Erlass einer Forderung und Ermittlung ausländischen Rechts: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Jens Kleinschmidt]]''
von ''[[Clemens Trautmann]]''
== 1. Gegenstand und Zweck; Terminologie ==
== 1. Gegenstand, Terminologie und Bedeutung ==
Der Erlass bringt eine Forderung ganz oder teilweise zum Erlöschen. Er ist damit ein Unterfall des Verzichts, verstanden als willentliches (rechtsgeschäftliches) Aufgeben eines Rechts. Dass der Rechtsverlust auf dem Willen des Gläubigers beruht, unterscheidet ihn von der [[Verwirkung]] infolge eines bloßen Verhaltens des Gläubigers und von der [[Verjährung]] infolge bloßer Nichtausübung der Forderung. Gegenüber Verwirkung oder Nichtausübung hat der Erlass den Vorteil, dass beide Seiten davon profitieren, wenn sich der Schuldner auf den Eintritt des Rechtsverlusts verlassen kann. Zu trennen ist der Erlass ferner vom ''pactum de non petendo'', das die Forderung nicht untergehen lässt, sondern nur ihre Durchsetzbarkeit mit einer Einrede hindert.
Sofern in einem Zivilverfahren das [[internationales Privatrecht|internationale Privatrecht]] (IPR) die [[Anwendung ausländischen Rechts]] verlangt, bestimmt das jeweilige nationale Verfahrensrecht, wie der Inhalt des ausländischen Rechts zu ermitteln ist. Von einem inländischen Gericht kann die Kenntnis ausländischer Rechtsnormen nicht erwartet werden. Die zivilprozessualen Grundsätze, dass das Gericht das anzuwendende Recht kennt (''iura novit curia'') und den Parteien lediglich der Tatsachenvortrag obliegt (''da mihi facta'','' dabo tibi ius'') gelten im Hinblick auf ausländisches Recht allenfalls eingeschränkt. Die Ermittlung ausländischen Rechts stellt sich damit im Wesentlichen als praktische Herausforderung dar, dem erkennenden Gericht am zuverlässigsten, effizientesten und raschesten diejenigen Informationen zu verschaffen, welche eine Anwendung ausländischen Rechts aus dem Zusammenhang und Geist der fremden Rechtsordnung ermöglichen. Dabei gehen die europäischen Rechtsordnungen teils recht unterschiedliche Wege.


Der Forderungsverzicht trägt seinen Zweck nicht in sich; für sich genommen hat er einen neutralen Charakter. Er bedarf vielmehr einer erläuternden Zwecksetzung, von der der eigentliche Verzicht als Verfügung zu trennen ist. Wenn also von einem „entgeltlichen“ oder einem „unentgeltlichen“ Forderungsverzicht die Rede ist, so kann damit nicht der Verzicht als solcher, sondern nur das zugrundeliegende Geschäft gemeint sein. Ob der Forderungsverzicht wie in Deutschland und etwa auch in Spanien grundsätzlich abstrakt oder wie in der Schweiz mit dem ihm zugrunde liegenden Geschäft kausal verknüpft ist, ist dagegen nachrangig. Auch Rechtsordnungen, die hier grundsätzlich dem Abstraktionsprinzip folgen, halten im Einzelfall (etwa beim Erlass als Bestandteil eines Vergleichs) einen kausalen Erlass für möglich. Typisch ist der (entgeltliche) Forderungsverzicht im Rahmen eines (Sanierungs‑)Vergleichs oder einer Abrede, gegen Zahlung eines Teilbetrags auf den Rest zu verzichten (ähnliche Wirkungen hat die Reorganisation im Insolvenzverfahren, siehe dazu § 11 der Grundsätze des Europäischen Insolvenzrechts). Der Forderungsverzicht ist damit auch Mittel zur Anpassung eines Rechtsgeschäfts an veränderte Umstände. Der [[Erfüllung und ihre Surrogate|Erfüllung]] einer Verbindlichkeit dient der Forderungsverzicht beispielsweise als Folge eines Befreiungsvermächtnisses oder als Form des [[Schadensersatz]]es. In Betracht kommt auch ein unentgeltlicher Verzicht aufgrund einer [[Schenkung]]. Historisch wurden deshalb immer wieder Schenkung und Verzicht zu Unrecht vermengt.
Unter das Stichwort der Ermittlung bzw. Feststellung ausländischen Rechts – im englischen Recht als ''proof of foreign law'', im französischen als ''preuve'' bzw. ''recherche de contenu de la loi étrangère'' geläufig – fallen im Einzelnen die Fragen, welche Rolle jeweils den Parteien und dem Gericht im Rahmen der Ermittlung zukommt (2.), welche Ermittlungsmethoden ver-fügbar und zulässig sind (3.) und wie bei Nichtfeststellbarkeit des Inhalts des fremden Rechts zu verfahren ist (4.).


Der Zusammenhang zwischen Erlass und Verzicht wird deutlich in dem Begriff „Forderungsverzicht“. Ältere Bezeichnungen für den Erlass sind „Nachlass“ und „Entsagung“ (so heute noch das [[Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch|ABGB]]). Terminologisch unterscheiden viele Rechtsordnungen zwischen „Verzicht“ auf der einen und „Erlass“ auf der anderen Seite (''renonciation''/''remise de dette''<nowiki>; </nowiki>''renuncia''/ ''condonación de la deuda''<nowiki>; </nowiki>''rinuncia''/''remissione del debito''<nowiki>; </nowiki>''afstand van recht/kwijtschelding''). Bisweilen werden mit dieser terminologischen Differenzierung auch Unterschiede in der Sache verknüpft: Der Erlass sei gerade kein Unterfall des Verzichts, da er anderen Voraussetzungen unterliege. Insbesondere ist in mehreren Rechtsordnungen zu lesen, der Erlass könne nicht Verzicht sein, da ein Verzicht auf andere Rechte als Forderungen einseitig erfolge, beim Erlass aber die Mitwirkung des Schuldners gebraucht werde (dazu sogleich). Diese begriffliche Trennung überzeugt nicht, da sie die Begriffe ohne zwingenden Grund mit Inhalten auflädt: Mit dem Erlass verzichtet der Gläubiger auf eine Forderung; auf welche Weise dies zu geschehen hat, sollte nicht die Terminologie vorgeben. Auf Englisch setzt sich die Bezeichnung „release“ durch (Art.&nbsp;5.1.9 UNIDROIT PICC), das ebenfalls gebräuchliche „waiver“ ist als Begriff zu schillernd und lässt an nicht-rechtsgeschäftliche Konzepte wie die Verwirkung denken, „discharge“ klingt zu allgemein, „renunciation“ deckt aus Sicht des ''[[common law]]'' gerade nicht den Forderungsverzicht ab. „Relinquishment“ wäre treffend, ist als juristischer Terminus jedoch nicht verbreitet.
Die Bedeutung dieser vermeintlich technischen Fragen für die Verwirklichung des IPR wie auch die Sachentscheidung ist nicht zu unterschätzen. Der kollisionsrechtliche Rechtsanwendungsbefehl wird entwertet, wenn das Verfahrensrecht dem Gericht keine adäquaten Mittel zur Ermittlung des anwendbaren ausländischen Rechts an die Hand gibt. In der Praxis hängt der Ausgang eines Verfahrens, in dem ausländisches Recht anwendbar ist, nicht selten von der gewählten Ermittlungsmethode oder der richterlichen Würdigung beigebrachter Nachweise ab. Daher sind Einzelfragen der Ermittlung ausländischen Rechts häufig Gegenstand ober- und höchstrichterlicher Überprüfung.


== 2. Tendenzen der Rechts&shy;entwicklung ==
== 2. Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien ==
Dass der Gläubiger auf eine Forderung verzichten kann, besagt noch nichts über die Voraussetzungen eines wirksamen Forderungsverzichts. Reicht die Erklärung des Gläubigers, verzichten zu wollen, aus, um ihn an den Verzicht zu binden? Oder muss der Schuldner auf irgendeine Art und Weise mitwirken, um sicher zu sein, dass sein Gläubiger nicht nach einem Sinneswandel doch noch die Leistung verlangt? Mit anderen Worten: Ist der Forderungsverzicht eine einseitige Erklärung, oder gilt für ihn das Vertragsprinzip ([[Vertrag]]; [[Versprechen]])? Praktisch wird die Frage nur dort, wo der Begünstigte nicht ohnehin mitwirken muss, etwa weil der Verzicht in einen Vergleich eingebettet ist oder er sich zu einer Gegenleistung dafür verpflichtet. Wo sich die Frage stellt, würde der Rechtsverkehr davon ausgehen, dass der Begünstigte mit dem Vorteil einverstanden sein wird und deshalb nicht zustimmen muss. Tatsächlich aber wird dem Forderungsverzicht rechtsvergleichend „eine nicht ganz eindeutige Natur zwischen Vertrag und einseitiger Erklärung“ (''Rodolfo Sacco'') bescheinigt.
Die Rollen- und Lastenverteilung zwischen Gericht und Parteien bei der Ermittlung ausländischen Rechts ergibt sich – mit gewissen Modifikationen – aus dessen verfahrensrechtlichem Status als Tatsachen- oder Rechtsfrage ([[Anwendung ausländischen Rechts]]).


Im römischen Recht war der Forderungsverzicht ein zweiseitiger Akt. Zwei Modelle standen zur Verfügung: Das formlose ''pactum de non petendo'' gab wie auch heute nur eine Einrede, ließ die Forderung aber bestehen. Zum Erlöschen der Forderung führte die ''acceptilatio''. Von ''Gaius'' als „imaginaria solutio“ gekennzeichnet, hatte sich die ''acceptilatio'' aus der Erfüllung einer Stipulationsschuld entwickelt: Wie die Entstehung dieser Schulden wurde ursprünglich auch ihre Erfüllung durch ein formalisiertes Wechselspiel aus Frage und Antwort begleitet. Doch bald löste sich die Erfüllung von diesem Formalakt, der ein Eigenleben entwickelte als Möglichkeit für den Gläubiger, den Schuldner ohne Erfüllung zu befreien, mithin auf seine Forderung zu verzichten. Geblieben ist der ''acceptilatio'' ihr Charakter als ''actus contrarius'' zur Forderungsbegründung – ein für die spätere Rechtsentwicklung wichtiger Argumentationstopos. Ob es im nachklassischen Recht daneben auch einen einseitigen Verzicht gab, ist nicht ganz klar, aber unwahrscheinlich.
Soweit fremdes Recht – wie vor allem im ''[[common law]]'' – als Tatsache behandelt wird, folgt die Ermittlung regelmäßig den für Tatsachen geltenden Beweisregeln. Der Nachweis des Inhalts ausländischen Rechts liegt dann allein in Parteihand, allein dessen Anwendung und Auslegung ist Sache des Gerichts. Unbestrittener Parteivortrag oder ein Geständnis zum Inhalt fremden Rechts binden – von einer Evidenzkontrolle abgesehen – das Gericht. Bei streitigem Parteivortrag muss es die Darstellungen der Parteien bzw. der von ihnen gestellten Experten würdigen.


In der Folgezeit gewann – beflügelt durch die Klagbarkeit aller ''pacta'' ([[Vertrag]], [[Vertragsfreiheit]]) – das ''pactum de non petendo'' als formfreier Verzicht gegenüber der schwerfälligen ''acceptilatio'' an Bedeutung und wurde der Ursprung eines formlosen Erlassvertrages. Die Wirkung dieses Erlasses Erlöschen der Forderung oder bloße Einrede – konnten die Parteien festlegen. Doch diskutierten spätestens seit dem [[Naturrecht]] Juristen darüber, ob ein Forderungsverzicht überhaupt einen Vertragsschluss voraussetze. Im Mittelpunkt stand nun die individuelle Freiheit des Rechtssubjekts; unmittelbar mit der Betonung der [[Vertragsfreiheit]] verknüpften die Naturrechtler Überlegungen zur Bindung an das einseitige [[Versprechen]]. Warum soll der Gläubiger, wurde gefragt, gegen seinen Willen an der Forderung festgehalten werden? Einem Gleichlauf von Forderungsentstehung und Forderungsvernichtung wurde keine rechtfertigende Kraft zuerkannt. Der Praxis des Gemeinen Rechts in Deutschland ([[ius commune (Gemeines Recht)|''ius commune'']]) im 18.&nbsp;Jahrhundert soll ebenso wie dem germanischen Recht – der einseitige Verzicht ausgereicht haben.
Die Annahme der Rechtsqualität ausländischen Rechts korrespondiert dagegen häufig mit einer Amtsermittlungspflicht des Gerichts. Davon geht die überwiegende Zahl der europäischen Staaten aus. Teils wird die Pflicht zur amtswegigen Ermittlung fremden Rechts aus der Maxime ''iura novit curia'' abgeleitet, so in Deutschland und den Niederlanden, teils ist sie ausdrücklich gesetzlich bestimmt, etwa in Belgien (Art.&nbsp;15 §&nbsp;1 ''Code de droit international'' ''privé''), Italien (Art.&nbsp;14 Abs.&nbsp;1 ''Legge''&nbsp;218/95), Österreich (§&nbsp;4 Abs.&nbsp;1 IPRG) und Portugal (Art.&nbsp;348 Nr.&nbsp;1 ''Código Civil''). Die Parteien sind dabei wie sich etwa aus dem deutschen §&nbsp;293 S.&nbsp;2 ZPO und italienischen Art.&nbsp;14 Abs.&nbsp;2 ''Legge''&nbsp;218/95 ergibt berechtigt, das Gericht mit Informationen zum Inhalt ausländischen Rechts zu unterstützen. Sie trifft aber keine Prozess- oder gar Beweislast; allenfalls haben sie eine subsidiäre Mitverantwortung, indem sie die Ermittlungsintensität des Gerichts durch kontroversen Vortrag erhöhen oder durch übereinstimmenden Vortrag, Säumnis oder Passivität verringern.  


Die Streitfrage zeigt sich heute in den unterschiedlichen Ansätzen der nationalen Rechtsordnungen; sie wurde und wird europaweit diskutiert. Unmittelbaren Niederschlag fand die Kontroverse in den Beratungen zum [[Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch|ABGB]] in Österreich, wo noch heute umstritten ist, ob – wie die herrschende Ansicht annimmt – die betreffende Vorschrift (§&nbsp;1444) als Anordnung des Vertragsprinzips zu deuten ist. Der ABGB-Gesetzgeber nahm eine Verwandtschaft von Erlass und Schenkung an und fügte zudem einen Verweis auf die Schenkungsvorschriften ein; eine ähnliche Gemengelage hatte zuvor schon das [[Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten|Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten]] enthalten. Ebenfalls dem Vertragsprinzip neigt das französische Recht zu, das allerdings trotz des Streits der Naturrechtler im ''[[Code civil]]'' keine Regelung trifft. Der BGB-Gesetzgeber ([[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]]) sprach sich wohl auch als Reaktion auf das wiederauflebende Interesse am einseitigen Versprechen zum Ende des 19.&nbsp;Jahrhunderts dezidiert für das Vertragsprinzip aus. Entscheidend war für ihn der Charakter des Forderungsverzichts als Konträrakt zur Forderungsbegründung, wobei er offensichtlich die nicht vertraglich begründeten Deliktsforderungen vergaß. Ausdrücklich keinen Ausschlag gab für ihn dagegen das heute in der deutschen Diskussion vorherrschende und auch international (etwa bei den Beratungen der [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT PICC]]) immer wieder anzutreffende Argument, dem Schuldner dürfe der Forderungsverzicht nicht gegen seinen Willen aufgedrängt werden (''beneficia non obtruduntur''). Die BGB-Lösung wird im Schrifttum von vielen Autoren kritisiert, die ''de lege ferenda'' einen Wechsel zum Forderungsverzicht als einseitigem Rechtsgeschäft fordern. Die Anwendung des Vertragsprinzips sei systemwidrig, da sowohl auf Gestaltungsrechte und Einreden als auch im Sachenrecht einseitig verzichtet werden könne und selbst bei Forderungen in bestimmten Fällen ein einseitiger Verzicht möglich sei. Die Gründe des historischen Gesetzgebers seien nicht überzeugend, da ein ''actus contrarius''-Prinzip keine Rechtfertigung in sich trage. Ebenso wenig sei ein Schutz vor aufgedrängten Verzichten erforderlich oder Anliegen des Rechts; Regelungsproblem sei eher die Bindung des Gläubigers an seinen Verzicht. Auch die Schweizer und die niederländische Kodifikation unterstellen den Forderungsverzicht dem Vertragsprinzip (Art.&nbsp;115 OR; Art.&nbsp;6:160 BW). Gleichfalls nur zweiseitig möglich ist der Erlass in England, da die Verzichtserklärung den Gläubiger nur bindet, wenn ihr ein Gegenopfer (''consideration'') des Schuldners gegenübersteht.
Einige Rechtsordnungen sehen gemischte Modelle vor. Sie ermächtigen das Gericht, das ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln, verpflichten es dazu aber nicht; vielmehr kann das Gericht die Ermittlung auf die Parteien überwälzen und ihnen ggf. sogar förmliche Darlegungs- und Beweislasten auferlegen. Diesem flexiblen Ansatz folgen die skandinavischen Staaten und Frankreich, das allerdings bis vor kurzem zumindest bei disponiblen Materien noch eine Parteiermittlung nach Beweisgrundsätzen kannte. In ähnlicher Weise kann in der Schweiz bei vermögensrechtlichen Ansprüchen den Parteien der Nachweis überbunden werden (Art.&nbsp;16 Abs.&nbsp;1 S.&nbsp;3 IPRG). Umgekehrt geht Spanien wegen der Behandlung fremden Rechts als Tatsache vom Grundsatz der Parteiermittlung aus, erlaubt dem Gericht aber auch eine eigene Ermittlungstätigkeit (Art.&nbsp;281 LEC).


Andere Rechtsordnungen (z.B. Schottland, Spanien, nordische Rechte) halten demgegenüber die einseitige Verzichtserklärung des Gläubigers für ausreichend. Doch sind die Unterschiede zwischen beiden Positionen nicht so groß, wie es scheinen mag: Viele Rechtsordnungen, die dem Vertragsprinzip anhängen, fingieren die Annahmeerklärung des Schuldners, wenn dieser auf den für ihn lediglich rechtlich vorteilhaften Forderungsverzicht nicht reagiert (kraft Gesetzes in der Schweiz und in den Niederlanden; aufgrund von Rechtsprechung in Frankreich, Deutschland und Österreich). Schweigen wird so zur Annahmeerklärung; der Schuldner muss nach einem Sinneswandel des Gläubigers keine Nachforderung befürchten, jedoch verbleibt ihm die Möglichkeit, den Verzicht durch Ablehnung zu verhindern. Begründet wird diese Abweichung von den üblichen Regeln der Rechtsgeschäftslehre damit, dass der Forderungsverzicht dem Schuldner nur zum Vorteil gereiche. In Italien ist das Zurückweisungsrecht des Schuldners im ''[[Codice civile]]'' verankert (Art.&nbsp;1236). Im Unterschied zu der Schweizer oder der niederländischen Lösung ist dort aber der einseitige Verzicht und nicht das Vertragsprinzip der Ausgangspunkt; es muss also keine Annahme fingiert werden. Eine unwirksame Annahmeerklärung wäre nach dem italienischen Modell unschädlich.
In einstweiligen Rechtsschutzverfahren wird die Lastenverteilung modifiziert, da die Eilbedürftigkeit aufwendige Ermittlungsschritte ausschließt. Von der Partei, die günstige Schlüsse aus dem anwendbaren fremden Recht herleitet, wird – falls nicht ohnehin der Grundsatz reiner Parteiermittlung gilt – erwartet, dass sie dessen Inhalt darlegt und ggf. glaubhaft macht.


Auf Seiten der Erklärung des Gläubigers werden strenge Maßstäbe angelegt. Der Verzichtswille, heißt es in vielen Rechtsordnungen, müsse unzweideutig feststellbar sein und dürfe nicht vermutet werden (z.B. Deutschland; Österreich; Schweiz; Frankreich; der Satz hat historische Vorläufer). Doch machen manche Rechts-ordnungen Ausnahmen: Die Rückgabe eines Schuldscheins führt zu einer Vermutung des Verzichtswillens (Italien; Frankreich; Spanien; auch diese Regel hat Vorläufer in Rom und im Gemeinen Recht). Der BGB-Gesetzgeber entschied sich freilich bewusst gegen eine derartige Ausnahme und überließ den Gerichten die Auslegung in jedem einzelnen Fall. Die Erklärung des Gläubigers unterliegt grundsätzlich keiner Form. Doch macht sich historisch und etwa in Spanien auch heute noch die fehlende Trennung von Erlass als Vollzugsgeschäft und Schenkung als Grundgeschäft bemerkbar: Der ausdrückliche Forderungsverzicht wird dort der Schenkungsform unterstellt. Die Mehrzahl der europäischen Rechtsordnungen schließt sich dem nicht an; manche wenden aber besondere [[Formerfordernisse]] für den Beweis auf den Forderungsverzicht an (Frankreich; Italien). Auch das ''consideration''-Erfordernis des englischen Rechts lässt sich funktional als Formerfordernis einordnen ([[Seriositätsindizien]]).
Als Vorzug einer Ermittlung nach Beweisgrundsätzen wird angeführt, dass sich durch die Anstrengungen beider Parteien im kontradiktorischen Verfahren die besten Ermittlungsresultate erzielen ließen. Kritiker wenden ein, dass das Bild des Richters von der ausländischen Rechtspraxis durch die interessengeleiteten Aussagen von Parteisachverständigen verzerrt werde. Eine häufig kritisierte Konsequenz der Parteiermittlung ist daneben, dass eine darlegungs- und beweisbelastete Partei, die kein Interesse an der Anwendung des berufenen Rechts hat, die kollisionsrechtliche Verweisung umgehen kann, indem sie den Beweis schlichtweg nicht führt. Für die Situation einer [[Rechtswahl]] lässt sich argumentieren, dass die Ermittlungslasten natürliches Gegenstück der gewährten Parteiautonomie seien, während eine Amtsermittlungspflicht zu unerwünschten externen Effekten führe. Solchen Bedenken versuchen die flexiblen gemischten Modelle zu begegnen. Angeregt wird auch, dass sich der gerichtliche Ermittlungsaufwand in erhöhten Gerichtskosten niederschlagen solle.


Einigkeit besteht hinsichtlich der Wirkung des Forderungsverzichts: Die Forderung erlischt. Schwierige Anschlussfragen stellen sich jedoch, wenn der Gläubiger gegenüber einem von mehreren Schuldnern auf die Forderung verzichtet ([[Gesamtschuld]]) oder für die Schuld eine Kreditsicherheit bestand.
== 3. Ermittlungsmethoden ==
Zu welcher der nach dem Prozessrecht verfügbaren Ermittlungsmethoden das Gericht greift, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Ermessensleitende Faktoren sind unter anderem die Schwierigkeit der Rechtsmaterie, Bedeutung der Angelegenheit, das Parteiverhalten und das Gebot der Prozessökonomie. Nach jüngsten Erhebungen der [[Haager Konferenz für IPR]] ermitteln europäische Gerichte den Inhalt ausländischen Rechts zu ca. jeweils 20&nbsp;% gerichtsintern (wobei Spruchkörper mit besonderer Zuständigkeit für Auslandssachen beinahe ausschließlich so vorgehen) sowie im Wege internationaler Rechtsauskunftsersuchen. Weit überwiegend bedienen sie sich allerdings – in unterschiedlichsten Formen – der Hilfe Sachverständiger.


== 3. Regelungsansätze in den Regelwerken zum Europäischen Privatrecht ==
=== a) Gerichtsinterne Ermittlung ===
Rechtsvergleichend wird damit eine deutliche Tendenz erkennbar: Der Forderungsverzicht beruht auf einer einseitigen Erklärung des Gläubigers (die der Schuldner möglicherweise zurückweisen kann); er ist formfrei; und er wird begleitet von einer (möglicherweise zweiseitigen) erläuternden Zwecksetzung. Dennoch hat sich in den Regelwerken zum Europäischen Privatrecht noch keine gemeinsame Regelungsstruktur herausgebildet.
Soweit eine Amtsermittlung zulässig ist, können die Gerichte sich die Kenntnis ausländischen Rechts durch Rechtsquellen- oder Literaturstudien verschaffen. Nützlich sind dabei Sammlungen von Rechtsgutachten, zweisprachige Ausgaben von Gesetzestexten sowie internationale Datenbanken. Unterstützung bei der Materialbeschaffung bieten in manchen Staaten auch die Justiz- oder Außenministerien. Die Einrichtung spezieller Dezernate für Fälle mit Auslandsbezug, etwa an einigen deutschen Gerichten, fördert wegen der größeren Erfahrung der Richter die gerichtsinterne Ermittlung. Dagegen ist im englischen Recht die Nutzung dokumentarischer Erkenntnisquellen ausgeschlossen, weil für den förmlichen Nachweis die Aussagen eines Sachverständigen maßgeblich sind; eine praktisch kaum relevante Ausnahme enthält der ''Civil Evidence Act 1972'', wonach frühere Entscheidungen englischer Gerichte zu gleichgelagerten ausländischen Rechtsfragen herangezogen werden können.


Am klarsten ist die Regelung in den [[Principles of European Contract Law|PECL]]. Dort wird der Erlass zwar nicht ausdrücklich angesprochen. Jedoch besteht kein Grund, auf den Erlass nicht die allgemeine Vorschrift über einseitige [[Versprechen]] anzuwenden, wonach ein Versprechen, das ohne Annahme rechtlich verbindlich sein soll, verbindlich ist (Art.&nbsp;2:107 PECL).
=== b) Sachverständigenbeweis ===
Die gebräuchlichste Ermittlungsmethode ist die Beiziehung von Sachverständigen, wobei die Verfahrensregelungen und &#8209;praktiken hinsichtlich der prozessualen Rolle, Herkunft und Qualifikation der Experten stark divergieren.  


Stärker dem Gedanken einer Beteiligung des Schuldners verhaftet sind die Vorschriften in den [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT PICC]] und im ''[[Code Européen des Contrats (Avant‑projet)]]''. Dem niederländischen Recht ähnelt Art.&nbsp;5.1.9 UNIDROIT PICC: Grundsätzlich gilt das Vertragsprinzip, um den Schuldner vor einer ungewollten Begünstigung zu schützen; handelt es sich jedoch um einen unentgeltlichen Verzicht, muss der Schuldner die Erklärung unverzüglich zurückweisen, andernfalls wird seine Annahme fingiert. Im Falle des entgeltlichen Verzichts, so der zugrunde liegende Gedanke, muss der Schuldner ohnehin mitwirken, indem er sich zu der Gegenleistung verpflichtet; im Falle des unentgeltlichen Verzichts wird die Schuldnermitwirkung hingegen nicht benötigt. Dieser Grundgedanke vermengt freilich Grundgeschäft und Vollzugsgeschäft, indem er offenbar davon ausgeht, dass beide Geschäfte stets zeitlich zusammenfallen. Ausdrücklich am italienischen Modell orientiert sich Art.&nbsp;131(2) des ''Avant-projet'', der einen einseitigen Forderungsverzicht mit Zurückweisungsrecht des Schuldners zulässt. Der ''Avant-projet'' stellt zudem klar, was überall selbstverständlich ist: Neben dem einseitigen Verzicht ist auch ein vertraglicher Verzicht möglich.
Gerichtlich bestellte Sachverständigengutachten sind in Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden, Österreich, im geringen Umfang auch Italien üblich. Wegen des hohen Gewichts solcher Gutachten orientieren die Gerichte sich dabei überwiegend an den Strengbeweisregeln für Sachverständige und räumen den Parteien insbesondere Fragerechte ein. Die Sachverständigen stammen überwiegend aus dem Inland und sind an spezialisierten Instituten wie dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (Hamburg), dem Schweizer Institut für Rechtsvergleichung (Lausanne), dem Internationaal Juridisch Instituut (Den Haag) oder an Universitäten tätig.  


Die Position des Draft [[Common Frame of Reference|DCFR]] ist nicht eindeutig: Einerseits anerkennt er die bindende Wirkung des als bindend gewollten einseitigen Versprechens (Art.&nbsp;II.-1:103&nbsp;(2)). Anders als in den PECL soll der Begünstigte aber generell ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ihm einen Vorteil gewährt, unverzüglich zurückweisen können (Art.&nbsp;II.-4:303). Andererseits wird die Änderung eines Rechts oder einer Verpflichtung grundsätzlich nur auf vertraglichem Wege zugelassen; eine einseitige Änderung ist nur dort gestattet, wo sich das aus den Bedingungen, die dem Recht oder der Verpflichtung zugrunde liegen, ergibt (Art.&nbsp;III.-1:108&nbsp;f.). Die Anforderungen an die Änderung eines Rechts sind damit höher als die an dessen Begründung. Welcher Standard nun für den Forderungsverzicht gelten soll, lässt sich allein mit dem Text des DCFR nicht entscheiden.
Schriftliche Parteigutachten sind in Frankreich (''certificat de coutume''), Spanien (''certificado de ley'') und Italien (''testimonianza sul diritto straniero'') anerkannte Nachweise, werden allerdings wegen der Nähe der jeweiligen Experten zu den sie beauftragenden Parteien kritisch gewürdigt. Erstellt werden sie meist von konsularischen Behörden oder von ausländischen Rechtsanwälten. Nach englischem Verfahrensrecht kann der Sachverständigenbeweis (''expert evidence'') erst durch Vernehmung der Experten in der mündlichen Verhandlung, ggf. im Kreuzverhör, erbracht werden. Das reformierte englische Zivilprozessrecht stellt allerdings klar, dass die Sachverständigen primär dem Gericht, nicht den Parteien verpflichtet sind (Rule 35.5 CPR), und ermöglicht auch die Beweisführung durch einen einzigen Experten (''single joint expert'', vgl. Rule 36.7 CPR).


== 4. Einheitsrecht ==
=== c) Internationale Rechts&shy;auskunftsverfahren===
Die Möglichkeit, eine Forderung privatautonom zum Erlöschen zu bringen, wird im Gemeinschaftsprivatrecht, sowohl in Rechtsakten als auch in der Rechtsprechung, vorausgesetzt. Der Forderungsverzicht und seine Voraussetzungen erfahren jedoch keine eigenständige Regelung. Allerdings bedenkt das Gemeinschaftsrecht bestimmte Forderungen mit einem Verzichtsverbot, so etwa den Anspruch des Urhebers oder ausübenden Künstlers auf eine angemessene Vergütung für die Vermietung. Nicht hierher gehören die vielen Fälle, in denen Rechte des Verbrauchers ([[Verbraucher und Verbraucherschutz]]) als unverzichtbar ausgestaltet werden, da es in ihnen nicht um den Erlass einer Forderung geht, sondern um die Anordnung des zwingenden Charakters einer Vorschrift. Zu vermerken ist schließlich, dass das Gemeinschaftsrecht einseitigen [[Versprechen]] aufgeschlossen gegenübersteht, so etwa in den Vorschriften über Garantien beim [[Verbrauchsgüterkauf]] oder bei der Qualifikation einer Gewinnzusage.
Unter den internationalen Rechtsauskunftsverfahren beruht das bedeutendste auf dem von den meisten Mitgliedern des [[Europarat (Privatrechtsvereinheitlichung)|Europarats]] ratifizierten Londoner Europäischen Rechtsauskunftsübereinkommen von 1968, dessen praktischer Wert allerdings uneinheitlich beurteilt wird. Das Übereinkommen gestattet dem erkennenden Gericht abstrakte Rechtsfragen, die zusammen mit einer Kurzdarstellung des zugrunde liegenden Sachverhalts über staatliche Verbindungsstellen – häufig die Justizministerien – an die bearbeitende ausländische Behörde oder rechtskundige Person übermittelt werden (Art. 2-6). Die Antworten bestehen aus einschlägigen Gesetzestexten und Entscheidungen, ggf. versehen mit Erläuterungen (Art.&nbsp;7). Die durchschnittliche Erledigungsdauer beträgt etwa zwei Monate. Der Umstand, dass sowohl das Ersuchen wie auch die Antwort in der Sprache des ersuchten Staates abzufassen sind (Art. 14), macht für das erkennende Gericht Übersetzungen erforderlich. Neben diesem Instrument existieren eine Reihe ähnlich ausgestalteter bilateraler Rechtsauskunftsübereinkommen.
 
Gemeinschaftsintern können Rechtsauskünfte auch über das [[Europäisches Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen|Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen]], eingerichtet durch Entscheidung 2001/470 des Rates vom 28.5.2001 und zuletzt angepasst durch Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.6.2009, erlangt werden. Bei Kontaktstellen in jedem Mitgliedstaat können Justizbehörden, Verbindungsrichter sowie auch anerkannte Anwalts- und Notarverbände gemäß Artt.&nbsp;3(2)(b), 5(2)(c) nicht-bindende Informationen zum Recht eines anderen Mitgliedstaats anfordern, und zwar insbesondere dann, wenn dieses Recht durch eine Gemeinschaftskollisionsnorm für anwendbar erklärt wird. Auf diese Weise versucht der europäische Gesetzgeber, den Rechtsakten zum Gmeinschaftskollisionsrecht zumindest für Binnenmarktsachverhalte ein effizientes Rechtsauskunftsinstrument zur Seite zu stellen. Ob die Reform des Europäischen Justiziellen Netzes allerdings die Akzeptanz dieser Ermittlungsmethode in der Praxis erhöhen kann (schon nach früherer Rechtslage waren Rechtsauskünfte möglich), bleibt abzuwarten.
 
Für manche Spezialmaterien hat sich auch eine unmittelbare Kommunikation zwischen Richtern verschiedener Staaten etabliert, so etwa ein internationales Netzwerk der Verbindungsrichter unter dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler [[Kindschaftsrecht, internationales|Kindesentführungen]]. Eine weitere Besonderheit ist der 1859 ''British Law Ascertainment Act'', wonach Fragen zum Recht eines ''Commonwealth''-Staates dessen oberstem Gerichtshof von einem englischen Gericht vorgelegt werden können.
 
== 4. Nichtfeststellbarkeit und Ersatzrecht ==
Der Maßstab für die Beantwortung der Frage, wann der Inhalt ausländischen Rechts als hinreichend festgestellt gilt, variiert zwischen den europäischen Staaten – häufig auch innerhalb deren Rechtsprechung – erheblich. Teilweise soll bereits der einschlägige Gesetzestext genügen, während andere Gerichte detaillierte Informationen zur ausländischen Rechtspraxis fordern. Soweit wiederum Beweisregeln maßgeblich sind, gilt der subjektive Maßstab der Überzeugung des Gerichts. In der Praxis nehmen Gerichte gelegentlich vorschnell an, das ausländische Recht sei nicht feststellbar, zumal die Abgrenzung zwischen bloßem Auslegungs- bzw. Argumentationsbedürfnis und Nichtfeststellbarkeit fließend ist.
 
Übereinstimmung besteht wiederum darin, dass im Fall der Nichtfeststellbarkeit ein Ersatzrecht zur Anwendung gelangt. Dies gilt auch für Jurisdiktionen, in denen fremdes Recht als beweisbedürftige Tatsache angesehen wird, obwohl konsequenterweise – so teils auch die ältere Rechtsprechung – ein ''non liquet'' zur Abweisung der auf ausländisches Recht gestützten Klage (bzw. Nichtberücksichtigung der Einrede) führen müsste. Nur in Eilverfahren hat die fehlende Darlegung und Substantiierung des Inhalts ausländischen Rechts regelmäßig die Zurückweisung des Antrags zur Folge.
 
Als Ersatzrecht ist nach der Rechtsprechung ganz überwiegend auf die ''lex fori'' zurückzugreifen, wofür Praktikabilitätserwägungen angeführt werden. Im englischen Recht wird diese Lösung trotz Kritik der Literatur weiterhin darauf gestützt, dass eine Vermutung für die Übereinstimmung der englischen und ausländischen Sachvorschriften spreche und mangels Widerlegung dieser ''presumption of similarity'' englisches Recht Anwendung finde. Im italienischen und portugiesischen Recht (Art.&nbsp;14 Abs.&nbsp;2 ''Legge 218/95'' bzw. Art. 23 Abs.&nbsp;2 1.&nbsp;Hs. ''Código civil português'') ist hingegen ausdrücklich bestimmt, dass – sofern vorhanden – vorrangig eine kollisionsrechtliche Ersatzansknüpfung zum Tragen kommt. Weil diese Lösung die kollisionsrechtliche Verweisung so weit wie praktisch möglich respektiert, wird sie insgesamt auch von einem beachtlichen Teil des Schrifttums favorisiert. Andere Vorschläge gehen dahin, eine im Sinne der Rechtskreislehre verwandte Rechtsordnung, [[Einheitsrecht]] oder [[Allgemeine Rechtsgrundsätze]] anzuwenden.
 
== 5. Tendenzen der Rechts&shy;entwicklung ==
Soweit die in jüngerer Zeit diskutierten Vorschläge zur prozessualen Behandlung fremden Rechts nicht bereits auf eine Vermeidung der [[Anwendung ausländischen Rechts]] zielen, versuchen sie, auf der Ebene der Ermittlung praktische Erleichterungen zu schaffen. Dabei wird elektronischen Medien und Kommunikationsformen großes Potential zugeschrieben: Sie können den direkten Zugriff auf ausländische Quellen erleichtern und im Rahmen internationaler Rechtsauskunftsverfahren den Informationsfluss beschleunigen. Trotz denkbarer Erleichterungen wird die Ermittlung ausländischen Rechts wohl stets der größte Schwachpunkt der Fremdrechtsanwendung bleiben.
 
Auf Gemeinschaftsebene soll das Problem vorwiegend durch das – weiter ausbaufähige – Europäische Justizielle Netz adressiert werden. Im Schrifttum existieren aber auch verschiedene weitergehende Vorschläge, auf der Basis von Art.&nbsp;65 EG/81 AEUV Vorabentscheidungs- und Vorlageverfahren zwischen mitgliedstaatlichen Gerichten zu etablieren.
 
Aufmerksamkeit verdienen Bestrebungen der [[Haager Konferenz für IPR]], eine Konvention über grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Behandlung ausländischen Rechts zu entwickeln. Sie soll die neuen Möglichkeiten elektronischen Informationsaustausches nutzbar machen und im Gegensatz zu den bestehenden regionalen oder bilateralen Rechtsauskunftsabkommen als globales Instrument konzipiert sein.
 
Eine weitere Tendenz besteht darin, internationale Rechtsauskunftsinstrumente stärker für rechtsberatende Berufe zu öffnen sowie den Bürgern elektronische Informationen zu ausländischem Recht in ihrer Sprache zugänglich zu machen, wie dies im reformierten Europäischen Justiziellen Netz und nach den Vorarbeiten der Haager Konferenz vorgesehen ist. Das öffentliche Informationssystem mit Merkblättern zu diversen Rechtsgebieten, welches bereits zu den Aufgaben des Europäischen Justiziellen Netzes gehört, soll weiter ausgebaut werden.
 
Ähnlich wie bei der Frage der [[Anwendung ausländischen Rechts]] bedarf es schließlich noch der Klärung, ob die Europäisierung des Kollisionsrechts auch eine Harmonisierung der recht heterogenen nationalen Ermittlungsvorschriften und &#8209;praktiken erfordert, da von ihnen die praktische Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Kollisionsnormen wesentlich abhängt.


==Literatur==
==Literatur==
''Hans Walsmann'', Der Verzicht, 1912; ''Hansjörg Peter'', Verzicht auf Rechte und Befugnisse, insbesondere im Obligationenrecht, Ar-chiv für die civilistische Praxis 200 (2000) 149&nbsp;ff.; ''Rodolfo Sacco'', Einführung in die Rechtsvergleichung, 2001, 79&nbsp;ff.; ''Jens Kleinschmidt'', Der Verzicht im Schuldrecht: Vertragsprinzip und einseitiges Versprechen im deutschen und US-amerikanischen Recht, 2004; ''Caroline Cauffman'', De verbindende eenzijdige belofte, 2005, Nr.&nbsp;1220; ''Reinhard Zimmermann'', Vertrag und Versprechen, in: Festschrift für Andreas Heldrich, 2005, 467&nbsp;ff.; ''Jens Kleinschmidt'', §&nbsp;397, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd.&nbsp;II/2, 2007; ''Jörg Benedict'', Das Versprechen als Verpflichtungsgrund? Oder: Gibt es einen einseitigen Verzicht im Schuldrecht?, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 72 (2008) 302&nbsp;ff.; ''Filippo Ranieri'', Europäisches Obligationenrecht, 3.&nbsp;Aufl. 2009, 1849&nbsp;ff.
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Version vom 28. September 2021, 15:57 Uhr

von Clemens Trautmann

1. Gegenstand, Terminologie und Bedeutung

Sofern in einem Zivilverfahren das internationale Privatrecht (IPR) die Anwendung ausländischen Rechts verlangt, bestimmt das jeweilige nationale Verfahrensrecht, wie der Inhalt des ausländischen Rechts zu ermitteln ist. Von einem inländischen Gericht kann die Kenntnis ausländischer Rechtsnormen nicht erwartet werden. Die zivilprozessualen Grundsätze, dass das Gericht das anzuwendende Recht kennt (iura novit curia) und den Parteien lediglich der Tatsachenvortrag obliegt (da mihi facta, dabo tibi ius) gelten im Hinblick auf ausländisches Recht allenfalls eingeschränkt. Die Ermittlung ausländischen Rechts stellt sich damit im Wesentlichen als praktische Herausforderung dar, dem erkennenden Gericht am zuverlässigsten, effizientesten und raschesten diejenigen Informationen zu verschaffen, welche eine Anwendung ausländischen Rechts aus dem Zusammenhang und Geist der fremden Rechtsordnung ermöglichen. Dabei gehen die europäischen Rechtsordnungen teils recht unterschiedliche Wege.

Unter das Stichwort der Ermittlung bzw. Feststellung ausländischen Rechts – im englischen Recht als proof of foreign law, im französischen als preuve bzw. recherche de contenu de la loi étrangère geläufig – fallen im Einzelnen die Fragen, welche Rolle jeweils den Parteien und dem Gericht im Rahmen der Ermittlung zukommt (2.), welche Ermittlungsmethoden ver-fügbar und zulässig sind (3.) und wie bei Nichtfeststellbarkeit des Inhalts des fremden Rechts zu verfahren ist (4.).

Die Bedeutung dieser vermeintlich technischen Fragen für die Verwirklichung des IPR wie auch die Sachentscheidung ist nicht zu unterschätzen. Der kollisionsrechtliche Rechtsanwendungsbefehl wird entwertet, wenn das Verfahrensrecht dem Gericht keine adäquaten Mittel zur Ermittlung des anwendbaren ausländischen Rechts an die Hand gibt. In der Praxis hängt der Ausgang eines Verfahrens, in dem ausländisches Recht anwendbar ist, nicht selten von der gewählten Ermittlungsmethode oder der richterlichen Würdigung beigebrachter Nachweise ab. Daher sind Einzelfragen der Ermittlung ausländischen Rechts häufig Gegenstand ober- und höchstrichterlicher Überprüfung.

2. Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien

Die Rollen- und Lastenverteilung zwischen Gericht und Parteien bei der Ermittlung ausländischen Rechts ergibt sich – mit gewissen Modifikationen – aus dessen verfahrensrechtlichem Status als Tatsachen- oder Rechtsfrage (Anwendung ausländischen Rechts).

Soweit fremdes Recht – wie vor allem im common law – als Tatsache behandelt wird, folgt die Ermittlung regelmäßig den für Tatsachen geltenden Beweisregeln. Der Nachweis des Inhalts ausländischen Rechts liegt dann allein in Parteihand, allein dessen Anwendung und Auslegung ist Sache des Gerichts. Unbestrittener Parteivortrag oder ein Geständnis zum Inhalt fremden Rechts binden – von einer Evidenzkontrolle abgesehen – das Gericht. Bei streitigem Parteivortrag muss es die Darstellungen der Parteien bzw. der von ihnen gestellten Experten würdigen.

Die Annahme der Rechtsqualität ausländischen Rechts korrespondiert dagegen häufig mit einer Amtsermittlungspflicht des Gerichts. Davon geht die überwiegende Zahl der europäischen Staaten aus. Teils wird die Pflicht zur amtswegigen Ermittlung fremden Rechts aus der Maxime iura novit curia abgeleitet, so in Deutschland und den Niederlanden, teils ist sie ausdrücklich gesetzlich bestimmt, etwa in Belgien (Art. 15 § 1 Code de droit international privé), Italien (Art. 14 Abs. 1 Legge 218/95), Österreich (§ 4 Abs. 1 IPRG) und Portugal (Art. 348 Nr. 1 Código Civil). Die Parteien sind dabei – wie sich etwa aus dem deutschen § 293 S. 2 ZPO und italienischen Art. 14 Abs. 2 Legge 218/95 ergibt – berechtigt, das Gericht mit Informationen zum Inhalt ausländischen Rechts zu unterstützen. Sie trifft aber keine Prozess- oder gar Beweislast; allenfalls haben sie eine subsidiäre Mitverantwortung, indem sie die Ermittlungsintensität des Gerichts durch kontroversen Vortrag erhöhen oder durch übereinstimmenden Vortrag, Säumnis oder Passivität verringern.

Einige Rechtsordnungen sehen gemischte Modelle vor. Sie ermächtigen das Gericht, das ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln, verpflichten es dazu aber nicht; vielmehr kann das Gericht die Ermittlung auf die Parteien überwälzen und ihnen ggf. sogar förmliche Darlegungs- und Beweislasten auferlegen. Diesem flexiblen Ansatz folgen die skandinavischen Staaten und Frankreich, das allerdings bis vor kurzem – zumindest bei disponiblen Materien – noch eine Parteiermittlung nach Beweisgrundsätzen kannte. In ähnlicher Weise kann in der Schweiz bei vermögensrechtlichen Ansprüchen den Parteien der Nachweis überbunden werden (Art. 16 Abs. 1 S. 3 IPRG). Umgekehrt geht Spanien wegen der Behandlung fremden Rechts als Tatsache vom Grundsatz der Parteiermittlung aus, erlaubt dem Gericht aber auch eine eigene Ermittlungstätigkeit (Art. 281 LEC).

In einstweiligen Rechtsschutzverfahren wird die Lastenverteilung modifiziert, da die Eilbedürftigkeit aufwendige Ermittlungsschritte ausschließt. Von der Partei, die günstige Schlüsse aus dem anwendbaren fremden Recht herleitet, wird – falls nicht ohnehin der Grundsatz reiner Parteiermittlung gilt – erwartet, dass sie dessen Inhalt darlegt und ggf. glaubhaft macht.

Als Vorzug einer Ermittlung nach Beweisgrundsätzen wird angeführt, dass sich durch die Anstrengungen beider Parteien im kontradiktorischen Verfahren die besten Ermittlungsresultate erzielen ließen. Kritiker wenden ein, dass das Bild des Richters von der ausländischen Rechtspraxis durch die interessengeleiteten Aussagen von Parteisachverständigen verzerrt werde. Eine häufig kritisierte Konsequenz der Parteiermittlung ist daneben, dass eine darlegungs- und beweisbelastete Partei, die kein Interesse an der Anwendung des berufenen Rechts hat, die kollisionsrechtliche Verweisung umgehen kann, indem sie den Beweis schlichtweg nicht führt. Für die Situation einer Rechtswahl lässt sich argumentieren, dass die Ermittlungslasten natürliches Gegenstück der gewährten Parteiautonomie seien, während eine Amtsermittlungspflicht zu unerwünschten externen Effekten führe. Solchen Bedenken versuchen die flexiblen gemischten Modelle zu begegnen. Angeregt wird auch, dass sich der gerichtliche Ermittlungsaufwand in erhöhten Gerichtskosten niederschlagen solle.

3. Ermittlungsmethoden

Zu welcher der nach dem Prozessrecht verfügbaren Ermittlungsmethoden das Gericht greift, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Ermessensleitende Faktoren sind unter anderem die Schwierigkeit der Rechtsmaterie, Bedeutung der Angelegenheit, das Parteiverhalten und das Gebot der Prozessökonomie. Nach jüngsten Erhebungen der Haager Konferenz für IPR ermitteln europäische Gerichte den Inhalt ausländischen Rechts zu ca. jeweils 20 % gerichtsintern (wobei Spruchkörper mit besonderer Zuständigkeit für Auslandssachen beinahe ausschließlich so vorgehen) sowie im Wege internationaler Rechtsauskunftsersuchen. Weit überwiegend bedienen sie sich allerdings – in unterschiedlichsten Formen – der Hilfe Sachverständiger.

a) Gerichtsinterne Ermittlung

Soweit eine Amtsermittlung zulässig ist, können die Gerichte sich die Kenntnis ausländischen Rechts durch Rechtsquellen- oder Literaturstudien verschaffen. Nützlich sind dabei Sammlungen von Rechtsgutachten, zweisprachige Ausgaben von Gesetzestexten sowie internationale Datenbanken. Unterstützung bei der Materialbeschaffung bieten in manchen Staaten auch die Justiz- oder Außenministerien. Die Einrichtung spezieller Dezernate für Fälle mit Auslandsbezug, etwa an einigen deutschen Gerichten, fördert wegen der größeren Erfahrung der Richter die gerichtsinterne Ermittlung. Dagegen ist im englischen Recht die Nutzung dokumentarischer Erkenntnisquellen ausgeschlossen, weil für den förmlichen Nachweis die Aussagen eines Sachverständigen maßgeblich sind; eine praktisch kaum relevante Ausnahme enthält der Civil Evidence Act 1972, wonach frühere Entscheidungen englischer Gerichte zu gleichgelagerten ausländischen Rechtsfragen herangezogen werden können.

b) Sachverständigenbeweis

Die gebräuchlichste Ermittlungsmethode ist die Beiziehung von Sachverständigen, wobei die Verfahrensregelungen und ‑praktiken hinsichtlich der prozessualen Rolle, Herkunft und Qualifikation der Experten stark divergieren.

Gerichtlich bestellte Sachverständigengutachten sind in Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden, Österreich, im geringen Umfang auch Italien üblich. Wegen des hohen Gewichts solcher Gutachten orientieren die Gerichte sich dabei überwiegend an den Strengbeweisregeln für Sachverständige und räumen den Parteien insbesondere Fragerechte ein. Die Sachverständigen stammen überwiegend aus dem Inland und sind an spezialisierten Instituten wie dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (Hamburg), dem Schweizer Institut für Rechtsvergleichung (Lausanne), dem Internationaal Juridisch Instituut (Den Haag) oder an Universitäten tätig.

Schriftliche Parteigutachten sind in Frankreich (certificat de coutume), Spanien (certificado de ley) und Italien (testimonianza sul diritto straniero) anerkannte Nachweise, werden allerdings wegen der Nähe der jeweiligen Experten zu den sie beauftragenden Parteien kritisch gewürdigt. Erstellt werden sie meist von konsularischen Behörden oder von ausländischen Rechtsanwälten. Nach englischem Verfahrensrecht kann der Sachverständigenbeweis (expert evidence) erst durch Vernehmung der Experten in der mündlichen Verhandlung, ggf. im Kreuzverhör, erbracht werden. Das reformierte englische Zivilprozessrecht stellt allerdings klar, dass die Sachverständigen primär dem Gericht, nicht den Parteien verpflichtet sind (Rule 35.5 CPR), und ermöglicht auch die Beweisführung durch einen einzigen Experten (single joint expert, vgl. Rule 36.7 CPR).

c) Internationale Rechts­auskunftsverfahren

Unter den internationalen Rechtsauskunftsverfahren beruht das bedeutendste auf dem von den meisten Mitgliedern des Europarats ratifizierten Londoner Europäischen Rechtsauskunftsübereinkommen von 1968, dessen praktischer Wert allerdings uneinheitlich beurteilt wird. Das Übereinkommen gestattet dem erkennenden Gericht abstrakte Rechtsfragen, die zusammen mit einer Kurzdarstellung des zugrunde liegenden Sachverhalts über staatliche Verbindungsstellen – häufig die Justizministerien – an die bearbeitende ausländische Behörde oder rechtskundige Person übermittelt werden (Art. 2-6). Die Antworten bestehen aus einschlägigen Gesetzestexten und Entscheidungen, ggf. versehen mit Erläuterungen (Art. 7). Die durchschnittliche Erledigungsdauer beträgt etwa zwei Monate. Der Umstand, dass sowohl das Ersuchen wie auch die Antwort in der Sprache des ersuchten Staates abzufassen sind (Art. 14), macht für das erkennende Gericht Übersetzungen erforderlich. Neben diesem Instrument existieren eine Reihe ähnlich ausgestalteter bilateraler Rechtsauskunftsübereinkommen.

Gemeinschaftsintern können Rechtsauskünfte auch über das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen, eingerichtet durch Entscheidung 2001/470 des Rates vom 28.5.2001 und zuletzt angepasst durch Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.6.2009, erlangt werden. Bei Kontaktstellen in jedem Mitgliedstaat können Justizbehörden, Verbindungsrichter sowie auch anerkannte Anwalts- und Notarverbände gemäß Artt. 3(2)(b), 5(2)(c) nicht-bindende Informationen zum Recht eines anderen Mitgliedstaats anfordern, und zwar insbesondere dann, wenn dieses Recht durch eine Gemeinschaftskollisionsnorm für anwendbar erklärt wird. Auf diese Weise versucht der europäische Gesetzgeber, den Rechtsakten zum Gmeinschaftskollisionsrecht zumindest für Binnenmarktsachverhalte ein effizientes Rechtsauskunftsinstrument zur Seite zu stellen. Ob die Reform des Europäischen Justiziellen Netzes allerdings die Akzeptanz dieser Ermittlungsmethode in der Praxis erhöhen kann (schon nach früherer Rechtslage waren Rechtsauskünfte möglich), bleibt abzuwarten.

Für manche Spezialmaterien hat sich auch eine unmittelbare Kommunikation zwischen Richtern verschiedener Staaten etabliert, so etwa ein internationales Netzwerk der Verbindungsrichter unter dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen. Eine weitere Besonderheit ist der 1859 British Law Ascertainment Act, wonach Fragen zum Recht eines Commonwealth-Staates dessen oberstem Gerichtshof von einem englischen Gericht vorgelegt werden können.

4. Nichtfeststellbarkeit und Ersatzrecht

Der Maßstab für die Beantwortung der Frage, wann der Inhalt ausländischen Rechts als hinreichend festgestellt gilt, variiert zwischen den europäischen Staaten – häufig auch innerhalb deren Rechtsprechung – erheblich. Teilweise soll bereits der einschlägige Gesetzestext genügen, während andere Gerichte detaillierte Informationen zur ausländischen Rechtspraxis fordern. Soweit wiederum Beweisregeln maßgeblich sind, gilt der subjektive Maßstab der Überzeugung des Gerichts. In der Praxis nehmen Gerichte gelegentlich vorschnell an, das ausländische Recht sei nicht feststellbar, zumal die Abgrenzung zwischen bloßem Auslegungs- bzw. Argumentationsbedürfnis und Nichtfeststellbarkeit fließend ist.

Übereinstimmung besteht wiederum darin, dass im Fall der Nichtfeststellbarkeit ein Ersatzrecht zur Anwendung gelangt. Dies gilt auch für Jurisdiktionen, in denen fremdes Recht als beweisbedürftige Tatsache angesehen wird, obwohl konsequenterweise – so teils auch die ältere Rechtsprechung – ein non liquet zur Abweisung der auf ausländisches Recht gestützten Klage (bzw. Nichtberücksichtigung der Einrede) führen müsste. Nur in Eilverfahren hat die fehlende Darlegung und Substantiierung des Inhalts ausländischen Rechts regelmäßig die Zurückweisung des Antrags zur Folge.

Als Ersatzrecht ist nach der Rechtsprechung ganz überwiegend auf die lex fori zurückzugreifen, wofür Praktikabilitätserwägungen angeführt werden. Im englischen Recht wird diese Lösung trotz Kritik der Literatur weiterhin darauf gestützt, dass eine Vermutung für die Übereinstimmung der englischen und ausländischen Sachvorschriften spreche und mangels Widerlegung dieser presumption of similarity englisches Recht Anwendung finde. Im italienischen und portugiesischen Recht (Art. 14 Abs. 2 Legge 218/95 bzw. Art. 23 Abs. 2 1. Hs. Código civil português) ist hingegen ausdrücklich bestimmt, dass – sofern vorhanden – vorrangig eine kollisionsrechtliche Ersatzansknüpfung zum Tragen kommt. Weil diese Lösung die kollisionsrechtliche Verweisung so weit wie praktisch möglich respektiert, wird sie insgesamt auch von einem beachtlichen Teil des Schrifttums favorisiert. Andere Vorschläge gehen dahin, eine im Sinne der Rechtskreislehre verwandte Rechtsordnung, Einheitsrecht oder Allgemeine Rechtsgrundsätze anzuwenden.

5. Tendenzen der Rechts­entwicklung

Soweit die in jüngerer Zeit diskutierten Vorschläge zur prozessualen Behandlung fremden Rechts nicht bereits auf eine Vermeidung der Anwendung ausländischen Rechts zielen, versuchen sie, auf der Ebene der Ermittlung praktische Erleichterungen zu schaffen. Dabei wird elektronischen Medien und Kommunikationsformen großes Potential zugeschrieben: Sie können den direkten Zugriff auf ausländische Quellen erleichtern und im Rahmen internationaler Rechtsauskunftsverfahren den Informationsfluss beschleunigen. Trotz denkbarer Erleichterungen wird die Ermittlung ausländischen Rechts wohl stets der größte Schwachpunkt der Fremdrechtsanwendung bleiben.

Auf Gemeinschaftsebene soll das Problem vorwiegend durch das – weiter ausbaufähige – Europäische Justizielle Netz adressiert werden. Im Schrifttum existieren aber auch verschiedene weitergehende Vorschläge, auf der Basis von Art. 65 EG/81 AEUV Vorabentscheidungs- und Vorlageverfahren zwischen mitgliedstaatlichen Gerichten zu etablieren.

Aufmerksamkeit verdienen Bestrebungen der Haager Konferenz für IPR, eine Konvention über grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Behandlung ausländischen Rechts zu entwickeln. Sie soll die neuen Möglichkeiten elektronischen Informationsaustausches nutzbar machen und im Gegensatz zu den bestehenden regionalen oder bilateralen Rechtsauskunftsabkommen als globales Instrument konzipiert sein.

Eine weitere Tendenz besteht darin, internationale Rechtsauskunftsinstrumente stärker für rechtsberatende Berufe zu öffnen sowie den Bürgern elektronische Informationen zu ausländischem Recht in ihrer Sprache zugänglich zu machen, wie dies im reformierten Europäischen Justiziellen Netz und nach den Vorarbeiten der Haager Konferenz vorgesehen ist. Das öffentliche Informationssystem mit Merkblättern zu diversen Rechtsgebieten, welches bereits zu den Aufgaben des Europäischen Justiziellen Netzes gehört, soll weiter ausgebaut werden.

Ähnlich wie bei der Frage der Anwendung ausländischen Rechts bedarf es schließlich noch der Klärung, ob die Europäisierung des Kollisionsrechts auch eine Harmonisierung der recht heterogenen nationalen Ermittlungsvorschriften und ‑praktiken erfordert, da von ihnen die praktische Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Kollisionsnormen wesentlich abhängt.

Literatur

Gerardo Broggini, Die Maxime „iura novit curia“ und das ausländische Recht, Archiv für die civilistische Praxis 155 (1956) 469 ff.; Dirk Schellack, Selbstermittlung oder ausländische Auskunft unter dem europäischen Rechtsauskunftsübereinkommen, 1998; Richard Fentiman, Foreign Law in English Courts, 1998; Oliver Remien, Iura novit curia und die Ermittlung fremden Rechts im europäischen Rechtsraum der Artt. 61ff. EGV, in: Jürgen Basedow Ulrich Drobnig, Reinhard Ellger, Klaus J. Hopt, Hein Kötz, Rainer Kulms (Hg.), Aufbruch nach Europa, 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, 2001, 617 ff.; Maarit Jänterä-Jareborg, Foreign Law in National Courts, Recueil des cours 304 (2003) 182 ff.; Sofie Geeroms, Foreign Law in Civil Litigation, 2004; Lawrence Collins (Hg.), Dicey and Morris on the Conflict of Laws, 14. Aufl. 2006, Bd. I, Rn. 9-001 ff.; Haimo Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006, Rn. 620 ff.; Serge Billarant, The French Diptych on Foreign Law, Yearbook of Private International Law 8 (2006) 213 ff.; Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, Report on judicial communications in relation to international child protection, Prel. Doc. No. 8 of October 2006; Feasibility study on the treatment of foreign law, Report on the meeting of February 23-24, 2007, Prel. Doc. No. 21A of March 2007; Summary of the responses to the questionnaire, Prel. Doc. No. 9A/B of March 2008.