Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch und Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch: Unterschied zwischen den Seiten

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== 1. Einführung ==
Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB) (12.3.1861) ist der wichtigste Meilenstein in der Entwicklung des deutschen [[Handelsrecht]]s. Zwar ist das ADHGB im Deutschen Reich bereits nach vier Jahrzehnten vom Handelsgesetzbuch (10.5.1897) abgelöst worden (1.1.1900). Aber viele seiner Vorschriften leben teils wörtlich, teils sinngemäß im Handelsgesetzbuch fort. In Österreich wurde das ADHGB erst nach dem „Anschluss“ außer Kraft gesetzt (insb. Verordnung vom 24.12.1938). In Liechtenstein gilt das ADHGB, wenn auch erheblich verändert, bis heute (Kundmachung vom 21.10.1997).


Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) ist die zentrale Kodifikation des österreichischen Zivilrechts.
Nachdem das ADHGB mangels übergeordneter Gesetzgebungskompetenz zunächst von den deutschen Partikularstaaten als Landesgesetz erlassen werden musste, wurde es einige Jahre später für das Gebiet des Norddeutschen Bundes als Bundesgesetz eingeführt (Gesetz vom 5.6.1869, § 1). Bei der Gründung des Deutschen Bundes (Verfassung vom 31.12.1870, Art. 80 Abs. 1) und des Deutschen Reiches (Gesetz vom 16.4.1871, § 2) wurde das ADHGB als Bundes- bzw. Reichsgesetz übernommen.


== 1. Vorarbeiten und Entstehung ==
== 2. Ausländische Handelsrechtskodifikationen ==
<nowiki>Das ABGB wurde als Anlage zum kaiserlichen Patent 946 als „Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten Deutschen Erbländer der Österreichischen Monarchie [am] 1. Junius 1811“ kundgemacht und trat nach kurzer Legisvakanz mit 1.1.1812 in Kraft. Seine Entstehungszeit liegt daher nahe bei der des französischen </nowiki> ''[[Code civil]]''. Heute ist das ABGB ein Bundesgesetz.
Das ADHGB steht in der Tradition älterer ausländischer Handelsrechtskodifikationen, deren einflussreichste der frz. ''[[Code de Commerce]] ''(1807) war. Der ''Code de Commerce ''hat europaweit den Erlass von Handelsgesetzbüchern inspiriert und maßgeblich inhaltlich bestimmt, so den span. ''Codigo de Comercio ''(1829), den portug. ''Codigo Commercial ''(1833) und das niederl. ''Wetboek van Koophandel ''(1838). In einigen Ländern des Deutschen Bundes galt der ''Code de Commerce'' bis zum Erlass des ADHGB sogar unmittelbar. Im Großherzogtum Baden wurde er in deutscher Übersetzung als Anhang zum frz. ''[[Code civil|Code Civil]] ''(1804) erlassen, als „Code Napoléon mit Zusäzen und Handelsgesezen als Land-Recht für das Großherzogthum Baden“ (1809). Selbst in den preußischen Rheinprovinzen wurde nicht das [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten]] (1794) eingeführt, sondern das französische Recht beibehalten.


<nowiki>Im Zeitpunkt der Einführung galt das ABGB als modernes, vernunftgeprägtes und wegweisendes Gesetz. Starken inhaltlichen Einfluss auf seine Entstehung hatte das Naturrecht. Deutlich wird das etwa in §&nbsp;16 ABGB: „Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten. Sklaverei oder Leibeigenschaft, und die Ausübung einer darauf sich beziehenden Macht wird [] nicht gestattet.“ Derartige Bestimmungen waren zu der Zeit keineswegs selbstverständlich. </nowiki>''Kaiser Franz I.'' regierte als absoluter Monarch „mit eiserner Hand“. Das Zeitalter ''Metternichs’'' (ab 1809 Außenminister; ab 1821 Haus-, Hof- und Staatskanzler) war geprägt durch polizeistaatliche Methoden und einen streng autoritären Regierungsstil. Der liberale Charakter des ABGB steht dazu in einem deutlichen Kontrast und geht auf die jahrzehntelangen Vorarbeiten zurück, die großteils im Zeitalter der Aufklärung stattfanden.
== 3. Partikularrechtliche Entwürfe von Handelsrechtskodifikationen ==
In keinem der deutschen Partikularstaaten hat es vor der Einführung des ADHGB eine eigenständige [[Kodifikation]] des [[Handelsrecht]]s gegeben. Allerdings wurden einige Entwürfe ausgearbeitet, welche die Entwicklung des ADHGB maßgeblich gefördert und vorbereitet haben.


1709 wurde von ''Joseph I.'' eine Kompilationskommission eingesetzt, die aber bald ins Stocken geriet. ''Kaiserin Maria Theresia'' setzte erneut unter dem Vorsitz des Prager Professors ''Joseph v. Azzoni ''eine Kompilationskommission ein. Es folgte ein Entwurf der entsprechend den Institutionen des ''Gaius'' in ''personae'', ''res'', ''actiones ''eingeteilt war (die Einteilung lag auch später dem ABGB zugrunde). Als Ergebnis der Arbeiten dieser Kommission und der Revisionskommission entstand bis 1766 in Brünn der ''Codex'' ''Theresianus'', der allerdings nie in Kraft gesetzt wurde und als zu romanistisch, kasuistisch und in der Folge als zu umfangreich kritisiert wurde. Die 1771 aufgetragene Überarbeitung und Kürzung mündete im Entwurf Horten (benannt nach ''Johann Bernhard Horten''). Der erste Teil dieses Entwurfs wurde 1772 vorgelegt.
Die quantitativ und qualitativ bedeutsamste Diskussion über die Kodifizierung des Handelsrechts wurde in Preußen geführt (seit 1817). Preußen besaß seit dem [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten]] (1794) detaillierte Bestimmungen über den Handelsstand (II 8 §§&nbsp;475-2464). Es zeigte sich jedoch rasch, dass die Vorschriften nicht den Verkehrsbedürfnissen entsprachen, insbesondere im [[Gesellschaftsrecht]] und Wechselrecht. Obwohl die Mängel des geltenden Rechts früh erkannt wurden, dauerte es vier Jahrzehnte, bis der „Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten“ (1857) veröffentlicht wurde. Dieser Entwurf war dann aber so ausgereift, dass er den Beratungen des ADHGB zugrundegelegt werden konnte (s.u.&nbsp;5.).


Unter ''Kaiser Joseph II.'' wurde der Entwurf von ''Horten'' und ''Joseph v.'' ''Sonnenfels'' überarbeit und als erster Teil des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs 1787 in Kraft gesetzt (Josephinisches Gesetzbuch). Die übrigen beiden Teile konnten allerdings bis zum Abbruch der Arbeiten im Jahr 1776 nicht fertig gestellt werden und ihre geplante Umarbeitung gelang auch danach nicht.
Ebenfalls gedruckt wurden der Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Königreich Württemberg (1839/1840), der Entwurf einer Handels- und Wechsel-Ordnung für das Herzogthum Nassau (1842) sowie zwei österreichische Entwürfe (1849/1857).


Erst unter ''Kaiser Leopold II''. wurde wieder eine Kompilationskommission berufen. Den Vorsitz führte ''Karl Anton v. Martini'', dessen naturrechtliche Einflüsse den 1796 vorgelegten Entwurf prägten und damit auch das spätere ABGB. Nicht ohne Einfluss auf den Entwurf ''Martini'' blieb das [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten]] (ALR). Im Jahr 1797, also noch während der Begutachtung des neuen Entwurfs, wurde er in Westgalizien, bald danach in Ostgalizien in Kraft gesetzt (deswegen auch Westgalizisches Gesetzbuch genannt). Damit sollte die Praxistauglichkeit erprobt werden.
== 4. Politischer Weg zum ADHGB ==
An keiner anderen [[Kodifikation]] wird der langsame und zähe Weg der Einigung der deutschen Nation von der Auflösung des [[Heiliges Römisches Reich|Heiligen Römischen Reiches]] (1806) bis zur Gründung des Deutschen Reiches (1871) deutlicher als an Hand des ADHGB.


1797 schied ''Martini'' aus der Kommission aus und sein Schüler ''Franz v. Zeiller'', der in Wien Naturrecht und Römisches Recht lehrte, wurde als Referent in die Kommission berufen. Auf Grundlage des Entwurfs ''Martini'' und der dazu bis 1801 eingelangten Gutachten kam es in drei Lesungen zu umfassenden Überarbeitungen. Kurz nach der Kundmachung 1811 erschien der von ''Zeiller'' verfasste, erste Gesetzeskommentar.
=== a) Kodifizierungsbestrebungen nach den Befreiungskriegen ===
Nach den Befreiungskriegen gab es zahlreiche Initiativen und Vorschläge zur Vereinheitlichung des Handelsrechts, teils im Kontext der allgemeinen Kodifizierungsdiskussion, teils aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen. Bekanntester Befürworter der Einführung eines nationalen Zivilgesetzbuches war ''Anton Friedrich Justus Thibaut'' (1772-1840), Autor der vielbeachteten Streitschrift „Ueber die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland“ (1814). Die volkswirtschaftlichen Vorteile einer einheitlichen Kodifikation, also die Erleichterungen des wirtschaftlichen Austauschs zwischen den Partikularstaaten, klingen bei ''Thibaut ''allerdings lediglich am Rande an (33). Die Nachteile, vor allem der Verlust des Wettbewerbs um die besten Rechtsregeln ([[Wettbewerb der Rechtsordnungen]]), werden ebenso wenig thematisiert.


== 2. Geltungsgebiete ==
Die Politik hat die Rechtsvereinheitlichung in den ersten Jahrzehnten weder unterstützen wollen noch – angesichts ihrer bescheidenen Mittel – können. In der Deutschen Bundesakte (8.6. 1815) heißt es, die Mitglieder des Deutschen Bundes behielten sich vor, „bey der ersten Zusammenkunft der Bundesversammlung in Frankfurth wegen des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten, so wie wegen der Schifffahrt nach Anleitung der auf dem Kongreß zu Wien angenommenen Grundsätze in Berathung zu treten“ (Art.&nbsp;19). Bei diesem Programmsatz hatte es sein Bewenden. In der Wiener Schlußakte (15.5.1820) werden diese Gegenstände nur noch „zur fernern Bearbeitung vorbehalten“ (Art.&nbsp;65).
Das ABGB galt zunächst in allen damals zu Österreich gehörenden Provinzen. Neben dem heutigen Gebiet Österreichs waren das unter anderem weite Gebiete des heutigen Italien (Südtirol, Lombardei und Venetien), sowie Böhmen und Mähren, Teile des heutigen Polens und der Ukraine. Zunächst noch nicht in Kraft gesetzt wurde es in den Ländern der Ungarischen Krone. Nach dem Pariser Frieden (1814) wurde es in den neu erlangten Ländern nach und nach eingeführt (1814-1820), sowie unter anderem in Krakau, Ungarn, Kroatien, Slawonien, Serbien, Banat (1852) und Siebenbürgen (1853).


In Ungarn wurde das ABGB aus politischen Gründen noch vor dem österreichisch-ungarischen Ausgleich (1867) außer Kraft gesetzt und das frühere ungarische Privatrecht wiederhergestellt. Bis 1920 gehörte zu Ungarn auch das südlich von Wien entlang der ungarischen Grenze liegende Burgenland. Erst 1920 kam dieses als neues Bundesland zu Österreich, wodurch das ABGB dort erst dann eingeführt wurde. In Liechtenstein wurde das ABGB rezipiert. Bis in die zweite Hälfte des 20.&nbsp;Jahrhunderts stand es in der damaligen Tschechoslowakei in Geltung.
=== b) Initiativen im Deutschen Zollverein ===
Württemberg nutzte bereits die erste Generalkonferenz (1836) des Deutschen Zollvereins, um auf eine Vereinheitlichung des Handelsrechts hinzuwirken (Haupt-Prot. vom 12.9.1836, §&nbsp;40; Beilage XI vom 29.7.1836). Der Antrag wurde nicht weiterverfolgt, weil es den Bevollmächtigten „an Instruktion über den ... aller Beachtung werthen Gegenstand“ mangelte (Haupt-Prot., ebd.). Bei der zweiten Konferenz (1838) wurde der Antrag „in seinem ganzen Umfange nicht wieder aufgenommen, indem man allseitig die Ueberzeugung theilt, daß zur Vereinbarung über eine, das gesammte Handels- und Wechselrecht umfassende gemeinschaftliche Gesetzgebung kaum zu gelangen sein werde“ (Haupt-Prot. vom 6.8.1838, §&nbsp;15). Auf der achten Konferenz (1846) verständigten sich die Vereinsstaaten auf Antrag Württembergs, „die Bemühungen zuvörderst auf einen einzelnen speziellen Gegenstand der Handels-Gesetzgebung zu richten“ und eine Kommission zur Vereinheitlichung des Wechselrechts zu bilden (Haupt-Prot. vom 17.8.1846, §&nbsp;24). Am Ende der daraufhin einberufenen Wechselrechtskonferenz (1847) drang Württemberg nochmals darauf, das übrige Handelsrecht ebenfalls anzugleichen (Prot. Nr.&nbsp;34 vom 8.12.1847, 246).


== 3. Gliederung und Inhalte ==
Nach dem Intermezzo der Frankfurter Nationalversammlung (s.u.&nbsp;4.&nbsp;c) beschäftigte sich die zehnte Generalkonferenz des Zollvereins (1854) erneut auf Antrag Württembergs mit der Vereinheitlichung des Handelsrechts (Haupt-Prot. vom 20.2.1854, §&nbsp;54). Der weitere politische Weg führte jedoch nicht mehr über den Zollverein, sondern den Deutschen Bund (s.u.&nbsp;4.&nbsp;d).
Die Gliederung des ABGB geht im Wesentlichen auf den ''Codex Theresianus'' und damit auf die von Gaius stammende Einteilung in ''personae'', ''res'', ''actiones'' zurück.


Das ABGB beginnt mit einer Einleitung „Von den bürgerlichen Gesetzen überhaupt“ (§§&nbsp;1-14). Diese Paragraphen sind insbesondere für die Gesetzesauslegung im Allgemeinen und die sich daraus ergebenden methodischen Folgen noch immer von grundlegender Bedeutung (z.B. §§&nbsp;6&nbsp;ff.); heute würde dies dem Allgemeinen Teil zugeordnet werden.
=== c) Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland ===
Die Frankfurter Nationalversammlung (1848/ 1849) gab den Bemühungen um eine Harmonisierung des deutschen Handelsrechts nur wenige Impulse. Zwar wurde in der Verfassung des deutschen Reiches (28.3.1849) eine entsprechende Gesetzgebungskompetenz vorgesehen: „Der Reichsgewalt liegt es ob, durch die Erlassung allgemeiner Gesetzbücher über bürgerliches Recht, Handels- und Wechselrecht, Strafrecht und gerichtliches Verfahren die Rechtseinheit im deutschen Volke zu begründen.“ (§&nbsp;64). Mit dem frühen Ende der Versammlung scheiterte aber der Versuch, das Handelsrecht zu vereinheitlichen.


Der erste Teil handelt „Von dem Personenrechte“ (§§&nbsp;15-283). Er enthält Regelungen zum Personenrecht, dem [[Allgemeiner Teil|Allgemeinen Teil]] und dem Familienrecht.
Immerhin ist das Fragment eines (Roh&#8209;) Entwurfs eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland (1849) in der Folgezeit viel zitiert worden. Außerdem wurde – als eines der wenigen Gesetze der Versammlung überhaupt – der Entwurf einer Allgemeinen Deutschen Wechselordnung (9.12.1847) beschlossen, welchen die vom Zollverein eingesetzte Wechselrechtskonferenz erarbeitet hatte (s.o.&nbsp;4.&nbsp;b), und im neuen Reichsgesetzblatt verkündet (Gesetz vom 26.11.1848); die rechtliche Wirkung der Publikation blieb ungewiss.


Der zweite Teil „Von dem Sachenrechte“ (§§&nbsp;285-1341) betrifft Gebiete, die man heute als Sachenrecht, Erbrecht und Schuldrecht bezeichnen würde.
=== d) Einsetzung der Handelsrechtskommission des Deutschen Bundes ===
Während in den ersten Jahrzehnten die Generalversammlungen des Zollvereins als Forum für Diskussionen über die Vereinheitlichung des Handelsrechts gewählt wurden (s.o.&nbsp;4.&nbsp;b), übernahm diese Funktion nach der Märzrevolution der Deutsche Bund. So verschob sich der Schwerpunkt, wie ''Otto von Bismarck''<nowiki> (1815-1898) befürchtet hatte, „aus dem Preußischen Zollvereinsprimat in die [sc. von Österreich dominierte] Bundesversammlung und deren Präsidium“ (Bericht vom 29.4.1856).</nowiki>


Der dritte Teil „Von den gemeinschaftlichen Bestimmungen der Personen- und Sachenrechte“ (§§&nbsp;1342-1502) enthält hauptsächlich Regelungen, die heute dem Allgemeinen Teil zuzuordnen wären (etwa [[Verjährung]]).
Nach gescheiterten Versuchen zu Beginn des Jahrzehnts (BV-Prot. vom 9.8.1851, §&nbsp;112) beschäftigte sich die Bundesversammlung erst wieder zur Mitte der Dekade mit der Harmonisierung des Handelsrechts (BV-Prot. vom 21.2.1856, §&nbsp;71). Diese von Bayern initiierten Bemühungen führten bereits zwei Monate später zum Erfolg, nämlich zur Einsetzung einer „Commission zur Ausarbeitung und Vorlage des Entwurfes eines allgemeinen Handelsgesetzbuches“ (BV-Prot. vom 17.4.1856, §&nbsp;141). Nach der von allerlei politischen Scharmützeln begleiteten Klärung der technischen Details wurde beschlossen, im Januar 1857 mit den Beratungen (s.u.&nbsp;5.) zu beginnen (BV-Prot. vom 18.12.1856, §&nbsp;352).


Zwar ist das ABGB das zentrale Gesetz des Bürgerlichen Rechts in Österreich; zahlreiche andere Gesetze ergänzen oder verdrängen es aber. Das betrifft in unterschiedlichem Ausmaß fast alle vom ABGB erfassten Rechtsgebiete. So finden sich für das Familienrecht wesentliche Regelungen im Ehegesetz (das 1938 aus Deutschland übernommen wurde), für das Sachenrecht im Grundbuchsgesetz, für das Vertragsrecht insbesondere im Konsumentenschutzgesetz, für das Mietrecht im Mietrechtsgesetz, für das Schadensersatzrecht im Reichshaftpflichtgesetz, im Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz, im Amtshaftungsgesetz und im Dienstnehmerhaftpflichtgesetz.
=== e) Einführung des ADHGB in den Partikularstaaten ===
Nach vierjährigen Beratungen (s.u.&nbsp;5.) vollendete die Handelsrechtskommission den „Entwurf eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buchs“ (12.3.1861). Geltungskraft verleihen konnte dem Entwurf allerdings weder die Kommission noch der Deutsche Bund, weil eine den Partikularstaaten übergeordnete Gesetzgebungskompetenz fehlte. Da die Mitgliedstaaten überdies darauf verzichtet hatten, sich im Wege eines Staatsvertrages zur Einführung des Handelsgesetzbuches zu verpflichten, erwuchs „aus der Antheilnahme an den commissionellen Berathungen keiner Regierung die Verpflichtung ..., dem aus diesen Berathungen hervorgehenden Entwurfe ihre Zustimmung zu ertheilen, und ihn in Wirksamkeit zu setzen“ (BV-Prot. vom 4.12.1856, §&nbsp;328). Ein deutsches Handelsgesetzbuch konnte also nur dann entstehen, wenn die Partikularstaaten den Entwurf unverändert als ihr jeweiliges Handelsgesetzbuch erließen. In diesem Sinne beschloss die Bundesversammlung, „an sämmtliche höchsten und hohen Bundesregierungen die Einladung zu richten, dem ... Entwurfe eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches baldmöglichst und unverändert im geeigneten Wege Gesetzeskraft in ihren Landen zu verschaffen“ (BV-Prot. vom 31.5.1861, §&nbsp;151).


== 4. Entwicklung 1810–1848 ==
Um seine staatspolitische Verantwortung zu dokumentieren, nahm Preußen lediglich wenige Ergänzungen vor. Die Grundstimmung kommt besonders in den Schlussworten des Berichterstatters der im preußischen Herrenhaus gebildeten Kommission zum Ausdruck: „Nimmt heute das hohe Haus das Handelsgesetzbuch nicht an, so hat der Preußische Staat einen unwiederbringlichen Verlust in den Augen Deutschlands zu erleiden, und darum, meine Herren, empfehle ich Ihnen die unveränderte Annahme des gedachten Gesetzes.“ (Plenar-Prot. des Herrenhauses vom 1.6.1861, 688). Appelle dieser Art und die enge Terminierung der Beratungen verfehlten ihre Wirkung nicht. In kaum zu übertreffender Geschwindigkeit wurde das Einführungsgesetz (24.6.1861) durch das Haus der Abgeordneten und das Herrenhaus gepeitscht.
Die österreichische Lehre nahm das Gesetz zunächst als bedeutendes Ergebnis jahrzehntelanger Kodifikationsarbeiten an. Kritik an dem neuen Gesetz aus den ersten Jahrzehnten seiner Geltung findet sich kaum, wozu der von ''Zeiller'' 1810 neu gestaltete Studienplan beigetragen haben dürfte. Lehre und Forschung orientierten sich in der Anfangsphase des ABGB vor allem am Wortlaut, während die entstehende Rechtsprechung das Gesetz erst nach und nach mit Leben erfüllte. Es ist allerdings nicht weiter verwunderlich, dass das ABGB in seiner ersten Zeit keine kritische Würdigung erlebte; denn damit wäre auch die staatliche Autorität hinterfragt worden – wofür im Zeitalter ''Metternichs'' kein Raum blieb.


Anfang des 19.&nbsp;Jahrhunderts entstand (vorwiegend) in Preußen die [[Historische Rechtsschule]], als deren Begründer und bedeutendster Vertreter ''Friedrich Carl von Savigny'' (1779-1861) gilt. Die Betonung der historischen Grundlagen bedeutete eine radikale Abkehr von der Gedankenwelt des Naturrechts, die für das 18.&nbsp;Jahrhundert und auch für das ABGB prägend gewesen war. ''Savigny'' war gegenüber dem ABGB äußerst kritisch. Seine Haltung ging allerdings auch darauf zurück, dass ''Savigny'' überhaupt gegen die Idee der Kodifikation war. Deutschland war von einer Einheit noch weit entfernt und in zahlreiche Kleinstaaten aufgeteilt, als das ABGB in der österreichischen Monarchie in Kraft gesetzt wurde. Nicht zuletzt um dem politischen Gedanken eines deutschen Staates Vorschub zu leisten, trat ''Anton Friedrich'' ''Justus Thibaut'' (1772-1840) für eine einheitliche Kodifikation der Deutschen Staaten ein. ''Savigny'' war hingegen der Ansicht, die Zeit für eine Kodifikation sei noch nicht gekommen und plädierte für eine organische Angleichung des Rechts, bei der den historischen Grundlagen und der Rechtswissenschaft besondere Bedeutung zukommen sollte. Dem stand eine Kodifikation im Wege. Wenig überraschend ist daher, dass ''Savigny'' in seiner berühmten Schrift, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (1814) das ABGB als neue deutschsprachige Kodifikation nicht mit lobenden Worten bedachte.
Hamburg als im Handel besonders kenntnisreiche Hansestadt und kritischste Stimme während der Entwurfsberatungen ließ sich mit der Einführung des ADHGB sehr viel mehr Zeit. Der „Bericht der von Senat und Bürgerschaft zur Prüfung des Entwurfs eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches niedergesetzten Commission“ (Mittheilung des Senats Nr.&nbsp;74 vom 31.8.1864) wurde erst nach drei Jahren vorgelegt, das Einführungsgesetz erst zu Ende des folgenden Jahres verabschiedet (22.12.1865). Auch Hamburg nahm das ADHGB schließlich unverändert an, sah im Einführungsgesetz aber einige bedeutsame Abweichungen vor. Für den Handelsverkehr und die Entwicklung des Handelsrechts waren diese ergänzenden Bestimmungen überwiegend günstig, insbesondere der Verzicht auf die Genehmigungspflichtigkeit (Art. 208, 249 ADHGB) der Aktiengesellschaft (§&nbsp;25 Einführungsgesetz). Für die angestrebte Rechtsvereinheitlichung bedeuteten diese Sonderwege freilich einen Rückschritt.


== 5. ''Joseph Unger'' und ''Thun-Hohenstein'': Die „Historisierung“ des ABGB ==
== 5. Beratung des Entwurfs ==
Ungeachtet des Kodifikationsstreits hatte sich die Historische Schule in der deutschen Rechtswissenschaft eine überwältigende Vormachtstellung erobert. In einem Umfeld lebhafter wissenschaftlicher Diskussion entstanden zahlreiche neue Publikationen. Neue Zeitschriften wurden gegründet. Die Aufarbeitung des [[römisches Recht|römischen Recht]]s hatte eine für die Rechtswissenschaft ungewohnte und geradezu ungeheure Dynamik angenommen.
Der Beginn der Beratungen der Handelsrechtskommission (15.1.1857) könnte kaum unter schlechteren Vorzeichen gestanden haben. Die Stimmung zwischen Preußen und Österreich war – wie fast immer in diesen Jahren – äußerst gereizt; nicht einmal bei der Wahl des Ortes war man sich einig, da Preußen gegen Frankfurt am Main vorbrachte, hier bestehe die Gefahr, dass die Konferenzmitglieder „durch politische und diplomatische Einflüsse beirrt“ werden (BV-Prot. vom 13.11.1856, §&nbsp;299). Kaum hatten die Beratungen schließlich in Nürnberg begonnen, drohte weiteres Ungemach: Sowohl Preußen als auch Österreich hatten Entwürfe ausgearbeitet (s.o.&nbsp;3.). Wessen Vorlage sollte Grundlage der Beratungen werden?


In Österreich Das wurde das alles zunächst kaum wahrgenommen. Schlagartig änderte sich das 1848, als in ganz Europa und in mehreren Städten der österreichischen Monarchie zahlreiche blutige Unruhen und Proteste ausbrachen. Nachdem die Ruhe wiederhergestellt worden war, wurde die bereits früher begonnene Universitätsreform und besonders die des Rechtsstudiums neu überdacht. Die naturrechtliche Schule wurde wegen ihrer liberalen Grundhaltung für eine der Ursachen der Unruhen und des mangelnden Autoritätsbewusstseins gehalten. Dieses Übel galt es zu beseitigen. Außerdem wollte man das Niveau der österreichischen Universitäten anheben. 1849 wurde ''Graf Leopold Thun-Hohenstein'' (1811-1888) zum Unterrichtsminister berufen. In seiner mehr als ein Jahrzehnt dauernden Amtszeit konnte er zunächst gegen heftigen Widerstand eine radikale Universitätsreform durchsetzten, weil es ihm gelang, den Kaiser von seinen Plänen zu überzeugen. Politisch besonders umstritten war die von ''Thun-Hohenstein'' durchgesetzte Lehr- und Lernfreiheit. Anders als es die Josephinischen Universitätsreformen vorgesehen hatten, sollte nicht mehr die Praxistauglichkeit der Ausbildung im Vordergrund stehen. Die Autonomie und strengere Qualitätskontrolle bei Berufungen waren ''Thun-Hohenstein ''ein besonderes Anliegen. Dazu sollte den Universitäten nicht zuletzt mehr Freiheit bei den Berufungen eingeräumt werden. ''Thun-Hohenstein'' selbst legte sich als Minister allerdings keine Zurückhaltung auf, wenn er bei Berufungen eine von der Kommission abweichende Vorstellung hatte.
Es ist ein bis heute wenig erforschtes und wenig gewürdigtes „Wunder“, dass die Konferenzteilnehmer (Namen in BV-Prot. vom 8.5.1861, §&nbsp;132) trotz der politischen Spannungen Zeit und Muße fanden, Einzelfragen des Handelsrechts im Detail und oft auf höchstem Niveau zu diskutieren. Zwar geben die veröffentlichten Protokolle vermutlich ein etwas zu positives Bild. Aber die internen Berichte der Konferenzteilnehmer an ihre Regierungen bestätigen, dass es eine intensive sachliche Diskussion gab. Das Ergebnis spricht für sich: Die Protokolle zu den 589 durchnummerierten Sitzungen, zu denen eine Reihe vorbereitender Sitzungen kommen, füllen 5.152 halbseitig bedruckte Folioseiten. Noch anderthalb Jahrhunderte später sind diese Unterlagen nebst ihren Anlagen die wichtigste historische Auslegungsquelle des deutschen Handelsrechts.


''Thun-Hohenstein'', selbst Jurist, widmete sich besonders der Reform der Juristenausbildung. Erklärtes Ziel war es, die österreichische Ausbildung an die deutsche Historische Schule anzunähern, um eine wissenschaftlichere, gründlichere Methodik zu erreichen und die historische Kontinuität gegenüber liberalen Ansätzen zu stärken. Dass die Reformen ''Thun-Hohensteins'' nachhaltigen Einfluss nehmen konnten, hat im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens blieb er lange genug Minister, um die Umsetzung nach seinen Vorstellungen zu beeinflussen. Zweitens war ihm 1857 die Berufung ''Joseph Ungers'' (1828-1913) an die Universität Wien gelungen.
Das Problem der Auswahl eines Entwurfs wurde bereits in der zweiten vorbereitenden Sitzung gelöst. Grundlage der Beratungen sollte, so der einstimmige Beschluss (Sitzung am 17.1. 1857, Prot. ADHGB, 6), der preußische Entwurf (s.o.&nbsp;3.) sein. Dem österreichischen Entwurf (der frühere ist der sog. „gedruckte“ oder „ministerielle“, der spätere der sog. „lithographirte“ oder „revidirte“) war nach ebenfalls einstimmigem Beschluss „fortwährend volle Beachtung zuzuwenden“ (ebd.) – eine sehr diplomatische Formulierung dafür, dass im Verlaufe der Konferenz nur selten auf Vorschriften des österreichischen Entwurfs eingegangen wurde. Hierfür dürften letztlich sachliche und nicht politische Gründe entscheidend gewesen sein, denn die österreichischen Entwürfe waren für jeden Beobachter ersichtlich weniger ausgereift als der preußische. In den höflichen Worten des den Vorsitz führenden bayerischen Staatsministers: Der preußische Entwurf umfasse „mehr Materien“ als der österreichische Entwurf und es sei „bei legislativen Berathungen erfahrungsgemäß weit leichter ..., aus einem größeren Materiale etwa Entbehrliches auszuscheiden, als zu einer minder umfangreichen Grundlage Alles was in einer Versammlung für wesentlich befunden werden konnte, hinzuzufügen“ (ebd.). Der preußische Entwurf hatte zudem den Vorteil, dass sich Preußen im Kleinen vor einer qualitativ vergleichbaren Herausforderung sah wie die deutschen Staaten im Großen: der Vereinheitlichung des Handelsrechts trotz divergierenden Zivilrechts ([[Ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']]<nowiki>; </nowiki> ''[[Code civil|Code Civil]]''<nowiki>; </nowiki>[[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten]]).


Auch ''Unger'' war davon überzeugt, dass die Österreichische Wissenschaft und Ausbildung an die Historische Schule anknüpfen müsse und verhalf dieser in Österreich zum Durchbruch. Damit setzte eine tiefgehende Beschäftigung mit dem Römischen Recht ein. Ebenso wurde die Entstehungsgeschichte des ABGB aufgearbeitet, wozu besonders Arbeiten von ''Leopold'' ''Pfaff'', ''Phillip Ritter von Harrasowsky'' (Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen I-V, 1883-1886) und ''Julius'' ''Ofner'' (Der Ur-Entwurf und die Beratungsprotokolle des Österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches I und II, 1888 und 1889) beitrugen. Mit dem von ''Unger'' verfassten „System des österreichischen Privatrechts“ (1856-1859) wurde entsprechend der Historischen Schule die Gliederung in einen Allgemeinen Teil, Sachenrecht, Schuldrecht, Familienrecht und Erbrecht übernommen (die sich zuerst bei ''Georg Arnold'' ''Heise'', Grundriss des Zivilrechts, 1807 fand). Dieser Einteilung folgen bis heute alle österreichischen Lehrbücher, obwohl das Gesetz dreiteilig gegliedert ist.
Die erste Lesung der ersten drei (später vier) Bücher des ADHGB umfasste 98 Sitzungen (Nr.&nbsp;1-98, Prot. ADHGB, 9-875) innerhalb eines knappen halben Jahres (21.1.1857-2.7.1857), die zweite Lesung 78 Sitzungen (Nr.&nbsp;99-176, Prot. ADHGB, 878-1469) in weiteren sechs Monaten (19.9.1857-3.3.1858). In den folgenden beiden Jahren wurde in Hamburg (BV-Prot. vom 23.7.1857, §&nbsp;273) das fünfte Buch über den Seehandel beraten: die erste Lesung bestand aus 245 Sitzungen (Nr.&nbsp;177-421, Prot. ADHGB, 1476-3692) und dauerte anderthalb Jahre (28.4.1858-25.10.1859), die zweite Lesung aus 126 Sitzungen (Nr.&nbsp;422-547, Prot. ADHGB, 3693-4491) in sechseinhalb Monaten (9.1.1860-22.8.1860).


''Unger''s herausragender Einfluss war für eine weitere Entwicklung prägend: Durch seine Orientierung an der deutschen Rechtswissenschaft hatte er'' ''die kontinuierliche und bis heute selbstverständliche Auseinandersetzung der österreichischen Rechtswissenschaft und Rechtsprechung mit der deutschen Lehre und Rechtsprechung eingeleitet. Nicht immer, aber sehr oft wird die deutsche Rechtswissenschaft oder Rechtsprechung in Österreich deswegen rezipiert. In manchen Bereichen hat sich das Bürgerliche Recht in Österreich der deutschen Rechtslage trotz unterschiedlicher Gesetze angenähert.
Vor der dritten Lesung der ersten vier Bücher wurde eine einschneidende organisatorische Entscheidung getroffen, die zu erheblichen Verstimmungen zwischen den Staaten führte: Bayern, Österreich und Preußen verständigten sich darauf, zur dritten Lesung lediglich einen Teil der Änderungsanträge der Staatsregierungen zuzulassen, und konnten sich hiermit trotz massiven Widerstands durchsetzen. Die so verkürzte dritte Lesung umfasste 41 Sitzungen (Nr.&nbsp;548-588, Prot. ADHGB, 4493-5149) und dauerte knapp vier Monate (19.11.1860-11.3.1861).


== 6. Bilanz nach 100 Jahren – drei Teilnovellen ==
== 6. Inhalt des Entwurfs ==
Erst 50 Jahre nachdem die Historische Schule begonnen hatte, die österreichische Privatrechtswissenschaft, die Juristenausbildung und mit ihr die Rechtsprechung zu vereinnahmen, war eine nüchterne Betrachtung des ABGB wieder möglich geworden. Die Historische Schule hatte die Schwächen des ABGB strenger Kritik unterzogen. Im Hinblick auf das neue [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]] wurde nach der Jahrhundertwende vermehrt an eine Novellierung gedacht, von manchen sogar die Einführung des deutschen BGB erwogen, womit auch im Bürgerlichen Recht Rechtseinheit hergestellt worden wäre (im [[Handelsrecht]] war das seit der Nürnberger Konferenz gelungen; mit dem BGB wurde 1900 in Deutschland allerdings auch das HGB verändert).
Das ADHGB ist ein nahezu das gesamte seinerzeitige Handelsrecht umfassendes Gesetzbuch mit 911 Artikeln. Nicht enthalten ist das Wechselrecht, das in der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung belassen wurde (Art.&nbsp;2 ADHGB). Aus dem preußischen Entwurf nicht übernommen wurden die Abschnitte zum Versicherungsrecht (Art.&nbsp;327-384) (im ADHGB nur Seeversicherung, Art.&nbsp;782-905), zum kaufmännischen Konkurs (Art.&nbsp;693-970) und zur Handelsgerichtsbarkeit (Art.&nbsp;971-1063).


Ein Aufsatz von ''Unger'' setzte 1904 die Diskussion über die Reform des ABGB endgültig in Gang. Noch im selben Jahr wurde unter seinem Vorsitz eine Kommission gebildet. Als neuer Justizminister trieb ''Franz Klein'' das Reformprojekt voran und 1907 wurde eine Regierungsvorlage im Parlament, genauer im Herrenhaus, eingebracht. Der im Herrenhaus eingebrachte Entwurf erntete scharfe Kritik von ''Armin'' ''Ehrenzweig'', ''Bruno'' ''Kafka'' und ''Moritz'' ''Wellspacher'' und es kam zur Überarbeitung. Die zweibändige Festschrift zur Jahrhundertfeier des ABGB (1911) belegt die damalige Einschätzung des Reformbedarfs, zeigt aber auch die Anerkennung, die dem ABGB nach einem Jahrhundert für manche erst damals erkannten Vorzüge in der Wissenschaft und Rechtsprechung zu Teil wurde. 1912 nahm das Herrenhaus den überarbeiteten Entwurf an; der Ausbruch des Ersten Weltkriegs (1914) verhinderte aber die Abstimmung im Abgeordnetenhaus. Die Regierung setzte den Entwurf daher mit Notverordnungen in Form von drei Teilnovellen 1914, 1915 und 1916 in Kraft. Inhaltlich verändert wurden Bereiche des Personen-, Familien- und Vormundschaftsrechts, das Kaufrecht (insbesondere Gewährleistungsrecht) und das Schadenersatzrecht. Der Kritik am ursprünglichen Entwurf folgte ein breiter Konsens über die gelungene Reform.
Im Anschluss an drei allgemeine Bestimmungen (Art.&nbsp;1-3) gliedert sich das ADHGB in fünf Bücher: „Vom Handelsstande“ (Art.&nbsp;4-84), „Von den Handelsgesellschaften“ (Art.&nbsp;85-249), „Von der stillen Gesellschaft und von der Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften für gemeinschaftliche Rechnung“ (Art.&nbsp;250-270), „Von den Handelsgeschäften“ (Art.&nbsp;271-431) und „Vom Seehandel“ (Art.&nbsp;432-911). Das Handelsgesetzbuch folgt bis heute dieser Gliederung; die wichtigsten Abweichungen sind die Überführung der Rechnungslegung in ein eigenständiges drittes Buch, die Herausnahme des Aktienrechts und die Einordnung der stillen Gesellschaft ins zweite Buch. In fast allen handelsrechtlichen Regelungsmaterien gab das ADHGB den entscheidenden Anstoß für das Handelsgesetzbuch bzw. enthielt bereits wörtlich oder sinngemäß die noch gegenwärtig geltenden Vorschriften.


== 7. 1938–1945 ==
Aus heutiger, an paternalistische Gesetzgebung gewöhnter und der Privatautonomie immer weniger vertrauender Sicht (sog. Verbraucherschutz; [[Verbraucher und Verbraucherschutz]]) erscheint das ADHGB in vielen Einzelregelungen als sehr liberal. Für Zeitgenossen war es dagegen ausgewogen, ein Kompromiss insbesondere aus den liberalen Positionen der norddeutschen Kaufleute und der Reserviertheit des preußischen Landadels. ''Levin Goldschmidt''<nowiki> (1829-1897) meinte bei der Besprechung des preußischen Entwurfs (1857, 160) in gesellschaftsrechtlichem Kontext, an ein deutsches Handelsgesetzbuch dürfe die Forderung gestellt werden, „die bezeichneten Grundformen möglichst rein und consequent, dem Verkehrsbedürfniß entsprechend, nicht verkümmert durch Bevormundungsmaaßregeln von höchst zweifelhaftem Nutzen, durchzuführen“. Fünf Jahre später kam er zu einem grundsätzlich positiven Fazit (1862, 225): „An Stelle ängstlicher Bevormundung durch Formvorschriften und nicht erschöpfender Kasuistik läßt es [sc. das ADHGB] wesentlich überall das freie Ermessen der Betheiligten und des Richters walten.“</nowiki>
Nach dem Anschluss 1938 war Österreich bis 1945 teil des Deutschen Reichs. Im Bereich des Handelsrechts wurde das deutsche HGB für das Gebiet Österreichs in Geltung gesetzt. Aufgrund der erwähnten gemeinsamen historischen Ursprünge des ADHGB (in Österreich aus politischen Gründen AHGB genannt) war das relativ leicht möglich. Hingegen waren die Unterschiede zwischen ABGB und BGB erheblich größer. Weil ''Adolf Hitler'' sich mit einem neuen bürgerlichen Gesetzbuch ein Denkmal setzen wollte, beließ man vorerst in den jeweiligen Gebieten die bereits vorhandenen bürgerlichen Gesetzbücher in Kraft, sodass im Gebiet Österreichs auch von 1938-1945 das ABGB in Geltung blieb. Die Anknüpfung des neu eingeführten HGB an das unterschiedliche bürgerliche Recht wurde mit einer Verordnung erledigt, die bis zur grundlegenden jüngeren Handelsrechtsreform (2005) in Österreich Bedeutung hatte (seit dieser Reform ist das frühere Handelsrecht – für den deutschen Sprachraum etwas irreführend – in Österreich zum „Unternehmensrecht“ geworden). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das ABGB wie viele andere Gesetze von der neuen Republik beibehalten (allgemein wurden 1945 lediglich Bestimmungen mit NS-Gedankengut beseitigt).


== 8. 1945 bis heute ==
== 7. Würdigung ==
Auch in der Zeit seit 1945 gab es zahlreiche Veränderungen. Einerseits wurden in Sondergesetzen Regelungen für Sachverhalte getroffen, die bisher dem ABGB unterstellt waren (so im Arbeitsrecht, Mietrecht und Schadensersatzrecht). Das Familienrecht wurde mehrfach novelliert. Eine grundlegende Veränderung brachte das Konsumentenschutzgesetz 1979, mit dem nicht nur innerhalb des ABGB das Kaufrecht verändert wurde, sondern auch ein eigenes Gesetz für zahlreiche Aspekte des Konsumentenschutzes entstand. In jüngerer Zeit kam es zu Veränderungen in Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-RL (RL 1999/44) und der damit einhergehenden Neufassung des Gewährleistungsrechts. Zuletzt wurde wie erwähnt das Handelsrecht radikal reformiert, wobei es zu zahlreichen zusammenhängenden Veränderungen im ABGB kam.
Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch galt Zeitgenossen als „Werk Deutscher Gründlichkeit und Umsicht“ (Kommissionsbericht, Haus der Abgeordneten-Drucks. 223/1861 vom 22.5.1861, 4), als „nicht allein das gründlichste und beste unter den vorhandenen Europäischen Handelsgesetzbüchern, sondern auch ein überwiegend gutes“ (''Goldschmidt'', 1862, 225) und als „erste große That nationaler Rechtseinigung seit der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karl V.(''Goldschmidt'', 1875, 63/64). Ein moderner Beobachter sieht im ADHGB gar die „erfolgreichste deutsche Kodifikation“ (''Werner Schubert'', 1984, XV). Das Gewicht des ADHGB wird am deutlichsten im internationalen Vergleich: Obgleich spät und vom ''Code de Commerce'' inspiriert, ist es außer Frankreich nur den deutschen Staaten gelungen, eine gedanklich eigenständige Handelsrechtskodifikation auszuarbeiten.


== 9. Aktuelle Reformpläne im Schadensersatzrecht ==
Aus rechts- und staatstheoretischen Gründen ist bemerkenswert, dass das allseits so gelobte ADHGB nahezu unabhängig von den Parlamenten entstanden ist. Seine Ausarbeitung beruhte auf einer zwischen den ''Regierungen'', nicht den Landesparlamenten eingesetzten Kommission sachkundiger ''Juristen ''und ''Kaufleute''. Grundlage der Beratungen war ein von der preußischen ''Regierung'' verfasster Entwurf. Es bestätigt sich damit für das ADHGB als Ganzes, was jüngst für die zweihundertjährige Geschichte des Aktienrechts als eines Teils festgestellt wurde: die geringe parlamentarische Einflussnahme auf die Handelsgesetzgebung. Diese historische Einsicht sollte bei den zukünftigen Bemühungen um eine Vereinheitlichung des europäischen Handelsrechts nicht unberücksichtigt bleiben.
Aktuell wird an einer umfassenden Novellierung des Schadensersatzrechts gearbeitet, da die gegenwärtige Rechtslage durch weitreichende Fortentwicklungen der Lehre und Rechtsprechung im Gesetz nicht hinreichend abgebildet ist. Für diese Reform gibt es einen Entwurf einer Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von ''Helmut'' ''Koziol'', nach dem zahlreiche Wertungen der Rechtsprechung und Lehre in das Gesetz übernommen würden. Als Reaktion hatte sich eine zweite Gruppe von Wissenschaftlern gefunden, die unter dem Vorsitz von ''Rudolf'' ''Welser ''und'' Rudolf Reischauer'' einen Gegenentwurf vorlegte. Ob und wie diese Reform schließlich umgesetzt wird, ist offen.


== 10. Resümee ==
==Literatur==
Dass das ABGB noch heute, wenn auch mehrfach novelliert, in Kraft ist, liegt unter anderem an den weiten Formulierungen und prinzipienhaften Bestimmungen. Anders als im preußischen [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|ALR]] wurden detailreiche und kasuistische Regeln vermieden. ''Zeiller'' verließ sich auf die Fähigkeit der Richter, seltene Fälle und neu entstehende Probleme an Hand von generellen Gesetzesregeln befriedigend zu lösen. Bewusst wurde der Rechtsprechung ein weiter Spielraum eingeräumt. Das hat nicht zuletzt in den Interpretationsregeln des ABGB (§§&nbsp;6&nbsp;ff.) seinen Niederschlag gefunden. Auch der Rechtsentwicklung wurde von Anfang an bewusst genügend Spielraum belassen. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Idee der Kodifikation im 18. und 19.&nbsp;Jahrhundert vielfach anders begriffen wurde und oft der Gedanke einer endgültigen Festlegung der Rechtslage bei Kodifikationsarbeiten im Raum stand. Historisch ist interessant, dass dieser großzügige Freiraum den unabhängigen Gerichten und deren Ermessen im Zeitalter des Absolutismus übertragen wurde. Die Rechtsprechung ist mit diesem Freiraum bis heute maßvoll umgegangen. Die Befürchtung willkürlicher Rechtsfortbildung durch die Gerichte hat sich jedenfalls im Bereich des ABGB trotz der Offenheit des Gesetzes nicht erfüllt.
''Levin Goldschmidt'', Der Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, Kritische Zeitschrift für die gesammte Rechtswissenschaft 4 (1857) 105&nbsp;ff.; 289&nbsp;ff.; ''Levin'' ''Goldschmidt'', Gutachten über den Entwurf eines Deutschen Handelsgesetzbuchs nach den Beschlüssen zweiter Lesung, 1860 (Beilage zur Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, Bd.&nbsp;III); ''Heinrich Thöl'', Zur Geschichte des Entwurfes eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, 1861; ''Levin'' ''Goldschmidt'', Der Abschluß und die Einführung des allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs, Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht 5 (1862) 204&nbsp;ff.; 515&nbsp;ff.; 6 (1863) 41&nbsp;ff.<nowiki>; </nowiki>''Levin'' ''Goldschmidt'', Handbuch des Handelsrechts, Bd.&nbsp;I, 2.&nbsp;Aufl. 1875, 57&nbsp;ff.; ''Franz Laufke'', Der Deutsche Bund und die Zivilgesetzgebung, in: Festschrift für Hermann Nottarp, 1961, 1&nbsp;ff.; ''Theodor Baums'', Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland (1848/49), 1982, 10&nbsp;ff.; ''Werner Schubert'', Quellen und Entstehung eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches, in: Werner Schubert (Hg.), Protokolle der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buches, eingeleitet und neu herausgegeben, Bd.&nbsp;I, 1984, IX&nbsp;ff.; ''Christoph Bergfeld'','' ''Handelsrecht (Deutschland), in: Helmut Coing (Hg.) Handbuch der Quellen und Literatur der neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd.&nbsp;III/3, 1986, 2853&nbsp;ff.; ''Andreas M. Fleckner'', Aktienrechtliche Gesetzgebung (1807-2007), in: Walter Bayer, Mathias Habersack (Hg.), Aktienrecht im Wandel, Bd.&nbsp;I, 2007, 999&nbsp;ff., insb. 1037&nbsp;ff.


Wenige Jahre fehlen bis zur Zweihundertjahrfeier des ABGB. Welche Bedeutung dem Gesetz in seinem dritten Jahrhundert noch zukommen wird, dürfte wohl von externen Entwicklungen abhängen. Ob die europäische Politik einen großen Schritt zu einer gesamteuropäischen Kodifikation vielen kleinen, organischen Harmonisierungsschritten vorziehen wird, ist offen. Unklar ist auch noch, wann die verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten zur Rechtsharmonisierung und &#8209;vereinheitlichung im Bürgerlichen Recht eine belastbare Grundlage für eine praktische Umsetzung hervorbringen werden. Bedenkt man die lange Vorlaufzeit und die zahlreichen Umarbeitungen, die dem ABGB vorausgegangen waren, dürften die Chancen für ein weiteres Jubiläum etwa den 250.&nbsp;Geburtstag – nicht allzu schlecht stehen.
==Quellen==
Auswahl: ''Code de Commerce'' vom 10.-15.9.1807, Bulletin des lois No. 164, 161&nbsp;ff. Code Napoléon mit Zusäzen und Handelsgesezen als Land-Recht für das Großherzogthum Baden, Karlsruhe, 1809. Codigo de Comercio vom 30.5.1829, edicion oficial, Madrid, 1829. Codigo Commercial Portuguez vom 18.9.1833, Lissabon, 1833. Wetboek van Koophandel: Officiële uitgave, ’s-Gravenhage, 1838. <nowiki>Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Königreich Württemberg mit Motiven, Bd.&nbsp;I: Entwurf des Handelsgesetzbuches, Stuttgart, 1839; Bd.&nbsp;II: Motive, Stuttgart, 1840. Entwurf einer Handels- und Wechsel-Ordnung für das Herzogthum Nassau, Wiesbaden, 1842. Allgemeine Deutsche Wechsel-Ordnung vom 9.12.1847; abgedruckt z.B.: Protocolle der zur Berathung einer Allgemeinen Deutschen Wechsel-Ordnung in der Zeit vom 20.&nbsp;October bis zum 9. December 1847 in Leipzig abgehaltenen Conferenz nebst dem Entwurfe einer Wechsel-Ordnung für die Preußischen Staaten, den Motiven zu demselben und dem aus den Beschlüssen der Conferenz hervorgegangenen Entwurfe, Leipzig, 1848, 269&nbsp;ff.; Gesetz, betreffend die Einführung einer allgemeinen Wechselordnung für Deutschland vom 26.11. 1848, RGBl. Nr.&nbsp;6 vom 27.11.1848, 19&nbsp;ff.; Anlage zur [Preußischen] Einführungsordnung zur Allgemeinen Wechselordnung für Deutschland vom 6.1.1849, PreußGS 51&nbsp;ff.; Anlage A zum Gesetz, betreffend die Einführung der Allgemeinen Deutschen Wechsel-Ordnung, der Nürnberger Wechsel-Novellen und des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches als Bundesgesetze vom 5.6.1869, BGBl. NdtB. 382&nbsp;ff. Protocolle der zur Berathung einer Allgemeinen Deutschen Wechsel-Ordnung in der Zeit vom 20.&nbsp;October bis zum 9. December 1847 in Leipzig abgehaltenen Conferenz nebst dem Entwurfe einer Wechsel-Ordnung für die Preußischen Staaten, den Motiven zu demselben und dem aus den Beschlüssen der Conferenz hervorgegangenen Entwurfe, Leipzig, 1848. Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland – Von der durch das Reichsministerium der Justiz niedergesetzten Commission, Frankfurt a.M., 1849. </nowiki>Entwurf eines österreichischen Handelsrechtes nach den Beschlüssen der im Jahre 1842 dießfalls niedergesetzten Hof-Commission, Wien, 1849. <nowiki>Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten Nebst Motiven, 2&nbsp;Bde., Berlin, 1857. Entwurf eines österreichischen Handelsrechtes nach den Anträgen des k.k. Justizministeriums, mit Rücksicht auf die in der Minister-Conferenz gepflogene Berathung, [Wien], [1857]. Protokolle der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buches, 9&nbsp;Bde. nebst Anlagen, Nürnberg/Hamburg, 1857-1861. Entwurf eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buchs vom 12.3.1861; abgedruckt z.B.: Beilagen-Band zu den Protokollen DXLVIII-DLXXXIX der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buches, Nürnberg, 1861; Beilage zu §&nbsp;132 des Protokolls der 16. Sitzung der Deutschen Bundesversammlung vom 8.5.1861, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung vom Jahre 1861, Frankfurt a.M., [1862], 215&nbsp;ff.; Anlage zum [Preußischen] Einführungsgesetz zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch vom 24.6.1861, PreußGS 480&nbsp;ff.; Anlage C zum Gesetz, betreffend die Einführung der Allgemeinen Deutschen Wechsel-Ordnung, der Nürnberger Wechsel-Novellen und des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches als Bundesgesetze vom 5.6.1869, BGBl. NdtB. 404&nbsp;ff. </nowiki>


==Literatur==
''Franz v. Zeiller'', Das natürliche Privat Recht, 1802; ''Joseph Unger'', Die wissenschaftliche Behandlung des österreichischen gemeinen Privatrechts, Antrittsrede an der Prager Hochschule 1853, 1853; ''idem'', System des österreichischen Privatrechts (1856-1859); ''idem'', Zur Revision des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs, Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart/Grünhut’s Zeitschrift XXXI (1904) 389&nbsp;ff.; ''Franz Klein'', Die Lebenskraft des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs, Festschrift zur Jahrhundertfeier des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1. Juni 1911, 1&nbsp;ff.; ''Armin Ehrenzweig'', System des österreichischen allgemeinen Privatrechts I, 1925 (zugleich 6. Aufl. von ''Josef Krainz'', ''Leopold Pfaff'', System des österreichischen allgemeinen Privatrechts); ''Josef'' ''Schey'', Einleitung in Klang (Hg.), Kommentar zum ABGB I/1, 1.&nbsp;Aufl. 1933, 3&nbsp;ff (sowie ''Josef'' ''Schey'', ''Heinrich'' ''Klang'', Einleitung in Klang (Hg.), Kommentar zum ABGB I/2, 2.&nbsp;Aufl. 1964, 1&nbsp;ff.); ''Franz Gschnitzer'', Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 1966; ''Jakob Fortunat Stagl'', Die Rezeption der Lehre vom Rechtsgeschäft in Österreich durch Joseph Unger, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 15 (2007) 37&nbsp;ff.


==Quellen==
''Leopold Pfaff'', ''Phillip Ritter von Harrasowsky'', Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, Bde.&nbsp;I-V, 1883-1886; ''Julius Ofner'', Der Ur-Entwurf und die Beratungsprotokolle des Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Bde.&nbsp;I und II, 1888 und 1889; Kaiserliche Verordnung vom 19. März 1916, RGBl 69, über die dritte Teilnovelle zum ABGB, mit Materialien (1916, daraus Herrenhausbericht, 123&nbsp;ff; auch veröffentlicht als Beilage zu den stenographischen Protokollen des Herrenhauses, 21. Session 1912); aktueller Gesetzestext des ABGB abrufbar unter <nowiki>http://www.ris.bka.gv.at</nowiki>.


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[[en:Allgemeines_Bürgerliches_Gesetzbuch_(ABGB)]]
[[en:Allgemeines_Deutsches_Handelsgesetzbuch_(ADHGB)]]

Version vom 14. September 2021, 11:24 Uhr

von Andreas M. Fleckner

1. Einführung

Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB) (12.3.1861) ist der wichtigste Meilenstein in der Entwicklung des deutschen Handelsrechts. Zwar ist das ADHGB im Deutschen Reich bereits nach vier Jahrzehnten vom Handelsgesetzbuch (10.5.1897) abgelöst worden (1.1.1900). Aber viele seiner Vorschriften leben teils wörtlich, teils sinngemäß im Handelsgesetzbuch fort. In Österreich wurde das ADHGB erst nach dem „Anschluss“ außer Kraft gesetzt (insb. Verordnung vom 24.12.1938). In Liechtenstein gilt das ADHGB, wenn auch erheblich verändert, bis heute (Kundmachung vom 21.10.1997).

Nachdem das ADHGB mangels übergeordneter Gesetzgebungskompetenz zunächst von den deutschen Partikularstaaten als Landesgesetz erlassen werden musste, wurde es einige Jahre später für das Gebiet des Norddeutschen Bundes als Bundesgesetz eingeführt (Gesetz vom 5.6.1869, § 1). Bei der Gründung des Deutschen Bundes (Verfassung vom 31.12.1870, Art. 80 Abs. 1) und des Deutschen Reiches (Gesetz vom 16.4.1871, § 2) wurde das ADHGB als Bundes- bzw. Reichsgesetz übernommen.

2. Ausländische Handelsrechtskodifikationen

Das ADHGB steht in der Tradition älterer ausländischer Handelsrechtskodifikationen, deren einflussreichste der frz. Code de Commerce (1807) war. Der Code de Commerce hat europaweit den Erlass von Handelsgesetzbüchern inspiriert und maßgeblich inhaltlich bestimmt, so den span. Codigo de Comercio (1829), den portug. Codigo Commercial (1833) und das niederl. Wetboek van Koophandel (1838). In einigen Ländern des Deutschen Bundes galt der Code de Commerce bis zum Erlass des ADHGB sogar unmittelbar. Im Großherzogtum Baden wurde er in deutscher Übersetzung als Anhang zum frz. Code Civil (1804) erlassen, als „Code Napoléon mit Zusäzen und Handelsgesezen als Land-Recht für das Großherzogthum Baden“ (1809). Selbst in den preußischen Rheinprovinzen wurde nicht das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (1794) eingeführt, sondern das französische Recht beibehalten.

3. Partikularrechtliche Entwürfe von Handelsrechtskodifikationen

In keinem der deutschen Partikularstaaten hat es vor der Einführung des ADHGB eine eigenständige Kodifikation des Handelsrechts gegeben. Allerdings wurden einige Entwürfe ausgearbeitet, welche die Entwicklung des ADHGB maßgeblich gefördert und vorbereitet haben.

Die quantitativ und qualitativ bedeutsamste Diskussion über die Kodifizierung des Handelsrechts wurde in Preußen geführt (seit 1817). Preußen besaß seit dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (1794) detaillierte Bestimmungen über den Handelsstand (II 8 §§ 475-2464). Es zeigte sich jedoch rasch, dass die Vorschriften nicht den Verkehrsbedürfnissen entsprachen, insbesondere im Gesellschaftsrecht und Wechselrecht. Obwohl die Mängel des geltenden Rechts früh erkannt wurden, dauerte es vier Jahrzehnte, bis der „Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten“ (1857) veröffentlicht wurde. Dieser Entwurf war dann aber so ausgereift, dass er den Beratungen des ADHGB zugrundegelegt werden konnte (s.u. 5.).

Ebenfalls gedruckt wurden der Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Königreich Württemberg (1839/1840), der Entwurf einer Handels- und Wechsel-Ordnung für das Herzogthum Nassau (1842) sowie zwei österreichische Entwürfe (1849/1857).

4. Politischer Weg zum ADHGB

An keiner anderen Kodifikation wird der langsame und zähe Weg der Einigung der deutschen Nation von der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches (1806) bis zur Gründung des Deutschen Reiches (1871) deutlicher als an Hand des ADHGB.

a) Kodifizierungsbestrebungen nach den Befreiungskriegen

Nach den Befreiungskriegen gab es zahlreiche Initiativen und Vorschläge zur Vereinheitlichung des Handelsrechts, teils im Kontext der allgemeinen Kodifizierungsdiskussion, teils aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen. Bekanntester Befürworter der Einführung eines nationalen Zivilgesetzbuches war Anton Friedrich Justus Thibaut (1772-1840), Autor der vielbeachteten Streitschrift „Ueber die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland“ (1814). Die volkswirtschaftlichen Vorteile einer einheitlichen Kodifikation, also die Erleichterungen des wirtschaftlichen Austauschs zwischen den Partikularstaaten, klingen bei Thibaut allerdings lediglich am Rande an (33). Die Nachteile, vor allem der Verlust des Wettbewerbs um die besten Rechtsregeln (Wettbewerb der Rechtsordnungen), werden ebenso wenig thematisiert.

Die Politik hat die Rechtsvereinheitlichung in den ersten Jahrzehnten weder unterstützen wollen noch – angesichts ihrer bescheidenen Mittel – können. In der Deutschen Bundesakte (8.6. 1815) heißt es, die Mitglieder des Deutschen Bundes behielten sich vor, „bey der ersten Zusammenkunft der Bundesversammlung in Frankfurth wegen des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten, so wie wegen der Schifffahrt nach Anleitung der auf dem Kongreß zu Wien angenommenen Grundsätze in Berathung zu treten“ (Art. 19). Bei diesem Programmsatz hatte es sein Bewenden. In der Wiener Schlußakte (15.5.1820) werden diese Gegenstände nur noch „zur fernern Bearbeitung vorbehalten“ (Art. 65).

b) Initiativen im Deutschen Zollverein

Württemberg nutzte bereits die erste Generalkonferenz (1836) des Deutschen Zollvereins, um auf eine Vereinheitlichung des Handelsrechts hinzuwirken (Haupt-Prot. vom 12.9.1836, § 40; Beilage XI vom 29.7.1836). Der Antrag wurde nicht weiterverfolgt, weil es den Bevollmächtigten „an Instruktion über den ... aller Beachtung werthen Gegenstand“ mangelte (Haupt-Prot., ebd.). Bei der zweiten Konferenz (1838) wurde der Antrag „in seinem ganzen Umfange nicht wieder aufgenommen, indem man allseitig die Ueberzeugung theilt, daß zur Vereinbarung über eine, das gesammte Handels- und Wechselrecht umfassende gemeinschaftliche Gesetzgebung kaum zu gelangen sein werde“ (Haupt-Prot. vom 6.8.1838, § 15). Auf der achten Konferenz (1846) verständigten sich die Vereinsstaaten auf Antrag Württembergs, „die Bemühungen zuvörderst auf einen einzelnen speziellen Gegenstand der Handels-Gesetzgebung zu richten“ und eine Kommission zur Vereinheitlichung des Wechselrechts zu bilden (Haupt-Prot. vom 17.8.1846, § 24). Am Ende der daraufhin einberufenen Wechselrechtskonferenz (1847) drang Württemberg nochmals darauf, das übrige Handelsrecht ebenfalls anzugleichen (Prot. Nr. 34 vom 8.12.1847, 246).

Nach dem Intermezzo der Frankfurter Nationalversammlung (s.u. 4. c) beschäftigte sich die zehnte Generalkonferenz des Zollvereins (1854) erneut auf Antrag Württembergs mit der Vereinheitlichung des Handelsrechts (Haupt-Prot. vom 20.2.1854, § 54). Der weitere politische Weg führte jedoch nicht mehr über den Zollverein, sondern den Deutschen Bund (s.u. 4. d).

c) Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland

Die Frankfurter Nationalversammlung (1848/ 1849) gab den Bemühungen um eine Harmonisierung des deutschen Handelsrechts nur wenige Impulse. Zwar wurde in der Verfassung des deutschen Reiches (28.3.1849) eine entsprechende Gesetzgebungskompetenz vorgesehen: „Der Reichsgewalt liegt es ob, durch die Erlassung allgemeiner Gesetzbücher über bürgerliches Recht, Handels- und Wechselrecht, Strafrecht und gerichtliches Verfahren die Rechtseinheit im deutschen Volke zu begründen.“ (§ 64). Mit dem frühen Ende der Versammlung scheiterte aber der Versuch, das Handelsrecht zu vereinheitlichen.

Immerhin ist das Fragment eines (Roh‑) Entwurfs eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland (1849) in der Folgezeit viel zitiert worden. Außerdem wurde – als eines der wenigen Gesetze der Versammlung überhaupt – der Entwurf einer Allgemeinen Deutschen Wechselordnung (9.12.1847) beschlossen, welchen die vom Zollverein eingesetzte Wechselrechtskonferenz erarbeitet hatte (s.o. 4. b), und im neuen Reichsgesetzblatt verkündet (Gesetz vom 26.11.1848); die rechtliche Wirkung der Publikation blieb ungewiss.

d) Einsetzung der Handelsrechtskommission des Deutschen Bundes

Während in den ersten Jahrzehnten die Generalversammlungen des Zollvereins als Forum für Diskussionen über die Vereinheitlichung des Handelsrechts gewählt wurden (s.o. 4. b), übernahm diese Funktion nach der Märzrevolution der Deutsche Bund. So verschob sich der Schwerpunkt, wie Otto von Bismarck (1815-1898) befürchtet hatte, „aus dem Preußischen Zollvereinsprimat in die [sc. von Österreich dominierte] Bundesversammlung und deren Präsidium“ (Bericht vom 29.4.1856).

Nach gescheiterten Versuchen zu Beginn des Jahrzehnts (BV-Prot. vom 9.8.1851, § 112) beschäftigte sich die Bundesversammlung erst wieder zur Mitte der Dekade mit der Harmonisierung des Handelsrechts (BV-Prot. vom 21.2.1856, § 71). Diese von Bayern initiierten Bemühungen führten bereits zwei Monate später zum Erfolg, nämlich zur Einsetzung einer „Commission zur Ausarbeitung und Vorlage des Entwurfes eines allgemeinen Handelsgesetzbuches“ (BV-Prot. vom 17.4.1856, § 141). Nach der von allerlei politischen Scharmützeln begleiteten Klärung der technischen Details wurde beschlossen, im Januar 1857 mit den Beratungen (s.u. 5.) zu beginnen (BV-Prot. vom 18.12.1856, § 352).

e) Einführung des ADHGB in den Partikularstaaten

Nach vierjährigen Beratungen (s.u. 5.) vollendete die Handelsrechtskommission den „Entwurf eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buchs“ (12.3.1861). Geltungskraft verleihen konnte dem Entwurf allerdings weder die Kommission noch der Deutsche Bund, weil eine den Partikularstaaten übergeordnete Gesetzgebungskompetenz fehlte. Da die Mitgliedstaaten überdies darauf verzichtet hatten, sich im Wege eines Staatsvertrages zur Einführung des Handelsgesetzbuches zu verpflichten, erwuchs „aus der Antheilnahme an den commissionellen Berathungen keiner Regierung die Verpflichtung ..., dem aus diesen Berathungen hervorgehenden Entwurfe ihre Zustimmung zu ertheilen, und ihn in Wirksamkeit zu setzen“ (BV-Prot. vom 4.12.1856, § 328). Ein deutsches Handelsgesetzbuch konnte also nur dann entstehen, wenn die Partikularstaaten den Entwurf unverändert als ihr jeweiliges Handelsgesetzbuch erließen. In diesem Sinne beschloss die Bundesversammlung, „an sämmtliche höchsten und hohen Bundesregierungen die Einladung zu richten, dem ... Entwurfe eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches baldmöglichst und unverändert im geeigneten Wege Gesetzeskraft in ihren Landen zu verschaffen“ (BV-Prot. vom 31.5.1861, § 151).

Um seine staatspolitische Verantwortung zu dokumentieren, nahm Preußen lediglich wenige Ergänzungen vor. Die Grundstimmung kommt besonders in den Schlussworten des Berichterstatters der im preußischen Herrenhaus gebildeten Kommission zum Ausdruck: „Nimmt heute das hohe Haus das Handelsgesetzbuch nicht an, so hat der Preußische Staat einen unwiederbringlichen Verlust in den Augen Deutschlands zu erleiden, und darum, meine Herren, empfehle ich Ihnen die unveränderte Annahme des gedachten Gesetzes.“ (Plenar-Prot. des Herrenhauses vom 1.6.1861, 688). Appelle dieser Art und die enge Terminierung der Beratungen verfehlten ihre Wirkung nicht. In kaum zu übertreffender Geschwindigkeit wurde das Einführungsgesetz (24.6.1861) durch das Haus der Abgeordneten und das Herrenhaus gepeitscht.

Hamburg als im Handel besonders kenntnisreiche Hansestadt und kritischste Stimme während der Entwurfsberatungen ließ sich mit der Einführung des ADHGB sehr viel mehr Zeit. Der „Bericht der von Senat und Bürgerschaft zur Prüfung des Entwurfs eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches niedergesetzten Commission“ (Mittheilung des Senats Nr. 74 vom 31.8.1864) wurde erst nach drei Jahren vorgelegt, das Einführungsgesetz erst zu Ende des folgenden Jahres verabschiedet (22.12.1865). Auch Hamburg nahm das ADHGB schließlich unverändert an, sah im Einführungsgesetz aber einige bedeutsame Abweichungen vor. Für den Handelsverkehr und die Entwicklung des Handelsrechts waren diese ergänzenden Bestimmungen überwiegend günstig, insbesondere der Verzicht auf die Genehmigungspflichtigkeit (Art. 208, 249 ADHGB) der Aktiengesellschaft (§ 25 Einführungsgesetz). Für die angestrebte Rechtsvereinheitlichung bedeuteten diese Sonderwege freilich einen Rückschritt.

5. Beratung des Entwurfs

Der Beginn der Beratungen der Handelsrechtskommission (15.1.1857) könnte kaum unter schlechteren Vorzeichen gestanden haben. Die Stimmung zwischen Preußen und Österreich war – wie fast immer in diesen Jahren – äußerst gereizt; nicht einmal bei der Wahl des Ortes war man sich einig, da Preußen gegen Frankfurt am Main vorbrachte, hier bestehe die Gefahr, dass die Konferenzmitglieder „durch politische und diplomatische Einflüsse beirrt“ werden (BV-Prot. vom 13.11.1856, § 299). Kaum hatten die Beratungen schließlich in Nürnberg begonnen, drohte weiteres Ungemach: Sowohl Preußen als auch Österreich hatten Entwürfe ausgearbeitet (s.o. 3.). Wessen Vorlage sollte Grundlage der Beratungen werden?

Es ist ein bis heute wenig erforschtes und wenig gewürdigtes „Wunder“, dass die Konferenzteilnehmer (Namen in BV-Prot. vom 8.5.1861, § 132) trotz der politischen Spannungen Zeit und Muße fanden, Einzelfragen des Handelsrechts im Detail und oft auf höchstem Niveau zu diskutieren. Zwar geben die veröffentlichten Protokolle vermutlich ein etwas zu positives Bild. Aber die internen Berichte der Konferenzteilnehmer an ihre Regierungen bestätigen, dass es eine intensive sachliche Diskussion gab. Das Ergebnis spricht für sich: Die Protokolle zu den 589 durchnummerierten Sitzungen, zu denen eine Reihe vorbereitender Sitzungen kommen, füllen 5.152 halbseitig bedruckte Folioseiten. Noch anderthalb Jahrhunderte später sind diese Unterlagen nebst ihren Anlagen die wichtigste historische Auslegungsquelle des deutschen Handelsrechts.

Das Problem der Auswahl eines Entwurfs wurde bereits in der zweiten vorbereitenden Sitzung gelöst. Grundlage der Beratungen sollte, so der einstimmige Beschluss (Sitzung am 17.1. 1857, Prot. ADHGB, 6), der preußische Entwurf (s.o. 3.) sein. Dem österreichischen Entwurf (der frühere ist der sog. „gedruckte“ oder „ministerielle“, der spätere der sog. „lithographirte“ oder „revidirte“) war nach ebenfalls einstimmigem Beschluss „fortwährend volle Beachtung zuzuwenden“ (ebd.) – eine sehr diplomatische Formulierung dafür, dass im Verlaufe der Konferenz nur selten auf Vorschriften des österreichischen Entwurfs eingegangen wurde. Hierfür dürften letztlich sachliche und nicht politische Gründe entscheidend gewesen sein, denn die österreichischen Entwürfe waren für jeden Beobachter ersichtlich weniger ausgereift als der preußische. In den höflichen Worten des den Vorsitz führenden bayerischen Staatsministers: Der preußische Entwurf umfasse „mehr Materien“ als der österreichische Entwurf und es sei „bei legislativen Berathungen erfahrungsgemäß weit leichter ..., aus einem größeren Materiale etwa Entbehrliches auszuscheiden, als zu einer minder umfangreichen Grundlage Alles was in einer Versammlung für wesentlich befunden werden konnte, hinzuzufügen“ (ebd.). Der preußische Entwurf hatte zudem den Vorteil, dass sich Preußen im Kleinen vor einer qualitativ vergleichbaren Herausforderung sah wie die deutschen Staaten im Großen: der Vereinheitlichung des Handelsrechts trotz divergierenden Zivilrechts (ius commune; Code Civil; Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten).

Die erste Lesung der ersten drei (später vier) Bücher des ADHGB umfasste 98 Sitzungen (Nr. 1-98, Prot. ADHGB, 9-875) innerhalb eines knappen halben Jahres (21.1.1857-2.7.1857), die zweite Lesung 78 Sitzungen (Nr. 99-176, Prot. ADHGB, 878-1469) in weiteren sechs Monaten (19.9.1857-3.3.1858). In den folgenden beiden Jahren wurde in Hamburg (BV-Prot. vom 23.7.1857, § 273) das fünfte Buch über den Seehandel beraten: die erste Lesung bestand aus 245 Sitzungen (Nr. 177-421, Prot. ADHGB, 1476-3692) und dauerte anderthalb Jahre (28.4.1858-25.10.1859), die zweite Lesung aus 126 Sitzungen (Nr. 422-547, Prot. ADHGB, 3693-4491) in sechseinhalb Monaten (9.1.1860-22.8.1860).

Vor der dritten Lesung der ersten vier Bücher wurde eine einschneidende organisatorische Entscheidung getroffen, die zu erheblichen Verstimmungen zwischen den Staaten führte: Bayern, Österreich und Preußen verständigten sich darauf, zur dritten Lesung lediglich einen Teil der Änderungsanträge der Staatsregierungen zuzulassen, und konnten sich hiermit trotz massiven Widerstands durchsetzen. Die so verkürzte dritte Lesung umfasste 41 Sitzungen (Nr. 548-588, Prot. ADHGB, 4493-5149) und dauerte knapp vier Monate (19.11.1860-11.3.1861).

6. Inhalt des Entwurfs

Das ADHGB ist ein nahezu das gesamte seinerzeitige Handelsrecht umfassendes Gesetzbuch mit 911 Artikeln. Nicht enthalten ist das Wechselrecht, das in der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung belassen wurde (Art. 2 ADHGB). Aus dem preußischen Entwurf nicht übernommen wurden die Abschnitte zum Versicherungsrecht (Art. 327-384) (im ADHGB nur Seeversicherung, Art. 782-905), zum kaufmännischen Konkurs (Art. 693-970) und zur Handelsgerichtsbarkeit (Art. 971-1063).

Im Anschluss an drei allgemeine Bestimmungen (Art. 1-3) gliedert sich das ADHGB in fünf Bücher: „Vom Handelsstande“ (Art. 4-84), „Von den Handelsgesellschaften“ (Art. 85-249), „Von der stillen Gesellschaft und von der Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften für gemeinschaftliche Rechnung“ (Art. 250-270), „Von den Handelsgeschäften“ (Art. 271-431) und „Vom Seehandel“ (Art. 432-911). Das Handelsgesetzbuch folgt bis heute dieser Gliederung; die wichtigsten Abweichungen sind die Überführung der Rechnungslegung in ein eigenständiges drittes Buch, die Herausnahme des Aktienrechts und die Einordnung der stillen Gesellschaft ins zweite Buch. In fast allen handelsrechtlichen Regelungsmaterien gab das ADHGB den entscheidenden Anstoß für das Handelsgesetzbuch bzw. enthielt bereits wörtlich oder sinngemäß die noch gegenwärtig geltenden Vorschriften.

Aus heutiger, an paternalistische Gesetzgebung gewöhnter und der Privatautonomie immer weniger vertrauender Sicht (sog. Verbraucherschutz; Verbraucher und Verbraucherschutz) erscheint das ADHGB in vielen Einzelregelungen als sehr liberal. Für Zeitgenossen war es dagegen ausgewogen, ein Kompromiss insbesondere aus den liberalen Positionen der norddeutschen Kaufleute und der Reserviertheit des preußischen Landadels. Levin Goldschmidt (1829-1897) meinte bei der Besprechung des preußischen Entwurfs (1857, 160) in gesellschaftsrechtlichem Kontext, an ein deutsches Handelsgesetzbuch dürfe die Forderung gestellt werden, „die bezeichneten Grundformen möglichst rein und consequent, dem Verkehrsbedürfniß entsprechend, nicht verkümmert durch Bevormundungsmaaßregeln von höchst zweifelhaftem Nutzen, durchzuführen“. Fünf Jahre später kam er zu einem grundsätzlich positiven Fazit (1862, 225): „An Stelle ängstlicher Bevormundung durch Formvorschriften und nicht erschöpfender Kasuistik läßt es [sc. das ADHGB] wesentlich überall das freie Ermessen der Betheiligten und des Richters walten.“

7. Würdigung

Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch galt Zeitgenossen als „Werk Deutscher Gründlichkeit und Umsicht“ (Kommissionsbericht, Haus der Abgeordneten-Drucks. 223/1861 vom 22.5.1861, 4), als „nicht allein das gründlichste und beste unter den vorhandenen Europäischen Handelsgesetzbüchern, sondern auch ein überwiegend gutes“ (Goldschmidt, 1862, 225) und als „erste große That nationaler Rechtseinigung seit der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karl V.“ (Goldschmidt, 1875, 63/64). Ein moderner Beobachter sieht im ADHGB gar die „erfolgreichste deutsche Kodifikation“ (Werner Schubert, 1984, XV). Das Gewicht des ADHGB wird am deutlichsten im internationalen Vergleich: Obgleich spät und vom Code de Commerce inspiriert, ist es außer Frankreich nur den deutschen Staaten gelungen, eine gedanklich eigenständige Handelsrechtskodifikation auszuarbeiten.

Aus rechts- und staatstheoretischen Gründen ist bemerkenswert, dass das allseits so gelobte ADHGB nahezu unabhängig von den Parlamenten entstanden ist. Seine Ausarbeitung beruhte auf einer zwischen den Regierungen, nicht den Landesparlamenten eingesetzten Kommission sachkundiger Juristen und Kaufleute. Grundlage der Beratungen war ein von der preußischen Regierung verfasster Entwurf. Es bestätigt sich damit für das ADHGB als Ganzes, was jüngst für die zweihundertjährige Geschichte des Aktienrechts als eines Teils festgestellt wurde: die geringe parlamentarische Einflussnahme auf die Handelsgesetzgebung. Diese historische Einsicht sollte bei den zukünftigen Bemühungen um eine Vereinheitlichung des europäischen Handelsrechts nicht unberücksichtigt bleiben.

Literatur

Levin Goldschmidt, Der Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, Kritische Zeitschrift für die gesammte Rechtswissenschaft 4 (1857) 105 ff.; 289 ff.; Levin Goldschmidt, Gutachten über den Entwurf eines Deutschen Handelsgesetzbuchs nach den Beschlüssen zweiter Lesung, 1860 (Beilage zur Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht, Bd. III); Heinrich Thöl, Zur Geschichte des Entwurfes eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, 1861; Levin Goldschmidt, Der Abschluß und die Einführung des allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs, Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht 5 (1862) 204 ff.; 515 ff.; 6 (1863) 41 ff.; Levin Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, Bd. I, 2. Aufl. 1875, 57 ff.; Franz Laufke, Der Deutsche Bund und die Zivilgesetzgebung, in: Festschrift für Hermann Nottarp, 1961, 1 ff.; Theodor Baums, Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland (1848/49), 1982, 10 ff.; Werner Schubert, Quellen und Entstehung eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches, in: Werner Schubert (Hg.), Protokolle der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buches, eingeleitet und neu herausgegeben, Bd. I, 1984, IX ff.; Christoph Bergfeld, Handelsrecht (Deutschland), in: Helmut Coing (Hg.) Handbuch der Quellen und Literatur der neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III/3, 1986, 2853 ff.; Andreas M. Fleckner, Aktienrechtliche Gesetzgebung (1807-2007), in: Walter Bayer, Mathias Habersack (Hg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. I, 2007, 999 ff., insb. 1037 ff.

Quellen

Auswahl: Code de Commerce vom 10.-15.9.1807, Bulletin des lois No. 164, 161 ff. Code Napoléon mit Zusäzen und Handelsgesezen als Land-Recht für das Großherzogthum Baden, Karlsruhe, 1809. Codigo de Comercio vom 30.5.1829, edicion oficial, Madrid, 1829. Codigo Commercial Portuguez vom 18.9.1833, Lissabon, 1833. Wetboek van Koophandel: Officiële uitgave, ’s-Gravenhage, 1838. Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Königreich Württemberg mit Motiven, Bd. I: Entwurf des Handelsgesetzbuches, Stuttgart, 1839; Bd. II: Motive, Stuttgart, 1840. Entwurf einer Handels- und Wechsel-Ordnung für das Herzogthum Nassau, Wiesbaden, 1842. Allgemeine Deutsche Wechsel-Ordnung vom 9.12.1847; abgedruckt z.B.: Protocolle der zur Berathung einer Allgemeinen Deutschen Wechsel-Ordnung in der Zeit vom 20. October bis zum 9. December 1847 in Leipzig abgehaltenen Conferenz nebst dem Entwurfe einer Wechsel-Ordnung für die Preußischen Staaten, den Motiven zu demselben und dem aus den Beschlüssen der Conferenz hervorgegangenen Entwurfe, Leipzig, 1848, 269 ff.; Gesetz, betreffend die Einführung einer allgemeinen Wechselordnung für Deutschland vom 26.11. 1848, RGBl. Nr. 6 vom 27.11.1848, 19 ff.; Anlage zur [Preußischen] Einführungsordnung zur Allgemeinen Wechselordnung für Deutschland vom 6.1.1849, PreußGS 51 ff.; Anlage A zum Gesetz, betreffend die Einführung der Allgemeinen Deutschen Wechsel-Ordnung, der Nürnberger Wechsel-Novellen und des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches als Bundesgesetze vom 5.6.1869, BGBl. NdtB. 382 ff. Protocolle der zur Berathung einer Allgemeinen Deutschen Wechsel-Ordnung in der Zeit vom 20. October bis zum 9. December 1847 in Leipzig abgehaltenen Conferenz nebst dem Entwurfe einer Wechsel-Ordnung für die Preußischen Staaten, den Motiven zu demselben und dem aus den Beschlüssen der Conferenz hervorgegangenen Entwurfe, Leipzig, 1848. Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland – Von der durch das Reichsministerium der Justiz niedergesetzten Commission, Frankfurt a.M., 1849. Entwurf eines österreichischen Handelsrechtes nach den Beschlüssen der im Jahre 1842 dießfalls niedergesetzten Hof-Commission, Wien, 1849. Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten – Nebst Motiven, 2 Bde., Berlin, 1857. Entwurf eines österreichischen Handelsrechtes nach den Anträgen des k.k. Justizministeriums, mit Rücksicht auf die in der Minister-Conferenz gepflogene Berathung, [Wien], [1857]. Protokolle der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buches, 9 Bde. nebst Anlagen, Nürnberg/Hamburg, 1857-1861. Entwurf eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buchs vom 12.3.1861; abgedruckt z.B.: Beilagen-Band zu den Protokollen DXLVIII-DLXXXIX der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetz-Buches, Nürnberg, 1861; Beilage zu § 132 des Protokolls der 16. Sitzung der Deutschen Bundesversammlung vom 8.5.1861, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung vom Jahre 1861, Frankfurt a.M., [1862], 215 ff.; Anlage zum [Preußischen] Einführungsgesetz zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch vom 24.6.1861, PreußGS 480 ff.; Anlage C zum Gesetz, betreffend die Einführung der Allgemeinen Deutschen Wechsel-Ordnung, der Nürnberger Wechsel-Novellen und des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches als Bundesgesetze vom 5.6.1869, BGBl. NdtB. 404 ff.