Erbfolge: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 14:52 Uhr

von Inge Kroppenberg

1. Begriff und Verhältnis der Erbfolgen

Die Erbfolge zu regeln, ist ein zentrales Anliegen jeder Erbrechtsordnung (Erbrecht). Erbfolgeordnungen stellen rechtliche Ordnungsrahmen zur Verfügung, die es erlauben, den oder die Rechtsnachfolger des Erblassers sowie die durch seinen Tod erbrechtlich begünstigten Personen zu bestimmen. Zwei Erbfolgetypen sind zu unterscheiden, die rechtsgeschäftliche und die gesetzliche. Die rechtsgeschäftliche Erbfolge räumt dem Erblasser privatautonome Gestaltungsbefugnis von Todes wegen ein. Sie ist von der Testierfreiheit geprägt. Die gesetzliche oder Intestaterbfolge ist gegenüber der rechtsgeschäftlichen subsidiär. Sie kommt entweder zur Anwendung, wenn der Erblasser keine Verfügung von Todes wegen errichtet hat oder diese unwirksam ist. Der Grundsatz nemo pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest, dass also niemand sowohl aufgrund rechtsgeschäftlicher als auch aufgrund Intestaterbfolge beerbt werden kann (Inst. 2,14,5, Ulp. D.29,1,6), gilt nur in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen romanischen Ursprungs.

Die Intestaterbfolge bringt den Gedanken der Familienerbfolge zur Geltung. Über das Pflichtteilsrecht und das materielle Noterbrecht von nahen Familienangehörigen des Erblassers kommt er auch in der testamentarischen Erbfolge zum Ausdruck (Pflichtteilsrecht). Die Familienerbfolge gibt bestimmten Angehörigen des Erblassers ein Teilhaberecht am Nachlass. Die in Betracht kommenden Personen sind zwei Gruppen zugehörig. Zum einen begründet die Verwandtschaft die gesetzliche Erbberechtigung, zum anderen die Eigenschaft als Ehegatte des Erblassers (Ehe). In Ländern, die eine registrierte Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Personen kennen, steht der Lebenspartner dem Ehegatten erbrechtlich gleich (gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften). Verschieden geschlechtliche Personen, die zusammenleben, haben in Kontinentaleuropa in denjenigen Ländern von Gesetzes wegen eine erbrechtliche Position, in denen die nichteheliche Lebensgemeinschaft familienrechtlich institutionalisiert ist (Belgien, Frankreich, Niederlande). In England hat der nichteheliche Lebenspartner ohnehin Anspruch auf family provision. Was die Verwandtenerbfolge anbelangt, so haben an Kindes statt angenommene Abkömmlinge (Adoption) dieselbe gesetzliche Erbberechtigung wie leibliche. In den letzten Jahrzehnten ist die erbrechtliche Stellung nichtehelicher Kinder in den europäischen Rechtsordnungen an die ehelicher Abkömmlinge angeglichen worden. In den meisten Ländern spielt die Unterscheidung für die Beerbung daher heute keine Rolle mehr.

2. Geschichte der Intestat­erbfolge

Historisch geht die Unterscheidung von rechtsgeschäftlicher Erbfolge und Intestaterbfolge auf das römische Recht zurück. Das gilt auch für das Verhältnis der beiden Erbfolgetypen. In Rom blieb für die Erbfolge ab intestato nur Raum, wenn entweder nicht testiert worden war, das Testament sich als unwirksam erwies oder nachträglich hinfällig wurde. Auf Grundlage der zivilen Erbfolgeordnung waren an erster Stelle die Hauserben (sui heredes) berufen. Dabei handelte es sich um Personen, die zum Oberhaupt der römischen familia (pater familias) in einem besonderen Gewaltverhältnis standen (der patria potestas bei ehelichen Abkömmlingen und der manus bei Ehefrauen), durch seinen Tod aber gewaltfrei wurden. Die Erbberechtigung knüpfte sich also nicht etwa an die Blutsverwandtschaft, sondern an das über die väterliche Gewalt vermittelte (agnatische) Verwandtschaftsverhältnis. Männer und Frauen waren in der zivilen Erbfolge gleichberechtigt. Die Erbfolge folgte bei den sui heredes dem Stammprinzip (stirpes) und dem Grundsatz der Repräsentation. Die Abkömmlinge und die Ehefrau in manu, die ihren Kindern rechtlich gleich stand, bildeten jeweils einen Stamm, auf den gleich große Erbteile entfielen. Der näher mit dem Erblasser verwandte Erbe repräsentierte dabei die anderen Mitglieder seines Stammes und schloss diese von der Erbfolge aus. War ein Sohn vor dem Erblasser verstorben oder aus dem Familienverband ausgeschieden, rückten seine Kinder und seine Ehefrau in manu an seine Stelle (so genanntes Eintrittsrecht). Die Erbfolge nach Stämmen, die Repräsentation und das Eintrittsrecht sind Grundsätze, die auch die modernen Erbfolgeordnungen kennen. Das gilt auch für die Beerbung nach Kopfteilen und nach Verwandtschaftsgrad. Auf die Nähe des Verwandtschaftsverhältnisses zum Erblasser kam es an, wenn beim Erbfall keine Hauserben (sui heredes) vorhanden waren. In diesem Fall fiel die Erbschaft eines frei geborenen Erblassers an den gradnächsten Agnaten in der Seitenlinie. Mehrere gleich nah verwandte Agnaten erbten nach Köpfen.

In der späten Republik entwickelte sich neben der zivilen eine zweite Intestaterbfolge, die so genannte bonorum possessio intestati. Die prätorische Erbfolge modifizierte die zivile, verdrängte sie aber nicht vollständig. Sie blieb etwa die maßgebliche Erbfolge, wenn der vom Prätor Berufene, der nicht zugleich ziviler Erbe war, die bonorum possessio nicht beantragte. Zugleich machte der Prätor sich die zivile Erbfolge in bestimmten Fällen als Grundlage der prätorischen zueigen. Aus der prätorischen bonorum possessio intestati stammt die Idee, die Erbberechtigung an die Blutsverwandtschaft, die so genannte cognatische Verwandtschaft, zu knüpfen, die die rechtlich begründete agnatische auf Dauer abgelöst hat. Auch das organisatorische Prinzip, erbberechtigte Personen in hierarisch organisierte Klassen oder Ordnungen einzuteilen, von denen die niedrigere Ordnung die höhere von der Erbfolge ausschließt, differenzierte sich im Recht der bonorum possessio aus. Die Blutsverwandtschaft konnte sowohl von Frauen als auch von Männern vermittelt werden. Gradnähere schlossen gradfernere Verwandte von der Erbfolge aus. Gleich nah verwandte Personen teilten sich den auf sie entfallenden Erbteil nach Köpfen.

Das Erbrecht des Mittelalters war in erster Linie Familienerbrecht. Von der römischen Intestaterbfolge, die eine Auffangordnung bei testamentslosem Versterben eines Erblassers zur Verfügung stellte, unterschieden sich die mittelalterlichen Erbfolgeordnungen funktionell. Sie sicherten nicht nur den Übergang privater Vermögen, sondern vermittelten politische Macht (Erbrecht). Die Vererblichkeit von Lehen verstärkte personale Herrschaftsbeziehungen, die auf dem Grundeigentum beruhten. Strukturell kam der politische Charakter darin zum Ausdruck, dass es sich um ein Verwandten- und Sippenerbrecht handelte. Der Grundsatz „Das Gut rinnt wie das Blut“ brachte zum Ausdruck, dass der Einzelne in die kollektive Struktur der Sippe eingebunden und diese daher natürlich erbberechtigt war. Der überlebende Ehegatte wurde nicht erbrechtlich, sondern güterrechtlich abgesichert, männliche Abkömmlinge gegenüber weiblichen bevorzugt. Namentlich das für die Ausübung politischer Macht so wichtige Grundeigentum konnten Frauen ursprünglich nicht erben.

Mit dem Beginn des bürgerlichen Zeitalters verlor die Erbfolge ihre politische Funktion wieder. Der überlebende Ehegatte etablierte sich nun endgültig im Kreis der erbrechtlich begünstigten Personen. Die bürgerlichen Kodifikationen Kontinentaleuropas des 18. und 19. Jahrhunderts beseitigten die letzten feudalen Strukturen der Erbfolge, indem sie den Vorrang der testamentarischen vor der gesetzlichen Erbfolge festschrieben und auf der Gleichberechtigung der Intestaterben gleicher Stufe unabhängig von deren Geschlecht bestanden.

3. Gesetzliche Erbfolgemodelle in Europa

a) Verwandtenerbfolge

Das Ordnungsprinzip der Verwandtenerbfolge in Kontinentaleuropa sind die Erbfolgeordnungen oder Klassen. Sie versammeln blutsmäßig und rechtlich mit dem Erblasser verwandte Personen in verschiedenen Gruppen von erbberechtigten Personen und teilen ihnen Erbquoten zu. Die Konstruktion der Kernfamilie im bürgerlichen Zeitalter hatte insoweit Auswirkungen auf die Konturierung der Erbfolgeordnungen, als seither in der Mehrzahl der europäischen Erbrechte entferntere Verwandte des Erblassers ausgeschlossen und die Erbfolgeordnungen zahlenmäßig begrenzt sind. In entfernteren Ordnungen sind Abkömmlinge nicht zur Erbfolge berufen (Frankreich, Griechenland, Österreich). Nur Deutschland und Schottland kennen mit den fernen Ordnungen bzw. Klassen eine unbegrenzte Verwandtenerbfolge. Der Regelfall in Europa sind vier (Frankreich, Italien, Niederlande) oder drei Erbfolgeordnungen (Dänemark, England, Tschechien, Schweiz). Polen lässt sogar nur die Angehörigen der ersten und zweiten Erbfolgeordnung zum Zuge kommen.

Die Erbrechtsordnungen Europas konturieren ihr Personal unterschiedlich. Die Mehrzahl kennt ein eigenständiges Erbrecht von Seitenverwandten sowohl neben Verwandten der geraden Linie als auch in einer eigenen ferneren Ordnung. Sie sind also nicht als Parentelordnungen organisiert, bei der Erbberechtigte in einer Erbfolgeordnung zusammen gefasst werden, die von einem gemeinsamen Vorfahren (= parens) abstammen. So erben in Belgien, Frankreich und Luxemburg die Geschwister und deren Abkömmlinge neben den Eltern als Angehörige der zweiten Erbfolgeordnung, während alle übrigen Aszendenten der dritten und die weiteren Seitenverwandten der vierten Ordnung angehören. In Portugal bilden die Geschwister samt Abkömmlingen die dritte, die weiteren Verwandten in der Seitenlinie die vierte Ordnung. In Dänemark tauchen die Brüder und Schwestern des Vaters oder der Mutter des Erblassers erst in der dritten Erbfolgeordnung auf, in Belgien in der vierten. Die fünfte Klasse der gesetzlichen Erbanwärter bilden sie in Italien.

Dagegen gehören Verwandte in der Seitenlinie in Deutschland und Griechenland nicht zu den eigenständig erbberechtigten Personen. Sie werden nur als Abkömmlinge von Verwandten der geraden Linie erfasst (Parentelordnungen). Übereinstimmung besteht in den Erbrechtsordnungen Europas darüber, dass die jüngere Generation vor der älteren bevorzugt wird, weil die Abkömmlinge in Kontinentaleuropa überwiegend der ersten Erbfolgeordnung angehören, die Eltern und Voreltern, die sog. Aszendenten, dagegen den weiteren Erbfolgeordnungen. Auch kennen alle Erbrechte Europas ein subisidiäres Erbrecht des Fiskus.

Dagegen weichen die Prinzipien, nach denen die Auswahl der gesetzlichen Erben aus den verschiedenen Erbfolgeordnungen und innerhalb einer Ordnung erfolgt, in den kontinentaleuropäischen Erbrechten voneinander ab. Die meisten Rechtsordnungen strukturieren die Erbfolgeordnungen hierarchisch. Wird eine Person aus einer vorangehenden Ordnung Erbe, schließt sie Angehörige ferner Ordnungen von der gesetzlichen Erbfolge aus. Im Grundsatz gilt das auch für das reformierte französische Erbrecht. Jedoch macht es eine Ausnahme für den Fall, dass in der zweiten Ordnung ein Elternteil des Erblassers vorverstorben ist und keine Geschwister vorhanden sind. In diesem Fall fällt eine Nachlasshälfte an die Verwandten des vorverstorbenen Elternteils in aufsteigender Linie, kommt es also zu einer Aufspaltung des Nachlasses in eine väterliche und eine mütterliche Linie. In Italien gibt es keine feste Reihenfolge der Erbfolgeklassen. Die Abgrenzung erfolgt vielmehr im Einzelfall. Allerdings haben sich auch hier allgemeine Regeln ausgebildet. So schließen Abkömmlinge alle anderen Verwandten von der Erbfolge aus und entfernte Verwandte in der Seitenlinie kommen nur zum Zuge, wenn keine anderen erbberechtigten Personen vorhanden sind.

Innerhalb einer Ordnung oder Klasse gibt es in Europa Erbfolgesysteme, die die gesetzliche Erbberechtigung ausschließlich oder vorrangig nach der Nähe der Verwandtschaft zum Erblasser bestimmen (Gradualsysteme). Das ist etwa in Belgien, Frankreich und Portugal der Fall. Die Erbfolgeordnungen Dänemarks, Deutschlands, Griechenlands und Österreichs setzen dagegen ganz oder jedenfalls in den näheren Ordnungen auf das Prinzip der Erbfolge nach Stämmen und Linien. Innerhalb einer Ordnung sind der Grundsatz der Repräsentation und das Eintrittsrecht bestimmend. In Deutschland richtet sich die Erbfolge ab der vierten Ordnung nach dem Verwandtschaftsgrad, in Griechenland bereits ab der zweiten.

England hatte unter den europäischen Erbfolgesystemen bis zum Jahre 1925 insofern eine besondere Stellung, als für die Vererbung von personal property und real property (Eigentum) verschiedene Regeln galten. Seither gestaltet sich die Erbfolge jedoch für das gesamte Erblasservermögen einheitlich. Auch das englische Recht ordnet die Verwandten des Erblassers nach dem Parentelsystem, freilich nur für den Fall, dass der Erblasser keinen Ehegatten hinterlässt. In erster Linie erben dann die Abkömmlinge, in zweiter Linie die Eltern oder der überlebende Elternteil, sodann die Großeltern, Onkel und Tanten, deren Abkömmlinge und subsidiär die Krone. Abkömmlinge, Geschwister und deren Abkömmlinge sowie Onkel und Tanten erwerben nur dann Ansprüche auf den Nachlass, wenn sie 18 Jahre alt werden oder vor diesem Zeitpunkt heiraten. Bis dahin bleibt der Nachlass als statutory trust (Trust und Treuhand) dem Erbschaftsverwalter zu treuen Händen zugeordnet (Universalsukzession).

b) Ehegattenerbfolge

Nicht minder vielgestaltig als die Verwandtenerbfolge ist die Position des überlebenden Ehegatten in den Erbfolgeordnungen Europas. Einigkeit besteht darüber, dass die Ehe im Zeitpunkt des Erbfalls bestehen muss. Ein geschiedener Ehegatte (Scheidung) scheidet aus dem Kreis der gesetzlich erbberechtigten Personen de lege lata aus. Der überlebende Ehegatte kann dagegen in allen europäischen Erbrechtsordnungen allein aufgrund seines Status mit einer erbrechtlichen Begünstigung rechnen – unabhängig von der Dauer der Ehe und auch ohne Rücksicht auf seine konkrete Bedürftigkeit. Auch richtet sich das Erbrecht des Ehegatten danach, welche anderen Personen neben ihm erben. Wieviel ein Ehegatte beim Tod des anderen tatsächlich erhält, hängt schließlich in Kontinentaleuropa vom Güterstand ab, in dem die Eheleute gelebt haben.

War das, wie in den meisten Staaten Europas, der Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft, erhält der Überlebende regelmäßig die Hälfte des gemeinsam in der Ehe erwirtschafteten Vermögens. Die andere Hälfte der Errungenschaft und das persönliche Vermögen des Erblassers werden nach den Erbfolgeregeln verteilt. In Ländern, in denen nach einem Güterstand der Gütertrennung beim Tod eines Ehegatten ein Zugewinnausgleich erfolgt (Deutschland, Frankreich), scheidet der Zugewinn aus dem Nachlass aus.

Die erbrechtliche Beteiligung des Ehegatten gestaltet sich in den europäischen Rechtsordnungen unterschiedlich. Auf dem Rückzug ist in Europa die Vorstellung, dem Ehegatten solle kein eigenes Erbteil zustehen, sondern nur ein Nießbrauchsrecht am Vermögen des Erblassers. Kein geltendes kontinentaleuropäisches Recht sieht den Ehegatten noch ausschließlich als Begünstigten eines Nießbrauchs an. In Frankreich, das diesem Prinzip ursprünglich folgte, hat der Ehegatte seit dem Jahr 2001 ein Wahlrecht zwischen dem Nießbrauch am ganzen Nachlass und einem Erbteil in Höhe eines Viertels der Erbschaft (ähnlich Luxemburg mit höherer Erbquote). Das spanische Recht beschränkt den Ehegatten neben Abkömmlingen und Aszendenten auf den Nießbrauch, billigt ihm aber sonst ein Erbteil zu. Das belgische Recht gibt dem Ehegatten einen Nießbrauch am Nachlassganzen, wenn er mit Abkömmlingen zusammen trifft. Sonst kommt es auf den Güterstand an. Bestand Gütertrennung, bleibt es beim Nießbrauch, bestand gesetzliche oder vertragliche Gütergemeinschaft, erwirbt der Überlebende das Gesamtgut zu Eigentum und erhält überdies den Nießbrauch am gesamten Nachlass.

In Dänemark, Deutschland, Griechenland, Italien, Österreich, Portugal und Schweden ist der Ehegatte des Erblassers dagegen stets gesetzlicher Erbe. Die Höhe seines Erbteils richtet sich danach, ob und neben welchen Verwandten er erbt. Auch in England hängt die Ausgestaltung des Erbrechts des Ehegatten davon ab, mit welchen Verwandten er zusammen trifft. Muss er den Nachlass mit Abkömmlingen teilen, erhält er neben den personal chattels bis zu GBP 125000,-, neben Eltern, Geschwistern oder deren Abkömmlingen sogar bis zu GBP 250000,-, sofern der Nachlass weniger wert ist, stets das gesamte Vermögen. Außerdem kommt, wenn Abkömmlinge vorhanden sind, ein life interest an der Hälfte des noch verbleibenden Nachlasses hinzu. Neben Eltern, Geschwistern oder deren Abkömmlingen erwirbt der Ehegatte die Hälfte sogar zu unbeschränktem Eigentum. Sind keine Angehörigen der ersten und zweiten Parentel vorhanden, erbt er ohnehin allein.

Ein ganz anderes Konzept verfolgt das niederländische Erbrecht. Das gesamte Vermögen geht mit den Verbindlichkeiten im Zeitpunkt des Erbfalls ipso iure auf den überlebenden Ehegatten über. Die Kinder haben einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Elternteil in Höhe des Wertes ihres gesetzlichen Erbteils. Er ist grundsätzlich erst dann durchsetzbar, wenn auch der Ehegatte verstirbt, der den Erblasser überlebt hat.

4. Strukturen eines einheitlichen Intestaterbrechts

Die Ausgestaltung der Rechte des überlebenden Ehegatten gehört zu den schwierigsten Fragen, die bei einer europäischen Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des gesetzlichen Erbrechts zu beantworten sind (Dieter Leipold). In der Tat sind die Lösungen der europäischen Rechtssysteme konstruktiv recht weit voneinander entfernt, sowohl was das Erbrecht, als auch was das Güterrecht anbelangt. Beide Rechtsmaterien sind auf einander bezogen. Ein europäisches Ehegattenerbrecht muss die unterschiedlichen Ausgleichsinstrumente der einzelnen Güterrechte auch dann mit bedenken, wenn man sich zu einer rein erbrechtlichen Lösung entschließen sollte.

Immerhin gibt es einige Tendenzen, die die Vereinheitlichungsdiskussion prägen: Die Stärkung der Paarbeziehung beruht auf einem erbrechtlichen Paradigmenwechsel weg von einem „vertikalen“ (auf das Verhältnis Eltern und Abkömmlingen bezogenen) und hin zu einem „horizontalen“ Erbrecht, das den Ehegatten als den primär versorgungsbedürftigen Erben verstärkt in den Blick nimmt. In den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen wird das Erbrecht des Ehegatten vom Nutzungs- zum Eigentumsrecht ausgebaut und seine Erbquote oder der ihm gebührende Geldbetrag auf Kosten der Verwandten erhöht. Bei kleineren und mittleren Nachlässen soll der Ehegatte der alleinige Rechtsnachfolger sein.

Was die einheitsrechtliche Ausgestaltung der Verwandtenerbfolge anbelangt, sollte über eine Begrenzung der Erbfolgeordnungen nachgedacht werden. Sie ist ohnehin schon die Regel in Europa, so dass eine Beschränkung auf drei Erbfolgeordnungen realistisch ist. Mit dem Parentelprinzip lässt sich eine weitere Reduktion von erbberechtigten Verwandten erreichen, da Verwandte in der Seitenlinie hier nicht selbst zu Erben berufen sind. Auf das Gradualsystem kann man in einer auf nahe Verwandte beschränkten Erbfolge verzichten. Schließlich ist auch an eine Erhöhung der Erbquote des überlebenden Ehegatten neben den Kindern zu denken.

Die Vorschläge beschränken sich bisher auf eine Reform der traditionellen Erbrechtsordnungen Kontinentaleuropas. Noch wenig geklärt ist die Frage, ob nicht das niederländische Konzept angesichts des demografischen Wandels und der Veränderung der Familienstrukturen (Familie) das zukunftsweisende ist. Dem Ehegatten bleibt hier, solange er lebt, der Nachlass ungeschmälert als Lebensgrundlage erhalten. Dasselbe Ergebnis erzielt auch das englische Erbfolgemodell mit seinen festen Geldbeträgen, die kleinere und mittlere Vermögen zu Lasten der Verwandten wertmäßig erschöpfen. Bisher wurde kaum diskutiert, ob die Ehedauer für die gesetzliche Erbberechtigung des Ehegatten entscheidend sein soll. Eine Ausweitung der Ehegatten- auf Kosten der Verwandtenerbfolge würde wohl eher akzeptiert, wenn der Erblasser nur einmal verheiratet war und die Ehe lange angedauert hat.

Literatur

Jean C. Sonnekus, The New Dutch Code on Succession as Evaluated through the Eyes of a Hybrid Legal System, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 3 (1995) 71 ff.; Stephen M. Cretney, Reform of intestacy: the best we can do?, Law Quarterly Review 111 (1995) 77 ff.; Marius J. de Waal, The social and economic foundations of the law of succession, Stellenbosch Law Review 8 (1997) 162 ff.; Dieter Leipold, Europa und das Erbrecht, in: Festschrift für Alfred Söllner, 2000, 647 ff.; Dieter Henrich, Dieter Schwab (Hg.), Familienerbrecht und Testierfreiheit im europäischen Vergleich, 2001; Walter Pintens, Die Europäisierung des Erbrechts, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 9 (2001) 628 ff.; idem, Grundgedanken und Perspektiven einer Europäisierung des Familien- und Erbrechts, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2003, 329 ff., 417 ff., 499 ff.; Alain Verbeke, Yves-Henri Leleu, Harmonisation of the Law of Succession, in: Arthur Hartkamp, Martijn Hesselink, Ewoud Hondius, Carla Joustra, Edgar du Perron, Muriel Veldman (Hg.), Towards a European Civil Code, 3. Aufl. 2004, 335 ff.; Marius J. de Waal, A Comparative Overview, in: Kenneth G.C. Reid, Marius J. de Waal, Reinhard Zimmermann (Hg.), Exploring the Law of Succession, 2007, 1 ff; Reinhard Zimmermann, The Present State of European Private Law, American Journal of Comparative Law 57 (2009) 479 ff., 503 ff.

Abgerufen von Erbfolge – HWB-EuP 2009 am 23. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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