Versicherungsaufsichtsrecht
von Anton K. Schnyder/Christian Heierli
1. Gegenstand und Zweck
Versicherungsaufsichtsrecht ist die Summe der Rechtsnormen, die sich mit der Regulierung der Versicherungsmärkte befassen. Das Aufsichtsrecht dient in erster Linie dem Schutz der Versicherten (Versicherungsnehmer, andere Anspruchsberechtigte und Geschädigte), insbesondere vor Insolvenz der Versicherungsunternehmen. Daneben soll missbräuchliches Geschäftsgebaren der Versicherer verhindert werden. Versicherungsaufsichtsrecht ist Teil eines umfassenderen Finanzmarktmarkt(aufsichts)rechts.
Primär aufsichtspflichtig sind Unternehmen, die (in erster Linie) im Inland belegene Risiken versichern (vgl. beispielsweise Art. 2 Abs. 1 lit. b schweiz. VAG; § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 105 Abs. 2 dt. VAG). Dies bedeutet zweierlei: Zum einen muss ein Unternehmen, um aufsichtspflichtig zu werden, eine „Versicherungstätigkeit“ ausüben. Dazu gehört einerseits die Direktversicherung, andererseits die Rückversicherung. Auch weitere mit der Versicherung in Zusammenhang stehende Tätigkeiten können in den Anwendungsbereich der Versicherungsaufsicht fallen, so beispielsweise die Versicherungsvermittlung. Nicht der Versicherungsaufsicht (im eigentlichen Sinne) unterstehen dagegen Rechtsgeschäfte, die nicht als „Versicherung“ zu qualifizieren sind. Eine Versicherung weist folgende Begriffsmerkmale auf: (a) Zu versicherndes Risiko oder Gefahr (Merkmal der Ungewissheit); (b) Leistungsanspruch gegen den Versicherer im Versicherungsfall; (c) Prämienleistung des Versicherungsnehmers (Merkmal der Entgeltlichkeit); (d) Selbständigkeit der Transaktion des Versicherers; (e) Planmäßiger Geschäftsbetrieb (nach den Gesetzen der Statistik; Risikoausgleich betreffend gleichartige Gefahren). Neben der Betroffenheit des sachlichen Anwendungsbereichs setzt das Eingreifen der Versicherungsaufsicht in räumlicher Hinsicht zum andern regelmäßig voraus, dass Risiken versichert werden, die sich im räumlichen Geltungsbereich eines Aufsichtsgesetzes, d.h. „im Inland“ befinden. Entscheidend für die Versicherungsaufsicht ist daher nicht der Sitz eines Unternehmens, sondern der Markt, der durch dessen Tätigkeit betroffen ist (vgl. beispielsweise Art. 2 Abs. 1, Art. 11 Abs. 3, 5 sowie Art. 28, 31 liechtenstein. VAG).
Die Versicherungsaufsicht im eigentlichen Sinn kann im Einzelnen in folgende drei Bereiche gegliedert werden: Regulierung betreffend die Aufnahme der Geschäftstätigkeit eines Versicherungsunternehmens, Aufsicht über die laufende Geschäftstätigkeit sowie Aufsicht über die Beendigung der Geschäftstätigkeit. Bevor diese drei Bereiche erläutert werden, ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass zur Aufsicht über die Versicherungsunternehmen in einem weiteren Sinne auch die wettbewerbsrechtliche Aufsicht gehört, welche in der EU zentralisiert durch die Europäische Kommission wahrgenommen wird (Kartellverfahrensrecht). Für die Versicherungsbranche speziell von Bedeutung ist dabei die auf den Versicherungssektor bezogene EG-Gruppenfreistellungs-VO (VO 358/2003; Gruppenfreistellungsverordnungen).
2. Aufsicht über die Aufnahme der Geschäftstätigkeit eines Versicherers
Versicherungsunternehmen bedürfen für die Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit einer Bewilligung (auch Erlaubnis, Konzession). Vgl. beispielsweise § 5 Abs. 1 des dt. VAG: „Versicherungsunternehmen bedürfen zum Geschäftsbetrieb der Erlaubnis der Aufsichtsbehörde“ (ähnlich § 4 Abs. 1 österreich. VAG; Art. 12 Abs. 1 liechtenstein. VAG; Art. L. 321-1 frz. Code des assurances). Das Richtlinienrecht der EG umschreibt die Voraussetzungen, bei deren Erfüllung die Bewilligung zur Geschäftstätigkeit zu erteilen ist. Dadurch wird eine europäische Harmonisierung der Zulassungsbedingungen sichergestellt. Letztere finden sich in ähnlicher Form aber auch in Rechtsordnungen, die nicht durch das Europäische Binnenmarktrecht (Europäischer Binnenmarkt) verpflichtet sind.
Die Zulassungsbedingungen werden in den Aufsichtsgesetzen durch ganze Bündel detaillierter Vorschriften umschrieben (vgl. etwa §§ 5 ff. dt. VAG; §§ 3 ff. österreich. VAG; Art. 3 ff. schweiz. VAG; Art. 12 ff. liechtenstein. VAG; Art. L. 321-1 ff. frz. Code des assurances; Parts III, IV des Financial Services and Markets Act 2000 [FSMA], der im gesamten Vereinigten Königreich gilt). Diese Vorschriften betreffen zunächst Rechtsform und Gesellschaftszweck eines Unternehmens. Für die Erteilung einer Bewilligung wird regelmäßig die Beachtung struktureller sowie organisatorischer Vorgaben zur Bedingung gemacht (vgl. z.B. §§ 7, 120 dt. VAG). Dementsprechend ist den Aufsichtsbehörden im Rahmen des Zulassungsverfahrens auch die Satzung des Unternehmens (Statuten, Gesellschaftsvertrag) vorzulegen. Bezüglich des Gesellschaftszwecks wird den Unternehmen vorgeschrieben, sich auf die Versicherungstätigkeit zu konzentrieren; so genanntes „versicherungsfremdes“ Geschäft ist nicht erlaubt. Dabei kann es in Einzelfällen Schwierigkeiten bereiten, die Grenzlinie zwischen erlaubter und verbotener Tätigkeit zu ziehen. Die Aufsichtsgesetze sind zurückhaltender, wenn die „indirekte“ Tätigkeit von Versicherungsunternehmen zu beurteilen ist; so bestehen weniger Restriktionen, wenn es darum geht, dass sich ein Unternehmen an (fremden) Unternehmen beteiligen will, welche selbst nicht eine Versicherungstätigkeit ausüben.
Von zentraler Bedeutung ist aufsichtsrechtlich (und zwar von Anfang an) die Überwachung der Kapitalausstattung eines Unternehmens. Versicherungsunternehmen bedürfen einer Mindestausstattung an eigenen Mitteln, um ihren Verpflichtungen nachzukommen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen den Anforderungen an die Kapitalausstattung bei Aufnahme der Geschäftstätigkeit einerseits und der Überwachung der fortlaufenden Anhäufung von Risiken sowie von deren Auswirkungen auf die Bildung von Reserven andererseits. Die einschlägigen EG-Versicherungsrichtlinien und die nationalen Gesetze, welche diese umsetzen, sehen absolute Geldbeträge vor, die als so genannter Mindestgarantiefonds einem Unternehmen bei dessen Errichtung zur Verfügung stehen müssen und schon vor der Bewilligung nachzuweisen sind.
Detaillierte Angaben zu seiner Geschäftstätigkeit hat ein Unternehmen im Rahmen des so genannten Tätigkeitsplans zu machen. Im Hinblick auf die Erteilung einer Bewilligung ist gegenüber der Aufsichtsbehörde offen zu legen, in welchen Geschäftsfeldern (Versicherungszweigen) ein Unternehmen tätig sein will und mit welchen organisatorischen Maßnahmen es die sich dabei stellenden Herausforderungen zu bewältigen gedenkt. Sowohl in der Schadens- als auch in der Lebensversicherung sind die einzelnen Versicherungszweige durch einschlägige Richtlinien systematisiert worden. Besitzt ein Unternehmen die Zulassung für einen bestimmten Versicherungszweig nicht, so darf es in diesem auch nicht tätig sein. Im Hinblick auf die konkrete Ausübung der Versicherungstätigkeit sind alsdann Angaben zu machen in Bezug auf die beabsichtigte Rückversicherungspolitik sowie auf die voraussichtlichen Kosten für Aufbau und Verwaltung des Unternehmens, unter Einschluss des geplanten Vertriebsnetzes. Generell sind Darlegungen für die ersten drei Geschäftsjahre betreffend die finanziellen Mittel – Einnahmen und Ausgaben – zu machen.
Von immer größerer Bedeutung wird die Überwachung der Qualität der Geschäftsleitung. Mit Bezug auf alle Ebenen des Unternehmens ist nachzuweisen, dass dieses über die erforderliche Kompetenz in seinen Reihen verfügt. Darin eingeschlossen sind die zu erfüllenden Kriterien der fachlichen Eignung einerseits und der charakterlichen Zuverlässigkeit andererseits (vgl. § 7a dt. VAG; § 11a Abs. 3 österreich. VAG; Art. 13 Abs. 1 lit. g liechtenstein. VAG). Diese Eigenschaften sind insbesondere von den Führungsorganen einer Versicherung zu verlangen; gleichzeitig werden sie mehr und mehr auch für die (bestimmenden) Anteilseigner eines Unternehmens vorausgesetzt. Die Transparenz der human resources einer Unternehmung spielt immer häufiger eine wesentliche Rolle beim Zulassungsverfahren.
Zusätzliche besondere Voraussetzungen können dazu kommen, je nach dem, in welchen Versicherungszweigen eine Tätigkeit aufgenommen werden soll. Zu nennen sind beispielsweise der Beitritt zum inländischen Versicherungsbüro (welches insbesondere zur Deckung von durch ausländische Motorfahrzeuge verursachten Schäden in Anspruch genommen werden kann) und zum inländischen Garantiefonds bei der Motorfahrzeughaftpflichtversicherung (welcher insbesondere durch unbekannte Fahrzeuge verursachte Schäden deckt), die Bildung besonderer Vermögenswerte in der Lebensversicherung oder die Bestellung eines verantwortlichen Aktuars.
Werden die regulatorischen Voraussetzungen für die Zulassung als Versicherungsunternehmen erfüllt, so hat dieses Anspruch auf Erteilung der Bewilligung. Im dem Gebiet der EU beziehungsweise des EWR gilt die Zulassung (als single licence) grundsätzlich auch für die Tätigkeit in anderen EU- beziehungsweise EWR-Staaten. Die im Herkunftsland erteilte Zulassung erlaubt es einem Versicherungsunternehmen, in anderen Mitglied- oder Vertragsstaaten tätig zu werden, sei es im Rahmen der Niederlassungsfreiheit oder im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit; das Unternehmen bedarf keiner zusätzlichen Bewilligung im auswärtigen Tätigkeitsstaat. Versicherungsunternehmen aus Drittstaaten sind von dieser Freiheit ausgenommen, es sei denn, es bestünden besondere staatsvertragliche Vereinbarungen mit der EU (wie teilweise im Fall der Schweiz).
Wird ein genehmigter Geschäftsplan später geändert, so muss das Unternehmen auch diese Änderungen von der Aufsichtsbehörde genehmigen lassen.
3. Aufsicht über die laufende Geschäftstätigkeit
Die Aufsicht über Versicherungsunternehmen endet nicht mit deren Zulassung zur Geschäftstätigkeit; vielmehr ist sicherzustellen, dass Unternehmen den genehmigten Geschäftsplan fortwährend einhalten und die für die Deckung der Risiken erforderliche Kapitalausstattung aufweisen.
Bei der laufenden Aufsicht ist hervorzuheben, dass ein in den letzten Jahrzehnten stattgefundener Paradigmenwechsel – weg von einer intensiven materiellen Versicherungsaufsicht hin zu einer spezifischen Solvenzaufsicht – dazu geführt hat, dass im Fokus der Aufsicht nicht mehr die einzelnen Vertragsbedingungen und die Preisfestsetzung für die einzelnen Produkte stehen. So ist es heute den Staaten der EU und des EWR verwehrt (was sich auch in anderen Rechtsordnungen durchsetzt), von den Versicherern eine vorherige Genehmigung beziehungsweise systematische Übermittlung der Versicherungsbedingungen, der Tarife (Tarifstruktur) sowie der Formblätter und sonstigen Dokumente des Versicherungsvertrages zu verlangen (Art. 29(1) sowie Art. 39(2) RL 92/49 [Dritte RL Schadenversicherung]; Art. 6(5) sowie Art. 34 RL 2002/83 [Lebensversicherungen]). Lediglich mit Bezug auf einzelne Pflichtversicherungen besteht hierbei noch eine Ausnahme. Damit reduziert sich die inhaltliche Aufsicht – d.h. die Überwachung der einzelnen Versicherungsprodukte – auf eine Missbrauchsaufsicht: Aufsichtsbehörden dürfen nur noch – aber immerhin – dann gegen Versicherungsbedingungen und andere inhaltliche Vorschriften der Versicherer intervenieren, wenn diese einen Missbrauch – namentlich im Licht des Verbraucherschutzes – darstellen.
Der Schwerpunkt der Aufsicht liegt heute auf einer Überwachung der Kapitalausstattung sowie – damit in Zusammenhang stehend – auf den Pflichten der Versicherungsunternehmen zur Berichterstattung und Buchprüfung. Aufsichtsrechtlicher Ausgangspunkt für die Überwachung der Kapitalausstattung ist die so genannte Solvabilitätsspanne. Sie „besteht aus dem freien, unbelasteten Eigenkapital des Schadenversicherungsunternehmens unter Nichtberücksichtigung immaterieller Vermögenswerte“ (Art. 16(2) 1. RL Schaden i.d.F. der RL 2002/13). Ein Versicherungsunternehmen ist verpflichtet, die (verfügbare) Solvabilitätsspanne mit Rücksicht auf den Gesamtumfang seiner Geschäftstätigkeit zu bilden. Die Solvabilitätsspanne wird ergänzt durch das Institut des Garantiefonds, welcher einen Bruchteil der geforderten Solvabilitätsspanne darstellt. Der Garantiefonds bildet gleichsam den Kern der Eigenmittel, die einem Versicherungsunternehmen zur Verfügung stehen müssen. Um das Vorhandensein des erforderlichen Kapitals sicherzustellen, werden die Unternehmen schließlich zur Bildung versicherungstechnischer Rückstellungen verpflichtet. Dabei wird auch vorgegeben, welche Mittel und Vermögenswerte für die Bildung der Rückstellungen zugelassen werden. Verschärfte Anforderungen an Berichterstattung und Buchprüfung sollen sodann zu einer verbesserten Beurteilung der Vermögenssituation von Versicherungsunternehmen führen. Dazu kann auch die wachsende Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Aufsichtsbehörden ihren Beitrag leisten.
4. Aufsicht über die Beendigung der Geschäftstätigkeit
Die Aufsicht über ein Unternehmen endet, wenn dieses das Versicherungsgeschäft aufgibt. In einem solchen Fall erstreckt sich die Aufsicht auf die Abwicklung der Liquidation und der bestehenden Vertragsverhältnisse (vgl. beispielsweise § 86 dt. VAG). Eine Aufgabe des Unternehmensgeschäfts findet dann statt, wenn der Geschäftsbetrieb untersagt oder freiwillig eingestellt oder die Erlaubnis zur Geschäftstätigkeit widerrufen wird. Anlass für die Geschäftsbeendigung können die Liquidation oder Fusion eines Unternehmens oder die Übertragung des Versicherungsbestandes sein. In allen diesen Fällen begleitet die Aufsichtsbehörde die Abwicklung des Geschäfts und trifft alle erforderlichen Maßnahmen, die geeignet sind, die Belange der Versicherten zu wahren. Vermehrt relevant werden besondere Sanierungs- und Liquidationsverfahren, für die ebenfalls aufsichtsrechtliche Vorschriften erlassen werden (vgl. z.B. §§ 81b, 89b dt. VAG; § 104a österreich. VAG; Art. 52 ff. schweiz. VAG; Art. 59a ff. liechtenstein. VAG; vgl. auch RL 2001/17 über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen).
5. Europarechtlicher acquis communautaire
Das (europäische) Versicherungsaufsichtsrecht wird heute in ganz massgeblichem Umfang durch das Richtlinienwerk geprägt, welches im Rahmen des Versicherungsbinnenmarktes entwickelt worden ist. Die hiervor kurz dargestellten Aufsichtstatbestände finden sich allesamt wieder in den Richtlinien sowie – in konkretisierter Form – in den nationalen Rechtssätzen zu deren Umsetzung durch die einzelnen Mitglied- und Vertragstaaten. Versicherungsaufsichtsrecht kann heute also nicht mehr behandelt werden, ohne dass – qualifiziert – auf den europarechtlichen Regulierungsprozess Bezug genommen wird. Dabei ergeben sich freilich Eigenheiten, die nicht generell für das Aufsichtsrecht, sondern für das Funktionieren der Aufsichtszuständigkeiten innerhalb der EU und des EWR kennzeichnend sind. So bringt es das europäische Aufsichtsrecht hinsichtlich der Kompetenzordnung für die Aufsichtsbehörden mit sich, dass die Behörde des Herkunftslandes (Sitzlandbehörde) die gesamte Geschäftstätigkeit eines ihr unterstellten Unternehmens zu überwachen hat. Diese Konzentration der Aufsicht bei der Zulassungsbehörde führt zu einer Beschneidung der Aufsichtsbefugnisse von Behörden im (ausländischen) Niederlassungs- oder Tätigkeitsstaat; nur ausnahmsweise verbleiben den Letzteren vereinzelt Kontrollkompetenzen vorbehalten. Die spezifisch europarechtliche Konstituierung des Versicherungsbinnenmarkts führt überdies dazu, dass Drittstaatunternehmen nicht im gleichen Umfang von den Freiheiten profitieren, wie sie in EU und EWR verwirklicht sind. Gleichzeitig gilt daher für diese die spezifische Kompetenzverteilung nicht, sodass sie – von besonderen staatsvertraglichen Vereinbarungen abgesehen – unter Umständen der Gefahr (und den Kosten) einer Mehrfachaufsicht in mehreren EU- oder EWR-Staaten ausgesetzt sind.
6. Weiterentwicklung und Zukunftsperspektiven des Versicherungsaufsichtsrechts
Eine erste wichtige Entwicklungstendenz bei der Versicherungsaufsicht zeigt sich darin, dass diese – bei vorhandener Komplexität der Sachverhalte – vermehrt einer Konsolidierung und Integration unterzogen wird, insbesondere im Verhältnis zur Aufsicht über andere Finanzdienstleistungsunternehmen. Zunächst können sich gruppenspezifische Probleme und Fragestellungen ergeben, wenn ein Versicherungsunternehmen in einen Konzern eingegliedert ist. Dabei ist erkannt worden, dass aufsichtsrechtlich solche Gebilde in einen Gesamtzusammenhang zu stellen sind und nicht (mehr) isoliert nach den einzelnen Rechtsträgern des Unternehmens analysiert werden können. So ist in den letzten Jahren vermehrt eine Gruppenaufsicht geschaffen worden, welche in der EU durch die sogenannte Versicherungsgruppen-RL (RL 98/78) reflektiert wird. Hierbei geht es nicht um eine eigentliche Konsolidierungsaufsicht; vielmehr erfolgt eine Erweiterung der Aufsicht dergestalt, dass gruppeninterne Transaktionen unter besonderen Gesichtspunkten der Aufsicht unterstellt werden. Primäres Ziel der Gruppen-Richtlinie ist die Verbesserung des Überblicks der jeweils (in erster Linie) zuständigen Aufsichtsbehörde über das beaufsichtigte Unternehmen und dessen verbundene Gesellschaften (vgl. z.B. die Umsetzung in §§ 104a ff. dt. VAG: „Zusätzliche Beaufsichtigung von Erst- und Rückversicherungsunternehmen in einer Erst- oder Rückversicherungsgruppe“). Abgerundet bzw. erweitert wird die Gruppenaufsicht durch eine eigentliche Aufsicht über Finanzkonglomerate, d.h. Gruppen, bei denen Unternehmen aus verschiedenen Finanzbranchen (Banken, Versicherungen, Wertpapierhäuser und andere) zu überwachen sind. Dabei ist den branchenübergreifenden bzw. integrierenden Aspekten durch besondere aufsichtsrechtliche Instrumente Rechnung zu tragen. In der EU ist hierfür durch die besondere RL 2002/87 der Boden gelegt worden, und auch in Zukunft soll der Gruppen- sowie Konglomeratsaufsicht ein besonderes Augenmerk geschenkt werden, insbesondere bei der Weiterentwicklung des europäischen Aufsichtsrechts. Begleitet werden diese Entwicklungen durch die in mehreren Staaten sichtbar werdende Integration der Aufsichtsbehörden. Die Notwendigkeit einer erweiterten Aufsicht über Unternehmensgruppen und das Bedürfnis nach einer Konglomeratsaufsicht haben organisatorisch zur Folge, dass in verschiedenen Staaten eine integrierte Finanzmarktaufsichtsbehörde geschaffen wird, welche die namentlich in Banken- und Versicherungsaufsicht aufgesplittete Einzel-Fachaufsicht überwinden soll. Durch die Integration der Einzelbehörden verspricht man sich eine vermehrte Nutzung von Synergieeffekten und eine bessere Transparenz der regulierten Märkte. Dies gelingt in vielen Fällen, vermag aber nicht zu verhindern, dass nach wie vor eine fachspezifische Einzelaufsicht erforderlich ist. Den Beginn integrierter Finanzmarktaufsicht machte das Vereinigte Königreich (gestützt auf den Financial Services and Market Act 2000). Als weitere Staaten kamen etwa Deutschland, Österreich, das Fürstentum Liechtenstein sowie (seit dem 1.1.2009) auch die Schweiz dazu.
Zur Zeit und in absehbarer Zukunft steht auf europäischer Ebene eine Gesamtreform des bisherigen versicherungsrechtlichen Richtlinienrechts im Vordergrund, welche sämtliche bestehenden Richtlinien über die Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit aktualisieren und auf eine neue Grundlage stellen soll. Es ist vorgesehen, diese Konsolidierung im Rahmen einer neuen Richtlinie vorzunehmen. Die geplante Rahmenrichtlinie läuft unter dem Stichwort Solvabilität II (Solvency II). Dabei geht es in erster Linie darum, im Anschluss an die bisherige Solvenzaufsicht neue Kriterien und Vorschriften in Bezug auf die Kapital- und Solvenzanforderungen zu erlassen. Gleichzeitig soll die Aufsicht über Versicherungsgruppen und die Zusammenarbeit der einzelstaatlichen Aufsichtsbehörden vertieft und intensiviert werden. Hierbei handelt es sich wohl um das umfassendste und tiefgreifendste Projekt, mit dem die Versicherungsaufsicht je konfrontiert gewesen ist, und welches Gesetzgeber, Regulatoren und Versicherungsunternehmen in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen wird. Eines der primären Ziele von Solvabilität II ist eine (noch) stärkere Risikobasierung der Kapitalbildung eines Unternehmens. Neben den Risiken, die für Versicherungsunternehmen aus den Verbindlichkeiten, die sie eingehen, resultieren, ist hierbei vermehrt Bezug zu nehmen auf die zur Deckung dieser Verbindlichkeiten von den Unternehmen gehaltenen Vermögenswerte. Die Risikoanalyse erfolgt auf der Grundlage von Modellen, die von den Unternehmen zu entwickeln und zu formulieren sind und alsdann von der Aufsichtsbehörde genehmigt werden müssen. Es entsteht dadurch eine Art „dialogisches“ Aufsichtssystem, bei dem es in erster Linie Sache der Unternehmen ist, ihre Risikoexponiertheit quantitativ und qualitativ zu beurteilen und gleichsam Vorschläge in Bezug auf die Risikoabsicherung vorzulegen (Risikomanagement). Das erforderliche Kapital wird in Zukunft unterteilt in Mindestkapitalanforderungen, die von einem Unternehmen jederzeit erfüllt werden müssen, und Zusatzanforderungen, die über das notwendige Mindestkapital hinaus gehen, wobei die diesbezüglichen Vermögenswerte im Fall eines Verlustes eine Art Frühwarnung für die Aufsichtsbehörden und für deren mögliche Intervention darstellen. Es ist zu erwarten, dass sich mit der Zeit aus den angewandten Modellen eigentliche Standardmodelle entwickeln können, so dass die Versicherungsunternehmen nicht mehr für die Gesamtheit ihrer Risiken eigene Beurteilungskataloge entwickeln müssen. Bereits umgesetzt ist die risikobasierte Kapitalanforderung als Regulierungsmodell in der Schweiz in Gestalt des so genannten Schweizer Solvenztests (SST; vgl. Art. 9 Abs. 2 schweiz. VAG).
Ebenfalls im Rahmen von Solvabilität II soll die Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden verbessert und intensiviert werden. Es ist erkannt, dass für ein ordnungsgemässes Funktionieren der Versicherungsmärkte und namentlich auch der Aufsichtsprozesse in Bezug auf Versicherungsgruppen die Zusammenarbeit der Behörden essentiell ist. Der Aufsichtsbehörde des Herkunftslandes eines Mutterunternehmens kommt dabei eine verstärkte Rolle als „Gruppenaufsichtsbehörde“ zu. In diesem Zusammenhang sowie insgesamt im Rahmen der weiteren Entwicklung der Versicherungsaufsicht bekommt der Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (CEIOPS) zentrale Bedeutung. Vor diesem Hintergrund wird in Zukunft zu überlegen sein, ob nicht an die Stelle der nationalen Aufsichtsbehörden – zumindest in EU und EWR – dereinst eine (überstaatliche) Einheitsbehörde treten sollte. Eine andere Frage ist selbstverständlich, ob ein solches Vorhaben politisch opportun wäre und inwieweit die Erfahrungen der integrierten Finanzmarktaufsichtsbehörden dies nahe legen werden.
Literatur
Anton K. Schnyder, Internationale Versicherungsaufsicht zwischen Kollisionsrecht und Wirtschaftsrecht, 1989; Helmut Müller, Versicherungsbinnenmarkt: Die europäische Integration im Versicherungswesen, 1995; Peter Braumüller, Versicherungsaufsichtsrecht, 1999; Peter Baran (Hg.), Das Versicherungsaufsichtsgesetz, 3. Aufl. 2000; Heinrich R. Schradin, Entwicklung der Versicherungsaufsicht, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 2003, 611 ff.; Michael Blair, Andrew Campbell, Joanna Gray, Jane Welch, Jenny Hamilton, Tom MacKay, Iain MacNeil, Julian Burling, Philip Tebbatt, Butterworth’s Annotated Guide to the Financial Services and Markets Act 2000, 2. Aufl. 2005; Helmut Kollhosser, Erich R. Prölss, Joachim Kölschbach, Versicherungsaufsichtsgesetz, 12. Aufl. 2005; Anton K. Schnyder, Europäisches Banken- und Versicherungsrecht, 2005; Rolf H. Weber, Patrick Umbach, Versicherungsaufsichtsrecht, 2006; Anton K. Schnyder, Die Schaffung des liechtensteinischen Versicherungsrechts nach dem Beitritt des Fürstentums zum EWR, Liechtensteinische Juristenzeitung 2006, 91 ff.; Ulrich Fahr, Detlef Kaulbach, Gunne W. Bähr, Versicherungsaufsichtsgesetz, 4. Aufl. 2007; Jürg Waldmeier (Hg.), Versicherungsaufsicht, 2007.