Bürgschaft (Gemeines Recht)

Aus HWB-EuP 2009

von Sonja Meier

1. Erscheinungsformen, Terminologie

Die Bürgschaft als persönliche Haftung zur Sicherung der Schuld eines Dritten spielte im römischen Recht eine herausragende Rolle. Persönliche Kreditsicherheiten boten dem Gläubiger wegen der Härte der römischen Vollstreckung, die als Gesamtvollstreckung stets zum Konkurs des Schuldners führte, mehr Schutz als heute, der Realkredit war nur unzureichend geregelt, und die streng beurteilten Freundschafts- und Treuepflichten umfassten auch die Übernahme von Bürgschaften. Die zwei älteren Formen der sponsio und fidepromissio wurden im klassischen Recht von der fideiussio verdrängt, die, nachdem ihre Regeln im Gemeinen Recht (ius commune) rezipiert wurden, die Grundlage der europäischen Bürgschaft bildet. Daneben gab es sowohl im römischen als auch im Gemeinen Recht zahlreiche bürgschaftsähnliche Geschäfte, etwa den Kreditauftrag (mandatum qualificatum), sowie Sonderformen der Bürgschaft, etwa die Nach- und die Ausfallbürgschaft. All diese Geschäfte wurden zusammen mit der Garantie, der Schuldübernahme, dem Schuldbeitritt und den dinglichen Sicherungen unter dem Oberbegriff der Interzession, des Eintretens für eine fremde Schuld, zusammengefasst. Die gemeinsame historische Tradition hat zu einer bemerkenswerten Einheit des europäischen Bürgschaftsrechts geführt. Auch das englische Kreditsicherungsrecht, in dem der contract of guarantee der kontinentaleuropäischen Bürgschaft entspricht, wurde teilweise direkt, teilweise über das Law Merchant (lex mercatoria), vom römischen Recht beeinflusst.

2. Form

Schon im klassischen römischen Recht entstand die Bürgschaft durch einen Vertrag des Bürgen mit dem Gläubiger; eine Beteiligung des Hauptschuldners war nicht erforderlich. Der Bürge verpflichtete sich durch Stipulation, einer formelhaften mündlichen Abrede, die im späteren Recht beurkundet wurde. Da das Gemeine Recht keine Stipulationen mehr kannte, vielmehr jede vertragliche Einigung der Parteien für bindend hielt (Vertragsfreiheit), war eine Bürgschaft hier formlos möglich. Dieser Grundsatz wurde in den einzelnen Rechtsordnungen häufig gesetzlich zum Schutz des Bürgen eingeschränkt, sei es, wie etwa in England und Preußen, durch das Erfordernis einer Schriftform für Bürgschaften, sei es, wie in Frankreich, durch ein Formerfordernis für alle Verträge, deren Gegenstand einen bestimmten Wert übersteigt.

3. Akzessorietät

Schon die älteren römischen Bürgschaftsformen waren in bestimmtem Maße vom Bestand der gesicherten Hauptschuld abhängig. Hierauf aufbauend entwickelte sich im Gemeinen Recht der Grundsatz der Akzessorietät der Bürgenverpflichtung, der allerdings nicht unbeschränkt galt. Grundsätzlich setzte die Bürgschaft eine wirksame Hauptschuld voraus, wobei aber auch zukünftige und bedingte Forderungen und teilweise auch Naturalobligationen gesichert werden konnten. Der Bürge konnte sich nicht zu mehr und auch nicht strenger verpflichten als der Hauptschuldner. Hatte der Bürge eine solche weiter reichende Verpflichtung übernommen, wurde unterschiedlich beurteilt, ob das gesamte Geschäft nichtig war, ob die Bürgschaft insoweit aufrechterhalten werden sollte, wie sie der Hauptschuld entsprach, oder ob insbesondere dann, wenn der Bürge den Mangel der Hauptschuld kannte, mittels Auslegung ein anderes Geschäft, etwa ein Garantieversprechen (promissio indemnitatis), angenommen werden sollte.

Das Erlöschen der Hauptschuld, etwa durch Erfüllung, Novation oder Konfusion, führte grundsätzlich auch zum Erlöschen der Bürgschaft. Auch sonst standen dem Bürgen grundsätzlich die Einreden des Hauptschuldners zu, etwa die der Arglist, der Rechtsgrundlosigkeit, der Sittenwidrigkeit, der rechtskräftig entschiedenen Sache oder der Verjährung. Ein Verzicht des Hauptschuldners auf diese Einreden hatte gegenüber dem Bürgen keine Wirkung. Nach Gemeinem Recht war der Bürge zudem befugt, bestimmte Gestaltungsrechte des Hauptschuldners auszuüben, insbesondere die Anfechtung des der Hauptschuld zugrunde liegenden Geschäfts und die Aufrechnung mit einer dem Hauptschuldner zustehenden Forderung. Etwas anderes galt aber, wenn die Einrede die Person des Hauptschuldners, insbesondere seine Zahlungsfähigkeit, betraf. Konnte der Gläubiger die Hauptschuld wegen Vermögenseinziehung, Kriegsgefangenschaft oder infolge des Konkurses des Hauptschuldners nicht mehr durchsetzen, blieb der Bürge verhaftet, weil es sich um Risiken handelte, welche die Bürgschaft gerade absichern sollte. Zu diesen persönlichen Einreden, die dem Bürgen nicht zugute kamen, gehörten aber auch der auf die Person des Hauptschuldners beschränkte Erlass sowie teilweise auch die Geschäftsunfähigkeit des Hauptschuldners.

Nach römischem Recht haftete der Bürge für den Verzug und wohl auch für das Verschulden des Hauptschuldners. Gemeinrechtlich war umstritten, ob der Bürge für nachträgliche Veränderungen der Hauptschuld infolge von Leistungsstörungen stets oder nur dann eintreten musste, wenn eine solche Haftung besonders vereinbart war. Veränderungen der Hauptschuld, die auf einem nachträglichen Rechtsgeschäft zwischen Hauptschuldner und Gläubiger beruhten, berührten die Bürgenhaftung nicht.

4. Subsidiarität

Nach klassischem römischen Recht konnte der Gläubiger nach seiner Wahl gleichermaßen auf den Hauptschuldner oder auf den Bürgen zugreifen. Nur die Sitte gebot eine vorrangige Belangung des Hauptschuldners. Bei der fideiussio (nicht aber bei der Ausfallbürgschaft oder beim Kreditauftrag) betrafen jedoch die Klagen gegen Hauptschuldner und Bürgen denselben Streitgegenstand, so dass die Klage gegen einen der Schuldner eine Klage gegen den anderen ausschloss. Der Gläubiger wurde durch diese Prozesskonsumption allerdings nicht allzu sehr gefährdet, weil eine Klage wegen der Härte des römischen Vollstreckungsrechts und den sittlichen Verpflichtungen zwischen Hauptschuldner und Bürgen in der Regel auch zur Befriedigung führte. Der oströmische Kaiser Justinian schaffte 531 die Prozesskonsumption ab und gewährte durch eine 535 erlassene Novelle dem Bürgen die Einrede der Vorausklage (beneficium excussionis oder ordinis), die den Gläubiger verpflichtete, zuerst den Hauptschuldner zu verklagen und einen Vollstreckungsversuch zu unternehmen, bevor er den Bürgen belangen konnte. Auf von Dritten gestellte dingliche Sicherheiten oder im Besitz Dritter befindliche Sachen durfte der Gläubiger aber erst nach erfolgloser Belangung des Bürgen zugreifen. Die Einrede der Vorausklage wurde im kontinentaleuropäischen Gemeinen Recht rezipiert, so dass die Subsidiarität hier (anders als im englischen common law) zum Wesensmerkmal der Bürgenhaftung wurde. Sie kannte allerdings eine Reihe von Ausnahmen, etwa bei bürgenden Kaufleuten, und galt nicht, wenn der Hauptschuldner in Konkurs gefallen oder abwesend und daher nur erschwert belangbar war. Vor allem konnte auf die Einrede verzichtet werden, etwa durch eine Verpflichtung als Solidarbürge oder selbstschuldnerischer Bürge, was in der Praxis offenbar häufig war.

5. Rückgriff

Ein Rückgriff des Bürgen, der an den Gläubiger geleistet hatte, konnte sich nach römischem, Gemeinem und englischem Recht aus einem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis ergeben, insbesondere dann, wenn der Bürge sich im Auftrag des Hauptschuldners verbürgt oder der Hauptschuldner die Verbürgung gebilligt hatte. Aus dem Auftragsverhältnis entstand dann ein Anspruch auf Auslagenersatz, der die an den Gläubiger gezahlte Summe sowie sonstige erforderliche Aufwendungen umfasste. Ein solcher Anspruch konnte sich nach römisch-gemeinem (nicht aber englischem) Recht auch aus den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag ergeben, wenn der Bürge sich ohne Veranlassung durch den Hauptschuldner, aber in dessen Interesse verpflichtet hatte, etwa wenn der Hauptschuldner abwesend war. Sofern der Bürge Beauftragter oder berechtigter Geschäftsführer war, gewährte ihm das römisch-gemeine Recht in bestimmten Fällen auch schon vor seiner Zahlung an den Gläubiger einen Anspruch gegen den Hauptschuldner auf Befreiung von seiner Bürgenschuld, etwa dann, wenn der Hauptschuldner im Verzug war oder wenn sich seine Vermögensverhältnisse erheblich verschlechtert hatten.

Daneben konnte der vom Gläubiger in Anspruch genommene Bürge schon nach römischem Recht mit Hilfe der Arglisteinrede (exceptio doli) verlangen, dass ihm der Gläubiger die Klage gegen den Hauptschuldner abtrat, ein Recht, das Justinian in seiner 535 erlassenen Novelle verallgemeinerte. Danach war der Bürge zur Leistung an den Gläubiger nur gegen Abtretung der Klagen gegen den Hauptschuldner verpflichtet. Dieser Zessionsregress war für den Bürgen zum einen dann wichtig, wenn er kein eigenes Rückgriffsrecht hatte (etwa weil er sich gegen den Willen des Hauptschuldners verbürgt hatte), zum anderen dann, wenn es neben der Bürgschaft weitere Sicherheiten für die Hauptschuld gab, weil der Bürge mit Hilfe der Gläubigerklage auf diese Sicherheiten zugreifen konnte. Dieses sogenannte beneficium cedendarum actionum wurde im Gemeinen Recht rezipiert und gelangte auch ins englische Recht. Zunehmend empfand man es aber als unbefriedigend, den Zessionsregress des Bürgen vom Rechtsgeschäft der Abtretung als überflüssiger Förmelei abhängig zu machen. Teilweise verzichtete man daher auf den Abtretungsakt und gelangte so zu einem gesetzlichen Forderungsübergang bzw. einem Eintrittsrecht des Bürgen in die Rechtsstellung des Gläubigers (Subrogation). Stattdessen oder daneben wurde manchmal auch ein eigener Rückgriffsanspruch des Bürgen gegen den Hauptschuldner anerkannt, der nicht mehr vom Nachweis eines besonderen Innenverhältnisses abhängig war.

Eine Abtretung oder ein Übergang der Klage gegen den Hauptschuldner war aber nicht mehr möglich, wenn der Gläubiger diesem einen nur persönlich wirkenden Erlass gewährt oder die Forderung in anderer Weise verloren hatte, etwa durch verspätete Anmeldung im Konkursverfahren. In diesem Fall war der Regress des Bürgen gefährdet (falls die Hauptschuld gesichert gewesen war) oder sogar vereitelt (falls er kein eigenes Rückgriffsrecht hatte). Im Gemeinen Recht schützte man den Bürgen, indem man entweder das beneficium excussionis oder das beneficium cedendarum actionum als peremptorisch begriff: Der Gläubiger verlor seinen Anspruch gegen den Bürgen, wenn er die Vorausklage gegen den Hauptschuldner bzw. die Abtretung der Hauptschuld an den Bürgen durch eigenes Handeln unmöglich gemacht hatte. Die Einzelheiten waren umstritten, etwa die Frage, ob die Einrede nur dann galt, wenn der Gläubiger die Hauptschuld oder eine Sicherheit vorsätzlich aufgegeben hatte oder ob er auch schon bei nachlässiger Rechtsverfolgung präkludiert war, ob ihn also Diligenzpflichten gegenüber dem Bürgen trafen.

6. Mitbürgen

Schon im römischen Recht war es üblich, dass sich mehrere, gemeinsam oder unabhängig voneinander, für dieselbe Schuld verbürgten. Während bei den älteren Bürgschaftsformen der sponsio und fidepromissio ein Gesetz Teilschulden der Mitbürgen anordnete, galt bei der fideiussio und damit auch bei der gemeinrechtlichen Bürgschaft, dass der Gläubiger von jedem Mitbürgen die gesamte Leistung verlangen konnte. Gemeinrechtlich wurden Mitbürgen daher zumeist als Gesamtschuldner angesehen. Die Gesamthaftung wurde aber durch kaiserliche Gesetzgebung im 2. Jahrhundert dadurch abgemildert, dass der in Anspruch genommene Mitbürge vom Gläubiger verlangen konnte, die noch ausstehende Summe unter alle zahlungsfähigen Mitbürgen aufzuteilen. Diese Einrede der Teilung (beneficium divisionis) wurde im Gemeinen Recht (nicht aber im common law) rezipiert. Weil die Teilung nur unter den zur Zeit des Gläubigerzugriffs zahlungsfähigen Bürgen stattfand, beließ sie das Risiko der Insolvenz einzelner Mitbürgen bei den Mitbürgen, bürdete aber dem Gläubiger die Last auf, jeden zahlungsfähigen Mitbürgen besonders zu belangen. In der Praxis verzichteten Bürgen offenbar zumeist auf das beneficium divisionis und waren damit gewöhnliche Gesamtschuldner.

Hatte ein Mitbürge die gesamte Schuld gezahlt, weil er die Teilungseinrede nicht erhoben oder auf sie verzichtet hatte, und war der Hauptschuldner insolvent, stellte sich die Regressfrage. Nach römischem Recht gab es außerhalb eines besonderen Innenverhältnisses keinen eigenen Rückgriffsanspruch unter Mitbürgen. Soweit aber ein Bürge die Abtretung der Klagen gegen den Hauptschuldner verlangen konnte, ermöglichte der Zessionsregress auch einen Rückgriff gegen Mitbürgen. Dasselbe galt grundsätzlich auch im gemeinen Recht, teilweise ließ man aber auch ein eigenes Rückgriffsrecht unter Mitbürgen zu.

7. Weibliche Bürgen

Das Senatusconsultum Vellaeanum aus dem 1. Jahrhundert verbot Frauen jede Art der Interzession, sei es durch Bürgschaft, Schuldübernahme, Schuldbeitritt oder dingliche Sicherung. Wahrscheinlich sollten geschäftsunerfahrene Frauen vor den Gefahren belastender Geschäfte, die ihnen nicht selbst zugute kamen, geschützt werden. Die zahlreichen Ausnahmen (etwa wenn die Frau im Eigeninteresse handelte oder der Gläubiger den Interzessionszweck nicht kannte) wurden im nachklassischen Recht noch erweitert. Zugleich aber verbot Justinian 556 jegliche Interzession für die Schuld des Ehemanns, sofern der Kredit nicht zugunsten der Frau verwendet wurde. Sowohl die Einrede aus dem SC Vellaeanum als auch das Interzessionsverbot zugunsten des Ehemanns wurden gemeinrechtlich rezipiert, spielten aber in der Praxis offenbar nur eine beschränkte Rolle. Die Einreden waren unter bestimmten Voraussetzungen (häufig eine besondere gerichtliche Belehrung) verzichtbar und galten nicht für Handelsfrauen. Vor allem aber hafteten Ehefrauen zumeist ohnehin nach partikularem Ehegüterrecht für die Schulden des Ehemanns. Seit dem 18. Jahrhundert wegen des sich wandelnden Frauenbilds kritisiert, wurden die Einreden weiblicher Bürgen in den Partikularrechten sukzessive abgeschafft.

Literatur

Wilhelm Girtanner, Die Buergschaft nach gemeinem Civilrechte, Bd. I, 1850, und Bd. II, 1851; Heinrich Hasenbalg, Die Bürgschaft des gemeinen Rechts, 1870; Société Jean Bodin (Hg.), Les Sûretés personelles, Deuxième partie: Moyen age et temps moderne, Recueils de la Société Jean Bodin pour l’histoire comparative des institutions, Bd. 29, 1971; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, 114 ff.; Hans-Peter Haferkamp, Bürgschaft, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. III, in Vorbereitung für 2010.

Abgerufen von Bürgschaft (Gemeines Recht) – HWB-EuP 2009 am 19. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

Die hier veröffentlichten Artikel unterliegen exklusiven Nutzungsrechten der Rechteinhaber des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht und des Verlages Mohr Siebeck; sie dürfen nur für nichtkommerzielle Zwecke genutzt werden. Nutzer dürfen auf die öffentlich frei zugänglich gemachten Artikel zugreifen, diese herunterladen, Ausdrucke anfertigen und Kopien der Dateien anfertigen. Weiterhin dürfen Nutzer die Artikel auszugsweise übersetzen und im Rahmen von wissenschaftlicher Arbeit zitieren, sofern folgende Anforderungen erfüllt werden:

  • Nutzung zu nichtkommerziellen Zwecken
  • Erhalt der Text-Integrität des Artikels und seiner Bestandteile
  • Zitieren der Fundstelle gemäß wissenschaftlichen Standards unter Angabe von Autoren, Stichworttitel, Werkname, Jahr der Veröffentlichung (siehe Zitiervorschlag).