Ordre public und Pandektensystem: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Dieter Martiny]]''
von ''[[Jan Peter Schmidt]]''
== 1. Begriff und Konzept ==
== 1. Begriff ==
Dem Ausdruck ''ordre public'' (''public policy'') entspricht sprachlich die „öffentliche Ordnung“. Der Begriff wird in vielfältiger Weise verwendet.  
Der Begriff Pandektensystem bezeichnet die Gliederung des Zivilrechts in einen [[Allgemeiner Teil|Allgemeinen Teil]] und die vier Abschnitte Sachenrecht, Schuldrecht, Familienrecht ([[Familie]]) und [[Erbrecht]]. Der Name geht auf die Pandektenlehrbücher des 19. Jahrhunderts zurück, die diese Anordnung des Rechtsstoffs populär machten. Das Pandektensystem wird manchmal auch „Heise-System“ genannt, weil der „Grundriß eines Systems des gemeinen Civilrechts zum Behuf von Pandecten-Vorlesungen“ (1807) von ''Georg Arnold Heise'' eine entscheidende Rolle bei seiner Verbreitung spielte. Heute wird das Pandektensystem meist nicht mehr im Zusammenhang mit dem Darstellungsplan von Lehrbüchern, sondern mit dem Aufbau von Zivilgesetzbüchern diskutiert.


Die öffentliche Ordnung findet sich bereits im [[EG-Vertrag]]. Hier erlaubt sie insbesondere eine Einschränkung der [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]]. Nach europäischem Primärrecht ist zur Wahrung der öffentlichen Ordnung eine Beschränkung der [[Warenverkehrsfreiheit]] möglich (Art. 30 EG/‌36 AEUV), desgleichen sind Beschränkungen der [[Niederlassungsfreiheit]] (Art. 46 EG/‌52 AEUV) und der [[Dienstleistungsfreiheit]] (Art. 55 EG/‌62 AEUV) zulässig. Insofern kann der nationale Gesetzgeber Schranken setzen. Ob hierfür jeweils die Voraussetzungen gegeben sind, entscheidet gegebenenfalls der [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]]. Der ''ordre public'' spielt auch im Völkerrecht eine Rolle.
== 2. Entstehung ==
Der Entstehungsprozess des Pandektensystems erstreckte sich über mehrere Jahrhunderte und wurde von unterschiedlichen Einflüssen geprägt. Der Ausgangspunkt lag im 16. Jahrhundert, als unter dem juristischen [[Humanismus]] in Deutschland und Frankreich, aber unabhängig davon auch unter den spanischen Scholastikern ([[Scholastik]]), Bemühungen zur Herausbildung eines neuen Systems zur Darstellung des Rechts einsetzten. Die Legalordnung der Digesten (''[[Corpus Juris Civilis]]'') wurde zunehmend als unbefriedigend empfunden und sollte durch einen rational begründeten Aufbau ersetzt werden. Viele Autoren gingen deshalb dazu über, den Rechtsstoff nach der Formel der Institutionenordnung (''[[Corpus Juris Civilis]]'') in ''personae'','' res'','' actiones'' zu gliedern (der Begriff ''res'' wurde dabei weit verstanden und umfasste neben dem Sachenrecht im engeren Sinne auch Erbrecht und Schuldrecht). Als einflussreichstes Werk aus jener Zeit gelten die „Commentarii juris civilis“ (1589) von ''Hugo Donellus''.


Der ''ordre public'' gehört ferner zu den Rechtsinstituten des Allgemeinen Teils des [[internationales Privatrecht|internationalen Privatrechts]] sowie des internationalen Verfahrensrechts und dient zur Abwehr von den eigenen Grundvorstellungen widersprechendem ausländischem Recht, ausländischen Entscheidungen sowie anderen rechtlich relevanten Einflüssen. Nach der klassischen Konzeption des internationalen Privatrechts ist der ''ordre public'' ein geradezu unverzichtbares Bollwerk gegenüber schädlichen ausländischen Normen und Entscheidungen. Er schränkt daher die Bereitschaft zur Anwendung des grundsätzlich als gleichwertig angesehenen fremden Rechts ebenso ein wie die Anerkennung ausländischer Verfahrensakte.
Um die Herausbildung einer neuen Systematik begann sich etwas später auch die neuzeitliche Naturrechtslehre zu bemühen ([[Naturrecht]]). Da sie sich nicht an den Quellen des positiven Rechts zu orientieren brauchte, konnte sich ihr Streben nach einer neuen Ordnung ganz ungehindert entfalten. Ein die gesamte Rechtswelt umfassendes System des ''ius naturae'' wurde zuerst von'' Samuel von Pufendorf'' in seinem „De jure naturae et gentium libri octo“ (1672) entwickelt, das die weitere Naturrechtsliteratur stark beeinflussen sollte. Das Grundprinzip des ''Pufendorf''’schen Systems bestand in einem Vorwärtsschreiten von der Einzelperson zu den höheren Einheiten des menschlichen Zusammenlebens, wodurch es den Gedanken von der Doppelnatur des Menschen als Individuum und Gemeinschaftsglied zum Ausdruck brachte. Zunächst wurde deshalb das Personenrecht und in diesem Rahmen das Vermögensrecht dargestellt, sodann das Recht der Familie, das des Staates und schließlich das Völkerrecht. Eine für die künftigen Systeme des Privatrechts wichtige Folge dieser Vorgehensweise war die Loslösung des Familienrechts vom Personenrecht, die im weiteren Verlauf auch die Verselbständigung des Erbrechts nach sich zog.


Neben dem mit Rechtsnormen befassten materiellrechtlichen ''ordre public'' gibt es begrifflich und rechtstechnisch noch den auf das Verfahren bezogenen verfahrensrechtlichen'' ordre public'' mit jeweils unterschiedlicher Herleitung und verschiedenen Anwendungsbereichen. Schwierigkeiten macht auf allen Gebieten, dass der ''ordre public'' als unbestimmter Rechtsbegriff der Präzisierung bedarf.
Das bunte Bild der Rechtssystematik, das das Schrifttum des 17. und 18. Jahrhunderts bot, spiegelte sich in den drei großen Kodifikationen ([[Kodifikation]]) vom Ende des 18. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts wider: Das [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten]] (1794) war in seinem Aufbau stark von der Naturrechtslehre beeinflusst worden, während der ''[[Code civil]]'' (1804) und das [[Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch|ABGB]] (1811) sich an die Institutionenordnung anlehnten. Der ''Code civil'' wies daneben auch Einflüsse der vorangegangenen französischen Zivilistik auf, vor allem was die Systematik seines dritten Buches betraf („des différentes manières dont on acquiert la propiété“).  


Der Begriff des ''ordre public'' wird teilweise, insbesondere in Frankreich, auch synonym für nicht dispositives, d.h. zwingendes Recht gebraucht (''ordre public interne''). Nur der ''ordre public international ''betrifft das internationale Privatrecht.
Die letzte Phase der Entstehung des Pandektensystems begann mit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als in den deutschen Darstellungen des gemeinen Rechts unter dem Einfluss des Naturrechts eine immer stärkere Tendenz zur Preisgabe der Institutionenordnung einsetzte. Zu den wichtigsten Stationen auf dem Weg zum Pandektensystem gehörten ''Gustav Hugos'' „Institutionen des heutigen römischen Rechts“ (1789) und der schon erwähnte „Grundriß“ ''Heises''. Spätestens nachdem auch ''Friedrich Carl von Savigny'' sein „System des heutigen Römischen Rechts“ (1840–1851) in der entsprechenden Weise aufgebaut hatte, wurde die Suche nach dem „richtigen“ System als abgeschlossen betrachtet. Das Pandektensystem dominierte fortan nicht nur die Darstellungen des römischen Rechts, sondern auch die des deutschen Rechts und der Partikularrechte.


== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Die Entstehungsgeschichte des Pandektensystems zeigt, dass es das Produkt einer Kreuzung verschiedener Traditionen ist. Während die Trennung zwischen Schuld- und Sachenrecht in der römischrechtlichen Unterscheidung zwischen der ''actio in personam'' und der ''actio in rem'' (persönlicher und dinglicher Klage) wurzelt, geht die Verselbständigung des Familien- und Erbrechts auf den Einfluss des Naturrechts zurück (als unselbständige Einheiten fanden sich Familienrecht und Erbrecht auch schon in der Institutionenordnung). Der [[Allgemeiner Teil|Allgemeine Teil]] war hingegen ein gänzlich neuer Bestandteil, der seinen Ursprung allein in der Naturrechtslehre hatte. Er gilt als die „Krönung“ (''Helmut Coing'') und „the truly distinctive feature“ (''Reinhard Zimmermann'') des Pandektensystems, denn er brachte zum Ausdruck, dass das Privatrecht nicht länger als eine Summe von Einzelerkenntnissen, sondern als echtes deduktives System begriffen wurde.
Bezüglich des kollisions- und verfahrensrechtlichen ''ordre public'' bestehen mehrere miteinander verwobene Problemfelder und nicht widerspruchsfreie Entwicklungstendenzen. Zunächst einmal ist zu bestimmen, wie weit der ''ordre public'' auf einer übergeordneten europäischen Ebene und wie weit er auf der nationalen Ebene angesiedelt ist. Ferner ist der Inhalt zu bestimmen. So wird der ''ordre public'' auf europäischer Ebene zunehmend nicht mehr nur als Schutzinstrument zugunsten mitgliedstaatlicher Werte verstanden. Vielmehr wird der Inhalt des ''ordre public'' zunehmend europäisiert. Grundwerte des primären Gemeinschaftsrechts, aber auch der Europäischen Menschenrechtskonvention ([[Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK]]) werden zur Ausfüllung des ''ordre public'' herangezogen. Nationalen Vorstellungen wird bei der Anwendung des ''ordre public'' zugleich eine Grenze gesetzt.  


Für den europäischen Justizraum strebt vor allem die [[Europäische Kommission]] danach, den nationalen ''ordre public'' gegenüber Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten nicht mehr zuzulassen. Im Interesse eines einheitlichen Justizraums soll eine ungehinderte Anerkennung und Gleichstellung in- und ausländischer Entscheidungen gewährleistet werden. Dies setzt letztlich gleiche Schutzstandards im erststaatlichen Verfahren voraus. Dieses Konzept hat inzwischen in mehreren Verordnungen Ausdruck gefunden.
== 3. Die Verbreitung des Pandektensystems in der Welt ==
Bei Schaffung des sächsischen BGB (1863) wurde das Pandektensystem erstmals auch als gesetzlicher Ordnungsplan für ein Zivilgesetzbuch gewählt. Mit seiner Übernahme durch das [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]] gelangte das Pandektensystem zu weltweiter Berühmtheit. Es hat in allen danach ergangenen Zivilgesetzbüchern seine Spuren hinterlassen. Zwar ist nur ein kleiner Teil davon dem Pandektensystem ''in toto ''gefolgt und hat auch den [[Allgemeiner Teil|Allgemeinen Teil]] übernommen; in allen übrigen Zivilkodifikationen findet sich aber (gelegentlich in leicht modifizierter Weise) die Einteilung der Materien nach Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht und Erbrecht (ggf. neben weiteren Materien wie dem Unternehmensrecht, siehe ''[[Code unique]]''; dass die Staaten des sozialistischen Rechtskreises das Familienrecht oftmals aus dem Zivilgesetzbuch herausnahmen, änderte nichts daran, dass auch sie das Familienrecht als Sacheinheit behandelten). Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Pandektensystems haben, neben dem BGB, das [[schweizerisches Zivilgesetzbuch|schweizerische Zivilgesetzbuch]] (1907) und der italienische'' [[Codice civile]]'' (1942) gespielt, die Vorbilder für die Zivilgesetzbücher vieler anderer Staaten gewesen sind ([[Rezeption]]).  


Soweit die ''ordre public''-Klausel noch verwendet wird, versucht man, ihre Anwendung auf Ausnahmefälle zu beschränken. Ferner wird, soweit möglich, inhaltlich genauer umschrieben, wann ein ''ordre public''-Verstoß in Betracht kommt. Damit versucht man, den Ausnahmecharakter des ''ordre public'' noch deutlicher zu machen.
Noch größere Spuren als in den Legalordnungen anderer Länder hat das Pandektensystem im ausländischen Rechtsdenken hinterlassen. Selbst dort, wo das kodifizierte Privatrecht einer ganz anderen Ordnung als dem Pandektensystem folgt, wie etwa in Frankreich und Österreich, haben sich Wissenschaft und Lehre in der Darstellung des Rechts dem Pandektensystem seit dem 19. Jahrhundert stark angenähert. In nicht zu unterschätzendem Maße gilt dies auch für den Rechtskreis des ''[[common law]]''. „Kaum eine zweite Tatsache bringt den universellen Einfluss der deutschen gemeinrechtlichen Wissenschaft des 19. Jahrhundert zu so deutlich erkennbarem Ausdruck“ wie diese weltweite Verbreitung des Pandektensystems ''(Andreas B. Schwarz)''.


Der ''ordre public'' wird zunehmend, was in Deutschland ohnehin herrschend ist, lediglich als negativer ''ordre public'' verstanden, d.h. er wird nur als Abwehrinstrument gegenüber dem ausländischen Recht eingesetzt. Dagegen wird die auf die Durchsetzung des eigenen (zwingenden) Rechts zielende positive Wirkung des ''ordre public'' immer weniger gebilligt (positiver ''ordre public''). Insoweit wird freilich die gleiche kollisionsrechtliche Wirkung mit einer Sonderanknüpfung eigenen international zwingenden Rechts bzw. mithilfe von [[Eingriffsnormen]] erreicht.
== 4. Kritik am Pandektensystem ==
Die Kritik am Pandektensystem hat sich zu allen Zeiten in erster Linie gegen den [[Allgemeiner Teil|Allgemeinen Teil]] gerichtet. Dadurch wird leicht übersehen, dass auch die Einteilung des Rechtsstoffs nach Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht und Erbrecht, die aufgrund ihrer weiten Verbreitung heute als selbstverständlich erscheint, seit langem umstritten ist, ebenso wie die dabei zu beachtende Reihenfolge. Die Ordnung des BGB wurde bereits nach der Veröffentlichung des Ersten Entwurfs von Autoren wie ''Anton Menger'' und ''Otto von Gierke'' ernsthaft in Frage gestellt. Am lautesten waren die Rufe nach einer neuen Stoffanordnung für Gesetzgebung und Wissenschaft im Nationalsozialismus. Heute haben sich die Diskussionen weitgehend beruhigt, einige der gegen das Pandektensystems vorgebrachten Argumente besitzen aber nach wie vor Gültigkeit.


== 3. ''Ordre public'' im internationalen Privatrecht ==
=== a) Die Kritik an den Kategorien des Pandektensystems ===
Der ''ordre public'' spielt immer dann eine Rolle, wenn nach internationalem Privatrecht ausländisches Recht anzuwenden und das Ergebnis der anzuwendenden (ausländischen) Rechtsnorm mit der inländischen Rechtsordnung unvereinbar ist. Die dann erfolgende Abwehr von Auslandsrecht kommt in dem ebenfalls gebräuchlichen Ausdruck „Vorbehaltsklausel“ zum Ausdruck.
Ein alter und grundlegender Vorwurf gegen das Pandektensystem lautet, dass ihm kein einheitlicher Ordnungsgesichtspunkt zugrunde liege: Während nämlich die Unterscheidung zwischen Schuld- und Sachenrecht auf den unterschiedlichen Rechtswirkungen der jeweiligen Normen beruht (relative Wirkung/‌absolute Wirkung), finden sich im Familien- und Erbrecht Normen versammelt, deren Tatbestände sich – ohne Rücksicht auf die angeordneten Rechtsfolgen – auf einen bestimmten Themenkreis der sozialen Wirklichkeit beziehen. Die beiden Paare Sachenrecht/‌Schuldrecht und Familienrecht/‌Erbrecht sind also „nach einer Kreuzeinteilung geformt“ ''(Ernst Zitelmann)''. Freilich hatten die Anhänger des Pandektensystems dessen logische Geschlossenheit auch nie behauptet; vielmehr hatten sie sich vom Gesichtspunkt der praktischen Zweckmäßigkeit leiten lassen.


Die ''ordre public''-Klausel gehört zum festen Bestand der Haager Konventionen. Hier wird für das Eingreifen der ''ordre public''-Klausel ein „offensichtlicher“ Verstoß verlangt, so etwa in Art. 13 Haager Unterhaltsprotokoll von 2007, Art. 22, 30 Haager Unterhaltsdurchsetzungsübereinkommen von 2007, ebenso in Art. 22 Haager Kinderschutzübereinkommen von 1996 unter Bezug auf das Kindeswohl.
Was die Bildung der einzelnen Teile des Pandektensystems betrifft, so wurde lange Zeit die – historisch noch junge – Kategorie des Schuldrechts in Frage gestellt und besonders die gemeinsame Behandlung von Vertrags- und Deliktsrechts unter einem Dach als „lebensfremd“ kritisiert. Diese Ansicht dürfte in den kontinentaleuropäisch geprägten Rechtsordnungen mittlerweile überwunden sein. Und sogar im Rechtskreis des ''common law'' erfährt die traditionell unbekannte Kategorie des ''law of obligation''s inzwischen zunehmende Aufmerksamkeit. Auf der europäischen Ebene lässt sich derzeit zwar noch nicht von der Existenz einer Kategorie des Schuldrechts sprechen. Dies liegt jedoch vor allem daran, dass die bisherigen Vereinheitlichungsprojekte fast alle nur punktueller Natur sind. Ansätze zur Behandlung des Schuldrechts als systematische Einheit finden sich im dritten Teil der ''[[Principles of European Contract Law]] ''(PECL) und im dritten Buch des ''Draft [[Common Frame of Reference]] ''(DCFR). Angesichts der gefestigten Tradition, über die die Kategorie des Schuldrechts in fast allen europäischen Rechtsordnungen heute verfügt, ist zu erwarten, dass ihr im Zuge der fortschreitenden Entwicklung und Systematisierung des Europäischen Privatrechts eine wichtige Rolle zukommen wird.


Die Verordnungen zum europäischen internationalen Schuldrecht Rom I (VO 593/‌2008) und Rom II (VO 864/‌2007) enthalten eine identische ''ordre public''-Klausel. Die Anwendung einer Vorschrift des nach der jeweiligen Verordnung bezeichneten Rechts kann nur dann versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist (Art. 21 Rom I-VO und Art. 26 Rom II-VO). Der Inhalt des europäischen ''ordre public'' lässt sich aber kaum exakt umschreiben. Zu den Bestandteilen werden jedenfalls die Auswirkungen der [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]] und auch der [[Europäische Wirtschaftsverfassung|europäischen Wirtschaftsverfassung]] in Bezug auf Wettbewerbsbeschränkungen, ferner jedenfalls grundlegende Aussagen der EMRK zu rechnen sein.
Sodann betrifft die Kritik an der Verselbständigung des Schuldrechts die damit verbundene Trennung von Schuld- und Sachenrecht, durch die funktional zusammengehörende Tatbestände (etwa der Kaufvertrag und die zugehörige Übereignung der Kaufsache) auseinandergerissen werden. Unter dem Nationalsozialismus, aber auch in der DDR, gab es deshalb zahlreiche Versuche, zu einer funktionalen Ordnung des Vermögensrechts zu kommen, eine Idee, die im Zivilgesetzbuch der DDR (1975) auch teilweise verwirklicht wurde. Auch die Kritik an der Trennung von Schuld- und Sachenrecht ist heute aber weitgehend verstummt. Im Lichte der gemachten Erfahrungen wird die Systembildung auf der Grundlage der Struktur von Rechtsverhältnissen, wie im Schuld- und Sachenrecht exemplarisch durchgeführt, sogar ausdrücklich gelobt, weil sie eine besondere Flexibilität erlaube ''(Ralf Michaels)''<nowiki>. In keinem Fall verbietet die Trennung von Schuld- und Sachenrecht, in Einzelfällen davon abzuweichen und funktionalen Überlegungen den Vorrang einzuräumen (wie das BGB dies etwa bei den gesetzlichen Pfandrechten [§§&nbsp;562, 583, 592, 647, 704] oder dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis [§§&nbsp;987&nbsp;ff.] tut). Dies gilt für das Pandektensystem generell: Die einzelnen Kategorien sollen nur eine Grundorientierung bieten und sind keinesfalls undurchlässig.</nowiki>


Auch die nationalen Kollisionsnormen kennen ''ordre public''-Klauseln im Rahmen der Kollisionsnormen. Inhaltlich geht es um Verstöße gegen inländische Grundwerte. Auch hier spricht man wegen des Einflusses des Gemeinschaftsrechts und der EMRK von einer Europäisierung und einer Vergemeinschaftung des nationalen ''ordre public''.  
Die Zusammenfassung des Familienrechts und des Erbrechts zu funktionalen Einheiten hat dagegen so gut wie keine Kritik erfahren und sich in Wissenschaft und Praxis vollumfänglich bewährt. Die zunächst durch systematische Überlegungen der Naturrechtslehre begründete Verselbständigung des Familienrechts ist später auch durch sachliche Argumente untermauert worden. Einmal mehr war hier die Auffassung ''Savignys'' sehr einflussreich. Er sah zwischen dem Familienrecht und dem Obligationenrecht nur „eine scheinbare Verwandtschaft“, da dem Familienrecht im Gegensatz zu den Obligationen nicht nur ein rechtliches, sondern auch ein „natürlich-sittliches“ Element innewohne. Was das Erbrecht betrifft, so hatte die Naturrechtslehre noch zwischen der gesetzlichen und der testamentarischen Erbfolge unterschieden: Die erste wurde dem Familienrecht zugeschlagen, die zweite dem Vermögensrecht. Diese Trennung fand aber, abgesehen vom preußischen ALR, keine Nachahmer.


Nach deutschem Kollisionsrecht ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist (so Art.&nbsp;6 EGBGB). Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Die Bezugnahme auf die Grundrechte hat freilich keine selbständige Bedeutung erlangt. Nach dem Vorbild der Haager Konventionen wird verlangt, dass der Verstoß offensichtlich ist. Eine ''ordre public''-Klausel kennen auch ausländische Kodifikationen, so etwa Art.&nbsp;16 ital. IPRG. Abgewehrt wird des Öfteren das [[islamisches Recht|islamische Recht]], etwa wegen Verstößen gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter. Im Allgemeinen wird eine Inlandsbeziehung bzw. Binnenbeziehung des Sachverhalts verlangt. Sie kann insbesondere durch den Aufenthalt der Betroffenen begründet sein.
=== b) Die Diskussion um die Reihenfolge  ===
Schließlich ist die Reihenfolge der verschiedenen Teile des Pandektensystems Gegenstand von Diskussionen gewesen. Die Pandektenlehrbücher hatten an die erste Stelle stets das Sachenrecht gesetzt, gefolgt von Schuldrecht, Familienrecht und Erbrecht. Im Laufe der Arbeiten zum BGB beschloss die Erste Kommission dann aber, die Plätze von Schuldrecht und Sachenrecht zu tauschen. Da eine ausdrückliche Begründung dieser Umstellung nicht erfolgte, wurde über die Motive immer viel spekuliert. Einige wollen in der Voranstellung des Schuldrechts die konsequente Fortführung des Klammerprinzips sehen: Weil die Regelungen des Schuldrechts in einigen Fällen auch Wirkung für das Sachenrecht entfalteten, seien sie von einem höheren Grad an Allgemeinheit und ihre Voranstellung somit aus systematischer Sicht konsequent. Diese Begründung vermag aber nur teilweise zu überzeugen. Denn die Anwendbarkeit der Normen des Schuldrechts auf das Sachenrecht ist für jeden Einzelfall gesondert zu bestimmen. Vor allem das Abstraktionsprinzip widerlegt die Annahme, das Schuldrecht nehme generell Regelungen des Sachenrechts vorweg. Mit der Voranstellung des Schuldrechts dürften deshalb allein praktische Überlegungen verbunden gewesen sein: Sie trug der großen Dynamisierung des Wirtschaftsverkehrs während des 19.&nbsp;Jahrhunderts und der hierdurch stark gestiegenen Bedeutung des Schuldrechts Rechnung.


Es besteht Übereinstimmung, dass es auf das Ergebnis im Einzelfall ankommt. Die Anwendung der ausländischen Rechtsnorm muss zu einem untragbaren Resultat führen. Es kommt nicht darauf an, ob das ausländische Recht auf den gleichen Grundsätzen wie die inländische Gesetzgebung beruht. Nicht das ausländische Recht selbst (abstrakte Normenkontrolle), sondern erst seine Anwendung im Inland muß gegen die inländische Rechtsordnung verstoßen. D.h. auch wenn ein ausländischer Rechtssatz für sich gesehen anstößig ist, muss seine Anwendung noch nicht dazu führen. Der Grad der Inlandsbeziehung, die etwa mit gewöhnlichem Aufenthalt und Staatsangehörigkeit gegeben sein kann, ist für die einzelne Konstellation freilich schwer zu konkretisieren.
Kritisiert wurde am Aufbau des BGB vor allem die nachgeordnete Position des Familienrechts. In ihr komme deutlich zum Ausdruck, „wie sehr die natürlichen Grundlagen der Gesellschaft durch das Eigentumsinteresse überwuchert werden“ ''(Anton Menger)''. Der BGB-Gesetzgeber war in diesem Punkt allerdings nur der Tradition der Pandektenlehrbücher gefolgt. In diesen war die Stellung des Familienrechts nach dem Vermögensrecht eine Nachwirkung der naturrechtlichen Systeme und deren Grundprinzip des Fortschreitens vom Recht der Einzelperson zum Recht größerer Gesamtheiten. Das sachliche Argument für diese Reihenfolge, dass nämlich die vermögensrechtlichen Wirkungen des Familienrechts ohne vorherige Regelung des Schuld- und Sachenrechts nicht verstanden werden könnten, wurde indes schon bald widerlegt: Das [[Schweizerisches Zivilgesetzbuch|schweizerische ZGB]], das in der Tradition einiger schweizerischer Kantone das Familienrecht dem Vermögensrecht vorangestellt hatte, bewies, dass hiermit keine Anwendungsprobleme verbunden sind.


Einigkeit besteht über den Ausnahmecharakter des ''ordre public''<nowiki>; allerdings ist die Praxis unterschiedlich großzügig. Der ordre public ist von </nowiki>''Franz Kahn'' als „der noch unerkannte und der noch unfertige Teil des internationalen Privatrechts“ bezeichnet worden. Heute versucht man sein Eingreifen freilich wenn möglich, durch differenzierte Anknüpfungen, aber auch Sonderanknüpfungen, die Durchsetzung eigener Eingriffsnormen (international zwingender Normen) und andere Techniken zu vermeiden.
Auch die Stellung des Erbrechts am Ende des BGB war keineswegs selbstverständlich: In der Institutionenordnung und später im ''[[Code civil]]'' und im [[Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch|ABGB]] fand es seinen Platz zwischen Sachenrecht und Schuldrecht. Dass die Pandektenlehrbücher es im Anschluss an das Familienrecht behandelten, beruhte wiederum auf dem Einfluss des Naturrechts. In praktischer Hinsicht bringt diese Reihenfolge jedenfalls den Vorzug mit sich, dass die Abstammungsverhältnisse bei der Lektüre des Erbrechts bereits als bekannt vorausgesetzt werden können.


Rechtsfolge der Anwendung des ''ordre public'' ist, dass ein Ersatzrecht angewendet werden muss. Hier wird teilweise zunächst einmal eine Anknüpfung nach anderen Gesichtspunkten verlangt, ehe die Anwendung des eigenen Rechts als Ersatzrecht zugelassen wird (Art.&nbsp;16 Abs.&nbsp;2 ital. IPRG).
Es zeigt sich, dass mit den entsprechenden Argumenten letztlich jede Reihenfolge der Materien im Besonderen Teil des Pandektensystems gerechtfertigt werden kann. Praktische Konsequenzen sind mit ihr, soweit erkennbar, nicht verbunden. Ein Gesetzgeber sollte sich aber trotzdem immer der Tatsache bewusst sein, dass die Anordnung der Materien zumindest symbolische Bedeutung haben kann.


== 4. ''Ordre public'' im internationalen Verfahrensrecht ==
== 5. Fazit und Ausblick ==
Im internationalen Zivilverfahrensrecht spielt der ''ordre public'' mehrfach eine Rolle. So enthalten die Regeln über die [[Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen]] regelmäßig ein entsprechendes Anerkennungshindernis. Der ''ordre public'' ist aber auch für das internationale Zustellungsrecht ([[Zustellung]]), die internationale Rechtshilfe sowie das internationale Insolvenzrecht ([[Insolvenz, grenzüberschreitende]]) von Bedeutung.
Das Pandektensystem ist mit seiner Unterscheidung von Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht und Erbrecht fest im Bewusstsein der internationalen Rechtsgemeinschaft verankert und als formaler Ordnungsplan „bis heute so brauchbar, wie man das von einem Systementwurf realistischerweise nur erwarten kann“ ''(Franz Bydlinski)''. Dies gilt nicht nur für Gesetzgebung und Wissenschaft der nationalen Rechtsordnungen, sondern ebenso für die europäische Ebene.
 
Der Verstoß gegen die öffentliche Ordnung kann etwa der Anerkennung von Zahlungsurteilen entgegenstehen. Eine identische ''ordre public''-Klausel enthalten Art.&nbsp;34 Brüssel&nbsp;I-VO (VO&nbsp;44/‌2001) für Zivil- und Handelssachen sowie Art.&nbsp;22 Brüssel&nbsp;IIa-VO (VO&nbsp;2201/‌2003) für Ehesachen und [[Elterliche Verantwortung|elterliche Verantwortung]]. Die Anerkennung scheitert, wenn sie der öffentlichen Ordnung des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde. Das Gericht des Zweitstaates prüft dies allerdings nicht mehr von Amts wegen nach. Eine gewisse Präzisierung versucht die ''ordre public''-Klausel in Art.&nbsp;26 EuInsVO (VO&nbsp;1346/‌ 2000). Danach kann sich jeder Mitgliedstaat weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entscheidung zu vollstrecken, soweit die Anerkennung oder Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des einzelnen, unvereinbar ist.
 
Auch nach den europäischen Anerkennungsregeln handelt es sich beim ''ordre public'' um eine Schranke, die zum Schutz von Grundwerten des nationalen Rechts eingreift. Der verfahrensrechtliche ''ordre public'' sichert nicht nur die materiell-rechtliche, sondern auch die verfahrensrechtliche Gerechtigkeit ab. Insofern geht es um eine generell oder im Einzelfall im Entscheidungsstaat erfolgte Verfahrensgestaltung, welche mit elementaren Wertvorstellungen des Anerkennungsstaates kollidiert.
 
Der EuGH hat zu Art.&nbsp;27 EuGVÜ formuliert, es sei zwar nicht seine Sache, den Inhalt der öffentlichen Ordnung zu definieren, er habe aber über die Grenzen zu wachen (EuGH Rs. C-38/‌98 – ''Renault'', Slg. 2000, I-2973).
 
Für die Ausfüllung des europäischen ''ordre public'' sind die verfahrensrechtlichen Garantien der EMRK herangezogen worden. Insbesondere das Recht auf einen fairen Prozess (Art.&nbsp;6 EMRK) ist ein Bestandteil der Vorbehaltsklausel. So wurde das Recht auf Verteidigung durch einen Anwalt auch ohne ein persönliches Erscheinen des Beklagten anerkannt. In Deutschland durfte daher die Anerkennung einer französischen Entscheidung, die dies missachtete, verweigert werden (EuGH Rs.&nbsp;C-7/‌98 –'' Krombach'', Slg. 2000, I-1935). Insoweit kann man von einem gemeineuropäischen o''rdre public''-Vorbehalt sprechen, für den auch die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie die sich aus völkerrechtlichen Übereinkommen ergebenden allgemeinen Rechtsgrundsätze zählen.
 
Nationale ''ordre public''-Klauseln bezüglich der Anerkennung ausländischer Entscheidungen betreffen ebenfalls Verstöße gegen Grundwerte und verlangen stets eine ergebnisorientierte Einzelfallprüfung. Hier besteht eine größere Toleranz; der ''ordre public'' hat nur eine „abgeschwächte Wirkung“ (''effet atténué''). Eine ''ordre public''-Klausel findet sich im deutschen Recht in §&nbsp;328 Abs.&nbsp;1 Nr.&nbsp;4 ZPO, der die Voraussetzungen für die Anerkennung ausländischer Urteile betrifft. Eine ausländische Entscheidung wird dann nicht anerkannt, wenn die Anerkennung des Urteils zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere den Grundrechten unvereinbar ist. Entsprechende Vorbehaltsklauseln enthalten auch ausländische Regelungen (so z.B. Art.&nbsp;64 lit.&nbsp;g ital. IPRG). Auch hier geht es nicht nur um materiellrechtliche Abweichungen. Grobe Verfahrensmängel können ebenfalls einen ''ordre public''-Verstoß begründen. Der ''ordre public'' setzt hier ebenfalls eine Beziehung zum Inland, vermittelt insbesondere durch die Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt der Beteiligten voraus. Folge des ''ordre public''-Verstoßes ist die Nichtanerkennung der ausländischen Entscheidung.
 
== 5. Verzicht auf den ''ordre public''  ==
Einige neuere europäische Verordnungen folgen allein dem Anerkennungsprinzip. Keine ''ordre public''-Klausel enthalten daher die Verordnungen über den europäischen Vollstreckungstitel von 2004 sowie über das europäische Mahnverfahren von 2006. Hier ist mit dem ausdrücklich angeordneten Wegfall des Exequaturerfordernisses die Überprüfung der ausländischen Entscheidung eingeschränkt worden, es ist eine Gleichstellung in- und ausländischer Entscheidungen erfolgt. Eine ''ordre public''-Kontrolle ist daher nicht mehr vorgesehen; dem Schuldner stehen lediglich Rechtsbehelfe im Rahmen der Zwangsvollstreckung zur Verfügung. Eine Abschaffung des Exequaturverfahrens kennt auch die Unterhaltsverordnung für Entscheidungen, die in einem Mitgliedstaat ergangen sind, der durch das Haager Protokoll von 2007 gebunden ist (Art. 17(1) VO&nbsp;4/‌2009).
 
Im Übrigen wird eine Abschaffung des ''ordre public'' im europäischen Kontext kontrovers diskutiert. Teilweise wird vor einem zu weit gehenden „Systemwechsel“ gewarnt und die Schranke des ''ordre public'' für unabdingbar gehalten. Die Argumentation der EG-Kommission stützt sich vor allem auf das gegenseitige Vertrauen innerhalb des europäischen Justizraums. Eine vermittelnde Ansicht hält den Verzicht vor allem dort für möglich, wo einheitliche Schutzstandards im erststaatlichen Verfahren ausreichende verfahrensrechtliche Garantien bieten, insbesondere den Beklagtenschutz absichern. Es versteht sich von selbst, dass das Vertrauen in die ordnungsgemäße Rechtspflege in den Mitgliedstaaten vor allem dort eine tragfähige Basis bildet, wo zusätzliche Verfahrensgarantien (insb. Benachrichtigung des Beklagten, Mitwirkung am Verfahren, Berichtigung von Entscheidungen) geschaffen worden sind.


==Literatur==
==Literatur==
''Franz Kahn'', Die Lehre vom ordre public, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts 39 (1898) 1&nbsp;ff. = Abhandlungen zum internationalen Privatrecht, 1928, 194&nbsp;ff.; ''Paul Lagarde'', Public Policy, in: IECL III, Kap.&nbsp;11, 1994; ''Jürgen Basedow'','' ''Die Verselbständigung des europäischen ordre public, in: Festschrift für Hans Jürgen Sonnenberger, 2004, 291&nbsp;ff.; ''Dieter Martiny'','' ''Die Zukunft des europäischen ordre public im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, in: Festschrift für Hans Jürgen Sonnenberger, 2004, 523&nbsp;ff.; ''Ansgar Staudinger'','' ''Der ordre public-Einwand im Europäischen Zivilverfahrensrecht, The European Legal Forum 2004, 273&nbsp;ff.; ''Philia'' ''Georganti'','' ''Die Zukunft des ordre public-Vorbehalts im europäischen Zivilprozessrecht, 2006; ''Ioanna'' ''Thoma'','' ''Die Europäisierung und die Vergemeinschaftung des nationalen ordre public, 2007;'' Gerte Reichelt'','' ''Zur Kodifikation des Europäischen Kollisionsrechts – am Beispiel des ordre public, in: eadem (Hg.),'' ''Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, 2007, 5&nbsp;ff.; ''Th. M. de Boer'','' ''Unwelcome foreign law: Public policy and other means to protect the fundamental values and public interests of the European Community, in: Alberto Malatesta, Stefania Bariatti, Fausto Pocar (Hg.), The external dimension of EC Private International Law in family and succession matters, 2008, 295&nbsp;ff.; ''Teun H.D. Struycken'','' ''L’ordre public de la Communauté européenne, in: Liber amicorum Hélène Gaudemet-Tallon, 2008, 617&nbsp;ff.; ''Bartosz'' ''Sujecki'','' ''Die Möglichkeiten und Grenzen der Abschaffung des ordre public-Vorbehalts im Europäischen Zivilprozessrecht, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 16 (2008) 458&nbsp;ff.
''Andreas B. Schwarz'', Zur Entstehung des modernen Pandektensystems, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung 42 (1921) 578&nbsp;ff.; ''idem'', Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande, in: Festschrift für Otto Lenel, 1935, 425&nbsp;ff.;'' Gustav Boehmer'', Einführung in das Bürgerliche Recht, 2.&nbsp;Aufl. 1965, 70&nbsp;ff.; ''Helmut Coing'', Zur Geschichte des Privatrechtssystems, 1962, 21&nbsp;ff.; ''Lars Björne'', Deutsche Rechtssysteme im 18. und 19. Jahrhundert, 1984; ''Wolfram Müller-Freienfels'', Zur Diskussion um die systematische Einordnung des Familienrechts, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 37 (1973) 609&nbsp;ff.; ''Reinhard Zimmermann'', The Law of Obligations, 1996, 29&nbsp;ff.; ''Franz Bydlinski'', System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, 117&nbsp;ff.; ''Ralf Michaels'', Vor §&nbsp;241, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann] (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II/‌1, 2007.


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Version vom 28. September 2021, 18:19 Uhr

von Jan Peter Schmidt

1. Begriff

Der Begriff Pandektensystem bezeichnet die Gliederung des Zivilrechts in einen Allgemeinen Teil und die vier Abschnitte Sachenrecht, Schuldrecht, Familienrecht (Familie) und Erbrecht. Der Name geht auf die Pandektenlehrbücher des 19. Jahrhunderts zurück, die diese Anordnung des Rechtsstoffs populär machten. Das Pandektensystem wird manchmal auch „Heise-System“ genannt, weil der „Grundriß eines Systems des gemeinen Civilrechts zum Behuf von Pandecten-Vorlesungen“ (1807) von Georg Arnold Heise eine entscheidende Rolle bei seiner Verbreitung spielte. Heute wird das Pandektensystem meist nicht mehr im Zusammenhang mit dem Darstellungsplan von Lehrbüchern, sondern mit dem Aufbau von Zivilgesetzbüchern diskutiert.

2. Entstehung

Der Entstehungsprozess des Pandektensystems erstreckte sich über mehrere Jahrhunderte und wurde von unterschiedlichen Einflüssen geprägt. Der Ausgangspunkt lag im 16. Jahrhundert, als unter dem juristischen Humanismus in Deutschland und Frankreich, aber unabhängig davon auch unter den spanischen Scholastikern (Scholastik), Bemühungen zur Herausbildung eines neuen Systems zur Darstellung des Rechts einsetzten. Die Legalordnung der Digesten (Corpus Juris Civilis) wurde zunehmend als unbefriedigend empfunden und sollte durch einen rational begründeten Aufbau ersetzt werden. Viele Autoren gingen deshalb dazu über, den Rechtsstoff nach der Formel der Institutionenordnung (Corpus Juris Civilis) in personae, res, actiones zu gliedern (der Begriff res wurde dabei weit verstanden und umfasste neben dem Sachenrecht im engeren Sinne auch Erbrecht und Schuldrecht). Als einflussreichstes Werk aus jener Zeit gelten die „Commentarii juris civilis“ (1589) von Hugo Donellus.

Um die Herausbildung einer neuen Systematik begann sich etwas später auch die neuzeitliche Naturrechtslehre zu bemühen (Naturrecht). Da sie sich nicht an den Quellen des positiven Rechts zu orientieren brauchte, konnte sich ihr Streben nach einer neuen Ordnung ganz ungehindert entfalten. Ein die gesamte Rechtswelt umfassendes System des ius naturae wurde zuerst von Samuel von Pufendorf in seinem „De jure naturae et gentium libri octo“ (1672) entwickelt, das die weitere Naturrechtsliteratur stark beeinflussen sollte. Das Grundprinzip des Pufendorf’schen Systems bestand in einem Vorwärtsschreiten von der Einzelperson zu den höheren Einheiten des menschlichen Zusammenlebens, wodurch es den Gedanken von der Doppelnatur des Menschen als Individuum und Gemeinschaftsglied zum Ausdruck brachte. Zunächst wurde deshalb das Personenrecht und in diesem Rahmen das Vermögensrecht dargestellt, sodann das Recht der Familie, das des Staates und schließlich das Völkerrecht. Eine für die künftigen Systeme des Privatrechts wichtige Folge dieser Vorgehensweise war die Loslösung des Familienrechts vom Personenrecht, die im weiteren Verlauf auch die Verselbständigung des Erbrechts nach sich zog.

Das bunte Bild der Rechtssystematik, das das Schrifttum des 17. und 18. Jahrhunderts bot, spiegelte sich in den drei großen Kodifikationen (Kodifikation) vom Ende des 18. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts wider: Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (1794) war in seinem Aufbau stark von der Naturrechtslehre beeinflusst worden, während der Code civil (1804) und das ABGB (1811) sich an die Institutionenordnung anlehnten. Der Code civil wies daneben auch Einflüsse der vorangegangenen französischen Zivilistik auf, vor allem was die Systematik seines dritten Buches betraf („des différentes manières dont on acquiert la propiété“).

Die letzte Phase der Entstehung des Pandektensystems begann mit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als in den deutschen Darstellungen des gemeinen Rechts unter dem Einfluss des Naturrechts eine immer stärkere Tendenz zur Preisgabe der Institutionenordnung einsetzte. Zu den wichtigsten Stationen auf dem Weg zum Pandektensystem gehörten Gustav Hugos „Institutionen des heutigen römischen Rechts“ (1789) und der schon erwähnte „Grundriß“ Heises. Spätestens nachdem auch Friedrich Carl von Savigny sein „System des heutigen Römischen Rechts“ (1840–1851) in der entsprechenden Weise aufgebaut hatte, wurde die Suche nach dem „richtigen“ System als abgeschlossen betrachtet. Das Pandektensystem dominierte fortan nicht nur die Darstellungen des römischen Rechts, sondern auch die des deutschen Rechts und der Partikularrechte.

Die Entstehungsgeschichte des Pandektensystems zeigt, dass es das Produkt einer Kreuzung verschiedener Traditionen ist. Während die Trennung zwischen Schuld- und Sachenrecht in der römischrechtlichen Unterscheidung zwischen der actio in personam und der actio in rem (persönlicher und dinglicher Klage) wurzelt, geht die Verselbständigung des Familien- und Erbrechts auf den Einfluss des Naturrechts zurück (als unselbständige Einheiten fanden sich Familienrecht und Erbrecht auch schon in der Institutionenordnung). Der Allgemeine Teil war hingegen ein gänzlich neuer Bestandteil, der seinen Ursprung allein in der Naturrechtslehre hatte. Er gilt als die „Krönung“ (Helmut Coing) und „the truly distinctive feature“ (Reinhard Zimmermann) des Pandektensystems, denn er brachte zum Ausdruck, dass das Privatrecht nicht länger als eine Summe von Einzelerkenntnissen, sondern als echtes deduktives System begriffen wurde.

3. Die Verbreitung des Pandektensystems in der Welt

Bei Schaffung des sächsischen BGB (1863) wurde das Pandektensystem erstmals auch als gesetzlicher Ordnungsplan für ein Zivilgesetzbuch gewählt. Mit seiner Übernahme durch das BGB gelangte das Pandektensystem zu weltweiter Berühmtheit. Es hat in allen danach ergangenen Zivilgesetzbüchern seine Spuren hinterlassen. Zwar ist nur ein kleiner Teil davon dem Pandektensystem in toto gefolgt und hat auch den Allgemeinen Teil übernommen; in allen übrigen Zivilkodifikationen findet sich aber (gelegentlich in leicht modifizierter Weise) die Einteilung der Materien nach Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht und Erbrecht (ggf. neben weiteren Materien wie dem Unternehmensrecht, siehe Code unique; dass die Staaten des sozialistischen Rechtskreises das Familienrecht oftmals aus dem Zivilgesetzbuch herausnahmen, änderte nichts daran, dass auch sie das Familienrecht als Sacheinheit behandelten). Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Pandektensystems haben, neben dem BGB, das schweizerische Zivilgesetzbuch (1907) und der italienische Codice civile (1942) gespielt, die Vorbilder für die Zivilgesetzbücher vieler anderer Staaten gewesen sind (Rezeption).

Noch größere Spuren als in den Legalordnungen anderer Länder hat das Pandektensystem im ausländischen Rechtsdenken hinterlassen. Selbst dort, wo das kodifizierte Privatrecht einer ganz anderen Ordnung als dem Pandektensystem folgt, wie etwa in Frankreich und Österreich, haben sich Wissenschaft und Lehre in der Darstellung des Rechts dem Pandektensystem seit dem 19. Jahrhundert stark angenähert. In nicht zu unterschätzendem Maße gilt dies auch für den Rechtskreis des common law. „Kaum eine zweite Tatsache bringt den universellen Einfluss der deutschen gemeinrechtlichen Wissenschaft des 19. Jahrhundert zu so deutlich erkennbarem Ausdruck“ wie diese weltweite Verbreitung des Pandektensystems (Andreas B. Schwarz).

4. Kritik am Pandektensystem

Die Kritik am Pandektensystem hat sich zu allen Zeiten in erster Linie gegen den Allgemeinen Teil gerichtet. Dadurch wird leicht übersehen, dass auch die Einteilung des Rechtsstoffs nach Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht und Erbrecht, die aufgrund ihrer weiten Verbreitung heute als selbstverständlich erscheint, seit langem umstritten ist, ebenso wie die dabei zu beachtende Reihenfolge. Die Ordnung des BGB wurde bereits nach der Veröffentlichung des Ersten Entwurfs von Autoren wie Anton Menger und Otto von Gierke ernsthaft in Frage gestellt. Am lautesten waren die Rufe nach einer neuen Stoffanordnung für Gesetzgebung und Wissenschaft im Nationalsozialismus. Heute haben sich die Diskussionen weitgehend beruhigt, einige der gegen das Pandektensystems vorgebrachten Argumente besitzen aber nach wie vor Gültigkeit.

a) Die Kritik an den Kategorien des Pandektensystems

Ein alter und grundlegender Vorwurf gegen das Pandektensystem lautet, dass ihm kein einheitlicher Ordnungsgesichtspunkt zugrunde liege: Während nämlich die Unterscheidung zwischen Schuld- und Sachenrecht auf den unterschiedlichen Rechtswirkungen der jeweiligen Normen beruht (relative Wirkung/‌absolute Wirkung), finden sich im Familien- und Erbrecht Normen versammelt, deren Tatbestände sich – ohne Rücksicht auf die angeordneten Rechtsfolgen – auf einen bestimmten Themenkreis der sozialen Wirklichkeit beziehen. Die beiden Paare Sachenrecht/‌Schuldrecht und Familienrecht/‌Erbrecht sind also „nach einer Kreuzeinteilung geformt“ (Ernst Zitelmann). Freilich hatten die Anhänger des Pandektensystems dessen logische Geschlossenheit auch nie behauptet; vielmehr hatten sie sich vom Gesichtspunkt der praktischen Zweckmäßigkeit leiten lassen.

Was die Bildung der einzelnen Teile des Pandektensystems betrifft, so wurde lange Zeit die – historisch noch junge – Kategorie des Schuldrechts in Frage gestellt und besonders die gemeinsame Behandlung von Vertrags- und Deliktsrechts unter einem Dach als „lebensfremd“ kritisiert. Diese Ansicht dürfte in den kontinentaleuropäisch geprägten Rechtsordnungen mittlerweile überwunden sein. Und sogar im Rechtskreis des common law erfährt die traditionell unbekannte Kategorie des law of obligations inzwischen zunehmende Aufmerksamkeit. Auf der europäischen Ebene lässt sich derzeit zwar noch nicht von der Existenz einer Kategorie des Schuldrechts sprechen. Dies liegt jedoch vor allem daran, dass die bisherigen Vereinheitlichungsprojekte fast alle nur punktueller Natur sind. Ansätze zur Behandlung des Schuldrechts als systematische Einheit finden sich im dritten Teil der Principles of European Contract Law (PECL) und im dritten Buch des Draft Common Frame of Reference (DCFR). Angesichts der gefestigten Tradition, über die die Kategorie des Schuldrechts in fast allen europäischen Rechtsordnungen heute verfügt, ist zu erwarten, dass ihr im Zuge der fortschreitenden Entwicklung und Systematisierung des Europäischen Privatrechts eine wichtige Rolle zukommen wird.

Sodann betrifft die Kritik an der Verselbständigung des Schuldrechts die damit verbundene Trennung von Schuld- und Sachenrecht, durch die funktional zusammengehörende Tatbestände (etwa der Kaufvertrag und die zugehörige Übereignung der Kaufsache) auseinandergerissen werden. Unter dem Nationalsozialismus, aber auch in der DDR, gab es deshalb zahlreiche Versuche, zu einer funktionalen Ordnung des Vermögensrechts zu kommen, eine Idee, die im Zivilgesetzbuch der DDR (1975) auch teilweise verwirklicht wurde. Auch die Kritik an der Trennung von Schuld- und Sachenrecht ist heute aber weitgehend verstummt. Im Lichte der gemachten Erfahrungen wird die Systembildung auf der Grundlage der Struktur von Rechtsverhältnissen, wie im Schuld- und Sachenrecht exemplarisch durchgeführt, sogar ausdrücklich gelobt, weil sie eine besondere Flexibilität erlaube (Ralf Michaels). In keinem Fall verbietet die Trennung von Schuld- und Sachenrecht, in Einzelfällen davon abzuweichen und funktionalen Überlegungen den Vorrang einzuräumen (wie das BGB dies etwa bei den gesetzlichen Pfandrechten [§§ 562, 583, 592, 647, 704] oder dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis [§§ 987 ff.] tut). Dies gilt für das Pandektensystem generell: Die einzelnen Kategorien sollen nur eine Grundorientierung bieten und sind keinesfalls undurchlässig.

Die Zusammenfassung des Familienrechts und des Erbrechts zu funktionalen Einheiten hat dagegen so gut wie keine Kritik erfahren und sich in Wissenschaft und Praxis vollumfänglich bewährt. Die zunächst durch systematische Überlegungen der Naturrechtslehre begründete Verselbständigung des Familienrechts ist später auch durch sachliche Argumente untermauert worden. Einmal mehr war hier die Auffassung Savignys sehr einflussreich. Er sah zwischen dem Familienrecht und dem Obligationenrecht nur „eine scheinbare Verwandtschaft“, da dem Familienrecht im Gegensatz zu den Obligationen nicht nur ein rechtliches, sondern auch ein „natürlich-sittliches“ Element innewohne. Was das Erbrecht betrifft, so hatte die Naturrechtslehre noch zwischen der gesetzlichen und der testamentarischen Erbfolge unterschieden: Die erste wurde dem Familienrecht zugeschlagen, die zweite dem Vermögensrecht. Diese Trennung fand aber, abgesehen vom preußischen ALR, keine Nachahmer.

b) Die Diskussion um die Reihenfolge

Schließlich ist die Reihenfolge der verschiedenen Teile des Pandektensystems Gegenstand von Diskussionen gewesen. Die Pandektenlehrbücher hatten an die erste Stelle stets das Sachenrecht gesetzt, gefolgt von Schuldrecht, Familienrecht und Erbrecht. Im Laufe der Arbeiten zum BGB beschloss die Erste Kommission dann aber, die Plätze von Schuldrecht und Sachenrecht zu tauschen. Da eine ausdrückliche Begründung dieser Umstellung nicht erfolgte, wurde über die Motive immer viel spekuliert. Einige wollen in der Voranstellung des Schuldrechts die konsequente Fortführung des Klammerprinzips sehen: Weil die Regelungen des Schuldrechts in einigen Fällen auch Wirkung für das Sachenrecht entfalteten, seien sie von einem höheren Grad an Allgemeinheit und ihre Voranstellung somit aus systematischer Sicht konsequent. Diese Begründung vermag aber nur teilweise zu überzeugen. Denn die Anwendbarkeit der Normen des Schuldrechts auf das Sachenrecht ist für jeden Einzelfall gesondert zu bestimmen. Vor allem das Abstraktionsprinzip widerlegt die Annahme, das Schuldrecht nehme generell Regelungen des Sachenrechts vorweg. Mit der Voranstellung des Schuldrechts dürften deshalb allein praktische Überlegungen verbunden gewesen sein: Sie trug der großen Dynamisierung des Wirtschaftsverkehrs während des 19. Jahrhunderts und der hierdurch stark gestiegenen Bedeutung des Schuldrechts Rechnung.

Kritisiert wurde am Aufbau des BGB vor allem die nachgeordnete Position des Familienrechts. In ihr komme deutlich zum Ausdruck, „wie sehr die natürlichen Grundlagen der Gesellschaft durch das Eigentumsinteresse überwuchert werden“ (Anton Menger). Der BGB-Gesetzgeber war in diesem Punkt allerdings nur der Tradition der Pandektenlehrbücher gefolgt. In diesen war die Stellung des Familienrechts nach dem Vermögensrecht eine Nachwirkung der naturrechtlichen Systeme und deren Grundprinzip des Fortschreitens vom Recht der Einzelperson zum Recht größerer Gesamtheiten. Das sachliche Argument für diese Reihenfolge, dass nämlich die vermögensrechtlichen Wirkungen des Familienrechts ohne vorherige Regelung des Schuld- und Sachenrechts nicht verstanden werden könnten, wurde indes schon bald widerlegt: Das schweizerische ZGB, das in der Tradition einiger schweizerischer Kantone das Familienrecht dem Vermögensrecht vorangestellt hatte, bewies, dass hiermit keine Anwendungsprobleme verbunden sind.

Auch die Stellung des Erbrechts am Ende des BGB war keineswegs selbstverständlich: In der Institutionenordnung und später im Code civil und im ABGB fand es seinen Platz zwischen Sachenrecht und Schuldrecht. Dass die Pandektenlehrbücher es im Anschluss an das Familienrecht behandelten, beruhte wiederum auf dem Einfluss des Naturrechts. In praktischer Hinsicht bringt diese Reihenfolge jedenfalls den Vorzug mit sich, dass die Abstammungsverhältnisse bei der Lektüre des Erbrechts bereits als bekannt vorausgesetzt werden können.

Es zeigt sich, dass mit den entsprechenden Argumenten letztlich jede Reihenfolge der Materien im Besonderen Teil des Pandektensystems gerechtfertigt werden kann. Praktische Konsequenzen sind mit ihr, soweit erkennbar, nicht verbunden. Ein Gesetzgeber sollte sich aber trotzdem immer der Tatsache bewusst sein, dass die Anordnung der Materien zumindest symbolische Bedeutung haben kann.

5. Fazit und Ausblick

Das Pandektensystem ist mit seiner Unterscheidung von Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht und Erbrecht fest im Bewusstsein der internationalen Rechtsgemeinschaft verankert und als formaler Ordnungsplan „bis heute so brauchbar, wie man das von einem Systementwurf realistischerweise nur erwarten kann“ (Franz Bydlinski). Dies gilt nicht nur für Gesetzgebung und Wissenschaft der nationalen Rechtsordnungen, sondern ebenso für die europäische Ebene.

Literatur

Andreas B. Schwarz, Zur Entstehung des modernen Pandektensystems, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung 42 (1921) 578 ff.; idem, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande, in: Festschrift für Otto Lenel, 1935, 425 ff.; Gustav Boehmer, Einführung in das Bürgerliche Recht, 2. Aufl. 1965, 70 ff.; Helmut Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, 1962, 21 ff.; Lars Björne, Deutsche Rechtssysteme im 18. und 19. Jahrhundert, 1984; Wolfram Müller-Freienfels, Zur Diskussion um die systematische Einordnung des Familienrechts, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 37 (1973) 609 ff.; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, 29 ff.; Franz Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, 117 ff.; Ralf Michaels, Vor § 241, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann] (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II/‌1, 2007.