Vertretungsmacht
1. Gegenstand und Zweck; Terminologie
Die Stellvertretung kann ihre Wirkung für und gegen den Vertretenen nur entfalten, wenn der Vertreter die Rechtsmacht hat, rechtsgeschäftlich für ihn zu handeln. Diese Rechtsmacht wird als „Vertretungsmacht“ bezeichnet (pouvoir de représentation; potere di rappresentanza; authority). Die Vertretungsmacht umreißt den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen, in dem der Vertreter Rechtsfolgen zugunsten und zu Lasten des Vertretenen eintreten lassen kann. Sie dient so dem Interesse des Vertretenen, nur Handlungen gegen sich gelten zu lassen, die seinem Willen entsprechen.
Nach ihrem Ursprung lassen sich Untergruppen der Vertretungsmacht bilden. Im Zentrum der folgenden Ausführungen steht die rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht („gewillkürte Stellvertretung“; représentation conventionnelle). Die Frage, ob dafür ein Vertrag erforderlich ist oder eine einseitige Erklärung ausreicht, bleibt theoretisch: Wer nicht Vertreter sein will, macht von einer einseitig eingeräumten Befugnis schlicht keinen Gebrauch. Eine Vertretungsmacht kann jedoch auch vom Gesetz verliehen werden, ohne dass ein Wille des Vertretenen eine Rolle spielt. In mehreren kontinentalen Rechtsordnungen gelten die Regeln der gewillkürten Vertretung auch für diese „gesetzliche Vertretung“ oder werden zumindest ihrem Gedanken nach darauf erstreckt. Beispiele sind die Vertretung von Kindern durch ihre Eltern, des Geschäftsherrn durch den Geschäftsführer ohne Auftrag (Geschäftsführung ohne Auftrag), oder einer Gesellschaft durch ihre Organe („organschaftliche Vertretungsmacht“; umstritten ist, ob ein Gesellschaftsorgan ein „Vertreter“ ist). Dem englischen Recht ist hingegen ein allgemeines Konzept der gesetzlichen Vertretung fremd. Es behilft sich im Eltern-Kind-Verhältnis z.B. mit Trust-Konstruktionen (Trust und Treuhand) für den Erwerb von Eigentum oder speziellen Regeln für die Beteiligung eines Minderjährigen am Zivilprozess (siehe auch Geschäftsfähigkeit).
Die Vertretungsregeln in PECL und UNIDROIT PICC beschränken sich, ebenso wie das nicht in Kraft getretene Genfer Übereinkommen über die Vertretung beim internationalen Warenkauf (Stellvertretung), auf die gewillkürte Vertretung. Der DCFR dagegen erfasst auch die gesetzliche Vertretung.
2. Unterscheidung von Außenverhältnis und Innenverhältnis
Die Lehrer des Naturrechts, denen die kontinentale Rechtsentwicklung die unmittelbare Stellvertretung verdankt, forderten zum Eintritt der Vertretungsfolgen, dass der Handelnde vom Vertretenen beauftragt sei; zwischen der von diesem erteilten Vollmacht und dem Auftrag trennten sie nicht. Demgemäß enthalten preußisches ALR, französischer Code civil und österreichisches ABGB keinen eigenen Abschnitt über Stellvertretung, sondern regeln diese im Rahmen des Auftrags. Mithin decken sich in Frankreich grundsätzlich das, was der Vertreter im Innenverhältnis zum Vertretenen darf, und das, was er im Außenverhältnis zum Dritten kann; auseinanderfallen können beide Verhältnisse nur, wenn – wie im Gesellschaftsrecht aufgrund der Publizitäts-RL (RL 68/151) – der Umfang einer Vertretungsmacht aus Verkehrsschutzgründen gesetzlich festgelegt ist. Die Unterscheidung beider Verhältnisse (Trennungsprinzip) und darauf aufbauend die Abstraktheit der Vertretungsmacht von dem Grundgeschäft (das nicht mehr zwingend ein Auftrag sein muss) geht maßgeblich auf die Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert (Rudolf von Jhering; Paul Laband) zurück. Trennungs- und Abstraktionsprinzip traten sodann einen „beispiellosen Siegeslauf in den Gesetzgebungen“ (Wolfram Müller-Freienfels) an und charakterisieren seit ADHGB und BGB das Vertretungsrecht in den modernen Kodifikationen, die jeweils gesonderte Abschnitte für die Vertretung und den Auftrag enthalten. Auch wenn das Abstraktionsprinzip selten strikt durchgehalten wird und sich die Ergebnisse nach beiden Modellen nicht grundlegend unterscheiden (s.u.), führen Trennung und Abstraktion doch zu einem höheren Maß an Gestaltungsmöglichkeiten und Regelungsklarheit: Einerseits muss sich der Rechtsverkehr nur mit dem Außenverhältnis befassen, und andererseits ist auch ein Auftrag ohne jegliche Bevollmächtigung denkbar. Wo die Kodifikationen noch dem Einheits- sowie dem Kausalprinzip folgen, hat deshalb die Lehre die Trennung beider Verhältnisse vollzogen: Französische Lehrbücher enthalten jeweils einen Abschnitt zu représentation und zu mandat. Alle wichtigen Bestrebungen zur Reform des französischen Schuldrechts (1924/27, 1947, 2005 ff.) sahen eigene Abschnitte zur représentation vor. – Die geschilderte Problematik ist vor allem auf dem Kontinent von Bedeutung. Zwar werden beide Verhältnisse in der Theorie auch im englischen Recht getrennt; die allumfassende Definition der „agency“ schließt aber beide ein.
Das Europäische Privatrecht trennt Außen- und Innenverhältnis. Ausdrücklich schließen PECL und UNIDROIT PICC das Innenverhältnis von Vertreter und Vertretenem aus ihrem Anwendungsbereich aus; dem Abstraktionsprinzip folgen sie mit Einschränkungen (z.B. beim Erlöschen der Vollmacht). Auch der DCFR trennt, indem er einerseits unter dem Titel „Representation“ Vorschriften für das Außenverhältnis bereitstellt und andererseits im Teil „Mandate contracts“ (teils divergierend) das Innenverhältnis regelt. Der mandate contract ist im DCFR ein spezieller Geschäftsbesorgungsvertrag, der auf die Anbahnung oder die Vornahme eines Vertragsschlusses oder eines anderen Rechtsgeschäfts für Rechnung des Geschäftsherrn gerichtet ist. Die Handelsvertreter-RL (RL 86/653) beschränkt sich, entgegen erster Entwürfe, auf das Innenverhältnis zwischen Handelsvertreter und Geschäftsherr. Auch die Finanzmarkt-RL (RL 2004/39) hat das Innenverhältnis zum Gegenstand (Märkte für Finanzinstrumente).
3. Regelungsprobleme und ihre Lösung im Europäischen Privatrecht
In der Frage der Vertretungsmacht treffen PECL und UNIDROIT PICC weitgehend, aber nicht in allen Punkten die gleichen Regelungen; der DCFR steht mal dem einen, mal dem anderen Regelwerk näher. Seine Stellvertretungsregeln sind in der Outline Edition gegenüber den Vorschriften der Interim Outline Edition noch in mehreren Punkten verändert worden. Auch die Lösungen der nationalen Rechtsordnungen liegen, anders als zu den Wirkungen der Stellvertretung, oft nah beieinander.
a) Erteilung der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht
Rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht („Vollmacht“) kann ausdrücklich erteilt werden, sie kann sich aber auch aus den Umständen ergeben. Das ist vor allem dann der Fall, wenn dem Vertreter eine bestimmte Stellung eingeräumt wird, die den Abschluss von Geschäften für den Vertretenen mit sich bringt. In vielen Rechtsordnungen (z.B. Italien; Schweiz; Deutschland; Österreich; nordische Länder) existieren dazu besondere gesetzliche Regeln.
Während die internationalen Regelwerke die Vollmachtserteilung keinen Formerfordernissen unterwerfen, machen nationale Rechtsordnungen Ausnahmen vom Grundsatz der Formfreiheit. Um zu verhindern, dass Formgebote leerlaufen, wird verbreitet die Vollmacht pauschal derjenigen Form unterstellt, die für das vom Vertreter vorzunehmende Geschäft gilt (z.B. in Italien; Portugal; Frankreich; Österreich; trotz anderslautender BGB-Vorschrift in vielen Fällen auch in Deutschland). Zum Teil stellen Spezialnormen auch Formgebote für bestimmte Vollmachten auf: Ohne dass dies von der Verbraucherkredit-RL (RL 2008/48) gefordert würde, verlangt etwa das deutsche Recht, dass die Pflichtangaben zu einem Verbraucherkredit (Verbraucherkredit (Regelungsgrundsätze)) schon in der Vollmachtsurkunde aufgeführt sind; die Aushandlung eines Verbraucherkredits durch einen Vertreter wird so faktisch verhindert. Wo der Beweis eines Rechtsgeschäfts von der Einhaltung einer bestimmten Form abhängt, wird dieses Erfordernis auch auf die Vollmacht erstreckt (z.B. Frankreich).
b) Umfang der Vertretungsmacht
Von besonderer Bedeutung für den Rechtsverkehr ist der Umfang der Vertretungsmacht. Dieser ist im Wege der Auslegung aus Sicht des Empfängers zu ermitteln, bei einer nur dem Vertreter gegenüber erklärten Vollmacht also aus dessen Sicht. Ergänzend halten PECL, UNIDROIT PICC und DCFR den Vertreter für stillschweigend bevollmächtigt, alle Handlungen vorzunehmen, die nach den Umständen zur Erreichung der Zwecke notwendig sind, um derentwillen die Vollmacht erteilt wurde. Viele Länder kennen Vorschriften, die den Umfang der Vertretungsmacht in typischen Fällen gesetzlich festlegen und so dem Rechtsverkehr mühsame Nachforschungen ersparen (z.B. Prokurist, Handlungsbevollmächtigter, mercantile agent). Insbesondere im romanischen Rechtskreis, aber z.B. auch in Österreich, unterscheiden die Kodifikationen zum einen zwischen General- und Spezialvollmacht und zum anderen zwischen allgemein gefassten Vollmachten, die nur zu Verwaltungshandlungen berechtigen, und ausdrücklichen Vollmachten, die auch Verfügungen erlauben. Diese Differenzierungen bewirken, vor allem wenn sie zudem von einem Gebot der restriktiven Auslegung flankiert werden (Frankreich), einen vergleichsweise starken Schutz des Vertretenen, sind aber als zu kasuistisch nicht für die Übernahme in Regelwerke geeignet.
Gerade im Handelsverkehr wichtig ist die Befugnis, einen Untervertreter zu bestellen. Diese Befugnis kann auch stillschweigend eingeräumt sein, sofern dies nicht den Interessen des Vertretenen zuwiderläuft. Vielen Rechtsordnungen ist diese in PECL, UNIDROIT PICC und DCFR verankerte Regel nur indirekt zu entnehmen, wenn nämlich eine Unterbevollmächtigung grundsätzlich ausgeschlossen ist (z.B. Österreich; Niederlande; England; Schottland) oder der Vertreter für eine unbefugte Weitergabe der Vollmacht haftet (z.B. Frankreich). Ist eine Untervollmacht wirksam erteilt, treffen die Rechtsfolgen des Untervertreterhandelns unmittelbar den Geschäftsherrn.
c) Erlöschen der Vertretungsmacht; Unwiderruflichkeit
Während die PECL die Gründe für das Erlöschen der Vollmacht aufzählen, geht das Stellvertretungskapitel im DCFR nur auf die Folgen der Beendigung ein. Detailliert geregelt sind die Gründe für die Beendigung des mandate contract; deren Auswirkungen auf die Vertretungsmacht sind zwar nicht ausdrücklich angesprochen, doch ist anzunehmen, dass im Grundsatz gleichzeitig die Vertretungsmacht enden soll. Die UNIDROIT PICC regeln ebenfalls nur die Folgen der Beendigung und überlassen die Erlöschensgründe dem anwendbaren nationalen Recht. Diese Zurückhaltung wird mit Differenzen zwischen den nationalen Rechtsordnungen begründet.
Diese Differenzen sind indes nicht allzu gravierend. Wo Vollmacht und Grundgeschäft kausal verknüpft sind, endet mit dem Grundgeschäft auch die Vertretungsmacht. Doch koppeln auch Rechtsordnungen, die dem Abstraktionsprinzip folgen, Grundgeschäft und Vollmacht in ihrem Schicksal grundsätzlich aneinander. Allgemein anerkannt sind daneben Widerruf des Vollmachtgebers, Verzicht des Bevollmächtigten oder Fristablauf. Im Übrigen unterscheiden sich die Rechtsordnungen, jedoch nur in den Details: Häufig gelten auch Tod, Eintritt der Geschäftsunfähigkeit oder Insolvenz einer der Parteien als Erlöschensgründe – freilich mit der praktisch wichtigen Möglichkeit, eine postmortale Vollmacht zu erteilen.
Da das Erlöschen rein interne, für den Rechtsverkehr nicht unbedingt erkennbare Ursachen haben kann, gilt die Vertretungsmacht in Regelwerken wie nationalen Rechten gegenüber einem Dritten als fortbestehend, es sei denn, der Dritte wusste von dem Erlöschen oder hätte davon wissen müssen (Frankreich und die Schweiz fordern positive Kenntnis, doch dürften auch PECL, UNIDROIT PICC und DCFR dem Rechtsverkehr keine Erkundigungspflichten auferlegen wollen). PECL und DCFR ergänzen, dass die Kenntnis von einem Widerruf unterstellt wird, wenn dieser auf dieselbe Weise mitgeteilt oder bekanntgemacht wurde wie ursprünglich die Vollmacht (so auch z.B. das deutsche Recht).
Anders als PECL und UNIDROIT PICC spricht der DCFR auch die Unwiderruflichkeit der Vollmacht an, lässt diese aber nur bei einer entsprechenden Verpflichtung gegenüber dem Dritten zu. Die nationalen Rechtsordnungen halten eine Selbstbeschränkung des Geschäftsherrn durch Unwiderruflichkeit ganz überwiegend (Ausnahme: Schweiz) für zulässig, zum Teil sogar stillschweigend, falls die Vertretungsmacht auch im Interesse des Vertreters besteht (z.B. Frankreich; Italien; England). Jedoch kann auch eine unwiderrufliche Vollmacht widerrufen werden, wenn ein wichtiger Grund dafür besteht (z.B. Italien; Deutschland); zum Teil (z.B. in Frankreich) ist sogar der nicht gerechtfertigte Widerruf wirksam und verpflichtet lediglich zum Schadensersatz.
d) Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins
Ob jemand überhaupt Vertretungsmacht besitzt oder sich in dem ihm zugestandenen Rahmen hält, ist für den Rechtsverkehr nicht immer leicht nachprüfbar. Schwierigkeiten bestehen insbesondere dort, wo das Kausalprinzip gilt, weil jede Beschränkung im Grundverhältnis grundsätzlich auf die Vertretungsmacht durchschlägt. Überall haben sich daher Rechtsfiguren entwickelt, wonach der Dritte unter bestimmten Voraussetzungen auf den „Anschein“ einer Vertretungsmacht vertrauen darf (Duldungs- und Anscheinsvollmacht; mandat apparent; procura apparente; apparent authority). Erforderlich ist dafür erstens, dass der Vertretene durch sein Verhalten den Anschein einer Vertretungsmacht für das fragliche Geschäft geschaffen hat. Ob er dabei schuldhaft gehandelt haben muss, wird nicht einheitlich beurteilt (dafür z.B. Deutschland, Italien; dagegen z.B. Frankreich). Zweitens muss der Anschein ein berechtigtes Vertrauen des Dritten in das Bestehen von Vertretungsmacht hervorgerufen haben. Dies unter Abwägung der Interessen des Geschäftsherrn und des Dritten festzustellen, ist Aufgabe der Rechtsprechung im Einzelfall. – Entsprechende Vorschriften finden sich in PECL, UNIDROIT PICC und DCFR, die alle kein Verschulden auf Seiten des Geschäftsherrn verlangen.
Auf Rechtsfolgenseite besteht keine vergleichbare Einigkeit: PECL und DCFR auf der einen Seite behandeln die Anscheinsvollmacht als vollwertige Vollmacht (so auch z.B. deutsches, französisches, italienisches Recht). Die UNIDROIT PICC auf der anderen Seite erlauben es nur dem Dritten, nicht dem vermeintlich Vertretenen, sich auf eine Anscheinsvollmacht zu berufen (estoppel; so auch England, Schottland). Doch ist der Unterschied mehr konstruktiver Natur, da in jeder Klage des Geschäftsherrn gegen den Dritten eine Genehmigung des Vertreterhandelns liegen dürfte.
e) Handeln ohne Vertretungsmacht
Handelt der Vertreter als falsus procurator, d.h. ohne oder in Überschreitung seiner Vertretungsmacht, ohne dass die Grundsätze der Anscheinsvollmacht eingreifen, so können die Folgen seines Handelns nicht den Geschäftsherrn treffen.
(i) Überall – auch in PECL, UNIDROIT PICC und DCFR – kann er jedoch mittels Genehmigung (ratification) das Geschäft desjenigen, der als sein Vertreter aufgetreten ist, an sich ziehen. Freilich eröffnet die Genehmigungsmöglichkeit ein Potential zur Spekulation auf Kosten des Dritten. Der Dritte kann daher nach UNIDROIT PICC und DCFR (enger PECL: nur bei berechtigten Zweifeln) eine angemessene Frist für die Genehmigung setzen (so auch z.B. Deutschland; Schweiz; Niederlande; Italien; England, sogar ohne Fristsetzung; nicht aber z.B. Frankreich). Nach Ablauf der Frist betrachten die PECL die Genehmigung als erteilt. Dem widersprechen UNIDROIT PICC, DCFR und die nationalen Rechte, die dem Schweigen keinen Erklärungswert beimessen wollen und die Genehmigung als verweigert ansehen. Die Genehmigung wirkt auf den Zeitpunkt des Vertreterhandelns zurück; funktional stellt sie damit eine Form der Vertretungsmacht dar. Was mit Rechten geschieht, die Außenstehende in der Schwebezeit erworben haben, überlassen die Regelwerke dem anwendbaren nationalen Recht (wonach in der Regel erworbene Rechte bestehen bleiben).
(ii) Solange der Geschäftsherr nicht genehmigt hat, kann der Dritte, der von dem Fehlen der Vertretungsmacht nichts wusste, sich in vielen Ländern (z.B. Deutschland; Niederlande; Italien; nur eingeschränkt aber in England) durch Widerruf seiner Erklärung von dem Geschäft lösen und so den Schwebezustand aus eigener Kraft beenden. Während PECL und DCFR zu dieser Frage schweigen, ermöglichen die UNIDROIT PICC es dem Dritten, im Voraus eine Genehmigung zurückzuweisen.
(iii) Eine andere Frage ist es, ob bei Ausbleiben der Genehmigung der vollmachtlose Vertreter dem Dritten haftet. Die Regelwerke haben zu einer klaren Antwort gefunden: Wenn der Dritte von dem Fehlen der Vollmacht wusste oder hätte wissen müssen (UNIDROIT PICC, DCFR) bzw. nicht in Unkenntnis darüber sein konnte (PECL), besteht keine Ersatzpflicht (Bsp.: abgesprochene vollmachtlose Vertretung). Im Übrigen haftet der falsus procurator dem Dritten in dem Umfang auf Schadensersatz, dass dieser so gestellt wird, als hätte der Vertreter mit Vertretungsmacht gehandelt. Diese Interessenabwägung beruht auf dem Gedanken, dass jemand, der als Vertreter auftritt, das Bestehen seiner Vertretungsmacht garantiert und nur das Erfüllungsinteresse die legitimen Erwartungen des Dritten hinreichend berücksichtigt. Während alle nationalen Rechtsordnungen anerkennen, dass im Falle der Kenntnis bzw. Erkennbarkeit keine Haftung besteht (Schweiz: geteilte Haftung bei Erkennbarkeit), machen sie im Übrigen Unterschiede. Der Lösung der Regelwerke entsprechen z.B. das englische oder das niederländische Recht. Doch sehen mehrere Rechtsordnungen in dem Verhalten des Vertreters keine Garantieübernahme, sondern eine vorvertragliche Pflichtverletzung (z.B. Italien, Österreich) oder ein Delikt (z.B. Frankreich) und ersetzen deshalb (verschuldensabhängig) generell nur den Vertrauensschaden, es sei denn, der Vertreter hat ausdrücklich das Bestehen von Vertretungsmacht zugesichert (promesse de porte-fort im französischen Recht). Ein Mittelweg differenziert je nachdem, ob der Vertreter wusste, dass ihm die erforderliche Vertretungsmacht fehlte: Ohne Kenntnis haftet er auf das Vertrauensinteresse, anderenfalls auf das Erfüllungsinteresse (bzw. schuldet sogar Erfüllung, so in Deutschland; Erfüllungsinteresse nach Ermessen des Richters in der Schweiz).
f) Interessenkonflikte
Auf das Konfliktpotential, das sich aus der Stellung des Vertreters zwischen den eigentlich zu verfolgenden Interessen des Geschäftsherrn einerseits und den eigenen Interessen oder den Interessen des Dritten andererseits ergibt, angemessen zu reagieren, stellt für Regelwerke zum Europäischen Privatrecht angesichts divergierender nationaler Rechte keine einfache Aufgabe dar. Divergenzen bestehen hinsichtlich der Voraussetzungen: Soll etwa maßgeblich sein, ob sich der Vertreter tatsächlich in einem Interessenkonflikt befand (England; Italien; Schweiz), oder soll es formal auf das Vorliegen einer bestimmten Konstellation wie Insichgeschäft oder Mehrvertretung ankommen (Deutschland; Niederlande)? Soll auch der Missbrauch der Vertretungsmacht, d.h. das (eigentlich nur unter dem Abstraktionsprinzip, jedoch auch nach equity sowie bei gesetzlich umrissenem Umfang der Vertretungsmacht denkbare) Überschreiten nur im Innenverhältnis bestehender Grenzen, als sonstiger Treueverstoß unter die allgemeine Regel für Interessenkonflikte fallen? Soll dies stets gelten oder nur bei Erkennbarkeit? Divergenzen bestehen aber auch hinsichtlich der Rechtsfolgen: Soll der Interessenkonflikt den Geschäftsherrn zur Anfechtung berechtigen (England; Italien), oder soll er zur Unwirksamkeit des Geschäfts mit Genehmigungsmöglichkeit führen (Deutschland; Niederlande)? Mancherorts (Frankreich) haben sich überdies noch keine klaren Regeln zum Interessenkonflikt herausgebildet. Trotz aller Divergenzen ist aber eine Tendenz zu einer Materialisierung der einschlägigen Regeln festzustellen.
Diese Tendenz nehmen die Regelwerke auf. Zum Schutz des Geschäftsherrn hat dieser ein Anfechtungsrecht, wenn ein von einem Vertreter geschlossener Vertrag den Vertreter in einen Interessenkonflikt verwickelt, von dem die andere Partei wusste oder hätte wissen müssen (UNIDROIT PICC, DCFR) bzw. über den sie nicht in Unkenntnis sein konnte (PECL). PECL und DCFR präzisieren die Grundregel mit zwei widerleglichen Vermutungen eines Interessenkonflikts (Insichgeschäft und Mehrvertretung). Die DCFR-Vorschriften zum mandate contract enthalten zusätzlich detaillierte Regeln zur Zulässigkeit von Insichgeschäft und Mehrvertretung im Innenverhältnis; in diesem Umfang wird auch im Außenverhältnis die Anfechtung versagt. Weiterhin ist das Anfechtungsrecht nach allen drei Regelwerken ausgeschlossen erstens, wenn der Geschäftsherr dem Vertreterhandeln zugestimmt hatte oder davon wusste oder hätte wissen müssen, oder zweitens, wenn der Vertreter den Interessenkonflikt offengelegt und der Vertretene nicht in angemessener Zeit widersprochen hat.
4. Einheitsrecht
Gemeinschaftsprivatrecht zur Vertretungsmacht existiert kaum (zur Publizitäts-RL s.o.). Die Vorschriften des Genfer Übereinkommens entsprechen im Wesentlichen den UNIDROIT PICC. Zum IPR der Vertretungsmacht siehe Stellvertretung (IPR).
Literatur
Ulrich Müller, Die Entwicklung der direkten Stellvertretung und des Vertrages zugunsten Dritter, 1969; Wolfram Müller-Freienfels, Stellvertretungsregelungen in Einheit und Vielfalt: Rechtsvergleichende Studien zur Stellvertretung, 1982; Hein Kötz, Europäisches Vertragsrecht, Bd. I, 1996, 334 ff.; Jens Kleinschmidt, Stellvertretungsrecht in Deutschland und Frankreich: Perspektiven für eine Rechtsvereinheitlichung, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 9 (2001) 697 ff.; Michael Joachim Bonell, Agency, in: Arthur Hartkamp, Martijn Hesselink, Ewoud Hondius, Carla Joustra, Edgar du Perron, Muriel Veldman (Hg.), Towards a European Civil Code, 3. Aufl. 2004, 381 ff.; Howard Bennett, Agency in the Principles of European Contract Law and the UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (2004), Uniform Law Review 2006, 771 ff.; Stephan Festner, Interessenkonflikte im deutschen und englischen Vertretungsrecht, 2006; Danny Busch, Laura J. Macgregor (Hg.), The Unauthorised Agent: Perspectives from European and Comparative Law, 2009; Filippo Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. 2009, 461 ff.; Beiträge von Reinhard Zimmermann, Danny Busch, Laura J. Macgregor, Francis Reynolds, Deborah Demott und Rick Verhagen in European Review of Private Law, Heft 6/2009.