Business judgment rule
von Markus Roth
1. Einleitung
Die business judgment rule gewährt einen Haftungsfreiraum (safe harbor) für die Mitglieder der Verwaltungsorgane insbesondere von Kapitalgesellschaften. Vorbild etwa auch der deutschen business judgment rule ist das US-amerikanische Gesellschaftsrecht. Kodifiziert wurde die business judgment rule nach deutschem Vorbild in Rumänien und in Liechtenstein; in der Schweiz sowie in Österreich wird die business judgment rule für anwendbar gehalten und ihre Kodifikation jedenfalls erwogen. Weiter ist, um nur die größten Mitgliedstaaten zu nennen, die die business judgment rule nicht kodifiziert haben, auch in Frankreich und England ein Haftungsfreiraum der Mitglieder der Verwaltungsorgane allgemein anerkannt. Für die Einräumung eines solchen Haftungsfreiraums sprechen eine ganze Reihe sich zum Teil überschneidender Erwägungen: die Gefahr eines richterlichen Schlusses vom schlechten Ende zurück auf den Zeitpunkt der unternehmerischen Entscheidung unter Unsicherheit (hindsight bias), die größere Expertise der Unternehmensleiter im Vergleich zu Richtern und damit zusammenhängend der Grundsatz richterlicher Zurückhaltung (judicial self restraint), die Ermutigung geeigneter Personen zur Übernahme der Position eines director, der solche Entscheidungen zu treffen hat, die Effizienz der Abschirmung „ehrlicher Entscheidungen“ vor gerichtlicher Kontrolle, der Schutz risikobehafteter Entscheidungen mit hoher Renditechance, die Notwendigkeit von Entscheidungen unter Zeitdruck sowie der unternehmensinterne Schutz der Organkompetenzen der Unternehmensleitung. Neben den Schutz der handelnden Vorstandsmitglieder treten somit das Interesse der Aktionäre und die Ermöglichung eines ausreichenden Handlungsfreiraums für Kapitalgesellschaften. Diese Erwägungen sind im Kern auch in den Ländern anerkannt, die wie das Vereinigte Königreich keine kodifizierte oder von der Rechtsprechung explizit als solche bezeichnete business judgment rule kennen.
2. Rechtliches Umfeld
Die genannten Erwägungen tragen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen einen Haftungsfreiraum für Vorstands,- Aufsichtsrats und Verwaltungsratsmitglieder. Die business judgment rule greift national und international nur ein, wenn keine Verletzung einer Treuepflicht und kein Verstoß gegen Gesetz, Satzung oder Hauptversammlungsbeschluss vorliegen. Dies gilt in den USA aufgrund der Rechtsprechung insbesondere der Gerichte in Delaware sowie in vielen europäischen Ländern wegen des Ausschlusses eines unternehmerischen Ermessensspielraums. In Deutschland wird hierfür häufig an die unternehmerische Entscheidung angeknüpft.
Die business judgment rule schützt insbesondere das unternehmerische Ermessen der Organmitglieder einer Aktiengesellschaft. Der Bundesgerichtshof legt den Begriff des unternehmerischen Ermessens seiner Rechtsprechung auch nach der Kodifikation der deutschen business judgment rule zu Grunde (BGH 3.3.2008, NZG 2008, 389). Ausnahmsweise ist ein strengerer Prüfungsmaßstab an das Handeln der Leitungsorgane anzulegen. Dies gilt insbesondere für Handlungen des Vorstands sowie des Aufsichtsrats, die nur in einem weiteren Sinne dem unternehmerischen Ermessen der Verwaltungsorgane zu unterwerfen sind. Nur ein eingeschränktes unternehmerisches Ermessen kommt bei gesetzlichen Regelungen in Betracht, die einen Beurteilungs- oder Handlungsspielraum offen lassen. Objektiv nachprüfbar sein muss etwa das unternehmerische Ermessen, das der Bundesgerichtshof dem Vorstand bei der Wahrnehmung genehmigten Kapitals unter Bezugsrechtsausschluss zugesteht. Gleiches gilt bei der Haftung wegen Insolvenzverschleppung und bei Bilanzentscheidungen mit Wertungs- oder Entscheidungsspielraum. Besonders zu überprüfen sind auch Grundlagengeschäfte der Gesellschaft, insbesondere Unternehmensübernahmen. In den USA gilt für take-overs eine modified business judgment rule, hier ist zutreffend auch die Entscheidung Smith v. Van Gorkom (488 A.2d 858 [Del. 1985]) einzuordnen.
In Europa durchgesetzt hat sich die Unterscheidung von Treue- und Sorgfaltspflichten (fiduciary duties and duty of care). Gegenstand der Diskussion wird bleiben, inwieweit die Grundsätze der business judgment rule auch für Kontrollentscheidungen anwendbar sind. In den USA besteht nun ein einheitliches Konzept für die Kontrolle von unternehmerischen Entscheidungen und Kontrollentscheidungen, das auf den good faith abstellt. Der Kontrollmaßstab des Handelns in gutem Glauben (good faith) gilt in den USA auch für Kontrollentscheidungen und bei fehlerhafter Kontrolle. Es kommt dann darauf an, ob es sich als unmissverständliche Alarmsignale zu wertende Verdachtsmomente vorliegen (red flags).
3. Europäische Regelungen und gemeineuropäische Grundsätze
Für die Haftung der Organmitglieder von Kapitalgesellschaften bestehen bislang keine harmonisierten europäischen Regelungen. Die europäischen Richtlinien treffen hierzu keine Bestimmungen. Dies gilt zunächst für ein als Europäische (Aktien‑)Gesellschaft (SE) inkorporiertes Unternehmen. Die Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-Verordnung VO 2157/2001) verweist hinsichtlich der Haftung der Mitglieder des Leitungs-, Kontroll-, oder Verwaltungsorgans auf die rechtlichen Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Auch für nach nationalem Gesellschaftsrecht inkorporierte Unternehmen wurde bislang kein allgemeiner Haftungsstandard eingeführt. Das gilt auch für das Vorfeld der Insolvenz. Ein auf Vorarbeiten des Forum Europeum Konzernrecht zurückgehender Vorschlag der High Level Group on Company Law Experts zur Einführung eines „wrongful trading“ nach englischem Vorbild wurde bislang nicht umgesetzt. Der unter dem Stichwort der „regulatory fatigue“ diskutierte Wunsch nach einer Regulierungspause hat zu einer Abstandnahme der Europäischen Kommission insbesondere von dieser Teilharmonisierung des Rechts der Vorstands-/Geschäftsführerhaftung geführt. Dies soll sich auch mit dem nunmehrigen Vorschlag für eine Europäische Privatgesellschaft (EPG) nicht ändern. Wie bei der Europäischen (Aktien‑)Gesellschaft verweist der Entwurf eines Statuts der Europäischen Privatgesellschaft auf das anwendbare nationale Recht.
Den europäischen Rechtsordnungen gemein ist aber die Zuweisung eines unternehmerischen Handlungsspielraums. Dies gilt trotz der objektiven Formulierung der Sorgfaltspflicht. Auch nach englischem Gesellschaftsrecht kann sich ein director nicht mehr auf fehlende Eignung berufen. Notwendig ist es, dass ein Geschäftsleiter die Kenntnisse hat, die von ihm verlangt werden können. Allerdings folgt auch daraus kein rein objektiver Standard. Nach dem Companies Act 2006 wird reasonable care, skill and diligence verlangt. Nach französischem Recht wird auf einen faute de gestion abgestellt.
4. Die nationalen Rechtsordnungen
a) USA als Vorbild für eine business judgment rule
Die Rezeption der business judgment rule in Europa ist als Paradefall für die Vorbildfunktion des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts anzusehen. Dabei ist zu beachten, dass die business judgment rule in den USA keineswegs kodifiziert ist und als Vermutung für ein pflichtgemäßes Organhandeln angesehen wird. Zu unterscheiden sind die Principles of Corporate Governance des American Law Institute, die insbesondere in Deutschland große Aufmerksamkeit gefunden haben, und der Rechtsprechung insbesondere in Delaware. Der Formulierungsvorschlag des American Law Institute lautet: „A director or officer who makes a business judgment in good faith fulfills his duty, if the director or officer is not interested in the subject of the business judgment; is informed with respect to the subject of the business judgment to the extent the director or officer reasonably believes to be appropriate under the circumstances; and rationally believes that the business judgment is in the best interest of the corporation.” Praktisch ist auf die Rechtsprechung in Delaware als dem für das US-amerikanische Gesellschaftsrecht maßgeblichen Bundesstaat abzustellen. Der Delaware Supreme Court formuliert zur business judgment rule: „It is a presumption that in making a business decision the directors of a corporation acted on an informed basis, in good faith and in the honest belief that the action taken was in the best interests of the company” und führt aus: „Thus, directors’ decisions will be respected by courts unless the directors are interested or lack independence relative to the decision, do not act in good faith, act in a manner that cannot be attributed to a rational business purpose or reach their decision by a grossly negligent process that includes the failure to consider all material facts reasonably available.”
b) Die deutsche Regelung
In Deutschland wurde das unternehmerische Ermessen des Vorstands insbesondere in den 1990er Jahren intensiv diskutiert. In der ARAG/ Garmenbeck-Entscheidung hat der Bundesgerichtshof im Jahre 1997 (BGH 21.4.1997, BGHZ 135, 244) dem Vorstand explizit einen weitern unternehmerischen Handlungsspielraum zugestanden. Eine Schadensersatzpflicht des Vorstands kann danach erst in Betracht kommen, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss.
Kodifiziert wurde die business judgment rule in Deutschland im Jahre 2005 auf Vorschlag der Regierungskommission Corporate Governance durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG). Vorbild waren dabei insbesondere die Corporate Governance Principles des American Law Institute. Nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Die Vorschrift findet auf Aufsichtsratmitglieder entsprechende Anwendung. Wesentliche Unterschiede der deutschen und US-amerikanischen Regelung sind die Kodifikation selbst, der Verzicht auf eine Unterscheidung von standards of conduct und standards of review sowie die Regelung der Beweislast. Nicht vorgesehen ist vor allem die Rezeption der Beweislastregel der business judgment rule, was mit der Beschränkung des Klagezulassungsverfahrens auf den Verdacht der Unredlichkeit oder einer groben Verletzung des Gesetzes zusammenhängen dürfte. Zur Beweislastverteilung hatte der Bundesgerichtshof im Anschluss an die herrschende Meinung im Schrifttum entschieden, dass die Beweislastumkehr des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG neben dem Verschulden auch die Pflichtwidrigkeit betrifft. Hierauf implizit Bezug nehmend führt die Begründung des Regierungsentwurfs aus, dass die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale beim betroffenen Organ liegt.
Von der business judgment rule erfasst werden nur solche unternehmerische Entscheidungen, bei denen der Vorstand vernünftigerweise annehmen darf bzw. durfte, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Allgemeine Grenze ist damit die subjektive Vertretbarkeit. Ein bestimmtes Handeln muss verantwortbar sein, ein ganz und gar unvernünftiges oder kurz unverantwortliches Handeln ist nicht mehr vom unternehmerischen Ermessen des Aufsichtsrats oder des Vorstands gedeckt. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs kann ein Leitungsorgan nicht vernünftigerweise annehmen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, wenn es das mit einer unternehmerischen Entscheidung verbundene Risiko „in völlig unverantwortlicher Weise“ falsch beurteilt. In der von der Begründung des Regierungsentwurfs insoweit ausdrücklich angeführten ARAG/Garmenbeck-Entscheidung wurde bezogen auf die Bereitschaft zum Eingehen unternehmerischer Risiken ausdrücklich auf das Merkmal der Unverantwortlichkeit verwiesen. Dies galt bereits vor der Kodifikation der business judgment rule allgemein, verlangte der Bundesgerichtshof doch auch im Übrigen ein „deutliches“ Überschreiten der Grenzen einer am Unternehmenswohl orientierten Unternehmensleitung. Nach der authentischen Interpretation des damaligen Bundesrichters Hartwig Henze kommt dies der US-amerikanischen Grenze des waste sehr nahe. Bei der Unverantwortlichkeit handelt es sich um die allgemeine Grenze des Handlungs- und Haftungsfreiraums des Vorstands. Die Unverantwortlichkeit als Element bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das unternehmerische Ermessen findet sich auch in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sowie im Begründungszusammenhang der Urteile einiger Oberlandesgerichte. Auf Vertretbarkeit nimmt die Rechtsprechung dagegen anders als vom Schrifttum, soweit ersichtlich, nur vereinzelt und in gesteigerter Form („schlechthin“ bzw „völlig“ unvertretbares Handeln) Bezug. Der Bundesgerichtshof hat in einer früheren Entscheidung auch von einem leichtfertigen Handeln des Vorstands gesprochen.
Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale der deutschen business jugdment rule sind das Handeln in gutem Glauben sowie das Fehlen eines Interessenkonfliktes. Die business judgment rule setzt voraus, dass das Organmitglied ohne Sonderinteresse und sachfremde Einflüsse handelt. Dieses Erfordernis ist zwar aus dem Gesetzestext selbst nicht ohne Weiteres zu entnehmen, folgt aber aus der Regierungsbegründung. Dort heißt es bei der Erläuterung des Handelns zum Wohle der Gesellschaft, dass das Organ unbeeinflusst von Interessenkonflikten, Fremdeinflüssen und ohne unmittelbaren Eigennutz handeln muss. Der US-amerikanischen business judgment rule entspricht die Erläuterung, dass der Geschäftsleiter unbefangen und unabhängig sein muss. Die Formulierung des American Law Institute verlangt als Voraussetzung für das Eingreifen der business judgment rule, dass der director an der Entscheidung kein Interesse hat. In Delaware wird auf fehlendes Eigeninteresse und Unabhängigkeit abgestellt.
Gutgläubigkeit ist eine weitere, eigenständige Voraussetzung der business judgment rule. Es darf nur annehmen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, wer in gutem Glauben eine unternehmerische Entscheidung trifft. Dies entspricht dem US-amerikanischen Vorbild mit seinem best interest test und dem Erfordernis eines good faith effort als Voraussetzungen für das Eingreifen der business judgment rule. Praktisch handelt es sich um einen Notanker richterlicher Entscheidungskontrolle. Der gute Glaube allein nützt jedoch nichts, wenn das Vorstandsmitglied bereits aus anderen Gründen nicht annehmen durfte, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.
Hinsichtlich der Anforderungen an die Entscheidungsgrundlagen des Vorstands war das deutsche Recht traditionell sehr streng. Die Forderung, die Entscheidung müsse auf der Grundlage sämtlicher erreichbarer Informationen getroffen worden sein, wirkte auch in vielen Stellungnahmen zum UMAG noch nach. Tatsächlich wird sie aber ebenso wie das Erfordernis angemessener Information dem gesetzgeberischen Zweck einer Anlehnung des § 93 Abs. 1 S. 2 an die US-amerikanische business judgment rule nicht gerecht. Der Formulierungsvorschlag des American Law Institute stellt nämlich explizit darauf ab, ob der director vernünftigerweise davon ausgehen durfte, auf Grundlage angemessener Information zu handeln; die Rechtsprechung in Delaware stellt auf grobe Fahrlässigkeit ab. Letzteres war auch im Referentenentwurf des UMAG vorgesehen. Mit dem Tatbestandsmerkmal des vernünftigerweise annehmen Dürfens wird nunmehr eine im Grundsatz einheitliche Grenze für die Entscheidungsvorbereitung und die Beurteilung der Entscheidung statuiert.
Der generelle Maßstab des vernünftigerweise annehmen Dürfens darf aber nicht dahin missverstanden werden, das es nicht stets auf die im Einzelfall angemessene Information ankomme. Je nachdem ist ein Mehr an Information notwendig oder ein Weniger ausreichend. Paradefall für gesteigerte Informationspflichten bei bedeu- tenden Entscheidungen ist die US-amerikanische Leitentscheidung Smith v. Van Gorkom (Supreme Court of Delaware, 25.1.1985, 488 A.2d 858). Diese wohl bekannteste US-amerikanische Entscheidung zur business judgment rule gilt zu Recht als Beginn der take-over-Rechtsprechung in Delaware. In den USA geht man im Anschluss an den im Gesellschaftsrecht führenden Bundesstaat Delaware sogar weiter und erlaubt Satzungsbestimmungen, die die directors von der Haftung für reine Sorgfaltspflichtverletzungen völlig freistellen. Das wurde als erforderlich angesehen, nachdem die Informationsgrundlage bei unternehmerischen Entscheidungen einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt worden war.
Auch in Deutschland gelten bei bedeutenden Entscheidungen verschärfte Informationspflichten. Als solche werden strategische Entscheidungen angesehen, von manchen sogar allgemein jede einen Prognosespielraum enthaltende unternehmerische Entscheidung. Richtiger erscheint es anzunehmen, dass die Informationspflichten des Vorstands ebenso wie die Überwachungspflichten des Aufsichtsrats mit der Bedeutung der Entscheidung für die Gesellschaft graduell ansteigen. Bei grundlegenden Entscheidungen setzt die Haftung also nicht erst bei einer Qualifikation der Entscheidung als unverantwortlich ein. Vielmehr kommt es darauf an, ob das Organmitglied die Entscheidungsgrundlage in vertretbarer Art und Weise als ausreichend ansehen konnte.
c) Frankreich und Vereinigtes Königreich
In Frankreich wird für eine gesellschaftsrechtliche Haftung der Organmitglieder auf einen faute de gestion abgestellt. Dies gilt sowohl nach allgemeinem französischen Gesellschaftsrecht als auch nach den besonderen Vorschriften für eine Haftung der Geschäftsleiter in der Insolvenz der Gesellschaft. Praktisch relevant wird eine Haftung wegen sorgfaltswidrigen Handelns insbesondere in der Insolvenz. Dabei knüpft die action en comblement de passif auch an ein Fehlverhalten im Vorfeld der Insolvenz an.
Im Vereinigten Königreich wurde anlässlich der Einführung des Companies Act 2006 von der Kodifikation einer britischen business judgment rule abgesehen. Die directors englischer Firmen sahen aufgrund der Spruchpraxis um die Jahrtausendwende keine Notwendigkeit zur Einführung einer besonderen safe harbor-Regelung. Auch in England gibt es mit dem wrongful trading eine besondere Haftung. Abgestellt wird in sec. 214 Insolvency Act 1986 darauf, ob eine Fortführung der Gesellschaft vernünftigerweise angenommen werden konnte (no reasonable prospect to avoid insolvent liquidation).
5. Entwicklungsperspektiven
Eine europäische Regelung der business judgment rule zeichnet sich bislang nicht ab. Sie könnte aber auf Grundlage von European Principles geschaffen werden, die derzeit von einer europäischen Forschergruppe im European Model Company Law Project entwickelt werden. Anknüpfungspunkt könnte weiter eine Diskussion der Durchsetzung der Haftung von Organmitgliedern sein. Einheitliche Regeln für die Aktionärsklage könnten letztlich auch gemeinsame Regeln für die Haftung selbst nach sich ziehen.
Literatur
American Law Institute, Principles of Corporate Governance: Analysis and Recommendations, 2 Bde., 1994; Klaus J. Hopt, Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat, in: Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker, 1996, 909 ff.; Dennis J. Block, Nancy E. Barton, Stephen A. Radin, The Business Judgment Rule, 5. Aufl. 1998; Andrea R. Grass, Business judgment rule, 1998; Theodor Baums (Hg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001; Markus Roth, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, 2001; Holger Fleischer, Die “Business Judgment Rule“ – Vom Richterrecht zur Kodifizierung, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2004, 685 ff.; Stefan Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004; Susanne Kalss, Vorstandshaftung in 15 Europäischen Ländern, 2005; Brian R. Cheffins, Bernhard S. Black, Outside Director Liability Across Countries, Texas Law Review 84 (2006) 1385 ff.; Klaus J. Hopt, Markus Roth, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 neue Fassung, in: Klaus J. Hopt, Herbert Wiedemann (Hg.), Großkommentar Aktiengesetz; Jan von Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008.