Principles of European Contract Law und Principles of European Family Law: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Reinhard Zimmermann]]''
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== 1. Warum Vertragsrecht?  ==
== 1. Die Europäisierung des Familienrechts ==
Die ''Principles of European Contract Law'' (Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts) sind, als akademisches Projekt, ein Pionierwerk europäischer Privatrechtsvereinheitlichung. Sie befassen sich mit einer Materie, die von vornherein einen internationaleren Zuschnitt hat als, beispielsweise, das Recht der unerlaubten Handlungen, das Sachenrecht oder das Familienrecht. Das moderne Vertragsrecht in Europa beruht auf denselben historischen und philosophischen Grundlagen, und der hypothetische Wille vernünftiger Vertragsparteien war gewöhnlich der Ausgangspunkt für die Entwicklung seiner Doktrinen. Der Vorrat grundlegender Begriffe und Wertungen ist durch Entwicklungen im Zeitalter des juristischen Nationalismus nicht nachhaltig in Frage gestellt worden, und es hat immer wieder den grenzüberschreitenden Austausch von Ideen und Regelungsansätzen gegeben. Heute, im Zeichen der [[Europäische Union|Europäischen Union]], bildet der [[Europäischer Binnenmarkt|europäische Binnenmarkt]] den stärksten Motor der Rechtsvereinheitlichung, und es ist offenkundig, dass das Vertragsrecht dazu den stärksten Bezug hat. Es lag damit nahe, das allgemeine Vertragsrecht zum Gegenstand des ersten Versuchs zu machen, einen gemeineuropäischen, regelförmigen Referenztext zu erarbeiten.  
Die Europäisierung des Familienrechts ist ein herausragendes Merkmal der Entwicklung dieses Rechtsgebiets seit den 1970er Jahren. Die Gründe dieser Entwicklung liegen nicht nur in großen soziologischen Veränderungen, die das Familienrecht überall in Europa kennzeichnen, und in dem Einfluss der Menschenrechte, die das Familienrecht vor allem durch die Rechtsprechung des [[Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte|EGMR]] überall in Europa gewandelt haben, sondern auch in einem europäischen Bewusstsein, welches das Familienrecht zu einem Gebiet der Rechtsvergleichung gemacht hat. Zunehmende Migration, gemischte [[Ehe]]n, internationale Ehescheidungen ([[Scheidung]]) und Erwerb von ausländischen Vermögen haben hierzu beigetragen.


== 2. Die Entstehung der Principles ==
Das Familienrecht ist nicht mehr in einem so hohen Grad in einer regionalen Kultur eingebettet wie früher. Familienrecht – sowie das Recht im Allgemeinen – kann selbstverständlich nicht völlig unabhängig von kulturellen Entwicklungen und Hintergründen gesehen werden. Aber die aktuellen Reformen und ihre Tendenzen zeigen, dass die einzel- und innerstaatlichen Familienrechte, auch wenn bedeutende Unterschiede bleiben, konvergieren und zusammenwachsen
Die ''Principles of European Contract Law'' sind von einer „Commission on European Contract Law“ erarbeitet worden, einem auf Initiative von Professor ''Ole Lando'' aus Kopenhagen (daher häufig auch: „Lando-Kommission“ und „Lando Principles“) etablierten Gremium. Obwohl zeitweise von der [[Europäische Kommission|Europäischen Kommission]] finanziert, blieb die Arbeit der „Lando-Kommission“ von Anfang bis Ende ein privates wissenschaftliches Unternehmen, das auf der Zusammenarbeit von Juristen (ganz überwiegend Hochschullehrern) aus allen Mitgliedstaaten der EU beruhte. Mit der EU wuchs auch die „Lando-Kommission“: zuletzt hatte sie 23 Mitglieder, davon drei aus Deutschland, sowie je zwei aus Frankreich, Italien, England, Schottland und den Niederlanden. Entstanden sind die ''Principles'' in drei Teilen. Der erste befasst sich im Wesentlichen mit den Modalitäten der Leistungserbringung, mit der Nichterfüllung und den Rechtsbehelfen im Fall der Nichterfüllung, sowie mit einer Reihe von allgemeinen Fragen (Anwendung, Abdingbarkeit, Begriffsbestimmungen, allgemeine Verhaltenspflichten im Rechtsverkehr, etc.). Er entstand in den Jahren 1982–1995 und umfasst 59 Artikel. Teil II entstand in der Zeit von 1992 bis 1999; verteilt auf 73 Artikel sind das Recht des Vertragsschlusses, die Vollmacht von Vertretern, die Gültigkeit von Verträgen (einschließlich Willensmängel, aber ohne Verbots- und Sittenwidrigkeit), die Auslegung von Verträgen sowie Inhalte und Wirkungen (einschließlich des Vertrages zugunsten Dritter) geregelt. Publiziert worden ist dieser zweite Teil nicht separat, sondern im Rahmen einer konsolidierten und überarbeiteten Gesamtversion der Teile I und II. Der dritte Teil umfasst 69 Artikel; er entstand zwischen 1997 und 2002 und behandelt die Themen Mehrheit von Parteien (Schuldnermehrheit und Gläubigermehrheit), Abtretung, Schuldübernahme und Vertragsübernahme, Aufrechnung, Verjährung, Rechtswidrigkeit, Bedingungen und Kapitalisierung von Zinsen. Anders als Teil II ist Teil III nicht von vornherein in das bereits bestehende Regelwerk integriert, sondern (zunächst) separat publiziert worden.


Die sich über einen so langen Zeitraum erstreckende Entstehung und die Aufspaltung der Arbeit in drei Teile machen sich in den ''Principles'' in mancherlei Hinsicht bemerkbar. So reicht die Grundkonzeption (Ausarbeitung von Grundregeln eines allgemeinen Vertragsrechts) auf die Zeit vor der Herausbildung eines verbrauchervertraglichen ''acquis communautaire'' zurück ([[Verbraucher und Verbraucherschutz]]). Dieser ist vielmehr bis zum Schluss weitgehend unberücksichtigt geblieben. Nicht bedacht wurde deshalb die schwierige Frage, inwieweit und gegebenenfalls in welcher Weise sich die verbraucherschützenden Regeln des Richtlinienrechts in die ''Principles'' integrieren lassen. In einem anderen Punkt ist die Grundkonzeption demgegenüber im Laufe der Zeit erweitert worden. Denn während sich die ersten beiden Teile der ''Principles'' tatsächlich mit dem Vertragsrecht befassen, greifen zentrale Bereiche von Teil III darüber hinaus und beziehen sich ganz bewusst auf das Schuldrecht insgesamt. Sie bilden Kernbestandteile eines Allgemeinen Schuldrechts für Europa, lassen damit aber gleichzeitig die Bezeichnung der Grundregeln als ''Principles of European'' „''Contract''“ ''Law'' als ungenau erscheinen. Eine gewisse konzeptionelle Verschiebung hat sich weiterhin offenbar auch im Hinblick auf die in den ''Principles'' enthaltenen Bestimmungen vollzogen. Ursprünglich scheint es den Mitgliedern der „Lando-Kommission“ nicht um die Vorbereitung eines unmittelbar anwendungsfähigen Systems konkreter Regeln gegangen zu sein; das ergibt sich nicht zuletzt aus der Bezeichnung des Werkes als „''Principles''“'' of European Contract Law''. Doch erreichen die in einer Reihe der späteren Kapitel enthaltenen Regelungen einen Grad an Spezifität, der den in den bestehenden nationalen Kodifikationen enthaltenen Vorschriften nicht nachsteht. Der Begriff „Principles“ verbirgt daher, dass es sich weithin um eine Art Modellgesetzbuch des europäischen Vertragsrechts handelt. Schließlich hat das schrittweise Vorgehen bei der Erstellung der ''Principles'' auch zu gewissen Abstimmungsdefiziten geführt. So enthalten alle drei Teile Regelungen über die [[Rückabwicklung von Verträgen|Rückabwicklung]] gescheiterter Verträge. Dabei bezieht sich Art. 4:115 PECL auf Fälle, in denen ein Vertrag angefochten worden ist, Art. 9:305 ff. PECL betreffen die Aufhebung des Vertrages im Falle einer wesentlichen Nichterfüllung, und Art. 15:104 PECL regelt die Rückabwicklung bei Unwirksamkeit wegen Rechtswidrigkeit. Diese Verdreifachung der Regeln sowie die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede lassen sich kaum rechtfertigen. Es handelt sich hier um einen von einer Reihe von Punkten, in denen die Grundregeln verbesserungsbedürftig sind.
Die Suche nach einem ''ius commune'', die lange mit Initiativen wie der ''Lando''-Kommission auf das Vertragsrecht und verwandte Gebiete beschränkt geblieben war, betrifft nun auch das Familienrecht. Nicht nur eine umfangreiche Literatur, sondern auch konkrete Vorschläge, welche die spontane Rechtsangleichung fördern und mittel- oder langfristig zur Rechtsvereinheitlichung beitragen können, sind das Resultat.


== 3. Arbeitsweise ==
== 2. Die ''Commission on European Family Law'' ==
Die ''Principles of European Contract Law'' sind das Ergebnis internationaler und rechtsvergleichend inspirierter wissenschaftlicher Zusammenarbeit. Zudem handelt es sich um ein echtes Gemeinschaftswerk. Zwar waren für die einzelnen Sachbereiche jeweils ein oder zwei „Berichterstatter“ zuständig, deren Aufgabe unter anderem darin bestand, Entwürfe für die Artikel und den Kommentar zu erarbeiten. Doch zum einen handelte es sich jeweils um verschiedene Personen. Zum anderen wurden die von den Berichterstattern erarbeiteten Entwürfe einem Vorbereitungsausschuss und der Gesamtkommission vorgelegt und von beiden Gremien Satz für Satz in mehreren Durchgängen beraten, verfeinert, kritisiert, zurücküberwiesen, schließlich in zwei Lesungen angenommen und dann noch einmal von einem Redaktionsausschuss überarbeitet. Alles in allem traf die Kommission sich zu 26 in der Regel einwöchigen Plenarsitzungen, der Vorbereitungsausschuss tagte jeweils einige Monate vor den Plenarsitzungen. Es gab ein ausgeprägtes Bemühen um die Herstellung eines Konsenses; in einer Reihe von Punkten wurde freilich, nach Austausch aller Argumente für und gegen eine bestimmte Lösung, abgestimmt. Im Übrigen haben sich die Verfasser der ''Principles'' bewusst darum bemüht, keiner nationalen Rechtsordnung Modellcharakter beizumessen. Der Ansatz war rechtsvergleichend. Es ging der Kommission in erster Linie darum, den gemeinsamen Kernbestand der Vertragsrechte aller Mitgliedstaaten herauszufiltern und auf dieser Grundlage ein funktionstüchtiges System zu schaffen. Im Hintergrund stand insoweit der Gedanke eines ''[[Restatements|Restatement]]'' des europäischen Vertragsrechts. Doch war den Verfassern der ''Principles'' von vornherein klar, dass sie mit einer kreativeren Aufgabe konfrontiert waren als die Autoren der amerikanischen ''Restatements''. Divergenzen waren aufgrund einer vergleichenden Bewertung der in den nationalen Rechtsordnungen gesammelten Erfahrungen, durch Beobachtung europäischer und internationaler Entwicklungstrends oder nach anderen möglichst rationalen Kriterien aufzulösen. Im übrigen hat in den Bereichen Leistungsstörungen und Vertragsschluss das UN-Kaufrecht ([[Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)|Internationaler Warenkauf (Einheitsrecht)]]), das seinerseits letztlich auf ''Ernst Rabels'' historisch und vergleichend angelegter Monographie zum Recht des Warenkaufs beruht, eine prägende Rolle gespielt: 52 von 132 Artikeln der ersten beiden Teile der ''Principles'' beruhen auf einem Vorbild in diesem bislang erfolgreichsten Dokument internationaler Privatrechtsvereinheitlichung.
Vor diesem Hintergrund ist 2001 aufgrund einer akademischen Initiative die ''Commission on European Family Law'' gegründet worden. Die Gründung beruht auf dem Gedanken, dass das Familienrecht in Anbetracht der großen Mobilität der europäischen Bürger bei der Suche nach einem ''ius commune'' nicht fehlen darf und dass das vorhandene Instrumentarium des internationalen Privatrechts sowie die legislatorischen und rechtsprechenden Aktivitäten des Europarats und der Europäischen Union nicht ausreichen, um eine weitere Harmonisierung zu fördern. Die Kommissionsmitglieder sind der Überzeugung, dass eine gewisse Harmonisierung des Familienrechts wünschenswert ist, um einen wirklichen freien Personenverkehr zu realisieren und dass diese Harmonisierung die europäische Identität und einen effizienten einheitlichen Rechtsraum fördern wird.


== 4. Ein ''Restatement'' des europäischen Vertragsrechts ==
Die Kommission ist aus zwei Gremien zusammengestellt: dem ''Organising Committee'' und der ''Expert Group''.
Auch in der Struktur der Publikation sind die ''Principles'' von den ''Restatements'' des US-amerikanischen Rechts inspiriert. Jeder Band enthält zum einen den Text der Artikel, auf den sich die Kommission geeinigt hat, zum anderen aber auch, Artikel für Artikel, einen Kommentar einschließlich Anwendungsbeispielen sowie rechtsvergleichende Anmerkungen, die vor allem über die jeweils einschlägigen Rechtsregeln der Mitgliedstaaten berichten, im übrigen aber auch andere Rechtsquellen, wie z.B. internationale Konventionen, berücksichtigen. Die Artikel sind gleichzeitig in einer englischen und französischen Fassung veröffentlicht worden, wenngleich ansonsten für die Zwecke der Originalpublikation die englische Sprache gewählt worden ist. Die Frage möglichst unproblematischer Übersetzbarkeit spielte schon während der Kommissionsarbeiten eine große Rolle; zudem wurde so verhindert, dass den ''Principles'' eine ausschließlich am englischen oder französischen Recht orientierte Begrifflichkeit zugrunde liegt.


In all diesen Punkten unterscheiden sich die ''Principles'' von einem konkurrierenden Projekt europäischer Vertragsrechtsvereinheitlichung: dem ''[[Code Européen des Contrats (Avant‑projet)]]'' („Gandolfi-Entwurf“). Dieser stammt im Wesentlichen aus einer Hand (nämlich der des „Koordinators“ Giuseppe Gandolfi); er orientiert sich vor allem am italienischen ''Codice civile'' und einem Ende der 1960er Jahre im Auftrag der englischen ''Law Commission'' erarbeiteten ''Contract Code''<nowiki>; und er ist in französischer Sprache veröffentlicht worden.</nowiki>
Die Kommission formuliert Prinzipien, die das ''ius commune'' der einzelnen Rechtsordnungen bilden und als Inspirationsquelle für die nationalen Gesetzgeber von Nutzen sein können. Weist das ''common core'' nicht in Richtung einer für alle Rechtssysteme akzeptablen Lösung, die für die Zukunft Bestand haben kann oder sind die Lösungen der einzelnen Rechtssysteme so unterschiedlich, dass kein ''common core'' vorhanden ist, genügt das reine ''[[Restatements|Restatement]]'' nicht und schlägt die Kommission auf Grund einer ''better law-approach'' eigene Lösungen vor. Hier wird dann untersucht, welches Interesse am schutzbedürftigsten ist.


Auf internationaler Ebene konkurrieren die ''Principles of European Contract Law'' mit den [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT'' Principles of International Commercial Contracts'']]. Beide Regelwerke sind in vielen Punkten miteinander vergleichbar. Insbesondere sind sie in ähnlicher Weise erarbeitet worden, sie verfolgen ähnliche Ziele, und sie sind in einem ganz ähnlichen Stil formuliert. Vergleichbar sind auch Aufbau und Struktur der Publikation. Beide Regelungsentwürfe sind etwa gleichzeitig entstanden, wobei zunächst UNIDROIT, dann die „Lando-Kommission“ einen gewissen Vorsprung hatte. Beide Gremien haben von der Arbeit der jeweils anderen Kenntnis genommen und haben in manchen Punkten Einfluss aufeinander ausgeübt.
Das Verfahren, um zu ''Principles'' zu kommen, beginnt mit einem vom ''Organising Committee ''ausgearbeiteten Fragebogen. Die von diesem ernannten Mitglieder der ''Expert Group – ''jeweils Spezialisten einzelner nationaler Familienrechtsordnungen – fertigen Berichte über die Rechtslage in ihren Herkunftsstaaten an. Ein ''Principles''-Entwurf wird von einem oder mehreren Mitgliedern des ''Organising Committee ''verfasst, im ''Committee'' besprochen und der ''Expert Group ''zur Beratung vorgelegt.


Trotz der in zweifacher Hinsicht unterschiedlichen Zielsetzung (global/‌europäisch; internationale Handelsverträge/‌allgemeines Vertragsrecht) unterscheiden sich die ''Principles'' von UNIDROIT und der „Lando-Kommission“ nicht sehr stark voneinander; in manchen Bereichen sind sie weitgehend identisch.
Die Kommission hat Prinzipien zum Scheidungsrecht und zum nachehelichen Unterhalt (2004) und zur elterlichen Verantwortung (2007) ausgearbeitet. Prinzipien zum Ehegüterrecht sind in Vorbereitung.


== 5. Ziele und Perspektiven ==
== 3. Prinzipien zum Scheidungsrecht und zum nachehelichen Unterhalt ==
Insgesamt lässt sich sagen, dass die ''Principles of European Contract Law'' als moderne Manifestation einer genuin europäischen Tradition angesehen werden können, die sich durch ihre inhärente Flexibilität und Entwicklungsfähigkeit auszeichnet. Sie verlängern jahrhundertealte Entwicklungslinien in die Gegenwart und zwar auch dort, wo scheinbar unkonventionelle Lösungen gewählt worden sind (beispielsweise in den Punkten Wirkung der [[Aufrechnung]]; Wirksamkeit von einseitigen [[Versprechen]]; ''[[Undue influence]]''). Welchen Beitrag können sie ihrerseits zu einer Europäisierung des Vertragsrechts leisten? Die Verfasser der Grundregeln selbst nennen eine Reihe von Zielen, die sie mit ihrer Arbeit verfolgen. Es geht ihnen darum, den grenzüberschreitenden Handel innerhalb Europas zu erleichtern, indem sie ein von den Besonderheiten der verschiedenen nationalen Rechtsordnungen losgelöstes Regelwerk zur Verfügung stellen, dem Parteien ihr Geschäft unterstellen können. Ferner sehen sie in den Grundregeln die moderne Formulierung einer ''[[Lex Mercatoria|lex mercatoria]]'', auf die Schiedsgerichte zurückgreifen können, die einen Streitfall gemäß den „allgemeinen Rechtsgrundsätzen“ oder „international anerkannten Grundsätzen“ zu entscheiden haben. Dies sind unmittelbar praktische Ziele. Eine stärker perspektivische Orientierung bringen die Verfasser der Grundregeln zum Ausdruck, wenn sie in ihrem Regelwerk eine allgemeine begriffliche und systematische Grundlage für Maßnahmen der Harmonisierung des Vertragsrechts im Rahmen der EU sehen und wenn sie es als Schritt auf dem Wege zu einer Kodifikation des europäischen Vertragsrechts ([[Europäisches Zivilgesetzbuch]]) betrachten. In der Tat hat denn auch die von einem Mitglied der „Lando-Kommission“ gegründete ''[[Study Group on a European Civil Code]]'' die ''Principles'' zum Ausgangspunkt für ihre weit über das Vertragsrecht hinausreichende und dezidiert auf eine Kodifikation des europäischen Vermögensrechts abzielende Arbeit gemacht. Das Europäische Parlament hatte schon in einer Entschließung von 1994 die weitere Unterstützung der „Lando-Kommission“ als Schritt auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Privatrechtsgesetzbuch gefordert (Dok.&nbsp;A3-0329/‌94). Und auch für den von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften ins Auge gefassten ''Common Frame of Reference'' ([[Common Frame of Reference|Gemeinsamer Referenzrahmen]]) sollen die ''Principles of European Contract Law'' eine zentrale Rolle spielen. Das ergibt sich unter anderem aus der Struktur von Anhang I, Kapitel III der Mitteilung der Kommission vom 11.10.2004 (KOM (2004) 651 endg.), die auf den ''Principles'' beruht.
Das althergebrachte scheidungsrechtliche Schuldprinzip spielt in den Prinzipien der Kommission keine Rolle mehr. Der Stand des Scheidungsrechts lässt feststellen, dass die Mehrzahl der Rechtssysteme die Verschuldensscheidung ablehnt oder sich im Endergebnis zu einem System entwickelt hat, das die Verschuldensscheidung in der Praxis marginalisiert ([[Scheidung]]). Bedeutend waren hier auch gerade abgeschlossene oder künftige Reformen, die mehr und mehr auf das Zerrüttungssystem abstellen, auch wenn das Verschulden noch nicht immer vollkommen ausgeschlossen wird. So existieren etwa in Belgien, Frankreich und Österreich nach wie vor Verschuldens- und Zerrüttungsscheidung Seite an Seite.


Von zentraler Bedeutung in der näheren Zukunft ist freilich auch ein weiterer Aspekt: die ''Principles'' als Inspirationsquelle für Gerichte, Gesetzgebung und Rechtswissenschaft bei der Fortbildung der nationalen Vertragsrechte. Denn auf absehbare Zeit werden wir es noch mit dem Nebeneinander von nationalen Privatrechtsordnungen in Europa zu tun haben. Viel wäre gewonnen, wenn diese sich Schritt für Schritt und gewissermaßen organisch assimilieren ließen. Die ''Principles of European Contract Law'' können in diesem Prozess eine Schlüsselrolle spielen. Denn sie bieten einen durch rechtsvergleichende Arbeit von Juristen aus allen EU-Mitgliedstaaten erarbeiteten Orientierungspunkt, an dem das nationale Recht gemessen werden und der für dessen Auslegung und Fortbildung richtungweisend sein kann. Leider sind die ''Principles'' in Deutschland noch nicht sehr weit in die allgemeine dogmatische Literatur zum BGB eingedrungen. Demgegenüber zitieren etwa niederländische Autoren auch dann, wenn sie lediglich eine Frage des niederländischen Vertragsrechts behandeln, fast schon routinemäßig die ''Principles''. Der deutsche Gesetzgeber hat die ''Principles'' in der Schlussphase der Schuldrechtsreform zur Kenntnis genommen und berücksichtigt; das neue Verjährungsrecht beruht in seinen Grundlinien auf dem von der „Lando-Kommission“ vorgeschlagenen Modell. Auch andere europäische Reformgesetzgeber haben die ''Principles'' in ihre Überlegungen einbezogen. Nationale Gerichte haben sich des in den ''Principles'' liegenden Potentials für eine harmonisierende Gesetzesauslegung demgegenüber erst in Einzelfällen zu bedienen begonnen.
Die Kommission schlägt zwei Scheidungsformen vor, die einverständliche und die einseitige Scheidung (Prinzip&nbsp;1:3).


Im Übrigen hat die erfolgreiche Zusammenarbeit im Rahmen der „Lando-Kommission“ eine Reihe ähnlicher Initiativen in anderen Bereichen inspiriert. Zu nennen sind etwa die ''[[Principles of European Tort Law]]'', die ''Principles of European Trust Law'' ([[Trust und Treuhand|''Trust'' und Treuhand]]) und erste Versuche der Erarbeitung von ''[[Principles of European Family Law]]''.
Die einverständliche Scheidung wird wegen ihrer großen Bedeutung in vielen Rechtssystemen und wegen ihres humanen Charakters als vorrangige Form vorgeschlagen. Sie gilt als autonomer Scheidungsgrund und nicht als Unterform der Zerrüttungsscheidung. Sie ist auch möglich, wenn keine Einigkeit über die Scheidungsfolgen besteht. Sie ist an keine anderen Bedingungen wie faktische Trennung oder Ehedauer geknüpft (Prinzip&nbsp;1:4). Das bloße Einverständnis der Ehegatten genügt. Bei Kindern unter sechzehn Jahren oder in Ermangelung einer Einigung über alle Scheidungsfolgen gilt eine Überlegungsfrist (Prinzip&nbsp;1:5).
 
In einem ersten Entwurf hatte das ''Organising Committee ''vorgeschlagen, die einseitige Scheidung – wie im deutschen und niederländischen Recht – auf die Ehezerrüttung zu gründen. Sie wäre dann mit der faktischen Trennung zu beweisen gewesen. Die ''Expert Group'' hat aber dafür plädiert, sofort bei der faktischen Trennung anzuknüpfen und die Ehezerrüttung nicht mehr ausdrücklich als Scheidungsgrund zu erwähnen, da sie eine bedeutungslose zusätzliche Hürde ist. Die Prinzipien sehen nunmehr eine einseitige Scheidung nach einer einjährigen faktischen Trennung vor (Prinzip&nbsp;1:8). In Fällen außergewöhnlicher Härte ist die Ehescheidung auch ohne Trennungsjahr möglich (Prinzip&nbsp;1:9).
 
Die Prinzipien zum nachehelichen [[Unterhalt]] stellen die Selbstverantwortung ins Zentrum. Jeder Ehegatte hat im Prinzip für seinen eigenen Unterhalt zu sorgen (Prinzip&nbsp;2:2). Unterhalt kann gewährt werden, wenn auf Seiten des Unterhaltsberechtigten unzureichende Mittel zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse vorhanden sind und auf Seiten des Unterhaltspflichtigen die Fähigkeit zur Leistung vorliegt (Prinzip&nbsp;2:3). Bei der Beurteilung des Anspruches sind mehrere Umstände zu berücksichtigen, wie die Erwerbsmöglichkeit, das Alter und der Gesundheitszustand der Ehegatten, die Sorge für die Kinder, die Aufteilung der Aufgaben während der Ehe, die Dauer der Ehe, die Lebensverhältnisse während der Ehe sowie eine neue Ehe oder eine dauerhafte Lebensgemeinschaft (Prinzip&nbsp;2:4). Der Unterhalt ist im Prinzip zeitlich begrenzt (Prinzip&nbsp;2:8). Außergewöhnliche Härte für den Unterhaltsverpflichteten kann zu Versagung, Beschränkung oder Beendigung des Unterhalts führen (Prinzip&nbsp;2:6).
 
Bei einer Mehrheit von Unterhaltsansprüchen ist dem minderjährigen Kind Vorrang zu geben und ist die Unterhaltspflicht gegenüber dem neuen Ehegatten zu berücksichtigen (Prinzip&nbsp;2:7).
 
Die Unterhaltspflicht endet, wenn der Unterhaltsberechtigte Ehegatte eine neue Ehe oder eine dauerhafte Lebensgemeinschaft eingeht (Prinzip&nbsp;2:9).
 
Die Prinzipien haben schon einen gewissen Einfluss ausgeübt. So hat Portugal sich bei der Scheidungsreform 2008 sehr von den Prinzipien inspirieren lassen.
 
== 4. Prinzipien zur elterlichen Verantwortung ==
Prinzip&nbsp;3:1 definiert die [[Elterliche Verantwortung|elterliche Verantwortung]] als ein Bündel von Rechten und Pflichten, die auf Förderung und Sicherung des Wohles des Kindes abzielen. Dieses Bündel umfasst insbesondere Sorge, Schutz und Erziehung, das Unterhalten persönlicher Beziehungen, die Bestimmung des Aufenthalts sowie die Verwaltung des Vermögens und die gesetzliche Vertretung.
 
Prinzip&nbsp;3:2 definiert als Inhaber der elterlichen Verantwortung jede Person, welcher die in Prinzip&nbsp;3:1 genannten Rechte und Pflichten ganz oder teilweise zustehen. Die breite Definition sieht selbstverständlicherweise die Eltern als wichtigste Inhaber der elterlichen Verantwortung, berücksichtigt aber ebenfalls andere Personen, denen die elterliche Verantwortung zusammen mit den Eltern oder an Stelle der Eltern zusteht.
 
Prinzip&nbsp;3:4 erkennt die Autonomie des Kindes und dessen Bedürfnis, selbständig zu handeln, im Verhältnis zu seinen wachsenden Fähigkeiten an. Dieses allgemeine Prinzip bedeutet, dass das Kind in Übereinstimmung mit seinen Bedürfnissen und seinen Fähigkeiten an den es betreffenden Entscheidungen zu beteiligen ist. Es wird kein Akzent auf das Kindesalter gelegt, sondern vielmehr auf die Verbindung zwischen der Fähigkeit und dem Bedürfnis des Kindes, selbständig zu handeln. Eine konkrete Anwendung dieses Prinzips findet sich in Prinzip&nbsp;3:6 über das Recht des Kindes auf Gehör.
 
Personen, deren gesetzliche Elternschaft gegenüber einem Kind feststeht, haben von Rechts wegen die elterliche Verantwortung, unabhängig vom Status der Kinder und der Eltern (Prinzip&nbsp;3:8). Die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge gilt als Grundmodell (Prinzip&nbsp;3:11).
 
Prinzip&nbsp;3:17 regelt die zusätzlich zur elterlichen Sorge oder an die Stelle der Ausübung durch die Eltern tretende Ausübung der elterlichen Verantwortung durch Dritte.
 
Weitere Prinzipien regeln den Inhalt der elterlichen Verantwortung und deren Beendigung, Entziehung und Wiederherstellung sowie einige Verfahrensfragen (Prinzip&nbsp;3:20-39).


==Literatur==
==Literatur==
''Jürgen Basedow'' (Hg.), Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, 2000; ''Martin Hesselink'', ''G.J.P. de Vries'', Principles of European Contract Law, 2001; ''Friedrich Blase'', Die Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts als Recht grenzüberschreitender Verträge, 2001; Principi di diritto europeo: spunti dall' edizione italiana, Europa e diritto privato 2002, Heft 4 (Sonderheft, 847&nbsp;ff); ''Danny Busch'', ''Ewoud H. Hondius'', ''Hugo van Kooten'', ''Harriët Schelhaas'', ''Wendy Schrama'', The Principles of European Contract Law and Dutch Law, 2002, sowie The Principles of European Contract Law (Part III) and Dutch Law, 2006; ''Arthur Hartkamp'', Principles of Contract Law, in: Arthur Hartkamp, Martijn Hesselink, Ewoud Hondius, Carla Joustra, Edgar du Perron, Muriel Veldman (Hg.), Towards a European Civil Code, 3. Aufl. 2004, 125&nbsp;ff.; ''Antoni Vaquer Aloy'' (Hg.), La Tercera Parte de los Principios de Derecho contractual europeo, 2005; ''Hector MacQueen'', ''Reinhard Zimmermann'' (Hg.), European Contract Law, 2006; ''Roy Goode'', ''Herbert Kronke'', ''Ewan McKendrick'', Transnational Commercial Law: Text, Cases, and Materials, 2007, Kap.&nbsp;14; ''Association Henri Capitant des Amis de la Culture Juridique Française'','' Société de Législation Comparée'', Principes contractuels communs, 2008.
''Katharina Boele-Woelki'' (Hg.), Perspectives for the Unification and Harmonisation of Family Law in Europe, 2003; ''Walter Pintens'', Grundgedanken und Perspektiven einer Europäisierung des Familien- und Erbrechts, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2003, 329&nbsp;ff., 417&nbsp;ff., 499&nbsp;ff.; ''Katharina Boele-Woelki'','' FrédériqueFerrand'','' Christina González-Beilfuss'','' Maarit Jänterä-Jareborg'','' Nigel Lowe'','' Dieter Martiny'','' Walter Pintens'', Principles of European Family Law Regarding Divorce and Maintenance between Former Spouses, 2004; ''Nina Dethloff'', Europäische Vereinheitlichung des Familienrechts, Archiv für die civilistische Praxis 204 (2004) 545&nbsp;ff.; ''Marianne Roth'', Impulse für ein europäisches Familienrecht, Zeitschrift für Rechtsvergleichung 2004, 92&nbsp;ff.; ''Katharina Boele-Woelki'', The working method of the Commisson of European Family Law, in: Katharina Boele-Woelki (Hg.), Common Core and Better Law in European Family Law 2005, 15&nbsp;ff.; ''Frédérique Ferrand'', Les Principes de droit du divorce établis par la Commission de droit européen de la famille, Revue Lamy Droit Civil, 2005, 29&nbsp;ff.; ''Salvatore Patti'', I principi di diritto europeo della famiglia sul divorzio e il mantenimento tra ex coniugi, Familia 2005, 337&nbsp;ff.; ''Katharina Boele-Woelki'','' Dieter Martiny'', Prinzipien zum Europäischen Familienrecht betreffend Ehescheidung und nachehelicher Unterhalt, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 14 (2006) 6&nbsp;ff.; ''Katharina Boele-Woelki'','' Frédérique Ferrand'','' Christina González-Beilfuss'','' Maarit Jänterä-Jareborg'','' Nigel Lowe'', ''Dieter Martiny'','' Walter Pintens'', Principles of European Family Law Regarding Parental Responsibilities, 2007; ''Walter Pintens'', Europäische Prinzipien zur elterlichen Verantwortung, in: Festschrift für Reiner Frank, 2008, 473&nbsp;ff.


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[[en:Principles_of_European_Contract_Law_(PECL)]]
[[en:Principles_of_European_Family_Law_(PEFL)]]

Version vom 28. September 2021, 18:36 Uhr

von Walter Pintens

1. Die Europäisierung des Familienrechts

Die Europäisierung des Familienrechts ist ein herausragendes Merkmal der Entwicklung dieses Rechtsgebiets seit den 1970er Jahren. Die Gründe dieser Entwicklung liegen nicht nur in großen soziologischen Veränderungen, die das Familienrecht überall in Europa kennzeichnen, und in dem Einfluss der Menschenrechte, die das Familienrecht vor allem durch die Rechtsprechung des EGMR überall in Europa gewandelt haben, sondern auch in einem europäischen Bewusstsein, welches das Familienrecht zu einem Gebiet der Rechtsvergleichung gemacht hat. Zunehmende Migration, gemischte Ehen, internationale Ehescheidungen (Scheidung) und Erwerb von ausländischen Vermögen haben hierzu beigetragen.

Das Familienrecht ist nicht mehr in einem so hohen Grad in einer regionalen Kultur eingebettet wie früher. Familienrecht – sowie das Recht im Allgemeinen – kann selbstverständlich nicht völlig unabhängig von kulturellen Entwicklungen und Hintergründen gesehen werden. Aber die aktuellen Reformen und ihre Tendenzen zeigen, dass die einzel- und innerstaatlichen Familienrechte, auch wenn bedeutende Unterschiede bleiben, konvergieren und zusammenwachsen

Die Suche nach einem ius commune, die lange mit Initiativen wie der Lando-Kommission auf das Vertragsrecht und verwandte Gebiete beschränkt geblieben war, betrifft nun auch das Familienrecht. Nicht nur eine umfangreiche Literatur, sondern auch konkrete Vorschläge, welche die spontane Rechtsangleichung fördern und mittel- oder langfristig zur Rechtsvereinheitlichung beitragen können, sind das Resultat.

2. Die Commission on European Family Law

Vor diesem Hintergrund ist 2001 aufgrund einer akademischen Initiative die Commission on European Family Law gegründet worden. Die Gründung beruht auf dem Gedanken, dass das Familienrecht in Anbetracht der großen Mobilität der europäischen Bürger bei der Suche nach einem ius commune nicht fehlen darf und dass das vorhandene Instrumentarium des internationalen Privatrechts sowie die legislatorischen und rechtsprechenden Aktivitäten des Europarats und der Europäischen Union nicht ausreichen, um eine weitere Harmonisierung zu fördern. Die Kommissionsmitglieder sind der Überzeugung, dass eine gewisse Harmonisierung des Familienrechts wünschenswert ist, um einen wirklichen freien Personenverkehr zu realisieren und dass diese Harmonisierung die europäische Identität und einen effizienten einheitlichen Rechtsraum fördern wird.

Die Kommission ist aus zwei Gremien zusammengestellt: dem Organising Committee und der Expert Group.

Die Kommission formuliert Prinzipien, die das ius commune der einzelnen Rechtsordnungen bilden und als Inspirationsquelle für die nationalen Gesetzgeber von Nutzen sein können. Weist das common core nicht in Richtung einer für alle Rechtssysteme akzeptablen Lösung, die für die Zukunft Bestand haben kann oder sind die Lösungen der einzelnen Rechtssysteme so unterschiedlich, dass kein common core vorhanden ist, genügt das reine Restatement nicht und schlägt die Kommission auf Grund einer better law-approach eigene Lösungen vor. Hier wird dann untersucht, welches Interesse am schutzbedürftigsten ist.

Das Verfahren, um zu Principles zu kommen, beginnt mit einem vom Organising Committee ausgearbeiteten Fragebogen. Die von diesem ernannten Mitglieder der Expert Group – jeweils Spezialisten einzelner nationaler Familienrechtsordnungen – fertigen Berichte über die Rechtslage in ihren Herkunftsstaaten an. Ein Principles-Entwurf wird von einem oder mehreren Mitgliedern des Organising Committee verfasst, im Committee besprochen und der Expert Group zur Beratung vorgelegt.

Die Kommission hat Prinzipien zum Scheidungsrecht und zum nachehelichen Unterhalt (2004) und zur elterlichen Verantwortung (2007) ausgearbeitet. Prinzipien zum Ehegüterrecht sind in Vorbereitung.

3. Prinzipien zum Scheidungsrecht und zum nachehelichen Unterhalt

Das althergebrachte scheidungsrechtliche Schuldprinzip spielt in den Prinzipien der Kommission keine Rolle mehr. Der Stand des Scheidungsrechts lässt feststellen, dass die Mehrzahl der Rechtssysteme die Verschuldensscheidung ablehnt oder sich im Endergebnis zu einem System entwickelt hat, das die Verschuldensscheidung in der Praxis marginalisiert (Scheidung). Bedeutend waren hier auch gerade abgeschlossene oder künftige Reformen, die mehr und mehr auf das Zerrüttungssystem abstellen, auch wenn das Verschulden noch nicht immer vollkommen ausgeschlossen wird. So existieren etwa in Belgien, Frankreich und Österreich nach wie vor Verschuldens- und Zerrüttungsscheidung Seite an Seite.

Die Kommission schlägt zwei Scheidungsformen vor, die einverständliche und die einseitige Scheidung (Prinzip 1:3).

Die einverständliche Scheidung wird wegen ihrer großen Bedeutung in vielen Rechtssystemen und wegen ihres humanen Charakters als vorrangige Form vorgeschlagen. Sie gilt als autonomer Scheidungsgrund und nicht als Unterform der Zerrüttungsscheidung. Sie ist auch möglich, wenn keine Einigkeit über die Scheidungsfolgen besteht. Sie ist an keine anderen Bedingungen wie faktische Trennung oder Ehedauer geknüpft (Prinzip 1:4). Das bloße Einverständnis der Ehegatten genügt. Bei Kindern unter sechzehn Jahren oder in Ermangelung einer Einigung über alle Scheidungsfolgen gilt eine Überlegungsfrist (Prinzip 1:5).

In einem ersten Entwurf hatte das Organising Committee vorgeschlagen, die einseitige Scheidung – wie im deutschen und niederländischen Recht – auf die Ehezerrüttung zu gründen. Sie wäre dann mit der faktischen Trennung zu beweisen gewesen. Die Expert Group hat aber dafür plädiert, sofort bei der faktischen Trennung anzuknüpfen und die Ehezerrüttung nicht mehr ausdrücklich als Scheidungsgrund zu erwähnen, da sie eine bedeutungslose zusätzliche Hürde ist. Die Prinzipien sehen nunmehr eine einseitige Scheidung nach einer einjährigen faktischen Trennung vor (Prinzip 1:8). In Fällen außergewöhnlicher Härte ist die Ehescheidung auch ohne Trennungsjahr möglich (Prinzip 1:9).

Die Prinzipien zum nachehelichen Unterhalt stellen die Selbstverantwortung ins Zentrum. Jeder Ehegatte hat im Prinzip für seinen eigenen Unterhalt zu sorgen (Prinzip 2:2). Unterhalt kann gewährt werden, wenn auf Seiten des Unterhaltsberechtigten unzureichende Mittel zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse vorhanden sind und auf Seiten des Unterhaltspflichtigen die Fähigkeit zur Leistung vorliegt (Prinzip 2:3). Bei der Beurteilung des Anspruches sind mehrere Umstände zu berücksichtigen, wie die Erwerbsmöglichkeit, das Alter und der Gesundheitszustand der Ehegatten, die Sorge für die Kinder, die Aufteilung der Aufgaben während der Ehe, die Dauer der Ehe, die Lebensverhältnisse während der Ehe sowie eine neue Ehe oder eine dauerhafte Lebensgemeinschaft (Prinzip 2:4). Der Unterhalt ist im Prinzip zeitlich begrenzt (Prinzip 2:8). Außergewöhnliche Härte für den Unterhaltsverpflichteten kann zu Versagung, Beschränkung oder Beendigung des Unterhalts führen (Prinzip 2:6).

Bei einer Mehrheit von Unterhaltsansprüchen ist dem minderjährigen Kind Vorrang zu geben und ist die Unterhaltspflicht gegenüber dem neuen Ehegatten zu berücksichtigen (Prinzip 2:7).

Die Unterhaltspflicht endet, wenn der Unterhaltsberechtigte Ehegatte eine neue Ehe oder eine dauerhafte Lebensgemeinschaft eingeht (Prinzip 2:9).

Die Prinzipien haben schon einen gewissen Einfluss ausgeübt. So hat Portugal sich bei der Scheidungsreform 2008 sehr von den Prinzipien inspirieren lassen.

4. Prinzipien zur elterlichen Verantwortung

Prinzip 3:1 definiert die elterliche Verantwortung als ein Bündel von Rechten und Pflichten, die auf Förderung und Sicherung des Wohles des Kindes abzielen. Dieses Bündel umfasst insbesondere Sorge, Schutz und Erziehung, das Unterhalten persönlicher Beziehungen, die Bestimmung des Aufenthalts sowie die Verwaltung des Vermögens und die gesetzliche Vertretung.

Prinzip 3:2 definiert als Inhaber der elterlichen Verantwortung jede Person, welcher die in Prinzip 3:1 genannten Rechte und Pflichten ganz oder teilweise zustehen. Die breite Definition sieht selbstverständlicherweise die Eltern als wichtigste Inhaber der elterlichen Verantwortung, berücksichtigt aber ebenfalls andere Personen, denen die elterliche Verantwortung zusammen mit den Eltern oder an Stelle der Eltern zusteht.

Prinzip 3:4 erkennt die Autonomie des Kindes und dessen Bedürfnis, selbständig zu handeln, im Verhältnis zu seinen wachsenden Fähigkeiten an. Dieses allgemeine Prinzip bedeutet, dass das Kind in Übereinstimmung mit seinen Bedürfnissen und seinen Fähigkeiten an den es betreffenden Entscheidungen zu beteiligen ist. Es wird kein Akzent auf das Kindesalter gelegt, sondern vielmehr auf die Verbindung zwischen der Fähigkeit und dem Bedürfnis des Kindes, selbständig zu handeln. Eine konkrete Anwendung dieses Prinzips findet sich in Prinzip 3:6 über das Recht des Kindes auf Gehör.

Personen, deren gesetzliche Elternschaft gegenüber einem Kind feststeht, haben von Rechts wegen die elterliche Verantwortung, unabhängig vom Status der Kinder und der Eltern (Prinzip 3:8). Die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge gilt als Grundmodell (Prinzip 3:11).

Prinzip 3:17 regelt die zusätzlich zur elterlichen Sorge oder an die Stelle der Ausübung durch die Eltern tretende Ausübung der elterlichen Verantwortung durch Dritte.

Weitere Prinzipien regeln den Inhalt der elterlichen Verantwortung und deren Beendigung, Entziehung und Wiederherstellung sowie einige Verfahrensfragen (Prinzip 3:20-39).

Literatur

Katharina Boele-Woelki (Hg.), Perspectives for the Unification and Harmonisation of Family Law in Europe, 2003; Walter Pintens, Grundgedanken und Perspektiven einer Europäisierung des Familien- und Erbrechts, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2003, 329 ff., 417 ff., 499 ff.; Katharina Boele-Woelki, FrédériqueFerrand, Christina González-Beilfuss, Maarit Jänterä-Jareborg, Nigel Lowe, Dieter Martiny, Walter Pintens, Principles of European Family Law Regarding Divorce and Maintenance between Former Spouses, 2004; Nina Dethloff, Europäische Vereinheitlichung des Familienrechts, Archiv für die civilistische Praxis 204 (2004) 545 ff.; Marianne Roth, Impulse für ein europäisches Familienrecht, Zeitschrift für Rechtsvergleichung 2004, 92 ff.; Katharina Boele-Woelki, The working method of the Commisson of European Family Law, in: Katharina Boele-Woelki (Hg.), Common Core and Better Law in European Family Law 2005, 15 ff.; Frédérique Ferrand, Les Principes de droit du divorce établis par la Commission de droit européen de la famille, Revue Lamy Droit Civil, 2005, 29 ff.; Salvatore Patti, I principi di diritto europeo della famiglia sul divorzio e il mantenimento tra ex coniugi, Familia 2005, 337 ff.; Katharina Boele-Woelki, Dieter Martiny, Prinzipien zum Europäischen Familienrecht betreffend Ehescheidung und nachehelicher Unterhalt, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 14 (2006) 6 ff.; Katharina Boele-Woelki, Frédérique Ferrand, Christina González-Beilfuss, Maarit Jänterä-Jareborg, Nigel Lowe, Dieter Martiny, Walter Pintens, Principles of European Family Law Regarding Parental Responsibilities, 2007; Walter Pintens, Europäische Prinzipien zur elterlichen Verantwortung, in: Festschrift für Reiner Frank, 2008, 473 ff.