Europäische Stiftung

Aus HWB-EuP 2009

von Thomas von Hippel

1. Begriff

Die Europäische Stiftung ist eine bislang nicht realisierte, aber möglicherweise zukünftig eingeführte supranationale privatrechtliche mitgliederlose Rechtsform des Gemeinschaftsrechts mit eigener Rechtspersönlichkeit, die einen bestimmten Zweck mit einem hierfür von ihren Stiftern bereitgestellten Vermögen fördert.

Bislang kennt das EG-Recht drei supranationale Rechtsformen: die bereits 1985 eingeführte, in der Praxis aber wenig bedeutsame Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV), die 2001 eingeführte Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE); und die 2003 geschaffene Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea, SCE). Bereits im fortgeschritten Planungsstadium befindet sich die Europäischen Privatgesellschaft (Societas Europaea Privata). Verworfen worden ist hingegen der Anfang der Neunziger Jahre erstellte Entwurf eines Europäischen Vereins.

2. Historische Entwicklung der Diskussion

Die Idee einer Europäischen Stiftung ist vergleichsweise jung, sie wurde bis zur Jahrtausendwende in Wissenschaft und Praxis kaum erörtert. Impulse hierfür ergaben sich sowohl von wissenschaftlicher Seite, infolge eines gestiegenen Interesses am Stiftungsrecht im allgemeinen und rechtsvergleichender Forschungen im Besonderen, als auch von praktischer Seite, d.h. durch Initiativen großer nationaler Stiftungen der Mitgliedstaaten und ihres europäischen Dachverbandes, dem European Foundation Centre (EFC). Dieses Interesse mündete in einem am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht geleiteten internationalen Forschungsprojekt, das mit Hilfe von 25 Stiftungs- und Steuerrechtsexperten aus 13 Ländern einen Vorschlag für eine Europäische Stiftung entwickelte.

Die Idee einer Europäischen Stiftung wurde auch von der High Level Group of Company Law Experts („Winter-Kommission“) aufgegriffen, die im September 2001 von der Europäischen Kommission eingesetzt wurde, um Vorschläge für die Modernisierung des europäischen Gesellschaftsrechts zu erarbeiten. Der Final Report der High Level Group kommt aufgrund der von ihr eingeholten schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen zu dem Ergebnis, dass neben der seinerzeit soeben verabschiedeten Europäischen Aktiengesellschaft auch noch weitere Europäische Rechtsformen wie der die Europäische Genossenschaft und die Europäische Stiftung erwägenswert seien. Allerdings sei es ausreichend, wenn diese europäischen Rechtsformen langfristig eingeführt würden, weil sie für grenzüberschreitende Tätigkeiten innerhalb Europas nicht zwingend notwendig seien. Insbesondere im Fall der Europäischen Stiftung sei zu bedenken, dass die Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Rechtsformen der Stiftung größer seien als im Aktienrecht.

Die Europäische Kommission hat in ihrem Aktionsplan zum Europäischen Gesellschaftsrecht vom 21.5.2003 die Idee einer Europäischen Stiftung aufgegriffen und erklärt, sie wolle mittelfristig (für die Jahre 2006-2008) prüfen, ob sie einen Vorschlag für eine Europäische Stiftung einbringen werde. Vorher solle eine „Machbarkeitsstudie“ (feasibility study) hierzu erarbeitet werden.

Zwischenzeitlich machte sich allerdings bei der Kommission – im Zusammenhang mit den gescheiterten Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden bei dem Versuch, eine Europäische Verfassung einzuführen – eine gewisse Skepsis breit, ob weitere Europäische Rechtsformen wirklich eingeführt werden sollten. Die Ergebnisse einer Ende 2005/Anfang 2006 durchgeführten öffentliche Konsultation zum Aktionsplan zeigten allerdings eine beachtliche Zahl von Stellungnahmen von Stiftungen aus den Mitgliedstaaten, die sich für die Einführung einer Europäischen Stiftung aussprachen.

Im Frühjahr 2007 schrieb die Kommission die Feasiblity Study on a European Foundation Statute aus, die an ein Konsortium des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg und der Ruprecht-Karls Universität Heidelberg vergeben wurde. Die Arbeiten an der Feasibility Study wurden Ende 2008 abgeschlossen, sie ist im Februar 2009 im Internet veröffentlicht worden.

3. Die Europäische Stiftung als Möglichkeit zur Überwindung mitgliedstaatlicher Hindernisse für grenzüberschreitende Tätigkeiten

Das Ziel einer Europäischen Stiftung ist die Überwindung der bestehenden mitgliedstaatlicher Hindernisse für grenzüberschreitende Tätigkeiten. Solche Hindernisse finden sich im Stiftungszivilrecht mancher Mitgliedstaaten, insbesondere aber auch im Stiftungssteuerrecht der meisten Mitgliedstaaten (Steuerprivilegien nur für nationale, nicht aber für ausländische gemeinnützige Stiftungen). Hier ist zu beachten, dass manche Barrieren durch den Europäischen Gerichtshof abgemildert worden sind.

a) Zivilrechtliche Barrieren

Was das Stiftungszivilrecht betrifft, scheinen insbesondere Sitzverlegungen von Stiftungen von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat rechtlich nicht vorgesehen und praktisch undurchfürbar zu sein. Versuche einer solchen Sitzverlegung sind nicht bekannt, wobei ungeklärt ist, ob dies an dem fehlenden Bedürfnis einer solchen Sitzverlegung oder an den schier unüberwindlichen rechtlichen Barrieren liegt. Weniger gravierende Hindernisse sind Anerkennungsprozeduren, die manche Mitgliedstaaten vorsehen.

Insbesondere hinsichtlich der Anerkennungsprozeduren spricht sehr viel dafür, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu ausländischen Gesellschaften (Niederlassungsfreiheit) auf diejenigen Stiftungen (entsprechendes gilt auch für Vereine) übertragbar ist, die unternehmerische Tätigkeiten durchführen. Ausgerechnet diese (aus Gläubigersicht besonders „gefährliche“) Stiftungen dürfen sich demnach sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen können, und daher – abgesehen von konkreten Missbrauchsfällen – selbst dann im Inland tätig sein, wenn sie die Anforderungen des nationalen Stiftungsrechts nicht erfüllen.

b) Steuerrechtliche Barrieren

In der Praxis relevanter zu sein scheinen freilich die steuerrechtlichen Hindernisse für grenzüberschreitende Tätigkeiten. Da das Steuerrecht in fast allen Mitgliedstaaten derzeit seinem Wortlaut nach nur Steuerbegünstigungen an inländische Organisationen vorsieht, hilft sich die Praxis oft mit „Netzwerken“ von „Schwesterorganisationen“ (üblicherweise gemeinnützige Vereine oder gemeinnützige Stiftungen) in allen Ländern, in denen Steuerprivilegien angestrebt werden. Der bürokratische Aufwand, den derartige grenzüberschreitender Kooperationen verlangen, kann freilich beachtlich sein.

Auch hier hat der Europäischen Gerichtshof allerdings die bestehenden steuerrechtlichen Barrieren durch seine Entscheidungen Rs. C-386/04 – Stauffer, Slg. 2006, I-08203 und Rs. C-318/07 – Persche, DStR 2009, 207), abgemildert. In diesen Entscheidungen hat der EuGH nämlich aus den Grundfreiheiten (insbesondere der Kapitalverkehrsfreiheit, die auch Spenden erfasst), ein allgemeines steuerrechtliches Diskriminierungsverbot im Gemeinnützigkeitsrecht entwickelt, das steuerrechtliche Diskriminierung von mitgliedstaatlichen Stiftungen verbietet, wenn sie – abgesehen von ihrem Sitz – alle Anforderungen des nationalen steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts erfüllen.

Gleichwohl wird die Durchsetzung dieses Diskriminierungsverbots derzeit dadurch erschwert, dass in jedem Einzelfall Vergleichbarkeitstests notwendig werden, ob die ausländische Stiftung (oder andere Nonprofit Organisation) auch die Voraussetzungen des inländischen Gemeinnützigkeitsrechts erfüllt. Diese Tests können überaus anspruchsvoll ausfallen. Zwar sind die Voraussetzungen des Gemeinnützigkeitsrechts– so jedenfalls der Stand der bisherigen Forschung – inhaltlich erstaunlich ähnlich. Gleichwohl finden sich hinsichtlich einzelner Voraussetzungen und hinsichtlich der systematisch-begrifflichen Struktur einige Unterschiede in den verschiedenen Mitgliedstaaten, ganz abgesehen davon, dass der oft generalklauselartig unbestimmt gehaltene Gesetzestext allein oft nicht weiterhilft, sondern mittels der Anwendungserlasse der jeweiligen nationalen Finanzverwaltung und der einschlägigen nationalen Rechtsprechung auszulegen ist. Die Beurteilung, ob die vorhandenen Unterschiede im Einzelfall dazu führen, dass die ausländische Stiftung die Voraussetzung einer inländischen Stiftung nicht (mehr) erfüllt, kann daher jedenfalls im Einzelfall ausgesprochen schwierig sein, zumal diese Prüfungen nicht durch den EuGH, sondern jeweils von den nationalen Gerichten bzw. Finanzverwaltungen durchzuführen ist.

Die Europäische Stiftung ist einer von mehreren möglichen Wegen, um diese verbleibenden, praktisch bedeutsamen Barrieren zu überwinden, die auch der EuGH nur teilweise erleichtern kann. So wäre es ambitioniert, aber denkbar, das Statut der Europäischen Stiftung so auszugestalten, dass die steuerrechtlichen Anforderungen aller (oder jedenfalls besonders wichtiger) Mitgliedstaaten erfüllt sind, so dass eine Europäische Stiftung automatisch (aufgrund des vom EuGH entwickelten Diskriminierungsverbots) in allen berücksichtigten Mitgliedstaaten Steuerprivilegien beanspruchen könnte. Aber auch wenn man auf diesen Schritt verzichten sollte, ist es immerhin denkbar, dass die Mitgliedstaaten eher bereit sind, freiwillig einer Europäischen Stiftung Steuerprivilegien einzuräumen als unbekannten ausländischen Rechtsformen.

4. Ergebnisse der Feasibility Study

Die Autoren der im Februar 2009 veröffentlichten Feasibility Study sprechen sich für die Einführung einer Europäischen Stiftung aus, deren Zwecksetzung allerdings auf die Förderung gemeinnütziger Zwecke beschränkt sein solle. Dieser Vorschlag basiert auf den folgenden empirischen und rechtlichen Ergebnissen:

(1) Der europäische Stiftungssektor ist eine beachtliche ökonomische Größe, nach Schätzungen liegt das Vermögen der mitgliedstaatlichen Stiftungen zwischen EUR 350 Mrd. und EUR 1.000 Mrd.

(2) Die gemeinnützige Stiftung ist als einziger Stiftungstyp in allen Mitgliedstaaten anerkannt und offenbar auch in den meisten derjenigen Mitgliedstaaten am häufigsten verbreitet, die andere Stiftungstypen (z.B. Familienstiftungen) zulassen.

(3) Ein Vergleich der nationalen Stiftungsrechte der Mitgliedstaaten zeigt teilweise erhebliche Differenzen, aber im Falle der gemeinnützigen Stiftungen überwiegen gleichwohl die Gemeinsamkeiten gegenüber den Unterschieden.

(4) Die bestehenden zivil- und steuerrechtlichen Hindernisse für grenzüberschreitende Stiftungstätigkeiten lassen sich zwar, wie auch sonst im europäischen Gesellschaftsrecht, prinzipiell überwinden, hierdurch entstehen aber zusätzliche Kosten.

(5) Schätzungen dieser Kosten legen nahe, dass es sich jährlich um einen dreistelligen Millionenbetrag handelt.

(6) Die Einführung einer Europäischen Stiftung würde, je nach ihrer Ausgestaltung, diese Kosten zumindest teilweise verringern und dabei besser abschneiden als andere Alternativen, die teils weniger realistisch sind (z.B. Harmonisierung oder Doppelbesteuerungsabkommen), teils weniger Kosten einsparen würden (z.B. Mustersatzungen oder Akkreditierungsmodelle).

(7) Abgesehen davon können von einer Europäischen Stiftung weitere positive Nebeneffekte ausgehen (Zunahme grenzüberschreitender Förderungen und Gewinnung zusätzlicher Stifter und Spender).

5. Ausblick

Ob und gegebenenfalls in welcher Ausgestaltung die Europäische Stiftung realisiert werden wird, ist derzeit offen. Eine politische Entscheidung wird vermutlich erst in der nun begonnenen Legislaturperiode des Europäischen Parlaments fallen.

Literatur

Thomas von Hippel, Zur Idee einer Europäischen Stiftung, Zeitschrift zum Stiftungswesen 2004, 120 ff; Klaus J. Hopt, W. Rainer Walz, Thomas von Hippel, Volker Then, The European Foundation, 2006. Klaus J. Hopt, Thomas von Hippel, Helmut K. Anheier, Volker Then, Werner Ebke, Ekkehard Reimer, Tobias Vahlpahl, Feasibility Study on a European Foundation Statute, 2009.

Abgerufen von Europäische Stiftung – HWB-EuP 2009 am 19. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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