Renvoi und Restatements: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Kurt Siehr]]''
von ''[[Ralf Michaels]]''
== 1. Begriff und Geschichte ==
== 1. Begriff ==
Der Begriff ''renvoi'' (eigentlich nur „Verweisung“) hat sich im [[Internationales Privatrecht|IPR]] für eine ganz bestimmte Art von Verweisung international eingebürgert, nämlich für eine Rück- oder Weiterverweisung (''renvoi''<nowiki>; </nowiki>''renvoi au premier degré et renvoi au second degré''<nowiki>; </nowiki>''rinvio indietro e rinvio oltre''<nowiki>; </nowiki>''terugverwijzing en verderverwijzing''<nowiki>; </nowiki>''reenvío de primer grado o reenvío de retorno y reenvío de segundo grado o reenvío ulterior'') der vom IPR der ''lex fori'' berufenen fremden Rechtsordnung. Eine solche Verweisung auf fremdes IPR nennt man eine IPR- oder Gesamtverweisung. Sie wird entweder vom Gesetz vorgesehen (z.B. Art.&nbsp;4 Abs.&nbsp;1 EGBGB; Art.&nbsp;13 ital. IPR-Gesetz; §&nbsp;5 Abs.&nbsp;1 und 2 österreich. IPR-Gesetz und Art.&nbsp;14 schweiz. IPRG), ganz ausgeschlossen (Art.&nbsp;32 griech. ZGB) oder sie wird dem Sinn der eigenen Verweisung auf fremdes Recht entnommen.
''Restatement'' heißt Neuformulierung. Das ''Restatement'' ist also kein Gesetz und wird typischerweise auch nicht durch den Gesetzgeber erlassen. Vielmehr formulieren Private, in der Regel Wissenschaftler und Praktiker, das geltende Recht in zugänglicher Form neu, typischerweise systematisiert und auf das Wesentliche konzentriert. Das ''Restatement'' lässt sich damit von anderen Akten abgrenzen, auch wenn die Übergänge teilweise fließend sind. Der Hauptunterschied zur [[Kodifikation]] liegt im fehlenden Geltungsbefehl. Ansonsten sieht ein ''Restatement'' inhaltlich einer Kodifikation ähnlich, die meisten Kodifikationen sind inhaltlich zu großem Teil ''Restatements'' bestehenden Rechts. Man kann das ''Restatement'' daher als Privatkodifikation bezeichnen. Gegenüber Prinzipien und [[Allgemeine Rechtsgrundsätze|allgemeinen Rechtsgrundsätzen]] sind die Regeln eines ''Restatements'' grundsätzlich spezifischer formuliert, so dass sie als Regeln angewandt werden können. Faktisch verbergen sich allerdings hinter vielen als Prinzipien bezeichneten Werken tatsächlich ''Restatements'' in Regelform. Der wichtigste Unterschied zum Modellgesetz schließlich liegt darin, dass das ''Restatement'' das Recht abbildet wie es ist, während das Modellgesetz das Recht vorschlägt, wie es sein sollte; freilich sind auch hier die Grenzen fließend.


Als Geburtsstunde des ''renvoi'' gilt die Affaire Forgo, Recueil Sirey 1882, I, 393 und bei Bertrand Ancel, Yves Lequette (Hg.), Grands arrêts de la jurisprudence française de droit international privé, 3.&nbsp;Aufl. 1998, Nr.&nbsp;8, in welcher die französische ''Cour de cassation'' am 22.2.1882 die Rückverweisung des bayerischen Heimatrechts des in Frankreich verstorbenen bayerischen Staatsbürgers Xavier Forgo auf dessen letztes französisches Wohnsitzrecht annahm und deshalb französisches Recht auf die Erbfolge nach ihm anwandte. Schon vorher hatten englische und deutsche Gerichte eine Rückverweisung des primär berufenen ausländischen Rechts auf die ''lex fori'' als letztes Heimatrecht eines Erblassers akzeptiert: Collier v. Rivaz, (1841) 163 ER 608; Oberappellationsgericht Lübeck 21.3.1861 (Krebs v. Rosalino), Seuff. Arch.&nbsp;14 (1861) 164. Die Diskussion des renvoi-Problems setzte jedoch erst mit der Affäre Forgo ein (vgl. hierzu Maximilien Philonenko).
In einem weiteren Sinne waren die juristischen Enzyklopädien des [[Naturrecht|Natur-]] und Vernunftrechts ebenso ''Restatements'' wie die systematischen Darstellungen nationalen Rechts in der Pandektistik ([[Pandektensystem]]) und im französischen Privatrecht des 18. und 19. Jahrhunderts. All diese wissenschaftlichen Werke wollten die Gesamtheit des Rechts nicht bloß auflisten sondern als System darstellen. In einem engeren Sinne dagegen bezieht sich der Begriff des ''Restatements'' auf die so genannten ''Restatements of the Law'' des ''American Law Institute'' (ALI) sowie auf von diesen ''Restatements'' beeinflusste spätere Projekte; nur in diesem engeren Sinne wird er hier erläutert.


== 2. Funktion ==
== 2. Die US-amerikanischen ''Restatements of the Law ''==
Mit der Berücksichtigung des fremden IPR will man vor allem zweierlei erreichen. Zum einen will man die internationale Entscheidungsharmonie fördern, will also zu Hause so entscheiden, wie es der Richter der primär berufenen Rechtsordnung täte. Zum andern nimmt man dabei dankbar in Kauf, dass bei einer Rückverweisung inländisches Recht anwendbar ist, das vom inländischen Richter schnell und gut angewandt werden kann. Vergessen wird dabei manchmal die Tatsache, dass die internationale Entscheidungsharmonie nur dann erreichbar ist, wenn die beteiligten Rechtsordnungen die ''renvoi''-Frage unterschiedlich beurteilen. Lässt nämlich jede Rechtsordnung der von ihr primär berufenen fremden Rechtsordnung den Vorrang, so kommt es zu einem Hin und Her ohne definitive Bestimmung des anwendbaren Rechts. Nur ein Staat darf den Vortritt lassen, nicht beide. Deshalb ist der ''renvoi'' keine Figur des IPR, die in derselben Form internationalisierungsfähig ist.
Anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts konstatierten Praktiker und Wissenschaftler in den USA eine doppelte Krise ihres Rechts: Mangel an Rechtssicherheit und übermäßige Komplexität. Als Gründe für den Mangel an Rechtssicherheit erkannte man Uneinigkeit über die tragenden Prinzipien des ''[[common law]]'', unklare Begriffsbildung, schlecht formulierte Gesetze, Masse des Fallmaterials sowie Anzahl und Eigenart neuer Rechtsfragen. Hauptgründe für die Komplexität waren der Mangel an Systematik und die Unterschiede im ''common law'' unterschiedlicher Bundesstaaten. Zur Bekämpfung gründete man 1923 das ''American Law Institute'' (ALI) “to promote the clarification and simplification of the law and its better adaptation to social needs, to secure the better administration of justice, and to encourage and carry on scholarly and scientific legal work.” Das Hauptinstrument sollten dabei ''Restatements'' grundlegender Rechtsgebiete sein, die das geltende Recht zugänglich machen sollten. Die Lösung sah man in einer wissenschaftlichen Systematisierung aus dem Fallmaterial zu destillierender Rechtsregeln. Weil dieser Ansatz auch dem europäisch beeinflussten Formalismus des 19.&nbsp;Jahrhunderts entsprach, sind jedenfalls die ''Restatements'' der ersten Generation von Anfang an als formalistisch-konservativ kritisiert worden; jüngere Beurteilungen sind differenzierter.


== 3. Arten der nationalen ''renvoi''-Regelungen ==
Der Erstellungsprozess dauert viele Jahre und ist durch einen intensiven andauernden Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis gekennzeichnet. Nachdem das ALI aufgrund sorgfältiger Voruntersuchung ein Thema als geeignet erkennt, beruft es als ''reporter'' typischerweise einen Wissenschaftler, der mit einer Gruppe von'' assistant reporters'' zunächst einen ersten Entwurf (''first draft'') vorlegt. Dieser Entwurf wird dann von einer kleinen Gruppe von Beratern diskutiert, die Praktiker und Wissenschaftler umfasst, was zu einem revidierten Entwurf (''revised draft'') führt. Diesen revidierten Entwurf diskutiert der Rat des ALI, eine Gruppe von etwa sechzig prominenten Richtern, Anwälten und Professoren. Nach der Diskussion wird er entweder zur Überarbeitung an den ''reporter'' zurückgegeben oder als vorläufiger Entwurf (''tentative draft'') der jährlichen Versammlung des ALI vorgelegt, das über viertausend Mitglieder umfasst. Diese Versammlung diskutiert nun den vorläufigen Entwurf und nimmt ihn entweder an oder, häufiger, gibt ihn zurück an den ''reporter'' für weitere Änderungen.
Zum Problem des ''renvoi'' lässt sich in sehr unterschiedlicher Form Stellung nehmen. Hierbei ist zu vier Fragen Stellung zu beziehen: Will man einen ''renvoi'' überhaupt? In welchem Umfang will man ihn berücksichtigen? Wie reagiert man auf eine fremde IPR-Verweisung? Gibt es einen „versteckten“ ''renvoi''?


a)&nbsp;Nationale Rechtsordnungen können entweder einen ''renvoi'' völlig ''ausschließen'' (z.B. Art.&nbsp;32 griech. ZGB), ihn im Prinzip stets berücksichtigen (Art.&nbsp;4 Abs.&nbsp;1 S.&nbsp;1 EGBGB; §&nbsp;5 Abs.&nbsp;1 und 2 österreich. IPR-Gesetz) oder ihn nur in Einzelfällen honorieren (z.B. Art.&nbsp;13 ital. IPR-Gesetz; Art.&nbsp;14 schweiz. IPRG). Welche Lösung richtig ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Selbst in denjenigen Staaten, in denen ein ''renvoi'' stets zu beachten ist, ist er heute nach Einführung des Europäischen IPR nicht mehr flächendeckend anwendbar. M.E. ist eine restriktive Lösung zu bevorzugen, die in geeigneten Fällen einen ''renvoi'' beachtet und in anderen nicht.
Über die Zeit hat sich der Charakter der ''Restatements'' stark gewandelt. Zwischen 1932 und 1944 entstanden die ersten ''Restatements'', und zwar in Feldern des ''common law'', die aus europäischer Sicht weitgehend zum Privatrecht gehören: Stellvertretung, Vertragsrecht, Deliktsrecht, Restitutionsrecht, Sachenrecht, Trusts, Sicherheiten, internationales Privatrecht und Gerichtsentscheidungen.'' ''Diese ''Restatements'' der ersten Generation bestanden weitgehend nur aus Regeln und kurzen Erläuterungen und vermittelten damit einen Eindruck der Einheitlichkeit und Eindeutigkeit, der bald als realitätsfremd kritisiert wurde. Das ab 1952 verfasste ''Second Restatement'', das Fortentwicklungen des Rechts verarbeitet, nahm diese Kritik auf und fügte neue Felder hinzu: Mietrecht, Auswärtige Beziehungen. Viele seiner Regeln sind offener formuliert und zielen weniger auf Einheitlichkeit ab; oft sind sie sogar bewusst untereinander im Konflikt. Werden die Regeln so unwichtiger, so sind andererseits die Kommentare und Nachweise zum geltenden Recht wichtiger geworden; sie widmen sich auch der Frage, inwieweit die einzelstaatlichen Regelungen von der Lösung des ''Restatement'' abweichen. Zurzeit wird ein ''Third Restatement'' erstellt, das neue, auch nichtprivatrechtliche, Fächer hinzufügt; geplant sind ''Restatements'' auch für Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und Recht des internationalen Handels.


b)&nbsp;Der ''renvoi'' bezeichnet in aller Regel sowohl eine ''Rück- als auch eine Weiterverweisung''. Soweit ein Gesetz nichts anderes sagt und eine IPR-Verweisung (Verweisung auf fremdes Recht umfasst auch dessen IPR) ausspricht, wird auch eine Weiterverweisung auf das Recht eines dritten Staates honoriert. Der Ausschluss einer Weiterverweisung (z.B. Art.&nbsp;14 Abs.&nbsp;2 schweiz. IPRG für Statussachen) ist – ausser durch eine angebliche Erleichterung der Rechtsfindung – nicht zu rechtfertigen.
Die neuere Form mit Regeln und ausführlichen Kommentaren ermöglicht es den ''reporters'', offen Lösungen vorzuschlagen, die unter Umständen nicht dem geltenden Recht in der Mehrheit der Staaten entsprechen. Manchmal setzen sich diese Lösungsvorschläge aufgrund der Autorität der ''Restatements'' oder ihrer Reporter durch. Neuere ''Restatements'' wie etwa ''Agency'' (2006) lassen auch weltweite Rechtsvergleichung einfließen und gehen damit über die Ursprungsidee bloßer Neuformulierung hinaus. Einige Lösungen in ''Restatements'' sind offen rechtspolitischer Natur und erlangen manchmal gerade deshalb großen Einfluss. Obwohl die ''Restatements'' keinen offiziellen Charakter haben, spielen sie in der Rechtsprechung eine wichtige Rolle als Referenz. Allerdings bestehen im Einzelnen starke Unterschiede sowohl zwischen den einzelnen ''Restatements'' als auch zwischen den verschiedenen Bundesstaaten.


Eine ganz andere Frage ist, ob man eine ''teilweise ''Rück- oder Weiterverweisung akzeptieren will oder nicht. Diese Frage stellt sich insbesondere dann, wenn das ausländische IPR nur für einen Teil des Vermögens, das die ''lex fori'' einheitlich behandelt (z.B. Erbstatut einheitlich für Mobilien und Immobilien), teilweise, z.B. auf die ''lex rei sitae'' nur von Grundstücken, zurück- oder weiterverweist. Die meisten Staaten akzeptieren einen solchen partiellen ''renvoi'' und schließen ihn nicht – wie etwa der spanische Oberste Gerichtshof (Trib. Sup. Sala 1.<sup>a</sup>, 15.11.1996, Rep. Aranzadi Jurispr. 1996, Sp.&nbsp;8212) – als unvereinbar mit dem lokalen Prinzip der Vermögenseinheit aus.
In Europa meint man manchmal, die Hauptfunktion der US''-Restatements'' bestehe darin, unterschiedliche bundesstaatliche Rechte zu einer Einheit zusammenzuführen und damit eine US-weite Rechtseinheit zu befördern. Solche Unterschiede stellen aber, wie gesehen, nur eines der von den ''Restatements'' zu behandelnden Probleme dar, und jedenfalls in neueren ''Restatements'' ist man davon abgekommen, US-weite Rechtseinheit anzuordnen, wo sie nicht besteht. Rechtseinheitlichkeit wird in den USA stärker durch andere Mittel angestrebt: Die ''National Conference of Commissioners on Uniform State Laws'' (NCCUSL) erarbeitet wie auch das ALI Modellgesetze; deren Erfolgreichstes, der ''Uniform Commercial Code'', ist durch fast alle Staaten umgesetzt worden, freilich mit Unterschieden im Detail. Auch die Rechtsprechung erzielt eine partielle Einheitlichkeit: Zwar sind die Bundesgerichte nur sehr beschränkt zur Entwicklung von ''Federal Common law ''berufen. Wohl aber ziehen Gerichte bei der Auslegung einzelstaatlichen Rechts ganz regelmäßig nachbarstaatliche Gerichtsentscheidungen als ''persuasive precedent'' heran.


Schließlich ist zu fragen, ob ein ''renvoi'' auch dann zu beachten ist, wenn er deshalb ''sinnwidrig ''erscheint, weil seine Beachtung eine alternative Anknüpfung zur Begünstigung bestimmter Ergebnisse hinfällig machen würde (wenn z.B. Art.&nbsp;19 Abs.&nbsp;1 EGBGB die Abstammung alternativ anknüpft, um das Entstehen von Statusbeziehungen zu begünstigen, würde ein ''renvoi'' des Heimatrechts eines Elternteils auf das im konkreten Fall unterschiedliche Aufenthaltsrecht des Kindes die Maßgeblichkeit mehrerer Rechte verkürzen). Deshalb schließt Art.&nbsp;4 Abs.&nbsp;1 S.&nbsp;1 EGBGB einen ''renvoi''<nowiki> dann aus, wenn er „dem Sinn der Verweisung [des deutschen IPR auf fremdes Recht] widerspricht“.</nowiki>
== 3. Europäische ''Restatements'' ==
Die Idee der ''Restatements'' wurde in Europa aufgenommen, und zwar zuallererst im Vertragsrecht. 1968 regte der Generalsekretär von [[UNIDROIT]], ''Mario Matteucci'', die Erarbeitung eines "restatement of international contract law" an. Zunächst als "progressive codification of the law of international trade" geführt, mündete das Projekt 1994 in die [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT'' Principles of International Commercial Contracts'']] (PICC). Fast gleichzeitig erschienen 1995 die ''[[Principles of European Contract Law]]''. Obwohl sich beide Werke ''Principles'' nennen, sind sie doch explizit von der Idee der ''Restatements'' inspiriert und diesen auch ähnlich in der Form von Regelwerken mit kurzen Kommentaren und (bei den europäischen ''Principles'') rechtsvergleichenden Hinweisen. Von Anfang an war bei beiden indes das Bestreben stärker als in den USA, auch rechtspolitisch als besser aufgefasste Regeln aufzunehmen. Auch in der Arbeitsweise bestehen Unterschiede. So sind bei den ''Principles'' statt eines einzelnen ''reporter'' verschiedene ''reporters'' für Einzelbereiche tätig; das Endprojekt unterliegt nicht vor der Verabschiedung wie die US-''Restatements'' einer intensiven Diskussion durch Nichtmitglieder der jeweiligen Arbeitsgruppe, insbesondere nicht durch Praktiker.


c)&nbsp;Am schwierigsten ist die Frage zu beantworten, wie man auf eine ''ausländische IPR-Rückverweisung'' auf die ''lex fori'' reagieren soll. Deutschland und Österreich sehen ausdrücklich in Art.&nbsp;4 Abs.&nbsp;1 S.&nbsp;2 EGBGB und in §&nbsp;5 Abs.&nbsp;2 Hs.&nbsp;1 österreich. IPR-Gesetz vor, dass eine ausländische IPR-Verweisung abgebrochen und inländisches Sachrecht angewandt wird. Dieser eigennützige ''renvoi'' ist – abgesehen vom willkommenen Heimwärtsstreben – nicht zu befürworten. Wer sein eigenes Recht nicht primär für anwendbar hält, sollte es dem primär anwendbaren ausländischen Recht überlassen, wie bei einer fremden IPR-Verweisung zu verfahren ist. Diese Haltung nehmen englische Gerichte mit ihrem ''total'' oder ''double renvoi'' (auch ''foreign court theory'' genannt) ein, indem sie es dem primär berufenen ausländischen Recht überlassen, einen ''renvoi'' zu akzeptieren, abzubrechen oder sonst wie zu verfahren: ''In re Annesley ''<nowiki>[1926] Ch&nbsp;692 (Ch), </nowiki>''In re'' ''O’Keefe''<nowiki>, [1940] 1 Ch&nbsp;124 (Ch). Der Deutsche Rat für IPR hatte folgende Formulierung für eine nicht Gesetz gewordene deutsche Regelung vorgeschlagen: „Ist das Recht eines ausländischen Staates anzuwenden, dann ist so zu entscheiden, wie der ausländische Richter entscheiden würde.“ (Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Personen-, Familien- und Erbrechts, 1981, 15). Dieser Vorschlag ist allerdings nicht Gesetz geworden.</nowiki>
Der Erfolg dieser ''Restatements'' hat zu anderen ''Restatement''-Projekten geführt. Schon dem Namen nach ergibt sich die Parallele beim ''Restatement of European Insurance Contract Law'' (2007) (''[[Principles of European Insurance Contract Law]]''), das freilich von Anfang an als Vorarbeit für eine legislative Harmonisierung und zur Implementierung im [[Common Frame of Reference|Gemeinsamen Referenzrahmen]] gedacht war; hier fließt neben dem Recht der Mitgliedstaaten auch das harmonisierte Recht ein. Ein ''Restatement'' soll auch das vom ''European Labour Law Network'' geplante ''Restatement of Labour Law in Europe'' sein, das 2015 abgeschlossen sein soll (Arbeitsrecht, europäisches). Andere Projekte übernehmen den Begriff der ''Principles'', sind aber in der Sache ''Restatements'' ähnlich, wobei der Schwerpunkt häufig auf den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen liegt. Solche ''Restatements'' sind etwa die ''[[Principles of European Tort Law]]'' (2005), sowie die ''[[Principles of European Family Law]]'', von denen zwei Teile vorliegen (''Divorce and Maintenance between Former Spouses'' 2004; ''Parental Responsibilities'' 2007; [[Familie]]). In der Arbeitsweise ähneln beide Projekte den Vertragsrechtsprinzipien, wobei aber stärker auf Fragebögen und Länderberichte rekurriert wird. Diskutiert werden auch ''Principles of European Property Law''. UNIDROIT hat darüber hinaus gemeinsam mit dem ALI weltweite ''Principles of Transnational Civil Procedure'' ''2004'') vorgelegt; der frühere UNIDROIT-Generalsekretär schlägt die Erarbeitung von ''Principles of Conflict of Laws'' vor.


d)&nbsp;Schließlich stellt sich die Frage, ob ein ''versteckter'' ''renvoi'' dann anzunehmen ist, wenn das berufene ausländische Recht keine ausdrückliche Verweisung auf ausländisches Recht enthält, sondern nur die Geltung der ''lex fori'' für das zuständige inländische Gericht festlegt, aber zu erkennen gibt, dass es unter denselben Bedingungen einem ausländischen zuständigen Gericht die Anwendung seiner ''lex fori'' zubilligen würde. Streitig ist, ob man mit der deutschen Rechtsprechung hierin einen ''renvoi'' sehen sollte oder ob man in solchen Situationen eine subsidiäre Anknüpfung (etwa an den gewöhnlichen Aufenthalt einer Person statt an deren Staatsangehörigkeit) befürworten sollte.
Während es bei all diesen Projekten in erster Linie darum geht, nationale Rechtsordnungen zusammenzufassen, stellen die ''[[Acquis Principles]]'' ein ''Restatement'' des geltenden EU-Rechts dar. Allerdings extrapolieren die ''Principles'' aus den in speziellen (mehrheitlich zu Verbraucherverträgen erlassenen) Instrumenten enthaltenen Einzelregelungen ein allgemeines Vertragsrecht und treffen zudem zahlreiche rechtspolitische Entscheidungen, so dass das Ergebnis über ein bloß feststellendes ''Restatement'' hinausgeht. Daneben ist ein gelegentlich gefordertes Restatement of European Consumer Law zurzeit nicht absehbar.


== 4. ''Renvoi'' in Staatsverträgen ==
Kein ''Restatement'' im eigentlichen Sinne ist dagegen das Projekt eines ''Common Core of European Private Law.'' Hier geht es darum, Gemeinsamkeiten und Unterschiede europäischer Rechtsordnungen zu sammeln, ohne dass dabei ein systematisches Regelwerk oder eine Bewertung der gefundenen Regeln angestrebt wird. Aus umgekehrtem Grund ist der von der ''Study Group for a European Civil Code'' vorgelegte Entwurf für einen ''[[Common Frame of Reference]]'' (DCFR) kein eigentliches ''Restatement''. Er beruht zwar maßgeblich auf den ''Principles of European Private Law'' und in geringerem Maße auf den ''Acquis Principles'', geht aber stärker als beide Vorbilder über den ''status quo'' hinaus und muss damit anders als diese in erster Linie als rechtspolitischer Vorschlag seiner Verfasser angesehen werden. Dafür spricht auch, dass, anders als bei den neueren US-amerikanischen ''Restatements'', rechtsvergleichende Untersuchungen bei der Abfassung nur eine geringe Rolle zu spielen scheinen.
Die [[Haager Konferenz für IPR|Haager Konferenz für Internationales Privatrecht]] hatte versucht, das Problem des ''renvoi'' durch die sog. ''renvoi''-Konvention zu lösen. Das Übereinkommen vom 15.6.1955 zur Lösung der Konflikte zwischen dem Heimatrecht und dem Wohnsitzrecht (''Convention du 15 juin 1955 pour régler les conflits entre la loi nationale et la loi du domicile'') ist nie in Kraft getreten. Seitdem versucht man, in den einzelnen Staatsverträgen die dort auftretenden ''renvoi''-Probleme von Fall zu Fall zu lösen. Hierbei ergibt sich folgendes Bild:


a)&nbsp;In aller Regel schließen Staatsverträge über das anzuwendende Recht einen ''renvoi'' aus. Dies tun sie entweder durch ausdrückliche Verweisung auf das Sachrecht eines Staates (''loi interne'', ''internal law'') oder durch einen ausdrücklichen Ausschluss der IPR-Normen der bezeichneten fremden Rechtsordnung (vgl. z.B. Art.&nbsp;17 Haager ''Trust''-Übereinkommen von 1985; Art.&nbsp;17 Haager Erbrechts-Übereinkommen von 1989; Art.&nbsp;19 Haager Übereinkommen zum Erwachsenenschutz von 2000). Der Sinn ist klar. Wird das anzuwendende Recht einheitlich bestimmt, wird dadurch zwischen den Vertragsstaaten die Entscheidungsharmonie hergestellt, und nur im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten kann es zu Disharmonien kommen.
== 4. Vergleich ==
Bei allen Gemeinsamkeiten bestehen mehrere Unterschiede zu den US''-Restatements''. Das betrifft zunächst die ''Ausgangslage''. In den EU-mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen liegt das Hauptproblem nicht in Rechtsunsicherheit oder Mangel an Systematik – die kontinentaleuropäischen Privatrechte sind traditionell kodifiziert, und auch das englische Recht ist systematischer als das US-amerikanische. Hauptproblem in Europa sind vielmehr die Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, die grundsätzlicher sind als in den USA. Das Privatrecht der EU andererseits ist in der Tat bislang unsystematisch. Das liegt jedoch am bislang fragmentarischen Charakter europäischer Rechtsetzung, die sich ohne einiges Zutun schwer in ein umfassendes System erweitern lässt. Ein vollständiges ''Restatement'' müsste Gemeinschaftsrecht und Rechte der Mitgliedstaaten verbinden und damit ganz unterschiedliche Privatrechtskonzepte zusammenbringen; das gelingt bislang allenfalls im Ansatz.


b)&nbsp;Nur ganz selten begegnet man einem ''renvoi'' in Staatsverträgen. Ein Beispiel enthalten die gleichlautenden Art.&nbsp;2(1)2 der Abkommen von 1930 bzw. 1931 über Bestimmungen auf dem Gebiet des Internationalen Wechsel- bzw. Scheckprivatrechts (''Convention for the Settlement of Certain Conflicts of Laws in Connection with Bills of Exchange and Promissory Notes and with Cheques''). Die Wechsel- bzw. Scheckfähigkeit einer Person wird im jeweiligen Art.&nbsp;2(1)1 ihrem Heimatrecht unterstellt und dann in S.&nbsp;2 hinzugefügt: „Erklärt dieses Recht das Recht eines anderen Landes für maßgebend, so ist das letztere Recht anzuwenden.“ („If this national law provides that the law of another country is competent in the matter, this latter law shall be applied“).
Ein weiterer Unterschied betrifft das verwendete ''Material'', das in den USA traditionell aus Fallrecht, in Kontinentaleuropa weitgehend aus Gesetzgebung besteht. Damit ist die Aufgabe in den USA zuallererst, aus konkreten Falllösungen allgemeine Prinzipien zu destillieren; in Europa geht es dagegen häufig nur darum, bereits bestehende abstrakte Rechtsregeln zu vereinheitlichen. Freilich stellt in den USA die wachsende Bedeutung der Gesetzgebung die Verfasser von ''Restatements'' vor neue Herausforderungen; in Europa andererseits fließt auch das Fallrecht in die Arbeit ein, wenn auch nicht in gleichem Maße wie in den USA.


== 5. ''Renvoi'' im europäischen IPR ==
Unterschiedlich ist auch die ''Arbeitsweise''. Die US''-Restatements'' entstehen unter der Autorität einer allgemein anerkannten Institution, des ALI. Die europäischen ''Restatements'' entstehen dagegen größtenteils in privat gegründeten Arbeitsgruppen; auch der Zusammenschluss der wichtigsten Arbeitsgruppen zum ''Joint Network on European Private Law'' ändert das nicht grundsätzlich. Gelegentliche Forderungen nach einem ''European Law Institute'' sind bisher nicht umgesetzt worden. Die US''-Restatements'' werden in jahrelangem Austausch zwischen ''reporters'' und Außenstehenden, insbesondere auch Praktikern, geprüft und verbessert; erst deren Zustimmung führt zur Verabschiedung. Die europäischen Arbeitsgruppen bestehen dagegen fast ausschließlich aus Akademikern; Austausch mit Außenstehenden, insbesondere Praktikern, wird wenn überhaupt meist erst nach Abschluss gesucht. Der ''Draft Common Frame of Reference'' (DCFR) ist nur eine partielle Ausnahme. Er wurde zwar als Vorentwurf vorgelegt, aber die für Stellungnahmen vorgesehene Zeit von einem knappen Jahr war wesentlich kürzer als bei US-''Restatements''. Auch die während seiner Entstehung gehaltenen „stakeholder meetings“ führten nicht annähernd zu einer so intensiven Beteiligung von Praktikern wie in den USA.
Bislang hat das Europäische IPR einen ''renvoi''<nowiki> ausdrücklich ausgeschlossen (Art.&nbsp;24 Rom&nbsp;II-VO [VO&nbsp;864/‌2007]; Art.&nbsp;20 Rom&nbsp;I-VO [VO&nbsp;593/‌2008]). In den weiteren Verordnungen zum Internationalen Unterhalts-, Familien- und Erbrecht wird sich diese Position nicht mehr halten lassen; denn bedacht werden muss, dass auch auf das Recht von Nichtmitgliedstaaten verwiesen wird und diese – weil in diesen Staaten das europäische IPR nicht gilt – die Verweisung nicht annehmen. Man könnte natürlich auch hier das ausländische IPR ignorieren und ausländisches Sachrecht ohne Rücksicht darauf anwenden, ob es selber angewandt sein möchte. Das dürfte allerdings reichlich unpraktisch sein. Wieso sollen wir auf die Erbfolge in ein europäisches Grundstück eines in den USA verstorbenen Amerikaners das Recht am letzten amerikanischen Wohnsitz des Erblassers anwenden, wenn das Recht dieses amerikanischen Gliedstaats auf die europäische </nowiki>''lex rei sitae'' verweist? In einer solchen Situation mit Drittstaaten sollte man die Berücksichtigung eins ''renvoi'' (Rück- und Weiterverweisung) ernsthaft in Erwägung ziehen.


== 6. Berücksichtigung eines fremden IPR im Übrigen ==
Die Unterschiede in der Arbeitsweise führen zu unterschiedlichen ''Resultaten''. Die US''-Restatements'' haben zwar durchaus auch rechtspolitischen Charakter; ''reporters'' schlagen in stärkerem Maße „beste“ Regelungen vor, als das in Europa wahrgenommen wird. Trotzdem ist das Ausmaß solcher rechtspolitischer Entscheidungen kleiner als bei den meisten europäischen ''Restatements''<nowiki>; wo US</nowiki>''-Restatements'' rechtspolitisch vom status quo abgewichen sind, lässt sich das unschwer aus den Kommentaren entnehmen. Alle europäischen ''Restatements'' dagegen verbinden bloß deskriptive mit potentiell-präskriptiven Regeln, meist ohne dass der Unterschied klar erkenntlich würde. Rechtsvergleichende Kommentare spielen eine unterschiedlich große Rolle; sie sind recht umfangreich bei den PECL, bislang noch völlig fehlend beim DCFR. Insgesamt sind die europäischen ''Restatements'', der europäischen Kodifikationsgeschichte entsprechend, wesentlich mehr auf Systematik und Kohärenz ausgerichtet als die jüngeren US-amerikanischen ''Restatements''.
Ein ''renvoi'' ist nicht der einzige Fall, in dem ausländisches IPR im Inland beachtet wird. Insbesondere sind drei andere Situationen zu erwähnen, die mit einem ''renvoi'' nichts zu tun haben.


a)&nbsp;''Wohlerworbene Rechte'' (''vested rights''<nowiki>; </nowiki>''droits acquis'') werden anerkannt, selbst wenn sich nach dem Erwerb das Erwerbsstatut geändert hat. Ob allerdings ein Recht wohlerworben wurde, lässt sich nur unter Berücksichtigung des IPR des Erwerbsstatuts beurteilen. Wer also behauptet, er habe eine gestohlene Sache im Freilager der Stadt Genf/‌Schweiz kurz vor ihrem Transport nach Indianapolis/‌USA von einem deutschen Verkäufer gutgläubig erworben, muss nachweisen, dass die schweizerische ''lex rei sitae'' als angebliches Erwerbsstatut selbst überhaupt Anwendung verlangt und ein Recht als wohlerworben entstehen lässt. Das ist aber nicht der Fall; denn die schweizerische ''lex rei sitae'' gilt nicht für Transitware. Für sie gilt das Recht des US-amerikanischen Bestimmungsortes (Art.&nbsp;101 schweiz. IPRG), das einen gutgläubigen Erwerb nicht kennt: vgl. ''Autocephalous Greek Orthodox'' ''Church of Cyprus v. Goldberg'', 717 F.Supp. 1374, 1394&nbsp;f. (S.D. Ind. 1989).
Das hängt auch mit Unterschieden in der ''Zielsetzung'' zusammen. Die Hauptrolle der ''Restatements'' besteht darin, Klarheit in schwierigen Fragen zu gewährleisten und durch Bereitstellung einer Systematik das Finden konsistenter Falllösungen zu erleichtern. Die ''Restatements'' sind insofern nicht Rechtsquelle sondern Rechtserkenntnisquelle (''secondary'', nicht ''primary source of law''). Das können sie nur sein, insoweit die ''Restatements'' nicht nur inhaltlich überzeugen sondern vor allem auch zuverlässig das bereits geltende Recht wiedergeben; diese Vermutung wird den bestehenden europäischen ''Restatements'' bislang weit weniger zugestanden als ihren US-amerikanischen Vorbildern. Das liegt auch daran, dass die ausführlichen Kommentare der US''-Restatements'' gerade den Zugang zum Recht der jeweiligen Einzelstaaten ermöglichen. In Europa dagegen werden fast alle ''Restatements'' mehr oder weniger explizit auch als Vorarbeiten für eine europäische Kodifikation entworfen, die die Einzelstaatlichkeit des Rechts überwinden soll. Das lässt stärkere rechtspolitische Stellungnahmen vielleicht erstrebenswert erscheinen.


b)&nbsp;Wird eine ''Vorfrage'' (''preliminary question'') nach ausländischem Recht, d.h. unselbständig beantwortet, so muss auch das ausländische IPR herangezogen werden. Wenn die Anerkennung eines außerhalb einer Ehe geborenen Kindes nach fremdem Recht beurteilt wird um festzustellen, dass es auch Erbe des Anerkennenden ist, muss auch das IPR des fremden Anerkennungsstatuts befragt werden, ob die Anerkennung wirksam ist.
Anders als bei den US''-Restatements'' ist für einige ''Restatements'', insbesondere die UNIDROIT- und Lando-''Principles'' sowie neuerdings den Referenzrahmen, intensiv diskutiert worden, ob sie kollisionsrechtlich als ''anwendbares Recht'' gewählt werden könnten. Der europäische Gesetzgeber schien einer solchen Möglichkeit lange wohlwollend gegenüberzustehen, bevor er sie letztlich in der Rom&nbsp;I-VO (VO&nbsp;593/‌‌2008) abgelehnt hat ([[Rechtswahl]]). Wählbarkeit ist dagegen gegeben in der Schiedsgerichtsbarkeit; allerdings werden die UNIDROIT PICC recht selten, andere ''Principles'' praktisch nie gewählt. Ohne Rechtswahl werden die UNIDROIT PICC gelegentlich als zusätzliche Autorität herangezogen, als kollisionsrechtlich anwendbares Recht fast nie.


c)&nbsp;Bei einer ''Blockverweisung ''auf eine zuständige Rechtsordnung insgesamt ist auch das ausländische IPR zu beachten. Wer zusätzlich zum Wohnsitzrecht der Adoptiveltern als Adoptionsstatut das Wohnsitzrecht des Adoptivkindes deshalb berücksichtigen will, um zu vermeiden, dass dort dem Kind durch die Adoption ein schwerwiegender Nachteil entsteht (vgl. Art.&nbsp;77 Abs.&nbsp;2 schweiz. IPRG), muss auch das IPR des Staats am Wohnsitz des Kindes prüfen.
Alle europäischen ''Restatements'' wollen auch als Vorarbeiten für etwaige gemeinschaftliche ''Rechtsetzung'' dienen. Es erscheint indes fraglich, ob der Kompromiss zwischen deskriptiv-rechtsvergleichenden und präskriptiv-rechtspolitischen Inhalten, die alle Projekte mehr oder weniger prägt, hierfür nicht hinderlich ist. Die US''-Restatements'' wurden von Anfang an ausdrücklich als Alternative zur Gesetzgebung verstanden; eine bundeseinheitliche Kodifikation ist hier kaum je ernsthaft diskutiert worden. Dem europäischen Gemeinschaftsgesetzgeber wäre vielleicht mehr gedient mit einem stärker beschreibenden ''Restatement'', das Handlungsbedarf klar machen würde. Ob andererseits die rechtspolitischen Vorstellungen von Wissenschaftlern den Gemeinschaftsgesetzgeber deshalb überzeugen, weil sie in Form von ''Restatements'' geäußert werden, erscheint eher zweifelhaft. Das gilt in besonderem Maße für den DCFR, der einerseits stark auf rechtspolitischen Vorstellungen beruht, andererseits deutlich macht, dass ein politischer Referenzrahmen noch andere rechtspolitische Ideen aufnehmen müsste.
 
d)&nbsp;Ist eine ''spezielle oder generelle Ausnahmeklausel ''anwendbar, so kann es sich als vorteilhaft erweisen, wenn man die primär berufenen Rechtsordnungen nach deren Anwendungswillen hin befragt und feststellt, dass sie gar nicht angewandt werden wollen. Wer also auf das Recht des gemeinsamen Heimatrechts der Eheleute verwiesen wird (z.B. Art.&nbsp;61 Abs.&nbsp;2 schweiz. IPRG) und Zweifel hat, ob dieses Recht noch den engsten Zusammenhang zu dem Sachverhalt hat, der blicke in das IPR dieser Rechtsordnung und finde heraus, ob dieses Recht überhaupt anwendbar ist. Wenn das verneint wird, fällt die Anwendung der Ausnahmeklausel desto einfacher.
 
e)&nbsp;Nach ''Art.&nbsp;3a Abs.&nbsp;2 EGBGB'' wird fremdes IPR dann berücksichtigt, wenn solches Vermögen einer Person betroffen ist, das im Ausland liegt und dort besonderen Vorschriften unterliegt. In aller Regel sind dies Kollisionsnormen, die auf bestimmte Vermögensgegenstände die ''lex rei sitae'' anwenden. Man sagt: Einzelstatut bricht Gesamtstatut. So wenden deutsche Gerichte auf ausländisches unbewegliches Vermögen dann – abweichend von einem deutschen Gesamtstatut (z.B. Erbstatut) – das Einzelstatut von ausländischem unbeweglichem Vermögen an, wenn auf diese nach ausländischem IPR die ''lex rei sitae'' als Einzelstatut gilt. Eine solche Ausnahme zugunsten eines fremden IPR lässt sich nur schwer rechtfertigen.
 
== 7. Zukunft des ''Renvoi'' ==
Je mehr das IPR vereinheitlicht wird, desto geringer wird der Einfluss eines ''renvoi''. In Zukunft wird der ''renvoi'' allenfalls dann eine Rolle spielen, wenn auf das Recht eines Drittstaates verwiesen wird, der an der Vereinheitlichung nicht teilnimmt. In diesem Fall empfiehlt es sich, den Abbruch eines ''renvoi'' der fremden Rechtsordnung zu überlassen, also der „foreign court theory“ zu folgen.


==Literatur==
==Literatur==
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Version vom 28. September 2021, 18:53 Uhr

von Ralf Michaels

1. Begriff

Restatement heißt Neuformulierung. Das Restatement ist also kein Gesetz und wird typischerweise auch nicht durch den Gesetzgeber erlassen. Vielmehr formulieren Private, in der Regel Wissenschaftler und Praktiker, das geltende Recht in zugänglicher Form neu, typischerweise systematisiert und auf das Wesentliche konzentriert. Das Restatement lässt sich damit von anderen Akten abgrenzen, auch wenn die Übergänge teilweise fließend sind. Der Hauptunterschied zur Kodifikation liegt im fehlenden Geltungsbefehl. Ansonsten sieht ein Restatement inhaltlich einer Kodifikation ähnlich, die meisten Kodifikationen sind inhaltlich zu großem Teil Restatements bestehenden Rechts. Man kann das Restatement daher als Privatkodifikation bezeichnen. Gegenüber Prinzipien und allgemeinen Rechtsgrundsätzen sind die Regeln eines Restatements grundsätzlich spezifischer formuliert, so dass sie als Regeln angewandt werden können. Faktisch verbergen sich allerdings hinter vielen als Prinzipien bezeichneten Werken tatsächlich Restatements in Regelform. Der wichtigste Unterschied zum Modellgesetz schließlich liegt darin, dass das Restatement das Recht abbildet wie es ist, während das Modellgesetz das Recht vorschlägt, wie es sein sollte; freilich sind auch hier die Grenzen fließend.

In einem weiteren Sinne waren die juristischen Enzyklopädien des Natur- und Vernunftrechts ebenso Restatements wie die systematischen Darstellungen nationalen Rechts in der Pandektistik (Pandektensystem) und im französischen Privatrecht des 18. und 19. Jahrhunderts. All diese wissenschaftlichen Werke wollten die Gesamtheit des Rechts nicht bloß auflisten sondern als System darstellen. In einem engeren Sinne dagegen bezieht sich der Begriff des Restatements auf die so genannten Restatements of the Law des American Law Institute (ALI) sowie auf von diesen Restatements beeinflusste spätere Projekte; nur in diesem engeren Sinne wird er hier erläutert.

2. Die US-amerikanischen Restatements of the Law

Anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts konstatierten Praktiker und Wissenschaftler in den USA eine doppelte Krise ihres Rechts: Mangel an Rechtssicherheit und übermäßige Komplexität. Als Gründe für den Mangel an Rechtssicherheit erkannte man Uneinigkeit über die tragenden Prinzipien des common law, unklare Begriffsbildung, schlecht formulierte Gesetze, Masse des Fallmaterials sowie Anzahl und Eigenart neuer Rechtsfragen. Hauptgründe für die Komplexität waren der Mangel an Systematik und die Unterschiede im common law unterschiedlicher Bundesstaaten. Zur Bekämpfung gründete man 1923 das American Law Institute (ALI) “to promote the clarification and simplification of the law and its better adaptation to social needs, to secure the better administration of justice, and to encourage and carry on scholarly and scientific legal work.” Das Hauptinstrument sollten dabei Restatements grundlegender Rechtsgebiete sein, die das geltende Recht zugänglich machen sollten. Die Lösung sah man in einer wissenschaftlichen Systematisierung aus dem Fallmaterial zu destillierender Rechtsregeln. Weil dieser Ansatz auch dem europäisch beeinflussten Formalismus des 19. Jahrhunderts entsprach, sind jedenfalls die Restatements der ersten Generation von Anfang an als formalistisch-konservativ kritisiert worden; jüngere Beurteilungen sind differenzierter.

Der Erstellungsprozess dauert viele Jahre und ist durch einen intensiven andauernden Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis gekennzeichnet. Nachdem das ALI aufgrund sorgfältiger Voruntersuchung ein Thema als geeignet erkennt, beruft es als reporter typischerweise einen Wissenschaftler, der mit einer Gruppe von assistant reporters zunächst einen ersten Entwurf (first draft) vorlegt. Dieser Entwurf wird dann von einer kleinen Gruppe von Beratern diskutiert, die Praktiker und Wissenschaftler umfasst, was zu einem revidierten Entwurf (revised draft) führt. Diesen revidierten Entwurf diskutiert der Rat des ALI, eine Gruppe von etwa sechzig prominenten Richtern, Anwälten und Professoren. Nach der Diskussion wird er entweder zur Überarbeitung an den reporter zurückgegeben oder als vorläufiger Entwurf (tentative draft) der jährlichen Versammlung des ALI vorgelegt, das über viertausend Mitglieder umfasst. Diese Versammlung diskutiert nun den vorläufigen Entwurf und nimmt ihn entweder an oder, häufiger, gibt ihn zurück an den reporter für weitere Änderungen.

Über die Zeit hat sich der Charakter der Restatements stark gewandelt. Zwischen 1932 und 1944 entstanden die ersten Restatements, und zwar in Feldern des common law, die aus europäischer Sicht weitgehend zum Privatrecht gehören: Stellvertretung, Vertragsrecht, Deliktsrecht, Restitutionsrecht, Sachenrecht, Trusts, Sicherheiten, internationales Privatrecht und Gerichtsentscheidungen. Diese Restatements der ersten Generation bestanden weitgehend nur aus Regeln und kurzen Erläuterungen und vermittelten damit einen Eindruck der Einheitlichkeit und Eindeutigkeit, der bald als realitätsfremd kritisiert wurde. Das ab 1952 verfasste Second Restatement, das Fortentwicklungen des Rechts verarbeitet, nahm diese Kritik auf und fügte neue Felder hinzu: Mietrecht, Auswärtige Beziehungen. Viele seiner Regeln sind offener formuliert und zielen weniger auf Einheitlichkeit ab; oft sind sie sogar bewusst untereinander im Konflikt. Werden die Regeln so unwichtiger, so sind andererseits die Kommentare und Nachweise zum geltenden Recht wichtiger geworden; sie widmen sich auch der Frage, inwieweit die einzelstaatlichen Regelungen von der Lösung des Restatement abweichen. Zurzeit wird ein Third Restatement erstellt, das neue, auch nichtprivatrechtliche, Fächer hinzufügt; geplant sind Restatements auch für Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und Recht des internationalen Handels.

Die neuere Form mit Regeln und ausführlichen Kommentaren ermöglicht es den reporters, offen Lösungen vorzuschlagen, die unter Umständen nicht dem geltenden Recht in der Mehrheit der Staaten entsprechen. Manchmal setzen sich diese Lösungsvorschläge aufgrund der Autorität der Restatements oder ihrer Reporter durch. Neuere Restatements wie etwa Agency (2006) lassen auch weltweite Rechtsvergleichung einfließen und gehen damit über die Ursprungsidee bloßer Neuformulierung hinaus. Einige Lösungen in Restatements sind offen rechtspolitischer Natur und erlangen manchmal gerade deshalb großen Einfluss. Obwohl die Restatements keinen offiziellen Charakter haben, spielen sie in der Rechtsprechung eine wichtige Rolle als Referenz. Allerdings bestehen im Einzelnen starke Unterschiede sowohl zwischen den einzelnen Restatements als auch zwischen den verschiedenen Bundesstaaten.

In Europa meint man manchmal, die Hauptfunktion der US-Restatements bestehe darin, unterschiedliche bundesstaatliche Rechte zu einer Einheit zusammenzuführen und damit eine US-weite Rechtseinheit zu befördern. Solche Unterschiede stellen aber, wie gesehen, nur eines der von den Restatements zu behandelnden Probleme dar, und jedenfalls in neueren Restatements ist man davon abgekommen, US-weite Rechtseinheit anzuordnen, wo sie nicht besteht. Rechtseinheitlichkeit wird in den USA stärker durch andere Mittel angestrebt: Die National Conference of Commissioners on Uniform State Laws (NCCUSL) erarbeitet wie auch das ALI Modellgesetze; deren Erfolgreichstes, der Uniform Commercial Code, ist durch fast alle Staaten umgesetzt worden, freilich mit Unterschieden im Detail. Auch die Rechtsprechung erzielt eine partielle Einheitlichkeit: Zwar sind die Bundesgerichte nur sehr beschränkt zur Entwicklung von Federal Common law berufen. Wohl aber ziehen Gerichte bei der Auslegung einzelstaatlichen Rechts ganz regelmäßig nachbarstaatliche Gerichtsentscheidungen als persuasive precedent heran.

3. Europäische Restatements

Die Idee der Restatements wurde in Europa aufgenommen, und zwar zuallererst im Vertragsrecht. 1968 regte der Generalsekretär von UNIDROIT, Mario Matteucci, die Erarbeitung eines "restatement of international contract law" an. Zunächst als "progressive codification of the law of international trade" geführt, mündete das Projekt 1994 in die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (PICC). Fast gleichzeitig erschienen 1995 die Principles of European Contract Law. Obwohl sich beide Werke Principles nennen, sind sie doch explizit von der Idee der Restatements inspiriert und diesen auch ähnlich in der Form von Regelwerken mit kurzen Kommentaren und (bei den europäischen Principles) rechtsvergleichenden Hinweisen. Von Anfang an war bei beiden indes das Bestreben stärker als in den USA, auch rechtspolitisch als besser aufgefasste Regeln aufzunehmen. Auch in der Arbeitsweise bestehen Unterschiede. So sind bei den Principles statt eines einzelnen reporter verschiedene reporters für Einzelbereiche tätig; das Endprojekt unterliegt nicht vor der Verabschiedung wie die US-Restatements einer intensiven Diskussion durch Nichtmitglieder der jeweiligen Arbeitsgruppe, insbesondere nicht durch Praktiker.

Der Erfolg dieser Restatements hat zu anderen Restatement-Projekten geführt. Schon dem Namen nach ergibt sich die Parallele beim Restatement of European Insurance Contract Law (2007) (Principles of European Insurance Contract Law), das freilich von Anfang an als Vorarbeit für eine legislative Harmonisierung und zur Implementierung im Gemeinsamen Referenzrahmen gedacht war; hier fließt neben dem Recht der Mitgliedstaaten auch das harmonisierte Recht ein. Ein Restatement soll auch das vom European Labour Law Network geplante Restatement of Labour Law in Europe sein, das 2015 abgeschlossen sein soll (Arbeitsrecht, europäisches). Andere Projekte übernehmen den Begriff der Principles, sind aber in der Sache Restatements ähnlich, wobei der Schwerpunkt häufig auf den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen liegt. Solche Restatements sind etwa die Principles of European Tort Law (2005), sowie die Principles of European Family Law, von denen zwei Teile vorliegen (Divorce and Maintenance between Former Spouses 2004; Parental Responsibilities 2007; Familie). In der Arbeitsweise ähneln beide Projekte den Vertragsrechtsprinzipien, wobei aber stärker auf Fragebögen und Länderberichte rekurriert wird. Diskutiert werden auch Principles of European Property Law. UNIDROIT hat darüber hinaus gemeinsam mit dem ALI weltweite Principles of Transnational Civil Procedure 2004) vorgelegt; der frühere UNIDROIT-Generalsekretär schlägt die Erarbeitung von Principles of Conflict of Laws vor.

Während es bei all diesen Projekten in erster Linie darum geht, nationale Rechtsordnungen zusammenzufassen, stellen die Acquis Principles ein Restatement des geltenden EU-Rechts dar. Allerdings extrapolieren die Principles aus den in speziellen (mehrheitlich zu Verbraucherverträgen erlassenen) Instrumenten enthaltenen Einzelregelungen ein allgemeines Vertragsrecht und treffen zudem zahlreiche rechtspolitische Entscheidungen, so dass das Ergebnis über ein bloß feststellendes Restatement hinausgeht. Daneben ist ein gelegentlich gefordertes Restatement of European Consumer Law zurzeit nicht absehbar.

Kein Restatement im eigentlichen Sinne ist dagegen das Projekt eines Common Core of European Private Law. Hier geht es darum, Gemeinsamkeiten und Unterschiede europäischer Rechtsordnungen zu sammeln, ohne dass dabei ein systematisches Regelwerk oder eine Bewertung der gefundenen Regeln angestrebt wird. Aus umgekehrtem Grund ist der von der Study Group for a European Civil Code vorgelegte Entwurf für einen Common Frame of Reference (DCFR) kein eigentliches Restatement. Er beruht zwar maßgeblich auf den Principles of European Private Law und in geringerem Maße auf den Acquis Principles, geht aber stärker als beide Vorbilder über den status quo hinaus und muss damit anders als diese in erster Linie als rechtspolitischer Vorschlag seiner Verfasser angesehen werden. Dafür spricht auch, dass, anders als bei den neueren US-amerikanischen Restatements, rechtsvergleichende Untersuchungen bei der Abfassung nur eine geringe Rolle zu spielen scheinen.

4. Vergleich

Bei allen Gemeinsamkeiten bestehen mehrere Unterschiede zu den US-Restatements. Das betrifft zunächst die Ausgangslage. In den EU-mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen liegt das Hauptproblem nicht in Rechtsunsicherheit oder Mangel an Systematik – die kontinentaleuropäischen Privatrechte sind traditionell kodifiziert, und auch das englische Recht ist systematischer als das US-amerikanische. Hauptproblem in Europa sind vielmehr die Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, die grundsätzlicher sind als in den USA. Das Privatrecht der EU andererseits ist in der Tat bislang unsystematisch. Das liegt jedoch am bislang fragmentarischen Charakter europäischer Rechtsetzung, die sich ohne einiges Zutun schwer in ein umfassendes System erweitern lässt. Ein vollständiges Restatement müsste Gemeinschaftsrecht und Rechte der Mitgliedstaaten verbinden und damit ganz unterschiedliche Privatrechtskonzepte zusammenbringen; das gelingt bislang allenfalls im Ansatz.

Ein weiterer Unterschied betrifft das verwendete Material, das in den USA traditionell aus Fallrecht, in Kontinentaleuropa weitgehend aus Gesetzgebung besteht. Damit ist die Aufgabe in den USA zuallererst, aus konkreten Falllösungen allgemeine Prinzipien zu destillieren; in Europa geht es dagegen häufig nur darum, bereits bestehende abstrakte Rechtsregeln zu vereinheitlichen. Freilich stellt in den USA die wachsende Bedeutung der Gesetzgebung die Verfasser von Restatements vor neue Herausforderungen; in Europa andererseits fließt auch das Fallrecht in die Arbeit ein, wenn auch nicht in gleichem Maße wie in den USA.

Unterschiedlich ist auch die Arbeitsweise. Die US-Restatements entstehen unter der Autorität einer allgemein anerkannten Institution, des ALI. Die europäischen Restatements entstehen dagegen größtenteils in privat gegründeten Arbeitsgruppen; auch der Zusammenschluss der wichtigsten Arbeitsgruppen zum Joint Network on European Private Law ändert das nicht grundsätzlich. Gelegentliche Forderungen nach einem European Law Institute sind bisher nicht umgesetzt worden. Die US-Restatements werden in jahrelangem Austausch zwischen reporters und Außenstehenden, insbesondere auch Praktikern, geprüft und verbessert; erst deren Zustimmung führt zur Verabschiedung. Die europäischen Arbeitsgruppen bestehen dagegen fast ausschließlich aus Akademikern; Austausch mit Außenstehenden, insbesondere Praktikern, wird wenn überhaupt meist erst nach Abschluss gesucht. Der Draft Common Frame of Reference (DCFR) ist nur eine partielle Ausnahme. Er wurde zwar als Vorentwurf vorgelegt, aber die für Stellungnahmen vorgesehene Zeit von einem knappen Jahr war wesentlich kürzer als bei US-Restatements. Auch die während seiner Entstehung gehaltenen „stakeholder meetings“ führten nicht annähernd zu einer so intensiven Beteiligung von Praktikern wie in den USA.

Die Unterschiede in der Arbeitsweise führen zu unterschiedlichen Resultaten. Die US-Restatements haben zwar durchaus auch rechtspolitischen Charakter; reporters schlagen in stärkerem Maße „beste“ Regelungen vor, als das in Europa wahrgenommen wird. Trotzdem ist das Ausmaß solcher rechtspolitischer Entscheidungen kleiner als bei den meisten europäischen Restatements; wo US-Restatements rechtspolitisch vom status quo abgewichen sind, lässt sich das unschwer aus den Kommentaren entnehmen. Alle europäischen Restatements dagegen verbinden bloß deskriptive mit potentiell-präskriptiven Regeln, meist ohne dass der Unterschied klar erkenntlich würde. Rechtsvergleichende Kommentare spielen eine unterschiedlich große Rolle; sie sind recht umfangreich bei den PECL, bislang noch völlig fehlend beim DCFR. Insgesamt sind die europäischen Restatements, der europäischen Kodifikationsgeschichte entsprechend, wesentlich mehr auf Systematik und Kohärenz ausgerichtet als die jüngeren US-amerikanischen Restatements.

Das hängt auch mit Unterschieden in der Zielsetzung zusammen. Die Hauptrolle der Restatements besteht darin, Klarheit in schwierigen Fragen zu gewährleisten und durch Bereitstellung einer Systematik das Finden konsistenter Falllösungen zu erleichtern. Die Restatements sind insofern nicht Rechtsquelle sondern Rechtserkenntnisquelle (secondary, nicht primary source of law). Das können sie nur sein, insoweit die Restatements nicht nur inhaltlich überzeugen sondern vor allem auch zuverlässig das bereits geltende Recht wiedergeben; diese Vermutung wird den bestehenden europäischen Restatements bislang weit weniger zugestanden als ihren US-amerikanischen Vorbildern. Das liegt auch daran, dass die ausführlichen Kommentare der US-Restatements gerade den Zugang zum Recht der jeweiligen Einzelstaaten ermöglichen. In Europa dagegen werden fast alle Restatements mehr oder weniger explizit auch als Vorarbeiten für eine europäische Kodifikation entworfen, die die Einzelstaatlichkeit des Rechts überwinden soll. Das lässt stärkere rechtspolitische Stellungnahmen vielleicht erstrebenswert erscheinen.

Anders als bei den US-Restatements ist für einige Restatements, insbesondere die UNIDROIT- und Lando-Principles sowie neuerdings den Referenzrahmen, intensiv diskutiert worden, ob sie kollisionsrechtlich als anwendbares Recht gewählt werden könnten. Der europäische Gesetzgeber schien einer solchen Möglichkeit lange wohlwollend gegenüberzustehen, bevor er sie letztlich in der Rom I-VO (VO 593/‌‌2008) abgelehnt hat (Rechtswahl). Wählbarkeit ist dagegen gegeben in der Schiedsgerichtsbarkeit; allerdings werden die UNIDROIT PICC recht selten, andere Principles praktisch nie gewählt. Ohne Rechtswahl werden die UNIDROIT PICC gelegentlich als zusätzliche Autorität herangezogen, als kollisionsrechtlich anwendbares Recht fast nie.

Alle europäischen Restatements wollen auch als Vorarbeiten für etwaige gemeinschaftliche Rechtsetzung dienen. Es erscheint indes fraglich, ob der Kompromiss zwischen deskriptiv-rechtsvergleichenden und präskriptiv-rechtspolitischen Inhalten, die alle Projekte mehr oder weniger prägt, hierfür nicht hinderlich ist. Die US-Restatements wurden von Anfang an ausdrücklich als Alternative zur Gesetzgebung verstanden; eine bundeseinheitliche Kodifikation ist hier kaum je ernsthaft diskutiert worden. Dem europäischen Gemeinschaftsgesetzgeber wäre vielleicht mehr gedient mit einem stärker beschreibenden Restatement, das Handlungsbedarf klar machen würde. Ob andererseits die rechtspolitischen Vorstellungen von Wissenschaftlern den Gemeinschaftsgesetzgeber deshalb überzeugen, weil sie in Form von Restatements geäußert werden, erscheint eher zweifelhaft. Das gilt in besonderem Maße für den DCFR, der einerseits stark auf rechtspolitischen Vorstellungen beruht, andererseits deutlich macht, dass ein politischer Referenzrahmen noch andere rechtspolitische Ideen aufnehmen müsste.

Literatur

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