Testament
1. Gegenstand und Zweck des Testaments
Sämtliche europäische Rechtsordnungen eröffnen dem Erblasser die Möglichkeit, durch letztwillige Verfügung die Rechtsnachfolge von Todes wegen weitgehend privatautonom zu gestalten. Der dadurch zum Ausdruck kommenden Testierfreiheit wird allgemein ein großes Gewicht beigemessen. Das Pflichtteilsrecht (bzw. das Noterbrecht) naher Verwandter bzw. des Ehegatten stellt die einzige wesentliche Beschränkung der Testierfreiheit dar. Zu Zeiten des römischen Rechts wurde die Bestimmung eines Erben als soziale Pflicht jedes guten pater familias der Oberschicht angesehen. Demgegenüber galten nach dem Untergang des Römischen Reiches, u.a. im Reich der Franken, feste Regeln über das Erbrecht der nächsten Verwandten. Hiervon konnte der Erblasser nicht abweichen. Nicht zuletzt unter dem Einfluss der Kirche wurde diese starre Erbfolgeregelung nach und nach aufgeweicht, zunächst durch Schaffung des sog. Seelteils, einen Teil des Vermögens, über den zugunsten der Kirche verfügt werden konnte. Schließlich wurde die weitgehende Testierfreiheit des römischen Rechts wieder hergestellt. Angesichts des Aufbrechens traditioneller Familienstrukturen kommt der Verfügung von Todes wegen heutzutage erhebliche Bedeutung zu. Denn die gesetzliche Erbfolge, die am Leitbild enger Familienbande ausgerichtet ist, wird oftmals nicht mehr als angemessen empfunden. Da das Testament kraft Definition erst nach dem Tod des Erblassers Rechtswirkungen entfaltet und dieser daher nicht mehr zu seinem Willen befragt werden kann, gilt es sicherzustellen, dass (a) dem Erblasser die Bedeutung seiner Verfügung vor Augen geführt und zugleich die Ernstlichkeit der getroffenen Anordnungen dokumentiert wird; (b) der geäußerte Erblasserwille mit hinreichender Sicherheit feststellbar ist; sowie (c) Verfälschungen weitestgehend verhindert werden. Diesen Anliegen wird durch Formanforderungen an letztwillige Verfügungen Rechnung getragen. Sie wirken sich ebenfalls bei der Inhaltsermittlung sowie bei der Behandlung von Willensmängeln des Erblassers aus. Eine (d) Beratungsfunktion kann dem Formerfordernis nur eingeschränkt zugeschrieben werden, da eine solche beim privaten Testament nicht gewährleistet ist.
2. Tendenzen der Rechtsentwicklung
Die das Testament betreffenden gesetzlichen Regelungen bilden in allen europäischen Rechtsordnungen eine überwiegend statische Materie. Änderungen der bestehenden Regeln erfolgten weitgehend nur punktuell, teilweise durch den Gesetzgeber, vorwiegend jedoch durch die Rechtsprechung. Allgemein ist diese Entwicklung von einer stärkeren Betonung des Erblasserwillens geprägt. Das gilt bereits für die Antike. Die Formvorschriften für Verfügungen von Todes wegen beziehen sich gegenwärtig nur auf äußere Anforderungen an die Errichtung des letzten Willens. Im vorklassischen römischen Recht herrschte eine größere Formstrenge. Bestimmte Rechtsfolgen konnten damals nur mittels bestimmter Formulierungen herbeigeführt werden. Form und Inhalt des Testaments waren ununterscheidbar verknüpft. Dadurch wurde größtmögliche Rechtssicherheit geschaffen, allerdings auf Kosten der Verwirklichung des Erblasserwillens.
Diese Liberalisierung lässt sich auch an einer weniger strengen Handhabung der fortbestehenden (äußeren) Formanforderungen erkennen. So führt beispielsweise die fehlende Datumsangabe beim privaten Testament in den meisten Staaten nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr automatisch zu dessen Ungültigkeit. Die Tendenz geht dahin, Verstöße gegen Formvorschriften, denen keine materielle Bedeutung zukommt oder deren Zweck auch anderweitig erreicht wird, nicht zu sanktionieren, um dem geäußerten Erblasserwillen Geltung zu verschaffen. Diese Entwicklung spiegelt sich bei der Ermittlung des Inhalts letztwilliger Verfügungen wider. Im Gegensatz zu früher wird im Rahmen der Auslegung nicht vorrangig auf den Wortlaut, sondern auf den – auch durch außerurkundliche Umstände ermittelten – Willen des Erblassers abgestellt. Einige europäische Rechtsordnungen gestatten den Gerichten mittlerweile gar, irrtumsbehaftete letztwillige Anordnungen im Sinne des Erblassers zu korrigieren.
3. Regelungsstruktur in rechtsvergleichender Betrachtung
a) Form
Ursprünglich kam im Formgebot für Verfügungen von Todes wegen das Bedürfnis nach Feierlichkeit bei der Vornahme dieses bedeutsamen Rechtsgeschäfts zum Ausdruck. Heutzutage besteht das Formerfordernis nicht um seiner selbst willen, sondern dient den genannten praktischen Zwecken (Beweisbarkeit, Verfälschungsschutz, Abgrenzung zu Vorüberlegungen, Beratung). Das gemeine Recht sah nur das öffentliche Testament als ordentliche Testamentsform vor. In den meisten europäischen Rechtsordnungen stehen mittlerweile das öffentliche, typischerweise unter Hinzuziehung eines Notars errichtete, und das private Testament gleichberechtigt nebeneinander. Lediglich im Vereinigten Königreich und Irland sowie in Finnland, Norwegen und Schweden kann eine Verfügung von Todes wegen mangels Existenz oder mangels Vergleichbarkeit des dortigen notariellen Systems mit dem Notariat lateinischer Prägung ausschließlich privat errichtet werden. Die niederländische und die estnische Rechtsordnung sehen demgegenüber das private Testament nicht als gewöhnliche Testamentsform vor. Maßgeblicher Grund hierfür ist (a) der Aspekt der Rechtssicherheit (insb. Verfälschungsrisiko), der nicht in gleicher Weise wie beim öffentlichen Testament gewährleistet ist. Hinzu kommt (b) die Beratungsfunktion des Formgebots, die auf das öffentliche Testament beschränkt ist. Der wirkliche Wille des Erblassers soll hierdurch aufgeklärt und in zweckmäßiger Art und Weise niedergelegt werden. Trotz dieser Vorteile des öffentlichen Testaments und der korrespondierenden Schwierigkeiten mit privaten Testamenten, insbesondere bei der Inhaltsermittlung, gibt es gegenwärtig – wohl aufgrund der größeren Flexibilität der Letzteren – keine Bestrebungen, das private Testament zugunsten des öffentlichen Testaments zurückzudrängen oder gar als ordentliche Testamentsform wieder abzuschaffen.
Die Formanforderungen an Privattestamente weichen in den einzelnen europäischen Staaten voneinander ab, wobei im Wesentlichen zwei Erscheinungsformen anzutreffen sind. Während das holographische Testament die vollständige handschriftliche Verfassung und Unterzeichnung erfordert (u.a. Deutschland, Frankreich, Italien, Polen), setzt das allographische Testament nur Schriftform, d.h. die Unterzeichnung der Urkunde durch den Erblasser in Gegenwart von Zeugen voraus (u.a. Vereinigtes Königreich, Dänemark, Lettland und Schweden). Manche Staaten stellen beide Formen des privaten Testaments zur Verfügung (u.a. Österreich, Tschechien, Ungarn). (a) Bei bloßer Schriftform ist gegenüber einer eigenschriftlichen letztwilligen Verfügung vor allem das Verfälschungsrisiko erhöht. (b) Auch wird dadurch in geringerem Maße gewährleistet, dass der Erblasser seinen niedergelegten Willen frei gebildet hat. Um dieser Problematik zu begegnen, statuieren die Rechtsordnungen, die das allographische Testament als herkömmliche Form des privaten Testaments vorsehen, die Hinzuziehung von Zeugen als weitere Wirksamkeitsvoraussetzung. Diejenigen Staaten, die das allographische Testament neben dem holographischen zulassen, sehen das Erfordernis einer Hinzuziehung von Zeugen lediglich für die erstgenannte Form der Verfügung von Todes wegen vor. Im Unterschied zu den beschriebenen, verhältnismäßig strengen Anforderungen an die private Errichtung eines Testaments besteht in den naturrechtlich geprägten Rechtsordnungen, welche die Willensfreiheit des Erblassers betonen, eine größere Vielfalt an ordentlichen Testamentsformen. So können Privattestamente beispielsweise nach dem österreichischen ABGB auch mündlich vor Zeugen errichtet werden. Dadurch werden die mit dem Formgebot verbundenen Zwecksetzungen allerdings erheblich relativiert.
Verstöße gegen Formvorschriften führen in einigen Ländern ipso iure zur Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung (u.a. Deutschland, Frankreich, Tschechien). Andere Rechtsordnungen behandeln das Testament als gültig, wenn nicht innerhalb einer bestimmten Frist die Anfechtung wegen des Formfehlers erklärt bzw. Nichtigkeitsklage erhoben wird (u.a. Schweden, Slowenien). Teilweise wird insoweit zwischen den einzelnen Formanforderungen differenziert. So führen Formverstöße z.B. in Italien grundsätzlich ipso iure zur Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung, mit Ausnahme des fehlenden Datums, das nur bei rechtzeitig erhobener Nichtigkeitsklage Rechtsfolgen zeitigt. Angesichts dessen, dass Formgebote im Testamentsrecht vorrangig dem Schutz des Erblassers bzw. dem öffentlichen Interesse dienen, erscheint die automatische Unwirksamkeitsfolge vorzugswürdig.
b) Testierfähigkeit
Unter Testierfähigkeit versteht man die Fähigkeit, eine wirksame Verfügung von Todes wegen zu errichten. Voraussetzung hierfür ist, dass der Erblasser sich der Errichtung einer letztwilligen Verfügung und der getroffenen Anordnungen bewusst ist, insbesondere deren Bedeutung und Tragweite erkennen kann. Dadurch soll sichergestellt werden, dass er selbstverantwortlich über den Inhalt bestimmt. Vor dem Hintergrund dieses Normzwecks setzt die Errichtung einer letztwilligen Verfügung in allen europäischen Rechtsordnungen (a) ein gewisses Mindestalter als Ausdruck hinreichender geistiger Reife sowie (b) die Abwesenheit von geistigen Insuffizienzen voraus. Schon im römischen Recht wurde die Testierfähigkeit erst mit dem Pubertätsalter erreicht.
In der Mehrzahl der europäischen Staaten tritt die unbeschränkte Testierfähigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres ein. Teilweise wird dieser Zeitpunkt auf eine der Volljährigkeit vorangehende Heirat vorverlagert (u.a.Schweden, Tschechien). Nahezu alle Rechtsordnungen sehen für die Zeit vor Erlangung der unbeschränkten Testierfähigkeit (typischerweise ab 16 Jahren, teilweise auch ab 14 oder 15 Jahren) eine beschränkte Testierfähigkeit vor. Dabei treten im Wesentlichen zwei Arten der Beschränkung auf. Teilweise stehen dem beschränkt testierfähigen Minderjährigen nicht alle Testamentsformen zur Verfügung. Geleitet von der Überlegung, dass der geistige Reifeprozess noch nicht vollständig abgeschlossen ist, hat die Errichtung der letztwilligen Verfügung in öffentlicher Form zu erfolgen, um eine Beratung und Betreuung des minderjährigen Erblassers sicherzustellen. Das private Testament scheidet in diesen Fällen als Testamentsform aus (u.a. Deutschland, Spanien, Tschechien). Vor allem im skandinavischen Rechtskreis und im Einflussbereich des Code Napoléon schlägt sich die beschränkte Testierfähigkeit im Gegenstand zulässiger Verfügungen nieder. Danach ist es dem Minderjährigen lediglich gestattet, über die Hälfte seines Vermögens zu verfügen (u.a. Frankreich, Belgien) bzw. nur über solche Vermögensgegenstände, über die er auch lebzeitig frei verfügen dürfte (u.a. Dänemark, Finnland). Hinsichtlich der Rechtsfolgen fehlender Testierfähigkeit gilt das zu den Formverstößen Gesagte entsprechend. Teilweise führt diese ipso iure zur Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung, teilweise bedarf es zusätzlich der fristgerechten Anfechtung bzw. Erhebung der Nichtigkeitsklage.
c) Auslegung
Ziel der Auslegung ist heutzutage primär die Ermittlung der Bedeutung, die der Erblasser den gewählten Worten im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung beigelegt hat (subjektive Auslegungsmethode). Der Wille des Erblassers ist mittlerweile in allen europäischen Rechtsordnungen Maßstab der Auslegung, allerdings mit den unten dargestellten Einschränkungen. Dies ist keinesfalls selbstverständlich. Noch im 19. Jahrhundert war die wortlautfokussierte Auslegungsmethode vorherrschend. Bestimmten Begriffen wurde damals im Interesse der Rechtssicherheit eine festgelegte Bedeutung beigemessen, unabhängig davon, ob der Erblasser die Worte in diesem Sinn verstanden hatte. In Kontinentaleuropa gewann die willensorientierte Auslegungsmethode seit Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Anhänger. In England hatte sich die teleologische Methode erst mit der wegweisenden Entscheidung des House of Lords in Perrin v. Morgan [1943] A.C. 399 weitgehend durchgesetzt. Überkommene Ausprägung des buchstabengetreuen Auslegungsansatzes ist die mittlerweile aufgegebene sog. Eindeutigkeitsregel, wonach bei unzweideutiger Wortlautbedeutung kein Raum für Auslegung verbleibt. Eine vergleichbare Entwicklung hat im römischen Recht stattgefunden. Ausgehend von einer wortlautgetreuen, von Formstrenge geprägten Auslegungsmethode im vorklassischen römischen Recht bildete die causa Curiana im Jahre 92 v. Chr. (Cicero, de oratore I, 180) den Wendepunkt hin zu einer mehr willensorientierten Bestimmung des Testamentsinhalts.
Der Wille des Erblassers setzt sich im Rahmen der Auslegung in den meisten europäischen Rechtsordnungen aber nicht stets durch. Vielmehr ist der im Formgebot verankerte Aspekt der Rechtssicherheit zu berücksichtigen, die positive und negative Testierfreiheit sind in Ausgleich zu bringen. Einerseits gilt es, (a) den (unvollkommen) geäußerten Willen des Erblassers zu verwirklichen. Andererseits ist Letzterer (b) vor Verfälschungen seines Willens zu schützen. Die im Interesse der Rechtssicherheit bestehenden Begrenzungen der Maßgeblichkeit des Erblasserwillens sind unterschiedlich ausgestaltet. Teilweise wird zunächst der „wirkliche“ Wille des Erblassers unter Hinzuziehung sämtlicher, auch außerurkundlicher Begleitumstände ermittelt, um in einem zweiten Schritt nur denjenigen Willen als verbindlich anzuerkennen, der in der formgerecht errichteten Testamentsurkunde wenigstens andeutungsweise zum Ausdruck gekommen ist (Andeutungstheorie, u.a. Deutschland, Griechenland, Österreich, Schweiz). Dieser materiellen Schranke steht der prozessuale Ansatz gegenüber, wonach zur Ermittlung des Erblasserwillens nur eingeschränkt auf außerurkundliche Umstände (sog. extrinsic evidence) zurückgegriffen werden darf (Vereinigtes Königreich, Irland). Mittlerweile hat insoweit aber eine erhebliche Liberalisierung stattgefunden (sec. 21 Administration of Justice Act 1982). Beschränkungen bestehen nur noch hinsichtlich mündlicher Aussagen des Erblassers gegenüber Dritten. Diese dürfen nur ausnahmsweise herangezogen werden. Im Übrigen sind sämtliche außerurkundlichen Umstände uneingeschränkt verwertbar. In einigen Ländern zielt die Inhaltsermittlung hingegen allein auf die Verwirklichung des wahren Erblasserwillens ab, insbesondere sind Irrtümer im Rahmen der Auslegung zu korrigieren, sofern nachgewiesen werden kann, was der Erblasser bei mangelfreier Willensbildung verfügt hätte (Dänemark, Finnland, Schweden). In dieselbe Richtung zielt das im englischen Recht durch den Administration of Justice Act 1982 eingeführte verfahrensrechtliche Institut der sog. rectification, welches bei Schreibversehen (Erklärungsirrtümern, Irrtum) eine Korrektur des Testamentsinhalts gestattet. Auch in denjenigen Rechtsordnungen, die der Verwirklichung des Erblasserwillens Grenzen setzen, besteht weitgehende Einigkeit, dass eine Falschbezeichnung der Verwirklichung seines Willens nicht entgegensteht, sofern es sich bei der gewählten Bezeichnung um eine besondere Erblassersprache handelt.
Neben der Ermittlung des tatsächlichen Erblasserwillens ist Gegenstand der Auslegung die Schließung von Lücken der letztwilligen Verfügung. Sofern der Erblasser einen regelungsbedürftigen Punkt nicht berücksichtigt hat, kann diese Lücke im Wege der sog. ergänzenden Auslegung geschlossen werden. Alternativ kommen gesetzliche bzw. richterrechtliche Auslegungsregeln in Betracht. Für die ergänzende Testamentsauslegung ist charakteristisch, dass der Erblasserwille – ausgehend von dem in den sonstigen letztwilligen Verfügungen zum Ausdruck kommenden individuellen Regelungsplan des Testators – „zu Ende gedacht“ wird. In diesen Vorgang fließen unvermeidlich eigene Wertungen des Richters ein. Um dies zu verhindern, ist in einigen Rechtsordnungen kein (so im Vereinigten Königreich) oder nur eingeschränkt (so in Frankreich) Raum für die ergänzende Auslegung. Stattdessen wird primär auf vom Gesetzgeber oder von der Rechtsprechung geschaffene, generalisierende Auslegungs- oder Zweifelsfallregeln zurückgegriffen. In der Schweiz, die bis vor kurzem der ergänzenden Auslegung ebenfalls ablehnend gegenüberstand, ist diese mittlerweile anerkannt. Angesichts der in der historischen Entwicklung gesteigerten Bedeutung des Erblasserwillens erscheint eine eng an den geäußerten Regelungsplan angelehnte Lückenfüllung vorzugswürdig.
d) Willensmängel/Anfechtung
Eng verknüpft mit der Auslegungsmethode für letztwillige Verfügungen ist die Frage nach Korrekturmechanismen für etwaige Willensmängel. Sofern ein Irrtum des Erblassers schon auf der Ebene der Auslegung behoben werden kann, besteht für eine Anfechtung der irrtumsbehafteten Verfügung kein Bedarf mehr. Nur diejenigen Rechtsordnungen, die als Ergebnis der Inhaltsermittlung einen vom wirklichen Willen abweichenden normativen Willen zulassen (aufgrund des Andeutungserfordernisses bzw. der eingeschränkten Zulässigkeit von extrinsic evidence), müssen sich mit der Thematik befassen, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen die irrtumsbehaftete letztwillige Verfügung beseitigt werden kann. Zur Anfechtung berechtigen im Grundsatz sämtliche Willensmängel des Erblassers, da im Unterschied zu empfangsbedürftigen Willenserklärungen nicht die Interessen schutzwürdiger Dritter zu beachten sind. Lediglich im Vereinigten Königreich sind außerhalb der Einführung zulässiger extrinsic evidence und dem Korrekturmechanismus der rectification Irrtümer bei letztwilligen Verfügungen unbeachtlich. Die Geltendmachung des Irrtums erfolgt entweder durch materiell-rechtliche Erklärung (Deutschland) oder durch Klageerhebung (u.a. Frankreich, Österreich). Der letztgenannte Mechanismus dient der Rechtssicherheit.
Der Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum) stellt grundsätzlich ebenfalls einen beachtlichen Irrtum dar. Insoweit besteht allerdings die Gefahr, dass aufgrund der oftmals vielschichtigen Motivlage bei der Errichtung einer letztwilligen Verfügung und der damit verbundenen gesteigerten Fehleranfälligkeit die Anfechtbarkeit des Testaments eher zur Regel denn zur Ausnahme wird. Um dem zu begegnen, wird die Anfechtbarkeit im Falle eines Irrtums im Beweggrund teilweise nur bei Monokausalität des falschen Motivs für die letztwillige Verfügung zugelassen (Italien und Österreich). Teilweise wird ein Anhaltspunkt für das falsche Motiv in der Testamentsurkunde selbst gefordert (Griechenland), teilweise werden diese beiden Kriterien kombiniert (Bulgarien). In Österreich führt der Motivirrtum zudem nur dann zur Vernichtung der Verfügung von Todes wegen, wenn dies dem Erblasserwillen mehr entspricht als ihre Aufrechterhaltung. Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz dieses Inhalts für alle Arten von Irrtümern ist hingegen in keiner Rechtsordnung anerkannt. Insoweit wird der Rechtssicherheit größere Bedeutung beigemessen als dem Erblasserwillen. An die Stelle der angefochtenen Verfügung tritt eine frühere Verfügung bzw. in Ermangelung einer solchen die gesetzliche Erbfolge.
e) Auflage
Bei der Auflage handelt es sich im Unterschied zum Vermächtnis um eine letztwillige Verfügung, durch die ein Begünstigter zu einer Leistung verpflichtet wird, ohne dass ein anderer einen Anspruch hierauf erlangt. Der Erblasser will dadurch Einfluss auf das Verhalten des Empfängers einer Zuwendung nehmen. Da demjenigen, dem die Auflage zugutekommt, kein unmittelbares Forderungsrecht eingeräumt wird, ist entscheidend, wer die Vollziehung der Auflage verlangen kann. Teilweise ist der Kreis dieser Personen eng eingegrenzt (u.a. Deutschland). Die Mehrzahl der europäischen Rechtsordnungen gewährt hingegen jedem an der Vollziehung der Auflage Interessierten ein Klagerecht (u.a. Finnland, Italien, Schweden, Schweiz). Dadurch verschwimmen allerdings die Grenzen zum Vermächtnis bzw. Untervermächtnis als unmittelbarer Zuwendung seitens des Erblassers.
4. Vereinheitlichungsprojekte
Gegenwärtig ist eine Harmonisierung des materiellen Erbrechts und damit auch des Testamentsrechts in der EU nicht beabsichtigt. Lediglich in Bezug auf die Formanforderungen bestehen Vereinheitlichungsbestrebungen. Im Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendenden Rechts (Haager Testamentsformübereinkommen) vom 5.10.1961, das in den meisten Staaten der EU ratifiziert ist, stehen dem Erblasser u.a. die Ortsform, die Form seines Heimatrechts sowie die Testamentsformen am Ort seines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts (entweder im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung oder des Todes) zur Verfügung. Ein weiterer völkerrechtlicher Vertrag, das Washingtoner Übereinkommen über ein einheitliches Recht der Form eines internationalen Testaments vom 26.10.1973, hat keine vergleichbare Anerkennung gefunden.
Eine Harmonisierung des Kollisionsrechts hinsichtlich des anwendbaren materiellen Erbrechts (Erbstatut, Erbrecht, internationales) wurde von der Kommission durch das am 1.3.2005 veröffentlichte Grünbuch zum Erb- und Testamentsrecht angestoßen. Nach derzeitigem Stand der Diskussion wird ein Wahlrecht des Erblassers zwischen seinem Heimatrecht (Staatsangehörigkeit) oder dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts (zur Zeit der Ausübung der Rechtswahl oder zur Zeit seines Todes) erwogen. Durch die damit einhergehende flexiblere Anknüpfung würden Erbrechtsordnungen aus Fremdstaaten vermehrt im Inland zur Anwendung gelangen. Vorbehalte hiergegen bestehen insbesondere aus pflichtteilsrechtlicher Sicht. Diesen Bedenken könnte nur durch eine Harmonisierung des materiellen Erbrechts begegnet werden. Aufgrund der überkommenen, erheblichen Differenzen in den einzelnen europäischen Rechtsordnungen erscheint eine Vereinheitlichung aber kaum erreichbar. Aussichtsreicher wäre eine Harmonisierung lediglich in Teilbereichen (z.B. Formvorschriften; Testierfähigkeit) wegen der dort ohnehin bestehenden weitreichenden inhaltlichen Übereinstimmung.
Literatur
Roger Kerridge, Julian Rivers, The Construction of Wills, Law Quarterly Review 116 (2000) 287 ff.; Deutsches Notarinstitut, Heinrich Dörner, Paul Lagarde (Hg.), Etude de droit comparé sur les règles de conflits de juridictions et de conflits de lois relatives aux testaments et successions dans les Etats membres de l’Union Européenne, 18.9.2002/8.11.2002, http://ec.europa.eu/justice_home/doc_centre/civil/studies/doc/testaments_successions_fr.pdf (zuletzt abgerufen am 1.6.2009); Walter Pintens, Grundgedanken und Perspektiven einer Europäisierung des Familien- und Erbrechts, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2003, 329 ff. (Teil 1); 2003, 417 ff. (Teil 2); 2003, 499 ff. (Teil 3); Heinrich Dörner, Das Grünbuch „Erb- und Testamentsrecht“ der Europäischen Kommission, ZEV 2005, 137 ff.; Nina Dethloff, Familien- und Erbrecht zwischen nationaler Rechtskultur, Vergemeinschaftung und Internationalität, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 15 (2007) 992 ff; Rembert Süß, Harmonisierung des materiellen Erbrechts in der EU, in: idem (Hg.), Erbrecht in Europa, 2. Aufl. 2008, 300 ff.; Roger Kerridge, Parry and Clark, The Law of Succession, 12. Aufl. 2009.