Scheidung: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 18:02 Uhr

von Dieter Martiny

1. Begriff und Zulässigkeit der Ehescheidung

Die Ehescheidung ist eine Art der Eheauflösung; die Ehe wird ex nunc aufgelöst. Das kanonische Recht kannte nur eine Eheannullation sowie eine Trennung von Tisch und Bett (separatio a mensa et thoro), d.h. eine Entscheidung, welche zwar nicht das Eheband selbst, wohl aber das eheliche Zusammenleben aufhob. Nach protestantischer Vorstellung war hingegen eine Verschuldensscheidung möglich. Trotz zwischenzeitlicher Erleichterung der Ehe unter naturrechtlichem Einfluss (etwa im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten) hat eine restriktive Haltung gegenüber der Ehescheidung das Recht vieler Länder bis in die jüngste Vergangenheit geprägt. Das italienische Scheidungsgesetz von 1970 bezeichnet die Scheidung nach wie vor lediglich als scioglimento del matrimonio (Auflösung der Ehe). Nachdem auch Irland 1997 die Ehescheidung zugelassen hat, ist heute die Zulässigkeit der Ehescheidung die Regel. Mit Ausnahme von Malta kennen alle EU-Staaten eine Ehescheidung.

Als Vorstufe, aber auch als Alternative zur Ehescheidung stellt eine Reihe von Rechtsordnungen eine eigenständige Ehetrennung (Trennung von Tisch und Bett) (z.B. Frankreich, Italien, Niederlande, Polen) zur Verfügung. Diese lässt zwar das Eheband bestehen, berechtigt aber zum Getrenntleben und zieht güterrechtliche Konsequenzen nach sich. Auch England kennt neben divorce eine judicial separation (sec. 17 ff Matrimonial Causes Act 1973).

Gesamtgesellschaftlich besteht heute überall eine Tendenz zur Zunahme von Scheidungen, allenfalls dadurch gebremst, dass mit der Ehe zunehmend die nichteheliche Lebensgemeinschaft konkurriert. Dem entspricht in der Gesetzgebung die Erleichterung der Ehescheidung. Vielfach stehen nicht mehr die Voraussetzungen der Ehescheidung selbst, sondern die Scheidungsfolgen, der Ausgleich ehebedingter Nachteile und das Wohl der von der Scheidung betroffenen Kinder im Mittelpunkt des Interesses. Dem Bestreben nach Entdramatisierung entspricht einerseits die Erleichterung der Scheidungsverfahren, andererseits aber auch die zunehmende Nutzung von Mediation.

Bezüglich der Ehescheidung ist kein Einheitsrecht entwickelt worden, doch besteht ein europäischer Trend zur Erleichterung der Ehescheidung. Das europäische internationale Familienrecht verfügt noch nicht über Kollisionsnormen in Ehesachen. Allerdings ist bereits das internationale Verfahrensrecht für die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes sowie die Ungültigerklärung einer Ehe in der Brüssel IIa-VO (VO 2201/‌2003) geregelt. Die wissenschaftliche Kommission für Europäisches Familienrecht (Commission on European Family Law; CEFL) hat Principles of European Family Law betreffend Ehescheidung und nachehelichen Unterhalt aufgestellt (2004). Diese nehmen für sich in Anspruch, einerseits neuere Tendenzen widerzuspiegeln, andererseits aber auch eigenständige Lösungen vorzuschlagen.

2. Arten der Ehescheidung

Die Ehescheidungen lassen sich nach Scheidungsart und Scheidungsgründen unterscheiden. Die Ehescheidung erfolgt im Allgemeinen durch ein gerichtliches Urteil im Rahmen eines (familien‑)gerichtlichen Verfahrens. Nach den CEFL-Principles wird die Ehescheidung von der zuständigen Behörde ausgesprochen, die entweder ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde ist (Personenstandswesen). Eine Ehescheidung allein durch vertragliche Vereinbarung der Ehegatten oder einseitigen Akt (talaq nach islamischem Recht, get nach jüdischem Recht) ist den europäischen Rechtsordnungen unbekannt. Allerdings kann teilweise eine Ehescheidung bei kinderlosen Ehen allein durch behördliche Registrierung erfolgen (Portugal, Russland).

Einige Rechtsordnungen lassen auch eine einverständliche Scheidung zu. Verbreitet sind vor allem die Zerrüttungsscheidung sowie die Verschuldensscheidung. Manche Rechtsordnungen kennen mehrere Scheidungsarten nebeneinander (z.B. Frankreich, Österreich). Auch die CEFL-Principles sehen mehrere Scheidungsformen vor, nämlich eine einverständliche Scheidung sowie eine Scheidung ohne Einverständnis des anderen Ehegatten (Principle 1:3).

3. Einverständliche Scheidung

Eine einverständliche Ehescheidung, bei der – außer dem Konsens der Ehegatten – keine weiteren Gründe vorgetragen werden müssen, wird von einigen Rechtsordnungen (z.B. Frankreich, Österreich) gestattet. In Deutschland ist zwar keine einverständliche Ehescheidung zugelassen. Doch besteht bei Einigkeit der Ehegatten eine Erleichterung, indem das Scheitern der Ehe unwiderleglich vermutet wird.

Die CEFL-Principles gestatten die Ehescheidung auf Grund eines gegenseitigen Einverständnisses der Ehegatten. Das Einhalten einer tatsächlichen Trennungszeit ist nicht erforderlich. Ein gegenseitiges Einverständnis liegt vor, wenn die Ehegatten Übereinstimmung über die Auflösung ihrer Ehe erzielt haben. Diese Übereinstimmung kann entweder durch einen gemeinsamen Antrag der Ehegatten oder durch einen Antrag nur eines von ihnen mit Zustimmung des anderen Ehegatten ausgedrückt werden (Principle 1:4). Damit wird der Tendenz Rechnung getragen, dass, selbst wenn die nationalen Rechtsordnungen das Einverständnis der Ehegatten nur für den Nachweis von Zerrüttung heranziehen, doch dem Einverständnis der Ehegatten zunehmend Beachtung geschenkt wird.

Eine gewisse Erschwerung bildet nach den CEFL-Principles jedoch das – vom finnischen und schwedischen Recht inspirierte – Einhalten einer Überlegungsfrist. Haben die Ehegatten bei Einleitung des Scheidungsverfahrens Kinder unter sechzehn Jahre und haben sie sich über alle Scheidungsfolgen (Elterliche Verantwortung ; Unterhalt; Vermögensauseinandersetzung &#91Ehegüterrecht ]) geeinigt, so gilt eine dreimonatige Überlegungsfrist, bevor die Scheidung ausgesprochen werden kann. Haben sie sich nicht über alle Folgen geeinigt, so ist eine sechsmonatige Überlegungsfrist zu beachten (Principle 1:5).

Haben die Ehegatten bei Einleitung des Scheidungsverfahrens keine Kinder unter sechzehn Jahre und haben sie sich auf die güterrechtlichen und unterhaltsrechtlichen Folgen geeinigt, so ist keine Überlegungsfrist zu beachten. Haben sie sich nicht über alle Folgen geeinigt, so gilt eine dreimonatige Überlegungsfrist. Keine Frist besteht dann, wenn die Ehegatten bei Einleitung des Scheidungsverfahrens seit sechs Monaten tatsächlich getrennt leben (Principle 1:5).

Die CEFL-Principles sehen bezüglich der Scheidungsfolgen die Möglichkeit von Vereinbarungen vor. Solche Abreden können sich beziehen auf die elterliche Verantwortung, soweit notwendig, einschließlich der Regelung des Aufenthalts und des Umgangs bezüglich der Kinder, den Kindesunterhalt, die Teilung oder Umverteilung von Vermögen und den nachehelichen Unterhalt. Eine derartige Vereinbarung bedarf der Schriftform (Principle 1:6).

Im Übrigen ist eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung über die Folgen vorgesehen. Die zuständige Behörde entscheidet über die elterliche Verantwortung und den Kindesunterhalt. Dabei ist jede zulässige Vereinbarung der Ehegatten in Betracht zu ziehen, soweit sie dem Wohl des Kindes entspricht. Die zuständige Behörde überprüft zumindest die Gültigkeit der Vereinbarung bezüglich Vermögensausgleich und nachehelichem Unterhalt.

Haben die Ehegatten keine oder nur eine teilweise Vereinbarung bezüglich Vermögensauseinandersetzung und nachehelichem Unterhalt erzielt, so kann die zuständige Behörde über diese Folgen entscheiden (Principle 1:7). Die CEFL-Principles wollen daher auch dann, wenn den Ehegatten keine oder nur eine teilweise Vereinbarung bezüglich der Folgen gelingt, noch eine einverständliche Scheidung zulassen.

4. Scheidung ohne Einverständnis des anderen Ehegatten

Problematisch ist nach wie vor die Ehescheidung auf Verlangen nur eines der Ehegatten. Häufig wird von den nationalen Rechtsordnungen eine Zerrüttungsscheidung zugelassen, die auf einem Scheitern bzw. einer unheilbaren Zerrüttung – in England irretrievable breakdown (sec. 1 Matrimonial Causes Act 1973) – der Ehe beruht. Auf eine Zerrüttung wird vor allem aus dem Ablauf bestimmter Trennungsfristen geschlossen. Deutschland verlangt grundsätzlich eine einjährige Trennung. Eine Scheidung nach einer kürzeren Trennung ist nur bei einer unzumutbaren Härte möglich (§ 1565 Abs. 2 BGB); bei dreijähriger Trennung wird das Scheitern der Ehe unwiderlegbar vermutet (§ 1566 Abs. 2 BGB). Auch andere Rechtsordnungen verlangen für einzelne Scheidungsarten drei Jahre (z.B. § 55 österreich. Ehegesetz für die Scheidung wegen Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft). Finnland und Schweden verlangen bei der streitigen Scheidung keine Trennungszeit, sie honorieren bereits den einseitigen Scheidungswunsch, kennen aber eine während des Scheidungsverfahrens einzuhaltende Überlegungsfrist, ehe die Ehescheidung ausgesprochen wird (sechs Monate). Eine verhältnismäßig lange Trennungszeit von regelmäßig drei Jahren verlangt stets Italien, von vier Jahren Irland.

Auch die CEFL-Principles kennen eine Scheidung ohne Einverständnis des anderen Ehegatten. Sie verlangen allerdings nicht ausdrücklich eine Zerrüttung. Stattdessen ist maßgebliches Kriterium allein tatsächliche Trennung. Eine Scheidung ohne Einverständnis des anderen Ehegatten ist gestattet, wenn die Ehegatten seit einem Jahr tatsächlich getrennt leben (Principle 1:8). Dies ist eine erhebliche Erleichterung der Scheidung im Vergleich zu den bestehenden Trennungszeiten der meisten nationalen Rechtsordnungen. Sie zieht aber nur die Konsequenz daraus, dass die nationalen Rechte heute vielfach auf einen eigentlichen Nachweis der Zerrüttung bereits verzichten.

Die CEFL-Principles kennen ferner, insoweit in Einklang mit der Mehrheit der europäischen Rechtsordnungen, einen die Scheidung erleichternden besonderen Härtegrund. In Fällen außergewöhnlicher Härte für den Antragssteller, etwa bei Misshandlungen, kann die zuständige Behörde die Ehescheidung aussprechen, obwohl die Ehegatten noch nicht seit einem Jahr getrennt leben (Principle 1:9). Die europäischen Rechtsordnungen gehen im Allgemeinen auch davon aus, dass es in bestimmten Fällen grob unbillig wäre, eine Scheidung zu gewähren. Dementsprechend ist eine scheidungsausschließende Härteklausel trotz Scheitern der Ehe teilweise bekannt (z.B. in § 1568 BGB). Insgesamt besteht eine Tendenz zu einem nur zurückhaltenden Gebrauchmachen von der Härteklausel. Die CEFL-Principles verzichten auf eine solche Klausel.

5. Verschuldensscheidung

Die früher dominierende Verschuldensscheidung, die nach einem ehelichen Fehlverhalten eines oder beider Ehegatten ausgesprochen wird, ist zwar noch mehreren Rechtsordnungen als eine von mehreren Scheidungsarten weiterhin bekannt (etwa in Frankreich Art. 242 Code civil; in Österreich § 49 Ehegesetz). Sie wird jedoch immer mehr zurückgedrängt und ist vielen Rechtsordnungen nicht mehr bekannt. Auch die CEFL-Principles sehen keine Verschuldensscheidung vor.

6. Folgen der Scheidung

Die Folgen der Ehescheidung sind zunehmend unabhängig von der Art der Scheidung und von der Schuld am Scheitern der Ehe. Zu den Scheidungsfolgen gehört insbesondere eine güterrechtliche Auseinandersetzung, die an den jeweiligen Güterstand anknüpft. Ist, wie etwa in Frankreich und Italien die Errungenschaftsgemeinschaft der gesetzliche Güterstand, so erfolgt eine Teilung des Vermögens mit eventuellem Ausgleich. Ebenfalls zu einem Ausgleich führt die für die nordischen Staaten typische herausgeschobene Gütergemeinschaft. Andere Systeme gehen von einer Gütertrennung während der Ehe und einem späteren Ausgleich aus (so die deutsche und die griechische Zugewinngemeinschaft sowie die schweizerische Errungenschaftsbeteiligung). Nach englischem Recht bestehen zwar keine güterrechtlichen Ansprüche, doch kann eine richterliche Verteilung auch von marital assets erfolgen (sec. 21 Matrimonial Causes Act 1973). Ganz überwiegend unterscheiden die Rechtsordnungen aber zwischen der Vermögensauseinandersetzung und der Gewährung von nachehelichem Unterhalt. Zu den Scheidungsfolgen gehört auch eine Regelung bezüglich der Familienwohnung.

Teilweise erfolgt bei Scheidung ein gesonderter Ausgleich von während der Ehe erworbenen Versorgungsrechten und Anwartschaften (Deutschland, Niederlande, Schweiz). Andere Rechtsordnungen beziehen Versorgungsrechte und ‑anwartschaften in die güterrechtliche Auseinandersetzung mit ein (z.B. Frankreich) bzw. erlauben pension sharing orders (sec. 21A Matrimonial Causes Act 1973).

Die Ehescheidung führt auch zu Folgen für die Kinder. Erforderlich sind die Regelung der elterlichen Verantwortung (insbesondere Sorgerecht und Umgangsrecht) sowie des Unterhalts. Gerade hier zeigt sich auch das Bestreben, die Scheidungsfolgen soweit wie möglich in das Scheidungsverfahren einzubeziehen und bereits in diesem Stadium eine tragfähige Lösung für die Zukunft zu erreichen.

Auch die CEFL-Principles wollen für die wichtigsten Fragen eine Entscheidung über die Folgen sichern. Soweit notwendig, soll die zuständige Behörde über die elterliche Verantwortung, einschließlich der Regelung des Aufenthalts und des Umgangs bezüglich der Kinder entscheiden. Ferner soll, ebenfalls im Einklang mit den nationalen Rechtsordnungen, eine Regelung für den Kindesunterhalt erfolgen. Auch insoweit sollen Vereinbarungen der Eltern möglich sein und in Betracht gezogen werden, allerdings nur, soweit sie dem auch hier dominierenden Wohl des Kindes entsprechen (Principle 1:10).

Bei oder nach der Ehescheidung kann die zuständige Behörde auch über die wirtschaftlichen Folgen für die Ehegatten entscheiden. Dabei zieht sie eine zulässige Vereinbarung der Ehegatten in Betracht (Principle 1:10). Damit ist das Gericht nicht nur darauf beschränkt, die Vereinbarung zur Kenntnis zu nehmen, sondern genießt ein beschränktes Überprüfungsrecht. Im Übrigen wird die umfangreiche Problematik der Zulässigkeit und Inhaltskontrolle von Vereinbarungen der Ehegatten nicht näher behandelt.

Literatur

Anders Agell, Nordisk äktenskapsrätt: en jämförande studie av dansk, finsk, isländsk, norsk och svensk rätt med diskussion av reformbehov och harmoniseringsmöjligheter, Nordiska Ministerrådet, 2003; Sibylle Hofer, Dieter Schwab, Dieter Henrich (Hg.), Scheidung und nachehelicher Unterhalt im europäischen Vergleich, 2003; Katharina Boele-Woelki, Walter Pintens, Frédérique Ferrand, Cristina Gonzalez Beilfuss, Maarit Jänterä-Jareborg, Nigel Lowe, Dieter Martiny, Principles of European Family Law Regarding Divorce and Maintenance Between Former Spouses, 2004; Masha Antokolskaia, Convergence and divergence of divorce laws in Europe, Child and Family Law Quarterly 2006, 307 ff.; Katharina Boele-Woelki, Dieter Martiny, Prinzipien zum Europäischen Familienrecht betreffend Ehescheidung und nachehelicher Unterhalt, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 14 (2006) 6 ff.; Rembert Süß, Gerhard Ring (Hg.), Eherecht in Europa, 2006; Ole Lando, Trends towards convergence of marriage and divorce law, in: Paul Demaret, Inge Govaere, Dominik Hanf (Hg.), European legal dynamics, 2007, 266 ff.; Bea Verschraegen, Moving to the Same Destination? Recent Trends in the Law of Divorce, in: Masha Antokolskaia (Hg.), Convergence and Divergence of Family Law in Europe, 2007, 159 ff.; Alexander Bergman, Murad Ferid, Dieter Henrich (Hg.), Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht mit Staatsangehörigkeitsrecht, 20 Bde. (Loseblatt).

Abgerufen von Scheidung – HWB-EuP 2009 am 24. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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