Betriebsübergang
von Gregor Thüsing/Gerrit Forst
1. Wirtschaftsrealität und Normativgefüge
Mit der Verwirklichung des Binnenmarktes als Grundlage der Europäischen Gemeinschaft hat die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit nicht nur im Bereich des Warenverkehrs, sondern auch und vor allem im Bereich der Niederlassungs- und der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit zugenommen (Grundfreiheiten). Die wirtschaftliche Entwicklung führt auf einzelstaatlicher und gemeinschaftlicher Ebene zu Veränderungen in den Unternehmensstrukturen, die sich unter anderem aus dem Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber ergeben. Als Schlagworte, die vielleicht das Ausmaß der wirtschaftlichen Umwälzungen in den letzten Dekaden ins Bewusstsein rufen, seien nur genannt joint venture, private equity und cross-border merger (dazu RL 2005/56). Aus der Sicht der Arbeitnehmer stellt sich bei einem Betriebsübergang das Problem, dass der Veräußerer infolge des Betriebsübergangs als Arbeitgeber faktisch entfällt. Er kann mangels Betriebes die Arbeitsverträge betriebsbedingt kündigen (§ 1 dt. KSchG, sec. 94, 98(4)(a) Employment Rights Act 1996; Art. L-1233-3 frz. Code du travail). Aufgrund der Relativität der Schuldverhältnisse ist der Erwerber an die bestehenden Arbeitsverträge nicht gebunden und deshalb nicht verpflichtet, die Arbeitnehmer weiter in dem Betrieb zu beschäftigen. Frankreich erließ daher bereits 1928 eine Regelung zum Betriebsübergang (Ex-Art. L-122-12 al. 2 Code du travail), Deutschland wurde in Form des § 613a BGB erstmals 1972 tätig.
Auf europäischer Ebene wurde dieses Problem seit den 1970er Jahren angegangen. Erstmals wurde die Gemeinschaft infolge einer Zunahme von Fusionen und Zusammenschlüssen mit der RL 77/187 vom 14.12.1977 regulierend tätig. Revidiert wurde die Richtlinie durch die RL 98/50 vom 29.6.1998. Durch die Neuerung wurden Aussagen des EuGH zur Auslegung der ursprünglichen Richtlinie in den Gesetzestext eingearbeitet. Daneben wurde die Rechtsstellung der Arbeitnehmervertreter gestärkt und die Informationspflichten gegenüber den Arbeitnehmern verschärft. Die ursprüngliche RL 77/187 und die Änderungs-RL 98/50 wurden als RL 2001/ 23 am 12.3.2001 neu verkündet (Europäisches Arbeitsrecht).
Die RL 2001/23 zielt aber nicht allein auf den Schutz des einzelnen Arbeitnehmers. Vielmehr gewährleistet sie auch die Aufrechterhaltung der kollektivrechtlichen Arbeitsbedingungen. Daneben sollen die Haftungsrisiken zwischen dem bisherigen Arbeitgeber und dem neuen Arbeitgeber angemessen verteilt werden. Die RL 2001/ 23 bezweckt gleichwohl schwerpunktmäßig den Arbeitnehmerschutz, was durch Erwägungsgrund 3 RL 2001/23 sowie daran deutlich wird, dass aus Arbeitnehmersicht günstigere Regelungen nach Art. 8 RL 2001/23 beibehalten werden dürfen.
2. Umsetzung in den Mitgliedstaaten
In Deutschland wurde § 613a BGB wiederholt an die europarechtlichen Vorgaben angepasst. Die erste Angleichung von 1980 setzte die RL 77/187 um. Erst im Jahr 2002 und damit unter Verletzung der Umsetzungsfrist des Art. 2 RL 98/50 wurden in § 613a Abs. 5 BGB die Unterrichtungspflichten geregelt. Ferner wurde in § 21a dt. BetrVG in Umsetzung des Art. 6 RL 98/50 das Übergangsmandat des Betriebsrates geschaffen sowie in überschießender Umsetzung durch § 613a Abs. 6 BGB das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers eingeführt. Die französischen Umsetzungsnormen finden sich in Art. L-1224-1 ff. Code du travail. Im Vereinigten Königreich entschied man sich für eine Umsetzung in einem eigenen Gesetz, den Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006. Die Umsetzungsakte sämtlicher Mitgliedstaaten finden sich auf der Internetseite von Eur-Lex, abrufbar unter <http://eur-lex.europa.eu>. Als Innovationsmotor erweist sich für Fragen des Betriebsübergangs nach wie vor auch die Rechtsprechung des EuGH, so zuletzt in Klarenberg (Rs. C-466/07, NZA 2009, 251).
3. Betriebsübergang
Nach Art. 1(1)(a) RL 2001/23 ist einzige Voraussetzung für das Eingreifen der Rechtsfolgen der Richtlinie ist das Vorliegen eines Übergangs von Unternehmen, Unternehmensteil, Betrieb oder Betriebsteil auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung. Als Übergang gilt dabei nach Art. 1(1)(b) RL 2001/23 der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit. Diese Begriffe bedürfen der Erörterung.
a) Unternehmen, Unternehmensteil, Betrieb und Betriebsteil
Erst durch die RL 98/50 wurde der Anwendungsbereich neben Unternehmen, Betrieben und Betriebsteilen auch auf Unternehmensteile erweitert. Der EuGH trennt zwischen den Begriffen Unternehmen, Unternehmensteil, Betrieb und Betriebsteil jedoch nicht, sondern fasst sie alle in der Definition des Art. 1(1)(b) RL 2001/23 zusammen. Eine weitergehende Differenzierung ist auch nicht sinnvoll, denn der Betriebsteil ist das átomos der Materie der RL 2001/23, die kleinste, unteilbare Einheit, die in allen anderen Begriffen mit enthalten ist. Es muss sich bei dem Betriebsteil um eine organisatorisch selbstständige Einheit handeln, die innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks zumindest einen Teilzweck erfüllt. Der Zweck muss sich nicht vom Zweck des Gesamtbetriebs unterscheiden, allerdings ist eine eigene Teilidentität erforderlich. Eine untergeordnete Hilfsfunktion, wie etwa bei einer Betriebskantine, ist ausreichend. Die wirtschaftliche Tätigkeit muss auf Dauer angelegt sein und darf nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt sein. Wirtschaftlich ist die Einheit nach Art. 1(1)(c) RL 2001/23 nicht nur dann, wenn sie auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist. Die Wirtschaftlichkeit ist nur ausgeschlossen, wenn es sich um ausschließlich hoheitliche Befugnisse handelt. Handelt es sich nicht um hoheitliche Aufgaben, liegt eine wirtschaftliche Einheit selbst dann vor, wenn die übertragene Dienstleistung durch eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, wie z.B. eine Gemeinde, vergeben worden ist.
b) Identitätswahrung
Zentral für das Vorliegen eines Betriebsübergangs ist die Frage der Identitätswahrung. Hier müssen nach dem EuGH in Spijkers (Rs. 24/85, Slg. 1986, 1119) sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen im Rahmen einer Gesamtbewertung berücksichtigt werden, insbesondere folgende sieben Kriterien: (i) die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, (ii) den Übergang materieller Aktiva, (iii) den Übergang immaterieller Aktiva, (iv) die Übernahme der Hauptbelegschaft, (v) den Übergang der Kundschaft, (vi) den Grad der Ähnlichkeit der Tätigkeit und (vii) die Dauer einer Unterbrechung der Tätigkeit.
Keines dieser Kriterien ist notwendiger, keines allein hinreichender Bestandteil zur Bejahung eines Betriebsübergangs. Entscheidend ist, ob ein funktionsfähiger Organisationszusammenhang im Wesentlichen unverändert übernommen wird. Wird eine neue Arbeitsorganisation aufgebaut, wird die Identität nicht gewahrt, selbst wenn die Arbeitsaufgabe unverändert fortgeführt wird. Die bloße Funktionsnachfolge stellt nach der Rechtsprechung des EuGH in Ayse Süzen (Rs. C-13/95, Slg. 1997, I-1259) keinen Betriebsübergang dar. Andererseits kann eine Identitätswahrung nach Aussagen des EuGH in Klarenberg (Rs. C-466/07, NZA 2009, 251) auch dann gegeben sein, wenn die organisatorische Einheit weitgehend aufgelöst wird.
Die sieben Kriterien sind – gemessen am Ein- zelfall – unterschiedlich zu gewichten. Als entscheidend erweist sich dabei die Charakterisierung der Art des Betriebes als betriebsmittelreich oder betriebsmittelarm. Um einen betriebsmittelreichen Betrieb handelt es sich, wenn die materiellen Aktiva maßgeblich für die Charakterisierung des Betriebes sind, etwa der Hochofen in einem Stahlwerk. In betriebsmittelarmen Betrieben stehen dagegen immaterielle Aktiva im Vordergrund, vor allem Know-How und Patente.
Zu den materiellen Aktiva zählen alle körperlichen Betriebsmittel wie die Gebäude, die Maschinen, die Einrichtungsgegenstände oder der Fuhrpark. Diese müssen nicht eigenwirtschaftlich genutzt werden, also nicht unmittelbar der Gewinnerzielung dienen. Weder aus dem Wortlaut der RL 2001/23 noch aus ihrem Telos, dem Schutz der Arbeitnehmer bei einem Unternehmens- oder Betriebswechsel, ergibt sich dieses Erfordernis.
In der Rechtssache Christel Schmidt entschied der EuGH, dass auch die Übernahme der Hauptbelegschaft einen Betriebsübergang begründen kann, insbesondere bei betriebsmittelarmen Betrieben (Rs. C-392/92, Slg. 1994, I-1311). Nach der Entscheidung in der Rechtssache Ayse Süzen ist allerdings geklärt, dass die bloße Funktionsnachfolge keinen Betriebsübergang darstellt, sondern dass gerade bei betriebsmittelarmen Betrieben an die Übernahme der Hauptbelegschaft anzuknüpfen ist, weil es keinen Übergang materieller Aktiva gibt. Problematisch ist an dieser Abgrenzung, dass sie einen Anreiz setzt, Arbeitnehmer nicht zu übernehmen, so dass dem Telos der RL 2001/23 geradezu widersprochen wird.
Die Übernahme der Kundschaft kann ebenfalls einen Betriebsübergang indizieren. Das wird vor allem bei der Übernahme einer Kundenkartei, Exklusivlieferverträgen oder Vertriebsberechtigungen der Fall sein.
Zweifelhaft ist, inwieweit der Grad der Ähnlichkeit der Tätigkeit tatsächlich einen Betriebsübergang indizieren kann. Da einerseits die bloße Funktionsnachfolge nicht ausreicht, andererseits bei Übernahme der materiellen oder immateriellen Aktiva, der Hauptbelegschaft oder des Kundenstamms in aller Regel ein hoher Grad an Ähnlichkeit der Tätigkeit besteht, ist das Kriterium von geringem Erkenntniswert.
Die Dauer einer Tätigkeitsunterbrechung grenzt die Betriebsfortführung von der Betriebsstilllegung ab. Eine pauschale Dauer kann dabei nicht festgelegt werden, weil es auf die jeweilige Tätigkeit ankommt, ob der neue Betriebsinhaber von dem bisherigen Betrieb noch profitiert oder ob dieser bereits zerschlagen ist. Hier lässt sich maßgeblich auf das Fortbestehen der Kundenbindung abstellen.
c) Übergang auf neuen Betriebsinhaber
Der Übergang auf einen neuen Betriebsinhaber setzt einen Wechsel des Rechtsträgers voraus. Der Betriebsinhaber ist jeweils diejenige Person, die den Betrieb im eigenen Namen, nicht notwendigerweise auf eigene Rechnung, führt. Auf die Eigentumssituation kommt es nicht an. Bei einer Gesellschaft reicht es nach Auffassung des BAG nicht aus, wenn nur die Gesellschafter oder die Rechtsform gewechselt werden. Das überzeugt, denn bei der Umwandlung bleibt der Arbeitgeber als Rechtssubjekt erhalten und ein Gesellschafterwechsel lässt die juristische Person unberührt. Systematisch bestätigt dies Art. 1(1) (a) RL 2001/23, wonach die Verschmelzung erfasst ist – hier erlöschen die sich verschmelzenden Rechtsträger.
d) Rechtsgeschäft oder Verschmelzung
Der Begriff des Rechtsgeschäfts wird weit verstanden. Ausgenommen ist allein die Übertragung durch Gesamtrechtsnachfolge, also durch Erbrechtsnachfolge oder durch gesellschaftsrechtliche Umwandlungen. Unmittelbare rechtsgeschäftliche Beziehungen sind nicht erforderlich. Sogar eine einseitige staatliche Entscheidung stellte nach Auffassung des EuGH in der Rs. Redmond Stichting einen Betriebsübergang dar. Dagegen kann nicht der Wortlaut der deutschen Fassung des Art. 1(1)(a) RL 2001/23 angeführt werden, der eine vertragliche Übertragung voraussetzt. Der Wortlaut ist hier kein starkes Argument, denn die Sprachfassungen variieren (legal transfer, cession conventionnelle, cessione contrattuale, overeenkomst). Aus Sicht der zu schützenden Arbeitnehmer macht es allerdings keinen Unterschied, aus welchem Grund der Betriebsinhaber wechselt, so dass die Teleologie die Auslegung durch den EuGH rechtfertigt. Die Verschmelzung ist in auch für die Auslegung der RL 2001/23 bindender Weise in Art. 3(1) RL 78/ 855 geregelt. Da es zu einer Gesamtrechtsnachfolge kommt, übernimmt der entstehende Rechtsträger die bestehenden Arbeitsverträge ohnehin. Nach Erwägungsgrund 12 RL 2005/56 gilt entsprechendes wohl auch für die grenzüberschreitende Verschmelzung.
e) Betriebsübergang in der Insolvenz
Art. 5(1) RL 2001/23 stellt klar, dass die Mitgliedstaaten keine Regelungen treffen müssen, wenn gegen den Veräußerer ein Konkursverfahren oder ein „entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde“. Die in den Art. 3, 4 RL 2001/23 angeordneten Rechtsfolgen dürften den Arbeitnehmern in dieser Situation tatsächlich eher schaden als nützen, weil sich wegen des dort angeordneten Kündigungsschutzes kein Erwerber finden könne, der das Unternehmen sanieren will. Gleichzeitig gestattet Art. 5 RL 2001/ 23 den Mitgliedstaaten, den Anwendungsbereich der Betriebsübergangsregelungen auf die Insolvenz zu erstrecken. Im deutschen Recht ergibt ein Gegenschluss aus § 128 Abs. 2 InsO, dass § 613a BGB bei Insolvenz des Veräußerers uneingeschränkt gilt. Eine Sonderregelung hat die Insolvenz in sec. 8 Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 erfahren: sec. 8 Abs. 3 und 4 Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 bestimmen, dass der Employment Rights Act 1996 im Falle der Insolvenz auf ein gekündigtes Arbeitsverhältnis Anwendung findet und dass als Datum der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Datum des Betriebsübergangs gilt, wobei der Veräußerer weiter als Arbeitgeber gilt. Von der Regelung nicht erfasst sind nach sec. 8 Abs. 7 Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 Betriebsübergänge infolge einer Liquidierung der Vermögenswerte in der Insolvenz.
4. Rechtsfolgen auf individualarbeitsrechtlicher Ebene
Ein Betriebsübergang zeitigt Rechtsfolgen auf mehreren Ebenen. Ausnahmebestimmungen sieht Art. 5(2) RL 2001/23 für die Insolvenz vor. Für den Arbeitnehmerschutz am wichtigsten sind die individualarbeitsrechtlichen Auswirkungen.
a) Eintritt in die Rechte und Pflichten
Nach Art. 3(1)1 RL 2001/23 gehen die Rechte und Pflichten aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis auf den Erwerber über. Der betroffene Arbeitnehmer muss dem übertragenen Betriebsteil nach Auffassung des EuGH in Ny Mølle Kro angehören (Rs. 287/86, Slg. 1987, 5467). Es reicht nicht aus, dass er als Beschäftigter einer nicht übertragenen Abteilung Tätigkeiten für den übertragenen Betriebsteil verrichtet. Dem Arbeitsverhältnis liegt nach Art. 2(1)(d) RL 2001/23 der nationale Arbeitnehmerbegriff zugrunde. Im deutschen Recht sind damit Organmitglieder und freie Mitarbeiter nicht durch § 613a BGB geschützt. Nach Art. 2(2) RL 2001/23 dürfen Teilzeitarbeitnehmer, befristet beschäftigte Arbeitnehmer und Leiharbeitnehmer aber nicht ausgeklammert werden.
b) Kündigungsverbot
Nach Art. 4(1) RL 2001/23 ist die Kündigung wegen des Betriebsübergangs sowohl dem Veräußerer als auch dem Erwerber verboten. Zulässig bleibt eine Kündigung aus sonstigen Gründen, selbst wenn diese durch den Betriebsübergang bedingt sind. Der Betriebsübergang darf jedoch nicht die überwiegende Ursache für die Kündigung sein. Ein Verstoß liegt in der Regel vor, wenn die Kündigung ungefähr zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs wirksam wird und die Arbeitnehmer vom Erwerber wieder eingestellt werden.
c) Unterrichtung und Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers
Art. 7(6) RL 2001/23 sieht eine unmittelbare Unterrichtung der Arbeitnehmer nur vor, wenn es im Betrieb keine Arbeitnehmervertreter gibt. § 613a Abs. 5 BGB schreibt in überschießender Umsetzung immer eine Unterrichtung der Arbeitnehmer selbst vor. Dies ist wegen des in Art. 8 RL 2001/23 verankerten Günstigkeitsprinzips europarechtskonform. Einen anderen Weg geht das britische Recht, sec. 13 The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 verpflichtet zur Information der Arbeitnehmervertreter, welche in der Regel Gewerkschaftsvertreter sind (sec. 13 Abs. 3 lit. a The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006). Sind solche nicht vorhanden, können sonstige Arbeitnehmervertreter nach sec. 13 Abs. 3 lit b(i) The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 informiert werden. Sind auch diese nicht vorhanden, werden Arbeitnehmervertreter nach sec. 13 Abs. 3, lit. b(ii), 14 Abs. 1 The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 gewählt und informiert. In Frankreich ist das comité d’entreprise nach Art. L-2323-19 Code du travail über jede Veränderung der Organisation des Unternehmens zu unterrichten. Darunter ist auch der Betriebsübergang zu subsumieren.
Wegen Art. 8 RL 2001/23 europarechtskonform ist auch § 613a Abs. 6 BGB. Das hier geregelte Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers bewirkt, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer fortbesteht. Dies kann sich für den Arbeitnehmer nachteilig auswirken, wenn beim Veräußerer keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht, denn dieser kann dann nach § 1 dt. KSchG betriebsbedingt kündigen.
5. Rechtsfolgen auf kollektivarbeitsrechtlicher Ebene
Neben der individualrechtlichen Ebene ist beim Betriebsübergang auch die kollektivarbeitsrechtliche Ebene betroffen. Auch dazu enthält die RL 2001/23 Regelungen.
a) Weitergeltung kollektivrechtlicher Vereinbarungen
Art. 3(3) RL 2001/23 sieht vor, dass der Erwerber die kollektivrechtlich vereinbarten Arbeitsbedingungen mindestens ein Jahr aufrechterhalten muss. Im deutschen Recht gibt es zwei Mechanismen, die zu einer Weitergeltung führen. Vorrangig ist eine fortbestehende normative Wirkung, die sich aus § 4 Abs. 1 dt. TVG ergibt. Subsidiär werden kollektivrechtliche Regelungen nach § 613a Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB in den Arbeitsvertrag transformiert, gelten also nicht mehr normativ weiter. Dies wird Art. 3(3) RL 2001/23 gerecht, der nur eine Weitergeltung in gleichem Maße, nicht aber als kollektivrechtliche Normen fordert. Für den Schutz des Arbeitnehmers ist die Form bedeutungslos.
Eine Betriebsvereinbarung gilt bei betriebsverfassungsrechtlicher Identität weiter. Betriebsnormen bestehen nach herrschender Ansicht im deutschen Schrifttum durch Transformation nach § 613a Abs. 1 S. 2 bis 4 BGB aber nur fort, wenn sie zugleich den Inhalt der Arbeitsverhältnisse gestalten und ihnen damit die Wirkung von Inhaltsnormen zukommt. Grundsätzlich nicht erfasst werden demnach betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Normen oder solche über gemeinsame Einrichtungen. Gegen diese beschränkte Transformation bestehen europarechtliche Bedenken. Zwar spricht Art. 3(3)1 RL 2001/23 lediglich von den in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen, erfasst also nur die Normen, die den Inhalt der Arbeitsverhältnisse gestalten. Art. 3(3)1 RL 2001/ 23 beschränkt sich aber nicht auf die individualrechtliche Arbeitsbeziehung, sondern legt ein umfassendes Verständnis nahe, das sich auf alle Bestimmungen für das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bezieht, unerheblich davon, ob sie den einzelnen Arbeitnehmer betreffen oder die Arbeitnehmerschaft als Ganzes. Weiter bestätigt auch ein Vergleich mit anderen Sprachfassungen (terms and conditions, conditions de travail, wie die deutsche aber die niederländische Fassung vastgelegde arbeidsvoorwaarden) die hiesige Ansicht. Schließlich spricht das Ziel der Richtlinie, das kollektivrechtliche Schutzniveau zu erhalten, gegen ein enges Verständnis.
Durch die Transformation werden die Kollektivnormen auf dem Stand beim Betriebsübergang eingefroren. Die transformierten Normen dürfen nach Art. 3(3)2 RL 2001/23, § 613a Abs. 1 S. 2 BGB innerhalb eines Jahres nicht geändert werden. Ausnahmen gelten, wenn der Kollektivvertrag endet oder durch einen neuen Kollektivvertrag ersetzt wird.
b) Erhalt der Rechtsstellung und der Funktion der Arbeitnehmervertretung
Nach Art. 6(1)1 RL 2001/23 bleiben Rechtsstellung und Funktion von Arbeitnehmervertretung in gleicher Weise erhalten, wenn der Betrieb weiterhin selbständig ist und die Bedingungen für die Bildung der Arbeitnehmervertretung erfüllt sind. Art. 2(1)(c) RL 2001/23 verweist zur Definition des Arbeitnehmervertreters auf das nationale Recht. Bedeutungszuwachs erhalten haben diese Bestimmungen vor allem durch die RL 2002/14 über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer auf nationaler Ebene sowie die RL 2001/86 über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der Societas Europaea (Europäische Aktiengesellschaft). Letztere ermöglicht europaweit die Einführung von Mitbestimmung in den Organen der SE.
In Deutschland sind Betriebsräte und Sprecherausschüsse, Bordvertretungen, Seebetriebsräte sowie Jugend- und Auszubildendenvertretungen erfasst. Die in Frankreich geschützten Arbeitnehmervertretungen ergeben sich aus Art. L-2414-1 Code du travail. Im Vereinigten Königreich sind nach sec. 6 Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006 Gewerkschaftsvertreter geschützt.
Nach Art. 6(1)2 RL 2001/23 wird durch den Erhalt der Arbeitnehmervertretung eine Neubildung oder Neubestellung nicht verhindert. Verliert der Betrieb seine Selbstständigkeit, geht er also vollständig in einem anderen Betrieb oder Betriebsteil auf, besteht kein Schutz nach Art. 6 (1)1 RL 2001/23. Die Mitgliedstaaten müssen dann nach Satz 4 eine Arbeitnehmervertretung für den Übergangszeitraum gewährleisten, bis eine neue Arbeitnehmervertretung gebildet ist. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgabe in § 21a dt. BetrVG umgesetzt. Ausscheidende Arbeitnehmervertreter genießen nach Art. 6(2) RL 2001/23 einen nachwirkenden Schutz.
c) Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter
Art. 7 RL 2001/23 verpflichtet zur Unterrichtung und Konsultation der Arbeitnehmervertreter. Wie bei Massenentlassungen bietet die RL 2002/14 hier flankierenden, institutionellen Schutz. Ohne Arbeitnehmervertretungen laufen die Pflichten leer. Deshalb zwingt die RL 2002/14 zu deren Errichtung. Bereits 1994 hatte allerdings der EuGH aus Art. 6(1) RL 77/187 gefolgert, dass die Mitgliedstaaten zur Errichtung von Arbeitnehmervertretungen verpflichtet sind (Rs. C-382/92 – Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1994, I-2435).
6. Weiterhaftung des Veräußerers
Nicht zwingend, durch Art. 3(1)2 RL 2001/23 aber erlaubt ist die in § 613a Abs. 2 und 3 BGB vorgesehene gesamtschuldnerische Haftung des Veräußerers für auf den Erwerber übergegangene Verpflichtungen, soweit diese vor dem Übergang entstanden sind und innerhalb eines Jahres fällig werden. Dieser Haftung liegt der Gedanke zugrunde, dass der Veräußerer einen Erlös für den Betrieb erhalten hat, der auch durch die Belegschaft erwirtschaftet wurde. Der Arbeitnehmer erhält dadurch einen zusätzlichen Schuldner.
Literatur
Bernhard Debong, Die EG-Richtlinie über die Wahrung der Arbeitnehmeransprüche beim Betriebsübergang, 1988; Constantin v. Alvensleben, Die Rechte der Arbeitnehmer bei Betriebsübergang im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1992; Friederike Löw, Die Betriebsveräußerung im europäischen Arbeitsrecht, 1992; Gérard Couturier, Droit du Travail, I/Les Relations Individuelles du Travail, 1998, 373; Rolf Birk, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2000, § 19 Rn. 213 ff.; Catherine Barnard, EC Employment Law, 2000, 446; Klaus-Stefan Hohenstatt, Timon Grau, Der Betriebsübergang nach Güney Görres: Was geht noch?, Neue Juristische Wochenschrift 2007, 29; Martin Kock, Voraussetzungen eines Betriebsübergangs nach der aktuellen BAG-Rechtsprechung, Betriebsberater 2007, 714; Wilhelm Moll, Anm. zu BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 315/04, Recht der Arbeit 2007, 48; Win Derbyshire, Stephen Hardy, Stephen Maffey, TUPE: Law and Practice: The Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006, 2008; Jean Pélissier, Alain Supiot, Antoine Jeammaud, Gilles Auzero, Droit du travail, 24. Aufl. 2008; Norman Selwyn, Law of Employment, 15. Aufl. 2008; Gregor Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, 2008, § 5; Heinz Josef Willemsen, Erneute Wende im Recht des Betriebsübergangs: Ein „Christel Schmidt II“-Urteil des EuGH?, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2009, 289 ff.