Kodifikation und Konzernrecht: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Jan Peter Schmidt]]''
von ''[[Brigitte Haar]]''
== 1. Begriff ==
== 1. Gegenstand und Zweck ==
Der Begriff der Kodifikation kann in wörtlicher oder in technischer Weise verstanden werden. Wörtlich bedeutet er die Herstellung eines „codex“. Im antiken Buchwesen wurde damit ein Satz hölzerner Tafeln bezeichnet, die mit beschreibbarem Material bedeckt und in Buchform zusammengebunden waren. Im späten Römischen Reich wurden die Sammlungen von Kaiserkonstitutionen „codices“ genannt, bekanntestes Beispiel ist der „Codex Iustinianus“, der dritte Teil des ''[[Corpus Juris Civilis]]''.
Das Konzernrecht regelt die schutz- und organisationsrechtlichen sowie hier insbesondere die gesellschaftsrechtlichen Aspekte aller Formen von Unternehmensverbindungen. Als Teildisziplin des Gesellschaftsrechts berührt es eine große Bandbreite wirtschaftsrelevanter Rechtsgebiete, wie z.B. das Steuerrecht, das bilanz- und abschlussprüfungsbezogene Konzernrecht, das [[Kartellrecht]] und das [[Übernahmerecht]] sowie das [[Insolvenz der Kapitalgesellschaft|Insolvenzrecht der Kapitalgesellschaften]]. Sein Regelungsgegenstand sind Unternehmensverbindungen, die sich in der Regel aus mehreren selbständigen Gliedern als Tochtergesellschaften zusammensetzen und unter der einheitlichen Leitung eines herrschenden Unternehmens zusammengefasst werden. Als Kriterium für eine Unternehmensverbindung werden insbesondere für den typischen Fall des Unterordnungskonzerns der Kontrollbegriff oder der beherrschende Einfluss eines Unternehmens in Bezug auf ein anderes abhängiges Unternehmen herangezogen. Betriebswirtschaftlich liegen der Konzernorganisation meist das Bemühen um erhöhte organisatorische Flexibilität, Rationalisierung, Synergieeffekte und steuerliche Vorteile zugrunde. Sobald ein Unternehmen der einheitlichen Leitung eines anderen Unternehmens unterstellt wird, wird auch die Zweckverfolgung dieses abhängigen Unternehmens dem herrschenden Unternehmen anheimgestellt. Den hieraus folgenden Gefahren für die Minderheitsgesellschafter und die Gläubiger der abhängigen Gesellschaft soll mit Hilfe des Konzernrechts Rechnung getragen werden.


Im Folgenden ist allein vom technischen Kodifikationsbegriff die Rede, der auf ''Jeremy Bentham'' zurückgeht. Danach meint Kodifikation die systematische und vollständige Aufzeichnung des Rechtsstoffs eines bestimmten Sachgebiets in einem Gesetzbuch. Nach herkömmlichem Begriffsverständnis kann nur staatlich gesetztes Recht kodifiziert werden. Rechtstexte, die durch private Wissenschaftlergruppen oder internationale Institutionen erarbeitet worden sind, wie etwa die ''[[Principles of European Contract Law]]'' (PECL) oder die [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT'' Principles of International Commercial Contracts'']] (PICC) können daher als nur „kodifikationsähnlich“ oder als „Privatkodifikationen“ bezeichnet werden, auch wenn sie von ihrer Struktur her einer echten Kodifikation vergleichbar sind.
Ungeachtet dieser Regelungserfordernisse nimmt sich der historische Hintergrund dieses Rechtsgebiets eher mager aus. Da in Deutschland die Konzentration durch die grundsätzlich erlaubte Kartellierung gefördert wurde, herrschte zwar schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg die Meinung vor, dass eine diesbezügliche Reform und Regelung nötig sei. Gleichwohl sieht erst das Aktiengesetz von 1965 konzernspezifische, allerdings nur fragmentarische Regeln vor, nachdem das Aktiengesetz von 1937 sich auf Vorschriften zu Unternehmensverträgen beschränkt hatte. Ungeachtet bemerkenswerter Fortentwicklungen in der deutschen Rechtsprechung und Lehre im Laufe der Jahrzehnte fehlt im übrigen europäischen Ausland und auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene ein kodifiziertes oder gar harmonisiertes Konzernrecht. Eine Ausnahme bilden lediglich Portugal, das sich 1986 zu einer gesetzlichen Regelung entschloss, sowie Teilkodifikationen in Slowenien, Tschechien und Ungarn. Auf europäischer Ebene zielte man zunächst ohne Erfolg auf eine Vollharmonisierung ab. So sah das ursprüngliche Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft gläubiger- und minderheitenschützende Vorschriften vor. Darüber hinaus schlug die [[Europäische Kommission]] in zwei Entwürfen von Richtlinienvorschlägen ([[Richtlinie]]), dem Vorentwurf einer Konzernrechts-RL I. Teil von 1974, II. Teil von 1975 und dem Vorentwurf der Neunten Richtlinie von 1984 (Konzernrechts-RL), jeweils eine Normierung des Konzernrechts vor.


Im Schrifttum ist die Verwendung des Kodifikationsbegriffs oftmals unpräzise. Rechtssammlungen nach Art des ''Corpus Juris'' ''Civilis ''oder des Sachsenspiegels sind keine Kodifikationen im technischen Sinn, da in ihnen Bestehendes lediglich aneinandergefügt wurde. Auch staatliche Gesetzgeber betiteln ihre Rechtsakte häufig zu Unrecht als „Gesetzbuch“ oder „Kodifikation“.
== 2. Rechtsentwicklung ==
Auch ohne ein kodifiziertes Konzernrecht bedürfen die im Rahmen einer Konzernierung auftretenden Interessenkonflikte einer rechtlichen Regelung. Insbesondere in Großbritannien werden Konzernkonflikte durchgängig mit den herkömmlichen Instrumenten des Zivil- und Gesellschaftsrechts bewältigt. Auch in den übrigen Mitgliedstaaten ist das Konzernrecht auf eingrenzbare gesellschaftsrechtliche Sachverhalte beschränkt. Betroffen sind insbesondere die Konzernbildung, die übernahmerechtlich geregelt und auf diese Weise dem erforderlichen Minderheitenschutz zugeführt wird, und die generelle Konzernproblematik ganz überwiegend unter Rückgriff auf das allgemeine Instrumentarium des Zivil- und Gesellschaftsrechts gewährleistet werden soll. Erst in jüngerer Zeit wurden im Zuge der Reform des Gesellschaftsrechts in Italien 2003 in Art. 2497–2497-sexies ''Codice civile'' konzernspezifische Regeln eingeführt, die neben erhöhter Transparenz Barabfindungsrechte der ausscheidenden Minderheitsgesellschafter (Art. 2497-quater'' Codice civile'') sowie eine Haftung der Konzernobergesellschaft für die Verletzung der Grundsätze richtiger gesellschaftsrechtlicher und unternehmerischer Leitung (Art. 2497 ''Codice civile'') vorsehen.


== 2. Ursprung und Ziele der Kodifikationsidee ==
Auf gesamteuropäischer Ebene blieb der Versuch, auf der Grundlage einer gleich zweifachen Harmonisierung ein europäisches Konzernrecht zu verwirklichen, erfolglos. So haben die konzernrechtlichen Regeln für die [[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)|Europäische Aktiengesellschaft (''Societas Europaea'')]] nicht ihren Weg in den Verordnungsvorschlag von 1989 gefunden. Auch die breiter auf das gesamte Recht der verbundenen Unternehmen ausgerichtete, bereits oben erwähnte Neunte Richtlinie von 1984/‌85 (Konzernrechts-RL) blieb auf der Strecke. Stattdessen widmete sich die Diskussion im ''Forum Europaeum Konzernrecht'', einer europäisch zusammengesetzten privaten Forschergruppe, in der Folge in ihren Überlegungen der Regelung einzelner konzernspezifischer Interessenkonflikte, ohne dass sich hier das deutsche Modell als maßgeblich erwies. Dies zeigt sich an der kapitalmarktrechtlichen Prägung einzelner vorgeschlagener Regelungselemente wie insbesondere der des Pflichtangebots und der Austrittsrechte (''appraisal rights''), die ihren Ursprung im britischen, stärker am Kapitalmarkt ausgerichteten Recht haben. Diese Gedanken haben zum Teil im Anschluss an Überlegungen der ''High Level Group of Company Law Experts'' Eingang in den Aktionsplan von 2003 gefunden und sind europäisches Recht geworden. Ungeachtet dieser Entwicklung zeichnet sich ein Bedeutungsrückgang einer gesamteuropäischen Konzernrechtsharmonisierung ab, was sich mit dem zunehmenden [[Wettbewerb der Rechtsordnungen]] in Anbetracht der EuGH-Rechtsprechung (EuGH Rs.&nbsp;C-212/‌97 – ''Centros'', Slg. 1999, I-1459''<nowiki>;</nowiki>'' EuGH Rs.&nbsp;C-208/‌00 – ''Überseering'', Slg. 2002, I-9919''<nowiki>; </nowiki>''EuGH Rs.&nbsp;C-167/‌01 – ''Inspire Art'', Slg. 2003, I-10155), mit Systemunterschieden oder Konvergenzen des Gesellschaftsrechts begründen lässt. An die Stelle einer Harmonisierung ist in Ansätzen die Herausbildung eines Konzernrechts in der Rechtsprechung des [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] getreten. Letzterer hat in seinen Judikaten zur grenzüberschreitenden [[Umwandlung/‌Spaltung/‌‌Verschmelzung|Umwandlung]] (EuGH Rs.&nbsp;C-411/‌03 – ''SEVIC'', Slg. 2005, I-10805), zu den Goldenen Aktien in Bezug auf Konzerne mit staatlicher Beteiligung oder solchen unter besonderem staatlichen Einfluss (in Bezug auf Deutschland EuGH Rs.&nbsp;C-112/‌05 – ''Volkswagen-Gesetz'','' ''Slg. 2007, I-8995) sowie denjenigen zur Konzernbesteuerung (erste Leitentscheidung in EuGH Rs.&nbsp;C-446/‌03 – ''Marks & Spencer'', Slg. 2005, I-10837) auf der Grundlage der Grundfreiheiten wichtige Voraussetzungen für ein ''level playing field'' im [[Europäischer Binnenmarkt|europäischen Binnenmarkt]] präzisiert. Wie in der neueren ''Cartesio-''Entscheidung des EuGH (16.12.2008, Rs.&nbsp;210/‌06, NJW 2009, 569) deutlich geworden ist, fehlt es jedoch noch an einer für die Unternehmensumstrukturierung und &#8209;mobilität wichtigen Regelung der Sitzverlegung. Für die Verwirklichung des Plans der Kommission, die Freiheit der Sitzverlegung als Baustein eines europäischen Konzernrechts herzustellen, müssten die bisher nur als Vorentwurf vorliegenden Arbeiten für eine Vierzehnte Richtlinie über die Sitzverlegung vom 20.4.1997 weiterverfolgt werden. Dessen ungeachtet hat der EuGH mit den genannten Leitentscheidungen maßgebliche Eckdaten für ein europäisches Konzernrecht vorgegeben, das durch eine Kernbereichsharmonisierung und im Übrigen durch einen Wettbewerb zwischen den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern gekennzeichnet ist. Insbesondere der Letztgenannte wird in seiner Bedeutung eher zunehmen, wenn im europäischen [[Gesellschaftsrecht]] die Bemühungen der Europäischen Kommission um Subsidiarität und Deregulierung als Leitprinzipien des europäischen Gesellschaftsrechts weiterhin Geltung beanspruchen.
Der geistige Boden der Kodifikationsidee wurde während des 16. und 17.&nbsp;Jahrhunderts durch ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren bereitet. Einer davon war die Kritik des juristischen [[Humanismus]] am [[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']], die auf die historische Relativität des ''Corpus Juris Civilis'' hinwies, ebenso auf seine Lücken und Widersprüche. Die hieraus resultierende Rechtsunsicherheit wurde für unnötige und langdauernde Prozesse verantwortlich gemacht. Aus dieser Haltung heraus entstand der Wunsch nach einer neuen, klaren und widerspruchsfreien Gesetzgebung, die den Bedürfnissen der Zeit entsprach.


Ein zweiter entscheidender Faktor lag im Hervorbringen eines neuen Verständnisses von Staat und Gesellschaft durch das Vernunftrecht ([[Naturrecht]]). Danach lag Staat und Recht ein sozialer Vertrag aller Individuen zugrunde, der den Zweck hatte, die Freiheit des Einzelnen zu sichern. Diese Freiheit bedurfte gleichzeitig der Einschränkung durch eine klare und einfache Gesetzgebung, einer „standing rule to live by“ ''(John Locke)''. Einen anderen wichtigen Beitrag zur Kodifikationsidee erbrachte das Vernunftrecht mit seiner Methode, das Recht nach mathematischem Vorbild systematisch aufzuarbeiten. Erst dieses Verfahren ermöglichte es in der Folge, den Rechtsstoff in geordneter Weise niederzuschreiben.
== 3. Regelungsstrukturen ==
=== a) Konzernkonflikte ===
Mit der zuletzt genannten Entwicklungslinie scheint zugleich der wichtigste Ausgangspunkt für die Regelungsstrukturen im europäischen Konzernrecht auf, das entscheidend durch eine weitgehende Heranziehung der mitgliedstaatlichen Vorschriften gekennzeichnet ist. Auch ohne Konzernrecht werden in allen Mitgliedstaaten spezifische Konzernkonflikte mit Hilfe gesellschafts- und kapitalrechtlicher Normen gelöst. Deutlich wird dies bereits bei der Konzernbildung, bei der es in allen Mitgliedstaaten außer in Deutschland entscheidend auf die Ausübung von Kontrolle ankommt und damit ein unmittelbarer Bezug zur Stimmenmehrheit hergestellt wird. Die Regelungsalternative in Deutschland hingegen erklärt den beherrschenden Einfluss für maßgeblich, der gesellschaftsrechtlich vermittelt sein muss, aber sich möglicherweise erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände wie einer regelmäßig niedrigen Hauptversammlungspräsenz zu einem herrschenden Einfluss verdichtet. Dieser Unterschied setzt sich hinsichtlich des Konzernbildungsprozesses fort, für den das deutsche Aktienkonzernrecht in §&nbsp;291 AktG den in den meisten übrigen Mitgliedstaaten unbekannten organisationsrechtlichen Beherrschungsvertrag zusätzlich zum bloßen Mehrheitserwerb als Handlungsform und Bestimmungsfaktor der Konzernverfassung im deutschen Recht vorsieht. Der Beherrschungsvertrag rechtfertigt die Nachteilszufügung durch die herrschende Gesellschaft.


Zum Durchbruch verhalf der Kodifikationsidee schließlich „das Bündnis des Vernunftrechts mit der Aufklärung“ (''Franz Wieacker''). Das Recht sollte nicht länger durch ein undurchsichtiges und widersprüchliches Quellensystem der Willkür von Richtern und Anwälten ausgeliefert sein. Mit Hilfe der Kodifikation, die alle Rechtsregeln in einer verständlichen Weise zusammenfasste, sollte fortan „every man his own lawyer“ (''Jeremy Bentham'') sein können und den Berufsadvokaten nicht länger benötigen. Die europäischen Herrscher des aufgeklärten Absolutismus nahmen diese Ideen bereitwillig auf: Sie sahen in der Kodifikation nicht nur die Möglichkeit, die Herrschaft des Rechts über die Willkür zu sichern, den Rechtsbetrieb zu rationalisieren und so insgesamt das Wohlergehen ihrer Untertanen zu steigern, sondern vor allem auch ein Mittel, ihr Rechtssetzungsmonopol zu unterstreichen.
Mangels Beherrschungsvertrags wird es der Obergesellschaft in den übrigen Mitgliedstaaten, wie auch im deutschen Recht des faktischen Konzerns, untersagt, eine Verletzung der Interessen der abhängigen Gesellschaft anzuregen oder gar hierzu anzuweisen. Ungeachtet dieser Verpflichtung der Geschäftsleitung der abhängigen Gesellschaft zur Wahrung der Interessen ihrer Gesellschaft lässt sich die Erforderlichkeit einer Ausrichtung an den Konzerninteressen im Rahmen der Geschäftsführung nicht gänzlich von der Hand weisen. Trotz einer langwährenden Ablehnung des möglichen Vorrangs des Konzerninteresses im deutschen Konzernrecht hat mittlerweile auch in der europäischen Diskussion im Hinblick auf die zweite Stufe des Aktionsplans der Europäischen Kommission vom 21.5.2003 eine Führung und Überwachung der Tochtergesellschaft im Konzerninteresse an Bedeutung gewonnen. Dies stützt sich auf Vorschläge des ''Forum Europaeum'' für eine Berücksichtigung von Konzerninteressen, die sich an die ''Rozenblum-''Doktrin des französischen Rechts nach einer gleichnamigen Entscheidung der französischen ''Cour de Cassation'' (Cass. crim. 4.2.1985, Revue Sociale 1985, 648) anlehnen. Voraussetzung hiernach ist für einen Vorrang des Konzerninteresses die Verfestigung der Unternehmensgruppe, die Verfolgung einer kohärenten Unternehmenspolitik sowie die Ausgewogenheit von Vor- und Nachteilen innerhalb der Unternehmensgruppe.


Aus den beschriebenen Zielen der Kodifikation ergaben sich folgende Anforderungen an ihre Ausgestaltung:
=== b) Konzernhaftung ===
Unmittelbar im Zusammenhang mit dem Nachteilsausgleich für eine Unternehmensleitung im Konzerninteresse zu Lasten der Tochtergesellschaft stellt sich auch die Frage nach der Konzernhaftung. Zu unterscheiden sind hierbei Modelle einer strikten Strukturhaftung, bei der die bloße Gesellschafterstruktur die Haftung auslöst, und Modelle einer Verhaltenshaftung, die für eine Haftung am Verhalten der Muttergesellschaft anknüpfen. Eine allgemeine Strukturhaftung, die letztlich einer organischen Konzernverfassung nahe steht, hat sich auf gesamteuropäischer Ebene nicht durchsetzen können. Stattdessen zeichnet sich das Konzernhaftungsrecht sowohl auf mitgliedstaatlicher als auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene durch Verhaltenselemente aus. Hier stellt sich die Haftung der Obergesellschaft als Korrelat der Verletzung insbesondere von Verhaltenspflichten der Geschäftsführung dar. Niederschlag gefunden hat der Verhaltensansatz bereits in Art.&nbsp;9 und 10 des Vorentwurfs einer Neunten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie von 1984 (Konzernrechts-RL). Besonders offensichtlich ist dieser Ansatz bei den Vorschlägen des ''Forum Europaeum'', der ''High Level Group'' sowie des Aktionsplans zu Geschäftsleiterpflichten in der Krise. Auch in diesem Punkt neigt die Diskussion nicht zu einem strukturorientierten allgemeinen Konzerndurchgriff, sondern befürwortet seit dem ''Forum Europaeum'' eine Anlehnung an die englischen Regeln des ''wrongful trading ''bzw. die französische und belgische ''action en comblement du passif'', die jeweils Merkmale einer Insolvenzverschleppungshaftung aufweisen. Für die Insolvenz wird dann die Frage der internationalen Zuständigkeit von besonderer Bedeutung, da sie das auf die [[Insolvenz, grenzüberschreitende|grenzüberschreitende Insolvenz]] anwendbare Recht präjudiziert (''lex fori concursus ''nach Art.&nbsp;4 EuInsVO, VO&nbsp;1346/‌2000).


(1)&nbsp;Sie musste vollständig und abschließend sein, durfte also weder innere Lücken enthalten noch durch weitere Rechtsquellen ergänzt werden. „Whatever is not in the code of laws, ought not to be the law“ ''(Bentham)''.
Die weiteren Instrumente zum Schutz der außenstehenden Gesellschafter im Rahmen des Konzernierungsprozesses wie Auskaufsrechte der Konzernmutter (''squeeze-out'')'' ''sowie Austritts- (''sell-out)'' und Abfindungsrechte der Minderheitsgesellschafter (''appraisal rights'') bei Konzerneingang und &#8209;ausgang haben mittlerweile in den Mitgliedstaaten aufgrund der Übernahme-RL (RL&nbsp;2004/‌25, [[Übernahmerecht]]) allgemeine Geltung.


(2)&nbsp;Damit der Bürger sein Leben an ihr ausrichten konnte, musste die Kodifikation einfach und verständlich sein. Zentrale Voraussetzung hierfür war, dass sie nicht auf Latein, sondern in der Sprache des Volkes geschrieben war. Dieses Erfordernis sollte die Kodifikationsidee später stark mit den Gedanken des Nationalstaats und der nationalen Identität verbinden.
== 4. Vereinheitlichungsprojekte ==
=== a) Misserfolg einer Vollharmonisierung ===
Die Entwicklung eines europäischen Konzernrechts ist eng an die Entwicklung des europäischen [[Gesellschaftsrecht]]s gekoppelt. Hierbei hat die Europäische Kommission zunächst bis Mitte der achtziger Jahre mehrere Versuche unternommen, das Konzernrecht zu harmonisieren. Den Anfang bildete der Verordnungsvorschlag für die ''Societas Europaea'' mit einer an eine organische Ordnung angelehnte Konzernverfassung von 1970, der ebenso wie der Verordnungsvorschlag für die SE ohne konzernrechtliche Regeln von 1989 scheiterte. Bereits der ebenfalls letztlich gescheiterte zweite Vorentwurf einer Neunten Richtlinie von 1984 (Konzernrechts-RL) hatte anstelle des Modells einer organischen Konzernverfassung die Unterscheidung zwischen Vertragskonzern, Eingliederung und vertragsloser Abhängigkeit bzw. Konzernverhältnis übernommen. In Anbetracht des Misserfolgs einer Vollharmonisierung sind die weiteren Regelungen durch ihren lediglich fragmentarischen, bereichs- und branchenspezifischen Charakter gekennzeichnet. Bruchstückhaft ist das Recht der ''SE ''in konzernrechtlicher Hinsicht deshalb geblieben, weil die Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft vom 8.10.2001 (SE-VO, VO&nbsp;2157/‌2001) keine wie noch die Verordnungsvorschläge von 1970 und 1975 rechtsformgebundenen Konzernrechtsregeln enthielt. Gleichwohl ist der ''SE ''ein konzernrechtsgestaltender Gehalt notwendigerweise immanent. Dies ergibt sich aus der Funktion dieser Gesellschaftsform, für europaweit agierende Unternehmen eine Rechtsform bereit zu halten. In diesem Zusammenhang erweisen sich vor allem die Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Verschmelzung ([[Umwandlung/‌Spaltung/‌‌Verschmelzung]]) und Sitzverlegung ([[Gesellschaftsrecht, internationales]]) sowie zur Errichtung einer internationalen ''Holding'' als bedeutsam für die konzernrechtliche Unternehmenspraxis ([[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)|Europäische Aktiengesellschaft (''Societas Europaea'')]]).


(3)&nbsp;Schließlich musste die Kodifikation auch publiziert werden, denn nur so konnte der Bürger Kenntnis von ihr erlangen. Das Publizitätserfordernis führte zur Praxis der offiziellen Verkündung der Gesetze. Seinen Ausdruck fand es ferner darin, dass in einigen nationalen Kodifikationen ausdrücklich die Unbeachtlichkeit des Rechtsirrtums niedergelegt wurde.
=== b) Konzern- und branchenspezifische Regeln ===
Neben den rechtsformgebundenen Regeln ist darüber hinaus auf den Bereich des Konzernbilanz- und &#8209;prüfungsrechts hinzuweisen, in dem durch mehrere Richtlinien eine Harmonisierung verwirklicht worden ist. Für den konsolidierten Konzernabschluss ist hier die Siebente RL&nbsp;83/‌349 einschlägig. Wesentliche weitere Vorgaben zusätzlich zur Konzernbilanz-RL (RL&nbsp;83/‌349) enthält die IAS-VO (VO&nbsp;1606/‌2002), die allen börsennotierten Konzernen für den Konzernabschluss die ''International Accounting Standards'' vorschreibt.


== 3. Die weltweite Kodifikationsbewegung ==
Schließlich ist als dritter wichtiger Bereich einer europäischen Konzernrechtsvereinheitlichung das branchenspezifische Konzernrecht zu nennen, das besondere Regelungen für Banken, Versicherungen und Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu Zwecken einer konsolidierten europäischen Aufsicht über Finanzdienstleistungsunternehmen im [[Europäischer Bankenmarkt|europäischen Bankenmarkt]] und im [[Versicherungsbinnenmarkt]] trifft. Hierfür ist im Bankenbereich die Bankenrechts-RL (RL&nbsp;2000/‌12) vom 20.3.2000 und für den Versicherungssektor die Richtlinie der einer Versicherungsgruppe angehörenden Versicherungsunternehmen (RL&nbsp;98/‌78, auch Solvency II) einschlägig. Ein übergreifendes europäisches Allfinanzkonzernrecht enthalten schließlich die Regeln zur Beaufsichtigung bei Finanzkonglomeraten in der Finanzkonglomerate-RL von 2002 (RL&nbsp;2002/‌87).
Die Methode der Kodifizierung des Rechts blieb nicht auf das Zivilrecht beschränkt, sondern wurde schon früh ebenso auf das Handelsrecht (''[[Code unique]]''), das Strafrecht und das Prozessrecht angewendet. Die folgende Darstellung konzentriert sich auf die Entstehung der nationalen Zivilgesetzbücher, mit der die Kodifizierung anderer Rechtsbereiche aber häufig einher ging.
 
=== a) Die Kodifikationsbewegung in Europa ===
Den Beginn des Kodifikationszeitalters markierten die sog. „vernunftrechtlichen“ Kodifikationen ([[Naturrecht]]), namentlich das [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|preußische ALR]] (1794), der französische ''[[Code civil]]'' (1804) und das österreichische [[Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch|ABGB]] (1811). Die genannte Bezeichnung beruht auf der engen Verbundenheit dieser Gesetzbücher mit der oben beschriebenen vernunftrechtlichen Idee einer umfassenden Gesellschaftsplanung durch staatliche Gesetzgebung.
 
Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft erfuhr die Kodifikationsbewegung dann aber zunächst einen Rückschlag. In Deutschland traten die gegensätzlichen Positionen im berühmten Kodifikationsstreit zwischen ''Anton F.J. Thibaut ''und ''Friedrich Carl von'' ''Savigny ''hervor. Während ''Thibaut'' leidenschaftlich ein gemeinsames Zivilgesetzbuch für die deutschen Staaten forderte und dabei vor allem die Vorzüge einer Vereinfachung und Vereinheitlichung des Rechts rühmte, sprach sich ''Savigny ''in seiner berühmten Programmschrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ (1814) vehement dagegen aus. Er sah'' ''in der Kodifikation einen unorganischen und willkürlichen Eingriff in den geschichtlichen Charakter des Rechts. Rechtseinheit sei zwar wünschenswert, könne aber nur auf Grundlage einer „organisch fortschreitenden Rechtswissenschaft“ hergestellt werden. Neben dem Erstarken der historischen Rechtsschule waren es aber vor allem politische Ursachen, die die Kodifikationsidee bremsten: In Deutschland, Italien und der Schweiz fehlte es an der notwendigen staatlichen Einheit, zugleich sahen die restaurativen Kräfte, die zurück an die Macht gelangt waren, in der Kodifikationsidee eine Untergrabung ihrer Legimitation.
 
Aus den genannten Gründen nahm die zweite große Kodifikationswelle erst Mitte des 19.&nbsp;Jahrhunderts ihren Anfang. Sie brachte die sog. Gesetzbücher der Nationalstaaten hervor, die deshalb so bezeichnet werden, weil sie jeweils Ausdruck einer neuen Staatsgründung waren und in erster Linie die nationale Rechtsvereinheitlichung zum Ziel hatten. Den Anfang machte Italien, das sich 1865 seinen ersten ''[[Codice civile]]'' gab. In Deutschland und in der Schweiz ergingen wegen der einstweilen noch fehlenden Bundeskompetenz zunächst verschiedene regionale Zivilgesetzbücher, durch das deutsche [[Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch||ADHGB]] (1861) und das [[Schweizerisches Obligationenrecht|schweizerische OR]] (1883) konnten aber immerhin bereits wichtige Teilbereiche landesweit vereinheitlicht werden (''[[Code unique]]''). Mit dem deutschen [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]] (1896) und dem [[Schweizerisches Zivilgesetzbuch|schweizerischen ZGB]] (1907) wurden schließlich auch die ersehnten Bundeszivilgesetzbücher geschaffen. Beide Werke waren dank gründlicher wissenschaftlicher Vorarbeiten die reifsten ihrer Art und konnten fortan mit dem ''Code civil'' um weltweite Anerkennung und Rezeption wetteifern.
 
Andere europäische Zivilgesetzbücher des 19.&nbsp;Jahrhunderts lassen sich nicht eindeutig einer der beiden Hauptwellen zurechnen, wurden aber jedenfalls inhaltlich stark vom ''Code civil'' beeinflusst. Hierzu gehören das (insgesamt dritte) niederländische Zivilgesetzbuch (1838), der erste ''Código civil'' Portugals (1867) und der spanische ''[[Código civil]]'' (1889). Als späte Nachwellen des BGB und des schweizerischen ZGB werden aufgrund deren starker Vorbildwirkung die Zivilkodifikationen der Türkei (1926; [[Türkisches Zivilgesetzbuch und Obligationenrecht]]) und Griechenlands (1940; [[Griechisches Zivilgesetzbuch]]) bezeichnet.
 
Eine weitere Kodifikationswelle nahm ab den 1920er Jahren in den sozialistischen Staaten ihren Lauf. Neben den Zivilgesetzbüchern der Sowjetrepubliken gingen hieraus etwa das ungarische Zivilgesetzbuch (1959), das [[polnisches Zivilgesetzbuch|polnische Zivilgesetzbuch]] (1964) und das Zivilgesetzbuch der DDR (1975) hervor. Die während dieser Welle entstandenen Kodifikationen sind nach dem Zusammenbruch des Sozialismus, von wenigen Ausnahmen abgesehen, allesamt ersetzt oder grundlegend reformiert worden ([[Russisches Zivilgesetzbuch]] [1996]). Auch in Westeuropa hat es während des 20.&nbsp;Jahrhunderts einige wichtige Neukodifikationen gegeben, so 1942 in Italien (''[[Codice civile]]''), 1966 in Portugal und ab 1970 in den Niederlanden (''[[Burgerlijk Wetboek]]'').
 
Im skandinavischen Rechtskreis ist die Kodifikationsidee ebenfalls auf Sympathie gestoßen. Projekte zur umfassenden Niederlegung des Zivilrechts in einem zentralen Gesetzbuch konnten sich zwar nie durchsetzen, einzelne Rechtsbereiche wie das Kaufrecht dafür aber sogar regional einheitlich kodifiziert werden ([[Skandinavische Rechtsvereinheitlichung]]).
 
=== b) Die Kodifikationsbewegung auf anderen Kontinenten ===
Tiefe Spuren hat die Kodifikationsbewegung auch in den ehemaligen europäischen Kolonien in Lateinamerika ([[Ausstrahlung des europäischen Privatrechts in lateinamerikanische Rechtsordnungen]]) und Nordafrika ([[Ausstrahlung des europäischen Privatrechts auf islamische Länder|Ausstrahlung des europäischen Privatrechts ins islamische Recht]]) hinterlassen. Gleiches gilt für die Staaten Ostasiens ([[Ausstrahlung des europäischen Privatrechts ins japanische Recht]]; [[Ausstrahlung des europäischen Privatrechts ins chinesische Recht]]). Die in diesen Regionen geschaffenen Zivilgesetzbücher haben sich meist sehr stark an ein oder mehrere europäische Vorbilder angelehnt.
 
=== c) Die Kodifikationsbewegung im Rechtskreis des ''common law'' ===
Auch im Rechtskreis des ''[[common law]]'' hat die Kodifikationsidee immer wieder gewichtige Fürsprecher gefunden, allen voran in der Person ''Jeremy Benthams''. Die Vorteile, die er und seine Nachfolger sich von einer Kodifizierung des unsystematischen, nur Fachleuten zugänglichen und schriftlich nicht fixierten ''common law'' versprachen, liegen auf der Hand. Gleichwohl sind entsprechende Vorhaben in England bislang immer gescheitert, so auch der in den 1960er Jahren begonnene Versuch zur Schaffung eines „Contract Code“, der nicht über das Entwurfsstadium hinausgelangte. Generelles Misstrauen gegenüber der Methode, ganze Lebensbereiche abstrakten Rechtsregeln zu unterwerfen, sowie die Befürchtung, durch eine Kodifizierung des ''common law'' an Einfluss zu verlieren, gelten als Hauptursachen für den Widerstand der englischen Juristen.
 
<nowiki>Erfolgreicher ist die Kodifikationsbewegung demgegenüber in den USA gewesen. Dies lässt sich zwar nicht anhand der Kodifizierung des Zivilrechts in Louisiana (1808) belegen, die Folge der starken Verwurzelung dieses Bundesstaats in der spanischen und der französischen Rechtstradition war und deshalb als Sonderfall zu betrachten ist (ähnlich wie die Kodifizierung des Zivilrechts in der kanadischen Provinz Québec [1866 und 1994]). Doch war vor allem Mitte des 19.&nbsp;Jahrhunderts die Kodifikationsbewegung auch in vielen anderen Bundesstaaten sehr stark. Eine ihrer Anführer war der Rechtsanwalt </nowiki>''David Dudley Field''. Sein Entwurf für eine Zivilprozessordnung trat 1848 im Staat New York in Kraft und war später Vorbild für die Verfahrensordnung zahlreicher anderer Bundesstaaten. Etwas weniger Erfolg war ''Fields'' Entwurf für ein Zivilgesetzbuch beschieden. Der New Yorker Gesetzgeber lehnte ihn ab, doch wurden Teile von ihm später in anderen Bundesstaaten übernommen. Im 20.&nbsp;Jahrhundert erfolgte mit dem ''Uniform Commercial Code'' (UCC) die Kodifizierung eines zwar begrenzten, aber dafür praktisch sehr bedeutsamen Rechtsbereichs. Ziel des UCC war vor allem die Vereinheitlichung des Rechts der einzelnen Bundesstaaten. Und auch die US-amerikanischen ''[[Restatements]]'' sind in ihrer Zielsetzung einer systematischen und möglichst vollständigen Rechtsaufzeichnung deutlich von der Kodifikationsidee inspiriert, selbst wenn sie mangels staatlicher Inkraftsetzung keine Kodifikation im strengen Sinne darstellen.
 
== 4. Krise der Kodifikationsidee? ==
Ungeachtet der Tatsache, dass bis in die Gegenwart hinein regelmäßig neue Zivilgesetzbücher in Kraft getreten sind, ist seit etwa Mitte des 20.&nbsp;Jahrhunderts von einer Krise der Kodifikationsidee die Rede, die meist unter dem von ''Natalino Irti'' geprägten Schlagwort vom „Zeitalter der Dekodifikation“ diskutiert wird. Die dahinterstehende Frage lautet, ob in der heutigen Zeit die Kodifikation noch die angemessene oder überhaupt mögliche Form der Gesetzgebung ist. Weitgehend unbestritten sind die Erscheinungsformen des Phänomens der „Dekodifikation“: Erstens ist neben die Kodifikationen inzwischen eine erhebliche Zahl von Nebengesetzen getreten, die oftmals auch eine neue juristische Terminologie einführen und von den allgemeinen Grundprinzipien des Zivilrechts abweichen. Beispiele finden sich etwa im Arbeitsrecht ([[Europäisches Arbeitsrecht]]) und im modernen Verbraucherschutzrecht ([[Verbraucher und Verbraucherschutz]]). Zweitens sind immer mehr Materien der Kodifikation in die Fallgruppen der Rechtsprechung abgewandert, so dass das Zivilgesetzbuch vielfach nicht mehr die tatsächlich geltende Rechtslage widerspiegelt. Veranschaulichen lässt sich dies etwa anhand des französischen Deliktsrechts, dessen wenige Gesetzesvorschriften angesichts einer weit ausdifferenzierten Rechtsprechung heute praktisch keine Bedeutung besitzen. Weiter haben die modernen Verfassungen den Kodifikationen einen erheblichen Bedeutungsverlust zugefügt: Indem sie deren Aufgabe übernommen haben, die Grundrechte des Bürgers zu sichern, entfalten sie einen erheblichen mittelbaren Einfluss auf das Privatrecht. Schließlich erhalten die nationalen Kodifikationen inzwischen auch von außerhalb der Staatsgrenzen Konkurrenz: Internationale Konventionen, vor allem aber das supranationale Recht der [[Europäische Gemeinschaft|Europäischen Gemeinschaft]], dringen immer häufiger in klassische Regelungsbereiche der Kodifikation ein.
 
Über die Ursachen für die beschriebenen Symptome herrscht ebenfalls weitgehend Einigkeit: In der demokratisch verfassten pluralistischen Industriegesellschaft ist die Aufstellung allgemeinverbindlicher Regeln deutlich schwieriger als im 19.&nbsp;Jahrhundert. Technischer Fortschritt und gesellschaftlicher Wandel erfordern eine ständige Anpassung und Weiterentwicklung des Rechts. Die unsystematische Maßnahmegesetzgebung, die es dem Gesetzgeber erlaubt, auf neu auftretende Probleme schnell und gezielt zu reagieren, hat daher zunehmend die Oberhand gewonnen. Ursache der „Normenflut“ ist aber nicht nur die gestiegene Komplexität der Lebensverhältnisse, sondern auch die Wandlung des Staatsverständnisses: Während der liberale Staat des 19.&nbsp;Jahrhunderts sich darauf beschränkte, die grundlegenden Spielregeln für den Privatrechtsverkehr aufzustellen, sieht der moderne Sozialstaat als Wohlfahrtsstaat seine Aufgabe darin, die gesellschaftlichen Verhältnisse zugunsten der Benachteiligten umzugestalten. Schließlich ist auch ein demokratisches Gesetzgebungsverfahren mit einem so umfangreichen Werk wie dem einer Kodifikation schwierig zu vereinbaren: Das Parlament als formeller Gesetzgeber besitzt selten die notwendige Sachkunde, zudem ist es den Sachzwängen der Tagespolitik unterworfen. Vor allem aber nehmen zahlreiche „informelle Gesetzgeber“ in Form organisierter Interessengruppen Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren, wodurch die inhaltliche Ausgewogenheit und systematische Geschlossenheit eines Entwurfs häufig Schaden nehmen und manche Vorhaben sogar ganz zum Scheitern gebracht werden.
 
Aus der beschriebenen Diagnose ist als Therapie zunächst vielfach die radikale Absage an eine Zukunft des Kodifikationsgedankens gefolgert worden. Hierin sieht die Mehrzahl der Stimmen heute aber eine Übertreibung: Die Kodifikation enthalte weiterhin zahlreiche Materien von zentraler Bedeutung und sei keinesfalls nur noch subsidiäre Rechtsquelle. Unsorgfältige und unsystematische Spezialgesetzgebung sei nicht unausweichliches Schicksal, sondern oftmals das Ergebnis fehlender Kompetenz und fehlenden Bemühens der an der Entstehung eines Gesetzes beteiligten Personen. Die Langlebigkeit des ''[[Code civil]]'', des [[Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch|ABGB]] und des [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]] beweise, dass eine Kodifikation keineswegs zu einer Versteinerung des Rechts führen müsse. Zudem zeige die Erfahrung, dass Maßnahmegesetze ihr Ziel häufig gerade nicht erreichten, während sich umgekehrt auch aus jüngster Zeit zahlreiche Beispiele für gelungene Kodifikationsarbeiten anführen ließen.
 
== 5. Aufgaben der Kodifikation in heutiger Zeit ==
Halten die Anhänger der Kodifikationsidee deren Zeit also noch nicht für abgelaufen, so plädieren sie gleichwohl dafür, die Aufgaben eines zentralen Gesetzbuches zu überdenken. Dem Publizitätsgebot wird in der gegenwärtigen Kodifikationsdebatte keine Bedeutung mehr zugemessen. Die Erwartung, dass der juristische Laie die Gesetze kennen und verstehen könne, erweise sich heute mehr denn je als unrealistisch. Auch das ursprüngliche Ideal der Vollständigkeit der Kodifikation, das selbst vom preußischen ALR als dem umfangreichsten aller Gesetzbücher nicht mit letzter Konsequenz verfolgt worden war, müsse heute stark relativiert werden. Häufig sei es empfehlenswert, neuartige, noch nicht gefestigte Materien zunächst in Nebengesetzen zu behandeln. Daneben müssten vielfach aber auch Rechtsprechung und Wissenschaft mit der Weiterentwicklung des Rechts betraut werden (etwa mittels bewusster Regelungslücken, unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln). Die Funktionen der Rechtsvereinheitlichung und der Stiftung nationaler Identität galten lange Zeit auch schon als überholt, erleben derzeit hingegen eine Renaissance in der Debatte über ein [[Europäisches Zivilgesetzbuch]].
 
Als wichtigste und nach wie vor unverzichtbare Aufgabe der Kodifikation wird heute die der Systematisierung des Rechtsstoffs angesehen. Diese mache innere Zusammenhänge zwischen verschiedenartigen Problemkomplexen deutlich und leiste so einen wichtigen Beitrag gerade auch zur Bewältigung neuartiger Herausforderungen. Zudem sei die Kodifikation notwendiger Hintergrund für die gesamte Sondergesetzgebung, indem sie die grundlegenden Rechtsbegriffe und &#8209;institute bereitstelle. Dem inhaltlichen Vorzug der Systematisierung stehe ein formaler an der Seite: Die Kodifikation ermögliche es, die Rechtsordnung in periodischen Abständen zu bereinigen, indem veraltetes Recht ausgeschieden und neu entstandenes Recht mittels einer „Rekodifikation“ in das bestehende System eingearbeitet wird. Nur so könne die Zersplitterung des Rechts in eine Unzahl von Quellen, die auch der geschulte Jurist nicht mehr überblicken kann, verhindert werden. Die Kodifikation soll also einen zentralen Beitrag zum Rechtszugang und zur Rechtsklarheit leisten.
 
== 6. Fazit und Ausblick ==
Kodifikation ist nach den Worten ''Franz Wieackers'' eine „einzigartige, schwer errungene und schwer zu verteidigende Schöpfung der Rechtsgesittung“. Die kontinentaleuropäische Rechtstradition ist seit dem 18.&nbsp;Jahrhundert untrennbar mit dieser Schöpfung verbunden, die aber auch in der übrigen Welt deutliche Spuren hinterlassen hat. Die ursprünglichen Ziele der Kodifikation mussten im 20.&nbsp;Jahrhundert korrigiert werden, doch wird sie auch im 21.&nbsp;Jahrhundert ein bewährtes Werkzeug der Rechtstechnik bleiben.


==Literatur==
==Literatur==
''Franz Wieacker'', Aufstieg, Blüte und Krisis der Kodifikationsidee, in: Festschrift für Gustav Boehmer, 1954, 34&nbsp;ff.; ''Helmut Coing'', An Intellectual History of European Codification in the Eighteenth and Nineteenth Centuries, in: Samuel S. Stoljar, (Hg.), Problems of Codification, 1977, 16&nbsp;ff.; ''Karsten Schmidt'', Die Zukunft der Kodifikationsidee: Rechtsprechung, Wissenschaft und Gesetzgebung vor den Gesetzeswerken des geltenden Rechts, 1985; ''Hein Kötz'', Taking Civil Codes Less Seriously, Modern&nbsp;Law Review 50 (1987) 1&nbsp;ff.; ''Shael Herman'','' ''Schicksal und Zukunft der Kodifikationsidee in Amerika, in: Reinhard Zimmermann (Hg.), Amerikanische Rechtskultur und europäisches Privatrecht, 1995, 45&nbsp;ff.;'' Reinhard Zimmermann'', Codification: History and Present Significance of an Idea, European Review of Private Law 3 (1995) 95&nbsp;ff.;'' Bruno Oppetit'', Essai sur la codification, 1998;'' Natalino Irti'', L’eta della decodificazione, 4.&nbsp;Aufl. 1999; ''Pio Caroni'', Gesetz und Gesetzbuch: Beiträge zu einer Kodifikationsgeschichte, 2003; ''Johannes H.A.Lokin'', ''Willem&nbsp;J. Zwalve'', Hoofdstukken uit de Europese Codificatiegeschiedenis, 3.&nbsp;Aufl. 2006.'' ''
''Paola Balzarini'','' Giuseppe Carcano'','' Guido Mucciarelli'' (Hg.), I Gruppi di Società, Atti del Convegno internazionale di studi, Venezia, 16-17-18 novembre 1995, Bd.&nbsp;I, 1996; ''Ernst-Joachim Mestmäcker'','' Peter Behrens'' (Hg.), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991; ''Forum Europaeum Konzernrecht'', Konzernrecht für Europa, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 1998, 672&nbsp;ff.; ''Josè Engrácia Antunes'','' ''Os Grupos de Sociedades, 2.&nbsp;Aufl. 2002; ''Klaus J. Hopt'','' Christa Jessel-Holst'','' Katharina Pistor'' (Hg.), Unternehmensgruppen in mittel- und osteuropäischen Ländern, 2003; ''José Miguel Embid Irujo'','' ''Introducciòn al Derecho de los Grupos de Sociedades, 2003; ''Hans-Georg Koppensteiner'','' Marko Brus'','' Susanne Kalss'','' Friedrich Rüffler'','' Fabio Padovini'','' Ulrich Torggler'','' Eveline Artmann'' (Hg.), GmbH-Konzernrecht: Stand und Entwicklung im österreichischen, italienischen und slowenischen Recht, 2003; ''High Level Group of Company Law Experts'', A Modern Regulatory Framework for Company Law in Europe, Report for the Commission, 4th November 2002 (Report&nbsp;II), in: Guido Ferrarini, Klaus J. Hopt, (Hg.), Reforming Company and Takeover Law in Europe, 2004, Annex&nbsp;3, 925&nbsp;ff.; ''Stefan Grundmann'','' ''European Company Law, 2007, §&nbsp;31, 623&nbsp;ff.;'' Klaus J. Hopt'', Konzernrecht: Die europäische Perspektive, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 171 (2007) 199&nbsp;ff.


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Version vom 28. September 2021, 18:01 Uhr

von Brigitte Haar

1. Gegenstand und Zweck

Das Konzernrecht regelt die schutz- und organisationsrechtlichen sowie hier insbesondere die gesellschaftsrechtlichen Aspekte aller Formen von Unternehmensverbindungen. Als Teildisziplin des Gesellschaftsrechts berührt es eine große Bandbreite wirtschaftsrelevanter Rechtsgebiete, wie z.B. das Steuerrecht, das bilanz- und abschlussprüfungsbezogene Konzernrecht, das Kartellrecht und das Übernahmerecht sowie das Insolvenzrecht der Kapitalgesellschaften. Sein Regelungsgegenstand sind Unternehmensverbindungen, die sich in der Regel aus mehreren selbständigen Gliedern als Tochtergesellschaften zusammensetzen und unter der einheitlichen Leitung eines herrschenden Unternehmens zusammengefasst werden. Als Kriterium für eine Unternehmensverbindung werden insbesondere für den typischen Fall des Unterordnungskonzerns der Kontrollbegriff oder der beherrschende Einfluss eines Unternehmens in Bezug auf ein anderes abhängiges Unternehmen herangezogen. Betriebswirtschaftlich liegen der Konzernorganisation meist das Bemühen um erhöhte organisatorische Flexibilität, Rationalisierung, Synergieeffekte und steuerliche Vorteile zugrunde. Sobald ein Unternehmen der einheitlichen Leitung eines anderen Unternehmens unterstellt wird, wird auch die Zweckverfolgung dieses abhängigen Unternehmens dem herrschenden Unternehmen anheimgestellt. Den hieraus folgenden Gefahren für die Minderheitsgesellschafter und die Gläubiger der abhängigen Gesellschaft soll mit Hilfe des Konzernrechts Rechnung getragen werden.

Ungeachtet dieser Regelungserfordernisse nimmt sich der historische Hintergrund dieses Rechtsgebiets eher mager aus. Da in Deutschland die Konzentration durch die grundsätzlich erlaubte Kartellierung gefördert wurde, herrschte zwar schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg die Meinung vor, dass eine diesbezügliche Reform und Regelung nötig sei. Gleichwohl sieht erst das Aktiengesetz von 1965 konzernspezifische, allerdings nur fragmentarische Regeln vor, nachdem das Aktiengesetz von 1937 sich auf Vorschriften zu Unternehmensverträgen beschränkt hatte. Ungeachtet bemerkenswerter Fortentwicklungen in der deutschen Rechtsprechung und Lehre im Laufe der Jahrzehnte fehlt im übrigen europäischen Ausland und auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene ein kodifiziertes oder gar harmonisiertes Konzernrecht. Eine Ausnahme bilden lediglich Portugal, das sich 1986 zu einer gesetzlichen Regelung entschloss, sowie Teilkodifikationen in Slowenien, Tschechien und Ungarn. Auf europäischer Ebene zielte man zunächst ohne Erfolg auf eine Vollharmonisierung ab. So sah das ursprüngliche Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft gläubiger- und minderheitenschützende Vorschriften vor. Darüber hinaus schlug die Europäische Kommission in zwei Entwürfen von Richtlinienvorschlägen (Richtlinie), dem Vorentwurf einer Konzernrechts-RL I. Teil von 1974, II. Teil von 1975 und dem Vorentwurf der Neunten Richtlinie von 1984 (Konzernrechts-RL), jeweils eine Normierung des Konzernrechts vor.

2. Rechtsentwicklung

Auch ohne ein kodifiziertes Konzernrecht bedürfen die im Rahmen einer Konzernierung auftretenden Interessenkonflikte einer rechtlichen Regelung. Insbesondere in Großbritannien werden Konzernkonflikte durchgängig mit den herkömmlichen Instrumenten des Zivil- und Gesellschaftsrechts bewältigt. Auch in den übrigen Mitgliedstaaten ist das Konzernrecht auf eingrenzbare gesellschaftsrechtliche Sachverhalte beschränkt. Betroffen sind insbesondere die Konzernbildung, die übernahmerechtlich geregelt und auf diese Weise dem erforderlichen Minderheitenschutz zugeführt wird, und die generelle Konzernproblematik ganz überwiegend unter Rückgriff auf das allgemeine Instrumentarium des Zivil- und Gesellschaftsrechts gewährleistet werden soll. Erst in jüngerer Zeit wurden im Zuge der Reform des Gesellschaftsrechts in Italien 2003 in Art. 2497–2497-sexies Codice civile konzernspezifische Regeln eingeführt, die neben erhöhter Transparenz Barabfindungsrechte der ausscheidenden Minderheitsgesellschafter (Art. 2497-quater Codice civile) sowie eine Haftung der Konzernobergesellschaft für die Verletzung der Grundsätze richtiger gesellschaftsrechtlicher und unternehmerischer Leitung (Art. 2497 Codice civile) vorsehen.

Auf gesamteuropäischer Ebene blieb der Versuch, auf der Grundlage einer gleich zweifachen Harmonisierung ein europäisches Konzernrecht zu verwirklichen, erfolglos. So haben die konzernrechtlichen Regeln für die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea) nicht ihren Weg in den Verordnungsvorschlag von 1989 gefunden. Auch die breiter auf das gesamte Recht der verbundenen Unternehmen ausgerichtete, bereits oben erwähnte Neunte Richtlinie von 1984/‌85 (Konzernrechts-RL) blieb auf der Strecke. Stattdessen widmete sich die Diskussion im Forum Europaeum Konzernrecht, einer europäisch zusammengesetzten privaten Forschergruppe, in der Folge in ihren Überlegungen der Regelung einzelner konzernspezifischer Interessenkonflikte, ohne dass sich hier das deutsche Modell als maßgeblich erwies. Dies zeigt sich an der kapitalmarktrechtlichen Prägung einzelner vorgeschlagener Regelungselemente wie insbesondere der des Pflichtangebots und der Austrittsrechte (appraisal rights), die ihren Ursprung im britischen, stärker am Kapitalmarkt ausgerichteten Recht haben. Diese Gedanken haben zum Teil im Anschluss an Überlegungen der High Level Group of Company Law Experts Eingang in den Aktionsplan von 2003 gefunden und sind europäisches Recht geworden. Ungeachtet dieser Entwicklung zeichnet sich ein Bedeutungsrückgang einer gesamteuropäischen Konzernrechtsharmonisierung ab, was sich mit dem zunehmenden Wettbewerb der Rechtsordnungen in Anbetracht der EuGH-Rechtsprechung (EuGH Rs. C-212/‌97 – Centros, Slg. 1999, I-1459; EuGH Rs. C-208/‌00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919; EuGH Rs. C-167/‌01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10155), mit Systemunterschieden oder Konvergenzen des Gesellschaftsrechts begründen lässt. An die Stelle einer Harmonisierung ist in Ansätzen die Herausbildung eines Konzernrechts in der Rechtsprechung des EuGH getreten. Letzterer hat in seinen Judikaten zur grenzüberschreitenden Umwandlung (EuGH Rs. C-411/‌03 – SEVIC, Slg. 2005, I-10805), zu den Goldenen Aktien in Bezug auf Konzerne mit staatlicher Beteiligung oder solchen unter besonderem staatlichen Einfluss (in Bezug auf Deutschland EuGH Rs. C-112/‌05 – Volkswagen-Gesetz, Slg. 2007, I-8995) sowie denjenigen zur Konzernbesteuerung (erste Leitentscheidung in EuGH Rs. C-446/‌03 – Marks & Spencer, Slg. 2005, I-10837) auf der Grundlage der Grundfreiheiten wichtige Voraussetzungen für ein level playing field im europäischen Binnenmarkt präzisiert. Wie in der neueren Cartesio-Entscheidung des EuGH (16.12.2008, Rs. 210/‌06, NJW 2009, 569) deutlich geworden ist, fehlt es jedoch noch an einer für die Unternehmensumstrukturierung und ‑mobilität wichtigen Regelung der Sitzverlegung. Für die Verwirklichung des Plans der Kommission, die Freiheit der Sitzverlegung als Baustein eines europäischen Konzernrechts herzustellen, müssten die bisher nur als Vorentwurf vorliegenden Arbeiten für eine Vierzehnte Richtlinie über die Sitzverlegung vom 20.4.1997 weiterverfolgt werden. Dessen ungeachtet hat der EuGH mit den genannten Leitentscheidungen maßgebliche Eckdaten für ein europäisches Konzernrecht vorgegeben, das durch eine Kernbereichsharmonisierung und im Übrigen durch einen Wettbewerb zwischen den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern gekennzeichnet ist. Insbesondere der Letztgenannte wird in seiner Bedeutung eher zunehmen, wenn im europäischen Gesellschaftsrecht die Bemühungen der Europäischen Kommission um Subsidiarität und Deregulierung als Leitprinzipien des europäischen Gesellschaftsrechts weiterhin Geltung beanspruchen.

3. Regelungsstrukturen

a) Konzernkonflikte

Mit der zuletzt genannten Entwicklungslinie scheint zugleich der wichtigste Ausgangspunkt für die Regelungsstrukturen im europäischen Konzernrecht auf, das entscheidend durch eine weitgehende Heranziehung der mitgliedstaatlichen Vorschriften gekennzeichnet ist. Auch ohne Konzernrecht werden in allen Mitgliedstaaten spezifische Konzernkonflikte mit Hilfe gesellschafts- und kapitalrechtlicher Normen gelöst. Deutlich wird dies bereits bei der Konzernbildung, bei der es in allen Mitgliedstaaten außer in Deutschland entscheidend auf die Ausübung von Kontrolle ankommt und damit ein unmittelbarer Bezug zur Stimmenmehrheit hergestellt wird. Die Regelungsalternative in Deutschland hingegen erklärt den beherrschenden Einfluss für maßgeblich, der gesellschaftsrechtlich vermittelt sein muss, aber sich möglicherweise erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände wie einer regelmäßig niedrigen Hauptversammlungspräsenz zu einem herrschenden Einfluss verdichtet. Dieser Unterschied setzt sich hinsichtlich des Konzernbildungsprozesses fort, für den das deutsche Aktienkonzernrecht in § 291 AktG den in den meisten übrigen Mitgliedstaaten unbekannten organisationsrechtlichen Beherrschungsvertrag zusätzlich zum bloßen Mehrheitserwerb als Handlungsform und Bestimmungsfaktor der Konzernverfassung im deutschen Recht vorsieht. Der Beherrschungsvertrag rechtfertigt die Nachteilszufügung durch die herrschende Gesellschaft.

Mangels Beherrschungsvertrags wird es der Obergesellschaft in den übrigen Mitgliedstaaten, wie auch im deutschen Recht des faktischen Konzerns, untersagt, eine Verletzung der Interessen der abhängigen Gesellschaft anzuregen oder gar hierzu anzuweisen. Ungeachtet dieser Verpflichtung der Geschäftsleitung der abhängigen Gesellschaft zur Wahrung der Interessen ihrer Gesellschaft lässt sich die Erforderlichkeit einer Ausrichtung an den Konzerninteressen im Rahmen der Geschäftsführung nicht gänzlich von der Hand weisen. Trotz einer langwährenden Ablehnung des möglichen Vorrangs des Konzerninteresses im deutschen Konzernrecht hat mittlerweile auch in der europäischen Diskussion im Hinblick auf die zweite Stufe des Aktionsplans der Europäischen Kommission vom 21.5.2003 eine Führung und Überwachung der Tochtergesellschaft im Konzerninteresse an Bedeutung gewonnen. Dies stützt sich auf Vorschläge des Forum Europaeum für eine Berücksichtigung von Konzerninteressen, die sich an die Rozenblum-Doktrin des französischen Rechts nach einer gleichnamigen Entscheidung der französischen Cour de Cassation (Cass. crim. 4.2.1985, Revue Sociale 1985, 648) anlehnen. Voraussetzung hiernach ist für einen Vorrang des Konzerninteresses die Verfestigung der Unternehmensgruppe, die Verfolgung einer kohärenten Unternehmenspolitik sowie die Ausgewogenheit von Vor- und Nachteilen innerhalb der Unternehmensgruppe.

b) Konzernhaftung

Unmittelbar im Zusammenhang mit dem Nachteilsausgleich für eine Unternehmensleitung im Konzerninteresse zu Lasten der Tochtergesellschaft stellt sich auch die Frage nach der Konzernhaftung. Zu unterscheiden sind hierbei Modelle einer strikten Strukturhaftung, bei der die bloße Gesellschafterstruktur die Haftung auslöst, und Modelle einer Verhaltenshaftung, die für eine Haftung am Verhalten der Muttergesellschaft anknüpfen. Eine allgemeine Strukturhaftung, die letztlich einer organischen Konzernverfassung nahe steht, hat sich auf gesamteuropäischer Ebene nicht durchsetzen können. Stattdessen zeichnet sich das Konzernhaftungsrecht sowohl auf mitgliedstaatlicher als auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene durch Verhaltenselemente aus. Hier stellt sich die Haftung der Obergesellschaft als Korrelat der Verletzung insbesondere von Verhaltenspflichten der Geschäftsführung dar. Niederschlag gefunden hat der Verhaltensansatz bereits in Art. 9 und 10 des Vorentwurfs einer Neunten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie von 1984 (Konzernrechts-RL). Besonders offensichtlich ist dieser Ansatz bei den Vorschlägen des Forum Europaeum, der High Level Group sowie des Aktionsplans zu Geschäftsleiterpflichten in der Krise. Auch in diesem Punkt neigt die Diskussion nicht zu einem strukturorientierten allgemeinen Konzerndurchgriff, sondern befürwortet seit dem Forum Europaeum eine Anlehnung an die englischen Regeln des wrongful trading bzw. die französische und belgische action en comblement du passif, die jeweils Merkmale einer Insolvenzverschleppungshaftung aufweisen. Für die Insolvenz wird dann die Frage der internationalen Zuständigkeit von besonderer Bedeutung, da sie das auf die grenzüberschreitende Insolvenz anwendbare Recht präjudiziert (lex fori concursus nach Art. 4 EuInsVO, VO 1346/‌2000).

Die weiteren Instrumente zum Schutz der außenstehenden Gesellschafter im Rahmen des Konzernierungsprozesses wie Auskaufsrechte der Konzernmutter (squeeze-out) sowie Austritts- (sell-out) und Abfindungsrechte der Minderheitsgesellschafter (appraisal rights) bei Konzerneingang und ‑ausgang haben mittlerweile in den Mitgliedstaaten aufgrund der Übernahme-RL (RL 2004/‌25, Übernahmerecht) allgemeine Geltung.

4. Vereinheitlichungsprojekte

a) Misserfolg einer Vollharmonisierung

Die Entwicklung eines europäischen Konzernrechts ist eng an die Entwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts gekoppelt. Hierbei hat die Europäische Kommission zunächst bis Mitte der achtziger Jahre mehrere Versuche unternommen, das Konzernrecht zu harmonisieren. Den Anfang bildete der Verordnungsvorschlag für die Societas Europaea mit einer an eine organische Ordnung angelehnte Konzernverfassung von 1970, der ebenso wie der Verordnungsvorschlag für die SE ohne konzernrechtliche Regeln von 1989 scheiterte. Bereits der ebenfalls letztlich gescheiterte zweite Vorentwurf einer Neunten Richtlinie von 1984 (Konzernrechts-RL) hatte anstelle des Modells einer organischen Konzernverfassung die Unterscheidung zwischen Vertragskonzern, Eingliederung und vertragsloser Abhängigkeit bzw. Konzernverhältnis übernommen. In Anbetracht des Misserfolgs einer Vollharmonisierung sind die weiteren Regelungen durch ihren lediglich fragmentarischen, bereichs- und branchenspezifischen Charakter gekennzeichnet. Bruchstückhaft ist das Recht der SE in konzernrechtlicher Hinsicht deshalb geblieben, weil die Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft vom 8.10.2001 (SE-VO, VO 2157/‌2001) keine wie noch die Verordnungsvorschläge von 1970 und 1975 rechtsformgebundenen Konzernrechtsregeln enthielt. Gleichwohl ist der SE ein konzernrechtsgestaltender Gehalt notwendigerweise immanent. Dies ergibt sich aus der Funktion dieser Gesellschaftsform, für europaweit agierende Unternehmen eine Rechtsform bereit zu halten. In diesem Zusammenhang erweisen sich vor allem die Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Verschmelzung (Umwandlung/‌Spaltung/‌‌Verschmelzung) und Sitzverlegung (Gesellschaftsrecht, internationales) sowie zur Errichtung einer internationalen Holding als bedeutsam für die konzernrechtliche Unternehmenspraxis (Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)).

b) Konzern- und branchenspezifische Regeln

Neben den rechtsformgebundenen Regeln ist darüber hinaus auf den Bereich des Konzernbilanz- und ‑prüfungsrechts hinzuweisen, in dem durch mehrere Richtlinien eine Harmonisierung verwirklicht worden ist. Für den konsolidierten Konzernabschluss ist hier die Siebente RL 83/‌349 einschlägig. Wesentliche weitere Vorgaben zusätzlich zur Konzernbilanz-RL (RL 83/‌349) enthält die IAS-VO (VO 1606/‌2002), die allen börsennotierten Konzernen für den Konzernabschluss die International Accounting Standards vorschreibt.

Schließlich ist als dritter wichtiger Bereich einer europäischen Konzernrechtsvereinheitlichung das branchenspezifische Konzernrecht zu nennen, das besondere Regelungen für Banken, Versicherungen und Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu Zwecken einer konsolidierten europäischen Aufsicht über Finanzdienstleistungsunternehmen im europäischen Bankenmarkt und im Versicherungsbinnenmarkt trifft. Hierfür ist im Bankenbereich die Bankenrechts-RL (RL 2000/‌12) vom 20.3.2000 und für den Versicherungssektor die Richtlinie der einer Versicherungsgruppe angehörenden Versicherungsunternehmen (RL 98/‌78, auch Solvency II) einschlägig. Ein übergreifendes europäisches Allfinanzkonzernrecht enthalten schließlich die Regeln zur Beaufsichtigung bei Finanzkonglomeraten in der Finanzkonglomerate-RL von 2002 (RL 2002/‌87).

Literatur

Paola Balzarini, Giuseppe Carcano, Guido Mucciarelli (Hg.), I Gruppi di Società, Atti del Convegno internazionale di studi, Venezia, 16-17-18 novembre 1995, Bd. I, 1996; Ernst-Joachim Mestmäcker, Peter Behrens (Hg.), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991; Forum Europaeum Konzernrecht, Konzernrecht für Europa, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 1998, 672 ff.; Josè Engrácia Antunes, Os Grupos de Sociedades, 2. Aufl. 2002; Klaus J. Hopt, Christa Jessel-Holst, Katharina Pistor (Hg.), Unternehmensgruppen in mittel- und osteuropäischen Ländern, 2003; José Miguel Embid Irujo, Introducciòn al Derecho de los Grupos de Sociedades, 2003; Hans-Georg Koppensteiner, Marko Brus, Susanne Kalss, Friedrich Rüffler, Fabio Padovini, Ulrich Torggler, Eveline Artmann (Hg.), GmbH-Konzernrecht: Stand und Entwicklung im österreichischen, italienischen und slowenischen Recht, 2003; High Level Group of Company Law Experts, A Modern Regulatory Framework for Company Law in Europe, Report for the Commission, 4th November 2002 (Report II), in: Guido Ferrarini, Klaus J. Hopt, (Hg.), Reforming Company and Takeover Law in Europe, 2004, Annex 3, 925 ff.; Stefan Grundmann, European Company Law, 2007, § 31, 623 ff.; Klaus J. Hopt, Konzernrecht: Die europäische Perspektive, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 171 (2007) 199 ff.