Erfüllungsanspruch
1. Gegenstand und Zweck
Das Gewaltmonopol des Staates verbietet dem Gläubiger bei Ausbleiben einer vertraglich versprochenen Leistung grundsätzlich Selbsthilfe (aber: Aufrechnung; Zurückbehaltungsrecht) und verweist ihn auf Gerichts‑ und Vollstreckungsverfahren. Bedeutet nun aber die Annahme, dass ein Vertrag den Schuldner zur Erbringung der Leistung verpflichtet, zwingend, dass das materielle Recht an die Nichterfüllung (bzw. Schlechterfüllung) dieser Verpflichtung einen Anspruch auf (Nach‑)Erfüllung des Versprochenen in natura knüpft und dann in zweiter Linie einen derartigen Anspruch auch im Vollstreckungswege durchsetzt, den Erfüllungsanspruch also mit Erfüllungszwang ausstattet? Dafür spricht, dass dem Gläubiger mit dem Vertrag die Erbringung der Leistung versprochen wurde und diese Zusage am ehesten durch Naturalerfüllung eingehalten wird, ferner, dass die geschuldete Leistung einfacher zu bestimmen sein kann als ein an ihre Stelle tretendes Interesse. Denn als Alternative könnte das materielle Recht den Gläubiger auf einen Schadensersatzanspruch verweisen (Geldkondemnation) oder das Vollstreckungsrecht einem zwar bestehenden Anspruch auf Naturalerfüllung die zwangsweise Durchsetzung versagen. Für diese Alternative streitet erstens die Freiheit des Schuldners, in die ein Erfüllungszwang eingreift: Während die Pflicht zur Geldleistung nur das Vermögen des Schuldners betrifft und verhältnismäßig einfach zu vollstrecken ist, schränkt der Zwang, präzise etwas zu tun oder zu unterlassen, die Freiheit der Person ein. Zweitens erscheint ein Erfüllungszwang nicht immer zweckmäßig: Einerseits kann die Vollstreckung (z.B. bei Dauerschuldverhältnissen) mühsam sein; andererseits ist dem Gläubiger, der sich am Markt schneller ein Substitut besorgen kann, vielleicht mit Geld besser gedient. Ob es auch effizienter ist, einen nicht leistungswilligen Schuldner mit einer Schadensersatzzahlung zu entlassen (efficient breach), wird verbreitet angenommen, neuerdings aber verstärkt bezweifelt. Eine derartige disjunktive Obligation steht zudem im Widerspruch zum Parteiwillen.
2. Ansätze in den nationalen Rechtsordnungen
Abzuschichten sind zunächst Ansprüche auf Leistung einer Geldsumme, die grundsätzlich überall in natura eingeklagt und mittels Vollstreckung in das Schuldnervermögen zwangsweise durchgesetzt werden können. Für andere Leistungspflichten jedoch unterscheiden sich die Ansätze. Das antike römische Recht hatte noch eine eindeutige Entscheidung getroffen: omnis condemnatio pecuniaria – selbst wenn auch nach römischem Verständnis ein Vertrag darauf gerichtet war, erfüllt zu werden, wurde der Schuldner im Falle der Nichterfüllung nur zur Interesseleistung in Geld verurteilt. Während für Sachleistungen (obligationes dandi) schon das Corpus Juris Civilis allgemein einen Anspruch auf den geschuldeten Gegenstand anerkannte, blieb die Frage nach der Naturalerfüllung insbesondere bei Handlungspflichten (obligationes faciendi) für die folgenden Jahrhunderte hoch kontrovers. Forderten etwa Kanonisten, die jeden Vertragsbruch als Sünde ansahen, einen umfassenden Anwendungsbereich der Naturalerfüllung, hielten viele andere eine Verurteilung zur Vornahme einer Handlung in natura für einen inopportunen Eingriff in die Freiheit des Schuldners. Dies kam in der Parömie „nemo potest praecise cogi ad factum“ zum Ausdruck. Über Robert Joseph Pothier fand der Gedanke Eingang in Art. 1142 des Code civil. Diese Bestimmung führt bis heute zu einer gewissen Unsicherheit im französischen Recht über den Kreis der in natura zu erfüllenden Verpflichtungen; jedenfalls aber bewirkt sie, dass schon auf der Ebene des materiellen Rechts nicht allen Leistungspflichten in Frankreich ein klagbarer Erfüllungsanspruch gegenüber steht. Diesen letzten Schritt ging erst im 19. Jahrhundert die deutsche Pandektenwissenschaft und entschied den Streit um die richtige Kondemnationsform pauschal zugunsten des Grundsatzes der Naturalerfüllung; der Erfüllungsanspruch wurde zum „Rückgrat der Obligation“ (Ernst Rabel). Der Konflikt mit der Schuldnerfreiheit wurde auf die Ebene der Zwangsvollstreckung verlagert (s.u.).
Demgegenüber gelangt das englische Recht zu einem weniger eindeutigen Ergebnis: Regelmäßige Sanktion für die Verletzung eines nicht auf eine Geldleistung gerichteten formlosen Versprechens ist die Verpflichtung, Schadensersatz (damages) zu zahlen. Nur ausnahmsweise und nur dort, wo Schadensersatz nicht ausreichend (adequate) erscheint, knüpft sich an die Nichterfüllung die Verurteilung zur Naturalerfüllung, sog. specific performance (bzw. injunction bei Unterlassungspflichten). Ersatz in Geld reicht insbesondere dort nicht aus, wo kein messbarer Schaden besteht, die Höhe des Ersatzanspruchs schwer zu ermitteln oder ein Substitut für die Leistung schwer zu erlangen ist: bei Grundstücken und beweglichen Speziessachen, aber auch bei Gattungsware, die auf dem Markt schwer erhältlich ist. Doch bleibt die Wahl des Rechtsbehelfs im (präjudiziengebundenen) Ermessen des Gerichts, das insbesondere dann keine specific performance anordnen wird, wenn dies einen übermäßigen Eingriff in die Freiheit des Schuldners bedeuten würde – so bei contracts for personal services oder wenn ein Erfüllungszwang das Gericht mit andauernden Überwachungsaufgaben belasten würde.
Die Ausgestaltung des Erfüllungsanspruchs als Ausnahmerechtsbehelf ist historisch bedingt. Am Ausgangspunkt stand auch in England der Grundsatz der Geldkondemnation. Die deliktsrechtliche Wurzel der action of assumpsit, der Klage wegen Verletzung eines formlosen Versprechens, machte einen Anspruch auf Schadensersatz in Geld zur Regelsanktion einer Nichterfüllung (einschließlich Schlechterfüllung). Wo jedoch Schadensersatz dem (im kanonischen Recht geschulten) Chancellor, der dem common law eine an Billigkeit orientierte equity-Rechtsprechung entgegensetzte, nicht genügend erschien, um das Gläubigerinteresse zu befriedigen, konnte er die präzise Erfüllung des Versprochenen anordnen. Dieses Verhältnis beider Rechtsbehelfe blieb auch nach Aufhebung der Trennung zwischen common law und equity erhalten. Aus heutiger Sicht lassen sich weitere Gründe dafür ergänzen: Die Beschränkung des Gläubigers auf Schadensersatz lässt sich auch als Folge einer den gesamten Bereich der Rechtsbehelfe (remedies) durchziehenden Schadensminderungspflicht des Gläubigers begreifen, die ihn etwa dazu anhält, rechtzeitig ein Deckungsgeschäft vorzunehmen, wo ihm dies zumutbar ist. Überdies kann das englische Vollstreckungsrecht Urteile, die auf Naturalerfüllung gerichtet sind, in vielen Fällen nur mit Hilfe massiver quasi-strafrechtlicher Sanktionen wegen eines contempt of court durchsetzen. Deren unter Umständen unverhältnismäßig erscheinende Schwere mag ebenfalls für die Bevorzugung von Schadensersatz als Rechtsbehelf verantwortlich sein.
3. Konvergenzen und verbleibende Unterschiede
Trotz dieser unterschiedlichen Gewichtung des Erfüllungsanspruchs werden die praktischen Ergebnisse oft nahe beieinander liegen. Dies ist mehreren Faktoren geschuldet: (i) In England zeichnet sich die Tendenz ab, specific performance eher zu begünstigen; es soll weniger auf die inadequacy von Schadensersatz als auf die appropriateness der Erfüllung ankommen. Manche sehen bereits eine Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses am Horizont. Charakteristisch für diese Tendenz ist die Nacherfüllung beim Verbrauchsgüterkauf, wo aufgrund der Richtlinienumsetzung der Käufer auch für mangelhafte Gattungsware die Lieferung einer neuen Sache in natura verlangen kann. (ii) Die Formulierung des Art. 1142 Code civil gilt heute allgemein als zu weit geraten, und es lässt sich im französischen Recht die Tendenz beobachten, die Naturalerfüllung als Regelsanktion zu betrachten. Der Regelungsvorschlag im „Avant-projet de réforme du droit des obligations et de la prescription“ von September 2005 und nachfolgende Reformentwürfe statuieren auch für Handlungspflichten die exécution en nature als regelmäßige Rechtsfolge und nur für deren Ausbleiben einen Anspruch auf Geldersatz. Vorangetrieben wurde diese Tendenz auf der Ebene der Vollstreckung mit dem universalen Zwangsmittel der astreinte, das von der französischen Rechtsprechung entwickelt, mittlerweile aber vom Gesetzgeber anerkannt (und auch anderswo rezipiert) wurde. Dieses Zwangsgeld kann der Richter nahezu jeglichem Leistungsurteil hinzufügen; es bemisst sich nicht nach dem Schaden des Gläubigers, sondern nach der Leistungsfähigkeit und Hartnäckigkeit des Schuldners. Es bewirkt somit einen nur mittelbaren Erfüllungszwang, der sich nicht gegen die Person, sondern gegen das Vermögen des Schuldners richtet und daher einen geringeren Eingriff in dessen Freiheit bedeutet. Nur in wenigen Ausnahmefällen, etwa bei Leistungen mit besonderem persönlichen Charakter (z.B. künstlerischen Leistungen), steht die astreinte nicht zur Verfügung, und der Gläubiger muss sich mit Schadensersatz begnügen. Bemerkenswert ist, dass das Zwangsgeld an den Gläubiger und nicht an den Staat fließt. Eine hälftige Teilung des Zwangsgelds sieht das portugiesische Recht vor. (iii) Das auf materiell-rechtlicher Ebene so umfassende Prinzip des deutschen Modells wird auf der Ebene der Zwangsvollstreckung relativiert: Zwar sind bestimmte unvertretbare Handlungen und Unterlassungen mittels eines Zwangsgeldes erzwingbar. Doch ist z.B. die Leistung unvertretbarer Dienste – zur Vermeidung eines unverhältnismäßigen Eingriffs in die Schuldnerfreiheit − von einer Zwangsvollstreckung überhaupt ausgenommen und werden vertretbare Handlungen nicht mit Zwangsmitteln gegen den Schuldner, sondern im Wege einer vom Gläubiger zu organisierenden Ersatzvornahme vollstreckt. Die Kosten der Ersatzvornahme trägt der Schuldner, der folglich mit einer Geldzahlung entlassen wird. Die Möglichkeit der Ersatzvornahme kennen auch andere Rechtsordnungen – darunter das französische Recht anstelle der von einer astreinte begleiteten Verurteilung zur Naturalerfüllung. (iv) Eine Annäherung ergibt sich schließlich in praktischer Hinsicht: Der Gläubiger einer ohne Weiteres auf dem Markt verfügbaren Leistung wird kaum die Mühe auf sich nehmen, ein Leistungsurteil zu erstreiten und dieses durchzusetzen, sondern er wird den aus einem Deckungsgeschäft eventuell entstandenen Schaden liquidieren.
Freilich darf diese Annäherung nicht verdecken, dass noch Unterschiede verbleiben. Der Gläubiger kann nach kontinentalem Verständnis risikolos auf Erfüllung klagen; nach common law ist es das Gericht, das entscheidet, ob er Naturalerfüllung verlangen kann. Der Gläubiger riskiert also, vom Gericht zu erfahren, dass er ein Deckungsgeschäft hätte vornehmen müssen. Ist dieses nur noch zu ungünstigeren Bedingungen möglich, kann er aufgrund seiner Obliegenheit zur Schadensminderung nicht vollen Ersatz erlangen. Hervorzuheben ist schließlich ein konzeptioneller Unterschied zwischen kontinentaler und englischer Sichtweise, der sich auch auf die prozessuale Durchsetzung auswirkt: Nach kontinentalem Verständnis ist der auf Erfüllung gerichtete Primäranspruch unter Berufung allein auf Vertragsschluss und Fälligkeit einklagbar; ist der Erfüllungsanspruch dagegen wie in England ein Rechtsbehelf (remedy) für die Nichterfüllung einer Vertragspflicht, muss der Gläubiger zusätzlich die Nichterfüllung darlegen und beweisen.
4. Der Erfüllungsanspruch und seine Grenzen in den Grundregeln
Ein Erfüllungsanspruch für Geldschulden ist im Grundsatz in den PECL, in den UNIDROIT PICC wie auch im Draft DCFR vorgesehen, jedoch – im Unterschied zu vielen nationalen Rechtsordnungen – jeweils mit Einschränkungen, falls die Gegenleistung noch nicht erbracht wurde. Ein Erfüllungsanspruch besteht im Ausgangspunkt ebenso für alle anderen Leistungspflichten (Art. 9:102 PECL; Art. III.‑3:302 DCFR; Art. 7.2.2 UNIDROIT PICC). Die Regelwerke konstruieren diesen Anspruch als Rechtsbehelf (remedy) und damit als Sanktion für die Nichterfüllung (einschließlich Schlechterfüllung) einer Verpflichtung. Dieser Rechtsbehelf steht auf einer Stufe mit den anderen Rechtsbehelfen (insbesondere Schadensersatz), sofern auch deren besondere Voraussetzungen vorliegen (Nichterfüllung). Von vornherein ausgeschlossen ist der Erfüllungsanspruch im Fall der aufgrund eines Hinderungsgrundes entschuldigten Nichterfüllung.
Von besonderer Bedeutung sind angesichts des unterschiedlichen Umfangs, in dem Erfüllungsansprüche in den nationalen Rechtsordnungen anerkannt sind, die Grenzen des Erfüllungsanspruchs. PECL und UNIDROIT PICC sehen dieselben fünf Ausschlussgründe vor, der DCFR enthält eine bedeutende Abweichung davon. Andere Rechtsbehelfe bleiben vom Ausschluss des Erfüllungsanspruchs unberührt. (i) Ausgeschlossen ist der Rechtsbehelf erstens, wenn die Erfüllung rechtswidrig wäre oder unmöglich ist. Umfasst sind objektive wie subjektive, dauernde wie zeitweilige Unmöglichkeit. Ob sich eine subjektive Unmöglichkeit beheben lässt, spielt offenbar keine Rolle. (ii) Ausgeschlossen ist der Rechtsbehelf zweitens, wenn die Erfüllung dem Schuldner unangemessene Anstrengungen oder Kosten verursachen würde. Die Bestimmung der Unangemessenheit ist dem Richter überlassen. Genauere Richtlinien lassen sich schon deshalb schwer angeben, weil hier die nationalen Rechtsordnungen die Parteiinteressen noch unterschiedlich gewichten. (iii) Drittens scheidet ein Erfüllungsanspruch aus, wo die Erfüllung in der Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen persönlichen Charakters besteht oder von einer persönlichen Beziehung abhängt. Diese Ausnahme nimmt die in common law wie civil law vertrauten Bedenken gegen einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheit der Person und hinsichtlich der zweifelhaften Qualität einer erzwungenen Dienstleistung auf. Daraus folgt, dass nur unvertretbare Handlungen gemeint sind: Bei vertretbaren Handlungen lässt sich der Eingriff in die persönliche Freiheit mit Hilfe einer Ersatzvornahme vermeiden. (iv) Die vierte und wichtigste Ausnahme versagt den Erfüllungsanspruch dann, wenn der Gläubiger die Leistung vernünftigerweise aus einer anderen Quelle erhalten kann. Diese Ausnahme betrifft vertretbare Handlungen ebenso wie die Lieferung vertretbarer Sachen und bewirkt damit einen weitgehenden Ausschluss des Erfüllungsanspruchs in praktisch bedeutsamen Fällen. Mit dieser Ausnahme wird den Bedenken des common law Rechnung getragen, specific performance auch dort zu gewähren, wo ein Deckungsgeschäft möglich und zumutbar ist. Die Einschränkung will aber auch für civil law-Rechtsordnungen hinnehmbar sein, da sie ohnehin der wirtschaftlichen Realität entspricht. Sie findet eine Entsprechung in der schottischen Mischrechtsordnung. Wann vernünftigerweise ein Deckungsgeschäft möglich ist, unterliegt zunächst der Einschätzungsprärogative des Gläubigers: Macht er Naturalerfüllung geltend, ist es Aufgabe des Schuldners, das Bestehen einer alternativen Quelle zu beweisen. Ob der Erfüllungsanspruch ausgeschlossen war, erfährt der Gläubiger aber letztlich erst vom Gericht. Im Ergebnis ist dem Gläubiger damit ebenso wie im common law die Entscheidung über die Geltendmachung von Naturalerfüllung entzogen. Vermutlich aufgrund des Konflikts dieser Ausnahme mit dem Nacherfüllungsanspruch der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie enthält Art. III.-3:302 DCFR (auf den Art. IV.-4:201 (a) beim Kauf verweist) zwar die vorgenannten Ausschlusstatbestände, nicht aber diese Ausnahme. Stattdessen wird dem Gläubiger (lediglich) eine Obliegenheit zur Vornahme eines angemessenen, nicht mit nennenswerten Anstrengungen oder Kosten verbundenen Deckungsgeschäfts auferlegt. Bei deren Verletzung durch unangemessenes Bestehen auf dem Erfüllungsanspruch wird ein etwaiger Schadensersatzanspruch gekürzt, soweit sich der Schaden durch dieses Verhalten des Gläubigers erhöht hat (ebenso Art. 8:202 ACQP). (v) Fünftens entfällt der Erfüllungsanspruch, wenn der Gläubiger ihn nicht innerhalb einer angemessenen Zeit geltend macht, nachdem er von der Nichterfüllung erfahren hat oder hätte erfahren müssen. Damit werden dem Gläubiger ungerechtfertigte Möglichkeiten zur Spekulation auf Kosten des Schuldners genommen. (vi) Hinzu kommt ein Ausschluss des Erfüllungsanspruchs, wenn der Gläubiger einen damit unvereinbaren Rechtsbehelf geltend gemacht, insbesondere also die Vertragsaufhebung erklärt hat. Das bloße Bestehen eines Aufhebungsrechts oder die Ankündigung der Aufhebung mittels einer Nachfristsetzung hindern jedoch nicht daran, Naturalerfüllung zu verlangen (Art. III.-3:103 (3) DCFR).
Die skizzierte Regelung bewegt sich allein auf der Ebene des materiellen Rechts und muss notgedrungen das Zusammenspiel mit den Regeln der Zwangsvollstreckung außer Betracht lassen, die weiter den nationalen Rechtsordnungen überlassen bleiben. Daraus können im Ergebnis noch wichtige Unterschiede resultieren: (i) Die Verurteilung zur Lieferung von Gattungsware (wenn z.B. wegen Güterknappheit vernünftigerweise kein Deckungsgeschäft möglich ist) wird in Deutschland vollstreckt, indem der Gerichtsvollzieher die Sache beim Schuldner sucht und ihm wegnimmt; findet er sie (wie bei Güterknappheit anzunehmen) nicht, bleibt nur Schadensersatz. In England gerät der nichtleistende Schuldner in contempt of court und wird so gezwungen, sich die Ware zu besorgen, wenn er die damit verbundenen harten Sanktionen vermeiden will. (ii) Ein Leistungstitel kann schon durch seine Existenz auf die Leistungsbereitschaft des Schuldners einwirken. Dieses Potential bleibt ungenutzt, wenn die Naturalerfüllung schon auf materiell-rechtlicher statt erst auf vollstreckungsrechtlicher Ebene (z.B. Versagung der Zwangsvollstreckung, Verweis auf Ersatzvornahme) ausgeschlossen wird. (iii) Schließlich verbleiben Unterschiede hinsichtlich der Zwangsmittel im Einzelnen, insbesondere hinsichtlich der Verfügbarkeit und des Empfängers eines Zwangsgeldes. Die UNIDROIT PICC (nicht aber PECL und DCFR) enthalten hierzu in Art. 7.2.4 einen – erkennbar am Vorbild der astreinte orientierten – vollstreckungsrechtlichen Fremdkörper und erlauben einem Gericht, das einen Leistungstitel erlässt, zugleich ein Zwangsgeld für den Fall der Nichtbefolgung anzuordnen. Nur wo dies der lex fori zuwiderlaufen würde, soll das Zwangsgeld nicht an den Gläubiger gehen.
5. Einheitsrecht
Das Gemeinschaftsprivatrecht regelt einen Erfüllungsanspruch als Rechtsbehelf bislang allenfalls fragmentarisch für besondere Problemlagen. Auf den gegenüber Minderung und Vertragsaufhebung vorrangigen Anspruch des Verbrauchers auf Nacherfüllung (Nachbesserung oder Ersatzlieferung) beim Verbrauchsgüterkauf wurde bereits hingewiesen. Ansätze finden sich auch in Art. 4(6) und (7) der Pauschalreise-RL (RL 90/314) und in den Verordnungen über die Rechte von Fluggästen (Art. 8 VO 261/2004) oder Eisenbahnfahrgästen (Art. 16 VO 1371/ 2007), die jeweils einen Anspruch auf Durchführung der Reise bzw. Beförderung vorsehen. Teils werden auch Grenzen des Erfüllungsanspruchs mitgeregelt (Unmöglichkeit, Unverhältnismäßigkeit). Das UN-Kaufrecht gewährt sowohl dem Verkäufer als auch dem Käufer grundsätzlich einen Anspruch auf (Nach‑)Erfüllung in natura und folgt damit im Ausgangspunkt dem kontinentalen Ansatz. Doch galten die unterschiedlichen Ansätze bei den Beratungen des UN-Kaufrechts von Anfang an als unüberbrückbar. Als Kompromiss enthält daher Art. 28 CISG (Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)) eine Kollisionsregel, wonach trotz des Bestehens eines Erfüllungsanspruchs nach den Vorschriften des UN-Kaufrechts ein Gericht nur dann zur Naturalerfüllung verurteilen muss, „wenn es dies auch nach seinem eigenen Recht bei gleichartigen Kaufverträgen täte, die nicht unter [das UN-Kaufrecht] fallen“. Nennenswerte praktische Bedeutung hat die Vorschrift bislang nicht erlangt. Ein Notventil für common law-Gerichte enthalten auch Art. 12 Rom I-VO und Art. 10 EVÜ, indem sie die Entscheidung zwischen Naturalerfüllung und Schadensersatz zwar der lex causae zuweisen, jedoch nur „in den Grenzen der dem angerufenen Gericht durch sein Prozessrecht eingeräumten Befugnisse“.
Die Vollstreckung einer Verurteilung zur Naturalerfüllung in einem anderen Mitgliedstaat nach der Brüssel I-VO (VO 44/2001) erfolgt mit den im Vollstreckungsstaat zur Verfügung stehenden Vollstreckungsmitteln, und zwar grundsätzlich unabhängig davon, ob ein Gericht im Vollstreckungsstaat in einem derartigen Fall Naturalerfüllung oder nur Schadensersatz zugesprochen hätte. Zusätzlich hat der Gläubiger die Option, im Ausgangsstaat, soweit verfügbar, ein Zwangsgeld festsetzen zu lassen, das dann unter den Voraussetzungen von Art. 49 Brüssel I-VO wie ein Geldtitel vollstreckt wird (wobei im Einzelnen vieles streitig ist). Ein Vorschlag einer einheitlichen Regel für ein Zwangsgeld findet sich in Rule 35.2 der ALI/UNIDROIT-Arbeitsgruppe für Rules of Transnational Civil Procedure.
Literatur
Guenter H. Treitel, Remedies for Breach of Contract, 1988, 43 ff.; Oliver Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld: Vergleich – Vereinheitlichung – Kollisionsrecht, 1992; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, 770 ff.; Marcel Fontaine, Geneviève Viney (Hg.), Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, 2001; Yves-Marie Laithier, Étude comparative des sanctions de l’inexécution du contrat, 2004; Tilman Repgen, §§ 362-371, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II/2, 2007; Hannes Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007; Jan M. Smits, Daniel Haas, Geerte Hesen (Hg.), Specific Performance in Contract Law. National and other Perspectives, 2008; Axel Flessner, Der Geld-Erfüllungsanspruch im europäischen Vertragsrecht auf den Stufen zum Gemeinsamen Referenzrahmen, in: Festschrift für Eugen Bucher, 2009, 145 ff.; Marc-Philippe Weller, Die Vertragstreue, 2009.