Urheberrecht und Usus modernus: Unterschied zwischen den Seiten

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== 1. Gegenstand und Zweck ==
== 1. Ausgangslage ==
Das Urheberrecht (''copyright'', ''droit d’auteur'','' diritto d’autore'','' derecho de auto''r,'' auteursrecht'') ist ein Recht des [[Geistiges Eigentum (allgemein)|geistigen Eigentums]], welches die schöpferisch-kreative Leistung des Urhebers unter Schutz stellt. Traditionelle Gegenstände des Urheberrechts sind die Werke der Literatur, Musik, Kunst und Wissenschaft. Heute werden zusätzlich Fotografien, Computerprogramme, Datenbanken und in vielen Urheberrechtsordnungen auch Werke der angewandten Kunst durch das Urheberrecht geschützt. Das Urheberrecht bietet damit die rechtliche Grundlage für die verschiedenartigen Geschäftsmodelle der modernen Kultur- und Unterhaltungsindustrie, für Informationsdienstleistungen und sonstige kreative Branchen. Es schützt den Urheber in seinen vermögenswerten und in seinen persönlich-geistigen Interessen am Werk und stattet ihn und die Inhaber abgeleiteter Rechte mit Ausschließlichkeitsrechten aus, auf deren Grundlage sie die Nutzung der Werke verbieten oder gegen Vergütung gestatten können. Auf diese Weise wird die Amortisierung der zum Teil erheblichen Kosten ermöglicht, die mit der Schaffung von schutzfähigen Werken verbunden sind. Die Ausschlusswirkung führt allerdings zu einer Erschwerung des Zugangs der Allgemeinheit zu Informationen und sonstigen Inhalten. Deshalb ist das Schutzrecht zeitlich begrenzt und erlischt in der [[Europäische Gemeinschaft|Europäischen Gemeinschaft]] 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Zudem sichern besondere Rechtfertigungsgründe das Allgemeininteresse an den geschützten Inhalten, indem einzelne Handlungen vom Schutzbereich des Verbotsrechts ausgenommen werden (Urheberrechtsschranken). Das Urheberrecht ist seit den frühen 1990er Jahren durch mehrere [[Richtlinie]]n der Europäischen Gemeinschaft in wichtigen Teilbereichen harmonisiert worden. Es ist zudem Gegenstand mehrerer bedeutsamer Staatsverträge.
Als Epoche des ''usus modernus pandectarum'', des modernen, d.h. zeitgemäßen, Gebrauchs des römischen Rechts, lässt sich im weiteren Sinne die gesamte Zeitspanne bezeichnen, in der die europäischen Juristen nach dem Ende der Antike das von dem oströmischen Kaiser ''Justinian'' (527-565 n. Chr.) aufgezeichnete [[Römisches Recht|römische Recht]] in Wissenschaft, Lehre und Praxis als geltendes Recht behandelt haben. Bei dieser Betrachtungsweise begann der ''usus modernus'' des römischen Rechts im 12. Jahrhundert in Italien mit der Schule der Glossatoren und wurde erst im Verlaufe des 19. Jahrhunderts nach und nach durch moderne zivilrechtliche [[Kodifikation]]en beendet.


== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Wenn man innerhalb dieser großen Zeitspanne von acht Jahrhunderten jedoch genauer verschiedene Epochen und Schulen, oder Stile des Umgangs, mit dem justinianischen Recht (''[[Corpus Juris Civilis]]'') unterscheiden will, pflegt man die Epochen von Glossatoren (1100-1250), Kommentatoren (1250-1500), humanistischer Jurisprudenz (1500-1600), [[Naturrecht]] (1650–1800), ''usus modernus'' im engeren Sinne (1650-1800) sowie Pandektenwissenschaft (1800-1900; [[Pandektensystem]]) zu unterscheiden.
Die Anfänge des Urheberrechts im Sinne eines umfassenden Schutzes der kreativen Leistung liegen in der frühen Neuzeit und wurden maßgeblich durch die Erfindung des Buchdrucks befördert. Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert wurden von den jeweiligen Landesherren einzelne Privilegien an Buchdrucker, Verleger und Urheber vergeben, um diese vor dem unberechtigten Nachdruck von Werken zu schützen. Noch die ersten Urheberrechtsgesetze zielten vor allem auf den Schutz des Verlegers vor dem Nachdruck, so insbesondere das englische ''Statute of Ann'' aus dem Jahre 1710. Erst später, unter dem Einfluss des Naturrechts, wurde die Frage aufgeworfen, ob nicht der Autor als originärer Inhaber des Urheberrechts angesehen werden muss. Die schließlich im späten 18. Jahrhundert geführte Debatte über die Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks bildete den Hintergrund für die Anerkennung eines an die Person des Urhebers gebundenen Urheberrechts in der französischen Revolutionsgesetzgebung. Von hier trat die Vorstellung vom Urheberrecht als höchstpersönlichem Recht des Urhebers ihren Siegeszug in weiten Teilen des Kontinents an. Allerdings vollzogen nicht alle europäischen Rechtsordnungen diese Entwicklung in gleichem Maße. Während die kontinentaleuropäischen ''droit d’auteur''-Systeme, insbesondere in Frankreich, Deutschland, Österreich, Italien, Belgien, Polen, Rumänien sowie die skandinavischen Urheberrechtsgesetze, ein Urheberpersönlichkeitsrecht (''droit moral'') anerkannten, blieb es im englischen ''copyright'' zunächst bei einer primär auf die wirtschaftlichen Aspekte bezogene Konzeption des Urheberrechts. Die Dichotomie zwischen ''droit d’auteur-'' und ''copyright''-Systemen ist durch die Unterzeichnung der Revidierten Berner Übereinkunft durch das Vereinigte Königreich (hierzu sogleich unter 4.) sowie die zunehmende Harmonisierung des Urheberrechts durch die [[Europäische Gemeinschaft]] jedoch zwischenzeitlich zu weiten Teilen aufgelöst worden.


Am deutlichsten lässt sich der Unterschied zwischen ''droit d’auteur ''und ''copyright''-Systemen heute bei der Frage der ersten Inhaberschaft erkennen. Während die meisten kontinentaleuropäischen Urheberrechtssysteme davon ausgehen, dass stets die natürliche Person, welche ein Werk schafft, „Urheber“ dieses Werkes ist, auch wenn das Werk in Erfüllung der Pflichten eines Arbeitsverhältnisses geschaffen wurde, geht das englische Recht von der „work made for hire“-Doktrin aus. Hiernach kann der Arbeitgeber originärer Inhaber des Urheberrechts sein. Eine ähnliche Regelung findet sich allerdings auch in den Niederlanden. Das vielfach gezeichnete Bild vom Gegensatz zwischen britischem und kontinentalem Urheberrechtsdenken ist also nicht ganz zutreffend.  
Den Beginn machte die Epoche des „absoluten“ römischen Rechts, in der die Juristen das Prinzip formulierten ''omnia in corpore iuris inveniuntur'' oder ''hic liber comprehendit omnia iura''. Aber die Glossatoren haben bereits in dieser Zeit durch Verallgemeinerung des Gehaltes eines Textes des römischen Rechts oder auch durch einschränkende Interpretation das justinianische Recht mehr oder weniger bewusst, aber jedenfalls ohne es auszusprechen, ihren eigenen Vorstellungen angepasst und somit einen ''usus modernus'' etabliert. Eine ganz bewusste Modernisierung des Rechts mittels einer sehr freien Auslegung der römischen Texte haben dann die Kommentatoren unternommen.


Unterschiede zeigen sich daneben bei der Übertragbarkeit des Urheberrechts. Während das britische, irische, niederländische und schweizerische Urheberrecht von der Übertragbarkeit des Urheberrechts ausgehen, wird diese vom deutschen, kroatischen und österreichischen Recht grundsätzlich verneint. Der Ausschluss der Übertragbarkeit erklärt sich aus der in diesen Ländern herrschenden „monistischen“ Urheberrechtskonzeption, welche die Verwertungsrechte und das Urheberpersönlichkeitsrecht als Bestandteile eines einheitlichen und damit unübertragbaren Rechts ansehen. In der Mitte stehen die „dualistischen“ Rechtsordnungen, die wie das französische, belgische, griechische, italienische, portugiesische und spanische Recht die Verwertungsrechte als frei übertragbar ausgestaltet haben, das ''droit moral'' jedoch als unverzichtbar behandeln.  
Am Ausgangspunkt der Entwicklung in Deutschland steht die Situation, wie sie sich nach allgemeiner Meinung in der Formel des Eides darstellte, den die Richter des 1495 gegründeten [[Reichskammergericht]]s leisten mussten. Die Richter verpflichteten sich durch ihren Eid „... nach des Reichs gemeinen Rechten, Abschied ... und nach redlichen erbarn leidlichen Ordnungen, Statuten und Gewohnheiten der Fürstenthumen, Herrschafften und Gericht, die vor sie bracht werden ... zu richten.


In vielen Grundfragen verläuft die Rechtsentwicklung in Europa heute jedoch weitgehend parallel. Das Urheberrecht wird in ganz Europa geschützt, ohne dass es einer Anmeldung oder Registrierung des Werkes bedarf. Der Grundsatz des formfreien Erwerbs gilt nicht nur in der gesamten Europäischen Gemeinschaft, sondern auch in der Schweiz, in Norwegen, Russland und der Türkei.  
Dieser Eidesformel lag etwa folgende Rechtsquellenlehre zugrunde. Die gemeinen Rechte des Reichs umfassten die Gesetzbücher ''Justinians'' – ''[[Corpus Juris Civilis]]'' – und die Gesetzbücher der römischen Kirche – ''Corpus Juris Canonici'' ([[Kanonisches Recht]]) – sowie das Lehnrecht – ''Libri feudorum''. Insbesondere das römische Recht wurde als durch ein Gesetz von Kaiser ''Lothar III. von Supplinburg ''im Jahre 1137 als Reichsgesetzbuch eingeführt angesehen. Das römische Recht galt zwar nur subsidiär bei Fehlen von speziellen Reichsgesetzen oder Gesetzen der einzelnen Territorien und Städte, die sämtlich Vorrang vor dem römischen Recht hatten. Diese Rechte waren jedoch dadurch in der Anwendung beschränkt, dass ihre Geltung für ein bestimmtes Territorium speziell von der sich darauf berufenden Partei nachgewiesen werden musste. Demgegenüber hatte das gemeine Recht (''[[Ius commune (Gemeines Recht)|ius commune]]'') die Vermutung der Anwendbarkeit für sich (''fundata intentio'') und galt als gerichtsbekannt. Zudem waren die nichtrömischen Normen lediglich eng auslegbar – mit möglichst geringer Abweichung vom römischen Recht. Und schließlich mussten sie auf ihre Übereinstimmung mit den guten Sitten überprüft werden.  


Im Hinblick auf die dem Urheberrechtsschutz zugänglichen Gegenstände ist eine allgemeine Tendenz der Absenkung der Schutzvoraussetzungen zu verzeichnen. War das Urheberrecht im 19. Jahrhundert für die wenigen, mit Individualität ausgestatteten Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst reserviert, so dient es heute auch für den Rechtsschutz der weniger originellen Alltagsgestaltungen. Zudem wurde das Urheberrecht zunächst für Software ([[Softwareschutz: Urheberrecht und Patentrecht]]) und später auch für Datenbanken ([[Datenbankschutz]]) geöffnet, was die Entwicklung von einem eng gefassten Privileg für schöngeistige Werke und zu einem umfassenden Schutzrecht für alle Medien- und Kommunikationsinhalte und für Informationstechnologien beschleunigte.  
== 2. Modernisierung  ==
=== a) Rechtsquellenlehre ===
Die so beschriebene Rechtsanwendungslehre für den Gebrauch der Pandekten wurde von der Mitte des 17. Jahrhundert an nach und nach ersetzt durch eine Theorie und entsprechende Praxis eines sich selbst mit einem gewissen Selbstbewußtsein als „modernen“ Gebrauch des römischen Rechts (''usus modernus'') bezeichnenden Stil des Umgangs mit römischem und einheimischem Recht. Dieser moderne Gebrauch gab sämtliche Positionen der alten Rechtsanwendungslehre auf oder verkehrte sie in ihr Gegenteil.  


Gleichzeitig mit der Ausweitung der vom Urheberrecht geschützten Gegenstände wurden die Verbotsrechte des Urhebers und der Inhaber abgeleiteter Rechte schrittweise erweitert. Dies betrifft insbesondere die neuen Nutzungsformen im Internet. Auch wurden Handlungen im privaten Bereich und zu privaten Zwecken in die Verbotsrechte einbezogen. Wer Software, elektronische Datenbanken und andere digitalisierte Inhalte bestimmungsgemäß benutzen möchte, bedarf hierfür entweder der Erlaubnis des Rechtsinhabers oder muss sich auf die eng formulierten und nicht für alle digitalisierten Inhalte vorgesehenen Ausnahmebestimmungen in den Urheberrechtsgesetzen berufen. Entsprechende Erweiterungen der Verbotsrechte in den privaten Bereich finden sich heute in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Zusätzlichen Schutz bieten die [[Verwandte Schutzrechte|verwandten Schutzrechte]] sowie der durch die Richtlinie zum Urheberrecht in der [[Informationsgesellschaft, Urheberrecht in der|Informationsgesellschaft]] europaweit etablierte Rechtsschutz für technische Schutzsysteme (Kopierschutz, Verschlüsselungstechnologien etc.).  
Der wichtigste Grund für die Notwendigkeit dieser Modernisierung war, dass in jedem Einzelfalle, wie der Helmstedter Mediziner und Jurist ''Hermann Conring ''(1606-1681) kritisierte, vor Gericht das geltende Recht nur mühsam festzustellen war. ''Conring'' meinte, unter den verschiedenen Quellen, aus denen das Recht in einem konkreten Falle zu schöpfen sei, nehme zwar das römische Recht den größten Platz ein, aber es sei in einer fremden Sprache geschrieben, in vielen Punkten völlig verschieden von deutschen Sitten und bestehe auch nicht aus gesetzlichen Normen, sondern aus den Lehrmeinungen der alten römischen Juristen, d.h. der Juristen der klassischen Zeit des römischen Rechts, und sei dementsprechend von zahllosen Kontroversen überwuchert.


Die Urheberrechtsschranken haben mit dieser kontinuierlichen Erweiterung der Verbotsrechte nicht Schritt halten können. Die europäischen Urheberrechtsgesetze sehen heute zwar zahlreiche Ausnahmen von den Verbotsrechten zugunsten der Allgemeinheit vor. Dabei kann die Wahrnehmung dieser Ausnahmen entweder kostenlos gestattet sein; entsprechende Regelungen finden sich vielfach hinsichtlich des Zitatrechts. Oder die Wahrnehmung von Urheberrechtsschranken ist an die Zahlung einer Vergütung gebunden, welche in pauschalierter Form von Verwertungsgesellschaft eingenommen und an die Rechtsinhaber verteilt wird; dieses Modell findet sich regelmäßig bei der Herstellung von Vervielfältigungsstücken für den privaten Gebrauch. Dieser gewachsene Grundbestand an Urheberrechtsschranken wurde zuletzt jedoch nur zögerlich erweitert. Der Grund hierfür liegt in den Umsatzeinbrüchen der Musik- und Filmindustrie, deren Inhalte im Internet massenhaft und ohne Einwilligung der Rechtsinhaber kopiert und öffentlich zugänglich gemacht werden. Den Industrien ist es bislang nicht gelungen, auf diese Herausforderung mit neuen Vertriebsmodellen zu reagieren, die von den Nutzern auch angenommen werden. Vielmehr wenden sie sich in den letzten Jahren regelmäßig (und vielfach erfolgreich) mit Forderungen nach einer Verstärkung der Verbotsrechte und einer Verengung der Schrankenvorschriften an die Legislativorgane. Dadurch fehlt es heute an Ausnahmebestimmungen, welche die durch Digitalisierung und Vernetzung erst möglich gewordenen, privaten Nutzungsmöglichkeiten für zulässig erklären und entsprechende Pauschalvergütungen vorsehen. Der fehlende Ausbau der Schrankenvorschriften betrifft nicht nur private Nutzungsformen, sondern auch die Verwendung von schutzfähigen Inhalten im Unterricht an Schulen und Hochschulen sowie für wissenschaftliche Zwecke.  
Den Beginn der Erneuerung und der Modernisierung machte der von ''Hermann Conring ''1643 erbrachte Nachweis, dass das römische Recht keineswegs, wie die herrschende Ansicht lautete, durch ein Gesetz im Jahre 1137 von Kaiser ''Lothar III. von Supplinburg'' eingeführt worden war, sondern kraft Gewohnheitsrecht, d.h. nach und nach, sowie Satz für Satz durch praktischen Gebrauch (''usu sensim'') rezipiert und durch Gesetzgebung gebilligt und bestätigt worden sei. Was aber an Normen durch Gebrauch eingeführt worden war, konnte durch gegenteiligen Gebrauch oder Nichtbeachtung auch wieder obsolet werden.  


== 3. Gemeinschaftsrecht ==
Wenn man diese Erkenntnis ernst nahm, sprach keine Vermutung der Anwendbarkeit (''fundata intentio'') für das römische Recht in jedem Einzelfall. Vielmehr musste bei konsequenter Anwendung des Prinzips die [[Rezeption]] römischen Rechts nunmehr Satz für Satz bewiesen werden. Diese äußerste Konsequenz der modernen Theorie der Rezeption des römischen Rechts wurde jedoch nicht von allen Autoren vertreten. In der Regel nahm man vielmehr an, dass sich schließlich eine mittlere Lösung durchgesetzt habe, wonach für beide Rechte, römisches und einheimisches Recht (''ius patrium''), eine Vermutung spreche. Diese Vermittlungsformel war aber nur wirksam auf Gebieten, auf denen sich römisches und einheimisches Recht nicht widersprachen, sondern jeweils verschiedene Gegenstände regelten, die dem anderen Recht unbekannt waren, wie zum Beispiel die Einkindschaft (vertragliche Gleichstellung von Kindern aus zwei Ehen eines Elternteils), das Leibgedinge, die Morgengabe, die Auflassung usw. Soweit jedoch einheimisches Recht dem römischen Recht widersprach – das römische Recht etwa ließ eine direkte [[Stellvertretung]] nicht zu, wohingegen das einheimische Recht die direkte Stellvertretung sehr wohl anerkannte – war die Vermittlungsformel von den zwei gemeinen Rechten nicht brauchbar, so dass die Kontroverse in jedem Einzelfall mit den Mitteln der Gesetzgebung, Rechtsprechung oder Wissenschaft ausgetragen werden musste.
Das Urheberrecht gehört seit den frühen 1990er Jahren zu den am stärksten bearbeiteten Feldern der europäischen Binnenmarktpolitik. Den Anfang machte die RL 91/250 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, welche Programme europaweit den urheberrechtlichen Vorschriften über Sprachwerke unterstellte ([[Softwareschutz: Urheberrecht und Patentrecht]]). Die Richtlinie geht ausdrücklich davon aus, dass keine besonderen qualitativen Anforderungen für die Zuerkennung von Urheberrechtsschutz gefordert werden. Sie erweitert die Verbotsrechte des Rechtsinhabers im Vergleich zum herkömmlichen Urheberrecht und beschneidet zugleich die Schrankenvorschriften. Bemerkenswert ist zudem die gesetzliche Zuordnung der ausschließlichen Nutzungsrechte an den Arbeitgeber für den Fall der von Arbeitnehmern geschaffenen Programme.


Es folgte die RL 92/100 (kodifizierte Fassung RL 2006/115) zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, welche einen unverzichtbaren Vergütungsanspruch der Urheber für den Fall der Vermietung des Werks einführte und eine Harmonisierung der verwandten Schutzrechte der ausübenden Künstler, Sendeunternehmen und Tonträgerhersteller brachte. Kurze Zeit später wurde die RL 93/83 betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung verabschiedet, welche einzelne Fragen des Satelliten- und Kabelrundfunks regelte. Im gleichen Jahr wurde durch die Schutzdauer-RL 93/98 (kodifizierte Fassung RL 2006/116) die Schutzfrist von Urheberrechten in der gesamten Gemeinschaft auf 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers festgelegt. Für die Rechte der ausübenden Künstler, Tonträgerhersteller, Filmhersteller und Sendeunternehmen gilt eine Schutzdauer von 50 Jahre nach der Darbietung, Aufzeichnung oder Erstsendung.
Bei derartigen Kontroversen konnte das römische Recht Satz für Satz daraufhin geprüft werden, ob es mit deutschen Sitten übereinstimme. Maßstab für diese Prüfung war weithin das [[Naturrecht]] der gleichzeitig mit dem ''usus modernus s''eit der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts aktiven Naturrechtsschule, deren Anhänger davon ausgingen, dass das auf germanischen Wurzeln beruhende einheimische deutsche Recht mit dem Naturrecht voll übereinstimme.


Die Datenbank-RL 96/9 harmonisierte den Urheberrechtsschutz für Datenbankwerke, welche durch die Auswahl oder Anordnung des Stoffes eine eigene geistige Schöpfung ihres Urhebers darstellen, und führte zugleich ein neuartiges Datenbankherstellerrecht ein, welches ähnlich einem Tonträgerherstellerrecht die Investition in die Herstellung von Datenbanken mit einem eigenständigen Schutzrecht honoriert. Die Richtlinie bestätigt die Tendenz des entstehenden europäischen Urheberrechts, die Verbotsrechte der Urheber und der Inhaber verwandter Schutzrechte auszuweiten und zugleich die Schrankenvorschriften einzuengen.
Außerdem waren die Normen des einheimischen Rechts keineswegs mehr dem Gebot der im Verhältnis zum römischen Recht engen, strikten Auslegung unterworfen, sondern waren ebenso analogiefähig wie die Normen des römischen Rechts. Das spielte eine Rolle bei dem auf [[Kanonisches Recht|kanonisches Recht]], „germanische Treue“ und Naturrecht gegründeten Prinzip der Klagbarkeit jeder formlosen vertraglichen Abmachung (''pactum nudum''), aus dem sich eine vom römischen Recht weitgehend selbständige allgemeine Vertragslehre entwickeln ließ.


Das Jahr 2001 brachte gleich zwei bedeutsame Richtlinien. Zunächst verabschiedete die Gemeinschaft die RL 2001/29 zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft. Die Richtlinie harmonisiert die wichtigsten Verwertungsrechte sowie die Urheberrechtsschranken, wobei es weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, ob sie aufgelistete Schranken in das nationale Recht übernehmen und welche das sind. Die Richtlinie setzt zugleich die Pflichten der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den Rechtsschutz für technische Schutzmaßnahmen um, welche sich aus den WIPO-Verträgen (''[[World Intellectual Property Organization]]'') aus dem Jahr 1996 ergeben (hierzu sogleich unter 4.). Die Folgerechts-RL 2001/84 ([[Folgerecht (droit de suite)|Folgerecht]]) führte zu europaweit einheitliche Regelungen über die Beteiligung der Urheber von Werken der bildenden Kunst bei der Veräußerung von Werkoriginalen durch Kunsthändler.
Zur Begründung eines ''usus modernus ''gehörte in den Augen der Juristen im späten 17. und im 18. Jahrhundert nicht nur die Bewahrung einheimischen Rechts vor dem eindringenden und schon eingedrungenem römischen Recht, sondern auch die Erneuerung und Anpassung an die Anforderungen der Zeit von Einrichtungen und Normen des römischen Rechts, deren Rezeption als solche von den Protagonisten der Erneuerungsbewegung keineswegs in Abrede gestellt wurde. Die Grenze zwischen genuin einheimischen Normen einerseits und zwar rezipierten und dann an moderne Bedürfnisse angepassten Regeln andererseits ist im Einzelfall nicht leicht zu ziehen. Diese Unterscheidung ist jedoch notwendig. Denn unter dem Gesichtspunkt des ''usus modernus pandectarum'' ist gerade die Anpassung römischen Rechts an moderne Vorstellungen das eigentlich interessante Phänomen. Da man jedoch eine Epoche des Aufstiegs des einheimischen ''ius germanicum'' nicht zu unterscheiden pflegt, bilden beide Erscheinungen gemeinsam die Charakteristika der Epoche, die man als Epoche des ''usus modernus'' zu bezeichnen pflegt. Für die hier beabsichtigte historische Betrachtung muss man ursprünglich einheimische Institutionen, die sich dank ihrer inhaltlichen Modernität gegenüber der Rezeption des römischen Rechts behauptet haben, ebenfalls als Frucht des ''usus modernus'' ansehen.


Den bisherigen Schlusspunkt bei den legislativen Maßnahmen setzte die RL 2004/48 über die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ([[Geistiges Eigentum (Durchsetzung)]]), welche horizontal einheitliche Regelungen zu den materiellrechtlichen Ansprüchen bei Verletzungen von Urheber-, Marken-, Patent- und sonstigen geistigen Eigentumsrechten und einheitliche prozessuale Rechtsschutzmöglichkeiten einführte. Im Jahr 2005 folgte eine Empfehlung der [[Europäische Kommission|Europäischen Kommission]] für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale Online-Musikdienste benötigt werden. 2008 wurde ein Grünbuch zu Urheberrechten in der wissensbestimmten Wirtschaft vorgelegt, welches sich im Kern mit den Schrankenvorschriften in den Bereichen Wissenschaft, Bildung und Unterricht auseinandersetzt. Schließlich legte die Kommission ebenfalls im Jahr 2008 einen Vorschlag für eine Änderung der Schutzdauer-RL vor, welche eine Verlängerung der Schutzfrist für die Rechte ausübender Künstler und Tonträgerhersteller auf 95 Jahre nach der ersten Veröffentlichung bringen soll.
=== b) Beispiele von Modernisierungen ===
Als prinzipiell rezipiert, aber dann durch Auslegung erweitert und damit modernen Bedürfnissen angepasst, kann man die Ausdehnung des Anfechtungsrechts wegen der Verletzung des Prinzips des gerechten Preises (''[[Laesio enormis|laesio enormis]]''<nowiki>; C.&nbsp;4,44,2) vom Verkäufer einer Sache auf den Käufer bezeichnen. Ein </nowiki>''usus modernus pandectarum ''war auch dann gegeben, wenn die bereits im Mittelalter begonnene Ableitung einer generellen ''clausula rebus sic stantibus'' aus zwei in den Digesten überlieferten Spezialfällen, nämlich D.&nbsp;12,4,8 und D.&nbsp;46,3,3&nbsp;pr., vollendet wurde. In gleicher Weise ist als Herstellung eines ''usus modernus'' einer Norm des römischen Rechts zu bewerten, dass man dazu überging, bei dem Barbier-Fall aus D.&nbsp;9,2,11 an die Stelle der Verschulden jeden Grades von Verletzer und Verletztem aufhebenden ''culpacompensation'' die Frage nach dem überwiegenden Verschulden eines der beiden Beteiligten zu setzen ([[Römisches Recht]]).  


Zu den Richtlinien, Empfehlungen und Grünbüchern treten einige Entscheidungen des [[Europäischer Gerichtshof|Europäischen Gerichtshof]]s, die von zentraler Bedeutung für das europäische Urheberrecht sind, insbesondere zur Anerkennung der gemeinschaftsweiten Erschöpfung des Verbreitungsrechts (EuGH Rs.&nbsp;78/70 – ''Deutsche Grammophon/Metro'', Slg. 1971, 487), zum Diskriminierungsverbot im Urheberrecht (EuGH verb. Rs.&nbsp;C-92/92 und C-326/92 – ''Phil Collins u.a.'', Slg. 1993, I-5145) und zur Anerkennung des Territorialitätsgrundsatzes (EuGH Rs.&nbsp;C-192/04 – ''Lagardère/SPRE'', Slg. 2005, I-7199).  
In eine liberale Richtung weist eine Neuerung für den Eigentumsübergang beim [[Kauf]]. Das Vorliegen der beim Ausbleiben der prinzipiell für den Eigentumsübergang der gekauften Sache erforderlichen Barzahlung hilfsweise den Eigentumsübergang bewirkenden Kreditierung des Kaufpreises durch den Verkäufer wurde, ohne dass es dafür eine Textgrundlage im römischen Recht gegeben hätte, von den Vertretern des ''usus modernus'' als Maßnahme der Modernisierung vermutet.


Zusammenfassend lassen sich folgende Tendenzen im heutigen Urheberrechtssystem der Europäischen Gemeinschaft erkennen: die Schutzvoraussetzungen sind niedrig angesetzt, die so genannte „kleine Münze“ des Urheberrechts genießt vollen Rechtsschutz; der Kreis der schutzfähigen Gegenstände wird zunehmend für technisch-funktional geprägte Gegenstände geöffnet; die vermögenswerten Verbotsrechte werden kontinuierlich ausgebaut; flankiert wird der Schutz durch die Anerkennung verwandter Schutzrechte und zusätzlichen Rechtsschutz für technische Schutzmaßnahmen gegen Urheberrechtsverletzungen; dabei werden die Schranken den Mitgliedstaaten nicht in gleichem Maße zwingend vorgeschrieben, was insgesamt zu einer Verschiebung des Interessenausgleichs zugunsten der Rechtsinhaber und zulasten der Allgemeinheit führt. Bemerkenswert ist, dass das Urheberpersönlichkeitsrecht vom europäischen Urheberrecht bislang gänzlich ausgespart wird, was auf Dauer zu einem schleichenden Bedeutungsverlust führen muss. Weitgehend unangetastet sind bisher auch das Urhebervertragsrecht sowie die vielfältigen Rechtsfragen, die sich im Hinblick auf die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften stellen. Auch die Frage der Inhaberschaft des Urheberrechts wurde bislang nicht systematisch aufgegriffen, allerdings sieht die Computerprogramm-RL eine gesetzliche Übertragung der „vermögensrechtlichen Befugnisse“ auf den Arbeitgeber vor.  
In diesen Zusammenhang gehört auch die „moderne“ Aufwertung der Stellung des Erwerbers einer Forderung vom ''procurator'' des zum wirklichen neuen Inhaber der Forderung. Hier, wie auch in anderen Fällen, wurde die moderne Lösung eines Problems des rezipierten römischen Rechts von einer germanistischen oder auch naturrechtlichen Sicht der Dinge unterstützt, und zwar in diesem Falle von der auch von den Anhängern des Naturrechts geteilten germanistischen Vorstellung eines Eigentums an Forderungen.


== 4. Staatsverträge ==
=== c) „Reinigung“ des römischen Rechts ===
Für das Urheberrecht bilden Staatsverträge eine wesentliche Rechtsquelle. Die größte Bedeutung kommt der Revidierten Berner Übereinkunft (RBÜ) aus dem Jahr 1886 zu, welcher heute über 160&nbsp;Staaten angehören, darunter alle bedeutsamen Industrienationen einschließlich der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, der USA, China, Japan und Russland. Die RBÜ gilt in der Pariser Fassung von 1971. Sie regelt in ihren zentralen Bestimmungen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Urheber aus anderen Vertragsstaaten mit inländischen Urhebern und schreibt vor, dass die „Inländerbehandlung“ nicht an die Erfüllung von Formalitäten wie der Eintragung oder der Aufnahme von gesetzlich vorgegebenen Urheberrechtsvermerken geknüpft werden darf. Der Verzicht auf formale Anforderungen hat sich heute weltweit durchgesetzt. Ein wichtiger Meilenstein auf diesem Weg war der Beitritt der USA im Jahr 1989. Neben dem Inländerbehandlungsgrundsatz sieht die RBÜ eine Reihe von Mindestrechten vor, welche die Mitgliedstaaten den Urhebern aus anderen Vertragsstaaten gewähren müssen, unter anderem das Vervielfältigungsrecht und das Senderecht sowie einen Grundbestand an urheberpersönlichkeitsrechtlichen Verbotsrechten. Diese Mindestrechte haben, auch wenn hierzu keine rechtliche Pflicht besteht, zu einer sukzessiven Angleichung der nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten an die RBÜ geführt, da nur so eine Diskriminierung von Inländern vermieden werden kann. Der Mangel einer zentralen Instanz hat zu unterschiedlichen Interpretationen des Übereinkommens in den Mitgliedstaaten geführt.  
Begründung eines ''usus modernus'' des römischen Rechts war aber nicht nur die Erstreckung von römischen Regeln auf neue Situationen, sondern auch die Herstellung von Modernität durch „Reinigung“ (''Bernhard'' ''Windscheid'') des römischen Rechts von nicht mehr zeitgemäßen Beschränkungen. Soweit dabei römische Normen obsolet wurden, sprach man davon, dass die „Subtilitäten“ des römischen Rechts nie rezipiert oder jedenfalls im Zuge der Modernisierung des römischen Rechts derogiert worden seien. Das traf etwa für die ''duplum''-Strafen des römischen Rechts zu. Ein hier zu nennender Fall der Begründung eines ''usus modernus pandectarum'' durch Verzicht auf die den freien Verkehr einschränkenden Besonderheiten des römischen Rechts ist die im Wesentlichen in der Gerichtspraxis sich vollziehende Derogation des in C.&nbsp;2,13,1 verankerten Verbots der [[Abtretung]] an einen Mächtigeren (''cessio in potentiorem''). Die den Verkehr nicht weniger einschränkende ''lex Anastasiana'' aus C.&nbsp;4,35,22, wonach der Aufkäufer einer Forderung keinen höheren Betrag einklagen kann als er selbst für die Forderung bezahlt hat, behauptete sich allerdings gegenüber allen Modernisierungsversuchen. Doch eine Modernisierung war weiterhin auch die Beseitigung des Verbots der Akkumulation von Zinsen über den Betrag des geschuldeten Kapitals hinaus (''ultra alterum tantum'', genauer: ''ultra sortis summam'' nach C.&nbsp;4,32,10; [[Zins- und Zinseszins]]). Auch die antike Beschränkung eines Fideikommisses auf vier Generationen wurde mit Erfolg als modernen Ansprüchen nicht entsprechend entlarvt. Den Reformen der Moderne fiel weiter auch die auf den Wert der Sache zu einem früheren Zeitpunkt zurückbezogene Schadensberechnung nach der ''lex Aquilia'' zum Opfer.  


Das WTO-Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (TRIPS) aus dem Jahr 1994 hat der RBÜ zu weiterer Durchsetzung verholfen, weil sich die WTO-Mitgliedstaaten zur Anerkennung der Grundsätze der RBÜ einschließlich der im TRIPS-Abkommen geregelten, über den Schutzstandard der RBÜ hinausgehenden Mindestrechte verpflichten („Berne plus approach“). Von dieser Pflicht ausgenommen sind die Vorschriften der RBÜ zum Urheberpersönlichkeitsrecht.
Ausgangspunkt für die Einführung von Neuerungen war häufig ein einzelnes Stadt- oder Landrecht. Doch die Juristen des ''usus modernus ''konnten, sowohl was die Bedeutung einer Rechtsregel als auch den räumlichen Bereich ihrer Wirksamkeit betraf, ihre Schlüsse von Stadt zu Stadt und von Territorium zu Territorium ziehen. Eine Norm, die in vielen Territorien nachweisbar war, konnte somit ausgedehnt werden auf ein Gebiet, in dem sie nicht konkret nachweisbar war. Man schloss dabei hinsichtlich der Geltung einer bestimmten Norm von ''fere ubique in Germania'' auf ''ubique in Germania''. So entstanden in ganz Deutschland geltende Regeln des Gewohnheitsrechts (''consuetudines universales'' oder ''generales''). Soweit diese keine Entsprechung im römischen Recht hatten und nicht an römisches Recht anknüpften, wurden sie seit Beginn des 18.&nbsp;Jahrhunderts als deutsches Privatrecht vom römischen Recht getrennt in eigenen Systemen dargestellt. In bezug darauf kann man aber nicht mehr von'' usus modernus ''sprechen.  


Die RBÜ wurde im Jahr 1996 durch zwei Übereinkommen ergänzt, die so genannten WIPO-Verträge, die mittlerweile über 60&nbsp;Mitgliedstaaten einschließlich der großen Industriestaaten unterzeichnet haben. Der WIPO-Urheberrechtsvertrag (WCT) ist ein Sonderabkommen zur RBÜ. Der Vertrag stellt klar, dass Computerprogramme und Datenbankwerke urheberrechtlich geschützt sind und erweitert die Mindestrechte der Urheber um das Verbreitungsrecht, das Vermietrecht sowie das Recht der öffentlichen Wiedergabe, welches insbesondere auch die Internetnutzung umfasst. Zugleich werden die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, einen hinreichenden Rechtsschutz für technische Schutzmaßnahmen einzuführen. Der WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger (WPPT) ist ein eigenständiger Vertrag für den Bereich der [[Verwandte Schutzrechte|verwandten Schutzrechte]]. Er regelt neben dem Inländerbehandlungsgrundsatz eine Reihe von Mindestrechten für ausübende Künstler und Tonträgerhersteller und verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Einführung eines hinreichenden Rechtsschutzes im Hinblick auf technische Schutzsysteme.  
Wenn man versucht, eine vorherrschende materiellrechtliche Tendenz aller angeführten Fälle eines ''usus modernus'' festzustellen, kommt man zu dem Ergebnis, dass es den Juristen des ''usus modernus'' weithin darum ging, ein auf den Willen der Parteien abstellendes, liberales Verkehrsrecht zu schaffen. Als Hauptleistungen des ''usus modernus'' kann man jedoch die wissenschaftliche Durchdringung der Privatrechtsordnung und die Konsolidierung der forensischen Praxis bezeichnen. Auf diese Weise entstand eine moderne gemeinrechtliche Dogmatik, die die bis heute wirksamen Grundlagen der Privatrechtsordnung gelegt hat. Normen römischer, germanischer, kanonischer und naturrechtlicher Herkunft sowie modernes Gesetzes- und (richterliches) Gewohnheitsrecht bildeten eine einheitliche wissenschaftlich bearbeitete Rechtsordnung.


Ebenfalls bedeutsam für den Bereich der verwandten Schutzrechte ist das Internationale Abkommen über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen aus dem Jahr 1961, das so genannte „Rom-Abkommen“, dem heute über 80&nbsp;Mitgliedstaaten, nicht aber die USA und China angehören. Das „Rom-Abkommen“ folgt dem Regelungsansatz der RBÜ. Es geht vom Inländerbehandlungsgrundsatz aus und regelt Mindestrechte. Das „Rom-Abkommen“ hat maßgeblich zur internationalen Durchsetzung der verwandten Schutzrechte beigetragen.
== 3. Lehrbücher ==
Die Summe der als Ergebnis der Modernisierung eingeführten Neuerungen machte Lehrbücher eines neuen Typs erforderlich. ''Conring'' stellte die Forderung auf, statt der vorherrschenden ausufernden Kommentare zu den Pandekten ''Justinians'' ein knapp gefasstes Handbuch, ein ''exiguus libellus'', des gesamten positiv geltenden Rechts unter Weglassung allen nicht nützlichen Materials zu verfassen, das nur enthalte, was kraft Gewohnheitsrecht – also deutsches Recht – oder als geschriebenes Recht – also römisch-kanonisches Recht – in der Praxis in Gebrauch sei. Als Vorläufer dieser Art Darstellungen kann man die 1607 erschienenen ''Institutes coutumières'' des Franzosen ''Antoine Loisel'' (1536-1617) ansehen. Vergleichbare Darstellungen des geltenden Rechts, die man als [[Institutionenlehrbücher]] bezeichnen kann, wurden dann auch in zunehmendem Maße publiziert. Sie waren im Grunde Vorübungen für eine spätere Kodifikation. Als systematische Grundlage verwendeten die Autoren eine Modifikation des Systems der Institutionen ''Justinians'', in dem obsolete Normen nicht behandelt wurden, wohingegen an den geeigneten Stellen die nicht auf römischem Recht basierenden Normen des modernen Rechts, wie etwa das Versicherungsrecht, der Erbvertrag ([[Erbvertrag und gemeinschaftliches Testament]]), Spiel und Wette eingefügt wurden.
 
Als eines der ältesten Werke dieser Art kann man die 1631 erschienene „Inleidinge tot de Hollandsche rechtsgeleerdheid“ von ''Hugo Grotius'' (1583-1645) ansehen ([[Römisch-holländisches Recht]]). ''Grotius'' unterteilte sein Werk nach dem Vorbild der Institutionen ''Justinians'' in drei Teile: Personen, Sachen- und Erbrecht, Forderungen. Die Klagformen fehlten. Überall wird auf den modernen Gebrauch, den die Juristen von den Normen des römischen Rechts machen, hingewiesen. In das System an passender Stelle eingeschoben sind zudem moderne Institutionen speziell holländischer Genese, aber auch solche mit länderübergreifender Geltung wie Zinsrecht, Reederei, Recht der Seeleute, Versicherung, Havarei, Wechselrecht etc.
 
Dem gleichen Muster folgte das einflussreiche Werk von ''Georg Adam Struve ''(1619-1692) mit dem Titel „Juris-Prudenz, oder: Verfassung der land-üblichen Rechte“ von 1689, sowie in zweiter und dritter Auflage 1696 und 1711. Eingearbeitet in ein leicht modifiziertes Institutionen-Schema mit den Kapiteln Personen, Sachen einschließlich Erbrecht und Verbindlichkeiten finden sich hier Ausführungen zu Institutionen des einheimischen Rechts wie Versicherungen, Bodmerei, Gesamterbschaft, Erbvertrag, Viehmängelhaftung, Spiel und Wette, Retrakt, Zinsen, Erbzins usw. Größere Verbreitung fand die Kurzfassung der „Juris-Prudenz“, die unter dem Titel „Jurisprudentia Romano-Germanica“ von 1670 bis 1771 unzählige Male bearbeitet und neu aufgelegt wurde. Ihren Namen trägt diese Epoche jedoch nach dem vom Jahre 1690 an Band für Band unter dem Titel „Usus modernus Pandectarum“ erschienenen Pandektenkommentar von ''Samuel Stryk'' (1640-1710), der die seiner Zeit gestellte Aufgabe so perfekt erfüllte, dass der Titel des Werkes zur Bezeichnung der ganzen Epoche werden konnte. Die geschilderte Art von römisch-nationalen, d.h. römisch-holländischen und römisch-deutschen, aber auch römisch-neapolitanischen, römisch-französischen usw. [[Institutionenlehrbücher]]n fand im 18.&nbsp;Jahrhundert in ganz Europa Verbreitung.


== Literatur==
== Literatur==
''Michael M. Walter ''(Hg.), Europäisches Urheberrecht, 2001; ''Axel Metzger'', Europäisches Urheberrecht ohne Droit moral?, in: Festschrift für Gerhard Schricker, 2005, 455&nbsp;ff; ''Jacob Hendrik Spoor'', ''Dirk W.F. Verkade'', ''Dirk J.G. Visser'', Auteursrecht, 3.&nbsp;Aufl. 2005; ''André Lucas'', ''Henri-Jacques Lucas'', Traité de la propriété littéraire et artistique, 3.&nbsp;Aufl. 2006; ''Gerhard Schricker ''(Hg.),'' ''Urheberrecht, 3.&nbsp;Aufl. 2006; ''Thomas Dreier'', ''Bernt Hugenholtz ''(Hg.), Concise European Copyright Law, 2006; ''William Rodolph Cornish'', ''David Llewelyn'', Intellectual Property, 6.&nbsp;Aufl. 2007; ''Haimo Schack'', Urheber- und Urhebervertragsrecht, 4.&nbsp;Aufl. 2007; ''Matthias Leistner'', Konsolidierung und Entwicklungsperspektive des europäischen Urheberrechts, 2008; ''Paul Katzenberger'', ''Gerhard Schricker'', ''Erich Schulze'', ''Konrad Zweigert ''(Hg.), Quellen des Urheberrechts (Loseblatt).
''Franz Wieacker'','' ''Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.&nbsp;Aufl. 1967; ''Wolfgang Wiegand'', Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit, 1977; ''Klaus Luig'', Conring, das deutsche Recht und die Rechtsgeschichte, in: Michael Stolleis (Hg.), Hermann Conring (1606–1681), 1983, 355&nbsp;ff.; auch in: ''Klaus Luig'', Römisches Recht, Naturrecht, Nationales Recht, 1998, 219&nbsp;ff.; Helmut'' Coing'', Europäisches Privatrecht, I Älteres gemeines Recht 1500–1800, 1985; ''Hermann Lange'', Römisches Recht im Mittelalter, Bd.&nbsp;I, Die Glossatoren, 1997; ''Klaus Luig'', Samuel Stryk und der „Usus modernus Pandectarum“, in: Festschrift für Sten Gagnér, 1998, 219&nbsp;ff.; auch in: ''Klaus Luig'', Römisches Recht, Naturrecht, Nationales Recht, 1998, 91&nbsp;ff.; ''Peter Oestmann'', Rechtsvielfalt vor Gericht, 2002; ''Hermann Lange'','' Maximiliane Kriechbaum'', Römisches Recht im Mittelalter, Bd.&nbsp;II, Die Kommentatoren, 2007; ''Hans-Peter Haferkamp'', ''Tilman Repgen'' (Hg.), Usus modernus Pandectarum: Römisches Recht, Deutsches Recht und Naturrecht in der frühen Neuzeit, 2007; ''Frank L. Schäfer'', Juristische Germanistik, eine Geschichte der Wissenschaft vom einheimischen Privatrecht, 2008.
 
==Quellen==
''Hugo Grotius'', Inleiding tot de hollandsche rechts-geleerdheid, Den Haag 1631; ''Hermann Conring'', De origine iuris Germanici, Helmstedt 1643; ''Antoine Loisel'', Institutes coutumières, Paris 1646; ''Samuel Stryk'', Usus modernus Pandectarum, I-III, Frankfurt am Main 1690-1712.


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Version vom 14. September 2016, 13:28 Uhr

von Klaus Luig

1. Ausgangslage

Als Epoche des usus modernus pandectarum, des modernen, d.h. zeitgemäßen, Gebrauchs des römischen Rechts, lässt sich im weiteren Sinne die gesamte Zeitspanne bezeichnen, in der die europäischen Juristen nach dem Ende der Antike das von dem oströmischen Kaiser Justinian (527-565 n. Chr.) aufgezeichnete römische Recht in Wissenschaft, Lehre und Praxis als geltendes Recht behandelt haben. Bei dieser Betrachtungsweise begann der usus modernus des römischen Rechts im 12. Jahrhundert in Italien mit der Schule der Glossatoren und wurde erst im Verlaufe des 19. Jahrhunderts nach und nach durch moderne zivilrechtliche Kodifikationen beendet.

Wenn man innerhalb dieser großen Zeitspanne von acht Jahrhunderten jedoch genauer verschiedene Epochen und Schulen, oder Stile des Umgangs, mit dem justinianischen Recht (Corpus Juris Civilis) unterscheiden will, pflegt man die Epochen von Glossatoren (1100-1250), Kommentatoren (1250-1500), humanistischer Jurisprudenz (1500-1600), Naturrecht (1650–1800), usus modernus im engeren Sinne (1650-1800) sowie Pandektenwissenschaft (1800-1900; Pandektensystem) zu unterscheiden.

Den Beginn machte die Epoche des „absoluten“ römischen Rechts, in der die Juristen das Prinzip formulierten omnia in corpore iuris inveniuntur oder hic liber comprehendit omnia iura. Aber die Glossatoren haben bereits in dieser Zeit durch Verallgemeinerung des Gehaltes eines Textes des römischen Rechts oder auch durch einschränkende Interpretation das justinianische Recht mehr oder weniger bewusst, aber jedenfalls ohne es auszusprechen, ihren eigenen Vorstellungen angepasst und somit einen usus modernus etabliert. Eine ganz bewusste Modernisierung des Rechts mittels einer sehr freien Auslegung der römischen Texte haben dann die Kommentatoren unternommen.

Am Ausgangspunkt der Entwicklung in Deutschland steht die Situation, wie sie sich nach allgemeiner Meinung in der Formel des Eides darstellte, den die Richter des 1495 gegründeten Reichskammergerichts leisten mussten. Die Richter verpflichteten sich durch ihren Eid „... nach des Reichs gemeinen Rechten, Abschied ... und nach redlichen erbarn leidlichen Ordnungen, Statuten und Gewohnheiten der Fürstenthumen, Herrschafften und Gericht, die vor sie bracht werden ... zu richten.“

Dieser Eidesformel lag etwa folgende Rechtsquellenlehre zugrunde. Die gemeinen Rechte des Reichs umfassten die Gesetzbücher JustiniansCorpus Juris Civilis – und die Gesetzbücher der römischen Kirche – Corpus Juris Canonici (Kanonisches Recht) – sowie das Lehnrecht – Libri feudorum. Insbesondere das römische Recht wurde als durch ein Gesetz von Kaiser Lothar III. von Supplinburg im Jahre 1137 als Reichsgesetzbuch eingeführt angesehen. Das römische Recht galt zwar nur subsidiär bei Fehlen von speziellen Reichsgesetzen oder Gesetzen der einzelnen Territorien und Städte, die sämtlich Vorrang vor dem römischen Recht hatten. Diese Rechte waren jedoch dadurch in der Anwendung beschränkt, dass ihre Geltung für ein bestimmtes Territorium speziell von der sich darauf berufenden Partei nachgewiesen werden musste. Demgegenüber hatte das gemeine Recht (ius commune) die Vermutung der Anwendbarkeit für sich (fundata intentio) und galt als gerichtsbekannt. Zudem waren die nichtrömischen Normen lediglich eng auslegbar – mit möglichst geringer Abweichung vom römischen Recht. Und schließlich mussten sie auf ihre Übereinstimmung mit den guten Sitten überprüft werden.

2. Modernisierung

a) Rechtsquellenlehre

Die so beschriebene Rechtsanwendungslehre für den Gebrauch der Pandekten wurde von der Mitte des 17. Jahrhundert an nach und nach ersetzt durch eine Theorie und entsprechende Praxis eines sich selbst mit einem gewissen Selbstbewußtsein als „modernen“ Gebrauch des römischen Rechts (usus modernus) bezeichnenden Stil des Umgangs mit römischem und einheimischem Recht. Dieser moderne Gebrauch gab sämtliche Positionen der alten Rechtsanwendungslehre auf oder verkehrte sie in ihr Gegenteil.

Der wichtigste Grund für die Notwendigkeit dieser Modernisierung war, dass in jedem Einzelfalle, wie der Helmstedter Mediziner und Jurist Hermann Conring (1606-1681) kritisierte, vor Gericht das geltende Recht nur mühsam festzustellen war. Conring meinte, unter den verschiedenen Quellen, aus denen das Recht in einem konkreten Falle zu schöpfen sei, nehme zwar das römische Recht den größten Platz ein, aber es sei in einer fremden Sprache geschrieben, in vielen Punkten völlig verschieden von deutschen Sitten und bestehe auch nicht aus gesetzlichen Normen, sondern aus den Lehrmeinungen der alten römischen Juristen, d.h. der Juristen der klassischen Zeit des römischen Rechts, und sei dementsprechend von zahllosen Kontroversen überwuchert.

Den Beginn der Erneuerung und der Modernisierung machte der von Hermann Conring 1643 erbrachte Nachweis, dass das römische Recht keineswegs, wie die herrschende Ansicht lautete, durch ein Gesetz im Jahre 1137 von Kaiser Lothar III. von Supplinburg eingeführt worden war, sondern kraft Gewohnheitsrecht, d.h. nach und nach, sowie Satz für Satz durch praktischen Gebrauch (usu sensim) rezipiert und durch Gesetzgebung gebilligt und bestätigt worden sei. Was aber an Normen durch Gebrauch eingeführt worden war, konnte durch gegenteiligen Gebrauch oder Nichtbeachtung auch wieder obsolet werden.

Wenn man diese Erkenntnis ernst nahm, sprach keine Vermutung der Anwendbarkeit (fundata intentio) für das römische Recht in jedem Einzelfall. Vielmehr musste bei konsequenter Anwendung des Prinzips die Rezeption römischen Rechts nunmehr Satz für Satz bewiesen werden. Diese äußerste Konsequenz der modernen Theorie der Rezeption des römischen Rechts wurde jedoch nicht von allen Autoren vertreten. In der Regel nahm man vielmehr an, dass sich schließlich eine mittlere Lösung durchgesetzt habe, wonach für beide Rechte, römisches und einheimisches Recht (ius patrium), eine Vermutung spreche. Diese Vermittlungsformel war aber nur wirksam auf Gebieten, auf denen sich römisches und einheimisches Recht nicht widersprachen, sondern jeweils verschiedene Gegenstände regelten, die dem anderen Recht unbekannt waren, wie zum Beispiel die Einkindschaft (vertragliche Gleichstellung von Kindern aus zwei Ehen eines Elternteils), das Leibgedinge, die Morgengabe, die Auflassung usw. Soweit jedoch einheimisches Recht dem römischen Recht widersprach – das römische Recht etwa ließ eine direkte Stellvertretung nicht zu, wohingegen das einheimische Recht die direkte Stellvertretung sehr wohl anerkannte – war die Vermittlungsformel von den zwei gemeinen Rechten nicht brauchbar, so dass die Kontroverse in jedem Einzelfall mit den Mitteln der Gesetzgebung, Rechtsprechung oder Wissenschaft ausgetragen werden musste.

Bei derartigen Kontroversen konnte das römische Recht Satz für Satz daraufhin geprüft werden, ob es mit deutschen Sitten übereinstimme. Maßstab für diese Prüfung war weithin das Naturrecht der gleichzeitig mit dem usus modernus seit der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts aktiven Naturrechtsschule, deren Anhänger davon ausgingen, dass das auf germanischen Wurzeln beruhende einheimische deutsche Recht mit dem Naturrecht voll übereinstimme.

Außerdem waren die Normen des einheimischen Rechts keineswegs mehr dem Gebot der im Verhältnis zum römischen Recht engen, strikten Auslegung unterworfen, sondern waren ebenso analogiefähig wie die Normen des römischen Rechts. Das spielte eine Rolle bei dem auf kanonisches Recht, „germanische Treue“ und Naturrecht gegründeten Prinzip der Klagbarkeit jeder formlosen vertraglichen Abmachung (pactum nudum), aus dem sich eine vom römischen Recht weitgehend selbständige allgemeine Vertragslehre entwickeln ließ.

Zur Begründung eines usus modernus gehörte in den Augen der Juristen im späten 17. und im 18. Jahrhundert nicht nur die Bewahrung einheimischen Rechts vor dem eindringenden und schon eingedrungenem römischen Recht, sondern auch die Erneuerung und Anpassung an die Anforderungen der Zeit von Einrichtungen und Normen des römischen Rechts, deren Rezeption als solche von den Protagonisten der Erneuerungsbewegung keineswegs in Abrede gestellt wurde. Die Grenze zwischen genuin einheimischen Normen einerseits und zwar rezipierten und dann an moderne Bedürfnisse angepassten Regeln andererseits ist im Einzelfall nicht leicht zu ziehen. Diese Unterscheidung ist jedoch notwendig. Denn unter dem Gesichtspunkt des usus modernus pandectarum ist gerade die Anpassung römischen Rechts an moderne Vorstellungen das eigentlich interessante Phänomen. Da man jedoch eine Epoche des Aufstiegs des einheimischen ius germanicum nicht zu unterscheiden pflegt, bilden beide Erscheinungen gemeinsam die Charakteristika der Epoche, die man als Epoche des usus modernus zu bezeichnen pflegt. Für die hier beabsichtigte historische Betrachtung muss man ursprünglich einheimische Institutionen, die sich dank ihrer inhaltlichen Modernität gegenüber der Rezeption des römischen Rechts behauptet haben, ebenfalls als Frucht des usus modernus ansehen.

b) Beispiele von Modernisierungen

Als prinzipiell rezipiert, aber dann durch Auslegung erweitert und damit modernen Bedürfnissen angepasst, kann man die Ausdehnung des Anfechtungsrechts wegen der Verletzung des Prinzips des gerechten Preises (laesio enormis; C. 4,44,2) vom Verkäufer einer Sache auf den Käufer bezeichnen. Ein usus modernus pandectarum war auch dann gegeben, wenn die bereits im Mittelalter begonnene Ableitung einer generellen clausula rebus sic stantibus aus zwei in den Digesten überlieferten Spezialfällen, nämlich D. 12,4,8 und D. 46,3,3 pr., vollendet wurde. In gleicher Weise ist als Herstellung eines usus modernus einer Norm des römischen Rechts zu bewerten, dass man dazu überging, bei dem Barbier-Fall aus D. 9,2,11 an die Stelle der Verschulden jeden Grades von Verletzer und Verletztem aufhebenden culpacompensation die Frage nach dem überwiegenden Verschulden eines der beiden Beteiligten zu setzen (Römisches Recht).

In eine liberale Richtung weist eine Neuerung für den Eigentumsübergang beim Kauf. Das Vorliegen der beim Ausbleiben der prinzipiell für den Eigentumsübergang der gekauften Sache erforderlichen Barzahlung hilfsweise den Eigentumsübergang bewirkenden Kreditierung des Kaufpreises durch den Verkäufer wurde, ohne dass es dafür eine Textgrundlage im römischen Recht gegeben hätte, von den Vertretern des usus modernus als Maßnahme der Modernisierung vermutet.

In diesen Zusammenhang gehört auch die „moderne“ Aufwertung der Stellung des Erwerbers einer Forderung vom procurator des zum wirklichen neuen Inhaber der Forderung. Hier, wie auch in anderen Fällen, wurde die moderne Lösung eines Problems des rezipierten römischen Rechts von einer germanistischen oder auch naturrechtlichen Sicht der Dinge unterstützt, und zwar in diesem Falle von der auch von den Anhängern des Naturrechts geteilten germanistischen Vorstellung eines Eigentums an Forderungen.

c) „Reinigung“ des römischen Rechts

Begründung eines usus modernus des römischen Rechts war aber nicht nur die Erstreckung von römischen Regeln auf neue Situationen, sondern auch die Herstellung von Modernität durch „Reinigung“ (Bernhard Windscheid) des römischen Rechts von nicht mehr zeitgemäßen Beschränkungen. Soweit dabei römische Normen obsolet wurden, sprach man davon, dass die „Subtilitäten“ des römischen Rechts nie rezipiert oder jedenfalls im Zuge der Modernisierung des römischen Rechts derogiert worden seien. Das traf etwa für die duplum-Strafen des römischen Rechts zu. Ein hier zu nennender Fall der Begründung eines usus modernus pandectarum durch Verzicht auf die den freien Verkehr einschränkenden Besonderheiten des römischen Rechts ist die im Wesentlichen in der Gerichtspraxis sich vollziehende Derogation des in C. 2,13,1 verankerten Verbots der Abtretung an einen Mächtigeren (cessio in potentiorem). Die den Verkehr nicht weniger einschränkende lex Anastasiana aus C. 4,35,22, wonach der Aufkäufer einer Forderung keinen höheren Betrag einklagen kann als er selbst für die Forderung bezahlt hat, behauptete sich allerdings gegenüber allen Modernisierungsversuchen. Doch eine Modernisierung war weiterhin auch die Beseitigung des Verbots der Akkumulation von Zinsen über den Betrag des geschuldeten Kapitals hinaus (ultra alterum tantum, genauer: ultra sortis summam nach C. 4,32,10; Zins- und Zinseszins). Auch die antike Beschränkung eines Fideikommisses auf vier Generationen wurde mit Erfolg als modernen Ansprüchen nicht entsprechend entlarvt. Den Reformen der Moderne fiel weiter auch die auf den Wert der Sache zu einem früheren Zeitpunkt zurückbezogene Schadensberechnung nach der lex Aquilia zum Opfer.

Ausgangspunkt für die Einführung von Neuerungen war häufig ein einzelnes Stadt- oder Landrecht. Doch die Juristen des usus modernus konnten, sowohl was die Bedeutung einer Rechtsregel als auch den räumlichen Bereich ihrer Wirksamkeit betraf, ihre Schlüsse von Stadt zu Stadt und von Territorium zu Territorium ziehen. Eine Norm, die in vielen Territorien nachweisbar war, konnte somit ausgedehnt werden auf ein Gebiet, in dem sie nicht konkret nachweisbar war. Man schloss dabei hinsichtlich der Geltung einer bestimmten Norm von fere ubique in Germania auf ubique in Germania. So entstanden in ganz Deutschland geltende Regeln des Gewohnheitsrechts (consuetudines universales oder generales). Soweit diese keine Entsprechung im römischen Recht hatten und nicht an römisches Recht anknüpften, wurden sie seit Beginn des 18. Jahrhunderts als deutsches Privatrecht vom römischen Recht getrennt in eigenen Systemen dargestellt. In bezug darauf kann man aber nicht mehr von usus modernus sprechen.

Wenn man versucht, eine vorherrschende materiellrechtliche Tendenz aller angeführten Fälle eines usus modernus festzustellen, kommt man zu dem Ergebnis, dass es den Juristen des usus modernus weithin darum ging, ein auf den Willen der Parteien abstellendes, liberales Verkehrsrecht zu schaffen. Als Hauptleistungen des usus modernus kann man jedoch die wissenschaftliche Durchdringung der Privatrechtsordnung und die Konsolidierung der forensischen Praxis bezeichnen. Auf diese Weise entstand eine moderne gemeinrechtliche Dogmatik, die die bis heute wirksamen Grundlagen der Privatrechtsordnung gelegt hat. Normen römischer, germanischer, kanonischer und naturrechtlicher Herkunft sowie modernes Gesetzes- und (richterliches) Gewohnheitsrecht bildeten eine einheitliche wissenschaftlich bearbeitete Rechtsordnung.

3. Lehrbücher

Die Summe der als Ergebnis der Modernisierung eingeführten Neuerungen machte Lehrbücher eines neuen Typs erforderlich. Conring stellte die Forderung auf, statt der vorherrschenden ausufernden Kommentare zu den Pandekten Justinians ein knapp gefasstes Handbuch, ein exiguus libellus, des gesamten positiv geltenden Rechts unter Weglassung allen nicht nützlichen Materials zu verfassen, das nur enthalte, was kraft Gewohnheitsrecht – also deutsches Recht – oder als geschriebenes Recht – also römisch-kanonisches Recht – in der Praxis in Gebrauch sei. Als Vorläufer dieser Art Darstellungen kann man die 1607 erschienenen Institutes coutumières des Franzosen Antoine Loisel (1536-1617) ansehen. Vergleichbare Darstellungen des geltenden Rechts, die man als Institutionenlehrbücher bezeichnen kann, wurden dann auch in zunehmendem Maße publiziert. Sie waren im Grunde Vorübungen für eine spätere Kodifikation. Als systematische Grundlage verwendeten die Autoren eine Modifikation des Systems der Institutionen Justinians, in dem obsolete Normen nicht behandelt wurden, wohingegen an den geeigneten Stellen die nicht auf römischem Recht basierenden Normen des modernen Rechts, wie etwa das Versicherungsrecht, der Erbvertrag (Erbvertrag und gemeinschaftliches Testament), Spiel und Wette eingefügt wurden.

Als eines der ältesten Werke dieser Art kann man die 1631 erschienene „Inleidinge tot de Hollandsche rechtsgeleerdheid“ von Hugo Grotius (1583-1645) ansehen (Römisch-holländisches Recht). Grotius unterteilte sein Werk nach dem Vorbild der Institutionen Justinians in drei Teile: Personen, Sachen- und Erbrecht, Forderungen. Die Klagformen fehlten. Überall wird auf den modernen Gebrauch, den die Juristen von den Normen des römischen Rechts machen, hingewiesen. In das System an passender Stelle eingeschoben sind zudem moderne Institutionen speziell holländischer Genese, aber auch solche mit länderübergreifender Geltung wie Zinsrecht, Reederei, Recht der Seeleute, Versicherung, Havarei, Wechselrecht etc.

Dem gleichen Muster folgte das einflussreiche Werk von Georg Adam Struve (1619-1692) mit dem Titel „Juris-Prudenz, oder: Verfassung der land-üblichen Rechte“ von 1689, sowie in zweiter und dritter Auflage 1696 und 1711. Eingearbeitet in ein leicht modifiziertes Institutionen-Schema mit den Kapiteln Personen, Sachen einschließlich Erbrecht und Verbindlichkeiten finden sich hier Ausführungen zu Institutionen des einheimischen Rechts wie Versicherungen, Bodmerei, Gesamterbschaft, Erbvertrag, Viehmängelhaftung, Spiel und Wette, Retrakt, Zinsen, Erbzins usw. Größere Verbreitung fand die Kurzfassung der „Juris-Prudenz“, die unter dem Titel „Jurisprudentia Romano-Germanica“ von 1670 bis 1771 unzählige Male bearbeitet und neu aufgelegt wurde. Ihren Namen trägt diese Epoche jedoch nach dem vom Jahre 1690 an Band für Band unter dem Titel „Usus modernus Pandectarum“ erschienenen Pandektenkommentar von Samuel Stryk (1640-1710), der die seiner Zeit gestellte Aufgabe so perfekt erfüllte, dass der Titel des Werkes zur Bezeichnung der ganzen Epoche werden konnte. Die geschilderte Art von römisch-nationalen, d.h. römisch-holländischen und römisch-deutschen, aber auch römisch-neapolitanischen, römisch-französischen usw. Institutionenlehrbüchern fand im 18. Jahrhundert in ganz Europa Verbreitung.

Literatur

Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967; Wolfgang Wiegand, Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit, 1977; Klaus Luig, Conring, das deutsche Recht und die Rechtsgeschichte, in: Michael Stolleis (Hg.), Hermann Conring (1606–1681), 1983, 355 ff.; auch in: Klaus Luig, Römisches Recht, Naturrecht, Nationales Recht, 1998, 219 ff.; Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, I Älteres gemeines Recht 1500–1800, 1985; Hermann Lange, Römisches Recht im Mittelalter, Bd. I, Die Glossatoren, 1997; Klaus Luig, Samuel Stryk und der „Usus modernus Pandectarum“, in: Festschrift für Sten Gagnér, 1998, 219 ff.; auch in: Klaus Luig, Römisches Recht, Naturrecht, Nationales Recht, 1998, 91 ff.; Peter Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht, 2002; Hermann Lange, Maximiliane Kriechbaum, Römisches Recht im Mittelalter, Bd. II, Die Kommentatoren, 2007; Hans-Peter Haferkamp, Tilman Repgen (Hg.), Usus modernus Pandectarum: Römisches Recht, Deutsches Recht und Naturrecht in der frühen Neuzeit, 2007; Frank L. Schäfer, Juristische Germanistik, eine Geschichte der Wissenschaft vom einheimischen Privatrecht, 2008.

Quellen

Hugo Grotius, Inleiding tot de hollandsche rechts-geleerdheid, Den Haag 1631; Hermann Conring, De origine iuris Germanici, Helmstedt 1643; Antoine Loisel, Institutes coutumières, Paris 1646; Samuel Stryk, Usus modernus Pandectarum, I-III, Frankfurt am Main 1690-1712.

Abgerufen von Urheberrecht – HWB-EuP 2009 am 26. April 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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