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Aktuelle Version vom 28. September 2021, 17:45 Uhr
1. Gegenstand und Zweck
Das Rechtsgeschäft ist das rechtstechnische Mittel zur Verwirklichung der Privatautonomie (Vertragsfreiheit (Privatautonomie)), dem „Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen“ (Werner Flume). Die konkreten Erscheinungsformen von Rechtsgeschäften sind mannigfaltig: schuldrechtliche Verträge, sachenrechtliche Verfügungen, Eheschließungen, Testamente, Beschlüsse der Organe juristischer Personen etc. Das Rechtsgeschäft ist folglich der Oberbegriff für alle Tatbestände, in denen die Rechtsordnung den Rechtssubjekten gestattet, in Ausübung ihrer Selbstbestimmung Rechtsfolgen zu setzen.
Obwohl das Rechtsgeschäft zu den zentralen Begriffen des BGB gehört, hatten dessen Verfasser auf eine gesetzliche Definition bewusst verzichtet. Eine Begriffsbestimmung enthielten aber die Materialien. Rechtsgeschäft „im Sinne des Entwurfs“ war danach eine „Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, der nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist“ (Motive I, 126). Ähnlich definiert das neue Burgerlijk Wetboek in Art. 3:33 den Begriff der „rechtshandeling“: „Een rechtshandeling vereist een op een rechtsvolg gerichte will die zich door een verklaring heeft geopenbaard.“ Das internationale Schrifttum ist sich über die Kernelemente des Rechtsgeschäfts jedenfalls einig: Diese bestehen in der Erklärung eines Rechtsfolgewillens durch die Partei(en) und der Anerkennung dieses Willens durch die Rechtsordnung. Nach diesem Verständnis sind die Begriffe Rechtsgeschäft und Willenserklärung also untrennbar miteinander verbunden, sie beschreiben einen identischen Lebenssachverhalt nur aus unterschiedlicher Perspektive: Die Willenserklärung ist das menschliche Handeln, das auf die Setzung von Rechtsfolgen zielt, das Rechtsgeschäft ist die Anerkennung dieses Handelns durch die Rechtsordnung (evtl. nach Hinzutreten weiterer tatbestandlicher Voraussetzungen wie der Eintragung einer Transaktion ins Grundbuch). Die Willenserklärung ist somit das Mittel zum Rechtsgeschäft, das wiederum das Mittel zur Privatautonomie ist. Rechtsgeschäfte ohne mindestens eine Willenserklärung sind nach diesem Verständnis nicht denkbar.
Rechtsgeschäfte bilden eine Unterkategorie in der Gruppe der „Rechtshandlungen“, die alle Tatbestände versammelt, die Rechtsfolgen an ein erlaubtes menschliches Tun knüpfen. Von den übrigen Tatbeständen dieser Gruppe unterscheiden sich die Rechtsgeschäfte durch das Erfordernis des Rechtsfolgewillens. So ist im deutschen Recht etwa die Mahnung (§ 284 BGB) nach h.L. kein Rechtsgeschäft, da für den Eintritt des Verzugs nicht erforderlich ist, dass der Mahnende mit entsprechendem Rechtsfolgewillen handelt. Die Unterscheidung zwischen Rechtsgeschäften und anderen erlaubten Rechtshandlungen ist praktisch bedeutsam, denn zumeist stellt eine Rechtsordnung nur Vorschriften über Rechtsgeschäfte als der wichtigsten Handlungsform auf. Dann stellt sich die Frage, welchen Regeln die übrigen Tatbestände unterworfen sind, etwa ob für ihre wirksame Vornahme Geschäftsfähigkeit erforderlich ist (Erfüllung).
2. Begriffsgeschichte
Die Begriffe Rechtsgeschäft und Willenserklärung haben ihre Wurzeln nicht im römischen Recht, das die Ausdrücke actus, negotium und declaratio voluntatis nur in untechnischer Weise verwendete, sondern sind eine Schöpfung des Vernunftrechts (Naturrecht). Daniel Nettelbladt thematisierte in seinem „Systema elementare universae iurisprudentiae positivae“ (1748) erstmals das Element des Rechtsfolgewillens, verlieh den Begriffen Rechtsgeschäft und Willenserklärung aber noch keine klaren Konturen. Das preußische ALR widmete der „Willenserklärung“ den vierten Titel des Ersten Teils, verzichtete aber auf die Kategorie des Rechtsgeschäfts. Die anderen naturrechtlichen Gesetzbücher (Kodifikation), der Code civil und das ABGB, kannten keine der beiden Figuren. Die deutsche gemeinrechtliche Jurisprudenz des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts machte das Rechtsgeschäft und die Willenserklärung in zunehmendem Maße zu Zentralbegriffen des Allgemeinen Teils des Privatrechts. Ihre klassische Ausprägung erfuhr die Rechtsgeschäftslehre durch Friedrich Carl von Savigny. Er verwendete die Kategorien Rechtsgeschäft und Willenserklärung synonym, stellte aber das Willensmoment ins Zentrum seiner Darstellung (Band III des „System des heutigen Römischen Rechts“ [1840]). Auf Bernhard Windscheid geht die eingangs genannte Definition des Rechtsgeschäfts durch die Erste Kommission zurück.
3. Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre
Die Rechtsgeschäftslehre behandelt keine anderen Fragen als die Lehren der einzelnen rechtsgeschäftlichen Aktstypen, sie bewegt sich dabei nur auf einer höheren Abstraktionsebene. Wo sich also die Rechtsgeschäftslehre mit dem Zustandekommen, der Gültigkeit und der Auslegung von Rechtsgeschäften befasst, behandelt eine Rechtsordnung, die den Begriff des Rechtsgeschäfts nicht kennt, dieselben Fragen vor allem im Rahmen der allgemeinen Vertragslehre (Unwirksamkeit; Auslegung von Verträgen).
Eine Grundkontroverse der Rechtsgeschäftslehre, die ihren Ausgangspunkt im 19. Jahrhundert hat und bis heute nicht beigelegt ist, betrifft die Frage nach dem Geltungsgrund rechtsgeschäftlichen Handelns. Nach der ursprünglichen, maßgeblich von Savigny geprägten Sichtweise, beruht die Geltung eines Rechtsgeschäfts allein auf dem Willen des Erklärenden (sog. „Willenstheorie“). Wo dieser Wille fehlt oder nur unvollkommen zum Ausdruck gebracht wird, kann folglich auch keine rechtsgeschäftliche Bindung eintreten. Seit Ende des 19. Jahrhunderts hat sich zunehmend aber die Zahl der Stimmen vermehrt, die den Geltungsgrund für rechtsgeschäftliches Handeln daneben oder sogar vorrangig in dem Vertrauen sehen, das der Rechtsverkehr redlicherweise in eine Erklärung oder ein Verhalten setzt (sog. „Erklärungs-“ oder „Vertrauenstheorie“). Dem Streit kommt hohe praktische Relevanz für die Wirksamkeitsvoraussetzungen, die Auslegung und die Anfechtbarkeit von Willenserklärungen zu. Das BGB hat sich in diesen Fragen um einen vermittelnden Standpunkt bemüht. So behandelt es auch die auf einem Irrtum beruhende Willenserklärung als wirksam, gestattet dem Erklärenden aber unter bestimmten Voraussetzungen die Anfechtung (unter Verpflichtung zum Schadensersatz, §§ 119 ff. BGB). Viele Fragen sind aber nach wie vor ungeklärt, so etwa, ob die während der letzten Jahrzehnte stetig ausgebaute „Vertrauenshaftung“ eine rechtsgeschäftliche oder eine gesetzliche Haftung ist. Gestritten wird dabei allerdings meist weniger um die Ergebnisse, als um die dogmatische Konstruktion.
Im 20. Jahrhundert wurde die Rechtsgeschäftslehre vor allem durch den wirtschaftlichen Massenverkehr vor neue Herausforderungen gestellt. So schien es z.B. bei der Inanspruchnahme öffentlich bereitgestellter Leistungen wie Verkehrsmitteln in vielen Fällen an der Abgabe von Willenserklärungen und damit an der Begründung eines Vertragsverhältnisses zu fehlen. Zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse entwickelte das Schrifttum die Lehre vom „faktischen Vertrag“, nach der ein Vertrag nicht nur durch Willenserklärungen, sondern auch durch „sozialtypisches Verhalten“ begründet werden konnte. Praktisch bedeutsame Folge war, dass etwa die Regelungen zur Geschäftsfähigkeit und zu den Willensmängeln keine Anwendung finden sollten. Die Lehre vom „faktischen Vertrag“ fand bald auch Eingang in die höchstrichterliche Rechtsprechung. Sie gilt nach heftiger Kritik aus dem Schrifttum, das auf ihre Unvereinbarkeit mit dem Grundsatz der Privatautonomie hinwies, heute aber als überwunden. Die genannten Konstellationen werden nun über die Figur der konkludenten Willenserklärung als normale Rechtsgeschäfte behandelt oder mittels des außervertraglichen Schuldrechts einer angemessenen Lösung zugeführt.
Große Schwierigkeiten bereitete der Rechtswissenschaft zwischenzeitlich auch die Behandlung von [Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die Integration dieser Problematik in die Rechtsgeschäftslehre gilt heute als gelungen, doch werden Modifikationen der allgemeinen Regeln für erforderlich gehalten, etwa bei den Anforderungen an die wirksame Einbeziehung oder den Rechtsfolgen einer Teilunwirksamkeit.
4. Der Begriff des Rechtsgeschäfts in den europäischen Rechtsordnungen
Untersucht man die Rolle des Rechtsgeschäfts in den europäischen Rechtsordnungen, so gilt es, Gesetz und Wissenschaft streng von einander zu unterscheiden. Auf der gesetzlichen Ebene sind in Europa zwei verschiedene Grundmodelle anzutreffen: Das eine Modell macht den Begriff des Rechtsgeschäfts zum Anknüpfungspunkt für eine Vielzahl von Regelungen zur Ausübung der Privatautonomie. Diese stehen typischerweise innerhalb des Allgemeinen Teils des Gesetzbuches und gelten – unter dem Vorbehalt von Ausnahmen – für alle rechtsgeschäftlichen Tatbestände, also für Verträge, Verfügungen, Testamente etc. Es ist dies der Weg, den das BGB und in dessen Folge etwa auch das griechische Zivilgesetzbuch, das portugiesische Zivilgesetzbuch (1966) und das polnische Zivilgesetzbuch gegangen sind. Auch das Burgerlijk Wetboek zählt zu dieser Gruppe, wenngleich die Regelungen zur „rechtshandeling“ nur für das Vermögensrecht gelten (nach Art. 3:59 BW finden sie außerhalb des Vermögensrechts aber entsprechende Anwendung).
Das andere Modell verzichtet vollständig auf die Begriffe Rechtsgeschäft und Willenserklärung und regelt nur die konkreten privatautonomen Aktstypen, am ausführlichsten typischerweise den schuldrechtlichen Vertrag. Diese Regelungstechnik findet sich etwa im französischen Code civil und in den von ihm beeinflussten Rechtsordnungen (Código civil), ebenso im schweizerischen ZGB und im Codice civile. Zur Vermeidung von Regelungslücken und ständigen Wiederholungen erstrecken diese Zivilgesetzbücher die Regelungen zum Vertrag häufig durch Verweisung auf andere Rechtsgeschäfte (so sehr weitgehend Art. 7 schweiz. ZGB; Art. 1324 Codice civile beschränkt dagegen die Verweisung auf vermögensrechtliche Handlungen unter Lebenden; Allgemeiner Teil).
Auf der Ebene der Rechtsdogmatik sind die Unterschiede zwischen den europäischen Rechtsordnungen deutlich geringer. Denn auch dort, wo die Kategorie des Rechtsgeschäfts nicht im Gesetz steht, ist sie meist ein zentraler Begriff in der Dogmatik. Dies gilt in sehr ausgeprägtem Maße etwa für die Kategorie des „negozio giuridico“ in der italienischen Rechtswissenschaft. In Frankreich hat vor allem Raymond Saleilles mit seinen Arbeiten zum deutschen Recht einer umfangreichen Rezeption der Rechtsgeschäftslehre den Weg geebnet. Wie fest der Begriff des acte juridique in der heutigen französischen Zivilistik verwurzelt ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass es bereits verschiedene Male den Versuch gegeben hat, ihn im Code civil zu verankern, so auch beim aktuellen Entwurf zur Reform des französischen Vertragsrechts, In Österreich war es Joseph Unger, der die umfassende Rezeption der Rechtsgeschäftslehre ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einleitete. Als ein Ergebnis dieses Prozesses wurde mit der dritten Teilnovelle des ABGB im Jahr 1916 der Begriff des Rechtsgeschäfts auch gesetzlich verankert (§§ 859 ff. ABGB, die allerdings nur das Schuldrecht betreffen).
Auch im englischen Recht hat es immer wieder Versuche einzelner Autoren gegeben, den juridical oder juristic act als Kategorie im Sinne des Rechtsgeschäfts zu etablieren. Angesichts des wenig systematischen Charakters der englischen Rechtswissenschaft ist der fehlende Erfolg dieser Bemühungen aber nicht überraschend. Denn ein Bedürfnis für einen Begriff wie den des Rechtsgeschäfts kann sich erst dort einstellen, wo verschiedene Rechtsbereiche in der Gesamtschau betrachtet werden.
5. Der Begriff des Rechtsgeschäfts in den europäischen Vereinheitlichungsprojekten
Solange sich die Projekte zur europäischen Rechtsvereinheitlichung nur mit einzelnen Bereichen des Privatrechts beschäftigen, ergibt der Gebrauch der Kategorie des Rechtsgeschäfts noch wenig Sinn. Dementsprechend machen die Principles of European Contract Law (PECL) den schuldrechtlichen Vertrag zum Ausgangspunkt ihrer Regelungen. Für einseitige Rechtsgeschäfte (etwa die Erklärung der Anfechtung oder der Aufhebung eines Vertrages) stellen sie kein umfassendes Regime bereit (Ansätze dazu enthält aber Art. 1:303 PECL). Der Code Europeén des Contrats (Avant-projet) entwickelt seine Regelungen ebenfalls anhand des schuldrechtlichen Vertrages, ordnet aber deren entsprechende Geltung für einseitige Rechtsgeschäfte an (Art. 4). Der Draft Common Frame of Reference (DCFR) geht demgegenüber einen Schritt weiter, indem er den Begriff des „juridical act” einführt und ihn als „any statement or agreement or declaration of intention, whether express or implied from conduct, which is intended to have legal effect as such” definiert (Art. II.-1:101(2) DCFR, ebenso die Definition im Annex 1). Eine echte Rechtsgeschäftslehre entwickelt der DCFR in der Folge aber nicht, da er die wichtigste Form des „juridical act“, den „contract“, weiterhin als selbständigen Aktstypen behandelt. Dem Begriff des „juridical act“ kommt damit im Ergebnis nur Bedeutung für die einseitigen Rechtsgeschäfte zu (Versprechen).
6. Die Kontroverse um den Begriff des Rechtsgeschäfts
Sein Ruhm als große wissenschaftliche Errungenschaft hat den Begriff des Rechtsgeschäfts nicht davor bewahrt, dass seine Brauchbarkeit immer wieder radikal in Frage gestellt wurde. Die hierzu vorgebrachten Argumente sind dogmatischer, ideologischer und praktischer Natur und stehen in engem Zusammenhang mit der Diskussion um den Wert eines Allgemeinen Teils im Zivilgesetzbuch.
Auf der dogmatischen Ebene wird der Begriff des Rechtsgeschäfts von seinen Gegnern als eine übersteigerte Abstraktion bezeichnet, als ein Erbe der Begriffsjurisprudenz, das dazu verleite, rechtliche Lösungen allein aus Allgemeinbegriffen zu deduzieren, anstatt die im konkreten Fall betroffenen Interessen herauszuarbeiten. Die maßgeblichen Regelungen müssten stattdessen für jeden rechtsgeschäftlichen Aktstypen gesondert entwickelt werden und seien kaum verallgemeinerungsfähig. Indem die Rechtsgeschäftslehre außerdem primär auf die einzelne Willenserklärung abstelle, könne sie dem wichtigsten aller Rechtsgeschäfte, dem Vertrag, nicht gerecht werden, da dessen charakteristisches Merkmal gerade der Konsens zweier oder mehrerer Parteien sei. Diese Einwände sind ernst zu nehmen. Auf keinen Fall darf die Rechtsgeschäftslehre dazu führen, dass die verschiedenen rechtsgeschäftlichen Aktstypen nicht die gebotene individuelle Behandlung erfahren. Diese Gefahr ist aber nicht nur ein Problem der Rechtsgeschäftslehre, sondern jeder Rechtswissenschaft, die zu Zwecken der Systematik und der Übersichtlichkeit mit abstrakten Begriffen arbeitet. So kann auch der Begriff des „Vertrages“ dazu führen, dass den einzelnen Vertragstypen nicht die gebotene Sonderbehandlung zukommt. Wie aber die Entwicklung in den europäischen Rechtsordnungen nachdrücklich zeigt, kann eine auf Systematik und Kohärenz bedachte Rechtswissenschaft sich dem Begriff des Rechtsgeschäfts auf Dauer nicht verschließen. „Denn … dieser Begriff … entspringt dem Bedürfnis des Rechtsdenkens überhaupt, einem Bedürfnis, das sich mit dem allgemeinen wissenschaftlichen Streben deckt, hinter der Fülle von Erscheinungen die ihnen gemeinsamen Oberbegriffe zu erkennen“ (Heinrich Titze). Erst der Begriff des Rechtsgeschäfts ermöglicht das Auffinden von Wertungszusammenhängen zwischen den verschiedenen Formen privatautonomen Handelns.
Sodann wurde der Begriff des Rechtsgeschäft, besonders in der italienischen Lehre, auch unter ideologischen Gesichtspunkten bekämpft: Er sei der reinste Ausdruck formalistischen Denkens, indem er weder nach den an dem Geschäft beteiligten Personen noch nach dessen Inhalt differenziere. Hierdurch verhindere es die Einbeziehung sozialer und materialer Wertungen und fördere einen ungehemmten Individualismus. In der Tat führt der Begriff des Rechtsgeschäfts die Prinzipien der formalen Gleichheit der Rechtssubjekte und der formalen Gleichheit allen geschäftlichen Handelns zur Vollendung. Doch verkennt die genannte Kritik, dass der Begriff des Rechtsgeschäft ein rein technischer ist. Zwar kann er nur in einer Rechtsordnung sinnvoll existieren, die ihren Bürgern jedenfalls ein Minimum an Privatautonomie gewährt. Wo aber deren Grenzen liegen, darüber sagt der Begriff des Rechtsgeschäfts nichts aus. Die Vorstellung, dass die Pandektenwissenschaft (Pandektensystem) mit ihm die unbegrenzte Willensherrschaft der Privatrechtssubjekte verbunden hätte, ist ein verbreiteter Irrglaube. Die ideologische Neutralität der Rechtsgeschäftslehre zeigt sich nicht zuletzt darin, dass diese gerade auch in den Rechtsordnungen des sozialistischen Rechtskreises weite Verbreitung erfuhr.
Die Niederlegung der Rechtsgeschäftslehre im Gesetz wird schließlich als unpraktikabel kritisiert. Ihr hoher Abstraktionsgrad erschwere die Verständlichkeit der Kodifikation, zudem seien ihre Regelungen fast ausschließlich anhand des Vertragsrechts entwickelt worden und passten für andere Bereiche nur in sehr geringem Umfang. Dies zeige sich nicht zuletzt anhand des BGB, das sich besonders im Familien- und Erbrecht vielfach zur Modifizierung der allgemeinen Regeln gezwungen sehe (etwa beim Irrtum oder der Stellvertretung). Hiergegen wenden die Verteidiger einer kodifizierten Rechtsgeschäftslehre ein, dass diese Wiederholungen spare und ungewollte Differenzierungen vermeide. Die von Zivilgesetzbüchern ohne allgemeine Rechtsgeschäftslehre häufig praktizierte umfangreiche Verweisung gleiche im Ergebnis einer versteckten Rechtsgeschäftslehre, die allerdings den Nachteil habe, dass der Umfang der Verweisung oftmals gar nicht klar sei. Die Argumente sind letztlich dieselben, wie sie für und gegen einen Allgemeinen Teil im Zivilgesetzbuch angeführt werden. Einen „Königsweg“ scheint es in dieser Frage nicht zu geben.
7. Fazit und Ausblick
Die Begründung der Lehre vom Rechtsgeschäft zählt zu den „Großtaten“ der Pandektenwissenschaft (Flume) und hat das deutsche Rechtsdenken weltweit berühmt gemacht. Gleichzeitig wird schon lange und zu Recht auf die mit dem Begriff des Rechtsgeschäfts verbundenen Gefahren hingewiesen. Diese rechtfertigen aber nicht das Aufgeben dieser Figur, sondern mahnen nur zu ihrem behutsamen Gebrauch. Im Bewusstsein der kontinentaleuropäischen Juristen ist der Begriff des Rechtsgeschäfts in jedem Fall so fest verankert, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach auch Eingang in das Europäische Privatrecht finden wird, und sei es nur auf der Ebene der Dogmatik.
Literatur
Franz Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967; Frederico de Castro y Bravo, El Negocio Jurídico, 1967; Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 2: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl. 1979; Paulo Mota Pinto, Declaração Tácita e Comportamento Concludente no Negócio Jurídico, 1995; Reinhard Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995; Vincenzo Scalisi, Il negozio giuridico tra scienza e diritto positivo, 1998; Martin J. Schermaier, Vor § 104, §§ 116–124, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. I, 2003; Detlef Leenen, Willenserklärung und Rechtsgeschäft in der Regelungstechnik des BGB, in: Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, Bd. I, 2007, 699 ff.; Bénédicte Fauvarque-Cosson, Denis Mazeaud (Hg.), Projet de Cadre Commun de Référence: Terminologie Contractuelle Commune, 2008, 101 ff.; Rodolfo Sacco, L’acte juridique e il traduttore (ad impossibila nemo tenetur), in: Liber amicorum per Francesco D. Busnelli, Bd. 2, 2008, 257 ff.