Interessenkonflikte: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 8. September 2021, 11:46 Uhr

von Christoph Kumpan

1. Begriffsbestimmung

Für den Begriff Interessenkonflikt hat sich bisher weder in der Rechtswissenschaft noch in benachbarten wissenschaftlichen Disziplinen, wie z.B. den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, ein einheitliches Verständnis herausgebildet. Eine sehr weite Fassung dieses Begriffs würde jegliches Aufeinandertreffen gegensätzlicher Interessen verschiedener Personen als Interessenkonflikt begreifen. Damit würden letztlich alle rechtlichen Beziehungen zwischen verschiedenen Personen umfasst, bei denen die Interessen der beteiligten Parteien einander offen gegenüberstehen und dieser Interessengegensatz der Transaktion notwendig inhärent ist. Hierzu gehören unter anderem gegenseitige Verträge, wie beispielsweise Kaufverträge, bei denen die eine Partei einen möglichst hohen, die andere hingegen einen möglichst niedrigen Preis anstrebt. In diesen Fällen ist der Interessengegensatz naturnotwendig in der jeweiligen Situation angelegt und die rechtlichen Regelungen darauf abgestimmt, den von den Parteien privatautonom zu vereinbarenden Ausgleich sicherzustellen. Ein weitergehendes einheitliches Regelungsregime ist für die Lösung dieser Konflikte nicht notwendig und auch nicht möglich, da jeder dieser so verstandenen Interessenkonflikte eine eigene spezifische Lösung erfordert.

Besondere Regelungen verlangen jedoch solche Interessenkonflikte, wie sie beispielsweise bei Insichgeschäften von Vertretern, Eigengeschäften von Vorstandsmitgliedern oder bei Universalbanken, die gegensätzliche Kundeninteressen bedienen müssen, auftreten. Es handelt sich dabei um Konflikte von eigenen oder fremden Interessen mit anderen fremden Interessen, die innerhalb einer einzelnen Person bzw. Organisation aufeinander treffen und die gegensätzliches Handeln verlangen. Solche – enger verstandenen – Interessenkonflikte gehören zu den fundamentalen Problemstellungen der heutigen modernen Dienstleistungsgesellschaft. Angelegt sind sie in der wachsenden Komplexität der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorgänge, die zu einer immer stärkeren Spezialisierung und Arbeitsteilung führt. Immer mehr Aufgaben werden auf andere übertragen, und es wird immer schwieriger, diese zu kontrollieren. Oft fehlt es dem Einzelnen an Wissen, Zeit und/‌oder finanziellen Mitteln, um die für ihn tätigen Experten und spezialisierten Dienstleister angemessen zu überwachen. So ist er darauf angewiesen, sich auf diese Spezialisten zu verlassen. Diese nehmen regelmäßig von Berufs wegen fremde Interessen wahr und versprechen, ihre Dienstleistungen unter Zurückstellung eigener Interessen und unter Vermeidung einer unsachlichen Bevorzugung anderer fremder Interessen zu erbringen. Zu ihnen gehören z.B. Banken, Kommissionäre, Rechtsanwälte, Makler sowie Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder. Aber auch z.B. bei der Vormundschaft und bei der Testamentsvollstreckung sind Interessenkonflikte nicht ausgeschlossen.

Fallkonstellationen für Interessenkonflikte sind hierbei insbesondere: (1) der Konflikt eigener und fremder Interessen; (2) die Kollision von gegensätzlichen Interessen verschiedener Dritter, die der jeweilige Interessenwahrer gleichermaßen zu wahren hat (meist als Pflichtenkollision bezeichnet). Diese können sowohl auf der (a) gleichen Marktseite auftreten als auch auf (b) gegensätzlichen Marktseiten. Besondere Situationen, die zwar auf den genannten Fällen basieren, aber dennoch Besonderheiten aufweisen sind (3) im Rahmen von Organisationen entstehende Interessenkonflikte.

2. Rechtsentwicklungen

Die Regelungen zu Interessenkonflikten (im engeren Sinne) sind in den letzten Jahren in vielen Rechtsgebieten Gegenstand weitreichender Entwicklungen geworden. So hat etwa die EU im Bereich des Kapitalmarktrechts eine ganze Reihe von Vorschriften zur Regelung von Interessenkonflikten erlassen. Auch Internationale Organisationen, wie die OECD und die IOSCO haben sich in einzelnen Bereichen mit Interessenkonflikten und ihren Auswirkungen auseinandergesetzt und Vorschläge für deren Regelung unterbreitet. Allgemeine Regelungen für die Interessenkonflikte von Vertretern enthalten schließlich auch PECL, UNIDROIT PICC und DCFR (letzterer enthält darüber hinaus weitergehend Regelungen, wie z.B. für die Beratungssituation).

Aufgrund der Umsetzung der von der EU erlassenen Richtlinien sind in den nationalen Rechtsordnungen zu den bisher existierenden Vorschriften vielfältige neue Interessenkonfliktsregelungen hinzugekommen. Die Regelungen zu Interessenkonflikten sind aufgrund dieser Entwicklung über viele verschiedene Gesetze und Rechtsgebiete verstreut, haben sich meist unabhängig voneinander entwickelt und beruhen daher auf keinem einheitlichen Regelungskonzept. Während in einigen Bereichen, wie z.B. dem Kapitalmarktrecht, aufgrund der europäischen Entwicklungen mittlerweile sehr detaillierte Regelungen zu Interessenkonflikten eingeführt worden sind, sind spezifische Regelungen in anderen Rechtsgebieten, wie z.B. dem Maklerrecht, nicht oder nur kaum Gegenstand von Veränderungen worden. Die zunehmenden konzeptionellen Veränderungen bei der Regelung von Interessenkonflikten werden somit nur in einzelnen Bereichen nachvollzogen.

Betrachtet man die größeren Rechtsordnungen Europas im Hinblick auf die rechtliche Behandlung von Interessenkonflikten, so zeigt sich, dass insbesondere die Ansätze im deutschen und englischen Recht sehr weit voneinander entfernt liegen. Während das deutsche Recht prinzipiell formal an die Regelung von Interessenkonflikten herangeht, verfolgt das englische Recht grundsätzlich einen materiellen Ansatz. Dieser materielle Ansatz stellt auf das materielle Kriterium des Interessenkonflikts ab und analysiert den konkret zu untersuchenden Fall darauf, ob die Voraussetzungen für die Anwendung der Interessenkonfliktsregelungen vorliegen. Dagegen versucht der formale Ansatz unter Zuhilfenahme formaler Kriterien diejenigen Situationen zu umschreiben, in denen typischerweise vom Vorliegen eines Interessenkonflikts ausgegangen werden kann (z.B. bei Vornahme eines „Insichgeschäfts“).

3. Regelungsgestaltungen

Ausgangspunkt für die Regelung von Interessenkonflikten ist bei jeder Form fremdnütziger Geschäftsführung, die mit der Verfügungsmacht über fremdes Vermögen einhergeht, die einseitig an den Interessen des Geschäftsherrn/‌Auftraggebers/‌Treugebers/‌Vertretenen ausgerichtete Interessenwahrungspflicht. Das Konzept und Verständnis der Interessenwahrungspflicht im civil law und der duty of loyalty im common law differieren. So entstammt die duty of loyalty des common law dem trust law und wurde unter den doctrines of equity weiter ausgeformt. Das Wesen des trust besteht darin, dass der trustee ein so genannter legal owner einer Vermögensmasse wird, die er für und im Sinne des equitable owner bzw. beneficiary zu verwalten hat. Als Treueverpflichtetem ist es dem trustee strikt verboten, sich in einen Interessenwiderstreit zu begeben. Aufbauend auf ihrem Vertrauenscharakter wurde unter anderem auch die agency (das funktionale Äquivalent zur Vertretung) als Anwendungsfall der relationships of trust and confidence, den heutigen Treuepflichtenverhältnissen (fiduciary relationships), anerkannt (Trust und Treuhand). Ein solches Treuepflichtverhältnis bildet auch das Verhältnis zwischen den company directors und ihrer Gesellschaft. Gegenüber der auf dem trust law gründenden common law duty of loyalty knüpft die Interessenwahrungspflicht im civil law regelmäßig an vertragliche Pflichten an. Aber auch das Berufsrecht oder die Stellung als Organ können Interessenwahrungspflichten begründen. Trotz solcher dogmatischer Unterschiede haben diese Interessenwahrungspflichten bzw. duties of loyalty den gleichen Kern: Dem Interessenwahrer ist die Förderung eigener Interessen oder der Interessen Dritter zulasten des Auftraggebers untersagt. Im common law ist die duty of loyalty weitgehend durch die Gerichte ausgeformt worden. Aber auch im civil law ist die Interessenwahrungspflicht vor allem von Gerichten näher ausgestaltet und konkretisiert worden, da sie sich aufgrund ihrer allgemeinen Formulierung für Einzelfallentscheidungen besonders eignet.

Die ex post Konkretisierung der Interessenwahrungspflicht durch die Gerichte wurde – ausgehend insbesondere auch vom Europarecht – in einer Reihe von Rechtsgebieten nicht mehr als sachgerecht angesehen und dementsprechend konkreter ausgestaltete Pflichten gesetzlich verankert. Diese Pflichten können nach funktionalen Gesichtspunkten in vier größere Bereiche unterteilt werden: Dies sind organisatorische Pflichten, Mitteilungspflichten, Unterlassungspflichten sowie für Unternehmensgruppen besondere Regelungen in Form von gruppenweiten Strukturen und Grundsätzen des Wohlverhaltens. Für diese Regelungen gibt es jeweils besondere Sanktionen, die sich ebenfalls systematisieren lassen.

Organisatorische Vorgaben spielen im Rahmen der Unternehmensorganisation eine immer wichtigere Rolle. So enthält z.B. die MiFID (RL 2004/‌39) zusammen mit ihrer Durchführungs-RL (RL 2006/‌73, insb. Art. 21) detaillierte Vorgaben an die Organisation von Wertpapierfirmen wie bspw. die Pflicht, in bestimmten Fällen Informationsbarrieren, sog. chinese walls, zwischen einzelnen Abteilungen von Unternehmen zu errichten (siehe aber auch die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben, auf nationaler Ebene z.B. in England jüngst aktualisiert).

Mitteilungspflichten sind von Bedeutung, wenn der Interessenwahrer einen Konflikt nicht vermeiden kann. Die Mitteilung gibt dem Auftraggeber die Möglichkeit, das ihn treffende Risiko abzuschätzen und entsprechend zu handeln. Im Gegensatz zu einer Reihe von europäischen Richtlinien, vgl. z.B. Art. 18 MiFID, sehen PECL, UNIDROIT PICC und DCFR keine ausdrückliche Mitteilungspflicht vor, führen sie allerdings mittelbar ein. Denn das von ihnen vorgesehene Anfechtungsrecht des Geschäftsherrn greift nicht, wenn der Interessenkonflikt vorher offen gelegt worden war und der Geschäftsherr nicht widersprochen hatte. Zur Lösung von Interessenkonflikten sind Mitteilungspflichten allerdings nicht immer geeignet. Neuere Erkenntnisse der Behavioral Economics deuten auf eine systematische Unterschätzung von Risiken hin. So ist der Einzelne z.B. vielfach davon überzeugt, dass er in der Lage ist, mit Interessenkonflikten angemessen umzugehen. Dies kann z.B. dazu führen, dass eine Mitteilung dem konfliktbefangenen Geschäftsbesorger/‌Intermediär schon gar nicht notwendig erscheint. Die Wirksamkeit von Mitteilungspflichten hängt außerdem davon ab, ob und inwieweit der Geschäftsherr die mitgeteilte Information zutreffend auswerten und sein Handeln entsprechend ausrichten kann. Daher müssen Mitteilungen zumindest zeitnah, wahr und vollständig sein.

Schließlich kommen Unterlassungspflichten in Betracht, d.h. ein von einem Interessenkonflikt Betroffener muss sich gänzlich von dem jeweiligen Geschäft zurückziehen oder darf gar nicht erst tätig werden. Da es sich dabei jedoch um eine gravierende Beschränkung der Betroffenen handelt, müssen die erzielten Vorteile mit den negativen Konsequenzen besonders sorgfältig abgewogen werden. In vielen Fällen sind die Gesetzgeber daher bei der Auferlegung von Pflichten zur Abstandnahme von Geschäften sehr zurückhaltend (diesbezügliche. Regelungen finden sich aber z.B. im DCFR). Im Falle organschaftlicher Interessenwahrer kann die Pflicht zur Abstandnahme z.B. bei Abstimmungen dazu führen, dass für diese ein Stimmrechtsausschluss bzw. ein Stimmverbot gilt. In besonderen Fällen kann ein organschaftlicher Interessenwahrer sogar dazu verpflichtet sein, der betreffenden Sitzung insgesamt fernzubleiben. Auch die Amtsniederlegung und die Abberufung können in die Kategorie Abstandnahme eingeordnet werden.

Infolge der zunehmenden Anzahl von Unternehmensverbänden bzw. ‑gruppen erhalten unternehmensübergreifende, gruppenweite Regelungsansätze eine immer größere Bedeutung. Eine vollkommene Separierung der Konfliktlagen einzelner Gruppenmitglieder kommt dabei nur selten in Betracht. Einen rechtsvergleichenden Beleg dafür liefert etwa die Entwicklung in den USA. Dort wurde mit dem Class-Steagall Act eine institutionelle Trennung von Commercial und Investment Banking eingeführt, die jedoch im Jahr 1999 wieder aufgehoben wurde. Demgegenüber könnte zur Umsetzung von gruppenweiten Interessenkonfliktsregelungen ein zentraler Ausschuss für das Konfliktmanagement eingerichtet werden, der aus Vertretern der gruppenzugehörigen Unternehmen zusammengesetzt ist. Aufgabe des Ausschusses ist es dann, Konfliktpotentiale zu ermitteln und entsprechende Empfehlungen an die Geschäftsführung zur Behandlung dieser Konflikte abzugeben. Voraussetzung dafür ist vor allem ein uneingeschränkter Zugang zu Informationen sowie eine hohe Reputation des Ausschusses innerhalb der Gruppe. Erforderlich ist deshalb einerseits ein hoher Standard an Unabhängigkeit und andererseits eine unmittelbare Unterstellung unter die Geschäftsführungsebene.

Um diese Pflichten durchzusetzen und ihre Nichtbeachtung zu ahnden, sehen die gesetzlichen Regelungen unterschiedliche Rechtsfolgen vor: So kann der Geschäftsherr zur Anfechtung berechtigt (PECL, UNIDROIT PICC, DCFR) oder aber auch das Geschäft (zumindest schwebend) unwirksam sein (näheres dazu, insbesondere auch im Hinblick auf PECL, UNIDROIT PICC und DCFR unter Vertretungsmacht). Im letzteren Fall kann der Geschäftsherr genehmigen, andernfalls treffen den Auftragnehmer/‌Vertreter Schadensersatzpflichten; unter Umständen kann er auch wahlweise zur Erfüllung verpflichtet sein. Im Maklerrecht führt eine treuwidrige Doppeltätigkeit des Maklers zur Verwirkung des Lohnanspruchs. Erlangt der Auftragnehmer/‌Geschäftsbesorger aufgrund seines Interessenkonflikts einen Gewinn oder Vorteil, greifen vielfach Vorschriften, z.B. in Form von Herausgabepflichten, die diesen Gewinn bzw. Vorteil abschöpfen.

Ein Verstoß gegen ein Stimmrechtsverbot im Aufsichtsrat führt zur Nichtigkeit der Stimme des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds. Dies kann sogar auf den Beschluss durchschlagen, wenn ohne die Stimme das Beschlussergebnis nicht zustande gekommen wäre. Regelmäßig sehen gesetzliche Vorschriften auch die Schadensersatzhaftung als Sanktion vor. Außerdem müssen Interessenwahrer Zahlungen, die sie unter Verletzung ihrer Pflichten bei Interessenkonflikten erhalten haben, dem Geschäftsherrn herausgeben. Für berufsmäßige Interessenwahrer gibt es schließlich noch eine Reihe öffentlichrechtlicher und strafrechtlicher Sanktionen sowie Tätigkeits- und Berufsverbote.

Literatur

Ulrich Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977; Charles Hollander, Simon Salzedo, Conflicts of Interest & Chinese Walls, 2000; Michael Davis, Andrew Stark (Hg.), Conflict of Interest in the Professions, 2001; Karsten Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten in der Aktiengesellschaft, 2002; Ulrich L. Göres, Interessenkonflikte von Wertpapierdienstleistern und ‑analysten bei der Wertpapieranalyse, 2004; Klaus J. Hopt, Interessenwahrung und Interessenkonflikte im Aktien-, Bank- und Berufsrecht: Zur Dogmatik des modernen Geschäftsbesorgungsrechts, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2004, 1 ff.; Cecilia Carrara, Interessenkonflikte bei Interessenwahrungsverträgen, 2005; Stephan Festner, Interessenkonflikte im deutschen und englischen Vertretungsrecht, 2006; Luc Thévenoz, Raschid Bahar (Hg.), Conflicts of Interest: Corporate Governance & Financial Markets, 2007; Christoph Kumpan, Patrick C. Leyens, Conflicts of Interest of Financial Intermediaries: Towards a Global Common Core in Conflicts of Interest Regulation, European Company and Financial Law Review 2008, 72 ff.

Abgerufen von Interessenkonflikte – HWB-EuP 2009 am 24. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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