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Aktuelle Version vom 29. September 2021, 14:34 Uhr

von Martin Illmer

1. Begriff und Gegenstand

Das Versprechen ist ein Grundbegriff der Rechtsgeschäftslehre (Rechtsgeschäft) und des allgemeinen Rechts der vertraglichen Schuldverhältnisse.

Zentral ist die Frage, ob ein einseitiges Versprechen den Versprechenden verpflichten und damit ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis begründen kann (Versprechensprinzip) oder ob dies nur der Vertrag vermag (Vertragsprinzip). Praktische Bedeutung hat die Frage für solche, auf eine Verpflichtung zielende Rechtsgeschäfte, die an sich keine Wechselseitigkeit erfordern, da es nicht um den Austausch von Leistungen geht. Dies betrifft insbesondere die Auslobung und unentgeltliche Geschäfte, etwa die Schenkung. Zwängt man sie ins Vertragskorsett oder erkennt man das einseitig verpflichtende Versprechen neben dem Vertrag an? Die Frage stellt sich aber auch für den Vertrag zugunsten Dritter (aus Sicht des Dritten) und für den Verzicht (Erlass).

2. Historische Entwicklung

a) Römisches Recht

Das frühe Grundmodell des römischen Vertragsrechts war der einseitig verpflichtende Vertrag der stipulatio. Er bestand aus der an eine bestimmte Form geknüpften Frage des Gläubigers an den Schuldner, etwas zu tun oder zu unterlassen, und der ebenfalls an eine bestimmte Form geknüpften bejahenden Antwort in Form eines Versprechens. Obwohl das Versprechen der zentrale Bestandteil der stipulatio war, begründete es für sich genommen keine Verpflichtung des Versprechenden. Da die Frage des Gläubigers Ausgangspunkt der Vertragsanbahnung war, war aus Sicht des versprechenden Schuldners das jeweilige Versprechen durch die vorangegangene Frage bereits angenommen.

Neben der stipulatio, deren mündliche Form zunehmend durch eine Schriftform (der Austausch der Spruchformeln wurde beurkundet) ersetzt worden war, gewannen formfreie Verträge immer mehr an Bedeutung (ursprünglich waren nur Kauf, Werk-, Dienst- und Mietvertrag, Auftrag und Gesellschaft als formfreie Konsensualverträge anerkannt). Der bis dahin geltende Grundsatz ex nudo pacto non oritur actio wurde zunehmend durchbrochen. Die Grenze zwischen contractus (klagbar) und pactum (ursprünglich nicht klagbar) verlor schrittweise an Bedeutung. Als Ausgleich für den Verzicht auf eine bestimmte Form trat der Konsens als zentrale Grundlage des Schuldverhältnisses und der aus ihm erwachsenden wechselseitigen Erfüllungsansprüche in den Vordergrund.

Im Gegensatz zur stipulatio und den Konsensualverträgen begründete das formfreie einseitige Versprechen kein Schuldverhältnis. Die einzige Ausnahme hiervon war das einseitig verpflichtende Versprechen einer Leistung zum öffentlichen Nutzen an eine Gemeinde, die sogenannte pollicitatio. Dementsprechend findet sich in den Digesten (Ulp. D. 50,12,3) die Unterscheidung zwischen dem auf Konsens beruhenden Vertrag (pactum est duorum consensus atque conventio) und dem einzigen einseitigen Versprechen, das den Versprechenden auch ohne Annahme verpflichtete (pollicitatio vero offerentis solius promissum). Damit war das Vertragsprinzip bereits im römischen Recht angelegt.

b) Spätscholastik und Naturrecht

Die spanischen Spätscholastiker (Scholastik) versuchten im 16. Jahrhundert, auf der Grundlage der philosophischen und theologischen Lehren des Aristoteles und Thomas von Aquin aus der in den Digesten vorgefundenen Kasuistik einzelner Schuldverhältnisse ein allgemeines System des Rechts der Schuldverhältnisse zu entwickeln. Dabei gingen sie vom Versprechen und der darin zum Ausdruck kommenden Treue (fidelitas) aus, deren Bruch eine Sünde gegen Gott darstelle.

Insbesondere Hugo Grotius griff die Konzepte der Spätscholastiker auf, entwickelte daraus jedoch ein eigenes, abweichendes Modell des rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses. Grotius differenzierte zwischen der (Selbst‑)Bindungswirkung des Versprechens einerseits und seiner Verpflichtungswirkung andererseits. In jedem Versprechen liege zunächst ein Akt der (Selbst‑) Bindung, von ihm als pollicitatio bezeichnet (innerer Konsens). Erst die Abgabe des Versprechens, die alienatio, sei auf die Verpflichtung des Versprechenden gegenüber dem Versprechensempfänger durch Übertragung des Versprechens (in Analogie zur Sachübertragung) gerichtet. Um eine Verpflichtung zu begründen, bedürfe dieses abgegebene Versprechen zunächst einer causa als Grundlage des Willens zur Übertragung des Versprechens. Als causa erkannte Grotius nur die Erwartung einer Gegenleistung (Austauschgeschäft) und die erlaubte Freigiebigkeit an. Für den Fall des Austauschgeschäfts sei zur Verpflichtung neben der causa in Anlehnung an das römische Recht ein äußerer Konsens zwischen den Parteien erforderlich, der durch die Annahme des Versprechens (regelmäßig verbunden mit dem Versprechen zur Gegenleistung), die acceptatio, hergestellt werde. Die Verpflichtungswirkung des Versprechens war hiernach durch das Gegenversprechen bedingt. Für den Fall des auf eine unentgeltliche Leistung gerichteten einseitigen Versprechens, insbesondere für die Schenkung, waren bestimmte Formerfordernisse einzuhalten. Durch sie war sichergestellt, dass der Versprechende dem Versprechensempfänger tatsächlich ein Forderungsrecht einräumen wollte.

Somit sah Grotius abgesehen von einigen unentgeltlichen Rechtsgeschäften den sich aus wechselseitigen Versprechen zusammensetzenden Vertrag, nicht hingegen das einseitige Versprechen als Grundlage rechtsgeschäftlicher Verpflichtungen an. Auch Jean Domat, Robert Joseph Pothier, Christian Thomasius, Samuel von Pufendorf und Christian Wolff folgten diesem Modell des auf einen Doppelkonsens gegründeten „translativen Versprechensvertrags“ (Bruno Schmidlin). Erst im späten Naturrecht (in Ansätzen bereits bei Thomasius und Wolff) rückte der (äußere), sich im Vertrag konstituierende Konsens der Parteien als zentrale Grundlage des Schuldverhältnisses in den Vordergrund.

3. Entwicklungstendenzen in den nationalen Rechtsordnungen

a) Entwicklung auf dem Kontinent

Mit der Aufklärung und der durch sie beeinflussten Willenstheorien setzte sich endgültig der Konsens zwischen den Parteien als alleinige Grundlage des Schuldverhältnisses durch. Die den Konsens konstituierenden Verpflichtungsversprechen, die sich systematisch noch heute in Angebot und Annahme finden, traten dabei gedanklich und systematisch immer mehr in den Hintergrund. Grundlage der Verpflichtung ist etwa bei Friedrich Carl von Savigny, aber auch in der Rechtslehre Immanuel Kants („Vertrag ist der Akt der vereinigten Willkür“), nicht mehr die Übertragung des Versprechens, sondern die durch die Versprechen zum Ausdruck kommende Willensvereinigung. Nicht die Versprechen als Elemente, sondern der vereinigte Wille konstituiert den Vertrag und begründet die wechselseitigen Verpflichtungen. Die Pandektisten (Pandektensystem) griffen dieses Vertragsmodell auf und verfeinerten es (Bernhard Windscheid: „Der Vertrag ist nicht nur Willensübereinstimmung, sondern Willensvereinigung.“).

Die neueren Kodifikationen, insbesondere das BGB, das OR und das BW übernahmen das pandektistische Vertragsmodell (vgl. insb. Art. 1 OR, aber implizit auch § 311 Abs. 1 BGB und die Regeln über den Vertragsschluss in § 145 ff. BGB; ebenso heute implizit Art. 6:213 BW). Dagegen spiegeln die frühen europäischen Kodifikationen, insbesondere Art. 1101 ff. Code civil (convention als äußerer Konsens und consentement de la partie qui s’oblige als innerer Konsens) und § 861 ABGB (Versprechen zur Übertragung eines Rechts und dessen Annahme durch ein Gegenversprechen), nach Wortlaut und Systematik noch immer das naturrechtliche Modell wieder. Rechtsprechung und Lehre haben sich davon allerdings weitgehend gelöst und knüpfen heute ebenfalls allein an den (äußeren) Konsens an. Der Codice civile hat diese Loslösung auch im Gesetzestext vollzogen (Art. 1321, 1325 Nr. 1: accordo delle partie). Das allein auf den (äußeren) Konsens gegründete Vertragsmodell bedarf mangels Übertragung eines Versprechens an sich nicht mehr der von Grotius geforderten causa. Der vereinigte Wille ist Grund genug für das Entstehen wechselseitiger Verpflichtungen und erfüllt die Funktion der causa. Das Erfordernis einer causa wurde daher in den meisten Rechtsordnungen aufgegeben. Im französischen Recht findet sich in Anlehnung vor allem an Pothier neben dem Konsenserfordernis (Art. 1101, 1108 ff. Code civil) zwar noch heute die cause-Doktrin (vgl. Art. 1131 Code civil; ebenso in Art. 1343, 1418 Codice civile und Art. 1261 span. Código civil), doch ist nahezu jedes Motiv als cause anerkannt, so dass diese eher als Auffangbecken zahlreicher Unwirksamkeitsgründe des Vertragsrechts dient.

Unabhängig davon, welchem Vertragsmodell man folgte, war für das einseitige Verpflichtungsversprechen unter dem Vertragsprinzip kein Platz. Bereits die frühen Kodifikationen, etwa der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (1756) sowie das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (1794) schlossen eine Verpflichtung aufgrund einseitigen Versprechens ausdrücklich aus. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Bis auf das schottische Privatrecht und einige skandinavische Rechtsordnungen (s. unten c) erkennt keine der europäischen Rechtsordnungen das einseitig verpflichtende Versprechen als Grundlage eines Schuldverhältnisses an. Auch im Zuge einer der letzten großen Kodifikationsreformen in den Niederlanden wurde es Anfang der 1990er Jahre für das Burgerlijk Wetboek abgelehnt. Dem Vertragsprinzip ist auch das Schenkungsversprechen zum Oper gefallen. Anders als von Grotius wird es nicht als einseitig verpflichtend angesehen. Um eine Verpflichtung des Schenkenden zu begründen, bedarf es der Annahme durch den Beschenkten (vgl. § 516 Abs. 2 BGB; Art. 932 frz. Code civil; Art. 7:175 BW sieht allerdings wie im Hinblick auf den Vertrag zugunsten Dritter eine Annahmefiktion vor). Dabei wurde das Formerfordernis, das den Schenkenden vor Übereilung schützen soll, häufig beibehalten (vgl. § 518 BGB; Art. 931 frz. Code civil, nicht hingegen im BW).

Das Vertragsprinzip blieb allerdings nicht unangefochten, sondern sah sich insbesondere gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich und Deutschland teils heftiger Kritik ausgesetzt. So sprach sich etwa Heinrich Siegel dafür aus, das einseitige Versprechen als Verpflichtungsgrund neben dem Vertrag anzuerkennen. Auch während der Vorarbeiten zum BGB stand die Entscheidung für das Vertragsprinzip im deutschen Recht nicht von Beginn an fest. Der zuständige Redaktor des BGB, Franz Philipp von Kübel, ging in seiner ersten Vorlage von der Verpflichtungswirkung des einseitigen Versprechens unabhängig von einer Annahme aus. Er zog diesen Vorschlag erst infolge der Erörterungen in der 1. Kommission zurück und schrieb in seiner zweiten Vorlage das Vertragsprinzip als Grundsatz fest. Hiervon machte er nur einige wenige gesetzliche Ausnahmen für die Auslobung, das Versprechen der Leistung an einen Dritten und Inhaberpapiere. Auch nach Inkrafttreten des BGB kritisierte Philipp Heck das Vertragsprinzip noch in den 1920er Jahren vehement.

b) Entwicklung im englischen common law

Das englische law of contract war bis ins 19. Jahrhundert hinein durch das Konzept des Versprechens geprägt. Im Aktionensystem des common law war der writ of assumpsit die zentrale Klage des Vertragsrechts. Er erforderte ein Versprechen, eine consideration und den Bruch des Versprechens. Der writ of covenant hingegen konnte nur auf promises under seal, also Versprechen unter Einhaltung besonderer Förmlichkeiten, ursprünglich eines Eides, gestützt werden. Promises under seal bedurften dafür keiner consideration, sondern konnten einseitig verpflichtend sein. Sie betrafen insbesondere unentgeltliche Geschäfte.

Im Zuge der treatises des 19. Jahrhunderts, insbesondere der Werke von John Joseph Powell, Joseph Chitty, Frederick Pollock und William Anson, wurde das römische Vertragsrecht in der Form, die es durch die naturrechtliche Systematisierung von Grotius, Pufendorf, Domat und Pothier erfahren hatte, rezipiert. Sogar die common law-Gerichte nahmen teilweise darauf Bezug (Cox v. Troy (1822) 5 B & Ald 474). In der Folge der sich auch in England durchsetzenden Willenstheorien wurde schließlich das einseitige verpflichtende Konzept des Versprechens durch das zweiseitige, auf Konsens aufbauende Konzept des Vertrages ersetzt. Dessen Bestandteile sind zwei für sich genommen nicht verpflichtende Versprechen, offer and acceptance, die sich als Grundlage des Vertragsschlusses und systembildendes Konzept des englischen Vertragsrechts durchsetzten (vgl. Adams v. Lindsell (1818) 1 B & Ald 681 (KB) und Carlill v. Carbolic Smoke Ball Company [1893] 1 QB 256 (CA)). Die offer erwuchs aus dem einseitigen Versprechen; das Schuldverhältnis wurde jedoch erst durch die acceptance begründet. Nur vor dem Hintergrund dieser Genese des englischen law of contract lässt sich das Überleben der consideration-Doktrin erklären (Seriositätsindizien); denn die consideration ist auf ein Versprechen, nicht auf einen Vertrag bezogen. Für den Austauschvertrag werden die wechselseitigen Verpflichtungserklärungen als consideration füreinander angesehen. Einseitige unentgeltliche Versprechen, etwa eine Schenkung, entfalten hingegen mangels consideration, abgesehen von promises in deeds (die heute nicht mehr under seal erfolgen müssen), keine Verpflichtungswirkung (das Erfordernis ist allerdings stark entwertet, da eine nominal consideration ausreicht). Obwohl tatsächlich häufig zusammenfallend, ist die consideration im Hinblick auf die Verpflichtungswirkung systematisch vom Erfordernis der Annahme zu trennen.

c) Abweichende Entwicklungen in Schottland und Skandinavien

Im schottischen Privatrecht als Mischrechtsordnung ist das einseitige Versprechen neben dem Vertrag als Grundlage rechtsgeschäftlicher Verpflichtung basierend auf den Institutionen von James Dalrymple, Viscount Stair, anerkannt. Stair unterschied zwischen der offer als Versprechen unter der Bedingung der Annahme durch den Versprechensempfänger, der pollicitatio als Versprechen unter der Bedingung der Vornahme einer bestimmten Handlung (dies erfasst insbesondere den Fall der Auslobung) und schließlich der promise als unbedingtem einseitig verpflichtenden Versprechen.

In den skandinavischen Rechtsordnungen ist nach der sog. Løfte-Theorie trotz des Einflusses der Willenstheorien das Versprechen die Grundlage des Schuldverhältnisses geblieben. Das einseitige Versprechen verpflichtet den Versprechenden im Falle einseitiger Rechtsgeschäfte, etwa der Schenkung und Auslobung, unbedingt (also ohne eine Annahme), im Falle gegenseitiger Rechtsgeschäfte dagegen nur bedingt durch das Versprechen der anderen Partei zur Gegenleistung. Die auf einen gegenseitigen Vertrag abzielenden, bedingten Versprechen werden als Angebot und Annahme bezeichnet. Verpflichtungsgrund ist also selbst beim gegenseitigen Rechtsgeschäft nicht der Vertrag; es sind vielmehr die jeweiligen Versprechen. Die Bedingtheit der Versprechen stellt den materiellen Konsens sicher.

4. Auslobung

Aufgrund der Hinwendung zum Vertragsprinzip in den meisten Rechtsordnungen erwies es sich als dogmatisch schwierig, die Verpflichtungswirkung strukturell einseitiger Versprechen zu erklären. Während die Schenkung dem Vertragsdogma unterworfen wurde, haben die europäischen Rechtsordnungen für die Auslobung unterschiedliche Lösungen entwickelt.

Im deutschen und österreichischen Recht hat sich in § 657 BGB bzw. § 860 S. 1 ABGB die Konstruktion des einseitig verpflichtenden Versprechens als gesetzliche Ausnahme vom Vertragsprinzip durchgesetzt (Pollizitationstheorie); ebenso im Ergebnis Art. 6:120 BW, Art. 1989 Codice civile sowie das spanische und dänische Recht. Die Verpflichtung zur Leistung der Belohnung ist allein durch die Vornahme der ausgelobten Handlung, nicht jedoch durch eine (auch nur konkludente) Annahme des Auslobungsversprechens bedingt. Das Versprechen bindet daher auch dann, wenn die Handlung in Unkenntnis der Auslobung vorgenommen wird. Anders als das Angebot zum Vertragsschluss ist das einseitige Auslobungsversprechen bis zur Vornahme der Handlung einseitig widerrufbar (§ 658 BGB; § 860a ABGB). Auch die mit der Auslobung verwandte Gewinnzusage nach § 661a BGB bzw. § 860 S. 2 ABGB ist ein einseitig verpflichtendes Versprechen.

Im französischen Recht wird die Auslobung überwiegend nicht als einseitig verpflichtendes Versprechen angesehen, sondern als Vertrag konstruiert. Die Auslobung ist ein Angebot ad incertas personas, das der konkludenten Annahme durch Vornahme der ausgelobten Handlung bedarf, um den Erfüllungsanspruch auf die Belohnung zu begründen. Im Hinblick auf Gewinnzusagen ist die jüngere französische Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich. Sie stützt sich teils auf ein einseitiges Versprechen, teils auf einen Vertrag oder Quasi-Vertrag und bisweilen sogar auf ein Quasi-Delikt.

Im englischen Recht stellte sich die Problematik der dogmatischen Einordnung der Auslobung im bereits erwähnten Fall Carlill v. Carbolic Smoke Ball Company [1893] 1 QB 256 (CA). Die Klägerin hatte die Voraussetzungen der versprochenen Belohnung erfüllt und forderte diese vom Beklagten ein. Unter dem writ of assumpsit hätte die Klage Erfolg gehabt (die consideration im Zeitpunkt der Abgabe des Belohnungsversprechens bestand in der zukünftigen Vornahme der ausgelobten Handlung). Um nun aber dem Vertragsprinzip gerecht zu werden, konstruierte der Court of Appeal die Figur eines unilateral contract (statt der naheliegenden unilateral promise). Das Angebot (ad incertas personas) bestand in der Auslobung. Zur Annahme sollte die Vornahme der ausgelobten Handlung genügen; die Annahme musste also nicht gegenüber dem Anbietenden erklärt werden. Mit einem Vertrag als Willensübereinstimmung hat diese Konstruktion nur wenig gemein. Sie presst vielmehr einen einseitigen Vorgang in ein zweiseitiges Erklärungsmodell.

Im schottischen Recht sah die Rechtsprechung die Auslobung zunächst in Anlehnung an Stair als einseitig verpflichtendes Versprechen an, bedingt allein durch die Vornahme der ausgelobten Handlung. Unter dem Einfluss der Entscheidung in Carlill gewann allerdings auch im schottischen Recht die Lehre vom unilateral contract an Bedeutung.

5. Dualismus im Europäischen Privatrecht

Im Europäischen Privatrecht zeichnet sich entgegen den nationalen Vorbildern ein Dualismus von Vertrags- und Versprechensprinzip ab. Der Vertrag ist zwar nach wie vor die zentrale Grundlage des rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses (vgl. Art. 2:101 PECL, Art. 4:101 ACQP; Art. II.-4:101 DCFR), doch erkennt Art. 2:107 PECL, der von den ACQP in Art. 4:107(1) übernommen wird, neben dem Vertrag ausdrücklich das einseitige Versprechen als verpflichtend an, wobei dies missverständlich durch die Formulierung „binding“ bzw. „bindend“ (gemeint ist nicht die Selbstbindung, sondern die Verpflichtung gegenüber dem Versprechensempfänger) zum Ausdruck gebracht wird. Auch der DCFR greift das Versprechensprinzip in Art. II.-4:301 bis 4:303 unter dem weiter gefassten Konzept der other/unilateral juridical acts auf. Dagegen ist Grundlage rechtsgeschäftlicher Bindung nach den UNIDROIT PICC nur der Vertrag (Art. 3.2). Nach PECL, ACQP und DCFR ist für die Verpflichtungswirkung der Rechtsbindungswille des Versprechenden entscheidend. Er ist nach dem Wortlaut des Versprechens und den es begleitenden Umständen zu ermitteln. Die ACQP enthalten in Art. 4:107(2) zudem eine Regelung, die die Schutzmechanismen des Vertragsrechts zugunsten einer der Parteien des Rechtsgeschäfts (gemeint sind wohl insbesondere Widerrufsrechte und andere Schutzmechanismen zugunsten von Verbrauchern) auch für das einseitige Versprechen für anwendbar erklärt. Die PECL lösen diese, praktisch wohl eher selten relevante Problematik ausweislich der Erläuterungen dadurch, dass sie das einseitig verpflichtende Versprechen unter einen sehr weit verstandenen Vertragsbegriff subsumieren.

Die Auslobung ist weder in den PECL noch in den ACQP noch im DCFR gesondert geregelt. Während sich eine Verpflichtung nach den Vorschriften über das einseitige Versprechen leicht begründen lässt, fehlt es an Regelungen zur Widerruflichkeit und zu den weiteren, etwa in §§ 659 ff. BGB angesprochenen Aspekten.

Hinsichtlich des Sonderfalls der Garantie nach Art. 6 der Verbrauchsgüterkaufrechts-RL (RL 1999/44) bzw. den nationalen Umsetzungen ist umstritten, ob sie als einseitig verpflichtendes Versprechen ausgestaltet sind oder einen Vertrag, mithin eine Annahme, erfordern. Der EuGH hatte noch nicht über die Frage zu entscheiden. Die nationalen Rechte gehen freilich meist von einem Vertrag aus, da er sich konsistenter in das vorherrschende Vertragsprinzip einfügt.

Literatur

Heinrich Siegel, Das Versprechen als Verpflichtungsgrund im heutigen Recht, 1873; Klaus Wennberg, Die skandinavische Löftetheorie, 1966; Arthur T. von Mehren, The Formation of Contracts, in: IECL VII/1, Kap. 9-9 ff., 1991; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, 1996, Kap. 18 (insb. 572 ff); James Gordley, Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, 1991, 71 ff.; Bruno Schmidlin, Die beiden Vertragsmodelle des europäischen Zivilrechts: Das naturrrechtliche Modell der Versprechensübertragung und das pandektistische Modell der vereinigten Willenserklärungen, in: Reinhard Zimmermann, Rolf Knütel, Jens Peter Meincke (Hg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 1999, 187 ff.; James Gordley (Hg.), The Enforceability of Promises in European Contract Law, 2001; Reinhard Zimmermann, Vertrag und Versprechen, in: Festschrift für Andreas Heldrich, 2005, 467 ff.; Caroline Cauffman, De verbindende eenzijdige belofte, 2005; Jens Kleinschmidt, Unilateral contract und einseitiges Versprechen, Jura 2007, 249 ff.

Abgerufen von Versprechen – HWB-EuP 2009 am 21. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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