Ausstrahlung des europäischen Privatrechts ins chinesische Recht: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 8. September 2021, 11:17 Uhr
von Knut B. Pißler
1. Chinesisches Privatrecht: Historische Herkunft und Entwicklung
Das chinesische Recht wurde von alters her in die Form von Gesetzbüchern gegossen. Dabei verkündete jede Dynastie ein neues Gesetzbuch, welches jedoch dem der vorhergehenden Dynastie nachgebildet war. Das Gesetzbuch der Tang-Dynastie (618-907), welches aus dem Jahr 651 datiert, ist das frühste erhaltene chinesische Gesetzbuch und gilt als Höhepunkt in der Gesetzgebungsgeschichte Chinas. Die materiellen Regelungen haben sich in der weiteren chinesischen Gesetzgebungsgeschichte nur unwesentlich vom Gesetzbuch der Tang fortentwickelt. So ist für den Ming-Kodex aus dem Jahr 1367, der mehrfach überarbeitet und 1397 als „Kodex der Großen Ming“ (Da Ming Lü) neu festgesetzt wurde, festgestellt worden, dass ein Großteil seiner Artikel aus dem Tang-Kodex übernommen worden ist. Auch der letzte vormoderne Kodex, das „Gesetzbuch der Großen Qing mit Ergänzungsregeln“ (Da Qing Lü Li), in seiner ursprünglichen Form als „Gesetzbuch der Großen Qing“ (Da Qing Lü) im Jahr 1646 in Kraft gesetzt und 1740 mit den Ergänzungsregeln versehen, orientiert sich in seiner Gestalt am Ming-Kodex und somit letztlich ebenfalls am Gesetzbuch der Tang-Dynastie.
Diese Gesetzbücher haben überwiegend straf- und verwaltungsrechtlichen Charakter. Soweit privatrechtliche Grundsätze erkennbar sind, sind sie oft in ein strafrechtliches Gewandt gehüllt. Vor diesem Hintergrund wäre es falsch davon zu sprechen, dass kodifiziertes Recht im vormodernen China nicht existierte. Dieses Recht erwies sich aber bei der Berührung mit den europäischen Mächten als unzulänglich. Zumindest in den Augen der Europäer des 19. und 20. Jahrhunderts erschien das chinesische Recht auf Grund seines strafrechtlichen Charakters primitiv und barbarisch. Der Handel mit dem Ausland verlangte nach Rechtssicherheit, die aus ausländischer Sicht allein durch eine Übernahme einer Kodifikation nach europäischem Muster zu gewährleisten sei. Dies wurde schließlich zur Bedingung für die Aufnahme Chinas in den Kreis der „zivilisierten“ Nationen und für einen Verzicht auf die extraterritorialen Rechte der Kolonialmächte.
Aber neben diesem äußeren Druck gab es auch innerhalb der Qing-Regierung Befürworter einer Rechtsreform. Im 28. Jahr der Regentschaft des Kaisers GUANG Xu (1902) reichten drei hochrangige chinesische Beamte eine Throneingabe ein, in der sie vorschlugen, das chinesische Recht grundlegend zu reformieren, um mit der Entwicklung im Ausland Schritt halten zu können.
Als China am Beginn des 20. Jahrhunderts also anfing, sein Privatrecht zu kodifizieren, wurde eine Studienkommission nach Europa, Japan und Amerika entsendet, um sich dort über die staatlichen und politischen Einrichtungen zu unterrichten. Der erste Entwurf eines chinesischen Zivilgesetzes wurde im August 1911 – kurz vor dem Fall der Qing-Dynastie – unter der Mitarbeit von Chinesen, die in Japan, Europa und Amerika Recht studiert hatten, sowie der japanischen Berater MATSUOKA Yoshitada SHIDA Kotaro fertig gestellt. Dieser Entwurf trat jedoch nie in Kraft. Nach Gründung der Republik China gingen die Entwurfsarbeiten weiter. Als ausländische Ratgeber standen der ehemalige französische Berater der siamesischen Regierung, G. Padoux, zwei japanische Berater, ITAKURA Matsutaru und IWATA Shin, sowie seit 1921 Jean Escarra, damals Professor für Handelsrecht an der juristischen Fakultät in Grenoble, zur Verfügung. In den Jahren 1925/26 wurde ein zweiter Entwurf eines chinesischen Zivilgesetzes erarbeitet. Die Verabschiedung dieses zweiten Entwurfs scheiterte aber an innerchinesischen Machtkämpfen. Ende 1928 wurden die Arbeiten fortgesetzt. Als ausländischer Berater fungierte weiterhin G. Padoux. Das Zivilgesetz der Republik China wurde schließlich in den Jahren 1929 bis 1931 verkündet und in Kraft gesetzt.
Es ist durch mehrere Faktoren geprägt: Erstens wurden bei seiner Ausarbeitung die Entwürfe von 1911 und 1925/26 zugrunde gelegt. Das Gesetz ist damit die Vollendung der Arbeiten, die Anfang des 20. Jahrhunderts in China begonnen wurden. Zweitens lagen den Verfassern des Gesetzes zahlreiche ausländische Kodifikationen vor: Genannt werden das schweizerische Zivilgesetzbuch vom 1912, das schweizerische Obligationenrecht von 1881/1911, das russische Zivilgesetzbuch von 1922, das japanische Zivilgesetz (1898) und Handelsgesetz (1890), das türkische Obligationenrecht und Handelsgesetz (1926) (Türkisches Zivilgesetzbuch und Obligationenrecht), das siamesische Zivil- und Handelsgesetzbuch von 1923/25, der italienische Entwurf eines Handelsgesetzbuches, das brasilianische Zivilgesetz von 1916 sowie ein französisch-italienischer Entwurf eines gemeinsamen Obligationenrechts vom 1927. Vor allem aber wird dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch ein maßgeblicher Einfluss auf das Zivilgesetz zugeschrieben. Hierzu vermutet Karl Bünger, dass dieser Einfluss auf die kurze Tätigkeit der deutschen juristischen Fakultät in Qingdao – Hauptort der 1898 für 99 Jahre vom Deutschen Reich gepachteten Gebietes um die Bucht von Jiaozhou – zurückzuführen sei, die für die deutsche Rechtswissenschaft geworben habe. Eine gewisse Rolle wird auch die Tatsache gespielt haben, dass Deutschland als erster europäischer Staat nach dem Ersten Weltkrieg mit der „Deutsch-chinesischen Vereinbarung zur Wiederherstellung des Friedenszustandes“ (1921) seine exterritorialen Rechte in China aufgab und damit die Republik China als gleichberechtigten Staat anerkannte.
Nach der Machtergreifung durch die Kommunisten auf dem chinesischen Festland im Jahr 1949 wurde das Zivilgesetz außer Kraft gesetzt. Zwischen 1949 und 1978 diente die Gesetzgebung in der Volksrepublik China primär den Grundanliegen der Sozialreform und der Machtsicherung der Kommunistischen Partei. Erst die Politik der „Reform und Öffnung“, die von DENG Xiaoping Ende des Jahres 1978 eingeleitet wurde, führte in China zu einem wirtschaftlichen Aufschwung, der nach Rechtssicherheit und damit nach der Verabschiedung von Gesetzen verlangte.
Das chinesische Zivilrecht besteht derzeit aus verschiedenen Gesetzen, die zusammengenommen den Regelungsbereich des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches umfassen. Zu nennen sind erstens die „Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts“ (AGZR) aus dem Jahr 1986, die wie ein Allgemeiner Teil eines umfassenden Zivilgesetzes erscheinen, aber auch Regelungen zur juristischen Person sowie zum Schuldrecht, Sachenrecht, Deliktsrecht und internationalen Privatrecht enthalten. Zweitens wurde im März 1999 das „Vertragsgesetz der Volksrepublik China“ verabschiedet, das im Oktober 1999 in Kraft getreten ist. Mit seinen 428 Paragraphen bildet es das bislang umfangreichste Regelungswerk der Volksrepublik China. Seine Verabschiedung gilt als eines der wesentlichen Gesetzgebungswerke in der Volksrepublik. Neben Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts, die in einem allgemeinen Teil zusammengefasst sind, schließt das Vertragsgesetz auch einen besonderen Teil ein, in dem fünfzehn Vertragstypen geregelt sind. Ein Sachenrechtsgesetz wurde nach langen, vor allem ideologisch geprägten Diskussionen im März 2007 verabschiedet. Ehe-, Adoptions- und Erbrecht werden jeweils in eigenen Gesetzen geregelt, die zum Teil erst kürzlich revidiert wurden.
Bis zum Jahr 2010 sollen das Deliktsrecht und das internationale Privatrecht revidiert und zusammen mit den bereits verabschiedeten Gesetzen sowie einem einführenden Allgemeinen Teil als Zivilgesetzbuch der Volksrepublik China zusammengefasst werden.
2. Rechtsberatung
Bereits bei der Kodifikation des chinesischen Privatrechts am Ende der Qing-Dynastie hat sich der Gesetzgeber ausländischer Berater bedient, um sich über mögliche Regelungsvorbilder im Ausland zu informieren. Diese Beratung hat sich nach der Ausrufung der Volksrepublik China fortgesetzt. Waren es zunächst die sowjetischen Berater, die den Chinesen beim Aufbau eines sozialistischen Rechts helfen sollten, sind seit Einführung der Politik der „Reform und Öffnung“ im Jahr 1978 eine Vielzahl von nationalen und internationalen Beratern tätig. Zu nennen ist etwa die Weltbank, die Asian Development Bank, die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit aus Deutschland und eine Vielzahl US-amerikanischer Institutionen.
Bei der Rechtsberatung ist jedoch zu bemerken, dass die Berater nicht unmittelbar am Entwurf neuer Regelungen beteiligt sind, die dann vom chinesischen Gesetzgeber übernommen werden. Ihre Rolle beschränkt sich auf die eines Ideenlieferanten. Der chinesische Gesetzgeber legt Wert auf eine autonom chinesische Form der Gesetzgebung, so dass Aussagen darüber, welchem ausländischen Vorbild er den Vorzug gegeben hat, von ihm nicht getroffen werden. Da außerdem verschiedene Institutionen in der Beratung tätig sind, ist es schwierig, den Erfolg der Beratungsarbeit zu messen oder gar festzustellen, welchem ausländischen Vorbild der chinesische Gesetzgeber im konkreten Fall gefolgt ist. Rückschlüsse lassen sich aber mit Hilfe von Materialien ziehen, die seit einiger Zeit vom chinesischen Gesetzgeber nach Verabschiedung eines Gesetzes veröffentlicht werden. Diese enthalten zum Teil nämlich Übersetzungen ausländischer Kodifikationen, die im Gesetzgebungsverfahren Berücksichtigung gefunden haben. In der chinesischen Rechtswissenschaft ist es inzwischen auch durchaus üblich, chinesische Rechtsinstitute rechtsvergleichend anhand ausländischer Vorbilder zu erklären, so dass dadurch in einem gewissen Umfang Einblick gewährt wird.
3. Beispiele für ausländische Einflüsse
Bei den Entwurfsarbeiten zum Vertragsgesetz, welches im Jahr 1999 verabschiedet wurde, wurden erstmals relativ umfassend die Materialien veröffentlicht, welche dem chinesischem Gesetzgeber vorlagen. Ein vom Zivilrechtsbüro des Rechtssetzungsausschusses des Nationalen Volkskongresses herausgegebenes Buch führt beispielsweise zu den jeweiligen Paragraphen des Vertragsgesetzes die ausländischen Rechtsnormen an, an denen man sich bei den Entwurfsarbeiten orientiert hat oder die man doch zumindest zur Kenntnis genommen hat. Darunter finden sich – häufig an erster Stelle angeführt – das deutsche BGB, der französische Code civil, der italienische Codice civile, aber auch das japanische und taiwanische Zivilgesetz und der US-amerikanische UCC. Im Hinblick auf das internationale Einheitsrecht wurden das UN-Kaufrecht (Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)) und die UNIDROIT PICC berücksichtigt. Dass die PECL, deren chinesische Übersetzung erst im Jahr 1999 veröffentlicht wurde, keine Berücksichtigung finden konnten, ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Entwurfsarbeiten zum Vertragsgesetz bereits im Jahr 1993 begannen und ein erster Entwurf bereits im Januar 1995 fertig gestellt wurde.
Obwohl keine umfassende Studie dazu vorliegt, welchen Vorbildern der chinesische Gesetzgeber in den einzelnen Regelungen des Vertragsgesetzes gefolgt ist, kann doch festgestellt werden, dass dem Gesetz nicht durchgängig ein Vorbild zugrunde liegt. Vielmehr wurde das Gesetz aus Einzelregelungen zusammengestellt, die in unterschiedlichen ausländischen Vorbildern vorgefunden wurden. Soweit internationales Einheitsrecht vorlag, hat ihm der chinesischen Gesetzgeber häufig den Vorzug gegeben, weil sich dieses erstens als modernstes Vorbild präsentierte und sich zweitens weitgehend der Lagerkämpfe entzog, welche in China zwischen Rechtswissenschaftlern ausgetragen wird, die in verschiedenen Ländern außerhalb Chinas ihre Ausbildung genossen haben und daher für eine Übernahme des Rechts dieses Landes eintreten.
Beim chinesischen Sachenrechtsgesetz, welches im Jahr 2007 verabschiedet wurde, zeigt sich ein deutlicher Einfluss des kontinental-europäischen Rechts vor allem in der Diskussion über bestimmte Rechtsinstitute. In der Rechtswissenschaft wurde ausführlich debattiert, ob man dem deutschen Trennungs- und Abstraktionsprinzip oder dem französischen Einheitsprinzip folgen sollte. Der Gesetzgeber hat sich schließlich dafür entschieden, das Konsensprinzip verbunden mit einem Kundgabeakt (Eintragung bzw. Übergabe) zu normieren, wie dies bereits in den AGZR aus dem Jahr 1986 vorgesehen war. Damit folgt China (wohl auch beeinflusst durch eine entsprechende Regelung im Zivilgesetz der ehemaligen DDR) einem Mittelweg, nämlich der Lehre vom titulus und modus aus dem römisch-gemeinen Recht, wie dies in Europa Österreich, die Niederlande und Spanien tun. Im Hinblick auf das Publizitätsprinzip hat sich der chinesische Gesetzgeber bei unbeweglichen Sachen für das deutsche Eintragungsprinzip (mit konstitutiver Wirkung) und gegen das Transkriptionsprinzip entschieden, bei dem die Eintragung nur dazu dient, das Recht Dritten entgegensetzen zu können.
4. Einfluss des europäischen Rechts auf chinesische Rechtswissenschaft
In der chinesischen Rechtswissenschaft ist ebenfalls ein deutlicher Einfluss des europäischen Rechts spürbar. Dies zeigt sich etwa in Lehrbüchern, wenn in einen rechtsvergleichenden Einstieg zu einem bestimmten Rechtsinstitut des chinesischen Rechts Vorbilder des deutschen und französischem Rechts sowie in jüngerer Literatur nunmehr auch des Einheitsrechts zitiert werden.
Allmählich entwickelt sich in der Volksrepublik China das Genre einer rechtswissenschaftlichen Kommentarliteratur. Das Zitieren im Allgemeinen und von Gerichtsentscheidungen im Besonderen ist jedoch (noch) nicht üblich, so dass zurzeit offen ist, ob die Rechtswissenschaft in China dazu übergehen wird, auch ausländische Gerichtsentscheidungen (etwa aus Deutschland) heranzuziehen, wie man dies beispielsweise in Kommentaren zum koreanischen Zivilgesetz vorfindet.
Literatur
Karl Bünger, Das neue chinesische BGB: Seine Entstehungsgeschichte und Systematik, Blätter für Internationales Privatrecht 1931, Sp. 258 ff.; Ping-Sheung Foo, Introduction, in: The Civil Code of the Republic of China, Bd. I-V, 1931 (übersetzt von Ching-Lin HSIA, James L.E. CHOW, Liu CHIEH, Yukon CHANG); Karl Bünger, Zivil- und Handelsgesetzbuch sowie Wechsel- und Scheckgesetz von China, 1934; Jean Escarra, Le droit Chinois, 1936; Ulrich Manthe, Bürgerliches Recht und Bürgerliches Gesetzbuch in der Volksrepublik China, in: Jahrbuch für Ostrecht 28 (1987) 11 ff.; Robert Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, 2. Aufl. 2002; Dahan Huang, The UNIDROIT Principles and their influence in the modernisation of Contract Law in the People’s Republic of China, Uniform Law Review 2003, 107 ff.; Xiaoyan Baumann, Das neue chinesische Sachenrecht, 2006; Oliver Simon, Bericht der chinesischen Studienkommission aus dem Jahr 1906 über ihren Besuch in Deutschland, Zeitschrift für Chinesisches Recht 2006, 77 ff.; Hinrich Julius, Gebhard M. Rehm, Das chinesische Sachenrechtsgesetz tritt in Kraft, Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 106 (2007) 367 ff.; Hinrich Julius, Institutionalisierte rechtliche Zusammenarbeit: Die Erfahrung der GTZ in China, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 72 (2008) 55 ff.