Geschäftsfähigkeit und Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio): Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Phillip Hellwege]]''
von ''[[Nils Jansen]]''
== 1. Gegenstand und Zweck; Begriffliches ==
== 1. Gegenstand und Zweck der ''negotiorum gestio''<nowiki>; Terminologie</nowiki> ==


Die Geschäftsfähigkeit bezeichnet die Fähigkeit einer Person, Rechtsgeschäfte selbst wirksam vorzunehmen. Sie wird in Europa grundsätzlich allen Menschen zuerkannt. Doch gibt es Ausnahmen: Ein Rechtsgeschäft ist eine auf eine Rechtsfolge gerichtete Handlung ([[Rechtsgeschäft]]slehre). Die Rechtsfolge tritt ein, weil sie gewollt ist. Wer keinen Willen bilden kann, etwa weil er unter Drogeneinfluss steht oder an Altersdemenz leidet, ist daher aus natürlichen Gründen geschäftsunfähig.
Die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA; ''negotiorum gestio''<nowiki>; </nowiki>''gestion d’affaires d’autrui'') bildet eine spezifische Schöpfung der römischen Juristen; sie findet sich heute nur in Rechtsordnungen, die genetisch auf das [[römisches Recht|römische Recht]] zurückgehen. Danach soll ein vertragsähnliches Schuldverhältnis zwischen einem Geschäftsführer (''gestor'') und einem Geschäftsherrn (''dominus'') auch ohne eine vertragliche Absprache zwischen den Parteien zustande kommen können. Dabei hat ein spezifisches Kennzeichen der ''negotiorum gestio'' von jeher in ihrer dogmatisch-funktionalen Doppelnatur bestanden. Zum einen begründet sie nämlich Ausgleichsansprüche, die der Wiederherstellung der von Rechts wegen richtigen Güter- und Lastenzuordnung dienen; insoweit entspricht die GoA funktional dem [[Bereicherungsrecht]] und dem Eigentümer-Besitzerverhältnis. Zum anderen konstituiert die GoA aber auch besondere Verhaltens- und Sorgfaltspflichten und weist damit Parallelen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen ([[Dienst(leistungs)vertrag]]) auf. Ursprünglich standen dabei die Ansprüche des Geschäftsherrn auf Herausgabe des durch die Geschäftsführung Erlangten und auf [[Schadensersatz]] im Vordergrund; daneben ging es um die Verpflichtung des Geschäftsführers zur Auskunft und Rechnungslegung. Umgekehrt sollten dem Geschäftsführer Ausgleichsansprüche zustehen; ihm gebührte Ersatz seiner Aufwendungen und Befreiung von seinen Verbindlichkeiten infolge der Geschäftsführung. Die heute gleichermaßen wichtigen Fragen nach Vergütungs- und Schadensersatzansprüchen des Geschäftsführers gehören erst seit der Neuzeit zum Themenkreis der ''negotiorum gestio''.


Weitere Ausnahmen basieren auf Schutzerwägungen: Minderjährige können zwar einen auf Rechtsfolgen gerichteten Willen bilden. Doch fehlt ihnen oft die Erfahrung, um Risiken zu erkennen. Sie zu ihrem eigenen Schutz vom Verkehr auszuschließen, wäre indes nicht mit ihrer Autonomie vereinbar ([[Vertragsfreiheit]]). Sie dürfen in ihrer Geschäftsfähigkeit regelmäßig nur beschränkt werden, und der Schutz muss flexibel sein. Ein flexibler Schutz steht aber im Spannungsverhältnis zur Verkehrssicherheit, und die Nichtbeachtung der Verkehrssicherheit kann zum faktischen Ausschluss Minderjähriger vom Verkehr führen. Trotz aller Unterschiede besteht in Europa Einigkeit, dass mit Rücksicht auf den Verkehr eine feste Altersgrenze zu ziehen ist, von der ab eine Person grundsätzlich als geschäftsfähig gilt.
Bei all dem ist das Spektrum der Fälle, die unter diesem Titel einer ''negotiorum gestio'' bzw. GoA diskutiert und entschieden worden sind, weit: Von jeher ging es zum einen um den Regress nach Zahlung fremder Schulden, zum anderen um fremdnützige Hilfeleistungen, etwa die Sicherung eines baufälligen Hauses in Abwesenheit des Eigentümers, aber auch um eine unbeauftragte Prozessführung. Zu den disparaten Anwendungsfällen gehören aber auch der Streit um die Verpflichtung zur Rechnungslegung eines Erbschaftsbesitzers, der Deckungsverkauf nicht abgenommener Ware, der unbeauftragte Kauf einer Briefmarke für einen Sammler, aber auch die „Selbstaufopferung“ bei Rettungsaktionen oder bei – sogar unbewussten – Ausweichmanövern im Straßenverkehr. Die Praxis wird auch heute von Regressfragen bestimmt, wenn etwa Hoheitsträger Ansprüche für Leistungen wie das Löschen von Feuer geltend machen, zu denen sie kraft öffentlichen Rechts verpflichtet waren, oder wenn Dienstleistungen auf einen nichtigen Vertrag erbracht wurden. Verbreitet wird der Regress dann nicht auf das Bereicherungsrecht, sondern auf die GoA gestützt.


Doch auch danach kann ein Schutz notwendig sein, wenn die für die Vornahme von Geschäften nötige Geisteskraft fehlt. Diese Fälle gewinnen aufgrund des demographischen Wandels an Bedeutung. Denn die Einsichtskraft kann im Alter wieder abnehmen. Doch darf dem Betroffenen die Geschäftsfähigkeit nicht einfach wieder entzogen, sondern mit Rücksicht auf seine Autonomie nur so weit beschränkt werden, als dies konkret erforderlich ist.
Das vergleichende Bild ist uneinheitlich: Das moderne englische ''[[common law]]'' lehnt ein derartig weites und konturenloses Rechtsinstitut ab und gewährt allenfalls in Einzelfällen besondere Ansprüche. Ähnlich beurteilt auch das [[Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch|österreichische ABGB]] die Führung fremder Geschäfte als grundsätzlich unzulässig (§&nbsp;1035 S.&nbsp;1); die Lehre geht davon aus, dass die GoA zwar anerkannt, aber eng begrenzt sei. Zudem bestimmen die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, die die ''negotiorum gestio'' kodifiziert haben, ihren Anwendungsbereich weder funktional noch tatbestandlich einheitlich; auch innerhalb dieser Rechtsordnungen ist der Fragenkreis oft kontrovers. So hat die GoA im deutschen Recht einen besonders weiten Anwendungsbereich und gewährt besonders weitreichende Ansprüche. Demgegenüber gibt es weder im schottischen noch im französischen Recht einen Vergütungsanspruch; und der [[Schadensersatz]] ist in Schottland aus dem Anwendungsbereich des Instituts ausgegrenzt. Während in Schottland jedoch im Wesentlichen die Regeln des klassischen [[römisches Recht|römischen Recht]]s angewendet werden, dem Geschäftsherrn also – wie in Deutschland – auch bei der unberechtigten Geschäftsführung die Ansprüche aus ''negotiorum gestio'' zustehen, hat die herrschende Lehre zum französischen Recht lange Zeit nur die berechtigte ''gestion d’affaires'' als solche anerkannt. Allerdings hat der ''Avant-projet'' einer Reform des französischen Obligationenrechts sich offenbar wieder den klassischen Standpunkt zu Eigen gemacht, erfasst also auch die unberechtigte GoA. Angesichts dieses Befunds ist es wohl irreführend, von einem einheitlichen Institut der GoA zu sprechen. Vielmehr findet sich in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen eine Reihe unterschiedlicher Rechtsinstitute, die jeweils auf die römische ''negotiorum gestio'' zurückgehen.  


Den Begriff der Geschäftsfähigkeit führte erst 1875 ein preußisches Gesetz in Deutschland ein. Zuvor sprach man von Handlungsfähigkeit. Sie umfasst auch die Deliktsfähigkeit ([[Deliktsrecht: Allgemeines und lex Aquilia|Deliktsrecht]]). Der Begriff der Handlungsfähigkeit findet sich im BGB nicht mehr. In Italien etwa ist er heute noch üblich (''capacità di agire''). In England spricht man schlicht von ''capacity'' oder enger von ''contractual capacity''. Qualifizierungen der Geschäftsfähigkeit sind die Ehe- und Testierfähigkeit ([[Ehe]], [[Testament]]). Von der Geschäftsfähigkeit wird die Rechtsfähigkeit, das ist die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, unterschieden. Sie kommt im modernen Europa ausnahmslos allen Menschen zu. Im Prozessrecht entsprechen die Partei- und Prozessfähigkeit der Rechts- und Geschäftsfähigkeit. Obwohl in einigen Rechten Europas eine begriffliche Berührung besteht, ist die Verfügungsberechtigung von der Geschäftsfähigkeit zu trennen. Abzugrenzen ist die Geschäftsfähigkeit weiter von dem sehr viel weiteren Begriff der ''transactional capacity''<nowiki>; er bezeichnet in der ökonomischen Analyse des Rechts die Voraussetzungen rationaler Entscheidungen durch die Markteilnehmer.</nowiki>
== 2. Tendenzen der Rechts&shy;ent&shy;wicklung ==


Der deutsche Jurist kennt noch die auf einen gegenständlich abgegrenzten Kreis von Angelegenheiten beschränkte ''partielle'' und die besonders schwierige Geschäfte betreffende ''relative'' Geschäftsunfähigkeit. Beide Begriffe sollten im Rechtsvergleich vermieden werden. Es handelt sich um Unterformen der beschränkten Geschäftsfähigkeit. Zudem spricht das BGB nur bei einer dauerhaften Störung der Geistestätigkeit von einer Geschäftsunfähigkeit, stellt ihr aber die Fälle einer nur vorübergehenden Störung gleich. Im Rechtsvergleich kann beides als Geschäftsunfähigkeit bezeichnet werden.
Die ''negotiorum gestio ''des römischen Rechts war in besonderem Maße von den Bindungen der öffentlichen Sozialmoral einerseits und durch ein besonders enges Vertragsrecht andererseits geprägt. Ursprünglich beruht das Institut auf sozialen Treuepflichten unter gleichrangigen Freunden bzw. zwischen Herren und Klienten, die von Rechts wegen zwar nicht bindend waren, gleichwohl aber vertragsrechtliche Sekundäransprüche auf Schadens- und Aufwendungsersatz auslösen konnten. Eine selbstgefährdende, tätige Nothilfe war dabei freilich nie das Thema. Vielmehr ging es den Römern allein um die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen, etwa um eine Vermögensverwaltung, um einen Prozess für einen Abwesenden oder auch um die Reparatur eines verfallenden Hauses.


== 2. Historische Wurzeln ==
Bereits die Römer hatten die ''negotiorum gestio ''freilich auch für Rückgriffs- und Abschöpfungsansprüche herangezogen, für die sich eine andere Anspruchsgrundlage nicht fand. Das war schon deshalb von besonderer Bedeutung, weil das römische Recht über kein allgemeines Bereicherungsrecht verfügte. Im [[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']] musste diese Ausgleichsfunktion dann in den Vordergrund rücken, weil die Voraussetzungen der römischen ''negotiorum gestio ''(starke soziale Treuepflichten, enges Vertragsmodell) weggefallen waren und die lückenlose Abschöpfung ungerechtfertigter Bereicherungen stärker als ein Desiderat der Gerechtigkeit galt. Damit kam es zu einer paradigmatisch-funktionalen Verschiebung des Instituts hin zu einem flexiblen, aber auch konturlosen Ausgleichsmittel. Funktionale Pendants des heutigen Rechts sind – neben der GoA – das [[Bereicherungsrecht]], das Eigentümer-Besitzerverhältnis oder auch Legalzessionen, wie sie sich bei der Lohnfortzahlung oder im Versicherungsvertragsrecht finden. Auch bei einer unberechtigten Geschäftsführung – nach verbreiteter Ansicht sogar bei einem Widerspruch des Geschäftsherrn – war ein geschäftsführungsrechtlicher Bereicherungsausgleich geschuldet. Bis heute geht es in der Praxis vieler europäischer Gerichte vor allem um Fragen des objektiv angemessenen Lastenausgleichs. Auf eine subjektive Geschäftsführungsabsicht bzw. altruistische Motivation kommt es dann nicht mehr an.


Das [[römisches Recht|römische Recht]] kannte vier Altersstufen: Da waren zuerst die ''infantes''. ''Infantes'' leitet sich von ''fari'' (sprechen) her. ''Infantes'' waren folglich die, die nicht sprechen konnten. Zunächst kam es auf die individuelle Fähigkeit zu sprechen an. Später setzte sich das vollendete siebte Lebensjahr als feste Grenze durch. ''Infantes'' konnten keine Geschäfte vornehmen ([[Unwirksamkeit]]).
Seit dem 18.&nbsp;Jahrhundert ist es dann zu einer weiteren paradigmatischen Verschiebung der ''negotiorum gestio'' hin zu tätiger Nothilfe gekommen. Denn seit dem [[Naturrecht]] wurde die ''negotiorum gestio'' zunehmend als Ausdruck vertragsrechtlicher Wertungen gedeutet; als fiktiver Vertrag beruhte sie dann auf der Absicht des Geschäftsführers, für den Geschäftsherrn vertraglich tätig zu werden, und einem korrespondierenden vermuteten Einverständnis des Geschäftsherrn; die moderne ökonomische Analyse des Privatrechts hat die GoA auf dieser Linie als einen nur aufgrund hoher Transaktionskosten nicht zustande gekommenen „hypothetischen Vertrag“ gedeutet. Der Anwendungsbereich der ''negotiorum gestio'' war damit eng auf Aufwendungen zur Schadensabwehr beschränkt. Denn niemand braucht sich bloß Nützliches oktroyieren zu lassen. Seither galt die altruistische Nothilfe auch in der dogmatischen Literatur als Paradigma einer Geschäftsführung; zugleich steht die Frage einer Vergütung des Geschäftsführers zur Diskussion. Die Funktion der GoA als Ausgleichsinstitut geriet damit aus dem Blick. Seit dem Ende des 19.&nbsp;Jahrhunderts ist es dann noch zu einer weiteren Paradigmenverschiebung gekommen. Heute soll die GoA nämlich insbesondere auch die Selbstgefährdung bei Rettungsfällen mit erfassen. Primär geht es dabei um einen geschäftsführungsrechtlich begründeten Schadensersatzanspruch des Nothelfers. Wenn der Geschäftsherr heute weithin mit den Risiken der Nothilfe belastet wird, so steht dahinter eine Wertung, die traditionell nicht mit der ''negotiorum gestio'' verknüpft gewesen ist.


Die zweite Stufe reichte bis zur Geschlechtsreife (''pubertas''). Auch hier kam es zunächst auf die individuelle Reife, später bei Jungen auf die Vollendung des 14., bei Mädchen des 12. Lebensjahrs an. Der ''impubes'' war unmündig, hatte, wenn er nicht der ''patria potestas'' unterstand, einen Vormund (''tutor'') und konnte sich nur mit dessen Zustimmung verpflichten. Fehlte die ''auctoritas tutoris'', war er aus dem Vertrag berechtigt, aber nicht verpflichtet (hinkender Vertrag, ''negotium claudicans''). Hatte der Vertragspartner bereits geleistet, wurde ihm eine Bereicherungsklage ([[Bereicherungsrecht]]) gewährt, freilich keine ''condictio'', denn diese gehörte zum ''ius civile'', und Unmündige konnten nicht nach dem ''ius civile'' verpflichtet sein. Dem Vertragspartner wurde eine Klage des ''ius honorarium'' gewährt (''actio in quantum locupletior factus est''), die anders als ursprünglich die ''condictio'' von vornherein auf die noch vorhandene Bereicherung beschränkt war. Hatte der ''impubes'' vorgeleistet, konnte er, wollte er den Vertrag nicht gelten lassen und die vertragliche Gegenleistung nicht einklagen, das Geleistete mit einer ''condictio'' herausverlangen. Lag schließlich eine ''auctoritas'' ''tutoris'' vor, konnte der Vertrag mit der ''in integrum restitutio'' gerichtlich angefochten werden, wenn es sich um ein für den Unmündigen nachteiliges Geschäft handelte.
Mit all dem erweist sich die GoA als ein geradezu chamäleonartiges Rechtsinstitut; ihre Funktion besteht heute überall darin, (angebliche) Lücken im [[Bereicherungsrecht|Bereicherungs-]], Vertrags- und im [[Deliktsrecht: Allgemeines und lex Aquilia|Deliktsrecht]] zu schließen. Warum dafür die GoA'' ''herangezogen wird, ist leicht erklärlich: Kaum ein Tatbestand des Obligationenrechts ist gleichermaßen interpretationsoffen wie das ''negotium gestum'' des römischen Rechts, das „Besorgen eines Geschäfts für einen anderen ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung“ (§&nbsp;677 BGB), „het zich willens en wetens en op redelijke grond inlaten met de behartiging van eens anders belang“ (Art.&nbsp;6:198 BW) oder die Formulierung des Art.&nbsp;1372 ''Code civil'': „Lorsque volontairement on gère l’affaire d’autrui, soit que le propriétaire connaisse la gestion, soit qu’il l’ignore“.


Mündige konnten Verträge wirksam schließen. Doch schon früh erkannte man das Bedürfnis, auch sie vor Übervorteilung zu schützen. Eine ''lex Laetoria'' führte daher als dritte Altersstufe die der unter 25-Jährigen (''minores'') ein. Auf Antrag wurde dem ''minor'' ein Pfleger (''curator'') bestellt. Wurde der ''minor'' übervorteilt und aus diesem Geschäft verklagt, gewährte ihm der Prätor eine Einrede. Wollte er ein für ihn nachteiliges Geschäft entkräften, konnte er mit einer ''in integrum restitutio'' vorgehen. Schon zu Zeiten des römischen Rechts wurde die Stellung der ''impuberes'' und ''minores'' angeglichen. Zu den entscheidenden Altersstufen wurden damit die Vollendung des siebten und des 25. Lebensjahrs. Auf Antrag konnte Männern die Volljährigkeit nach Vollendung des 20. und Frauen nach der des 18. Lebensjahrs verliehen werden (''venia aetatis'').
== 3. Sachfragen ==


Geisteskranke (''furiosi'') und Verschwender (''prodigi'') unterstanden ebenfalls besonderen Regeln. ''Furiosi'' waren geschäftsunfähig. ''Prodigi'' konnten entmündigt werden. Beiden wurde ein ''curator'' beigeordnet. ''Furiosi'' konnten ohne dessen ''auctoritas'' geschäftlich überhaupt nicht auftreten und ''prodigi'' nicht, so weit die Entmündigung reichte. Die Besonderheiten der Rechtsstellung der Frau bedürfen hier keiner Erwähnung, weil sie im modernen Europa nicht fortwirken.
Aus der traditionellen Sicht einer Rechtsordnung, die eine ''negotiorum gestio'' als geltendes Recht vorfindet, stellen sich zwei Gruppen von Sachfragen, nämlich einerseits die Rechtsfolgen einer Fremdgeschäftsführung, andererseits die richtige Formulierung des Tatbestands; dabei liegt auf der Hand, dass beide Fragen nicht unverbunden sind.


== 3. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Bei den Ansprüchen des Geschäftsherrn geht es seit jeher um Schadensersatz und die Frage des Haftungsmaßstabs sowie um die Herausgabe des durch die Geschäftsführung Erlangten, also um das Problem der [[Gewinnhaftung]]. Daneben stehen Auskunfts- und Rechnungslegungspflichten des Geschäftsführers sowie die Frage, wie weit er verpflichtet ist, das Geschäft zu Ende zu führen, wenn er es begonnen hat. Für diese Rechtsfolgen bildet der bewusste Eingriff in den fremden Rechtskreis einen sachgerechten Anknüpfungspunkt, möglicherweise kann hier aber auch grobe Fahrlässigkeit genügen. Irrelevant ist jedenfalls eine altruistische Motivation bzw. Berechtigung zum Eingriff. Denn gerade gegenüber dem nichtberechtigten, eigennützig motivierten Eingreifer ist Rechtschutz erforderlich. In den meisten europäischen Rechtsordnungen war die ''negotiorum gestio ''deshalb von jeher asymmetrisch strukturiert: Für die Ansprüche des Geschäftsherrn galten andere, weiter gefasste Voraussetzungen als für die Gegenansprüche des Geschäftsführers. Die Berechtigung der Geschäftsführung ist nämlich nur für diese Gegenansprüche von Relevanz. Gleichwohl sind die Voraussetzungen der jeweiligen Ansprüche im 20.&nbsp;Jahrhundert von Stimmen in der deutschen und französischen Literatur bisweilen parallelisiert worden; die Berechtigung der Geschäftsführung wurde damit zu einer Voraussetzung der Ansprüche gegen den Geschäftsführer und der Tatbestand der GoA zugleich zu einem deliktsrechtlichen Rechtfertigungstatbestand (Lehre von der berechtigten GoA). Das bedeutet zwar eine einfache, intuitiv einleuchtende Dogmatisierung der ''negotiorum gestio'', die sich bruchlos in das Schema der wechselseitigen Verträge einfügt und eine klare Abgrenzung zum [[Deliktsrecht: Allgemeines und lex Aquilia|Deliktsrecht]] leistet. Indes führen solche Konzeptionen bei unbefugtem Handeln im fremden Rechtskreis zu Rechtsschutzlücken; durchgesetzt haben sie sich deshalb nirgends.


Die Rechtsinstitute und Denkfiguren, die bis heute prägend sind, waren also bereits im [[römisches Recht|römischen Recht]] angelegt: Unterscheidung von Altersstufen und Verwischung ihrer Grenzen; konkrete Betrachtung bei Zuordnung zu den Stufen ''contra'' feste Grenzen; Nichtigkeit, hinkender Vertrag und Anfechtungsklage als Rechtsfolgen; Eintritt dieser Rechtsfolgen ohne weiteres, nur bei Hinzutreten eines Nachteils oder nur bei Übervorteilung; und eine besondere Behandlung im [[Bereicherungsrecht]]. Doch wurden mit der Zeit diese Institute und Denkfiguren immer wieder neu modifiziert und interpretiert. Eine im Detail verwirrend unterschiedliche, aber in ihren Grundzügen zugleich verblüffend ähnliche Rechtslage in den Rechtsordnungen Europas ist das Ergebnis:
Auf der Seite des Geschäftsführers geht es neben dem traditionellen Anspruch auf Aufwendungsersatz vor allem um eine Vergütung und um Schadensersatzansprüche sowie um eine Vertretungsmacht. All diese Fragen sind kontrovers. Bei der Vergütung steht die vertragsrechtliche Grundwertung, dass vertragliche Leistungsansprüche eine entsprechende Einigung voraussetzen – vgl. Art.&nbsp;9 Fernabsatz-RL (RL 97/‌7) – der Gerechtigkeitsintuition gegenüber, dass man bestimmte Leistungen nicht unvergütet entgegennehmen könne; insbesondere gilt das für professionelle Nothilfe. Wurde dem Geschäftsführer deshalb im 20.&nbsp;Jahrhundert häufig auch eine Vergütung zugesprochen, so ist die jüngere Judikatur in Frankreich und Deutschland wieder restriktiv, weil ein Vergütungsanspruch in Fällen wie unbeauftragten Erbensuchern oder ungewollten medizinischen Eingriffen zu inakzeptablen Ergebnissen führen würde.


=== a) Geschäftsunfähigkeit in der Minderjährigkeit ===
Ein Schadensersatzanspruch ([[Schadensersatz]]) des Geschäftsführers auch für Körperschäden bedeutet heute eine strikte Haftung für Rettungsrisiken. Demgegenüber beharrt insbesondere das ''[[common law]] ''auf der deliktischen Wertung, dass eine Verpflichtung zum Schadensersatz nur dann angemessen sein kann, wenn das Rettungsopfer die Rettung in zurechenbarer Weise „herausgefordert“ hat (''danger invites rescue''). In der Tat ist das Opfer häufig noch viel „schuldloser“ als der Helfer, der die Gefahr immerhin steuern kann. Sollen Nothelfer aus Gründen des öffentlichen Interesses von Rettungsrisiken freigehalten werden, so erfordert das deshalb eine öffentlich-rechtliche Lösung, etwa eine Sozialversicherung; seit der zweiten Hälfte des 20.&nbsp;Jahrhunderts setzt sich diese Wertung in Europa zunehmend durch.


Geschäfte eines minderjährigen Geschäftsunfähigen sind nichtig ([[Unwirksamkeit]]). Aber welcher Minderjährige ist geschäftsunfähig? Sollen feste Altersgrenzen gesetzt werden, bis zu deren Erreichen Minderjährige als geschäftsunfähig gelten? Diesen Weg geht das deutsche Recht: Wer das siebte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist geschäftsunfähig. Von ihm vorgenommene Geschäfte sind ausnahmslos nichtig. In Griechenland und Bulgarien findet sich ein ähnliches Regime; freilich liegen hier die Grenzen bei Vollendung des zehnten bzw. 14. Lebensjahrs.
Auch die Vertretungsmacht des Geschäftsführers bildet ein historisch verhältnismäßig junges Problem. Allerdings ist im ''[[common law]]'' eine Notvertretungsbefugnis von Schiffskapitänen altes Recht (''agency of necessity''); sie wird in einigen romanischen Rechtsordnungen seit dem 19.&nbsp;Jahrhundert auch dem berechtigten Geschäftsführer eingeräumt. Besteht die Geschäftsführung in rechtsgeschäftlichem Handeln für den Geschäftsherrn, so ist das in der Tat wichtig, und zwar insbesondere bei einseitigen Rechtsgeschäften (etwa einer Kündigung für den nicht erreichbaren Herrn). Denn dann kann ein späterer Ausgleich nichts mehr helfen; bei Verträgen für einen Geschäftsherrn'' ''kommt es ohne eine solche Kompetenz zu einem unnötigen, wenig interessegerechten Regressdreieck über den Geschäftsführer.


In der Schweiz verzichtet man auf eine feste Altersgrenze: Wer weder mündig noch urteilsfähig ist, ist handlungsunfähig. Urteilsfähig ist, wem nicht wegen Kindesalters die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäß zu handeln. Die Bestimmung erfolgt dabei nicht abstrakt. Vielmehr ist die Urteilsfähigkeit ein relativer Begriff: Sie muss für jeden Einzelnen und jedes einzelne Geschäft konkret bestimmt werden. Geschäftsunfähig ist damit der Unmündige, dem die Urteilsfähigkeit für die Vornahme eines jeden Geschäfts fehlt. Ähnlich halten es das türkische und das französische Recht.
Für die Berechtigung der Geschäftsführung, die die Gegenansprüche des Geschäftsführers rechtfertigt, gilt traditionell ein objektives Kriterium. Insbesondere wird gefragt, ob das Geschäft nützlich (''utilis'') bzw. „vernünftig“, „interesse- und willensgemäß“ oder „ordentlich“ (''bien'') geführt wurde. Für Aufwendungen und auch für eine Vergütung entspricht das weitgehend einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung ([[Bereicherungsrecht]]) unbestellter Leistungen. Divergenzen bestehen dann praktisch nur hinsichtlich der besonderen kondiktionsrechtlichen Ausschlusstatbestände, etwa bei sittenwidrigem Handeln oder bei bewusstem Leisten auf eine Nichtschuld. Etwas anderes gilt nur, wenn für die Berechtigung auf eine subjektive Einschätzung der Interessenlage des Geschäftsherrn durch den Geschäftsführer abgestellt wird, wie das von Vertretern der Lehre von der berechtigten GoA bisweilen vorgetragen wurde. Soweit der Geschäftsführer die Lage schuldlos falsch einschätzt, ist dann auch für ungewollte Dienstleistungen zu haften. Doch bricht eine solche deliktsrechtliche Wertung mit der Tradition der ''negotiorum gestio'' und ist im Ergebnis wenig plausibel.


Zwar wird in Österreich ein Kind unter sieben Jahren als geschäftsunfähig bezeichnet. Doch sind dessen Geschäfte nicht ausnahmslos nichtig: Geringe Geschäfte des täglichen Lebens, die für Gleichaltrige üblich sind, werden mit Erfüllung der Pflicht des Kindes wirksam. Im Rechtsvergleich sollte man deshalb nicht von einer Geschäftsunfähigkeit sprechen. Geschäftsunfähig sind nur Kinder eines Alters, in dem sie üblicherweise gar keine Geschäfte eingehen. Eine feste Altersgrenze wie nach deutschem Recht ist das nicht. Freilich nimmt man in Österreich auch keine konkrete Betrachtung vor wie in der Schweiz. Es kommt auf die objektive Üblichkeit, nicht die individuelle Urteilsfähigkeit an. Ähnliches gilt für Polen und Schottland: Auch hier werden unter 13- bzw. unter 16-Jährige als geschäftsunfähig bezeichnet. Dennoch sind nicht alle von ihnen eingegangene Geschäfte unwirksam.
Angesichts all dessen lautet die sachliche Hauptfrage heute, ob es überhaupt sinnvoll ist, an dem einheitlichen Rechtsinstitut einer ''negotiorum gestio'' festzuhalten: Schon die weitreichenden Ausgleichs- und Rückgriffsansprüche des Geschäftsführers hatten ursprünglich auf einer analogen Anwendung des Instituts beruht; erst recht war der Tatbestand der „nützlichen“ bzw. interesse- und willensgemäßen Geschäftsführung nicht für Vergütungs- und Schadensersatzansprüche formuliert. Warum diese funktional und teleologisch disparaten Ansprüche einen gemeinsamen, einheitlichen Tatbestand haben sollten, vermag abstrakt kaum einzuleuchten, und es erweist sich bei einer konkreten Analyse auch nicht als sachgerecht. Statt einer einheitlichen ''negotiorum gestio'' sollten die einzelnen Probleme deshalb jeweils im Sachzusammenhang diskutiert und gelöst werden. Wahrscheinlich sind dabei allenfalls punktuell – insbesondere bei der Vertretungsmacht – Regelungen erforderlich, die über das geltende Vertrags- ([[Vertrag]]), [[Deliktsrecht: Allgemeines und lex Aquilia|Delikts-]] und [[Bereicherungsrecht]] hinausgehen.


=== b) Beschränkte Geschäftsfähigkeit in der Minderjährigkeit ===
== 4. Vereinheitlichungsprojekte ==


Der Beginn der vollen Geschäftsfähigkeit wird durch eine feste Altersgrenze markiert. Sie wurde in den letzten Jahrzehnten in ganz Europa auf die Vollendung des 18. Lebensjahrs gesenkt. Zugleich wurde die Möglichkeit, Minderjährige schon zuvor in die Geschäftsfähigkeit zu entlassen, zurückgedrängt (Deutschland, Österreich und die Schweiz). Einige Länder Europas kennen sie freilich noch heute so, etwa bei Heirat, wobei zum Teil hierdurch nur eine beschränkte Geschäftsfähigkeit erlangt wird (Spanien, Polen, Türkei, Frankreich, Italien, Griechenland und die Niederlande).
Vereinheitlichungsprojekte zur ''negotiorum gestio'' hat es bis in die jüngste Zeit nicht gegeben; dazu fehlt dem Institut die praktische und internationale Relevanz. Auch die vergleichende Literatur ist begrenzt. Erst die ''[[Study Group on a European Civil Code]]'' hat auch die ''negotiorum gestio'' in den Blick genommen und 2006 ein erstes Regelungswerk vorgelegt (''Principles of European Law. Benevolent Intervention in Another’s Affairs''). Allerdings überzeugen diese ''Principles'', die dogmatisch an die Lehre von der berechtigten GoA anknüpfen und paradigmatisch an der Nothilfe ausgerichtet sind, weder als vergleichende Bestandsaufnahme noch als zukunftsweisender Normvorschlag.
 
Viele Rechtsordnungen stufen die beschränkte Geschäftsfähigkeit weiter ab: So werden in Österreich bei der Frage, ob Geschäfte eines Minderjährigen wirksam sind, bis zur Vollendung des siebten, des 14. und des 18. Lebensjahrs jeweils verschiedene Maßstäbe herangezogen, der Kreis der wirksamen Geschäfte mithin immer weiter gezogen. Auch in Polen, Schottland und Griechenland kennt man solche Abstufungen.
 
Die beschränkte Geschäftsfähigkeit zeichnet sich dadurch aus, dass der Betroffene bestimmte Rechtsgeschäfte selbst wirksam vornehmen kann. Welche Geschäfte zu diesem Kreis gehören, wird in Europa unterschiedlich beantwortet. In der Schweiz kommt es mit der individuellen Urteilsfähigkeit für das konkrete Geschäft auf ein subjektives Kriterium an. Andere Rechte setzen ab einem festen Alter ein Mindestmaß von Urteilsfähigkeit voraus und bestimmen sodann diesen Kreis anhand von objektiven Maßstäben. Wieder andere Rechte verlangen die individuelle Urteilsfähigkeit als Mindestvoraussetzung und gehen daneben typisierend vor. In England kann ein Minderjähriger beispielsweise ''necessaries'' erwerben, sofern der Vertrag nicht unbillig ist. Zu den ''necessaries'' wird gerechnet, was zur Lebensführung angemessen ist. Dabei wird typisierend nach Alter, Herkunft und Lebenssituation unterschieden. Trotz Vertragswirksamkeit haftet der Minderjährige nur auf einen angemessenen Preis. Das schottische Recht differenziert nach Alter. Geschäfte eines unter 16-Jährigen sind wirksam, wenn Gleichaltrige üblicherweise ein solches Geschäft vornehmen und es seinem Inhalt nach nicht unbillig ist. Zwischen der Vollendung des 16. und 18.&nbsp;Lebensjahrs ist entscheidend, ob das Geschäft auch von einem Geschäftsfähigen bei verständiger Würdigung vorgenommen worden wäre und ob es für den beschränkt Geschäftsfähigen nachteilig ist. Auch andere Rechtsordnungen machen die Wirksamkeit des Vertrags von verschiedenen Faktoren abhängig, beispielsweise von der Notwendigkeit des Geschäfts, seiner Üblichkeit, Billigkeit, rechtlichen oder wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit bzw. Neutralität, vom Fehlen eines Schadens bzw. einer Übervorteilung sowie davon, ob der Vertrag nur Angelegenheiten des täglichen Lebens betrifft, dem Schutz des Vermögens des Minderjährigen dient, ob die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter vorliegt, oder ob der Vertrag aus zur freien Verfügung überlassenen Gegenständen oder Arbeitseinkommen erfüllt wird. Besonders behandelt werden oft auch bestimmte Verträge, wie Arbeits- oder Lehrverträge.
 
All diese Maßstäbe zielen auf den Schutz des Minderjährigen. Dabei werden der Verkehrssicherheit nur diejenigen Maßstäbe gerecht, die für Dritte erkennbar sind. Den Minderjährigen an einen verantwortungsvollen Umgang mit seiner Autonomie heranzuführen, ein dem Privatrecht fremder Erziehungsgedanke, ist wohl nicht Zweck, sondern nur Reflex des Schutzes. Einem solchen Erziehungsgedanken würden zudem nur Kriterien dienen, die den Minderjährigen nicht von jedem nachteiligen Geschäft lossprechen, sondern auf dessen Üblichkeit abstellen und nur bei einer Unbilligkeit einschreiten. In einigen Rechtsordnungen findet sich auch ein Hinweis auf das Erziehungsrecht der Eltern, das berücksichtigt werden müsse. Doch das rechtliche Können auch bei üblichen, billigen oder wirtschaftlich vorteilhaften Geschäften in Hinblick auf das Erziehungsrecht der Eltern zu beschränken, ist kaum mit der (wenn auch eingeschränkten) Autonomie des Minderjährigen in Einklang zu bringen. Das Erziehungsrecht ist ein bloßes Internum. Schließlich hängt die Wahl der Maßstäbe entscheidend davon ab, ob eine Rechtsordnung die Möglichkeit einer gesetzlichen Vertretung kennt ([[Stellvertretung]]).
 
Die einzelnen Rechtsordnungen machen die verschiedenen Maßstäbe entweder zu einer echten Wirksamkeitsvoraussetzung des Geschäfts, oder es handelt sich um Voraussetzungen eines Rechtsbehelfs, um das Geschäft unwirksam zu machen ([[Unwirksamkeit]]). Obwohl diese Maßstäbe damit verschiedene Funktionen erfüllen, sind die Unterschiede der Sache nach nicht allzu groß. Damit sind wir bei der Frage, welche Rechtsfolge eingreift, wenn das konkret vorgenommene Geschäft nicht zu dem Kreis von Geschäften gehört, die der beschränkt Geschäftsfähige selbst vornehmen kann. Die Vielfältigkeit der Antworten setzt sich hier fort: Sie reichen von einer absoluten, schwebenden, relativen Nichtigkeit über eine zu erklärende oder klageweise geltend zu machende Anfechtung mit ''ex tunc''- oder ''ex nunc''-Wirkung bis hin zum hinkenden Vertrag. Einige Rechtsordnungen sehen für die verschiedenen Altersstufen innerhalb der beschränkten Geschäftsfähigkeit oder auch für verschiedene Vertragstypen unterschiedliche Rechtsfolgen vor. Ist der Vertrag unwirksam, aber bereits erfüllt, so erfolgt regelmäßig eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung. Die Schutzerwägungen finden auch im [[Bereicherungsrecht]] Berücksichtigung, so dass der beschränkt geschäftsfähige wie auch der geschäftsunfähige Minderjährige hier besonders behandelt werden.
 
=== c) Geschäftsunfähigkeit und beschränkte Geschäfts&shy;fähigkeit in der Volljährigkeit ===
 
Die Regeln zur Geschäftsunfähigkeit und beschränkten Geschäftsfähigkeit in der Volljährigkeit sind in den vergangenen Jahrzehnten in fast ganz Europa einer Revision unterzogen worden. Die allgemeine Tendenz geht dahin, die Autonomie des Betroffenen so wenig wie möglich einzuschränken und flexibel auf seine Bedürfnisse zu reagieren.
 
Viele Rechte Europas sehen noch eine Entmündigung vor. Je nach Grad der Geistesstörung erfolgt sie vollständig oder teilweise. Zugleich wird dem Betroffenen ein Vormund bzw. Pfleger bestellt. Bezüglich des Kreises der Geschäfte, die der Entmündigte selbst vornehmen kann, und der Rechtsfolgen ist der vollständig Entmündigte dem Geschäftsunfähigen, der teilweise Entmündigte dem beschränkt Geschäftsfähigen gleichgestellt (Italien, Polen, Bulgarien). Zudem kann eine vorübergehende oder dauerhafte krankhafte Geistesstörung auch ohne Entmündigung zum Verlust oder zur Beschränkung der Geschäftsfähigkeit führen (Italien, Deutschland). Unterschiedlich wird die Frage beantwortet, ob Geschäfte in einem lichten Moment wirksam sind.
 
Zudem haben viele Rechtsordnungen mit der [[Betreuung (rechtliche Fürsorge für Erwachsene)|Betreuung]] eine neue Form der Unterstützung derer geschaffen, die der im Geschäftsverkehr nötigen Willenskraft entbehren. Mit ihr soll flexibler als mit der Entmündigung auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen reagiert werden. In einigen Rechten ersetzt dieses neugeschaffene Rechtsinstitut vollständig die Entmündigung (Deutschland, Griechenland). Andernorts existieren beide Modelle nebeneinander, wobei die Betreuung der Entmündigung vorgehen soll (Italien). Im Einzelnen bestehen zwischen den einzelnen Rechtsordnungen zahlreiche Unterschiede, so bei der Frage, ob und inwieweit der Betreute auch ohne Mitwirkung seines Betreuers rechtsgeschäftlich handeln kann.
 
Die Einzelheiten zur [[Unwirksamkeit]], ob sie von zusätzlichen Voraussetzungen wie etwa einer Übervorteilung oder einem Nachteil abhängt, ob übliche Geschäfte oder solche über ''necessaries'' wirksam sind, ob die Geschäfte absolut, schwebend oder relativ nichtig oder durch Erklärung oder Klage anfechtbar sind oder ob ein hinkender Vertrag vorliegt, sind in den einzelnen europäischen Rechtsordnungen wieder unterschiedlich ausgeschaltet.
 
=== d) Handeln für den nicht voll Geschäftsfähigen ===
 
In fast allen Rechten Europas handelt für den nicht voll Geschäftsfähigen sein gesetzlicher Vertreter (anders das englische Recht). Für den Fall der [[Betreuung (rechtliche Fürsorge für Erwachsene)|Betreuung Volljähriger]] oder vorzeitig emanzipierter Minderjähriger (s.o.) geht die Tendenz freilich dahin, dass der Betreuer nicht als Vertreter auftreten und seinen Willen an die Stelle des Willens des Betroffenen setzen kann, sondern nur beraten darf oder seine Zustimmung zum Geschäft erteilen muss.
 
=== e) Täuschung über die Geschäftsfähigkeit ===
 
Der Schutz des nicht Geschäftsfähigen genießt in allen Rechten Vorrang vor den Verkehrsinteressen. Folglich ist der bloße gute Glaube des Vertragspartners in die Geschäftsfähigkeit unbeachtlich. Etwas anderes gilt indes weithin, wenn der nicht Geschäftsfähige seinen Vertragspartner über seine Geschäftsfähigkeit in qualifizierter Form täuscht. Die bloße Angabe des falschen Alters genügt freilich nicht. Die Folgen einer solchen [[Täuschung]] sind in den einzelnen Rechten wieder unterschiedlich: Zum Teil darf sich der Betroffene nicht auf die [[Unwirksamkeit]] des Vertrages berufen, so dass dieser als wirksam behandelt wird. Zum Teil wird dem Vertragspartner ein [[Schadensersatz]]anspruch, in der Regel nur auf das negative Interesse, zugestanden.
 
=== f) Weitere Schutz&shy;mecha&shy;nismen in der Volljährigkeit ===
 
Mit Herabsetzung des Alters, ab dem eine Person als geschäftsfähig gilt, traten in vielen Rechtsordnungen andere Instrumente der [[Rechtsgeschäft]]slehre in den Vordergrund, mit denen geschäftlich Unerfahrene oder Willensschwache geschützt werden können. Sie wurden insbesondere wichtig, wenn es um die Wirksamkeit von durch sehr junge volljährige oder sehr alte nahe Angehörige bestellten Sicherheiten ging. Solche Bestellungen können wegen [[Sitten- und Gesetzwidrigkeit von Verträgen|Sittenwidrigkeit]] nichtig (Deutschland) oder wegen ''[[undue influence]]'' (England) oder eines Verstoßes gegen [[Treu und Glauben]] (Schottland) anfechtbar sein.
 
=== g) Internationales Privatrecht ===
 
Im europäischen Rechtsvergleich herrscht eine selbständige [[Anknüpfung]] der Geschäftsfähigkeit vor. Maßgeblich ist dabei regelmäßig die Staatsangehörigkeit. Nur wenige europäische Rechtsordnungen stellen dagegen auf den Wohnsitz ab. Die Rechtslage in England und Schottland ist uneinheitlich.
 
== 4. Einheitsrecht und Vereinheitlichungsprojekte ==
 
Das Einheits- und Gemeinschaftsrecht sowie die Vereinheitlichungsprojekte klammern mit Ausnahme des ''[[Code Européen des Contrats (Avant‑projet)|Code Européen des Contrats]]'' (Art.&nbsp;5, 150) bisher materielle Fragen der Geschäftsfähigkeit aus. Auch im [[internationales Privatrecht|internationalen Privatrecht]] schließen das EVÜ und die geplante Rom I-VO die Geschäftsfähigkeit vom Anwendungsbereich aus und enthalten nur eine Gutglaubensregel zum Schutze des Verkehrs.


==Literatur==
==Literatur==
''Hans-Georg Knothe'', Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen in geschichtlicher Entwicklung, 1983; ''Andreas Heldrich'','' Anton F. Steiner'', Capacity, in: IECL IV, Kap. 2-11&nbsp;ff., 1988; ''Konrad Zweigert'','' Hein Kötz'', Einführung in die Rechtsvergleichung, 3.&nbsp;Aufl. 1996, 341&nbsp;ff.; ''Hein Kötz'', Europäisches Vertragsrecht, Bd.&nbsp;1, 1996, 148&nbsp;ff.; ''Andreas Thier'', §§&nbsp;104–115, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd.&nbsp;I, 2003; ''Simon Deakin'', ‚Capacitas‘: Contract Law and the Institutional Preconditions of a Market Economy, European Review of Contract Law 2 (2006) 317&nbsp;ff.
''Hans-Hermann Seiler'', Der Tatbestand der negotiorum gestio im römischen Recht, 1968;'' Christian Wollschläger'', Die Geschäftsführung ohne Auftrag, 1976; ''Roland Wittmann'', Begriff und Funktion der Geschäftsführung ohne Auftrag, 1981; ''Samuel J. Stoljar'', Negotiorum gestio, in: IECL X, Kap.&nbsp;17, 1980; ''Heinz Kötz'', Geschäftsführung ohne Auftrag aus rechtsökonomischer Sicht, in: Festschrift für Bernhard Großfeld, 1999, 583&nbsp;ff.; ''Jan Smits'', The Good Samaritan in European Private Law, 2000; ''Hanoch Dagan'', The Law and Ethics of Restitution, 2004, 86&nbsp;ff.; ''Jeroen Kortmann'', Altruism in Private Law: Liability for Nonfeasance and Negotiorum Gestio, 2005, 81&nbsp;ff.; ''Heike Suderow'', Die Geschäftsführung ohne Auftrag: Ein Rechtsvergleich zwischen Deutschland, Frankreich und den Niederlanden, 2005<nowiki>; </nowiki>''Nils Jansen'', Negotiorum Gestio und Benevolent Intervention in Another’s Affairs: Principles of European Law?, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 15 (2007) 958&nbsp;ff.; ''idem'', §§ 677–687 I, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd.&nbsp;III, in Vorbereitung für 2010.


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Version vom 28. September 2021, 17:07 Uhr

von Nils Jansen

1. Gegenstand und Zweck der negotiorum gestio; Terminologie

Die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA; negotiorum gestio; gestion d’affaires d’autrui) bildet eine spezifische Schöpfung der römischen Juristen; sie findet sich heute nur in Rechtsordnungen, die genetisch auf das römische Recht zurückgehen. Danach soll ein vertragsähnliches Schuldverhältnis zwischen einem Geschäftsführer (gestor) und einem Geschäftsherrn (dominus) auch ohne eine vertragliche Absprache zwischen den Parteien zustande kommen können. Dabei hat ein spezifisches Kennzeichen der negotiorum gestio von jeher in ihrer dogmatisch-funktionalen Doppelnatur bestanden. Zum einen begründet sie nämlich Ausgleichsansprüche, die der Wiederherstellung der von Rechts wegen richtigen Güter- und Lastenzuordnung dienen; insoweit entspricht die GoA funktional dem Bereicherungsrecht und dem Eigentümer-Besitzerverhältnis. Zum anderen konstituiert die GoA aber auch besondere Verhaltens- und Sorgfaltspflichten und weist damit Parallelen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen (Dienst(leistungs)vertrag) auf. Ursprünglich standen dabei die Ansprüche des Geschäftsherrn auf Herausgabe des durch die Geschäftsführung Erlangten und auf Schadensersatz im Vordergrund; daneben ging es um die Verpflichtung des Geschäftsführers zur Auskunft und Rechnungslegung. Umgekehrt sollten dem Geschäftsführer Ausgleichsansprüche zustehen; ihm gebührte Ersatz seiner Aufwendungen und Befreiung von seinen Verbindlichkeiten infolge der Geschäftsführung. Die heute gleichermaßen wichtigen Fragen nach Vergütungs- und Schadensersatzansprüchen des Geschäftsführers gehören erst seit der Neuzeit zum Themenkreis der negotiorum gestio.

Bei all dem ist das Spektrum der Fälle, die unter diesem Titel einer negotiorum gestio bzw. GoA diskutiert und entschieden worden sind, weit: Von jeher ging es zum einen um den Regress nach Zahlung fremder Schulden, zum anderen um fremdnützige Hilfeleistungen, etwa die Sicherung eines baufälligen Hauses in Abwesenheit des Eigentümers, aber auch um eine unbeauftragte Prozessführung. Zu den disparaten Anwendungsfällen gehören aber auch der Streit um die Verpflichtung zur Rechnungslegung eines Erbschaftsbesitzers, der Deckungsverkauf nicht abgenommener Ware, der unbeauftragte Kauf einer Briefmarke für einen Sammler, aber auch die „Selbstaufopferung“ bei Rettungsaktionen oder bei – sogar unbewussten – Ausweichmanövern im Straßenverkehr. Die Praxis wird auch heute von Regressfragen bestimmt, wenn etwa Hoheitsträger Ansprüche für Leistungen wie das Löschen von Feuer geltend machen, zu denen sie kraft öffentlichen Rechts verpflichtet waren, oder wenn Dienstleistungen auf einen nichtigen Vertrag erbracht wurden. Verbreitet wird der Regress dann nicht auf das Bereicherungsrecht, sondern auf die GoA gestützt.

Das vergleichende Bild ist uneinheitlich: Das moderne englische common law lehnt ein derartig weites und konturenloses Rechtsinstitut ab und gewährt allenfalls in Einzelfällen besondere Ansprüche. Ähnlich beurteilt auch das österreichische ABGB die Führung fremder Geschäfte als grundsätzlich unzulässig (§ 1035 S. 1); die Lehre geht davon aus, dass die GoA zwar anerkannt, aber eng begrenzt sei. Zudem bestimmen die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, die die negotiorum gestio kodifiziert haben, ihren Anwendungsbereich weder funktional noch tatbestandlich einheitlich; auch innerhalb dieser Rechtsordnungen ist der Fragenkreis oft kontrovers. So hat die GoA im deutschen Recht einen besonders weiten Anwendungsbereich und gewährt besonders weitreichende Ansprüche. Demgegenüber gibt es weder im schottischen noch im französischen Recht einen Vergütungsanspruch; und der Schadensersatz ist in Schottland aus dem Anwendungsbereich des Instituts ausgegrenzt. Während in Schottland jedoch im Wesentlichen die Regeln des klassischen römischen Rechts angewendet werden, dem Geschäftsherrn also – wie in Deutschland – auch bei der unberechtigten Geschäftsführung die Ansprüche aus negotiorum gestio zustehen, hat die herrschende Lehre zum französischen Recht lange Zeit nur die berechtigte gestion d’affaires als solche anerkannt. Allerdings hat der Avant-projet einer Reform des französischen Obligationenrechts sich offenbar wieder den klassischen Standpunkt zu Eigen gemacht, erfasst also auch die unberechtigte GoA. Angesichts dieses Befunds ist es wohl irreführend, von einem einheitlichen Institut der GoA zu sprechen. Vielmehr findet sich in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen eine Reihe unterschiedlicher Rechtsinstitute, die jeweils auf die römische negotiorum gestio zurückgehen.

2. Tendenzen der Rechts­ent­wicklung

Die negotiorum gestio des römischen Rechts war in besonderem Maße von den Bindungen der öffentlichen Sozialmoral einerseits und durch ein besonders enges Vertragsrecht andererseits geprägt. Ursprünglich beruht das Institut auf sozialen Treuepflichten unter gleichrangigen Freunden bzw. zwischen Herren und Klienten, die von Rechts wegen zwar nicht bindend waren, gleichwohl aber vertragsrechtliche Sekundäransprüche auf Schadens- und Aufwendungsersatz auslösen konnten. Eine selbstgefährdende, tätige Nothilfe war dabei freilich nie das Thema. Vielmehr ging es den Römern allein um die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen, etwa um eine Vermögensverwaltung, um einen Prozess für einen Abwesenden oder auch um die Reparatur eines verfallenden Hauses.

Bereits die Römer hatten die negotiorum gestio freilich auch für Rückgriffs- und Abschöpfungsansprüche herangezogen, für die sich eine andere Anspruchsgrundlage nicht fand. Das war schon deshalb von besonderer Bedeutung, weil das römische Recht über kein allgemeines Bereicherungsrecht verfügte. Im ius commune musste diese Ausgleichsfunktion dann in den Vordergrund rücken, weil die Voraussetzungen der römischen negotiorum gestio (starke soziale Treuepflichten, enges Vertragsmodell) weggefallen waren und die lückenlose Abschöpfung ungerechtfertigter Bereicherungen stärker als ein Desiderat der Gerechtigkeit galt. Damit kam es zu einer paradigmatisch-funktionalen Verschiebung des Instituts hin zu einem flexiblen, aber auch konturlosen Ausgleichsmittel. Funktionale Pendants des heutigen Rechts sind – neben der GoA – das Bereicherungsrecht, das Eigentümer-Besitzerverhältnis oder auch Legalzessionen, wie sie sich bei der Lohnfortzahlung oder im Versicherungsvertragsrecht finden. Auch bei einer unberechtigten Geschäftsführung – nach verbreiteter Ansicht sogar bei einem Widerspruch des Geschäftsherrn – war ein geschäftsführungsrechtlicher Bereicherungsausgleich geschuldet. Bis heute geht es in der Praxis vieler europäischer Gerichte vor allem um Fragen des objektiv angemessenen Lastenausgleichs. Auf eine subjektive Geschäftsführungsabsicht bzw. altruistische Motivation kommt es dann nicht mehr an.

Seit dem 18. Jahrhundert ist es dann zu einer weiteren paradigmatischen Verschiebung der negotiorum gestio hin zu tätiger Nothilfe gekommen. Denn seit dem Naturrecht wurde die negotiorum gestio zunehmend als Ausdruck vertragsrechtlicher Wertungen gedeutet; als fiktiver Vertrag beruhte sie dann auf der Absicht des Geschäftsführers, für den Geschäftsherrn vertraglich tätig zu werden, und einem korrespondierenden vermuteten Einverständnis des Geschäftsherrn; die moderne ökonomische Analyse des Privatrechts hat die GoA auf dieser Linie als einen nur aufgrund hoher Transaktionskosten nicht zustande gekommenen „hypothetischen Vertrag“ gedeutet. Der Anwendungsbereich der negotiorum gestio war damit eng auf Aufwendungen zur Schadensabwehr beschränkt. Denn niemand braucht sich bloß Nützliches oktroyieren zu lassen. Seither galt die altruistische Nothilfe auch in der dogmatischen Literatur als Paradigma einer Geschäftsführung; zugleich steht die Frage einer Vergütung des Geschäftsführers zur Diskussion. Die Funktion der GoA als Ausgleichsinstitut geriet damit aus dem Blick. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist es dann noch zu einer weiteren Paradigmenverschiebung gekommen. Heute soll die GoA nämlich insbesondere auch die Selbstgefährdung bei Rettungsfällen mit erfassen. Primär geht es dabei um einen geschäftsführungsrechtlich begründeten Schadensersatzanspruch des Nothelfers. Wenn der Geschäftsherr heute weithin mit den Risiken der Nothilfe belastet wird, so steht dahinter eine Wertung, die traditionell nicht mit der negotiorum gestio verknüpft gewesen ist.

Mit all dem erweist sich die GoA als ein geradezu chamäleonartiges Rechtsinstitut; ihre Funktion besteht heute überall darin, (angebliche) Lücken im Bereicherungs-, Vertrags- und im Deliktsrecht zu schließen. Warum dafür die GoA herangezogen wird, ist leicht erklärlich: Kaum ein Tatbestand des Obligationenrechts ist gleichermaßen interpretationsoffen wie das negotium gestum des römischen Rechts, das „Besorgen eines Geschäfts für einen anderen ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung“ (§ 677 BGB), „het zich willens en wetens en op redelijke grond inlaten met de behartiging van eens anders belang“ (Art. 6:198 BW) oder die Formulierung des Art. 1372 Code civil: „Lorsque volontairement on gère l’affaire d’autrui, soit que le propriétaire connaisse la gestion, soit qu’il l’ignore“.

3. Sachfragen

Aus der traditionellen Sicht einer Rechtsordnung, die eine negotiorum gestio als geltendes Recht vorfindet, stellen sich zwei Gruppen von Sachfragen, nämlich einerseits die Rechtsfolgen einer Fremdgeschäftsführung, andererseits die richtige Formulierung des Tatbestands; dabei liegt auf der Hand, dass beide Fragen nicht unverbunden sind.

Bei den Ansprüchen des Geschäftsherrn geht es seit jeher um Schadensersatz und die Frage des Haftungsmaßstabs sowie um die Herausgabe des durch die Geschäftsführung Erlangten, also um das Problem der Gewinnhaftung. Daneben stehen Auskunfts- und Rechnungslegungspflichten des Geschäftsführers sowie die Frage, wie weit er verpflichtet ist, das Geschäft zu Ende zu führen, wenn er es begonnen hat. Für diese Rechtsfolgen bildet der bewusste Eingriff in den fremden Rechtskreis einen sachgerechten Anknüpfungspunkt, möglicherweise kann hier aber auch grobe Fahrlässigkeit genügen. Irrelevant ist jedenfalls eine altruistische Motivation bzw. Berechtigung zum Eingriff. Denn gerade gegenüber dem nichtberechtigten, eigennützig motivierten Eingreifer ist Rechtschutz erforderlich. In den meisten europäischen Rechtsordnungen war die negotiorum gestio deshalb von jeher asymmetrisch strukturiert: Für die Ansprüche des Geschäftsherrn galten andere, weiter gefasste Voraussetzungen als für die Gegenansprüche des Geschäftsführers. Die Berechtigung der Geschäftsführung ist nämlich nur für diese Gegenansprüche von Relevanz. Gleichwohl sind die Voraussetzungen der jeweiligen Ansprüche im 20. Jahrhundert von Stimmen in der deutschen und französischen Literatur bisweilen parallelisiert worden; die Berechtigung der Geschäftsführung wurde damit zu einer Voraussetzung der Ansprüche gegen den Geschäftsführer und der Tatbestand der GoA zugleich zu einem deliktsrechtlichen Rechtfertigungstatbestand (Lehre von der berechtigten GoA). Das bedeutet zwar eine einfache, intuitiv einleuchtende Dogmatisierung der negotiorum gestio, die sich bruchlos in das Schema der wechselseitigen Verträge einfügt und eine klare Abgrenzung zum Deliktsrecht leistet. Indes führen solche Konzeptionen bei unbefugtem Handeln im fremden Rechtskreis zu Rechtsschutzlücken; durchgesetzt haben sie sich deshalb nirgends.

Auf der Seite des Geschäftsführers geht es neben dem traditionellen Anspruch auf Aufwendungsersatz vor allem um eine Vergütung und um Schadensersatzansprüche sowie um eine Vertretungsmacht. All diese Fragen sind kontrovers. Bei der Vergütung steht die vertragsrechtliche Grundwertung, dass vertragliche Leistungsansprüche eine entsprechende Einigung voraussetzen – vgl. Art. 9 Fernabsatz-RL (RL 97/‌7) – der Gerechtigkeitsintuition gegenüber, dass man bestimmte Leistungen nicht unvergütet entgegennehmen könne; insbesondere gilt das für professionelle Nothilfe. Wurde dem Geschäftsführer deshalb im 20. Jahrhundert häufig auch eine Vergütung zugesprochen, so ist die jüngere Judikatur in Frankreich und Deutschland wieder restriktiv, weil ein Vergütungsanspruch in Fällen wie unbeauftragten Erbensuchern oder ungewollten medizinischen Eingriffen zu inakzeptablen Ergebnissen führen würde.

Ein Schadensersatzanspruch (Schadensersatz) des Geschäftsführers auch für Körperschäden bedeutet heute eine strikte Haftung für Rettungsrisiken. Demgegenüber beharrt insbesondere das common law auf der deliktischen Wertung, dass eine Verpflichtung zum Schadensersatz nur dann angemessen sein kann, wenn das Rettungsopfer die Rettung in zurechenbarer Weise „herausgefordert“ hat (danger invites rescue). In der Tat ist das Opfer häufig noch viel „schuldloser“ als der Helfer, der die Gefahr immerhin steuern kann. Sollen Nothelfer aus Gründen des öffentlichen Interesses von Rettungsrisiken freigehalten werden, so erfordert das deshalb eine öffentlich-rechtliche Lösung, etwa eine Sozialversicherung; seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzt sich diese Wertung in Europa zunehmend durch.

Auch die Vertretungsmacht des Geschäftsführers bildet ein historisch verhältnismäßig junges Problem. Allerdings ist im common law eine Notvertretungsbefugnis von Schiffskapitänen altes Recht (agency of necessity); sie wird in einigen romanischen Rechtsordnungen seit dem 19. Jahrhundert auch dem berechtigten Geschäftsführer eingeräumt. Besteht die Geschäftsführung in rechtsgeschäftlichem Handeln für den Geschäftsherrn, so ist das in der Tat wichtig, und zwar insbesondere bei einseitigen Rechtsgeschäften (etwa einer Kündigung für den nicht erreichbaren Herrn). Denn dann kann ein späterer Ausgleich nichts mehr helfen; bei Verträgen für einen Geschäftsherrn kommt es ohne eine solche Kompetenz zu einem unnötigen, wenig interessegerechten Regressdreieck über den Geschäftsführer.

Für die Berechtigung der Geschäftsführung, die die Gegenansprüche des Geschäftsführers rechtfertigt, gilt traditionell ein objektives Kriterium. Insbesondere wird gefragt, ob das Geschäft nützlich (utilis) bzw. „vernünftig“, „interesse- und willensgemäß“ oder „ordentlich“ (bien) geführt wurde. Für Aufwendungen und auch für eine Vergütung entspricht das weitgehend einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung (Bereicherungsrecht) unbestellter Leistungen. Divergenzen bestehen dann praktisch nur hinsichtlich der besonderen kondiktionsrechtlichen Ausschlusstatbestände, etwa bei sittenwidrigem Handeln oder bei bewusstem Leisten auf eine Nichtschuld. Etwas anderes gilt nur, wenn für die Berechtigung auf eine subjektive Einschätzung der Interessenlage des Geschäftsherrn durch den Geschäftsführer abgestellt wird, wie das von Vertretern der Lehre von der berechtigten GoA bisweilen vorgetragen wurde. Soweit der Geschäftsführer die Lage schuldlos falsch einschätzt, ist dann auch für ungewollte Dienstleistungen zu haften. Doch bricht eine solche deliktsrechtliche Wertung mit der Tradition der negotiorum gestio und ist im Ergebnis wenig plausibel.

Angesichts all dessen lautet die sachliche Hauptfrage heute, ob es überhaupt sinnvoll ist, an dem einheitlichen Rechtsinstitut einer negotiorum gestio festzuhalten: Schon die weitreichenden Ausgleichs- und Rückgriffsansprüche des Geschäftsführers hatten ursprünglich auf einer analogen Anwendung des Instituts beruht; erst recht war der Tatbestand der „nützlichen“ bzw. interesse- und willensgemäßen Geschäftsführung nicht für Vergütungs- und Schadensersatzansprüche formuliert. Warum diese funktional und teleologisch disparaten Ansprüche einen gemeinsamen, einheitlichen Tatbestand haben sollten, vermag abstrakt kaum einzuleuchten, und es erweist sich bei einer konkreten Analyse auch nicht als sachgerecht. Statt einer einheitlichen negotiorum gestio sollten die einzelnen Probleme deshalb jeweils im Sachzusammenhang diskutiert und gelöst werden. Wahrscheinlich sind dabei allenfalls punktuell – insbesondere bei der Vertretungsmacht – Regelungen erforderlich, die über das geltende Vertrags- (Vertrag), Delikts- und Bereicherungsrecht hinausgehen.

4. Vereinheitlichungsprojekte

Vereinheitlichungsprojekte zur negotiorum gestio hat es bis in die jüngste Zeit nicht gegeben; dazu fehlt dem Institut die praktische und internationale Relevanz. Auch die vergleichende Literatur ist begrenzt. Erst die Study Group on a European Civil Code hat auch die negotiorum gestio in den Blick genommen und 2006 ein erstes Regelungswerk vorgelegt (Principles of European Law. Benevolent Intervention in Another’s Affairs). Allerdings überzeugen diese Principles, die dogmatisch an die Lehre von der berechtigten GoA anknüpfen und paradigmatisch an der Nothilfe ausgerichtet sind, weder als vergleichende Bestandsaufnahme noch als zukunftsweisender Normvorschlag.

Literatur

Hans-Hermann Seiler, Der Tatbestand der negotiorum gestio im römischen Recht, 1968; Christian Wollschläger, Die Geschäftsführung ohne Auftrag, 1976; Roland Wittmann, Begriff und Funktion der Geschäftsführung ohne Auftrag, 1981; Samuel J. Stoljar, Negotiorum gestio, in: IECL X, Kap. 17, 1980; Heinz Kötz, Geschäftsführung ohne Auftrag aus rechtsökonomischer Sicht, in: Festschrift für Bernhard Großfeld, 1999, 583 ff.; Jan Smits, The Good Samaritan in European Private Law, 2000; Hanoch Dagan, The Law and Ethics of Restitution, 2004, 86 ff.; Jeroen Kortmann, Altruism in Private Law: Liability for Nonfeasance and Negotiorum Gestio, 2005, 81 ff.; Heike Suderow, Die Geschäftsführung ohne Auftrag: Ein Rechtsvergleich zwischen Deutschland, Frankreich und den Niederlanden, 2005; Nils Jansen, Negotiorum Gestio und Benevolent Intervention in Another’s Affairs: Principles of European Law?, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 15 (2007) 958 ff.; idem, §§ 677–687 I, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. III, in Vorbereitung für 2010.