Anwaltschaft und Anwendung ausländischen Rechts: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Martin Henssler]]''
von ''[[Clemens Trautmann]]''
== 1. Historisches und Rechtsgeschichte ==
== 1. Gegenstand, Zweck, Natur und Bedeutung  ==
Die Ursprünge der europäischen Anwaltschaft gehen bis in das 4. und 5. Jahrhundert v. Chr. zurück. Schon zu diesem Zeitpunkt konnten die Bürger Athens sog. Redenschreiber (''logographos''), aus denen sich später der Berufsanwalt als geschulter Rhetoriker (''synegoros'') entwickelte, damit beauftragen, für einen bevorstehenden Gerichtsauftritt gegen Bezahlung ein Plädoyer zu verfassen. Die Entwicklung zur Beauftragung von Gerichtsrednern findet sich auch im klassischen [[römisches Recht|römischen Recht]]. Während vor Gericht der ''patronus'' als Rhetoriker auftrat, wurde die juristische Vorarbeit von einem ''iuris consultus'' geleistet. Aus diesen Tätigkeiten entwickelten sich die Berufsbilder des ''advocatus'' und des ''procurators''. Letzterer übernahm die prozessuale Vertretung der Partei vor Gericht.  
Ausländisches Recht gelangt vor inländischen Gerichten zur Anwendung infolge einer Verweisung des [[internationales Privatrecht|internationalen Privatrechts]] des jeweiligen Forums. Geltungsgrund ist damit ein Rechtsanwendungsbefehl der inländischen Rechtsordnung, welcher der fremden Rechtsnorm über den Hoheitsbereich ihres Erlassstaates hinaus Wirkung verschafft.


Im germanischen Rechtskreis gab es seit dem 8. Jahrhundert den sog. gemeinen Prokurator als einen vom Gericht auf Antrag einer Partei bestellten Vorsprecher. Bei ihm handelte es sich nicht um einen Vertreter der Parteiinteressen. Vielmehr unterlag der Vorsprecher als Vertreter des Rechts öffentlichen Pflichten. Die Tätigkeit wurde bis ins 13. und 14. Jahrhundert unentgeltlich als Ehrenamt ausgeübt. Erst anschließend erfolgte die Entwicklung zu einem entgeltlich ausgeübten Beruf. Die durch die Entlohnung bedingte wirtschaftliche Abhängigkeit des Vorsprechers begründete schließlich den Status eines Parteivertreters.  
Als Motive der Fremdrechtsanwendung wurden lange zwischenstaatliches Entgegenkommen (''comitas gentium'') sowie die Erwartung der Gegenseitigkeit, angesehen. Die im 17. Jahrhundert in den Niederlanden begründete ''comitas''-Lehre, die im Rechtskreis ([[Rechtskreislehre]]) des ''[[common law]]'' allerdings weiterhin erhebliche Bedeutung hat, ist unter dem Einfluss der Arbeiten ''Friedrich Carl von Savignys'' abgelöst worden von dem internationalistischen Ansatz, wonach jeder grenzüberschreitende Sachverhalt nach dem Recht beurteilt werden soll, zu dem er die engste Verbindung aufweist. Ihm liegt die Annahme der Gleichwertigkeit der verschiedenen Privatrechtsordnungen zugrunde.


Während der [[Rezeption]] des römischen Rechtes entwickelte sich neben dem Berufsbild des Prokurators dasjenige des Advokaten als außergerichtlichem Berater der Parteien, der aber nicht vor Gericht auftrat. Diese Zweiteilung wurde im [[Heiliges Römisches Reich|Heiligen Römischen Reich]] Deutscher Nation von der Reichskammergerichtsordnung von 1495 aufgegriffen. Dabei kam den Prokuratoren, die neben der Gerichtsvertretung auch außergerichtlich beraten durften und als „Vollanwalt“ bezeichnet wurden, eine gewisse Vorrangstellung gegenüber den Advokaten zu.
Weitestgehende Übereinstimmung besteht in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen darin, dass eine fremde Norm im inländischen Zivilprozess Rechtsqualität hat. In den Ländern des ''common law'' sowie in Spanien wird ausländisches Recht hingegen dem Grunde nach als Tatsache verstanden (die französische Rechtsprechung hat diese Auffassung mittlerweile aufgegeben). Die Relevanz einer solchen Klassifizierung ist jedoch eingeschränkt, da die Dichotomie von Rechts- und Tatfrage im Hinblick auf ausländisches Recht in keiner Rechtsordnung konsequent durchgehalten wird. So wird ausländisches Recht in manchen Staaten trotz Rechtsqualität vollständig den für Tatsachen geschaffenen Beweisregeln unterworfen, während umgekehrt in England trotz Tatsachenqualität eine volle obergerichtliche Anwendungskontrolle möglich ist. Die Zuordnung zur Rechts- oder Tatfrage wird daher vielfach als prozessrechtliche Fiktion angesehen, die die Behandlung einer hybriden Materie im Verfahren praktisch ermöglicht.  


Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts lockerte sich die Zweiteilung der Anwaltschaft jedenfalls in Kontinentaleuropa und wurde schließlich mit den Rechtsreformen der napoleonischen Zeit weiter zurückgedrängt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstand das einheitliche Berufsbild des Rechtsanwaltes – im Deutschen Reich endgültig bestätigt durch die Reichsrechtsanwaltsordnung von 1878, mit der zugleich die „Freie Advocatur“ im Sinne einer Anwaltschaft erkämpft wurde, die vom Staat unabhängig ist und die keiner richterlichen Disziplinaraufsicht unterliegt.  
Hinsichtlich der Natur der Fremdrechtsanwendung gehen die europäischen Jurisdiktionen davon aus, dass tatsächlich das ausländische Recht anzuwenden ist (und zwar grundsätzlich in der Gestalt, wie ein Gericht des Erlassstaates es tun würde), nicht dagegen eine inländische Parallelnorm oder eine rezipierte Form der ausländischen Norm. Die im ''common law'' lange wirkungsmächtige ''vested rights theory'', wonach das inländische Gericht lediglich im Wege einer Tatsachenfeststellung prüft, ob im Ausland schutzwürdige Rechte erworben wurden, hat an Bedeutung verloren; ebenso die in Italien begründete Theorie des ''rinvio recettizio'', wonach ausländisches Recht mittels Blankettnormen in die allein maßgebliche inländische Rechtsordnung inkorporiert wird. In England erlaubt allerdings die Vermutung, das berufene ausländische Recht sei mit dem englischem inhaltsgleich (''presumption of similarity''), dass faktisch nur die englischen Sachvorschriften zur Anwendung gelangen, wenn die Vermutung nicht widerlegt wird.


In unterschiedlich starker Ausprägung findet sich die Zweiteilung jedoch bis heute noch in anderen europäischen Rechtsräumen. In Großbritannien entspricht der ''solicitor'' dem Advokaten und der ''barrister'' dem Prokurator. Aus den Rechtsschulen, deren Existenz bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann, entwickelten sich dort die sog. ''Inns of Court'', die später für die Zulassung der ''barristers'' zuständig wurden. Heute überschneiden sich die Berufsfelder der ''solicitors'' und ''barristers'' zwar teilweise, die grundsätzliche Trennung existiert jedoch fort. So werden ''solicitors'' durch den ''Master of the Rolls'' zum Beruf zugelassen. Weiterhin kann ein Berufsträger nicht beiden Berufszweigen zugleich angehören. Der ''barrister'' ist berechtigt, vor Gericht zu plädieren. Nach dem Berufsrecht hat er bis auf einige Ausnahmen nicht das Recht, direkt mit den Parteien zu verkehren. Seine Instruktionen erhält er vielmehr von einem ''solicitor'', der den Fall vorbereitet. ''Solicitors'' steht nur ein beschränktes Recht zu, vor Gericht zu plädieren (''right of audience'').  
Abzugrenzen ist die Anwendung ausländischen Rechts von Fällen, in denen das inländische Gericht die ausländische Rechtslage lediglich vergleichend in Betracht ziehen oder berücksichtigen muss, wie es Meistbegünstigungsvorschriften oder das [[Herkunftslandprinzip]] unter Umständen verlangen. Eine nur vergleichende Betrachtung findet auch bei sog. Offenlassen der Rechtswahl (in den Niederlanden als ''antikiesregel'' bekannt) statt, bei welcher die Anwendung ausländischen Rechts oder der ''lex fori'' wegen gleichen Ergebnisses dahinstehen kann.


In Frankreich ähnelt bis heute der ''avoué'' dem Prokurator und der ''avocat'' dem Advokaten. Diese beiden Berufe haben sich im Zuge zweier großer Reformen 1971 und 1990 aus den ursprünglich fünf anwaltlichen Berufen des ''avocat'', ''avoué'', ''agréé'', ''conseil juridique'' und ''procureur'' entwickelt. Dabei war der ''agréé'' auf die Prozessführung am Handelsgericht und der ''conseil juridique'' auf die außergerichtliche Beratung spezialisiert. Heute hat der ''avocat'' bei der gerichtlichen Vertretung des Mandanten und vorbehaltlich einiger Ausnahmen auch bei der außergerichtlichen Beratung eine weitgehende Monopolstellung. Dagegen obliegen dem ''avoué'' der Bereich der gerichtlichen Vertretung des Mandanten bei den Berufungsgerichten (''cours d’appel''), die Anfertigung von Schriftsätzen und die Vornahme von Prozesshandlungen mit Ausnahme der mündlichen Verhandlungen und der Plädoyers. Aktuelle Bestrebungen gehen dahin, eine ''grande profession du droit'' zu verwirklichen und die Berufe der ''avocats'' und ''avoués'' zusammenzuführen.
Erhebungen der [[Haager Konferenz für IPR]] zeigen, dass in den europäischen Jurisdiktionen zwischen 1 % und 5 % der im Jahr 2006 entschiedenen Rechtsfälle die Anwendung ausländischen Rechts mit sich bringen (in den Niederlanden sogar 10 %); darunter betreffen knapp die Hälfte aller Fälle das Familienrecht (Scheidung, elterliche Sorge, Unterhalt), ein gutes Viertel das internationale Wirtschaftsrecht und jeweils rund 10 % Deliktsrecht (Verkehrsunfälle, Produkthaftung) und Erbrecht. Wegen der erheblichen praktischen Schwierigkeiten der Fremdrechtsanwendung neigen die Gerichte allerdings dazu, die Anwendung ausländischen Rechts zu vermeiden und nach Möglichkeit (häufig durch Annahme einer stillschweigenden nachträglichen [[Rechtswahl]] im Prozess) die ''lex fori'' anzuwenden – ein Phänomen, für welches das Schlagwort „Heimwärtsstreben“ (''Arthur'' ''Nußbaum'') gebräuchlich ist.  


Die entsprechenden Begriffe in Spanien (''procuradores'' und ''abogados'') und Portugal (''solicitadores'' und ''advogados'') sind selbsterklärend.  
== 2. Problemfelder ==
Bei der Anwendung ausländischen Rechts kommt dem Prozessrecht des Forums, nach dem das Verfahren durchgeführt wird (''forum regit processum''), eine Schlüsselrolle zu. Es bestimmt, ob für die Anwendung ausländischen Rechts besondere prozessuale Voraussetzungen (insbesondere Parteivortrag) erfüllt sein müssen (a), wie der Inhalt einer ausländischen ''lex causae'' vom Gericht festzustellen ist bzw. wie bei Nichtfeststellbarkeit zu verfahren ist ([[Ermittlung ausländischen Rechts]]) und inwieweit die materielle Anwendung und Auslegung ausländischen Rechts durch das Tatgericht (b) ober- und höchstgerichtlich überprüfbar ist (c).  


In Belgien wurde der Beruf des ''avoué'' als Prozessbevollmächtigter, der ohne zu plädieren lediglich gerichtliche Schriftsätze einreichte, durch den ''Code judiciaire'' im Jahre 1967 zugunsten des einheitlichen Berufsbildes des ''avocat'' abgeschafft.  
=== a) Prozessuale Voraussetzungen der Anwendung ausländischen Rechts ===
Erhebliche Rechtsunterschiede zwischen den europäischen Staaten bestehen hinsichtlich der Frage, unter welchen Bedingungen ausländisches Recht in den Zivilprozess eingeführt wird. Entscheidend ist dafür der prozessuale Status des Kollisionsrechts.  


In den baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland ist die jüngere Entwicklung der Anwaltschaft nach der Überwindung des kommunistischen Herrschaftssystems insbesondere von der Herauslösung einer nationalen Anwaltschaft aus der sowjetischen Anwaltschaft geprägt. Der Berufsstand der Rechtsanwälte entwickelte sich dort ab 1860 im Zuge der Reformen von ''Zar Alexander II.'' und der Einführung eines Gerichtswesens. Aufgrund der Schwierigkeiten, in kurzer Zeit ausreichend Rechtsanwälte auszubilden, wurden ab 1874 neben den vereidigten Rechtsanwälten (''prissjaschnije powerennije'') auch die inzwischen wieder abgeschafften Privatanwälte ohne akademische Ausbildung (''tschastnije powerennije'') zugelassen.  
Die meisten europäischen Jurisdiktionen verpflichten ihre Gerichte umfassend, das Kollisionsrecht auf jeden vorgetragenen Sachverhalt mit Auslandsberührung anzuwenden und ein gegebenenfalls berufenes ausländisches Recht von Amts wegen für maßgeblich zu erklären (so etwa Belgien, Deutschland, Griechenland, Italien, Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien sowie die meisten der osteuropäischen und baltischen Staaten).  


== 2. Berufsausübung, Berufspflichten und Berufsstand  ==
Prozessuale Dispositionen der Parteien über das anwendbare Recht (parteifakultatives Kollisionsrecht) sind hingegen möglich, falls das nationale Verfahrensrecht zusätzliche Anforderungen wie einen konkreten Parteivortrag zum anwendbaren ausländischen Recht aufstellt: So ignoriert ein englisches Gericht eine kollisionsrechtliche Verweisung, wenn nicht eine Partei nach ausländischem Recht plädiert sowie dessen Inhalt vorträgt und ggf. beweist (''voluntary'' ''pleading and proof of foreign law''). Umgekehrt kann das Verfahrensrecht den Parteien erlauben, das kollisionsrechtlich berufene Recht durch ausdrückliche Prozessvereinbarung (''accord procédural'') zugunsten der ''lex fori'' abzuwählen (Frankreich, ähnlich auch Rumänien und Ungarn).  
Die anwaltliche Tätigkeit ist in nahezu allen europäischen Staaten ein reglementierter Beruf. Auf Malta ist ein eigenständiges Berufsgesetz (''Lawyers’ Act'') in Vorbereitung. Die Berufsausübung unterfällt dem Berufsrecht desjenigen Mitgliedstaates, in dem der Anwalt zugelassen ist. Für den Anwalt, der im europäischen Ausland tätig werden will bzw. eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit plant, gilt nach den europäischen Vorschriften (dazu 4.) das Prinzip der doppelten Standesregeln gemäß Art. 4 Rechtsanwaltsdienstleistungs-RL (RL 77/ 249) und Art. 6 (1) Rechtsanwaltsniederlassungs-RL (RL 98/5). Im Kollisionsfalle gilt das strengere Recht unter Beachtung des gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips ([[Verhältnismäßigkeit]]), wobei Einzelfragen einer solchen ''double deontology'' bis heute nicht abschließend geklärt sind.  


Neben den bereits erwähnten anwaltlichen Berufen gibt es in Europa – insbesondere in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum folgende Rechtsanwaltsberufe: in Belgien ''Avocat/Advocaat/Rechtsanwalt''<nowiki>; in Bulgarien </nowiki>''Advokat''<nowiki>; in Dänemark </nowiki>''Advokat''<nowiki>; in Estland </nowiki>''Vandeadvokaat''<nowiki>; in Finnland </nowiki>''Asianajaja/Advokat''<nowiki>; in Griechenland </nowiki>''Dikegoros''<nowiki>; in Irland: </nowiki>''Barrister/Solicitor''<nowiki>; in Island </nowiki>''Lögmaur''<nowiki>; in Italien </nowiki>''Avvocato''<nowiki>; in Lettland: </nowiki>''Zverinats advokats''<nowiki>; in Liechtenstein und Österreich </nowiki>''Rechtsanwalt''<nowiki>; in Litauen </nowiki>''Advokatas''<nowiki>; in Luxemburg </nowiki>''Avocat''<nowiki>; in Malta </nowiki>''Advocate/Legal Procurator''<nowiki>; in den Niederlanden </nowiki>''Advocaat''<nowiki>; in Norwegen </nowiki>''Advokat''<nowiki>; in Polen </nowiki>''adwokaci/radcy prawni''<nowiki>; in Rumänien </nowiki>''Avocat''<nowiki>; in Schweden </nowiki>''Advokat''<nowiki>; in der Slowakei </nowiki>''Advokát/Komercný právnik''<nowiki>; in Slowenien </nowiki>''Odvetnik/Odvetnica''<nowiki>; in der Tschechischen Republik </nowiki>''Advokát''<nowiki>; in Ungarn </nowiki>''ügyvéd''<nowiki>; in Zypern </nowiki>''Dikigóros''<nowiki>; in Island </nowiki>''Lögmaur''/ ''Rechtsanwalt''<nowiki>; in der Schweiz </nowiki>''Advokat/Rechtsanwalt/Anwalt/Fürsprech/Avocat/Avvocato''.  
Frankreich wie auch die skandinavischen Staaten kennen allerdings Mischmodelle von zwingendem und fakultativen Kollisionsrecht, wobei die ''summa divisio'' die Natur der streitgegenständlichen materiellen Rechte ist: Der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl ist bei fehlendem Parteiantrag nur dann prozessual verbindlich, wenn das Verfahren indisponible, einem Vergleich unzugängliche Rechte zum Gegenstand hat. Nach der – wenig beständigen – Rechtsprechung der französischen ''Cour de cassation'' besteht schließlich die Besonderheit, dass den Gerichten hinsichtlich der Anwendung ausländischen Rechts ein Ermessen eröffnet ist (gerichtsfakultatives Kollisionsrecht), falls disponible Rechte betroffen sind und die Parteien weder die Anwendung der ausländischen ''lex causae'' beantragen noch das Gericht durch Prozessvereinbarung an die Anwendung der ''lex fori'' binden.  


In Deutschland hatten Rechtsanwälte auf der Grundlage des seit 1935 geltenden Rechtsberatungsgesetzes bis zum 1.7.2008 ein weitgehendes gesetzliches Monopol für Rechtsberatung und Prozessvertretung. Durch das zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene Rechtsdienstleistungsgesetz wurde die Rechtsberatung in allerdings nach wie vor sehr begrenztem Umfang auch für Nicht-Anwälte eröffnet. Ein vergleichbar strikter Vorbehalt zugunsten der anwaltlichen Rechtsberatung findet sich in keiner anderen europäischen Rechtsordnung. Viele Mitgliedstaaten (Ausnahmen bilden z.B. die Niederlande, Schweden und Finnland) kennen für das Auftreten vor Gerichten ein grundsätzliches Anwaltsmonopol. Selbst in den Ländern ohne gesetzliche Regelung besteht jedenfalls für die Tätigkeit vor Gericht meist ein faktisches Monopol. Eine Sonderrolle nehmen die nordischen Rechtsordnungen Finnlands, Schwedens und Norwegens ein. Diese Staaten zeichnen sich durch einen weitgehend deregulierten Markt aus. In Norwegen konkurrieren Rechtsanwälte beispielsweise bereits seit 1990 mit einer großen Anzahl ''Rechtshjelper''. In Lettland besteht ein Anwaltsmonopol nur im Bereich der Strafverteidigung, das noch 2003 vom Verfassungsgericht im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde überprüft und für verfassungskonform befunden wurde.  
Auch in Staaten, die eine Amtsanwendung des Kollisionsrechts und des ausländischen Rechts vorsehen, gibt es im Schrifttum beachtliche Stimmen, die ein parteifakultatives Kollisionsrecht wegen des Interesses der Parteien an qualitativ hochwertiger Justiz befürworten. Die Anwendung der vertrauten ''lex fori'' mache die Rechtsanwendung zuverlässiger und das Verfahren günstiger und zügiger. Ob aber die prozessuale Parteiautonomie, auf die sich das fakultative Kollisionsrecht konstruktiv stützt, über die materiellen Rechtswahlgrenzen hinausreichen kann, wird seit langem kontrovers beurteilt.


In den meisten europäischen Ländern müssen sich Anwälte vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit einem Zulassungsverfahren unterziehen. In Deutschland erfolgt diese Zulassung bei der Rechtsanwaltskammer, in deren Bezirk sich der Anwalt niederlässt. Die Rechtsanwaltskammern, welche 1879 nach dem Inkrafttreten der Reichsrechtsanwaltsordnung (RAO) entstanden, sind Körperschaften des öffentlichen Rechts; ihr regionaler Zuständigkeitsbereich entspricht den Bezirken der Oberlandesgerichte. Ihre Befugnisse ergeben sich im Einzelnen aus der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Die einzelnen Rechtsanwaltskammern sind in der Bundesrechtsanwaltskammer zusammengeschlossen, die 1959 mit Inkrafttreten der BRAO gegründet wurde und zwangsmitgliedschaftlich als Verbandskörperschaft organisiert ist. Über berufsrechtlich relevante Verfehlungen von Anwälten entscheidet eine dreistufig aufgebaute eigenständige Anwaltsgerichtsbarkeit mit den Instanzen der Anwaltsgerichte, Anwaltsgerichtshöfe und des Anwaltssenats beim Bundesgerichtshof (BGH). Neben den Rechtsanwaltskammern gibt es in Deutschland den Deutschen Anwaltverein (DAV), der 1871 als freiwillige Interessenvertretung der deutschen Rechtsanwälte auf der Basis der [[Koalitions- und Vereinigungsfreiheit|Vereinigungsfreiheit]] gegründet wurde. Seit seiner Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg sind nicht mehr die einzelnen Anwälte Mitglieder des DAV, sondern rund 250&nbsp;örtliche Anwaltvereine, in denen zusammen ca. 66.000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Mitglieder sind.  
=== b) Materielle Anwendung ausländischen Rechts ===
Anzuwenden ist das Recht, wie es der Richter des betreffenden Landes anwendet und auslegt (''aliena lege artis''), d.h. die fremden Normen sollen idealerweise aus dem Zusammenhang und Geist der fremden Rechtsordnung angewandt werden. Voraussetzung ist zunächst, dass sich das Gericht über den Bestand der einschlägigen ausländischen Vorschriften und Rechtsprechung informiert. Bei der [[Ermittlung ausländischen Rechts]] nehmen allerdings viele Jurisdiktionen – am deutlichsten England – aus Praktikabilitätsgründen bewusst Einschränkungen des Grundsatzes, dass fremdes Recht aus der Auslandsperspektive anzuwenden ist, in Kauf, vor allem indem sie die Feststellung des Inhalts ausländischen Rechts den Beweisgrundsätzen für Tatsachen unterwerfen. Die Folge ist nämlich, dass der festgestellte Inhalt unter Umständen auf reinen Beweislastentscheidungen oder einer Bindung des Gerichts an übereinstimmenden Parteivortrag beruht.


Im Rahmen der anwaltlichen Ausbildung ist in vielen Mitgliedstaaten vor einer Zulassung nach dem abgeschlossenen Hochschulstudium eine zwei- bis dreijährige Praktikumszeit vorgeschrieben. Die längste Praktikumsdauer findet sich derzeit mit fünf Jahren in Österreich. Nur Spanien kennt noch keine vergleichbare Vorschrift. In der Praxis arbeiten spanische Junganwälte jedoch vor einer eigenständigen Tätigkeit mehrere Monate als Praktikanten (''pasantes) ''oft ohne Vergütung in Anwaltskanzleien. Ein 2006 verabschiedeter Gesetzentwurf sieht künftig nach dem universitären Abschluss eine berufspraktische Ausbildungszeit verpflichtend vor. Das neue Recht wird jedoch erst 2011 in Kraft treten. In Frankreich wurde durch das Reformgesetz Nr.&nbsp;130 von 2004 die ehemals vorgeschriebene zweijährige praktische Pflichtausbildung (''stage'') bei einem Rechtsanwalt abgeschafft, dafür aber die praktische Ausbildungszeit an der ''école du barreau ''verlängert.  
Hinsichtlich der Fragen, inwieweit ein inländisches Gericht über diese deskriptive Ebene hinaus zur Auslegung, Fortbildung oder gar Prüfung der Verfassungsmäßigkeit ausländischen Rechts berufen ist, besteht kein eindeutiger Konsens. Eine Auslegung ist schon deshalb regelmäßig erforderlich, weil das ausländische Recht selten passgenaue Normen und Präzedenzfälle bereithält. Die einschränkende Formel, der Richter sei bei der Anwendung des eigenen Rechts Architekt, im fremden Recht dagegen lediglich Fotograf (''Werner'' ''Goldschmidt''), wird mehrheitlich abgelehnt; praktisch neigen die Gerichte aber dazu, die ermittelten ausländischen Rechtsnormen eher schematisch anzuwenden, ohne aus der Perspektive der ''lex causae'' normativ zu argumentieren. Eine formelle Bindung an ausländische Rechtsprechung besteht zwar nicht, jedoch muss einer gefestigten Rechtsprechung dasselbe Gewicht wie in der betreffenden ausländischen Rechtsordnung beigemessen werden. Formen der [[Auslegung von Rechtsnormen]], die als Rechtsfortbildung angesehen werden (z.B. wortlautübersteigende Interpretation, Analogiebildung) sowie die inzidente Prüfung einer Norm auf Konformität mit der ausländischen Verfassung sollen einem inländischen Gericht nach verbreiteter Ansicht aus Respekt vor der Souveränität des Erlassstaates verwehrt sein. Die Gegenansichten stützen sich jeweils darauf, dass sich der Umfang der richterlichen Befugnisse nach dem fremden Recht richten müsse, so dass Rechtsfortbildung und Prüfung der Verfassungsmäßigkeit (außer bei einem Verwerfungsmonopol des ausländischen Verfassungsgerichtshofs) regelmäßig zulässig seien, wenn auch insoweit Zurückhaltung geboten sei.


Gewisse anwaltliche Kernpflichten lassen sich im Berufsrecht aller EU-Staaten und darüber hinaus in den Anwaltsrechten aller rechtsstaatlichen Demokratien beobachten. Zu diesen auch als ''core values'' bezeichneten Pflichten zählen die anwaltliche Unabhängigkeit, das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen und die anwaltliche Schweigepflicht, die für das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant essentiell ist. Unter die Schweigepflicht fallen alle Informationen, die dem Anwalt während der Beratung oder des Prozesses anvertraut worden sind.  
=== c) Letztinstanzliche Anwendungskontrolle ===
Erhebliche Rechtsunterschiede bestehen hinsichtlich der Statthaftigkeit eines letztinstanzlichen Rechtsmittels (Revision, Kassation etc.), soweit es auf die fehlerhafte Anwendung ausländischen Rechts gestützt ist. Uneingeschränkt überprüfbar ist die Anwendung ausländischen Rechts etwa in Belgien, Griechenland, Italien sowie neuerdings in Deutschland (nach Änderung des §&nbsp;545 ZPO zum 1.9.2009 ist die Revision nicht mehr auf die Verletzung von „Bundesrecht“ beschränkt). Dagegen lassen die Verfahrensordnungen Frankreichs, Spaniens und der Niederlande eine Überprüfung aufgrund einer Rüge der Verletzung sachlichen Rechts (''error in iudicando'') nicht zu. Begründet wird dies damit, dass die primäre Aufgabe der obersten Zivilgerichte die Wahrung der Rechtseinheit im Geltungsbereich der ''lex fori'' sei, nicht dagegen die Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit oder eine Anwendungskontrolle fremden Rechts, zumal die Richter für eine solche weder qualifiziert noch ausgestattet seien. Stets statthaft ist hingegen die Rüge der Verletzung von Verfahrensvorschriften (''error in procedendo'') unter dem Gesichtspunkt, dass die Art und Weise der [[Ermittlung ausländischen Rechts]] fehlerhaft gewesen sei. Faktisch wird dadurch freilich eine Anwendungskontrolle ermöglicht, denn zwischen fehlerhafter Anwendung und unzureichender Ermittlung ist schwer abzugrenzen. In Durchbrechung der Fakt-Doktrin des ''common law'' lassen in England das ''House of Lords'' wie auch der zweitinstanzliche ''Court of Appeal'', die im Grundsatz nur eine Rechtskontrolle durchführen, eine Überprüfung der Anwendung ausländischen Rechts zu, gestützt auf die Erwägung, dass ausländisches Recht eine besondere Tatfrage (''question of fact of a peculiar kind'') sei und ein im juristischen Diskurs geschulter Richter – anders als bei herkömmlichen Tatsachen – sehr wohl eine eigene Bewertung vornehmen könne.


Obwohl das früher verbreitete anwaltliche Werbeverbot im Zuge der Liberalisierungstendenzen kontinuierlich zurückgeschraubt wird, finden sich in vielen nationalen Berufsregeln nach wie vor Beschränkungen, etwa in Form eines Verbots der anwaltlichen Werbung in Zeitungen, Drucksachen oder anderen Medien. Aufgrund der Vorstöße der [[Europäische Kommission|Europäischen Kommission]] ist aber absehbar, dass sich das Werberecht der Rechtsanwälte künftig demjenigen der Gewerbetreibenden annähern wird (dazu 4.).  
== 3. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
Die europäischen Staaten erwarten eine weitere Zunahme der Zivilsachen mit Auslandsbezug, und zwar sowohl der Binnenmarkt- als auch der Drittstaatensachverhalte. Die Anwendung ausländischen Rechts wird somit auf absehbare Zeit ein wesentlicher Bestandteil der Verfahrenspraxis vor nationalen Zivilgerichten bleiben. Die in den Mitgliedstaaten etablierten Grundsätze und Verfahrenspraktiken hinsichtlich der Anwendung ausländischen Rechts weisen gravierende Unterschiede auf. Sie sind seit geraumer Zeit relativ stabil.  


== 3. Entwicklungstendenzen  ==
Abzuwarten bleibt, ob die Europäisierung des [[internationales Privatrecht|internationalen Privatrechts]], insbesondere die EG-Verordnungen zum IPR der Schuldverhältnisse, eine Neubewertung oder gar Harmonisierung der nationalen Verfahrensregeln erfordern. Verbreitet wird angenommen, dass diese weitgehend unberührt bleiben, weil „Beweis und Verfahren“ vom Anwendungsbereich der Verordnungen ausgenommen sind, vgl. Art.&nbsp;1(2)(i) Rom&nbsp;I-VO (VO 593/2008) und Art.&nbsp;1(3) Rom&nbsp;II-VO (VO 864/2007). Nach anderer Ansicht lässt ein einheitliches europäisches Kollisionsrecht, zu dessen Zielen Marktintegration und Entscheidungseinklang gehören, nicht zu, dass Kollisionsregeln vollständig partei- oder gerichtsfakultativ sind. Wegen der im europäischen Kollisionsrecht zunehmend anerkannten [[Rechtswahl]] wird sich die Debatte aber wohl auf die wenigen zwingenden objektiven Anknüpfungsregeln konzentrieren. Im Rahmen der [[Ermittlung ausländischen Rechts]] ist weiter fraglich, inwieweit vereinheitlichte Kollisionsnormen nach nationalem Verfahrensrecht unterlaufen werden können, indem die Parteien den ihnen obliegenden Beweis nicht führen oder das Gericht vorschnell die Nichtfeststellbarkeit des ausländischen Rechts annimmt – regelmäßig mit der Folge, dass die ''lex fori'' angewandt wird. Die Überprüfungsklausel des Art.&nbsp;30 Rom&nbsp;II-VO sieht für das Jahr 2011 einen Bericht über den Umgang mit ausländischem Recht in den verschiedenen Rechtsordnungen und deren Auswirkungen auf die praktische Anwendung der Verordnung vor. Die [[Europäische Kommission]] hat erklärt, auf der Grundlage der Untersuchung erforderlichenfalls Harmonisierungsmaßnahmen zu ergreifen.  
Das Berufsbild des Rechtsanwalts war in den letzten Jahrzehnten aufgrund internationaler Einflüsse einem erheblichen Wandel unterworfen. Während das traditionelle Berufsbild von dem in allen Rechtsgebieten versierten Einzelanwalt ausging, wächst heute in vielen Rechtsgebieten der Anteil der stark spezialisierten Anwälte. Insbesondere der Bereich der wirtschaftsrechtlichen Beratung hat sich vom restlichen Rechtsberatungsmarkt weitgehend abgekoppelt. Damit einher gehen eklatante Verdienstunterschiede zwischen dem in allen Rechtsgebieten tätigen Einzelanwalt und dem in einer Großkanzlei tätigen wirtschaftsberatenden Anwalt. Es kommt zu einer Spaltung des Berufsbildes, die eine einheitliche Interessenvertretung beider Berufgruppen zunehmend erschwert.  


Die Zahl der zugelassenen Anwälte steigt derzeit in allen europäischen Ländern von Jahr zu Jahr stetig an. Seit 2000 liegt die jährliche Steigerungsrate in Deutschland bei ca. 4&nbsp;%. Dort waren zum 1.1.2008 147.557 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zugelassen, davon sind nur rund 30&nbsp;% weiblich, eine im europäischen Vergleich niedrige Quote. In allen Mitgliedstaaten ist ein kontinuierliches Anwachsen des Anteils von Rechtsanwältinnen an der Gesamtzahl zu beobachten, wobei er in Bulgarien, Estland, Lettland, Luxemburg und Slowenien bereits bei über 50&nbsp;% liegt.
Ansätze im Schrifttum gehen dahin, die Fremdrechtsanwendung von vornherein zu vermeiden oder zumindest radikal zu vereinfachen. Die aus rechtlichen wie praktischen Gründen wohl schwer realisierbaren Vorschläge reichen von einem Gleichlauf zwischen internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht (''lex fori in foro proprio'') über die Nichtausübung einer Zuständigkeit zugunsten des mitgliedstaatlichen Gerichts, dessen Heimatrecht anwendbar ist (gewissermaßen eine europäische Variante des ''forum non conveniens'') bis zu Vorlageverfahren zwischen mitgliedstaatlichen Gerichten. Hinsichtlich der in einigen Staaten nicht statthaften letztinstanzlichen Überprüfung mehren sich rechtspolitische Forderungen, die Anwendung ausländischen Rechts der Kontrolle der obersten Gerichtshöfe zu unterwerfen, um den Instanzgerichten Leitlinien im Umgang mit bestimmten, häufig wiederkehrenden ausländischen Rechtsmaterien vorzugeben.
 
Ebenso wie in den Berufsrechten der anderen freien Berufe lässt sich auch im Bereich der anwaltlichen Standesregeln seit Beginn der 1990er Jahre eine ausgeprägte Tendenz zur Deregulierung erkennen, die noch nicht abgeschlossen ist. So ist in Frankreich zum 1.1.2010 ein einheitliches Berufsbild des ''avocat'' durch Abschaffung des ''avoué'' geplant. In Großbritannien steht die Zweiteilung der Anwaltschaft schon seit langem zur Diskussion und wird durch verschiedene Neuregelungen immer weiter gelockert. Deregulierungsbestrebungen kennzeichnen auch das Recht der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften. Dänemark war 1991 eines der ersten Länder, in denen es Anwälten gestattet wurde, sich in Kapitalgesellschaften, und zwar (entweder) in einer [[Gesellschaft mit beschränkter Haftung]] oder in einer [[Aktiengesellschaft]] i.S.d. ''Aktieselskabsloven'' (Gesetz über Aktien- und Gesellschaften mit beschränkter Haftung) zu assoziieren. In Frankreich gibt es seit 1992 Rechtsanwalts-Kapitalgesellschaften. Dabei wurden die bestehenden französischen Kapitalgesellschaften ''Société à Responsabilité Limitée'' (SARL), ''Société Anonyme'' (SA) und ''Société en Commandite par Actions'' (SCA) modifiziert und für die freien Berufe personalistisch ausgestaltet. Ähnlich wie im englischen Recht bleibt es jedoch bei der uneingeschränkten persönlichen Haftung des jeweils handelnden Gesellschafters. Generell sind Bestrebungen von den ursprünglich ausschließlich zulässigen [[Personengesellschaft]]en zu kapitalistischen Strukturen ohne persönliche Haftung erkennbar.
 
Eine Fremdbeteiligung an Rechtsanwaltsgesellschaften in Form einer Gesellschafterstellung nicht aktiv mitarbeitender Rechtsanwälte ist aufgrund des freiberuflichen Charakters derzeit in den meisten Ländern nicht möglich. Frankreich hat zwar über eine Holdinggesellschaft auch anwaltliche Konzernstrukturen ermöglicht. Jedoch muss die Mehrheit der Gesellschafter aus Anwaltsgesellschaften oder aktiv tätigen Rechtsanwälten bestehen. Der Kreis der Minderheitsgesellschafter ist auf Anwälte im Ruhestand, Erben und andere reglementierte juristische Berufe beschränkt. Einen Schritt weiter gehend hat sich England mit dem ''Legal Services Act 2007'' für sog. ''Alternative Business Structures'' (ABS) geöffnet, die auch eine Fremdbeteiligung erlauben.
 
== 4. Einheitsrecht und Vereinheitlichungsprojekte ==
Ein rechtlich verbindliches, materielles europäisches Anwaltsrecht gibt es nicht. Die Gesetzgebungskompetenz für das Berufsrecht liegt, wie auch der [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] nie in Zweifel gezogen hat, allein bei den nationalen Gesetzgebern. Der europäische Einfluss ist im Bereich des Berufsrechts auf die Verwirklichung des europäischen Wettbewerbsrechts (Art.&nbsp;81 EG/101 AEUV) ([[Wettbewerb im Binnenmarkt]]) und die Umsetzung der [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]], konkret der [[Dienstleistungsfreiheit|Dienstleistungs-]] und der [[Niederlassungsfreiheit]] (Art.&nbsp;43&nbsp;ff. und 49&nbsp;ff. EG/49&nbsp;ff und 56&nbsp;ff AEUV), beschränkt. Hinter dem Begriff des europäischen Anwaltsrechts verbirgt sich dementsprechend ein Konglomerat einzelstaatlicher Rechtsnormen, die den Grundfreiheiten des EG-Vertrages Rechnung tragen und zu ihrer Verwirklichung erlassene [[Richtlinie]]n in nationales Recht umsetzen. Hinzu tritt die Rechtsprechung des EuGH.
 
Für die europäische Anwaltschaft sind im Rahmen der anwaltlichen Berufsausübung vor allem die Rechtsanwaltsdienstleistungs-RL zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte, die Hochschuldiplomanerkennungs-RL (RL&nbsp;89/48) über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, und die Rechtsanwaltsniederlassungs-RL zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufes in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde maßgeblich. Jedem Anwalt ist nach der Rechtsanwaltsniederlassungs-RL die Möglichkeit eröffnet, sich unter seinem Heimattitel in jedem EU-Mitgliedstaat niederzulassen, um dort Rechtsberatungsleistungen auch im Recht des Aufnahmestaates zu erbringen. Nach einer mindestens dreijährigen „effektiven und regelmäßigen“ Tätigkeit im Recht des Aufnahmestaats kann er ohne weitere Prüfung den Anwaltstitel des Aufnahmestaates erwerben. Die RL&nbsp;2005/36 „über die Anerkennung von Berufsqualifikationen“ bezweckte die Modernisierung und Vereinheitlichung des gemeinschaftlichen Systems der Anerkennung von Berufsabschlüssen. Die Hochschuldiplomanerkennungs-RL wurde ohne Änderungen in die neue Richtlinie eingefügt. Nach Art.&nbsp;14(3) der RL&nbsp;2005/36 muss der Anwalt eines anderen Mitgliedstaates weiterhin eine Eignungsprüfung ablegen, wenn er sofort unter dem Titel des aufnehmenden Mitgliedstaates praktizieren möchte.
 
Einfluss auf die anwaltliche Berufsausübung entfaltet auch die bis Ende 2009 umzusetzende Dienstleistungs-RL (RL&nbsp;2006/123) über Dienstleistungen im [[Europäischer Binnenmarkt|europäischen Binnenmarkt]], auch wenn es den Anwaltsverbänden gelungen ist, sowohl die Erteilung von Rechtsrat als auch die Beitreibung gerichtlicher Forderungen ausdrücklich vom „Prinzip des freien Binnenmarktes“ ([[Herkunftslandprinzip]]), das die Richtlinie als Regelprinzip vorschreibt, auszuklammern. Der Rechtsanwalt muss damit grundsätzlich auch künftig das Berufsrecht des jeweiligen Aufnahmestaates beachten. Art.&nbsp;15 der Dienstleistungs-RL verpflichtet aber alle Mitgliedstaaten, bestimmte als problematisch definierte Regelungen darauf zu überprüfen, ob sie den Anforderungen an Beschränkungen der europäischen Grundfreiheiten genügen (sog. Normenscreening). Insbesondere in vier Bereichen streben die europäischen Organe eine weitere Zurückdrängung der nationalen Berufsrechte an: (1)&nbsp;im Gebührenrecht, insbesondere bei den Mindestpreisen, (2)&nbsp;im Werberecht, (3)&nbsp;bei den Berufszugangsvoraussetzungen und (4)&nbsp;in der beruflichen Zusammenarbeit.
 
Mit dem ''Conseil des Barreaux de l’Union Européenne'' (CCBE) als Rat der Anwaltschaften der Europäischen Union gibt es seit 1960 auf europäischer Ebene ein Gremium, das sich aus Delegationen aller Anwaltschaften aus allen Mitgliedstaaten zusammensetzt. Der CCBE stellt ein unabhängiges, repräsentatives Organ der Interessenvertretung aller europäischen Anwälte dar und hat seinen Sitz in Brüssel. Der [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] hat ihm offizielle Anerkennung vor europäischen und internationalen Behören verliehen (EuGH Rs.&nbsp;155/79 – ''AM&nbsp;&&nbsp;S Europe Ltd''., Slg. 1982, 1575). Das ursprüngliche Vorhaben der CCBE, die Berufsrechte aller Mitgliedstaaten umfassend zu harmonisieren, erwies sich angesichts der großen Unterschiede in den nationalen Regelungen und aufgrund nationaler Vorbehalte, traditionelle Grundsätze aufzugeben, als undurchführbar. Als lediglich unverbindliche Anhaltspunkte wurden am 28.10.1988 einheitliche „Standesregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Gemeinschaft“ verabschiedet; die derzeit aktuelle Fassung stammt aus dem Jahr 2006. Diese Standesregeln betreffen nur die grenzüberschreitende Tätigkeit und sind außerdem nur insoweit verbindlich, als sie in nationales Recht umgesetzt wurden. Durch Einarbeitung in die nationalen Standesregeln oder pauschalen Verweis erfolgte eine entsprechende Umsetzung jedoch inzwischen von allen nationalen Standesorganisationen. In Deutschland nimmt §&nbsp;29 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) einen entsprechenden Verweis vor. Eine vergleichbare Regelung findet sich in Rule&nbsp;4 der ''Solicitors’ Overseas Practice Rules 1990'' für die Anwaltschaft von England und Wales.
 
Standesregeln für eine grenzüberschreitende Betätigung hat auch die ''International Bar Association'' (IBA) erlassen. Aber auch diesem ''International Code of Ethics'' in der Fassung von 1988 (Erstfassung 1956) kommt eine Bindungswirkung nur nach einer Umsetzung in nationales Recht zu. Während etwa das deutsche Recht auf eine entsprechende Transformation verzichtet hat, führte das ''Council'' der ''Law Society'' von England und Wales den ''IBA Code'' für ''solicitors'' ein, die außerhalb von England und Wales praktizieren.
 
Der 1992 gegründeten ''Federation des Barreaux d’Europe'' (FBE) kann als Verband europäischer Rechtsanwaltskammern im Gegensatz zum CCBE, in dem jedes Land nur durch eine Delegation vertreten sein kann, jeder lokale nationale Anwaltsverband angehören.  


==Literatur==
==Literatur==
''Julius Magnus'', Die Rechtsanwaltschaft, 1929; ''Hans-Jürgen'' ''Rabe'', Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit der Rechtsanwälte in der EG, Anwaltsblatt 1992, 146&nbsp;ff; ''Martin Henssler'','' Jörg Nerlich'', Anwaltliche Tätigkeiten in Europa, 1994; ''Alan Tyrrell'','' Zahd Yaqub'', The Legal Professions in the new Europe, 1996; ''Eberhard Fedtke'', Anwaltsmarkt in Europa, 1999; ''Hamish'' ''Adamson'', Free Movement of Lawyers, 1998; ''Dieter Kolonovits'', Anwaltsrecht in EU-Beitrittsländern, 2003; ''Diana Bartoszyk'', Anwaltsberuf im Wandel, 2006; ''Christoph'' ''Hommerich'','' Matthias Kilian'','' René Dreske'', Statistisches Jahrbuch der Anwaltschaft 2007/2008, 2008; ''Bernd'' ''Kannowski'', Anwaltstaktik und Anwaltsethik im Mittelalter, Neue Juristische Wochenschrift 2008, 713&nbsp;ff.; ''Martin'' ''Henssler'', Die internationale Entwicklung und die Situation der Anwaltschaft als Freier Beruf, Anwaltsblatt 2009,&nbsp;1&nbsp;ff.; ''Susanne Offermann-Burckhart'', Berufsregeln der Rechtsanwälte in der Europäischen Union (CCBE), in: ''Martin Henssler'','' Hanns Prütting'', Bundesrechtsanwaltsordnung, 2009; weiterführende Literatur zum Thema unter <nowiki>http://www.legalprofession.uni-koeln.de und http://www.anwaltsrecht.uni-koeln.de</nowiki>.
''Dierk Müller'' (Hg.),'' ''Die Anwendung ausländischen Rechts im internationalen Privatrecht: Kolloquium anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Max-Planck-Instituts für Ausländisches und Internationales Privatrecht, 1968;'' Imre Zajtay'', The Application of Foreign Law, in: IECL III, Kap.&nbsp;14, 1972; ''Theodorus M. de Boer'','' ''Facultative Choice of Law: The Procedural Status of Choice-of-Law Rules and Foreign Law, Recueil des cours 257 (1996) 225&nbsp;ff.; ''Richard Fentiman'', Foreign Law in English Courts, 1998;'' Bénédicte Fauvarque-Cosson'', Le juge français et le droit étranger, Recueil Dalloz 2000, 125&nbsp;ff.; ''Maarit Jänterä-Jareborg'', Foreign Law in National Courts, Recueil des cours 304 (2003) 182&nbsp;ff.; ''Nils Jansen'','' Ralf Michaels'', Die Auslegung und Fortbildung ausländischen Rechts, Zeitschrift für Zivilprozess 116 (2003) 3&nbsp;ff.; ''Beate Weckesser-Georgi'', Die letztinstanzliche Überprüfung der Behandlung ausländischen Rechts in zivilgerichtlichen Verfahren, 2006; ''Clemens Trautmann'', Ausländisches Recht vor deutschen und englischen Gerichten, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 14 (2006) 283&nbsp;ff.; ''Haager Konferenz für Internationales Privatrecht'', Feasibility Study on the Treatment of Foreign Law, Summary of the Responses to the Questionnaire, Prel. Doc. No. 9A/B of March 2008.


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Version vom 28. September 2021, 14:16 Uhr

von Clemens Trautmann

1. Gegenstand, Zweck, Natur und Bedeutung

Ausländisches Recht gelangt vor inländischen Gerichten zur Anwendung infolge einer Verweisung des internationalen Privatrechts des jeweiligen Forums. Geltungsgrund ist damit ein Rechtsanwendungsbefehl der inländischen Rechtsordnung, welcher der fremden Rechtsnorm über den Hoheitsbereich ihres Erlassstaates hinaus Wirkung verschafft.

Als Motive der Fremdrechtsanwendung wurden lange zwischenstaatliches Entgegenkommen (comitas gentium) sowie die Erwartung der Gegenseitigkeit, angesehen. Die im 17. Jahrhundert in den Niederlanden begründete comitas-Lehre, die im Rechtskreis (Rechtskreislehre) des common law allerdings weiterhin erhebliche Bedeutung hat, ist unter dem Einfluss der Arbeiten Friedrich Carl von Savignys abgelöst worden von dem internationalistischen Ansatz, wonach jeder grenzüberschreitende Sachverhalt nach dem Recht beurteilt werden soll, zu dem er die engste Verbindung aufweist. Ihm liegt die Annahme der Gleichwertigkeit der verschiedenen Privatrechtsordnungen zugrunde.

Weitestgehende Übereinstimmung besteht in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen darin, dass eine fremde Norm im inländischen Zivilprozess Rechtsqualität hat. In den Ländern des common law sowie in Spanien wird ausländisches Recht hingegen dem Grunde nach als Tatsache verstanden (die französische Rechtsprechung hat diese Auffassung mittlerweile aufgegeben). Die Relevanz einer solchen Klassifizierung ist jedoch eingeschränkt, da die Dichotomie von Rechts- und Tatfrage im Hinblick auf ausländisches Recht in keiner Rechtsordnung konsequent durchgehalten wird. So wird ausländisches Recht in manchen Staaten trotz Rechtsqualität vollständig den für Tatsachen geschaffenen Beweisregeln unterworfen, während umgekehrt in England trotz Tatsachenqualität eine volle obergerichtliche Anwendungskontrolle möglich ist. Die Zuordnung zur Rechts- oder Tatfrage wird daher vielfach als prozessrechtliche Fiktion angesehen, die die Behandlung einer hybriden Materie im Verfahren praktisch ermöglicht.

Hinsichtlich der Natur der Fremdrechtsanwendung gehen die europäischen Jurisdiktionen davon aus, dass tatsächlich das ausländische Recht anzuwenden ist (und zwar grundsätzlich in der Gestalt, wie ein Gericht des Erlassstaates es tun würde), nicht dagegen eine inländische Parallelnorm oder eine rezipierte Form der ausländischen Norm. Die im common law lange wirkungsmächtige vested rights theory, wonach das inländische Gericht lediglich im Wege einer Tatsachenfeststellung prüft, ob im Ausland schutzwürdige Rechte erworben wurden, hat an Bedeutung verloren; ebenso die in Italien begründete Theorie des rinvio recettizio, wonach ausländisches Recht mittels Blankettnormen in die allein maßgebliche inländische Rechtsordnung inkorporiert wird. In England erlaubt allerdings die Vermutung, das berufene ausländische Recht sei mit dem englischem inhaltsgleich (presumption of similarity), dass faktisch nur die englischen Sachvorschriften zur Anwendung gelangen, wenn die Vermutung nicht widerlegt wird.

Abzugrenzen ist die Anwendung ausländischen Rechts von Fällen, in denen das inländische Gericht die ausländische Rechtslage lediglich vergleichend in Betracht ziehen oder berücksichtigen muss, wie es Meistbegünstigungsvorschriften oder das Herkunftslandprinzip unter Umständen verlangen. Eine nur vergleichende Betrachtung findet auch bei sog. Offenlassen der Rechtswahl (in den Niederlanden als antikiesregel bekannt) statt, bei welcher die Anwendung ausländischen Rechts oder der lex fori wegen gleichen Ergebnisses dahinstehen kann.

Erhebungen der Haager Konferenz für IPR zeigen, dass in den europäischen Jurisdiktionen zwischen 1 % und 5 % der im Jahr 2006 entschiedenen Rechtsfälle die Anwendung ausländischen Rechts mit sich bringen (in den Niederlanden sogar 10 %); darunter betreffen knapp die Hälfte aller Fälle das Familienrecht (Scheidung, elterliche Sorge, Unterhalt), ein gutes Viertel das internationale Wirtschaftsrecht und jeweils rund 10 % Deliktsrecht (Verkehrsunfälle, Produkthaftung) und Erbrecht. Wegen der erheblichen praktischen Schwierigkeiten der Fremdrechtsanwendung neigen die Gerichte allerdings dazu, die Anwendung ausländischen Rechts zu vermeiden und nach Möglichkeit (häufig durch Annahme einer stillschweigenden nachträglichen Rechtswahl im Prozess) die lex fori anzuwenden – ein Phänomen, für welches das Schlagwort „Heimwärtsstreben“ (Arthur Nußbaum) gebräuchlich ist.

2. Problemfelder

Bei der Anwendung ausländischen Rechts kommt dem Prozessrecht des Forums, nach dem das Verfahren durchgeführt wird (forum regit processum), eine Schlüsselrolle zu. Es bestimmt, ob für die Anwendung ausländischen Rechts besondere prozessuale Voraussetzungen (insbesondere Parteivortrag) erfüllt sein müssen (a), wie der Inhalt einer ausländischen lex causae vom Gericht festzustellen ist bzw. wie bei Nichtfeststellbarkeit zu verfahren ist (Ermittlung ausländischen Rechts) und inwieweit die materielle Anwendung und Auslegung ausländischen Rechts durch das Tatgericht (b) ober- und höchstgerichtlich überprüfbar ist (c).

a) Prozessuale Voraussetzungen der Anwendung ausländischen Rechts

Erhebliche Rechtsunterschiede zwischen den europäischen Staaten bestehen hinsichtlich der Frage, unter welchen Bedingungen ausländisches Recht in den Zivilprozess eingeführt wird. Entscheidend ist dafür der prozessuale Status des Kollisionsrechts.

Die meisten europäischen Jurisdiktionen verpflichten ihre Gerichte umfassend, das Kollisionsrecht auf jeden vorgetragenen Sachverhalt mit Auslandsberührung anzuwenden und ein gegebenenfalls berufenes ausländisches Recht von Amts wegen für maßgeblich zu erklären (so etwa Belgien, Deutschland, Griechenland, Italien, Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien sowie die meisten der osteuropäischen und baltischen Staaten).

Prozessuale Dispositionen der Parteien über das anwendbare Recht (parteifakultatives Kollisionsrecht) sind hingegen möglich, falls das nationale Verfahrensrecht zusätzliche Anforderungen wie einen konkreten Parteivortrag zum anwendbaren ausländischen Recht aufstellt: So ignoriert ein englisches Gericht eine kollisionsrechtliche Verweisung, wenn nicht eine Partei nach ausländischem Recht plädiert sowie dessen Inhalt vorträgt und ggf. beweist (voluntary pleading and proof of foreign law). Umgekehrt kann das Verfahrensrecht den Parteien erlauben, das kollisionsrechtlich berufene Recht durch ausdrückliche Prozessvereinbarung (accord procédural) zugunsten der lex fori abzuwählen (Frankreich, ähnlich auch Rumänien und Ungarn).

Frankreich wie auch die skandinavischen Staaten kennen allerdings Mischmodelle von zwingendem und fakultativen Kollisionsrecht, wobei die summa divisio die Natur der streitgegenständlichen materiellen Rechte ist: Der kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl ist bei fehlendem Parteiantrag nur dann prozessual verbindlich, wenn das Verfahren indisponible, einem Vergleich unzugängliche Rechte zum Gegenstand hat. Nach der – wenig beständigen – Rechtsprechung der französischen Cour de cassation besteht schließlich die Besonderheit, dass den Gerichten hinsichtlich der Anwendung ausländischen Rechts ein Ermessen eröffnet ist (gerichtsfakultatives Kollisionsrecht), falls disponible Rechte betroffen sind und die Parteien weder die Anwendung der ausländischen lex causae beantragen noch das Gericht durch Prozessvereinbarung an die Anwendung der lex fori binden.

Auch in Staaten, die eine Amtsanwendung des Kollisionsrechts und des ausländischen Rechts vorsehen, gibt es im Schrifttum beachtliche Stimmen, die ein parteifakultatives Kollisionsrecht wegen des Interesses der Parteien an qualitativ hochwertiger Justiz befürworten. Die Anwendung der vertrauten lex fori mache die Rechtsanwendung zuverlässiger und das Verfahren günstiger und zügiger. Ob aber die prozessuale Parteiautonomie, auf die sich das fakultative Kollisionsrecht konstruktiv stützt, über die materiellen Rechtswahlgrenzen hinausreichen kann, wird seit langem kontrovers beurteilt.

b) Materielle Anwendung ausländischen Rechts

Anzuwenden ist das Recht, wie es der Richter des betreffenden Landes anwendet und auslegt (aliena lege artis), d.h. die fremden Normen sollen idealerweise aus dem Zusammenhang und Geist der fremden Rechtsordnung angewandt werden. Voraussetzung ist zunächst, dass sich das Gericht über den Bestand der einschlägigen ausländischen Vorschriften und Rechtsprechung informiert. Bei der Ermittlung ausländischen Rechts nehmen allerdings viele Jurisdiktionen – am deutlichsten England – aus Praktikabilitätsgründen bewusst Einschränkungen des Grundsatzes, dass fremdes Recht aus der Auslandsperspektive anzuwenden ist, in Kauf, vor allem indem sie die Feststellung des Inhalts ausländischen Rechts den Beweisgrundsätzen für Tatsachen unterwerfen. Die Folge ist nämlich, dass der festgestellte Inhalt unter Umständen auf reinen Beweislastentscheidungen oder einer Bindung des Gerichts an übereinstimmenden Parteivortrag beruht.

Hinsichtlich der Fragen, inwieweit ein inländisches Gericht über diese deskriptive Ebene hinaus zur Auslegung, Fortbildung oder gar Prüfung der Verfassungsmäßigkeit ausländischen Rechts berufen ist, besteht kein eindeutiger Konsens. Eine Auslegung ist schon deshalb regelmäßig erforderlich, weil das ausländische Recht selten passgenaue Normen und Präzedenzfälle bereithält. Die einschränkende Formel, der Richter sei bei der Anwendung des eigenen Rechts Architekt, im fremden Recht dagegen lediglich Fotograf (Werner Goldschmidt), wird mehrheitlich abgelehnt; praktisch neigen die Gerichte aber dazu, die ermittelten ausländischen Rechtsnormen eher schematisch anzuwenden, ohne aus der Perspektive der lex causae normativ zu argumentieren. Eine formelle Bindung an ausländische Rechtsprechung besteht zwar nicht, jedoch muss einer gefestigten Rechtsprechung dasselbe Gewicht wie in der betreffenden ausländischen Rechtsordnung beigemessen werden. Formen der Auslegung von Rechtsnormen, die als Rechtsfortbildung angesehen werden (z.B. wortlautübersteigende Interpretation, Analogiebildung) sowie die inzidente Prüfung einer Norm auf Konformität mit der ausländischen Verfassung sollen einem inländischen Gericht nach verbreiteter Ansicht aus Respekt vor der Souveränität des Erlassstaates verwehrt sein. Die Gegenansichten stützen sich jeweils darauf, dass sich der Umfang der richterlichen Befugnisse nach dem fremden Recht richten müsse, so dass Rechtsfortbildung und Prüfung der Verfassungsmäßigkeit (außer bei einem Verwerfungsmonopol des ausländischen Verfassungsgerichtshofs) regelmäßig zulässig seien, wenn auch insoweit Zurückhaltung geboten sei.

c) Letztinstanzliche Anwendungskontrolle

Erhebliche Rechtsunterschiede bestehen hinsichtlich der Statthaftigkeit eines letztinstanzlichen Rechtsmittels (Revision, Kassation etc.), soweit es auf die fehlerhafte Anwendung ausländischen Rechts gestützt ist. Uneingeschränkt überprüfbar ist die Anwendung ausländischen Rechts etwa in Belgien, Griechenland, Italien sowie neuerdings in Deutschland (nach Änderung des § 545 ZPO zum 1.9.2009 ist die Revision nicht mehr auf die Verletzung von „Bundesrecht“ beschränkt). Dagegen lassen die Verfahrensordnungen Frankreichs, Spaniens und der Niederlande eine Überprüfung aufgrund einer Rüge der Verletzung sachlichen Rechts (error in iudicando) nicht zu. Begründet wird dies damit, dass die primäre Aufgabe der obersten Zivilgerichte die Wahrung der Rechtseinheit im Geltungsbereich der lex fori sei, nicht dagegen die Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit oder eine Anwendungskontrolle fremden Rechts, zumal die Richter für eine solche weder qualifiziert noch ausgestattet seien. Stets statthaft ist hingegen die Rüge der Verletzung von Verfahrensvorschriften (error in procedendo) unter dem Gesichtspunkt, dass die Art und Weise der Ermittlung ausländischen Rechts fehlerhaft gewesen sei. Faktisch wird dadurch freilich eine Anwendungskontrolle ermöglicht, denn zwischen fehlerhafter Anwendung und unzureichender Ermittlung ist schwer abzugrenzen. In Durchbrechung der Fakt-Doktrin des common law lassen in England das House of Lords wie auch der zweitinstanzliche Court of Appeal, die im Grundsatz nur eine Rechtskontrolle durchführen, eine Überprüfung der Anwendung ausländischen Rechts zu, gestützt auf die Erwägung, dass ausländisches Recht eine besondere Tatfrage (question of fact of a peculiar kind) sei und ein im juristischen Diskurs geschulter Richter – anders als bei herkömmlichen Tatsachen – sehr wohl eine eigene Bewertung vornehmen könne.

3. Tendenzen der Rechtsentwicklung

Die europäischen Staaten erwarten eine weitere Zunahme der Zivilsachen mit Auslandsbezug, und zwar sowohl der Binnenmarkt- als auch der Drittstaatensachverhalte. Die Anwendung ausländischen Rechts wird somit auf absehbare Zeit ein wesentlicher Bestandteil der Verfahrenspraxis vor nationalen Zivilgerichten bleiben. Die in den Mitgliedstaaten etablierten Grundsätze und Verfahrenspraktiken hinsichtlich der Anwendung ausländischen Rechts weisen gravierende Unterschiede auf. Sie sind seit geraumer Zeit relativ stabil.

Abzuwarten bleibt, ob die Europäisierung des internationalen Privatrechts, insbesondere die EG-Verordnungen zum IPR der Schuldverhältnisse, eine Neubewertung oder gar Harmonisierung der nationalen Verfahrensregeln erfordern. Verbreitet wird angenommen, dass diese weitgehend unberührt bleiben, weil „Beweis und Verfahren“ vom Anwendungsbereich der Verordnungen ausgenommen sind, vgl. Art. 1(2)(i) Rom I-VO (VO 593/2008) und Art. 1(3) Rom II-VO (VO 864/2007). Nach anderer Ansicht lässt ein einheitliches europäisches Kollisionsrecht, zu dessen Zielen Marktintegration und Entscheidungseinklang gehören, nicht zu, dass Kollisionsregeln vollständig partei- oder gerichtsfakultativ sind. Wegen der im europäischen Kollisionsrecht zunehmend anerkannten Rechtswahl wird sich die Debatte aber wohl auf die wenigen zwingenden objektiven Anknüpfungsregeln konzentrieren. Im Rahmen der Ermittlung ausländischen Rechts ist weiter fraglich, inwieweit vereinheitlichte Kollisionsnormen nach nationalem Verfahrensrecht unterlaufen werden können, indem die Parteien den ihnen obliegenden Beweis nicht führen oder das Gericht vorschnell die Nichtfeststellbarkeit des ausländischen Rechts annimmt – regelmäßig mit der Folge, dass die lex fori angewandt wird. Die Überprüfungsklausel des Art. 30 Rom II-VO sieht für das Jahr 2011 einen Bericht über den Umgang mit ausländischem Recht in den verschiedenen Rechtsordnungen und deren Auswirkungen auf die praktische Anwendung der Verordnung vor. Die Europäische Kommission hat erklärt, auf der Grundlage der Untersuchung erforderlichenfalls Harmonisierungsmaßnahmen zu ergreifen.

Ansätze im Schrifttum gehen dahin, die Fremdrechtsanwendung von vornherein zu vermeiden oder zumindest radikal zu vereinfachen. Die – aus rechtlichen wie praktischen Gründen wohl schwer realisierbaren – Vorschläge reichen von einem Gleichlauf zwischen internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht (lex fori in foro proprio) über die Nichtausübung einer Zuständigkeit zugunsten des mitgliedstaatlichen Gerichts, dessen Heimatrecht anwendbar ist (gewissermaßen eine europäische Variante des forum non conveniens) bis zu Vorlageverfahren zwischen mitgliedstaatlichen Gerichten. Hinsichtlich der in einigen Staaten nicht statthaften letztinstanzlichen Überprüfung mehren sich rechtspolitische Forderungen, die Anwendung ausländischen Rechts der Kontrolle der obersten Gerichtshöfe zu unterwerfen, um den Instanzgerichten Leitlinien im Umgang mit bestimmten, häufig wiederkehrenden ausländischen Rechtsmaterien vorzugeben.

Literatur

Dierk Müller (Hg.), Die Anwendung ausländischen Rechts im internationalen Privatrecht: Kolloquium anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Max-Planck-Instituts für Ausländisches und Internationales Privatrecht, 1968; Imre Zajtay, The Application of Foreign Law, in: IECL III, Kap. 14, 1972; Theodorus M. de Boer, Facultative Choice of Law: The Procedural Status of Choice-of-Law Rules and Foreign Law, Recueil des cours 257 (1996) 225 ff.; Richard Fentiman, Foreign Law in English Courts, 1998; Bénédicte Fauvarque-Cosson, Le juge français et le droit étranger, Recueil Dalloz 2000, 125 ff.; Maarit Jänterä-Jareborg, Foreign Law in National Courts, Recueil des cours 304 (2003) 182 ff.; Nils Jansen, Ralf Michaels, Die Auslegung und Fortbildung ausländischen Rechts, Zeitschrift für Zivilprozess 116 (2003) 3 ff.; Beate Weckesser-Georgi, Die letztinstanzliche Überprüfung der Behandlung ausländischen Rechts in zivilgerichtlichen Verfahren, 2006; Clemens Trautmann, Ausländisches Recht vor deutschen und englischen Gerichten, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 14 (2006) 283 ff.; Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, Feasibility Study on the Treatment of Foreign Law, Summary of the Responses to the Questionnaire, Prel. Doc. No. 9A/B of March 2008.