jahrhundert v.&nbsp;Chr.; zitiert nach der Edition von Richardson, Hammurabi’s Laws, Sheffield, 2000. Sachsenspiegel, 13.&nbsp;Jahrhundert n.&nbsp;Chr.; zitiert nach der Ausgabe von ''Karl August Eckhardt'', Sachsenspiegel – Landrecht, 2. Aufl., Göttingen, 1955. Frankfurter Reformation von 1578: Der Statt Franckenfurt erneuwerte Reformation, Frankfurt, 1578. Code de Commerce vom 10.-15.9.1807, Bulletin des lois No.&nbsp;164, 161&nbsp;ff.; Codigo de Comercio vom 30.5.1829, edicion oficial, Madrid, 1829. Codigo Commercial Portuguez vom 18.9.1833, Lissabon, 1833. Wetboek van Koophandel: Officiële uitgave, ’s-Gravenhage, 1838. Entwurf eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buchs vom 12.3.1861: [[Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch]] (ADHGB). An Act for the Incorporation, Regulation, and Winding-up of Trading Companies and other Associations vom 7.8.1862, 25 & 26 Vict. ch. 89.  


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[[en:Gesellschaft_mit_beschränkter_Haftung_(GmbH)]]
[[en:Company_Law]]

Version vom 8. September 2021, 12:34 Uhr

von Andreas M. Fleckner

1. Funktion

Das Gesellschaftsrecht regelt die innere und äußere Verfassung von Gesellschaften. Es hat eine eröffnende Funktion, soweit es ihre Errichtung und Organisation abweichend von den allgemeinen Regeln, insbesondere über Rechtsgeschäfte und Verträge, ermöglicht. Soweit das Gesellschaftsrecht – wie ganz überwiegend – die allgemeinen Regeln nur ergänzt oder abändert, hat es eine regulierende Funktion.

Einen ersten Zugang zur funktionalen Bedeutung des Gesellschaftsrechts erhält, wer ausgehend von seiner nationalen Rechtsordnung danach fragt, ob und inwieweit das Gesellschaftsrecht gegenüber den allgemeinen Vorschriften etwas Zusätzliches eröffnet. Dies ist von Land zu Land verschieden. In einer essentiellen Frage, der Vermögensverfassung, hat das Gesellschaftsrecht überall eine eröffnende Funktion: Vertraglich lassen sich das individuelle (Privat‑)Vermögen der Gesellschafter und das gemeinsame (Geschäfts‑)Vermögen der Gesellschaft nicht hinreichend trennen („Prinzip beidseitiger Vermögenstrennung“).

Die Bestimmung der Funktion des Gesellschaftsrechts hat bedeutende Implikationen für seine Abgrenzung zu benachbarten Rechtsgebieten, insbesondere zum Kapitalmarktrecht und zum Insolvenzrecht.

2. Begriff

Der gegenwärtige Rechts- und Wirtschaftsverkehr gebraucht den Begriff der Gesellschaft meist in einem sehr weiten Sinne als alle Vereinigungen des Privatrechts zur gemeinsamen Zweckverfolgung sowie – in Definitionen regelmäßig übergangen – Einpersonengesellschaften. Hierunter fallen sowohl die Gesellschaften im engeren Sinne (societas, société, partnership) als auch die Körperschaften oder Vereine (universitas, association, company/‌corporation). Körperschaften sind auf überindividuelle Ziele gerichtet und deshalb vom jeweiligen Bestand ihrer Mitglieder unabhängig. Demgegenüber verfolgen Gesellschaften im engeren Sinne die gemeinsamen Interessen ihrer Gesellschafter und haben – grundsätzlich – keine von ihren Mitgliedern unabhängige Existenz. In ihrer Reinform werden Gesellschaften deshalb aufgelöst, wenn ein Gesellschafter stirbt (Inst. 3,25,5), kündigt (Inst. 3,25,4) oder insolvent wird (Inst. 3,25,7/‌8).

Das Gesellschaftsrecht kennt eine Vielzahl unterschiedlicher Gesellschaftsformen; in der Bundesrepublik ist eine „hinreichende Vielfalt“ sogar verfassungsrechtlich (Art. 9 Abs. 1 GG) garantiert (BVerfG 1.3.1979, BVerfGE 50, 290, 355). Gesellschaften im engeren Sinne sind (in Deutschland) die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, die stille Gesellschaft, die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung, die Partnerschaftsgesellschaft und die Reederei. Körperschaften sind die Aktiengesellschaft, die Europäische Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die eingetragene Genossenschaft, die Europäische Genossenschaft, der Verein und der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung lässt sich weder nach ihrer typisierenden Regelung im Gesetz noch ihrer heterogenen Ausgestaltung in der Praxis einer dieser Kategorien zuordnen; sie ist historisch als Mischform konzipiert und hat diesen Charakter bis heute behalten.

3. Geschichte

Bereits der Codex Hammurabi (18. Jahrhundert v. Chr.) enthielt Vorschriften über die arbeitsteilige Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke (§§ 77+f, 100-107). Am weitesten ausdifferenziert unter den antiken Rechten und gemeinsame Grundlage des modernen europäischen Gesellschaftsrechts ist das römische Sozietätsrecht, das ius societatis. Sowohl die Institutionen des Gaius (Gai. Inst. 3,148-3,154b) und Justinians (Inst. 3,25) als auch die Digesten (Dig. 17,2) und der Codex Iustinianus (Cod. Iust. 4,37) behandeln die societas in einem eigenen Abschnitt. Eine zweite Grundlage des modernen Gesellschaftsrechts sind die germanischen Rechte und Praktiken des Mittelalters (bekannt, aber unklar Sachsenspiegel, Landrecht, I 12: „andere lude er gut to samene hebbet“). Mit der Rezeption des römischen Rechts vermischten sich die germanischen und die römischen Regeln und vereinigten sich – jedenfalls lokal (exemplarisch Frankfurter Reformation von 1578, Teil II, Tit. XXIII) – zu einem weitgehend homogenen Ganzen. Bei manchen Zweifelsfragen kommen die unterschiedlichen Ausgangspunkte aber wieder zum Vorschein: etwa im 19. Jahrhundert beim Streit um die Rechtsnatur der Aktiengesellschaft oder in der jüngeren Vergangenheit bei der Diskussion um die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts.

Den größten Einfluss auf die Entwicklung des modernen Gesellschaftsrechts in Kontinentaleuropa hatten die Vorschriften des Code civil (21.3.1804) du contrat de société (Art. 1832–1873) und des Code de Commerce (15.9.1807) des sociétés (Art. 18–64). Das französische Gesellschaftsrecht ist seitdem mehrfach grundlegend umgestaltet worden, findet sich aber bis heute ganz überwiegend im Code Civil (Art. 1832–1873) und im Code de Commerce (Art. L. 210-Art. L 252-12). Die erste gesamtdeutsche Regelung des Gesellschaftsrechts enthielt der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB) (12.3.1861) (Art. 85–270). Vier Jahrzehnte später wurden diese Vorschriften teils revidiert, teils unverändert in das Handelsgesetzbuch (10.5.1897) (§§ 105–342) übernommen; gleichzeitig erhielt das Bürgerliche Gesetzbuch (18.8.1896) einen Abschnitt über die Gesellschaft (§§ 705–740). Die Bestimmungen über die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, die stille Gesellschaft und die Gesellschaft bürgerlichen Rechts sind seitdem kaum verändert worden. Die übrigen Gesellschaftsformen sind heute andernorts geregelt: Der Gesellschaft mit beschränkter Haftung wurde bei ihrer „Erfindung“ 1892 ein eigenständiges Gesetz gewidmet (20.4. 1892); das Aktienrecht wurde 1937 in ein eigenes Gesetz überführt (Aktiengesetz vom 30.1.1937) und bis heute in einem Spezialgesetz (Aktiengesetz vom 6.9.1965) belassen. Nach anfangs sehr anlassorientierter und unsystematischer Gesetzgebung hat der englische Gesetzgeber das Gesellschaftsrecht erstmals im Companies Act 1862 sowie zuletzt im Companies Act 1985 bzw. im Companies Act 2006 konsolidiert und kodifiziert.

4. Rechtsvergleichung

Rechtsvergleichung ist im Bereich des Gesellschaftsrechts seit jeher eine der wichtigsten Erkenntnisquellen. Der Code de Commerce (1807) im Allgemeinen und seine gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen im Besonderen dienten zahlreichen weiteren Handelsgesetzbüchern zum Vorbild, beispielsweise dem span. Código de Comercio (1829), dem portug. Código Commercial (1833) und dem niederl. Wetboek van Koophandel (1838) sowie – abgeschwächt – dem Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB).

In den Gebieten des Gesellschaftsrechts, in welchen die Gesetzgebung bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen abgeschlossen wurde, ist die Rechtsvergleichung beinahe zum Erliegen gekommen. Am augenfälligsten ist dies für die Gesellschaften im engeren Sinne (s.o. 2.). Dort, wo Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft bis heute um ein geeignetes Regelungsregime ringen – also insbesondere bei der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung – war die Rechtsvergleichung durchgehend (allerdings mit qualitativen und quantitativen Unterschieden) bedeutsam (näher bei der Darstellung der einzelnen Gesellschaftsformen).

5. Rechtsvereinheitlichung

In einzelnen Fragen des Gesellschaftsrechts ist die europäische Rechtsharmonisierung weit fortgeschritten (etwa für die Rechnungslegung). Ebenso wie beim Kapitalmarktrecht liegt dies an der Bedeutung des Gesellschaftsrechts für die Verwirklichung eines europäischen Binnenmarkts. Zu unterscheiden ist zwischen vereinheitlichtem nationalem Gesellschaftsrecht (nachfolgend a), supranationalem Gesellschaftsrecht (b) und der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit bzw. der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (c).

a) Vereinheitlichtes nationales Gesellschaftsrecht

(i) Zur Vereinheitlichung des nationalen Gesellschaftsrechts sind bislang zwölf grundlegende Richtlinien ergangen (im Folgenden geordnet nach dem Datum ihrer Verabschiedung, nicht nach der von der zeitlichen Abfolge teilweise abweichenden und mittlerweile aufgegebenen offiziellen Nummerierung): (1) Erste Richtlinie (RL 68/‌151 vom 9.3.1968) zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (sog. Publizitäts-RL). (2) Zweite Richtlinie (RL 77/‌91 vom 13.12.1976) zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (sog. Kapital-RL). (3) Vierte Richtlinie (RL 78/‌660 vom 25.7.1978) über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (sog. Jahresabschluss-RL). (4) Dritte Richtlinie (RL 78/‌855 vom 9.10.1978) betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (sog. Verschmelzungs-RL). (5) Sechste Richtlinie (RL 82/‌891 vom 17.12.1982) betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften (sog. Spaltungs-RL). (6) Siebente Richtlinie (RL 83/‌349 vom 13.6.1983) über den konsolidierten Abschluß (sog. Konzernabschluß-RL). (7) Achte Richtlinie (RL 84/‌253 vom 10.4.1984) über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen, abgelöst von der RL 2006/‌43 vom 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen (sog. Abschlussprüfer-RL). (8) Elfte Richtlinie (RL 89/‌666 vom 21.12.1989) über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen (sog. Zweigniederlassungs-RL). (9) Zwölfte Richtlinie (RL 89/‌667 vom 21.12.1989) betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter (sog. Einpersonengesellschafts-RL). (10) Richtlinie (RL 2004/‌25 vom 21.4.2004) betreffend Übernahmeangebote (sog. Übernahme-RL) [ursprünglich als Dreizehnte Richtlinie vorgeschlagen]. (11) Richtlinie (RL 2005/‌56 vom 26.10.2005) über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (sog. Internationale Verschmelzungs-RL) [ursprünglich als Zehnte Richtlinie vorgeschlagen]. (12) Richtlinie (RL 2007/‌36 vom 11.7.2007) über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (sog. Aktionärsrechte-RL).

(ii) Nicht weiterverfolgt oder noch nicht erlassen wurden: (1) Vorschlag (zuletzt 91/‌C 321/‌09 vom 20.11.1991) für eine fünfte Richtlinie über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe (sog. Struktur-RL). (2) Vorentwurf (DOK. Nr. III/‌1639/‌ 84 von 1984) einer neunten Richtlinie (sog. Konzernrechts-RL). (3) Vorentwurf (zuletzt DOK. Nr. XV/‌43/‌87 von 1987) einer Richtlinie (sog. Liquidations-RL). (4) Vorentwurf (vom 22.4. 1997) für eine vierzehnte Richtlinie über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts (sog. Sitzverlegungs-RL).

(iii) Die Europäische Kommission hat in den letzten Jahren zwei Empfehlungen (Art. 249(5) Alt. 1 EG/‌288(5) Alt. 1 AEUV) ausgesprochen: (1) Empfehlung (2004/‌913 vom 14.12. 2004) zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften. (2) Empfehlung (2005/‌162 vom 15.2. 2005) zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren bzw. Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs- bzw. Aufsichtsrats.

b) Supranationales Gesellschaftsrecht

Auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts hat sich die Europäische Gemeinschaft nicht darauf beschränkt, das nationale Gesellschaftsrecht zu vereinheitlichen. Vielmehr wurde außerdem unmittelbar geltendes, supranationales Gesellschaftsrecht erlassen.

(i) Alle börsennotierten Unternehmen sind per Verordnung (VO 1606/‌2002 vom 19.7.2002) seit 2005 verpflichtet, ihre Abschlüsse nach den International Accounting Standards (IAS) bzw. nunmehr International Financial Reporting Standards (IFRS) zu erstellen (Rechnungslegung).

(ii) Nach außen hin am deutlichsten als Erscheinungen supranationalen Gesellschaftsrechts zu erkennen sind die drei europäischen Gesellschaftsformen: (1) Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) wurde 1985 mittels einer Verordnung (VO 2137/‌85 vom 25.7.1985) und nationaler Ausführungsgesetze geschaffen. In der nicht selbst auf Gewinnerzielung gerichteten EWIV, deren Vorbild der französische groupement d'intérêt économique (Code de Commerce, Art. L. 251-1–Art. L 251-23) ist, können grenzüberschreitende Hilfstätigkeiten organisiert werden. Die praktische Relevanz der EWIV ist gering; in der Bundesrepublik als dem größten Mitgliedstaat gibt es nur 27 solcher Gesellschaften mit nennenswerter Tätigkeit (Umsatzsteuerstatistik 2006; das Unternehmensregister weist für 2008 insgesamt 68 Veröffentlichungen von 249 Unternehmen aus). (2) Die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea) (SE) ist das „Flaggschiff des europäischen Gesellschaftsrechts“ (Klaus J. Hopt). Sie entspricht funktional wie strukturell der Aktiengesellschaft und wurde nach der Jahrtausendwende mittels einer Verordnung (VO 2157/‌2001 vom 8.10.2001), einer Richtlinie (RL 2001/‌86 vom 8.10.2001) und nationaler Umsetzungsgesetze eingeführt. Die Societas Europaea hat die (im Laufe der jahrzehntelangen Diskussionen immer weiter reduzierten) Erwartungen vieler Beobachter übertroffen: Aktuell (Stand: Juni 2008) gibt es europaweit 213 Gesellschaften, in Deutschland 70, in Frankreich sieben, im Vereinigten Königreich fünf (so die empirische Untersuchung von Horst Eidenmüller, Andreas Engert, Lars Hornuf, 2008). (3) Die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea) (SCE) beruht wie die Societas Europaea auf einer Verordnung (VO 1435/‌2003 vom 22.7.2003), einer ergänzenden Richtlinie (RL 2003/‌72 vom 22.7.2003) und nationalen Umsetzungsgesetzen.

(iii) Es gibt bzw. gab auf europäischer Ebene Pläne, für weitere supranationale Rechtsformen (1) Kürzlich hat die Kommission den Vorschlag (25.6.2008) einer Europäischen Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea) vorgelegt. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Europäischen Aktiengesellschaft ist, dass die Anteile an der Privatgesellschaft nicht öffentlich handelbar sind; es geht also um eine Art europäische Gesellschaft mit beschränkter Haftung. (2) Die Entwürfe einer Verordnung (zuletzt 93/‌C 236/‌05 vom 6.7.1993) und einer Richtlinie (zuletzt 93/‌C 236/‌06 vom 6.7.1993) zur Einführung einer Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft hat die Kommission im Frühjahr 2006 zurückgenommen (2006/‌C 64/‌03). (3) Dasselbe gilt für den Europäischen Verein, für den eine Verordnung (zuletzt 93/‌C 236/‌01 vom 6.7.1993) und eine Richtlinie (zuletzt 93/‌C 236/‌02 vom 6.7.1993) vorgeschlagen, aber zwischenzeitlich ebenfalls zurückgenommen worden sind (2006/‌C 64/‌03). (4) Im Zusammenhang mit den europäischen Gesellschaftsformen zu erwähnen ist außerdem die Europäische Stiftung.

c) Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des europäischen Gesellschaftsrechts sind die Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit (Art. 43–48 EG/‌49–55 AEUV) und der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 56–60 EG/‌63–66, 75 AEUV).

(i) Die sechs wichtigsten Entscheidungen zur Niederlassungsfreiheit, die ausdrücklich auch für Gesellschaften gilt (Art. 48 EG/‌54 AEUV), sind Daily Mail (Rs. 81/‌87, Slg. 1988, 5483), Centros (Rs. C-212/‌97, Slg. 1999, I-1459), Überseering (Rs. C-208/‌00, Slg. 2002, I-9919), Inspire Art (Rs. C-167/‌01, Slg. 2003, I-10155), SEVIC Systems (Rs. C-411/‌03, Slg. 2005, I-10805) und Cartesio (Rs. C-210/‌06, NJW 2009, 569). Die Urteile haben eine juristische und eine politische Dimension. Rechtlich geht es um die Frage, ob und inwieweit nach dem Recht eines Mitgliedstaats errichtete Gesellschaften ihre Geschäftstätigkeit auf einen anderen Mitgliedstaat konzentrieren oder ganz dorthin „umziehen“ können, was sowohl im Erst- als auch im Zweitstaat Probleme bereiten kann. Die politische Bedeutung der Urteile liegt darin, dass eine weite Auslegung der Niederlassungsfreiheit zu einem Wettbewerb der Rechtsordnungen um das – meist aus Sicht der Gründer – „bessere“ Gesellschaftsrecht führt.

(ii) Die Kapitalverkehrsfreiheit überschneidet sich für die unternehmerische Beteiligung an Gesellschaften mit der Niederlassungsfreiheit (gesehen, aber nicht gelöst von Art. 43(2) EG/‌49(2) AEUV). Alle insoweit ergangenen Entscheidungen des Gerichtshofs betreffen Hindernisse bei der Unternehmensübernahme. Sechsmal hatte der Gerichtshof über sog. Goldene Aktien zu entscheiden. Hierbei handelt es sich um Sonderrechte, die staatlichen Stellen eingeräumt sind und die Übernahme von (zuvor privatisierten) Unternehmen erschweren. Die diesbezüglichen Urteile betrafen Regelungen in Portugal (Rs. C-367/‌98, Slg. 2002, I-4731), in Frankreich (Rs. C‑83/‌99, Slg. 2002, I-4781), in Belgien (Rs. C-503/‌99, Slg. 2002, I-4809), in Spanien (Rs. C-463/‌00, Slg. 2003, I-4581), im Vereinigten Königeich (Rs. C-98/‌01, Slg. 2003, I-4641) und in den Niederlanden (Rs. C-282/‌04, C-283/‌04, Slg. 2006, I-9141). Über verwandte Fragen hatte der Gerichtshof in zwei Verfahren gegen Italien zu entscheiden (Rs. C-174/‌04, Slg. 2005, I-4933 und Rs. C-463/‌04, C-464/‌04, Slg. 2007, I-10419). Nicht nur um eine Goldene Aktie, sondern um einzelne Bestimmungen eines „Goldenen Gesetzes“ ging es in der Entscheidung (Rs. C-112/‌05, Slg. 2007, I-8995) zum sog. Volkswagen-Gesetz (Gesetz vom 21.7.1960); ob die in Umsetzung des Urteils vorgenommenen Streichungen (Gesetz vom 8.12.2008) ausreichen, um das Gesetz in Einklang mit den europäischen Vorgaben zu bringen, ist fraglich.

6. Aktuelle Herausforderungen

Die aktuellen Herausforderungen des Gesellschaftsrechts sind, soweit sie auf einzelne Gesellschaftsformen beschränkt sind, in deren Kontext zu besprechen. Rechtsformübergreifend werden in Europa nur wenige Themen erörtert.

(i) Seit Jahrzehnten in der Diskussion, aber keine genuin gesellschaftsrechtliche Problematik ist die unternehmerische Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsrat größerer Gesellschaften. Ihretwegen behindert die Bundesrepublik seit Jahrzehnten die Harmonisierung des nationalen Gesellschaftsrechts und die Schaffung europäischen Einheitsrechts.

(ii) Ein allgemeines Problem im Schnittbereich von Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht (s.o. 1.) ist die Frage, inwieweit gläubigerschützende Vorschriften im Vorfeld von Insolvenzen gesellschaftsrechtlich oder insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind. Der deutsche Gesetzgeber (Insolvenzantragspflicht, § 15a InsO) und der Bundesgerichtshof (Existenzvernichtungshaftung, § 826 BGB) haben jüngst zwei ehedem gesellschaftsrechtliche Materien in das allgemeine Insolvenz- bzw. Deliktsrecht überführt. Unausgesprochen dürfte es sich hierbei um den Versuch handeln, diese Regelungsmaterien aus dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit (Art. 43–48 EG/‌49–55 AEUV) herauszunehmen, um ausländische Gesellschaften trotz der jüngeren Rechtsprechung des EuGH (s.o. 5.c.) denselben Regeln unterwerfen zu können wie inländische. Vermutlich wird es für die europarechtliche Qualifikation als gesellschafts- oder insolvenzrechtlich aber nicht auf den Regelungsstandort, sondern auf den funktionellen Regelungsinhalt ankommen. Der erscheint bei der Insolvenzantragspflicht weniger gesellschaftsrechtlich als bei der Existenzvernichtungshaftung.

(iii) Nicht nur eine formelle, sondern eine wichtige materielle Frage ist, wie weit die Kompetenzen der europäischen Entscheidungsträger zur Harmonisierung des Gesellschaftsrechts reichen bzw. reichen sollten. Der EG-Vertrag ermächtigt Rat und Kommission nur, „Schutzbestimmungen [zu] koordinieren, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften ... im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten“ (Art. 44(2)(g) EG/‌50(2)(g) AEUV). Eine Allzuständigkeit gibt es für das Gesellschaftsrecht bislang ebenso wenig wie allgemein.

7. Ausblick

Das europäische Gesellschaftsrecht steht vor einer wichtigen Richtungsentscheidung. Die erste Phase der Angleichung der nationalen Gesellschaftsrechte und der Schaffung europäischen Einheitsrechts ist nahezu beendet – nicht, weil alle ursprünglichen Ziele erreicht wurden, sondern weil derzeit allenfalls noch die Sitzverlegungs-RL und die Europäische Privatgesellschaft Realisierungschancen haben. Ob die bisherigen Maßnahmen sinnvoll sind und ob weitere folgen sollten, bedarf eingehender Diskussion. Die Rechtswissenschaft könnte zu dieser Debatte einen genaueren Vergleich der nationalen Gesellschaftsrechte beisteuern. Hilfreich wird dieser Beitrag aber nur sein, wenn mehr als die gegenwärtigen Rechtsvorschriften verglichen wird:

Erstens sollte endlich die große historische Forschungslücke geschlossen und eingehend untersucht werden, inwieweit die modernen Gesellschaftsrechte einem gemeinsamen Vorbild folgen und wo sie eigene Wege gehen. Entgegen dem vielbetonten Klischee von der Andersartigkeit und Eigenartigkeit des common law scheint das englische Gesellschaftsrecht jedenfalls bei kursorischer Durchsicht seiner historischen Grundlagen und gegenwärtigen Ausgestaltung in zentralen Fragen näher am römischen Sozietätsrecht zu liegen als das französische und das deutsche Gesellschaftsrecht. Für die Fortentwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts ist diese gemeinsame historische Grundlage eine große Chance, weil sie der Diskussion einen konsensfähigen Ausgangspunkt gibt.

Zweitens sollte sich die Rechtswissenschaft gemeinsam mit den Sozialwissenschaften um eine genauere empirische Aufarbeitung des europäischen Gesellschaftswesens bemühen. Eine Aktiengesellschaft und eine société anonyme unterscheidet mehr als ihr Name und ihr Regelungsregime.

Gefordert ist mithin eine funktionale Analyse des europäischen Gesellschaftsrechts, mit vertikaler wie horizontaler Rechtsvergleichung und unter Einbeziehung interdisziplinärer Erkenntnisse. Derartige Forschung könnte sich als Ausgangspunkt erweisen für eine dezentrale Fortentwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts hin zu einem novum ius societatis commune.

Literatur

Marcus Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1996; Günter Christian Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2 Bde., 2000; Georges Ripert, René Roblot, Traité de droit commercial, Bd. I, Halbbd. 2: Les sociétés commerciales, 18. Aufl., fortgeführt von Michel Germain, 2002; Stefan Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004 (revidiert in Zusammenarbeit mit Florian Möslein: European Company Law, 2007); Reinier H. Kraakman, Paul Davies, Henry Hansmann, Gerard Hertig, Klaus J. Hopt, Hideki Kanda, Edward B. Rock, The Anatomy of Corporate Law, 2004; Mathias Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2006; Klaus J. Hopt, Comparative Company Law, in: Mathias Reimann, Reinhard Zimmermann (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, 1161 ff.; Paul L. Davies, Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8. Aufl. 2008; Andreas Engert, Gesellschaftsrecht, in: Katja Langenbucher (Hg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl. 2008, § 5 (225 ff.); Andreas M. Fleckner, Antike Kapitalvereinigungen, in Vorbereitung für 2010.

Quellen

Auswahl: Codex Hammurabi, 18. Jahrhundert v. Chr.; zitiert nach der Edition von Richardson, Hammurabi’s Laws, Sheffield, 2000. Sachsenspiegel, 13. Jahrhundert n. Chr.; zitiert nach der Ausgabe von Karl August Eckhardt, Sachsenspiegel – Landrecht, 2. Aufl., Göttingen, 1955. Frankfurter Reformation von 1578: Der Statt Franckenfurt erneuwerte Reformation, Frankfurt, 1578. Code de Commerce vom 10.-15.9.1807, Bulletin des lois No. 164, 161 ff.; Codigo de Comercio vom 30.5.1829, edicion oficial, Madrid, 1829. Codigo Commercial Portuguez vom 18.9.1833, Lissabon, 1833. Wetboek van Koophandel: Officiële uitgave, ’s-Gravenhage, 1838. Entwurf eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buchs vom 12.3.1861: Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB). An Act for the Incorporation, Regulation, and Winding-up of Trading Companies and other Associations vom 7.8.1862, 25 & 26 Vict. ch. 89.