Europäische Union und Europäische Verfassung: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Ninon Colneric]]''
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== 1. Allgemeines ==
== 1. Der EG-Vertrag als Verfassungsurkunde und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts ==
Die Europäische Union (EU) wurde durch den am 7.2.1992 in Maastricht unterzeichneten Vertrag über die Europäische Union ([[EU-Vertrag]]) gegründet, der am 1.11.1993 in Kraft getreten ist. Ihr gehören z.Zt. 27 Mitgliedstaaten an (in Klammern jeweils der offizielle EU-Code): Belgien (BE), Bulgarien (BG), Dänemark (DK), Deutschland (DE), Estland (EE), Finnland (FI), Frankreich (FR), Griechenland (GR), Irland (IE), Italien (IT), Lettland (LV), Litauen (LT), Luxemburg (LU), Malta (MT), Niederlande (NL), Österreich (AT), Polen (PL), Portugal (PT), Rumänien (RO), Schweden (SE), Slowakei (SK), Slowenien (SI), Spanien (ES), Tschechien (CZ), Ungarn (HU), Vereinigtes Königreich (UK) und Zypern (CY).
Die Verträge über die Europäischen Gemeinschaften ([[Europäische Gemeinschaft]] und EG-Vertrag) haben eine neue Rechtsordnung geschaffen, zu deren Gunsten die Staaten in immer weiteren Bereichen ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben und deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch deren Bürger sind (EuGH Rs. 26/62 – ''van Gend & Loos'', Slg. 1963, 1). Die wesentlichen Merkmale dieser so verfassten Rechtsordnung der Gemeinschaft sind ihr Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten (EuGH Rs. 6/64 – ''Costa'', Slg. 1964, 1141) und die unmittelbare Wirkung zahlreicher für ihre Staatsangehörigen und für sie selbst geltender Bestimmungen. Dem EuGH zufolge stellt der EWG-Vertrag deshalb, obwohl er in der Form einer völkerrechtlichen Übereinkunft getroffen worden ist, die grundlegende Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft dar (EuGH Rs. 294/83 – ''Les Verts'', Slg. 1986, 1339;'' ''Gutachten 1/91 – ''Europäischer Wirtschaftsraum'', Slg. 1991, I-6079). Dasselbe gilt für den EG-Vertrag (EuGH Rs. 15/00 – ''Kommission/Europäische Investitionsbank'', Slg. 2003, I-7281). Der Begriff der Rechtsgemeinschaft bezeichnet in diesem Kontext eine Gemeinschaft, die auf dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit beruht. Dem EG-Vertrag liegt keine klassische Gewaltenteilung zugrunde. Er beinhaltet jedoch ein System gegenseitiger Kontrolle, durch das ein institutionelles Gleichgewicht geschaffen werden soll (EuGH Rs. 138/ 79 – ''Roquette Frères'', Slg 1980, 3333; EuGH Rs. C-70/88 – ''Parlament/Rat'', Slg. 1991, I-2041). Der grundlegende Status der Angehörigen der EG-Mitgliedstaaten ist der des Unionsbürgers. Er vermittelt im Anwendungsbereich des EG-Vertrages einen umfassenden Anspruch auf Nichtdiskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit (EuGH Rs. C-184/99 – ''Grzelczyk'', Slg. 2001, I‑6193, [[Unionsbürgerschaft]]; [[Diskriminierungsverbot (allgemein)]])


Der am 13.12.2007 unterzeichnete Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABl. 2007 C 306/1) gestaltet die EU grundlegend um ([[Europäische Verfassung]]; [[EU-Vertrag]]). Die Rechtslage nach dem EU-Vertrag (1992) unterscheidet sich deshalb erheblich von der nach dem EU-Vertrag (2007).
Im Wege der Rechtsfortbildung erkannte der [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] ungeschriebene [[Allgemeine Rechtsgrundsätze]] an, die den Rang von primärem Gemeinschaftsrecht haben. In diese Kategorie fallen beispielsweise das inzwischen in Art. 5 EG/ersetzt durch Art. 3b EU (2007) verankerte Verhältnismäßigkeitsprinzip (EuGH Rs. 310/04 – ''Spanien/Rat'', Slg. 2006, I-7285; [[Verhältnismäßigkeit]])'' ''sowie die Grundsätze des Vertrauensschutzes (EuGH, a.a.O.) und des rechtlichen Gehörs (EuGH Rs. C-240/03 P – ''Comunità montana della Valnerina'', Slg. 2006, I-731).


== 2. Rechtsnatur und Organisationsstruktur ==
Der EuGH zählte zu den allgemeinen Grundsätzen der Gemeinschaftsrechtsordnung, deren Wahrung er zu sichern habe, insbesondere die Grundrechte (EuGH Rs. 29/69 – ''Stauder'', Slg. 1969, 419). Die von ihm entwickelte Konzeption des Grundrechtsschutzes fand später ihren Niederschlag im EU-Vertrag (1992), dessen Art. 6(2) bestimmt, dass die Union die Grundrechte achtet, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. Die Grundrechte des Gemeinschaftsrechts richten sich in erster Linie an die Organe der Gemeinschaft. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind jedoch auch Handlungen der Mitgliedstaaten an den Gemeinschaftsgrundrechten zu messen, wenn diese im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts tätig werden, z.B. gemeinschaftsrechtliche Regeln durchführen (EuGH Rs. 5/88 – ''Wachauf'', Slg. 1989, 2609, und EuGH Rs. C-260/89 – ''ERT'', Slg. 1991, I-2025).
=== a) Rechtslage nach dem EU-Vertrag (1992) ===
Die EU ist eine internationale Organisation eigener Art. Sie ersetzt nicht die Europäischen Gemeinschaften, sondern stellt sie – bildlich gesprochen – mit Politiken und Formen der Zusammenarbeit, die außerhalb dieser Gemeinschaften verwirklicht werden, unter ein gemeinsames Dach. Ihre drei Säulen sind die Europäischen Gemeinschaften, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Das Herzstück der EU bildet die EG ([[Europäische Gemeinschaft]]). Ob die EU über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt, ist strittig.


Der Europäische Rat ([[Rat und Europäischer Rat]]) gibt der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen für diese Entwicklung fest. Die Organe der europäischen Gemeinschaften werden einerseits nach Maßgabe der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und anderseits nach Maßgabe des EU-Vertrages tätig. Ihre Befugnisse sind im Rahmen des EU-Vertrages anders verteilt als in den erstgenannten Verträgen.
Gemäß einer vom EuGH im Fall ''Wachauf'' entwickelten Formel kann die Ausübung der von ihm anerkannten Grundrechte Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgen Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet. Für den Fall einer Kollision der Gemeinschaftsgrundrechte mit den [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]] des EG-Vertrages hat der EuGH die folgenden Grundsätze aufgestellt: Da die Grundrechte sowohl von der Gemeinschaft als auch von den Mitgliedstaaten zu beachten sind, stellt der Schutz dieser Rechte ein berechtigtes Interesse dar, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung der Verpflichtungen zu rechtfertigen, die nach dem Gemeinschaftsrecht, auch kraft einer durch den EG-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit wie der des freien Warenverkehrs oder der Dienstleistungsfreiheit, bestehen (EuGH Rs. C-112/00 – ''Schmidberger'', Slg. 2003, I-5659; EuGH Rs. C-36/02 – ''Omega'', Slg. 2004, I-9609). Während es im Fall ''Schmidberger'' geheißen hatte, die bestehenden Interessen seien gegeneinander abzuwägen, ist in neueren Entscheidungen davon die Rede, dass die Ausübung der betroffenen Grundrechte mit den Erfordernissen der durch den EG-Vertrag geschützten Rechte in Einklang gebracht werden und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müsse (EuGH Rs. C-438/05 – ''Viking'', Slg. 2007, I-10779; EuGH Rs. 341/05 – ''Laval'', Slg. 2007, I-11767).


Im Bereich der GASP obliegt es dem Rat der EU, die für die Festlegung und Durchführung dieser Politik erforderlichen Entscheidungen auf der Grundlage der vom Europäischen Rat getroffenen allgemeinen Leitlinien zu treffen. Der Rat hat ein Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee gebildet. Der Generalsekretär des Rates der EU ist gleichzeitig der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Spezifische Handlungsinstrumente der GASP sind gemeinsame Strategien, die der Europäische Rat auf Empfehlung des Rates der EU beschließt, gemeinsame Aktionen und gemeinsame Standpunkte, die vom Rat der EU angenommen werden, sowie der Abschluss internationaler Übereinkünfte. Rechtsakte wie Richtlinien oder Verordnungen gibt es im Bereich der GASP nicht. Beschlüsse im Rahmen der GASP werden vom Rat der EU grundsätzlich einstimmig gefasst. Die Zuständigkeit des EuGH erstreckt sich nicht auf die Bestimmungen über die GASP.
Im Juni 1999 beschloss der Europäische Rat auf seinem Gipfel in Köln, dass eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) erforderlich sei, um die überragende Bedeutung der Grundrechte und ihre Tragweite für die Unionsbürger sichtbar zu machen. Ein Konvent, der aus persönlichen Beauftragten der Staats- und Regierungschefs, Mitgliedern des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente sowie einem Beauftragten des Präsidenten der Europäischen Kommission bestand, wurde mit ihrer Erarbeitung beauftragt. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. 2000 C 364/1) wurde am 7.12.2000 in Nizza von Rat, Parlament und Kommission feierlich proklamiert und unterzeichnet, nachdem der Europäische Rat den Entwurf der Charta gebilligt hatte ([[Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK]]). Die Mitgliedstaaten unterzeichneten sie nicht. Der EuGH ging am 27.6.2006 erstmals in einem Urteil auf die GRCh ein (EuGH Rs. C-540/03 – ''Parlament/Rat'', Slg. 2006, I-5769). Er führte zu ihrem juristischen Stellenwert aus, auch wenn es sich dabei nicht um ein bindendes Rechtsinstrument handele, habe der Gemeinschaftsgesetzgeber doch ihre Bedeutung anerkennen wollen, indem er in einer Begründungserwägung der streitigen Richtlinie ausgeführt habe, dass diese die in der GRCh anerkannten Grundsätze beachte. Im Übrigen werde mit der GRCh, wie sich aus ihrer Präambel ergebe, in erster Linie das Ziel verfolgt, die Rechte zu bekräftigen, die sich vor allem aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen und den gemeinsamen internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, aus dem Vertrag über die Europäische Union und den Gemeinschaftsverträgen, aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, aus den von der Gemeinschaft und dem Europarat beschlossenen Sozialchartas sowie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergeben.


Im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) unterrichten und konsultieren die Mitgliedstaaten einander im Rat, um ihr Vorgehen zu koordinieren. Sie begründen hierfür eine Zusammenarbeit zwischen ihren zuständigen Verwaltungsstellen. Ein aus hohen Beamten der Mitgliedstaaten bestehender Koordinationsausschuss koordiniert die Arbeiten in diesem Bereich. Der Rat fördert die polizeiliche Zusammenarbeit durch Europol und die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen durch Eurojust. Er kann auf Initiative eines Mitgliedstaates oder der Kommission einstimmig gemeinsame Standpunkte sowie nicht unmittelbar wirksame Rahmenbeschlüsse oder Beschlüsse annehmen und Übereinkommen erstellen. Das Europäische Parlament wird vom Rat angehört, bevor dieser einen Rahmenbeschluss oder Beschluss annimmt oder ein Übereinkommen erstellt. Die Kompetenzen des EuGH im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sind in einer besonderen Vorschrift geregelt und nicht so umfassend wie die Befugnisse, die er im Bereich des EG-Vertrages hat; seine Zuständigkeit für Vorabentscheidungen hängt von einer Anerkennung durch den jeweiligen Mitgliedstaat ab ([[Europäischer Gerichtshof]]).
Weder die Mitgliedstaaten noch die Gemeinschaftsorgane sind der Kontrolle darüber entzogen, ob ihre Handlungen im Einklang mit der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft, dem EG-Vertrag, stehen. Die Beachtung der allgemeinen Rechtsgrundsätze einschließlich der Grundrechte ist in diese Kontrolle miteinbezogen. Die Einzelnen müssen einen effektiven gerichtlichen Schutz der Rechte in Anspruch nehmen können, die sich aus der Gemeinschaftsrechtsordnung herleiten (EuGH Rs. C-50/00 P – ''Unión de Pequeños Agricultores'', Slg. 2002, I-6677).


=== b) Rechtslage nach dem EU-Vertrag (2007) ===
Gemäß Art. 10 EG/im Wesentlichen ersetzt durch Art. 3a Abs. 3 EU (2007) treffen die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die Erfüllung ihrer Aufgaben. Der EuGH hat u.a. aus dieser Bestimmung den Grundsatz der Haftung eines Mitgliedstaates für Schäden abgeleitet, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen (EuGH verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 – ''Francovich u.a.'', Slg. 1991, I-5357; EuGH verb. Rs. C-46/93 und 48/93 – ''Brasserie du pêcheur ''und ''Factortame'', Slg. 1996, I-1029; EuGH Rs. C-224/01 – ''Köbler'', Slg. 2003, I-10239).
Der Vertrag von Lissabon benennt den EG-Vertrag in „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV) um und ersetzt die Bezeichnung „Gemeinschaft“ durchgängig durch „Union“. Die EU tritt an die Stelle der EG, deren Rechtsnachfolgerin sie wird. Der EU wird Rechtspersönlichkeit verliehen. Ihre Organe sind das [[Europäisches Parlament|Europäische Parlament]], der Europäische Rat, der Rat ([[Rat und Europäischer Rat]]), die [[Europäische Kommission]], der Gerichtshof der Europäischen Union ([[Europäischer Gerichtshof]]), die Europäische Zentralbank und der Rechnungshof. Im institutionellen Bereich sind tief greifende Reformen vorgenommen worden, die die Handlungsfähigkeit der Union stärken sollen. Der Europäische Rat wählt beispielsweise für die Dauer von zweieinhalb Jahren einen hauptamtlichen Präsidenten ([[Europäische Verfassung]]).


Die GASP ist weiterhin Gegenstand besonderer Bestimmungen im EU-Vertrag. An die Stelle des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik tritt der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, der sich bei der Erfüllung seiner Aufgaben auf einen Europäischen Auswärtigen Dienst stützt. Die bereits 2004 eingerichtete Europäische Verteidigungsagentur wird im Vertragstext festgeschrieben. Die Beschlussfassung in der GASP erfolgt wie bisher im Wesentlichen einstimmig. Gesetzgebungsakte sind in diesem Bereich ausgeschlossen. Gemäß dem AEUV unterliegt die GASP grundsätzlich nicht der Kontrolle durch den Gerichtshof der Europäischen Union. Dieser ist jedoch zuständig für Nichtigkeitsklagen im Zusammenhang mit der Überwachung der Rechtmäßigkeit von Beschlüssen über restriktive Maßnahmen gegenüber natürlichen und juristischen Personen, die der Rat auf der Grundlage der Bestimmungen über die GASP erlassen hat.
== 2. Der EU-Vertrag (1992) ==
Anders als der EG-Vertrag ist der [[Europäische Union|EU]]-Vertrag vom EuGH bisher nicht als Verfassungsurkunde bezeichnet worden. Art. 6(1) EU (1992)/6 EU (2007) enthält ein Bekenntnis zu grundlegenden Verfassungsprinzipien. Er lautet: „Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.Die durch den EU-Vertrag (1992) geschaffene Rechtsordnung der EU kann jedoch nicht als eine der EG vergleichbare neue Rechtsordnung bezeichnet werden. Sie stellt nur eine Vorstufe hierzu da. Die Entscheidungen in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (sog. zweite Säule) werden im Rahmen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit getroffen. Dem EuGH sind in diesem Bereich keine Kompetenzen zugewiesen worden. Die Stellung, die der EU-Vertrag (1992) dem EuGH im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Strafsachen (sog. dritte Säule) einräumt, bleibt hinter der, die er im EG-Vertrag innehat, erheblich zurück ([[Europäischer Gerichtshof]]).


Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen ist unter Beibehaltung einiger Sonderregelungen in den AEUV integriert. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren findet auch in diesen Bereichen Anwendung. Abweichend von den allgemeinen Vorschriften verfügen die Mitgliedstaaten hier über ein Initiativrecht. Die Kompetenzen des Gerichtshofs der Europäischen Union sind bei dieser Materie denen, über die er im Regelfall verfügt, weitgehend angeglichen. Zur Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union kann der Rat eine Europäische Staatsanwaltschaft einsetzen.
== 3. Der Vertrag über eine Verfassung für Europa ==
In der dem Vertrag von Nizza ([[Europäische Union|EU]]-Vertrag) beigefügten Erklärung Nr. 23 wurde zu einer eingehenderen und breiter angelegten Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union aufgerufen. Sie sollte vor allem vier Probleme behandeln: die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten, der Status der GRCh, die Vereinfachung der Verträge und die Rolle der nationalen Parlamente in der Architektur Europas. Im Dezember 2001 gab der Europäische Rat in seiner Erklärung von Laeken bekannt, dass ein Konvent zur Zukunft Europas einberufen werden sollte, zu dessen Vorsitzenden er ''Giscard d’Estaing'' ernannte. Die Zusammensetzung dieses Konvents lehnte sich an die des Grundrechtskonvents an. Es wurden jedoch auch die Bewerberländer einbezogen. Die Erklärung von Laeken enthielt einen langen Katalog von Einzelfragen, die den Inhalt der Diskussion abstecken sollten. Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob die erforderliche Vereinfachung und Neuordnung nicht zuletzt dazu führen sollte, dass in der Union ein Verfassungstext angenommen wird. Der Konvent arbeitete im Konsensverfahren den Entwurf einer Verfassung aus und legte ihn im Juli 2003 vor. Der Entwurf wurde von einer im Oktober 2003 einberufenen Regierungskonferenz überarbeitet. Am 29.10.2004 unterzeichneten die Mitgliedstaaten der EU, deren Zahl inzwischen auf 25 angewachsen war, in Rom den Vertrag über eine Verfassung für Europa (ABl. 2004 C 310/1).


== 3. Ziele und allgemeine Grund­sätze der EU ==
Der Verfassungsvertrag beruht auf dem Konzept, den EU-Vertrag und den EG-Vertrag durch einen einheitlichen Text mit der Bezeichnung „Verfassung“ zu ersetzen. Der Euratom-Vertrag bleibt als solcher bestehen, wird jedoch in einem Protokoll an die neue Verfassung angepasst.
=== a) Rechtslage nach dem EU-Vertrag (1992) ===
Die EU hat sich die folgenden Ziele gesetzt: die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und eines hohen Beschäftigungsniveaus sowie die Herbeiführung einer ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung; die Behauptung ihrer Identität auf internationaler Ebene; die Stärkung des Schutzes der Rechte und Interessen der Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten durch eine Unionsbürgerschaft; die Erhaltung und Weiterentwicklung der Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts; die volle Wahrung des gemeinschaftlichen Beisitzstandes und seine Weiterentwicklung. Die Ziele der Union sind unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips zu verwirklichen ([[EG-Vertrag]]).


Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam. Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind ([[Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte]]) und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. Sie achtet die nationale Identität der Mitgliedstaaten.
Der Verfassungsvertrag umfasst vier Hauptteile, die denselben rechtlichen Rang haben, und nicht weniger als 36 Protokolle. Eine Präambel konstitutionellen Charakters, die auf das kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas Bezug nimmt, ist ihm vorgeschaltet. Der nicht mit einer Überschrift versehene Teil I des Vertrages enthält die Grundsätze, Zielsetzungen und institutionellen Bestimmungen der Europäischen Union. Teil II besteht aus der GRCh in einer überarbeiteten und durch die Unterscheidung zwischen Rechten und Grundsätzen abgeschwächten Fassung. Teil III, der den Titel „Die Politikbereiche und die Arbeitsweise der Union“ trägt, konkretisiert den Teil I und baut auf den Regelungen des EG-Vertrages und des EU-Vertrages auf. Teil IV enthält allgemeine und Schlussbestimmungen, darunter Vorschriften über Verfahren der Vertragsänderung.


=== b) Rechtslage nach dem EU-Vertrag (2007) ===
Der Verfassungsvertrag sieht insbesondere die folgenden Neuerungen vor: Er verleiht der GRCh rechtliche Bindungswirkung und ordnet den Beitritt der Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten an. Der Union erkennt er die bis dahin streitige Rechtspersönlichkeit zu. Der Vorrang des Unionsrechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten wird im Vertragstext festgeschrieben. Ein Artikel ist den Symbolen der Union gewidmet. Die verschiedenen Arten von Zuständigkeiten werden im Vertragstext in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH definiert und zwischen Union und Mitgliedstaaten ohne größere Veränderungen aufgeteilt. Die Typologie der Rechtsakte umfasst nur noch sechs Instrumente, darunter das Europäische Gesetz und das Europäische Rahmengesetz, deren Definitionen sich im Wesentlichen mit den Definitionen der Verordnung und der Richtlinie im EG-Vertrag decken. Der Rat tagt öffentlich, wenn er über Entwürfe zu Gesetzgebungsakten berät oder abstimmt. Eine Solidaritätsklausel regelt das gemeinsame Handeln bei Terroranschlägen und Katastrophen. Der Verfassungsvertrag definiert die demokratischen Grundlagen der Union und führt die Möglichkeit eines Bürgerbehrens ein. Er erkennt ein Recht auf freiwilligen Austritt aus der Union an.
Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.


Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern. Sie bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen, in dem – in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität – der freie Personenverkehr gewährleistet ist. Die Union errichtet einen Binnenmarkt. Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie auf ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität hin. Sie fördert den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierung und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes. Sie fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Sie wahrt den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt und sorgt für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas. Die Union errichtet eine Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung der Euro ist. In ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen und trägt zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger bei. Sie leistet einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, zu freiem und gerechtem Handel, zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowie zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen.
Die Höchstzahl der Sitze im Europäischen Parlament wird auf 750 festgelegt. Für ihre Verteilung ist eine degressiv proportionale Vertretung der Bürgerinnen und Bürger vorgeschrieben. Die im halbjährigen Rhythmus wechselnde Präsidentschaft im Europäischen Rat wird abgeschafft. An der Spitze des Europäischen Rats steht ein auf zweieinhalb Jahre gewählter Präsident. Ab 2014 soll die Zahl der Kommissare nur noch zwei Drittel der Zahl der Mitgliedstaaten betragen. Jede der aufeinander folgenden Kommissionen muss so besetzt sein, dass das demografische und geografische Spektrum der Gesamtheit der Mitgliedstaaten auf zufrieden stellende Weise zum Ausdruck kommt. Der Präsident der Kommission wird auf Grund eines Vorschlags des Europäischen Rats vom Europäischen Parlament gewählt. Der Europäische Rat ernennt einen Außenminister der Union. Dieser tritt an die Stelle des bisherigen Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und ist gleichzeitig einer der Vizepräsidenten der Kommission sowie Kommissar für Außenbeziehungen. Er wird von einem Europäischen Auswärtigen Dienst unterstützt.


Die Union achtet die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen (EU (2007) und AEUV) und ihre jeweilige nationale Identität, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt. Sie achtet die grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit. Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben.
Als qualifizierte Mehrheit gilt einer neuen Definition zufolge eine Mehrheit von mindestens 55 % der Mitglieder des Rats, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, sofern die von diesen vertretenen Mitgliedstaaten zusammen mindestens 65 % der Bevölkerung der Union ausmachen. Für eine Sperrminorität sind mindestens vier Mitglieder des Rats erforderlich, anderenfalls gilt die qualifizierte Mehrheit als erreicht. Der Anwendungsbereich für die Abstimmung im Rat mit qualifizierter Mehrheit wird erneut ausgeweitet, das Mitentscheidungsverfahren zum Regelfall erhoben. Die Union erhält Kompetenzen für weitere Politikbereiche. Den nationalen Parlamenten wird im Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit ein Verfahren eingeräumt, das es ihnen ermöglicht, aus ihrer Sicht bestehende Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips zu beanstanden.


Für die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Union gilt der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung. Für die Ausübung ihrer Zuständigkeiten gelten die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit.
Der Verfassungsvertrag schafft die Pfeilerstruktur der EU ab. Er enthält jedoch Sonderregeln für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die als integraler Bestandteil dieser Politik aufgefasste Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Europäische Gesetze und Rahmengesetze sind in diesem Bereich ausgeschlossen. Dem Europäischen Parlament wird nur eine untergeordnete Rolle zugewiesen. Der Verfassungsvertrag verpflichtet die Mitgliedstaaten, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Er sieht die Errichtung einer Europäischen Verteidigungsagentur vor. Als spezielle Form der verstärkten Zusammenarbeit wird eine Ständige Strukturierte Zusammenarbeit ermöglicht, für die militärische Kriterien maßgeblich sind. Die Unionsgerichtsbarkeit ist für den Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik grundsätzlich nicht zuständig. Im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen enthält der Verfassungsvertrag ebenfalls einige Sonderregelungen, z.B. ein Initiativrecht der Mitgliedstaaten und einen besonderen Mechanismus für eine Verstärkte Zusammenarbeit. Die Rolle von Europol und Eurojust wird ausgeweitet, die Möglichkeit der Einsetzung einer Europäischen Staatsanwaltschaft eröffnet.  


Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7.12.2000 in der am 12.12.2007 in Straßburg angepassten Fassung niedergelegt sind. Sie tritt der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschrechte und Grundfreiheiten bei. Die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts ([[Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK]]).
Der Vertrag über eine Verfassung für Europa sollte bei planmäßigem Verlauf des Ratifizierungsprozesses am 1.11.2006 in Kraft treten. In Frankreich wurde er am 29.5.2005 in einem Referendum abgelehnt. Keine Mehrheit fand er auch bei einer Volksbefragung, die am 1.6.2005 in den Niederlanden stattfand. Auf der Tagung des Europäischen Rats vom 16./17.6.2005 wurde daraufhin eine Reflexionsphase beschlossen.


== 4. Agenturen und inter­institutionelle Einrichtungen ==
== 4. Der Vertrag von Lissabon ==
Die EU verfügt über zahlreiche spezialisierte und dezentrale Agenturen. Es lassen sich vier Kategorien solcher Agenturen unterscheiden: 1. Gemeinschaftsagenturen, 2. Agenturen für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, 3. Agenturen für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, 4. Exekutivagenturen. Die ersten drei Kategorien entsprechen den drei Säulen der Europäischen Union nach dem EU-Vertrag (1992).
Im Juni 2007 erteilte der Europäische Rat ein detailliertes Mandat für die Einberufung einer Regierungskonferenz, die an Stelle einer Verfassung einen Reformvertrag ausarbeiten sollte. Diese Initiative führte zu dem als Mantelvertrag ausgestalteten Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABl. 2007 C 306/1), den die Mitgliedstaaten am 13.12.2007 unterzeichneten. Der Vertrag von Lissabon übernimmt in der technischen Form bloßer Vertragsänderungen, die mit einer Umnummerierung verbunden sind, wesentliche Elemente des Vertrages über eine Verfassung für Europa. Dem Vertragswerk sind 13 Protokolle und eine Übereinstimmungstabelle beigefügt. Der EG-Vertrag wird in „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV) umbenannt, die Bezeichnung „Gemeinschaft“ durchgängig durch „Union“ ersetzt. Der AUEV regelt die Arbeitsweise der Union und legt die Bereiche, die Abgrenzung und die Einzelheiten der Ausübung ihrer Zuständigkeiten fest. Der [[Europäische Union|EU]]-Vertrag (2007) und der AEUV ([[EG-Vertrag]]) sind rechtlich gleichrangig. Sie bilden die neue Grundlage der Europäischen Union. Die EU tritt an die Stelle der EG, deren Rechtsnachfolgerin sie wird.


Gegenwärtig gibt es die folgenden Gemeinschaftsagenturen (in Klammern jeweils die offizielle Abkürzung und der Sitz): Europäische Agentur für den Wiederaufbau (ERA – Thessaloniki, Griechenland), Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (FRONTEX – Warschau, Polen), Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA – Lissabon, Portugal), Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA – Köln, Deutschland), Europäische Agentur für Grundrechte (FRA – Wien, Österreich), Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit (ENISA – Heraklion, Griechenland), Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (OSHA – Bilbao, Spanien), Europäische Arzneimittelagentur (EMEA – London, Vereinigte Königreich), Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA – Parma, Italien), Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA – Lissabon, Portugal), Europäische Eisenbahnagentur (ERA – Valen-ciennes, Frankreich), Europäische Fischereiaufsichtsbehörde (CFCA – Vigo, Spanien), Europäische GNSS-Aufsichtsbehörde (GSA – Brüssel, Belgien), Europäisches Amt für chemische Stoffe (ECHA – Helsinki, Finnland), Europäisches Gemeinsames Unternehmen für den internationalen thermonuklearen Versuchsreaktor ITER und die Entwicklung der Fusionsenergie (Fusion for Energy – Barcelona, Spanien), Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen (Vilnius, Litauen), Europäische Stiftung für Berufsbildung (ETF – Turin, Italien), Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (EUROFOUND – Dublin, Irland), Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (Cedefop – Thessaloniki, Griechenland), Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC – Stockholm, Schweden), Europäische Umweltagentur (EEA – Kopenhagen, Dänemark), Gemeinschaftliches Sortenamt (CPVO – Angers, Frankreich), Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (OHIM – Alicante, Spanien), Übersetzungszentrum für die Einrichtungen der Europäischen Union (Cdt – Luxemburg, Luxemburg).
Inhaltlich sind gegenüber dem Verfassungsvertrag insbesondere die folgenden Unterschiede zu verzeichnen: Der Begriff „Verfassung“ wird nicht verwandt. Die Bestimmung über den Vorrang des Unionsrechts ist gegen eine bloße Erklärung, die auf die Rechtsprechung des EuGH verweist, ausgetauscht worden. Es gibt keine Vorschrift über die Symbole der Union. Die Bezeichnungen „Europäisches Gesetz“ und „Europäisches Rahmengesetz“ werden wieder durch die Termini „[[Verordnung]]“ und „[[Richtlinie]]“ ersetzt. Die Benennung „Außenminister der Union“ wird zugunsten der Bezeichnung „Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ aufgegeben. Statt einer Integration der GRCh in den Vertragstext verweist Art. 6 Abs. 1 EU (2007) auf die GRCh (in einer Fassung vom 12.12.2007) und misst ihr den gleichen Rang wie dem EU- und dem EG-Vertrag zu. Kraft einer Sonderregelung für Polen und das Vereinigte Königreich bewirkt die Charta keine Ausweitung der Befugnis des Gerichtshofs der EU oder eines Gerichts dieser Mitgliedstaaten zu der Feststellung, dass ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Verwaltungspraxis oder Maßnahmen nicht mit den durch die Charta bekräftigten Grundrechten, Freiheiten und Grundsätzen im Einklang steht. Die Übereinkunft über den Beitritt der Union zur EMRK bedarf eines einstimmigen, von den Mitgliedstaaten zu ratifizierenden Beschlusses des Rats. Die neue Definition der qualifizierten Mehrheit im Rat gilt erst am November 2014. Bis März 2017 kann ein Mitgliedstaat darüber hinaus im Einzelfall eine Abstimmung nach dem bisherigen Verfahren beantragen. Den nationalen Parlamenten wird bei der Kontrolle über die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips eine stärkere Rolle zuerkannt. In dem Artikel über die Ziele der Union ist nach dem Wort „Binnenmarkt“ der Zusatz „mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb“ gestrichen worden. Andererseits wurde ein Protokoll über den Binnenmarkt und den Wettbewerb angenommen, in dem es heißt, dass der Binnenmarkt ein System umfasst, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt. Als umweltpolitisches Ziel wird die Bekämpfung des Klimawandels genannt. Mehrere Bestimmungen tragen dem Gedanken der Energiesolidarität Rechnung. Es wird klargestellt, dass die der Union übertragenen Zuständigkeiten im Änderungsverfahren auch verringert werden können. Die Kriterien für den Beitritt zur Union sind verschärft worden.


Agenturen für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sind die Europäische Verteidigungsagentur (EDA – Brüssel, Belgien), das Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien (ISS – Paris, Frankreich) und das Satellitenzentrum der Europäischen Union (EUSC – Madrid, Spanien).
Im Hinblick auf die im Juni 2009 anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament wurde ein Inkrafttreten des Vertrages am 1.1.2009 angestrebt. Der Vertrag fand jedoch bei einem Referendum in Irland am 12.6.2008 keine Zustimmung. Auf der Tagung des Europäischen Rates am 11./12.12.2008 wurde ein Kompromiss beschlossen: Jeder Mitgliedstaat soll weiterhin einen Kommissar stellen können. Irland werden rechtliche Garantien angeboten, wonach die Zuständigkeit seiner Regierung in den Bereichen militärische Neutralität, Steuerpolitik und Abtreibungspolitik unberührt bleibt. Die irische Regierung erklärte sich im Gegenzug bereit, vor November 2009 ein neues Referendum abzuhalten.  
 
Als Agenturen für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen wurden die Europäische Polizeiakademie (CEPOL – Hampshire, Vereinigtes Königreich), das Europäische Organ zur Stärkung der justiziellen Zusammenarbeit (Eurojust – Den Haag, Niederlande) und das Europäische Polizeiamt (Europol – Den Haag, Niederlande) geschaffen.
 
Exekutivagenturen sind Organisationen, die mit bestimmten Aufgaben bei der Verwaltung von Gemeinschaftsprogrammen beauftrag werden. Zurzeit gibt es die Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (EACEA – Brüssel, Belgien), die Exekutivagentur für das Gesundheitsprogramm (PHEA – Luxemburg, Luxemburg) und die Exekutivagentur für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (EAW – Brüssel, Belgien).
 
Als interinstitutionelle Einrichtungen sind das Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, das Europäische Amt für Personalauswahl (EPSO) und die Europäische Verwaltungsakademie gegründet worden.
 
== 5. Sprachenregelung ==
In der EU werden 23 Sprachen als Amtssprachen anerkannt: Bulgarisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Irisch, Italienisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch und Ungarisch. Von den Amtssprachen sind die internen Arbeitssprachen der Organe und Einrichtungen zu unterscheiden. Die Arbeitssprachen der Europäischen Kommission sind beispielsweise Deutsch, Englisch und Französisch, wobei die Tendenz in der Praxis zum Englischen geht und das Deutsche nur eine untergeordnete Rolle spielt. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften arbeitet intern auf Französisch.
 
== 6. Demographische, geogra­phische und volkswirtschaftliche Daten ==
In der EU leben knapp eine halbe Milliarde Menschen. Die EU hat damit nach China (rund 1.300 Mio.) und Indien (rund 1.080 Mio.) die drittgrößte Bevölkerung der Welt. Die Einwohnerzahl der USA beträgt ca. 60 %, die Russlands ca. 29 % und die Japans ca. 26 % der Einwohnerzahl der EU.
 
Die bevölkerungsreichsten Mitgliedstaaten der EU sind Deutschland (82,3 Mio. Einwohner, Stand 2007, Quelle hier und im Folgenden EUROSTAT), Frankreich (63,3 Mio.), das Vereinigte Königreich (60,8 Mio.), Italien (59,1 Mio.), Spanien (44,4 Mio.) und Polen (38,1 Mio.). Am anderen Ende der Skala liegen Malta (0,4 Mio.), Luxemburg (0,5 Mio.) und Zypern (0,8 Mio.). Über eine Million, aber unter 10 Millionen Einwohner haben Estland (1,3 Mio.), Slowenien (2 Mio.), Lettland (2,3 Mio.), Litauen (3,4), Irland (4,3 Mio.), Finnland (5,3 Mio.), Dänemark (5,4 Mio.), Slowakei (5,4 Mio.), Bulgarien (7,7 Mio.), Österreich (8,3 Mio.) und Schweden (9,1 Mio.). In die Kategorie der Mitgliedstaaten mit 10 Mio. und mehr Einwohnern fallen Ungarn (10,1 Mio.), die Tschechische Republik (10,3 Mio.), Belgien (10,5 Mio.), Portugal (10,6 Mio.), Griechenland (11,1 Mio.), die Niederlande (16,3 Mio.) und Rumänien (21,6 Mio.).
 
Das Gebiet der EU umfasst eine Fläche von ca. 4,3 Mio. km<sup>2</sup>. Dies entspricht etwa 45&nbsp;% der Fläche, über die China und die USA jeweils verfügen. Russland ist mehr als viermal so groß wie die EU, die EU fast zehnmal so groß wie Japan. Der größte Mitgliedstaat der EU ist Frankreich (544.000 km<sup>2</sup>), der kleinste Malta (300 km<sup>2</sup>). Zur Gruppe der großen Mitgliedstaaten gehören auch Schweden (410.300 km<sup>2</sup>) und Finnland (304.500 km<sup>2</sup>), die eine relativ kleine Bevölkerung haben. Die Niederlande (33.800 km<sup>2</sup>) und Belgien (30.300 km<sup>2</sup>), die bei der Einwohnerzahl auf den Plätzen 8 und 11 liegen, rangieren bei der Fläche auf den Plätzen 22 und 23. Im Durchschnitt beträgt die Einwohnerzahl je km<sup>2</sup> in der EU 114. Die Spannweite reicht von 16 Einwohnern je km<sup>2</sup> in Finnland bis zu 1.296 Einwohnern je km<sup>2</sup> in Malta.
 
Im äußersten Norden der EU herrscht subarktisches, in ihren südliches Teilen subtropisches Klima. Es gibt in der EU, lässt man die außereuropäischen Gebiete ihrer Mitgliedstaaten außer Betracht, drei verschiedene Zeitzonen, und zwar UTC 0 bis +2.
 
Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner zu Kaufkraftstandards betrug 2006 in den derzeitigen Mitgliedstaaten der EU durchschnittlich EUR 23.500,-. Spitzenreiter war Luxemburg mit EUR 65.400,-. Auf den Plätzen 2 und 3 folgten mit weitem Abstand Irland (EUR 33.500,-) und die Niederlande (EUR 31.000,-). Bulgarien und Rumänien kamen nur auf EUR 8.700,- bzw. EUR 8.800,-. In den USA wurden im Vergleich dazu EUR 36.300,-, in Japan EUR 26.700,- erreicht (Quelle OECD).
 
== 7. Entwicklungsperspektiven ==
Der Europäische Rat erklärte 2003 in Thessaloniki, dass die westlichen Balkanstaaten Teil der EU sein werden, sobald sie die festgelegten Kriterien erfüllen. Den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten haben derzeit Kroatien, Mazedonien und die Türkei.


==Literatur==
==Literatur==
''Werner Weidenfeld'', Die Staatenwelt Europas, 2004; ''Simon Bulmer'', ''Christian Lequesne'', The Member States of the European Union, 2005; ''Richard l. Creech'', Law and Language in the European Union: The paradox of a Babel „united in diversity“, 2005; ''Roland Bieber'','' Astrid Epiney'','' Marcel Haag'', Die Europäische Union: Europarecht und Politik, 7.&nbsp;Aufl. 2006;'' Klaus-Dieter Borchardt'', Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 3.&nbsp;Aufl. 2006; ''Damien Geradin'', ''Rodolphe Munoz'', ''Nicolas'' ''Petit'' (Hg.), Regulation through Agencies in the EU: A New Paradigm of European Governance, 2006; ''Richardson'','' Jeremy J.'' (Hg.), European Union: Power and Policy-Making, 3.&nbsp;Aufl. 2006;'' Richard Tilly'','' Paul J.J. Welfens'','' Michael Heise ''(Hg.),'' ''50 Years of EU Economic Dynamics: Integration, Financial Markets and Innovations, 2007; ''Klemens H. Fischer'', Der Vertrag von Lissabon: Text und Kommentar zum Europäischen Reformvertrag, 2008; ''Vanessa Hellmann'', Der Vertrag von Lissabon: Vom Verfassungsvertrag zur Änderung der bestehenden Verträge – Eine Einführung mit Synopse und Übersichten, 2008.
''Armin von Bogdandy'' (Hg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003; ''Ingolf Pernice'', Fondement du droit constitutionnel européen, 2004; ''Roberto Bin'', Profili costituzionali dell’ Unione europea: cinquanti’anni di processo costituente, 2005; ''Rudolf Streinz'','' Christoph Ohler'','' Christoph Hermann'', Die neue Verfassung für Europa, 2005; Teoría y Realidad Constitucional (Sonderheft): El tratado por el que se establece una Constitución para Europa, 2005; ''Klaus-Dieter Borchardt'', Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 3.&nbsp;Aufl. 2006; ''Jean-Claude Piris'', The Constitution for Europe: A legal analysis, 2006; ''Franz C. Mayer'', Die Rückkehr zur Europäischen Verfassung? Ein Leitfaden zum Vertrag von Lissabon, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 2007, 1141&nbsp;ff.; ''Vanessa Hellmann'', Der Vertrag von Lissabon: Vom Verfassungsvertrag zur Änderung der bestehenden Verträge, 2008; ''Nicolas Moussis'', Le Traité de Lisbonne: une constitution sans en avoir le titre, Revue du Marché commun et de l’Union européene 2008, 161&nbsp;ff.


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[[Kategorie:A–Z]]
[[en:European_Union]]
[[en:European_Constitution]]

Version vom 28. September 2021, 16:03 Uhr

von Ninon Colneric

1. Der EG-Vertrag als Verfassungsurkunde und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts

Die Verträge über die Europäischen Gemeinschaften (Europäische Gemeinschaft und EG-Vertrag) haben eine neue Rechtsordnung geschaffen, zu deren Gunsten die Staaten in immer weiteren Bereichen ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben und deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch deren Bürger sind (EuGH Rs. 26/62 – van Gend & Loos, Slg. 1963, 1). Die wesentlichen Merkmale dieser so verfassten Rechtsordnung der Gemeinschaft sind ihr Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten (EuGH Rs. 6/64 – Costa, Slg. 1964, 1141) und die unmittelbare Wirkung zahlreicher für ihre Staatsangehörigen und für sie selbst geltender Bestimmungen. Dem EuGH zufolge stellt der EWG-Vertrag deshalb, obwohl er in der Form einer völkerrechtlichen Übereinkunft getroffen worden ist, die grundlegende Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft dar (EuGH Rs. 294/83 – Les Verts, Slg. 1986, 1339; Gutachten 1/91 – Europäischer Wirtschaftsraum, Slg. 1991, I-6079). Dasselbe gilt für den EG-Vertrag (EuGH Rs. 15/00 – Kommission/Europäische Investitionsbank, Slg. 2003, I-7281). Der Begriff der Rechtsgemeinschaft bezeichnet in diesem Kontext eine Gemeinschaft, die auf dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit beruht. Dem EG-Vertrag liegt keine klassische Gewaltenteilung zugrunde. Er beinhaltet jedoch ein System gegenseitiger Kontrolle, durch das ein institutionelles Gleichgewicht geschaffen werden soll (EuGH Rs. 138/ 79 – Roquette Frères, Slg 1980, 3333; EuGH Rs. C-70/88 – Parlament/Rat, Slg. 1991, I-2041). Der grundlegende Status der Angehörigen der EG-Mitgliedstaaten ist der des Unionsbürgers. Er vermittelt im Anwendungsbereich des EG-Vertrages einen umfassenden Anspruch auf Nichtdiskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit (EuGH Rs. C-184/99 – Grzelczyk, Slg. 2001, I‑6193, Unionsbürgerschaft; Diskriminierungsverbot (allgemein))

Im Wege der Rechtsfortbildung erkannte der EuGH ungeschriebene Allgemeine Rechtsgrundsätze an, die den Rang von primärem Gemeinschaftsrecht haben. In diese Kategorie fallen beispielsweise das inzwischen in Art. 5 EG/ersetzt durch Art. 3b EU (2007) verankerte Verhältnismäßigkeitsprinzip (EuGH Rs. 310/04 – Spanien/Rat, Slg. 2006, I-7285; Verhältnismäßigkeit) sowie die Grundsätze des Vertrauensschutzes (EuGH, a.a.O.) und des rechtlichen Gehörs (EuGH Rs. C-240/03 P – Comunità montana della Valnerina, Slg. 2006, I-731).

Der EuGH zählte zu den allgemeinen Grundsätzen der Gemeinschaftsrechtsordnung, deren Wahrung er zu sichern habe, insbesondere die Grundrechte (EuGH Rs. 29/69 – Stauder, Slg. 1969, 419). Die von ihm entwickelte Konzeption des Grundrechtsschutzes fand später ihren Niederschlag im EU-Vertrag (1992), dessen Art. 6(2) bestimmt, dass die Union die Grundrechte achtet, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. Die Grundrechte des Gemeinschaftsrechts richten sich in erster Linie an die Organe der Gemeinschaft. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind jedoch auch Handlungen der Mitgliedstaaten an den Gemeinschaftsgrundrechten zu messen, wenn diese im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts tätig werden, z.B. gemeinschaftsrechtliche Regeln durchführen (EuGH Rs. 5/88 – Wachauf, Slg. 1989, 2609, und EuGH Rs. C-260/89 – ERT, Slg. 1991, I-2025).

Gemäß einer vom EuGH im Fall Wachauf entwickelten Formel kann die Ausübung der von ihm anerkannten Grundrechte Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgen Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet. Für den Fall einer Kollision der Gemeinschaftsgrundrechte mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrages hat der EuGH die folgenden Grundsätze aufgestellt: Da die Grundrechte sowohl von der Gemeinschaft als auch von den Mitgliedstaaten zu beachten sind, stellt der Schutz dieser Rechte ein berechtigtes Interesse dar, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung der Verpflichtungen zu rechtfertigen, die nach dem Gemeinschaftsrecht, auch kraft einer durch den EG-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit wie der des freien Warenverkehrs oder der Dienstleistungsfreiheit, bestehen (EuGH Rs. C-112/00 – Schmidberger, Slg. 2003, I-5659; EuGH Rs. C-36/02 – Omega, Slg. 2004, I-9609). Während es im Fall Schmidberger geheißen hatte, die bestehenden Interessen seien gegeneinander abzuwägen, ist in neueren Entscheidungen davon die Rede, dass die Ausübung der betroffenen Grundrechte mit den Erfordernissen der durch den EG-Vertrag geschützten Rechte in Einklang gebracht werden und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müsse (EuGH Rs. C-438/05 – Viking, Slg. 2007, I-10779; EuGH Rs. 341/05 – Laval, Slg. 2007, I-11767).

Im Juni 1999 beschloss der Europäische Rat auf seinem Gipfel in Köln, dass eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) erforderlich sei, um die überragende Bedeutung der Grundrechte und ihre Tragweite für die Unionsbürger sichtbar zu machen. Ein Konvent, der aus persönlichen Beauftragten der Staats- und Regierungschefs, Mitgliedern des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente sowie einem Beauftragten des Präsidenten der Europäischen Kommission bestand, wurde mit ihrer Erarbeitung beauftragt. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. 2000 C 364/1) wurde am 7.12.2000 in Nizza von Rat, Parlament und Kommission feierlich proklamiert und unterzeichnet, nachdem der Europäische Rat den Entwurf der Charta gebilligt hatte (Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK). Die Mitgliedstaaten unterzeichneten sie nicht. Der EuGH ging am 27.6.2006 erstmals in einem Urteil auf die GRCh ein (EuGH Rs. C-540/03 – Parlament/Rat, Slg. 2006, I-5769). Er führte zu ihrem juristischen Stellenwert aus, auch wenn es sich dabei nicht um ein bindendes Rechtsinstrument handele, habe der Gemeinschaftsgesetzgeber doch ihre Bedeutung anerkennen wollen, indem er in einer Begründungserwägung der streitigen Richtlinie ausgeführt habe, dass diese die in der GRCh anerkannten Grundsätze beachte. Im Übrigen werde mit der GRCh, wie sich aus ihrer Präambel ergebe, in erster Linie das Ziel verfolgt, die Rechte zu bekräftigen, die sich vor allem aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen und den gemeinsamen internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, aus dem Vertrag über die Europäische Union und den Gemeinschaftsverträgen, aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, aus den von der Gemeinschaft und dem Europarat beschlossenen Sozialchartas sowie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergeben.

Weder die Mitgliedstaaten noch die Gemeinschaftsorgane sind der Kontrolle darüber entzogen, ob ihre Handlungen im Einklang mit der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft, dem EG-Vertrag, stehen. Die Beachtung der allgemeinen Rechtsgrundsätze einschließlich der Grundrechte ist in diese Kontrolle miteinbezogen. Die Einzelnen müssen einen effektiven gerichtlichen Schutz der Rechte in Anspruch nehmen können, die sich aus der Gemeinschaftsrechtsordnung herleiten (EuGH Rs. C-50/00 P – Unión de Pequeños Agricultores, Slg. 2002, I-6677).

Gemäß Art. 10 EG/im Wesentlichen ersetzt durch Art. 3a Abs. 3 EU (2007) treffen die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die Erfüllung ihrer Aufgaben. Der EuGH hat u.a. aus dieser Bestimmung den Grundsatz der Haftung eines Mitgliedstaates für Schäden abgeleitet, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen (EuGH verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 – Francovich u.a., Slg. 1991, I-5357; EuGH verb. Rs. C-46/93 und 48/93 – Brasserie du pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1029; EuGH Rs. C-224/01 – Köbler, Slg. 2003, I-10239).

2. Der EU-Vertrag (1992)

Anders als der EG-Vertrag ist der EU-Vertrag vom EuGH bisher nicht als Verfassungsurkunde bezeichnet worden. Art. 6(1) EU (1992)/6 EU (2007) enthält ein Bekenntnis zu grundlegenden Verfassungsprinzipien. Er lautet: „Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.“ Die durch den EU-Vertrag (1992) geschaffene Rechtsordnung der EU kann jedoch nicht als eine der EG vergleichbare neue Rechtsordnung bezeichnet werden. Sie stellt nur eine Vorstufe hierzu da. Die Entscheidungen in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (sog. zweite Säule) werden im Rahmen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit getroffen. Dem EuGH sind in diesem Bereich keine Kompetenzen zugewiesen worden. Die Stellung, die der EU-Vertrag (1992) dem EuGH im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Strafsachen (sog. dritte Säule) einräumt, bleibt hinter der, die er im EG-Vertrag innehat, erheblich zurück (Europäischer Gerichtshof).

3. Der Vertrag über eine Verfassung für Europa

In der dem Vertrag von Nizza (EU-Vertrag) beigefügten Erklärung Nr. 23 wurde zu einer eingehenderen und breiter angelegten Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union aufgerufen. Sie sollte vor allem vier Probleme behandeln: die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten, der Status der GRCh, die Vereinfachung der Verträge und die Rolle der nationalen Parlamente in der Architektur Europas. Im Dezember 2001 gab der Europäische Rat in seiner Erklärung von Laeken bekannt, dass ein Konvent zur Zukunft Europas einberufen werden sollte, zu dessen Vorsitzenden er Giscard d’Estaing ernannte. Die Zusammensetzung dieses Konvents lehnte sich an die des Grundrechtskonvents an. Es wurden jedoch auch die Bewerberländer einbezogen. Die Erklärung von Laeken enthielt einen langen Katalog von Einzelfragen, die den Inhalt der Diskussion abstecken sollten. Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob die erforderliche Vereinfachung und Neuordnung nicht zuletzt dazu führen sollte, dass in der Union ein Verfassungstext angenommen wird. Der Konvent arbeitete im Konsensverfahren den Entwurf einer Verfassung aus und legte ihn im Juli 2003 vor. Der Entwurf wurde von einer im Oktober 2003 einberufenen Regierungskonferenz überarbeitet. Am 29.10.2004 unterzeichneten die Mitgliedstaaten der EU, deren Zahl inzwischen auf 25 angewachsen war, in Rom den Vertrag über eine Verfassung für Europa (ABl. 2004 C 310/1).

Der Verfassungsvertrag beruht auf dem Konzept, den EU-Vertrag und den EG-Vertrag durch einen einheitlichen Text mit der Bezeichnung „Verfassung“ zu ersetzen. Der Euratom-Vertrag bleibt als solcher bestehen, wird jedoch in einem Protokoll an die neue Verfassung angepasst.

Der Verfassungsvertrag umfasst vier Hauptteile, die denselben rechtlichen Rang haben, und nicht weniger als 36 Protokolle. Eine Präambel konstitutionellen Charakters, die auf das kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas Bezug nimmt, ist ihm vorgeschaltet. Der nicht mit einer Überschrift versehene Teil I des Vertrages enthält die Grundsätze, Zielsetzungen und institutionellen Bestimmungen der Europäischen Union. Teil II besteht aus der GRCh in einer überarbeiteten und durch die Unterscheidung zwischen Rechten und Grundsätzen abgeschwächten Fassung. Teil III, der den Titel „Die Politikbereiche und die Arbeitsweise der Union“ trägt, konkretisiert den Teil I und baut auf den Regelungen des EG-Vertrages und des EU-Vertrages auf. Teil IV enthält allgemeine und Schlussbestimmungen, darunter Vorschriften über Verfahren der Vertragsänderung.

Der Verfassungsvertrag sieht insbesondere die folgenden Neuerungen vor: Er verleiht der GRCh rechtliche Bindungswirkung und ordnet den Beitritt der Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten an. Der Union erkennt er die bis dahin streitige Rechtspersönlichkeit zu. Der Vorrang des Unionsrechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten wird im Vertragstext festgeschrieben. Ein Artikel ist den Symbolen der Union gewidmet. Die verschiedenen Arten von Zuständigkeiten werden im Vertragstext in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH definiert und zwischen Union und Mitgliedstaaten ohne größere Veränderungen aufgeteilt. Die Typologie der Rechtsakte umfasst nur noch sechs Instrumente, darunter das Europäische Gesetz und das Europäische Rahmengesetz, deren Definitionen sich im Wesentlichen mit den Definitionen der Verordnung und der Richtlinie im EG-Vertrag decken. Der Rat tagt öffentlich, wenn er über Entwürfe zu Gesetzgebungsakten berät oder abstimmt. Eine Solidaritätsklausel regelt das gemeinsame Handeln bei Terroranschlägen und Katastrophen. Der Verfassungsvertrag definiert die demokratischen Grundlagen der Union und führt die Möglichkeit eines Bürgerbehrens ein. Er erkennt ein Recht auf freiwilligen Austritt aus der Union an.

Die Höchstzahl der Sitze im Europäischen Parlament wird auf 750 festgelegt. Für ihre Verteilung ist eine degressiv proportionale Vertretung der Bürgerinnen und Bürger vorgeschrieben. Die im halbjährigen Rhythmus wechselnde Präsidentschaft im Europäischen Rat wird abgeschafft. An der Spitze des Europäischen Rats steht ein auf zweieinhalb Jahre gewählter Präsident. Ab 2014 soll die Zahl der Kommissare nur noch zwei Drittel der Zahl der Mitgliedstaaten betragen. Jede der aufeinander folgenden Kommissionen muss so besetzt sein, dass das demografische und geografische Spektrum der Gesamtheit der Mitgliedstaaten auf zufrieden stellende Weise zum Ausdruck kommt. Der Präsident der Kommission wird auf Grund eines Vorschlags des Europäischen Rats vom Europäischen Parlament gewählt. Der Europäische Rat ernennt einen Außenminister der Union. Dieser tritt an die Stelle des bisherigen Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und ist gleichzeitig einer der Vizepräsidenten der Kommission sowie Kommissar für Außenbeziehungen. Er wird von einem Europäischen Auswärtigen Dienst unterstützt.

Als qualifizierte Mehrheit gilt einer neuen Definition zufolge eine Mehrheit von mindestens 55 % der Mitglieder des Rats, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, sofern die von diesen vertretenen Mitgliedstaaten zusammen mindestens 65 % der Bevölkerung der Union ausmachen. Für eine Sperrminorität sind mindestens vier Mitglieder des Rats erforderlich, anderenfalls gilt die qualifizierte Mehrheit als erreicht. Der Anwendungsbereich für die Abstimmung im Rat mit qualifizierter Mehrheit wird erneut ausgeweitet, das Mitentscheidungsverfahren zum Regelfall erhoben. Die Union erhält Kompetenzen für weitere Politikbereiche. Den nationalen Parlamenten wird im Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit ein Verfahren eingeräumt, das es ihnen ermöglicht, aus ihrer Sicht bestehende Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips zu beanstanden.

Der Verfassungsvertrag schafft die Pfeilerstruktur der EU ab. Er enthält jedoch Sonderregeln für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die als integraler Bestandteil dieser Politik aufgefasste Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Europäische Gesetze und Rahmengesetze sind in diesem Bereich ausgeschlossen. Dem Europäischen Parlament wird nur eine untergeordnete Rolle zugewiesen. Der Verfassungsvertrag verpflichtet die Mitgliedstaaten, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Er sieht die Errichtung einer Europäischen Verteidigungsagentur vor. Als spezielle Form der verstärkten Zusammenarbeit wird eine Ständige Strukturierte Zusammenarbeit ermöglicht, für die militärische Kriterien maßgeblich sind. Die Unionsgerichtsbarkeit ist für den Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik grundsätzlich nicht zuständig. Im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen enthält der Verfassungsvertrag ebenfalls einige Sonderregelungen, z.B. ein Initiativrecht der Mitgliedstaaten und einen besonderen Mechanismus für eine Verstärkte Zusammenarbeit. Die Rolle von Europol und Eurojust wird ausgeweitet, die Möglichkeit der Einsetzung einer Europäischen Staatsanwaltschaft eröffnet.

Der Vertrag über eine Verfassung für Europa sollte bei planmäßigem Verlauf des Ratifizierungsprozesses am 1.11.2006 in Kraft treten. In Frankreich wurde er am 29.5.2005 in einem Referendum abgelehnt. Keine Mehrheit fand er auch bei einer Volksbefragung, die am 1.6.2005 in den Niederlanden stattfand. Auf der Tagung des Europäischen Rats vom 16./17.6.2005 wurde daraufhin eine Reflexionsphase beschlossen.

4. Der Vertrag von Lissabon

Im Juni 2007 erteilte der Europäische Rat ein detailliertes Mandat für die Einberufung einer Regierungskonferenz, die an Stelle einer Verfassung einen Reformvertrag ausarbeiten sollte. Diese Initiative führte zu dem als Mantelvertrag ausgestalteten Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABl. 2007 C 306/1), den die Mitgliedstaaten am 13.12.2007 unterzeichneten. Der Vertrag von Lissabon übernimmt in der technischen Form bloßer Vertragsänderungen, die mit einer Umnummerierung verbunden sind, wesentliche Elemente des Vertrages über eine Verfassung für Europa. Dem Vertragswerk sind 13 Protokolle und eine Übereinstimmungstabelle beigefügt. Der EG-Vertrag wird in „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV) umbenannt, die Bezeichnung „Gemeinschaft“ durchgängig durch „Union“ ersetzt. Der AUEV regelt die Arbeitsweise der Union und legt die Bereiche, die Abgrenzung und die Einzelheiten der Ausübung ihrer Zuständigkeiten fest. Der EU-Vertrag (2007) und der AEUV (EG-Vertrag) sind rechtlich gleichrangig. Sie bilden die neue Grundlage der Europäischen Union. Die EU tritt an die Stelle der EG, deren Rechtsnachfolgerin sie wird.

Inhaltlich sind gegenüber dem Verfassungsvertrag insbesondere die folgenden Unterschiede zu verzeichnen: Der Begriff „Verfassung“ wird nicht verwandt. Die Bestimmung über den Vorrang des Unionsrechts ist gegen eine bloße Erklärung, die auf die Rechtsprechung des EuGH verweist, ausgetauscht worden. Es gibt keine Vorschrift über die Symbole der Union. Die Bezeichnungen „Europäisches Gesetz“ und „Europäisches Rahmengesetz“ werden wieder durch die Termini „Verordnung“ und „Richtlinie“ ersetzt. Die Benennung „Außenminister der Union“ wird zugunsten der Bezeichnung „Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ aufgegeben. Statt einer Integration der GRCh in den Vertragstext verweist Art. 6 Abs. 1 EU (2007) auf die GRCh (in einer Fassung vom 12.12.2007) und misst ihr den gleichen Rang wie dem EU- und dem EG-Vertrag zu. Kraft einer Sonderregelung für Polen und das Vereinigte Königreich bewirkt die Charta keine Ausweitung der Befugnis des Gerichtshofs der EU oder eines Gerichts dieser Mitgliedstaaten zu der Feststellung, dass ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Verwaltungspraxis oder Maßnahmen nicht mit den durch die Charta bekräftigten Grundrechten, Freiheiten und Grundsätzen im Einklang steht. Die Übereinkunft über den Beitritt der Union zur EMRK bedarf eines einstimmigen, von den Mitgliedstaaten zu ratifizierenden Beschlusses des Rats. Die neue Definition der qualifizierten Mehrheit im Rat gilt erst am November 2014. Bis März 2017 kann ein Mitgliedstaat darüber hinaus im Einzelfall eine Abstimmung nach dem bisherigen Verfahren beantragen. Den nationalen Parlamenten wird bei der Kontrolle über die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips eine stärkere Rolle zuerkannt. In dem Artikel über die Ziele der Union ist nach dem Wort „Binnenmarkt“ der Zusatz „mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb“ gestrichen worden. Andererseits wurde ein Protokoll über den Binnenmarkt und den Wettbewerb angenommen, in dem es heißt, dass der Binnenmarkt ein System umfasst, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt. Als umweltpolitisches Ziel wird die Bekämpfung des Klimawandels genannt. Mehrere Bestimmungen tragen dem Gedanken der Energiesolidarität Rechnung. Es wird klargestellt, dass die der Union übertragenen Zuständigkeiten im Änderungsverfahren auch verringert werden können. Die Kriterien für den Beitritt zur Union sind verschärft worden.

Im Hinblick auf die im Juni 2009 anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament wurde ein Inkrafttreten des Vertrages am 1.1.2009 angestrebt. Der Vertrag fand jedoch bei einem Referendum in Irland am 12.6.2008 keine Zustimmung. Auf der Tagung des Europäischen Rates am 11./12.12.2008 wurde ein Kompromiss beschlossen: Jeder Mitgliedstaat soll weiterhin einen Kommissar stellen können. Irland werden rechtliche Garantien angeboten, wonach die Zuständigkeit seiner Regierung in den Bereichen militärische Neutralität, Steuerpolitik und Abtreibungspolitik unberührt bleibt. Die irische Regierung erklärte sich im Gegenzug bereit, vor November 2009 ein neues Referendum abzuhalten.

Literatur

Armin von Bogdandy (Hg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003; Ingolf Pernice, Fondement du droit constitutionnel européen, 2004; Roberto Bin, Profili costituzionali dell’ Unione europea: cinquanti’anni di processo costituente, 2005; Rudolf Streinz, Christoph Ohler, Christoph Hermann, Die neue Verfassung für Europa, 2005; Teoría y Realidad Constitucional (Sonderheft): El tratado por el que se establece una Constitución para Europa, 2005; Klaus-Dieter Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006; Jean-Claude Piris, The Constitution for Europe: A legal analysis, 2006; Franz C. Mayer, Die Rückkehr zur Europäischen Verfassung? Ein Leitfaden zum Vertrag von Lissabon, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 2007, 1141 ff.; Vanessa Hellmann, Der Vertrag von Lissabon: Vom Verfassungsvertrag zur Änderung der bestehenden Verträge, 2008; Nicolas Moussis, Le Traité de Lisbonne: une constitution sans en avoir le titre, Revue du Marché commun et de l’Union européene 2008, 161 ff.