Vertragsaufhebung und Vertragsfreiheit: Unterschied zwischen den Seiten

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== 1. Gegenstand und Zweck ==
== 1. Gegenstand und Zweck ==
=== a) Bestimmung des Begriffs ===
Privatautonomie ist „die Befugnis, innerhalb der Grenzen des dispositiven Rechts die privaten Angelegenheiten im Wege des Rechtsgeschäfts zu regeln“ (Motive). Die Vertragsfreiheit als zentrales Element der Privatautonomie folgt aus der Funktion des [[Vertrag]]es: Die staatlich sanktionierte Bindung an den Vertrag eröffnet die Möglichkeit der Kooperation durch den Austausch von Leistungen zwischen Fremden. Zu welchen Leistungen und wem gegenüber eine solche Selbstbindung erfolgt, entscheiden die Privatrechtssubjekte. Legte der Staat hingegen die Parteien (Abschlussfreiheit) und mittels zwingenden Rechts (''ius cogens'') den Inhalt des Schuldverhältnisses (Inhaltsfreiheit) fest, würde nicht nur die Vertragsfreiheit aufgehoben, was nach verfassungsrechtlicher Dogmatik der Institutsgarantie der Vertragsfreiheit zuwider liefe, vielmehr könnte schon nicht mehr von einem „Vertrag“ gesprochen werden. Wenn gleichwohl oft zu lesen ist, die Geschichte der Vertragsfreiheit sei die Geschichte ihrer Einschränkung, muss zugleich an ein bekanntes Zitat ''Sir Henry'' ''Maines'' erinnert werden, dass die Entwicklung von primitiven Gesellschaftsformen zum klassischen [[Römisches Recht|römischen Recht]] die Entwicklung ''from status to contract'' war.  
Unter Vertragsaufhebung im Sinne des europäischen Vertragsrechts versteht man die einseitige Abstandnahme einer Partei von einem Vertrag wegen [[Nichterfüllung]] einer Vertragspflicht. Das Funktionsäquivalent hierzu ist in Deutschland der gesetzliche Rücktritt, in Frankreich die ''résolution'', in England die ''termination''. Die Vertragsaufhebung befreit die Parteien von ihren Rechten und Pflichten für die Zukunft (so der Rücktritt im [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]]) oder mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses (so die ''résolution'' im französischen ''[[Code civil]]''). Falls eine Partei bereits geleistet hat, kann die Vertragsaufhebung zur [[Rückabwicklung von Verträgen|Rückabwicklung des Vertrages]] führen. Voraussetzung der Vertragsaufhebung ist im europäischen Vertragsrecht die Nichterfüllung einer Vertragspflicht durch die andere Partei. Nicht darunter fällt deshalb die Anfechtung des Vertrages aufgrund eines [[Irrtum]]s, einer [[Täuschung]] oder einer [[Drohung]]. Ebensowenig erfasst der technische Begriff der Vertragsaufhebung die einverständliche Auflösung des Vertrages durch die Parteien.


=== b) Funktion ===
Strukturelle Normen, die vom Wesen des Vertrages abgeleitet werden können, sind von Eingriffen in die Vertragsfreiheit zu unterscheiden, die vertragsexterne, aus der Rechtsordnung im übrigen gewonnene Maßstäbe an den Vertrag anlegen. Zurechnungsnormen, die die Voraussetzungen formulieren, unter denen Gerichte die Erklärungen der Parteien, insbesondere den Vertragsschluss, als „freiwillig“, also selbstverantwortet bewerten, enthalten die Bedingungen der Möglichkeit eines Vertrages und können daher wiederum nicht selbst vertraglich determiniert werden. Beispiele sind das Erfordernis der Geschäftsfähigkeit und die Regeln über den Irrtum. Welchen ''Grad'' ''an Selbstverantwortung'' eine Person im Rechtsverkehr aufbringen muss und wie sie näher zu bestimmen ist, berührt die Fundamente der Privatrechtsordnung und ist Gegenstand grundsätzlicher Kontroversen. Zwar erheben die Vertreter der rivalisierenden Schulen wechselseitig den Vorwurf, die jeweils andere Position verkenne die Prämissen der Privatautonomie, gemeinsames Ziel der Theorien ist jedoch Verwirklichung, nicht Aufhebung der Vertragsfreiheit. Keine Schranken sind ferner alle Regeln, die die ''Bindung an den Vertrag'' verwirklichen, etwa die Anordnung von [[Schadensersatz]] bei einer Vertragsverletzung. Die zwangsweise Durchsetzung des aus dem Vertrag erwachsenden subjektiven Rechts ist der Vertragsfreiheit nicht hinderlich, sondern dieser immanent: Das Wesen des Rechtsgeschäfts ist ein sich betätigender Wille des Individuums, den die Rechtsordnung dadurch anerkennt, dass sie die gewollte rechtliche Gestaltung „in der Rechtswelt verwirklicht“ (Motive). Ebenfalls bereits prinzipiell keine externe Einschränkung der Vertragsfreiheit ist die Existenz dispositiven Rechts. Weil Vertragsparteien unter realen Bedingungen ihren Willen stets lückenhaft artikulieren, bedarf es ergänzenden Rechts, das, da es die Intention der Parteien nur vervollständigen aber nicht derogieren soll, ''dispositiv'' sein muss. Idealtypisches Beispiel ist § 269 Abs. 1 BGB.
Zweck der Vertragsaufhebung ist es, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Interesse der benachteiligten Partei an einer effektiven Sanktion für die Nichterfüllung und den Interessen der Rechtsordnung und der vertragsbrüchigen Partei an der Aufrechterhaltung des Vertrages zu finden.


Einerseits kann die benachteiligte Partei infolge der Vertragsverletzung ein Interesse an der Vertragsaufhebung haben. Auf der anderen Seite beschränken grundsätzlich alle Rechtsordnungen die Vertragsaufhebung auf Vertragsverletzungen, die ein bestimmtes Gewicht haben. Ein Grund dafür liegt in der Überlegung, dass die Aufhebung des Vertrages dem allgemeinen Grundsatz ''pacta sunt servanda'' widerspricht. Die Parteien sollen sich nur in Ausnahmefällen von ihren vertraglichen Pflichten lossagen können. Ein zweiter Grund für die Beschränkung der Vertragsaufhebung ergibt sich aus wirtschaftlichen Überlegungen. Eine Vertragsaufhebung führt häufig zur Rückabwicklung des Vertrages, die mit nicht unerheblichen Kosten und Risiken verbunden sein kann, z.B. wenn die Kaufsache zurück zum Verkäufer transportiert werden muss. Des Weiteren kann die Vertragsaufhebung die nicht leistende Partei insofern beeinträchtigen, als der von ihr bereits zur Vorbereitung der Leistung betriebene Aufwand sich im Nachhinein als vergeblich herausstellt. Schließlich bewirkt die Aufhebung des Vertrages, dass die nicht leistende Partei einem Risiko in Bezug auf die Verwertbarkeit der Leistung am Markt ausgesetzt ist, das entsprechend des Vertrages von der benachteiligten Partei zu tragen war.
Dagegen wird die Vertragsfreiheit aufgrund externer Erwägungen eingeschränkt, wenn Verträgen die Anerkennung versagt wird, die von der Rechtsordnung ''missbilligte'' Zwecke verfolgen, etwa weil sie auf die Begehung einer Straftat gerichtet sind. Die Unwirksamkeit folgt aus dem Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Einschränkungen der Vertragsfreiheit, mit denen ein Regelungsziel verfolgt wird, das nicht der Verwirklichung der Intention der Parteien und auch nicht der Verhinderung missbilligter Zwecke dient, bedürfen als intensivste Form des externen Eingriffs stets ''besonderer'' Rechtfertigung. Paradigmatisch sind solche Normen, die mittels zwingenden Rechts den Inhalt der Verträge bestimmen, etwa die Höhe des Entgelts festlegen, das Ende von [[Dauerschuldverhältnisse]]n regulieren, oder Bedingungen der Wahl des Vertragspartners formulieren, wie etwa die Regelungen zum Schutz gegen Diskriminierung ([[Diskriminierungsverbot im allgemeinen Vertragsrecht]]).
 
=== c) Historischer Hintergrund ===
Das [[Römisches Recht|römische Recht]] kannte kein allgemeines Recht auf Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung einer Vertragspflicht. Jedoch wurde das Prinzip ''pacta sunt servanda'' nie ausnahmslos durchgesetzt. So konnte beispielsweise ein Kaufvertrag aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen der ''actio redhibitoria'' vorlagen. Danach konnte sich ein Käufer vom Vertrag lösen, wenn die Kaufsache nicht die zugesicherten Eigenschaften aufwies oder er arglistig getäuscht wurde (Details zu den sog. adilizischen Rechtsbehelfen, zu denen auch die ''actio redhibitoria'' gehörte, unter dem Stichwort [[Minderung]]). Das BGB wagte am Ende des 19. Jahrhundert den Bruch mit der römischen Tradition und erkannte ein allgemeines Rücktrittsrecht an. Das Recht zum Rücktritt basierte auf dem Gedanken der ''lex commissoria''. Hiernach enthält jeder Vertrag eine stillschweigende Vereinbarung, dass ein Rücktritt unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein soll, z.B. bei Unmöglichkeit der Leistungserbringung, Schuldnerverzug oder positiver Vertragsverletzung.
 
Die Vertreter des [[Naturrecht]]s hatten eine andere dogmatische Begründung für die Vertragsaufhebung entwickelt. Die Pflichten der Parteien eines synallagmatischen Vertrages sind demnach insofern voneinander abhängig, als die Nichterfüllung einer Vertragspflicht dazu führt, dass die andere Partei nicht zu leisten verpflichtet ist und das Recht erlangt, vom Vertrag Abstand zu nehmen. Ausdruck gefunden hat diese Lehre in Art. 1184 frz. ''Code civil''. Hiernach enthält ein synallagmatischer Vertrag eine stillschweigend vereinbarte auflösende Bedingung für den Fall, dass eine Partei ihre Pflichten nicht erfüllt.


== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
== 2. Tendenzen der Rechtsentwicklung ==
International ist eine Tendenz zu beobachten, die Vertragsaufhebung zurückzudrängen – insbesondere im internationalen Kaufrecht ([[Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)]]). Sie findet sich etwa im CISG, in den [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT PICC]], in den [[Principles of European Contract Law|PECL]], im [[Common Frame of Reference|DCFR]], in der Verbrauchsgüterkauf-RL (RL 1999/44) ([[Verbrauchsgüterkauf]]) und im neuen deutschen Kaufrecht ([[Kauf]]). Bei näherer Betrachtung dieser Regelwerke lassen sich drei Instrumente herausarbeiten, die eingesetzt werden, um die Vertragsaufhebung (allein oder kombiniert) zurückzudrängen: die Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung ([[Vertrag]]), das Nachfristmodell und die Abwendungsbefugnis der nicht erfüllenden Partei.
=== a) Wirtschaftsordnung ===
 
Sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen der Ausübung der Vertragsfreiheit als auch hinsichtlich externer Einschränkungen der Vertragsfreiheit hat im Laufe des 20. Jahrhunderts in den meisten westeuropäischen Staaten und in der [[Europäische Union|Europäischen Union]] eine restriktive, die Privatrechtssubjekte zu ihrem Schutz bevormundende Sichtweise (Paternalismus) die Oberhand gewonnen. Dies ist bemerkenswert, weil in der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts einerseits die [[europäische Wirtschaftsverfassung]] mit Wettbewerbsrecht und [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]] auch und gerade auf europäischer Ebene die faktischen Rahmenbedingungen des Marktes verbessert hat, und andererseits mit dem Ausbau des Sozialstaats die Zahl und Intensität materieller Notlagen, die die Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen, faktisch stark gemindert wurde. Mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme in Osteuropa erlebt die Vertragsfreiheit allerdings gegenwärtig wieder eine neue Blütezeit.
(i)&nbsp;Die Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung lässt die Vertragsaufhebung nur zu, wenn die Vertragsverletzung dazu geführt hat, dass das Interesse der anderen Partei am Vertrag weggefallen ist. Eine wesentliche Vertragsverletzung berechtigt sowohl im CISG (Art.&nbsp;49(1)(a)) als auch unter den UNIDROIT PICC (Art. 7.3.1(1)), den PECL (Art.&nbsp;9:301(1)) und dem DCFR (Art.&nbsp;III.-3:502) zur Vertragsaufhebung. Auf nationaler Ebene findet man das Konzept der wesentlichen Vertragsverletzung insbesondere im Kaufrecht skandinavischer Länder und solcher Staaten, die sich vom CISG haben inspirieren lassen, z.B. in Estland. Ähnlichkeiten bestehen ferner zum englischen Recht, das ein Recht zur Vertragsaufhebung vorsieht, wenn die verletzte Vertragsbestimmung eine ''condition'' (und nicht nur eine ''warranty'') darstellt; eines der Kriterien bei der Abgrenzung von ''condition'' und ''warranty'' ist, ob die benachteiligte Partei durch die Vertragsverletzung den mit dem Vertrag bezweckten Vorteil verlieren würde; siehe ''Hong Kong Fir Shipping Co Ltd v. Kawasaki Kisen Kaisha Ltd''<nowiki> [1962] 2 QB 26, 70 (CA).</nowiki>


(ii)&nbsp;Das Nachfristmodell ist das zentrale Element der Rücktrittsvorschriften im neuen deutschen Schuldrecht. Eine Vertragsaufhebung (Rücktritt) ist grundsätzlich erst nach erfolglosem Ablauf einer vom Gläubiger gesetzten Nachfrist möglich. Der Schuldner erhält mithin eine zweite Chance zur Leistung oder Nacherfüllung und kann die Vertragsaufhebung noch abwenden. Das System der Nachfristsetzung findet man – in eingeschränkter Form – ebenfalls im CISG (Art.&nbsp;49(1)(b)), in den UNIDROIT PICC (Art.&nbsp;7.3.1(3)), in den PECL (Art.&nbsp;9:301(2) in Verbindung mit Art.&nbsp;8:106(3)) und im DCFR (Art.&nbsp;III.-3:503).
Das Wettbewerbsrecht beruht zwar auf materiellen Kriterien, da es danach trachtet, die realen Bedingungen der Vertragsfreiheit im Sinne von realen Auswahlmöglichkeiten zu verbessern und in das Marktgeschehen mit einer Vielzahl von Maßnahmen, insb. zur Verhinderung von Monopolen, einzugreifen, jedoch ist der ordnungspolitische Rahmen des Marktes ohne die Autarkie des darin wirkenden, von privater Initiative getragenen Vertragsrechts sinn- und zwecklos. Die Beschränkung auf die möglichst unverfälschte Durchsetzung des Parteiwillens ist nicht zuletzt auch eine Forderung der ökonomischen Analyse, für die der Vertrag in einer idealen Welt ohne Transaktionskosten und externe Effekte Ausgangs- und Endpunkt effizienter Güterallokation ist.


(iii)&nbsp;Viele Rechtsordnungen geben der nicht erfüllenden Partei das Recht, den Vertragsbruch auf für die andere Partei zumutbare Weise zu heilen und so die Vertragsaufhebung aus eigener Initiative zu verhindern (Abwendungsbefugnis durch [[Nacherfüllung]]). Das Recht zur Heilung spielt eine wichtige Rolle in den UNIDROIT PICC (Art.&nbsp;7.1.4) und im DCFR (Art.&nbsp;III.-3:202). In den PECL kann eine Partei nur dann eine Nichterfüllung heilen, wenn das ursprüngliche Angebot als nicht vertragsgerecht zurückgewiesen wurde (Art.&nbsp;8:104). Auch im CISG steht dem Verkäufer nach heutigem Meinungsstand ein Heilungsrecht zu (Art.&nbsp;48(1)). In nationalen Rechtsordnungen findet sich ein entsprechendes Recht der nicht erfüllenden Partei unter anderem in §&nbsp;2.508(2) UCC, im niederländischen und italienischen Recht sowie in den nordischen Rechten.
=== b) Prozedurale und materielle Ansätze ===
Hinsichtlich der Maßstäbe der Verantwortlichkeit bei [[Vertragsschluss]] wird traditionell zwischen prozeduralen und materiellen Theorien unterschieden. Als „prozedural gerecht“ wird dabei ein Vertrag angesehen, wenn die vertragschließende Person grundsätzlich zu rechtsgeschäftlichem Handeln in der Lage ist und keine den Prozess des Vertragsschlusses störenden Faktoren vorgelegen haben. Als solche die Freiwilligkeit ausschließenden Gründe gelten klassischerweise Zwang und [[Irrtum]]. Materielle Ansätze stellen demgegenüber auf den Inhalt des Vertrages ab. Ein Beispiel ist die ''[[Laesio enormis|laesio enormis]]'' des gemeinen Rechts (''[[Ius commune (Gemeines Recht)|ius commune]]''), heute etwa §&nbsp;934 ABGB, wonach eine Unterschreitung des „wahren“ Wertes um die Hälfte als solche bereits zur Unwirksamkeit führen kann. Bei diesem Ansatz wird ein ''iustum pretium'' nicht von den Parteien selbst bestimmt, sondern vom Staat, womit letztlich externe Schranken gesetzt werden. Die vielzitierte These ''Walter'' ''Schmidt-Rimplers'' von der „Richtigkeitsgewähr“ des Vertrages ist Teil einer materiellen Theorie, die zwar zunächst an prozedurale Elemente anknüpft, den Vertrag als bloßes Ordnungsmittel aber unter den Vorbehalt der externen Kontrolle des Ergebnisses stellt. Nach wohl auch rechtsvergleichend geteiltem heutigem Verständnis bedürfen demgegenüber zwar der Vertrag wie das Eigentum notwendig der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung, doch sind deren Regeln wiederum am Ideal der Vertragsfreiheit und damit der Befugnis zur prinzipiell eigenverantwortlichen Gestaltung der Rechtsverhältnisse zu messen.


== 3. Einzelausgestaltung der Vertragsaufhebung im Einheitsrecht ==
Die ursprüngliche Position des deutschen und französischen Rechts betont die prozeduralen Maßstäbe, die jedoch gelegentlich mit materiellen Kriterien kombiniert werden. Formal-prozedurale Elemente sind im englischen Recht heute noch dominant. Das [[Bürgerliches Gesetzbuch|BGB]] sah neben Regeln der [[Geschäftsfähigkeit]] und der Willensmängel [[Drohung]], [[Täuschung]] und [[Irrtum]] keine sonstigen, die Wirksamkeit der Willenserklärung einschränkenden Bedingungen vor (vgl. im französischen Recht ''erreur'', Art.&nbsp;1110, ''violence'', Art.&nbsp;1112, ''dol'', Art.&nbsp;1116 des ''Code civil''). Ein auffälliges Missverhältnis der Leistungen reichte nach §&nbsp;138 Abs.&nbsp;2 BGB zur Unwirksamkeit nur aus, wenn zudem die Zwangslage oder die Unfähigkeit der benachteiligten Partei „ausgebeutet“ wurden (im Ausgangspunkt die Unwirksamkeit wegen ''lésion'' ablehnend auch das französische Recht, vgl. Art.&nbsp;1118 ''Code civil'' mit Ausnahmen, etwa Art.&nbsp;1674 bezüglich Grundstücken). Aufgegeben wurde das Erfordernis eines Willensdefizits auch später nicht, jedoch verlegte die Rechtsprechung den Schwerpunkt auf die materiellen Kriterien, als sie bei „wucherähnlichen“ Rechtsgeschäften dazu überging, bei Vorliegen materiell bestimmter Nachteile prozedurale Mängel zu vermuten (RG 13.3.1936, RGZ 150,&nbsp;1).
Eine Normierung der Vertragsaufhebung muss folgende Fragen beantworten: Unter welchen Voraussetzungen ist die benachteiligte Partei zur Vertragsaufhebung berechtigt? Wie wird das Recht auf Vertragsaufhebung ausgeübt? Welche Rechtsfolgen hat die Vertragsaufhebung?


=== a) Aufhebungsgründe ===
Verhältnismäßig früh wurden in Deutschland Regelungen in [[Allgemeine Geschäftsbedingungen|Allgemeinen Geschäftsbedingungen]] inhaltlich überprüft (zunächst auf der Grundlage von § 138 BGB sowie [[Treu und Glauben]] ohne explizite gesetzliche Ermächtigung, nunmehr Klausel-RL<nowiki> [RL&nbsp;93/13], §§&nbsp;305&nbsp;ff. BGB). Obwohl sich die Rechtsprechung dabei vom „Gerechtigkeitsgehalt“ des dispositiven Rechts leiten lässt (BGH 17.2.1964, </nowiki>BGHZ 41,&nbsp;151), beruht der richterliche Eingriff in den Vertrag auf einem im Kern prozeduralen Manko, denn es ist angesichts knapper Verhandlungsressourcen nicht durchweg praktikabel, den Inhalt vorgefertigter Klauseln auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Daneben gab es immer schon extern, gesamtwirtschaftlich motivierte Einschränkungen, etwa den Kontrahierungszwang bei Transportverträgen.
Ausgangspunkt der Vertragsaufhebung ist in den modernen Regelwerken ein einheitlicher Tatbestand der [[Nichterfüllung]] (Art.&nbsp;8:101(1) PECL; Art.&nbsp;7.1.1 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;45(1) CISG; Art.&nbsp;III.-3:101 DCFR). Hierunter fallen etwa die Schlechtleistung, die Nichterbringung der Leistung im Erfüllungszeitpunkt (unabhängig davon, ob die Leistung zu früh, zu spät oder gar nicht erbracht wird) oder die Verletzung von Nebenpflichten.


Auf dieser Basis sehen alle Vereinheitlichungsprojekte grundsätzlich zwei Gründe vor, die zur Vertragsaufhebung berechtigen: die wesentliche Vertragsverletzung und die Nichtleistung nach Ablauf einer Nachfrist (Art.&nbsp;9:301 PECL; Art.&nbsp;7.3.1 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;49(1) CISG; Art.&nbsp;III.-3:502, 3:503 (DCFR)).  
=== c) Vertragsparität und sozialer Rechtsstaat ===
Für den Strukturwandel seit dem Ende des 19.&nbsp;Jahrhunderts steht also eine andere Entwicklung, die ''Ludwig'' ''Raiser'' schon 1958 mit den Worten zusammenfasst, dass das dem BGB zugrunde liegende Leitbild der „freien selbstverantworteten Persönlichkeit“ nicht „unverändert“ übernommen werden könne. In den siebziger Jahren attestierte sodann ''Ernst A.'' ''Kramer'' liberalem Vertragsdenken eine „Krise“. Diese bereits von zeitgenössischen Kritikern des BGB formulierte Gegenposition zu seinem Prinzip „formal gleicher Freiheit“ (''Joachim'' ''Rückert'') hält vordergründig an der prozeduralen Konzeption des Vertrages fest, bestimmt die Freiwilligkeit des Vertragsschlusses aber nun nicht mehr allein negativ-„formal“, durch die Abwesenheit von Zwang oder Irrtum, sondern verlangt positiv, dass den Vertragsparteien „reale“ Entscheidungsfreiheit zukommt. Begrifflich kommt dies unter anderem in der Forderung nach „Vertragsparität“ zum Ausdruck (so insb.'' Günther Hönn'', der den Ansatz des BAG 31.10.1969, NJW 1970, 1145,'' ''aufnimmt; in England steht ''Patrick'' ''Atiyah'' für eine ähnliche Analyse; dagegen ist ''Lord Dennings'' Ansatz einer ''inequality of bargaining power'' in ''Lloyd’s Bank Ltd v. Bundy''<nowiki> [1975] 1 QB 326 (CA), isoliert geblieben). Sei die Parität „gestört“, drohe Fremdbestimmung und das Vertragsrecht müsse „kompensierend“ zum Schutz der schwächeren Partei eingreifen. Der Höhepunkt dieser Entwicklung dürfte mit der sog. „Bürgen-Entscheidung“ des BVerfG vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214, erreicht worden sein, in der das BVerfG die Zivilgerichte nachdrücklich aufforderte, jeden materiell für eine Seite ungewöhnlich nachteiligen Vertrag daraufhin zu überprüfen, „ob die vereinbarte Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke ist“. Die Kehrseite des wohlmeinenden Schutzes der „schwächeren“ Partei, wie jedes paternalistischen Ansatzes, ist die Übertragung der Verantwortung auf den Staat und die Einschränkung der Fähigkeit des Einzelnen, insofern rechtsgeschäftlich tätig zu sein.</nowiki>


In Bezug auf die Frage, wann eine Nichterfüllung wesentlich ist, zeigen sich graduelle Unterschiede. Während sich das CISG auf eine Generaldefinition in Art.&nbsp;25 beschränkt, geben die UNIDROIT PICC, die PECL und der DCFR dem Gesetzesanwender nähere Kriterien zur Bestimmung der Wesentlichkeit an die Hand. Nach allen Regeln liegt eine wesentliche Nichterfüllung vor, wenn dem Gläubiger im Wesentlichen entgeht, was er nach dem Vertrag erwarten durfte, es sei denn, dass die andere Partei das nicht vorausgesehen hat und nicht voraussehen konnte (Art.&nbsp;8:103(b) PECL; Art.&nbsp;7.3.1(2)(a) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;25 CISG; Art.&nbsp;III.-3:502(2)(a) DCFR).
Dass die Fälle, die Anlass dieser Entwicklung waren und die aus emotionaler Verbundenheit übernommene, ruinöse Bürgschaften naher Angehöriger des Hauptschuldners betrafen, mit Hilfe klassisch-prozeduraler Kategorien erfasst werden können, zeigen die Parallelentscheidungen englischer Gerichte (''Royal Bank of Scotland v. Etridge (No. 2)''[2001] UKHL 44 (HL)). Auch der auf den Vertragsschluss bezogene Verbraucherschutz ([[Verbraucher und Verbraucherschutz)]]), der den Schutz des „kleinen Mannes“ gegen den „großen Konzern“ auf der Stirn zu tragen scheint (so ''Lord Denning ''in'' George Mitchell (Chesterhall) Ltd v. Finney Lock Seeds Ltd''<nowiki> [1983] 2 AC 803 (HL)), kann überwiegend als Reaktion auf klassisch prozedurale Mängel des Vertragsschlusses rationalisiert werden, wenn diese Mechanismen auch mit groben Typisierungen operieren. Paradigmatisch dafür steht der Vertragsschluss in einer Haustürsituation, bei dem angenommen wird, dass der „überrumpelte“ Verbraucher in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt war. Auch die vielfältigen Informationspflichten (etwa über den effektiven Jahreszins eines Darlehens, §&nbsp;492 Abs.&nbsp;5 S.&nbsp;5 Nr.&nbsp;5 BGB) bezwecken einen prozedural einwandfreien Vertragsschluss und sind daher grundsätzlich gleichfalls mit klassischen Zurechnungskriterien vereinbar. </nowiki>


In diesem Rahmen ist nach allen Regelwerken zu berücksichtigen, ob die Parteien die genaue Einhaltung einer vertraglichen Verpflichtung als wesentlich vereinbart haben; so ist z.B. ist die Einhaltung der Leistungszeit bei einem Fixgeschäft von wesentlicher Bedeutung. Zum Teil wird dies ausdrücklich erwähnt (vgl. Art.&nbsp;8:103(a) PECL; Art.&nbsp;7.3.1(2)(b) UNIDROIT PICC); zum Teil wird es im Rahmen der allgemeinen Definition der wesentlichen Vertragsverletzung berücksichtigt (Art.&nbsp;25 CISG; Art.&nbsp;3:502(2)(a) DCFR). Weitere Kriterien, die zur Bestimmung der Wesentlichkeit herangezogen werden, sind das Gewicht der Nichterfüllung und – teilweise – die Frage, ob es der benachteiligten Partei zumutbar ist, die erbrachte (vertragswidrige) Leistung anderweitig zu verwenden und etwaige Einbußen im Wege des Schadensersatzes geltend zu machen.
Der Übergang von Regelungen des Vertragsrechts, die die Vertragsfreiheit prozedural ausformen, zur Förderung außerhalb des Vertrages liegender Zwecke unter den Schlagworten der Parität und des „Ethos des sozialen Rechtsstaats“ (''Franz'' ''Wieacker'') ist fließend. Die Tendenz, einzelne Vertragstypen mit präsumtiv „unterlegenen“ Vertragspartnern inhaltlich zwingend auszugestalten ([[Zwingendes Recht]]), löst sich bewusst weitgehend vom klassisch-liberalen Vertragsmodell. Die Entwicklung in Deutschland ist typisch auch für andere europäische Länder, insbesondere Frankreich (''dirigisme'', ''Code de la consommation'' von 1992). Praktisch bedeutsam sind die Regelungen des Individualarbeitsrechts sowie des „sozialen“ Mietrechts und einzelne dem Verbraucherschutzrecht zuzuordnende und zwingend ausgestaltete Vertragstypen (Verbrauchsgüterkauf ([[Kauf]]), Verbraucherdarlehen ([[Darlehen]]), Pauschalreise ([[Reisevertrag (Pauschalreisen)]]) usw.). Waren die Einschränkungen im Wohnraummietrecht zunächst jedenfalls noch durch eine Schieflage des Marktes und Wohnraumnot bedingt, so wurde die Regulierung des Arbeitsvertrages in einer Periode relativ großer Nachfrage nach Arbeitnehmern nach Ende des zweiten Weltkrieges intensiviert. Zwingend ausgestaltet sind dabei einzelne Aspekte (etwa der Urlaub des Arbeitsnehmers, die Modernisierung des Wohnraums), restriktiv reguliert ist aber vor allem die Beendigung dieser [[Dauerschuldverhältnisse]] (etwa bezüglich der Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung nach §&nbsp;1 Abs.&nbsp;3 KSchG oder dem Erfordernis der Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung des Vermieters gemäß §&nbsp;573 BGB). Darüber hinaus sind bestimmte Typen der Dienstleistung umfassend reguliert, etwa die Vergütung von ärztlicher Behandlung (u.a. Gebührenordnung für Ärzte) oder Rechtsdienstleistungen (RVG). Schließlich ist der Bereich der sog. „Daseinsvorsorge“, in dem der Staat bestimmte wirtschaftlich relevante Leistungen erbringt und damit ein Monopol in Anspruch nimmt, noch ganz überwiegend reguliert, selbst wenn in bestimmten Bereichen, wie etwa Energie und Telekommunikation, die Privatisierung und mit ihr der Wettbewerb eingesetzt hat. In diesen Bereichen ist regelmäßig ein sog. Kontrahierungszwang (als Einschränkung der Abschlussfreiheit) vorgesehen.  


In der Regel ist das Verschulden keine Voraussetzung für die Vertragsaufhebung. Allerdings können besondere Formen des Verschuldens, etwa Vorsatz oder Leichtfertigkeit, Indizien für das Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung sein (Art.&nbsp;8:103&nbsp;(c) PECL; Art.&nbsp;7.3.1(2)(c) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;3:502(2)(b) DCFR).
Welche verteilungspolitischen und gesamtwirtschaftlichen Effekte durch diese flächendeckenden Eingriffe in die Vertragsfreiheit mittels externer Schranken erzielt werden, ist ebenso umstritten, wie die grundsätzliche Frage, ob der Vertrag aus prinzipieller und ökonomischer Sicht überhaupt ein geeignetes Mittel zur Erzielung distributiver Gerechtigkeit ist. Die Gegenposition fordert dabei nicht notwendig den Abbau des Schutzes des „Schwächeren“, etwa des Arbeitnehmers oder des Mieters, sondern weist diese Aufgabe vielmehr dem Sozialstaat zu. Eine solch strenge Trennung von Privatrecht mit prozeduralem, inhaltlich neutralem Charakter und öffentlichem Recht, dem die Aufgabe zufällt, die faktischen Rahmenbedingungen freier Persönlichkeitsentfaltung zu schaffen, entspricht am ehesten auch der ursprünglichen Konzeption des BGB.


Unabhängig von der Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung berechtigen alle Regelungswerke die benachteiligte Partei zur Vertragsaufhebung, wenn diese der anderen Partei erfolglos eine angemessene Nachfrist für die Erfüllung gesetzt hat, die erfolglos abgelaufen ist (Art.&nbsp;9:301(2) PECL; Art.&nbsp;7.3.1(3) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;49(1)(b) CISG; Art.&nbsp;3:503 DCFR). Der Anwendungsbereich dieses Aufhebungsrechts ist jedoch auf Fälle der Verzögerung der Leistung beschränkt.  
Neben diesen am Marktmechanismus des Vertrages ansetzenden Schutzmechanismen geht eine neuere Tendenz dahin, die Wahl des Vertragspartners sowie die inhaltliche Gestaltung des Vertrages auf ihre Richtigkeit nach einem staatlich vorgebebenen Wertekanon hin zu überprüfen, so insb. im Hinblick auf die Gleichbehandlung der Geschlechter und den Schutz vor Diskriminierung aufgrund rassischer oder sonstiger Merkmale ([[Diskriminierungsverbot (allgemein)]]). Verträge sind danach kein Wert an sich selbst, sondern werthaltig, weil die vertraglich verfolgten Ziele anerkennenswert sind (so dezidiert insb. der perfektionistische Liberalismus des ''Joseph'' ''Raz''). Die Kritik hieran stellt nicht die mit dieser Materialisierung des Vertrages verfolgten Ziele als solche in Frage, sondern stellt lediglich die Kompetenz des Staates zur Regelung dieser nach ihrer Auffassung dem Bereich der Tugendlehre zugewiesenen Fragen in Abrede.


Schließlich hat sich das aus dem ''[[common law]]'' Rechtskreis ([[Rechtskreislehre]]) stammende Institut der [[Antizipierte Nichterfüllung|antizipierten Nichterfüllung]] als Aufhebungsgrund durchgesetzt (Art. 9:304 PECL; Art.&nbsp;7.3.3 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;72 CISG; Art.&nbsp;III.-3:504 DCFR). Hiernach kann die benachteiligte Partei schon vor Fälligkeit der Leistung den Vertrag aufheben, wenn offensichtlich ist, dass es zu einer wesentlichen Vertragsverletzung kommen wird.
== 3. Europäisches Einheitsrecht ==
Die Reichweite der Vertragsfreiheit wird in den [[Principles of European Contract Law|PECL]] einerseits und dem [[Common Frame of Reference|DCFR]] andererseits unterschiedlich interpretiert. Hauptgrund dafür ist das Bestreben des DCFR, nach entsprechender Vorarbeit der sog. ''Acquis-''Gruppe, dem Regelungsansatz des Europäischen Sekundärrechts Rechnung zu tragen, der eine verbraucherschützende Tendenz aufweist. Weil zwingendes Recht im Lichte der Privatautonomie als Anomalie erscheint, ist das Unternehmen, die Vertragsprinzipien dem gegenwärtigen ''acquis communautaire'' durch Induktion zu entnehmen, auf Widerspruch gestoßen.


=== b) Mechanismus der Vertragsaufhebung ===
Die PECL (insoweit ähnlich die [[UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts|UNIDROIT PICC]]) gehen nicht auf externe Schranken (Rechtswidrigkeit, Sittenwidrigkeit) der Vertragsfreiheit ein, bei denen die nationalen Traditionen stark divergieren. Insgesamt beschränken sich die Grundregeln auf die Kernelemente des Vertragsrechts und lassen weitgehend offen, welche der vorgesehenen Regeln überhaupt zwingenden Charakter aufweisen, der somit lediglich aus der Natur der Regelung geschlossen werden kann. Kap.&nbsp;4 regelt detailliert den Irrtum, die Täuschung und Drohung, das Ausnutzen eines Willensdefizites sowie die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Weitergehende Anforderungen an „reale“ Vertragsparität enthalten die Grundregeln nicht; insbesondere wird die Problematik der „Bürgen-Entscheidung“ mit Hilfe prozeduraler Mittel gelöst (unter Hinweis auf das Ausnutzen der Zwangslage oder Unerfahrenheit des Bürgen). Kap.&nbsp;8 und 9 beschreiben die Rechtsbehelfe zur Durchsetzung des Vertrages.
Im Gegensatz zum französischen, belgischen, italienischen und spanischen Recht, aber im Einklang mit z.B. dem deutschen Recht, bedarf es im europäischen Einheitsrecht keines gerichtlichen Verfahrens für die Vertragsaufhebung. Es genügt die Erklärung gegenüber der nicht leistenden Partei (Art.&nbsp;9:303(1) PECL; Art.&nbsp;7.3.2(1) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;26 CISG; Art.&nbsp;III.-3:507 DCFR). Diese Erklärung muss innerhalb angemessener Frist vorgenommen werden, nachdem die benachteiligte Partei von der Nichterfüllung erfahren hat oder hätte erfahren müssen (Art. 9:303(2) PECL; Art.&nbsp;7.3.2(2) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;49(2) CISG; Art.&nbsp;III.-3:508(1) DCFR). In bestimmten Fällen ist eine Erklärung der Vertragsaufhebung entbehrlich: So kann die benachteiligte Partei ihre Nachfristsetzung mit einer Erklärung verbinden, dass der Vertrag nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist automatisch aufgehoben sein soll (Art.&nbsp;8:106(3) PECL; Art.&nbsp;7.1.5(3) UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;III.-3:507(2) DCFR). Darüber hinaus kann eine Aufhebungserklärung nach einigen Regelwerken entbehrlich sein, wenn die Nichterfüllung entschuldigt ist, weil ein Fall der vollständigen und dauerhaften Unmöglichkeit der Leistungserbringung vorliegt (vgl. Art.&nbsp;9:303(4), 8:108 PECL).


=== c) Rechtsfolgen der Vertragsaufhebung ===
<nowiki>Der DCFR nimmt die in den PECL enthaltenen strukturellen Normen des Vertragsrechts weitgehend unverändert auf, ergänzt diese jedoch in wesentlicher Hinsicht. So wird etwa hinsichtlich der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Regelungsansatz der Grundregeln fortgeführt und die im Sekundärrecht vorgesehene Beschränkung auf den Verbraucherschutz aufgegeben, andererseits aber auch die Klausel-RL berücksichtigt und eine Liste regelmäßig unzulässiger Klauseln vorgeschlagen (Art.&nbsp;II.-9:411). Der DCFR greift zudem die den Vertragsschluss betreffenden, prozedural erklärbaren und aus dem Sekundärrecht (wie etwa der Haustürwiderrufs-RL [RL&nbsp;85/577] </nowiki>) stammenden Mechanismen des Verbraucherschutzes auf (insb. [[Informationspflichten (Verbrauchervertrag)|Informationspflichten]], z.B. Art.&nbsp;II.-3:102, und [[Widerrufsrecht]]e, z.B. Art.&nbsp;II.-5:201). Hinsichtlich externer Schranken wird zum einen erstmals normiert, dass von der Rechtsordnung der EU oder der Mitgliedstaaten missbilligte Zwecke nicht Gegenstand eines Vertrages sein können (Art.&nbsp;II.-7:401). Des Weiteren werden die Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien umgesetzt (Art.&nbsp;II.-2:101 ff.). In den Bereichen, in denen der DCFR auf Europäischer Ebene erstmals systematisch die besonderen Vertragsverhältnisse regelt, nimmt er die gleiche die Vertragsfreiheit einschränkende Haltung wie das Sekundärrecht ein. So wird etwa in Art.&nbsp;IV.A.-4:102 der zwingende Charakter der Regelung der Rechtsbehelfe bei Schlechtleistung, wie sie die Verbrauchsgüterkauf-RL (RL&nbsp;1999/44) vorsieht, repliziert und sogar noch auf den Schadensersatz ausgedehnt. Aber auch in Bereichen, in denen das Sekundärrecht keine zwingende Regelung kennt, bevorzugt der DCFR diese wiederholt (z.B. Art.&nbsp;IV.C.-8:103). Der DCFR spiegelt damit die restriktive Tendenz des Sekundärrechts wider, die in der Rechtsprechung des EuGH meist noch verstärkt wird.
Die Vertragsaufhebung befreit die Parteien nach allen Regelwerken von ihrer Verpflichtung, künftige Leistungen zu erbringen und anzunehmen. Hingegen bleibt das Recht unberührt, im Wege des [[Schadensersatz]]es das Erfüllungsinteresse zu verlangen. Zudem wird ausdrücklich festgestellt, dass die Vertragsaufhebung Streitbeilegungsklauseln und solche Vereinbarungen, die gerade nach Aufhebung des Vertrages gelten sollen, nicht berührt (Art.&nbsp;9:305 PECL; Art.&nbsp;7.3.5 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;81(1) CISG; Art.&nbsp;III.-3:509 DCFR).


Auch wenn die Vertragsaufhebung nur für die Zukunft wirkt, führt sie, soweit schon Leistungen erbracht wurden, in der Regel zur &nbsp;Rückabwicklung des Vertrages (Art.&nbsp;9:306&nbsp;ff. PECL; Art.&nbsp;7.3.6 UNIDROIT PICC; Art.&nbsp;81(2), 82 CISG; Art.&nbsp;III.-3:511&nbsp;ff. DCFR).
Das Europarecht hat jedoch seit seinen Anfängen insgesamt überwiegend deregulierend gewirkt, weil der [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] früh dazu übergegangen war, nationale Beschränkungen des Handels mit Waren und Dienstleistungen, des Kapitalverkehrs und der Freizügigkeit unmittelbar an den [[Grundfreiheiten (allgemeine Grundsätze)|Grundfreiheiten]] des [[EG-Vertrag]]es zu messen. Externe Schranken der Vertragsfreiheit bedürfen somit, sofern sie den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr signifikant beeinflussen, der Rechtfertigung durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Es sind damit zwei gegenläufige Effekte innerhalb des europäischen Rechts zu beobachten: einerseits Restriktion und paternalistischer Verbraucherschutz durch Rechtsakte der EG, andererseits das Leitprinzip freien Handels, sofern es um nationale Beschränkungen der Ausübung der Vertragsfreiheit geht.


== Literatur==
== Literatur==
''Ernst Rabel'', Das Recht des Warenkaufs, Bd.&nbsp;I, 1936, Bd.&nbsp;II, 1958; ''G.H. Treitel'', Remedies for Breach of Contract, 1988, 318&nbsp;ff.; ''Reinhard Zimmermann'', The Law of Obligations, 1996, 800&nbsp;ff.; ''Andreas Schwartze'', Europäische Sachmängelgewährleistung beim Warenkauf, 2000, 174&nbsp;ff; ''Christian von Bar'', ''Reinhard Zimmermann'', Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, 2002, 439&nbsp;ff., 450&nbsp;ff., 495&nbsp;ff.; Andrea Sandrock, Vertragswidrigkeit der Sachleistung, 2003, 237&nbsp;ff.; ''Reinhard Zimmermann'', The New German Law of Obligations, 2005, 66&nbsp;ff., 107&nbsp;f.; ''Peter Huber'', Comparative Sales Law, in: Mathias Reiman, Reinhard Zimmermann (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, 937&nbsp;ff.; ''Axel Flessner'', Befreiung vom Vertrag wegen Nichterfüllung, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 5 (1997) 255&nbsp;ff.; ''Peter Schlechtriem'', Abstandnahme vom Vertrag, in: Jürgen Basedow (Hg.) Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, 2000; ''Peter Huber'', ''Alastair Mullis'', The CISG, 2007, 209&nbsp;ff.
''Walter Eucken'', Grundsätze der Wirtschaftpolitik, 2.&nbsp;Aufl. 1959, 276&nbsp;ff.; ''Franz Wieacker'', Das Bürgerliche Recht im Wandel der Gesellschaftsordnungen, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des deutschen Juristentages, 1960, 1&nbsp;ff.; ''Arthur T. von Mehren'', A General View of Contract, in: IECL VII/1, Kap.&nbsp;1-64&nbsp;ff, 1980; ''Patrick S.'' ''Atiyah'', The Rise and Fall of Freedom of Contract, 1985; ''Wolfram Höfling'', Vertragsfreiheit, 1991; ''Werner Flume'', Das Rechtsgeschäft, 4.&nbsp;Aufl. 1992, 6&nbsp;ff.; ''Michael J. Treblicock'', The Limits of Freedom of Contract, 1993; ''Joachim Rückert'', Vor&nbsp;§&nbsp;1, Rn.&nbsp;43&nbsp;ff., 72&nbsp;ff., in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd.&nbsp;I, 2003;'' François Terré'','' Philippe Simler'','' Yves Lequette'', Les obligations, 9.&nbsp;Aufl. 2005, 37&nbsp;ff., 379&nbsp;ff.; ''Nils Jansen'','' Reinhard Zimmermann'', Grundregeln des bestehenden Gemeinschaftsprivatrechts?, Juristenzeitung 2007, 1113&nbsp;ff.


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Version vom 29. September 2021, 15:36 Uhr

von Hannes Unberath

1. Gegenstand und Zweck

Privatautonomie ist „die Befugnis, innerhalb der Grenzen des dispositiven Rechts die privaten Angelegenheiten im Wege des Rechtsgeschäfts zu regeln“ (Motive). Die Vertragsfreiheit als zentrales Element der Privatautonomie folgt aus der Funktion des Vertrages: Die staatlich sanktionierte Bindung an den Vertrag eröffnet die Möglichkeit der Kooperation durch den Austausch von Leistungen zwischen Fremden. Zu welchen Leistungen und wem gegenüber eine solche Selbstbindung erfolgt, entscheiden die Privatrechtssubjekte. Legte der Staat hingegen die Parteien (Abschlussfreiheit) und mittels zwingenden Rechts (ius cogens) den Inhalt des Schuldverhältnisses (Inhaltsfreiheit) fest, würde nicht nur die Vertragsfreiheit aufgehoben, was nach verfassungsrechtlicher Dogmatik der Institutsgarantie der Vertragsfreiheit zuwider liefe, vielmehr könnte schon nicht mehr von einem „Vertrag“ gesprochen werden. Wenn gleichwohl oft zu lesen ist, die Geschichte der Vertragsfreiheit sei die Geschichte ihrer Einschränkung, muss zugleich an ein bekanntes Zitat Sir Henry Maines erinnert werden, dass die Entwicklung von primitiven Gesellschaftsformen zum klassischen römischen Recht die Entwicklung from status to contract war.

Strukturelle Normen, die vom Wesen des Vertrages abgeleitet werden können, sind von Eingriffen in die Vertragsfreiheit zu unterscheiden, die vertragsexterne, aus der Rechtsordnung im übrigen gewonnene Maßstäbe an den Vertrag anlegen. Zurechnungsnormen, die die Voraussetzungen formulieren, unter denen Gerichte die Erklärungen der Parteien, insbesondere den Vertragsschluss, als „freiwillig“, also selbstverantwortet bewerten, enthalten die Bedingungen der Möglichkeit eines Vertrages und können daher wiederum nicht selbst vertraglich determiniert werden. Beispiele sind das Erfordernis der Geschäftsfähigkeit und die Regeln über den Irrtum. Welchen Grad an Selbstverantwortung eine Person im Rechtsverkehr aufbringen muss und wie sie näher zu bestimmen ist, berührt die Fundamente der Privatrechtsordnung und ist Gegenstand grundsätzlicher Kontroversen. Zwar erheben die Vertreter der rivalisierenden Schulen wechselseitig den Vorwurf, die jeweils andere Position verkenne die Prämissen der Privatautonomie, gemeinsames Ziel der Theorien ist jedoch Verwirklichung, nicht Aufhebung der Vertragsfreiheit. Keine Schranken sind ferner alle Regeln, die die Bindung an den Vertrag verwirklichen, etwa die Anordnung von Schadensersatz bei einer Vertragsverletzung. Die zwangsweise Durchsetzung des aus dem Vertrag erwachsenden subjektiven Rechts ist der Vertragsfreiheit nicht hinderlich, sondern dieser immanent: Das Wesen des Rechtsgeschäfts ist ein sich betätigender Wille des Individuums, den die Rechtsordnung dadurch anerkennt, dass sie die gewollte rechtliche Gestaltung „in der Rechtswelt verwirklicht“ (Motive). Ebenfalls bereits prinzipiell keine externe Einschränkung der Vertragsfreiheit ist die Existenz dispositiven Rechts. Weil Vertragsparteien unter realen Bedingungen ihren Willen stets lückenhaft artikulieren, bedarf es ergänzenden Rechts, das, da es die Intention der Parteien nur vervollständigen aber nicht derogieren soll, dispositiv sein muss. Idealtypisches Beispiel ist § 269 Abs. 1 BGB.

Dagegen wird die Vertragsfreiheit aufgrund externer Erwägungen eingeschränkt, wenn Verträgen die Anerkennung versagt wird, die von der Rechtsordnung missbilligte Zwecke verfolgen, etwa weil sie auf die Begehung einer Straftat gerichtet sind. Die Unwirksamkeit folgt aus dem Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Einschränkungen der Vertragsfreiheit, mit denen ein Regelungsziel verfolgt wird, das nicht der Verwirklichung der Intention der Parteien und auch nicht der Verhinderung missbilligter Zwecke dient, bedürfen als intensivste Form des externen Eingriffs stets besonderer Rechtfertigung. Paradigmatisch sind solche Normen, die mittels zwingenden Rechts den Inhalt der Verträge bestimmen, etwa die Höhe des Entgelts festlegen, das Ende von Dauerschuldverhältnissen regulieren, oder Bedingungen der Wahl des Vertragspartners formulieren, wie etwa die Regelungen zum Schutz gegen Diskriminierung (Diskriminierungsverbot im allgemeinen Vertragsrecht).

2. Tendenzen der Rechtsentwicklung

a) Wirtschaftsordnung

Sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen der Ausübung der Vertragsfreiheit als auch hinsichtlich externer Einschränkungen der Vertragsfreiheit hat im Laufe des 20. Jahrhunderts in den meisten westeuropäischen Staaten und in der Europäischen Union eine restriktive, die Privatrechtssubjekte zu ihrem Schutz bevormundende Sichtweise (Paternalismus) die Oberhand gewonnen. Dies ist bemerkenswert, weil in der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts einerseits die europäische Wirtschaftsverfassung mit Wettbewerbsrecht und Grundfreiheiten auch und gerade auf europäischer Ebene die faktischen Rahmenbedingungen des Marktes verbessert hat, und andererseits mit dem Ausbau des Sozialstaats die Zahl und Intensität materieller Notlagen, die die Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen, faktisch stark gemindert wurde. Mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme in Osteuropa erlebt die Vertragsfreiheit allerdings gegenwärtig wieder eine neue Blütezeit.

Das Wettbewerbsrecht beruht zwar auf materiellen Kriterien, da es danach trachtet, die realen Bedingungen der Vertragsfreiheit im Sinne von realen Auswahlmöglichkeiten zu verbessern und in das Marktgeschehen mit einer Vielzahl von Maßnahmen, insb. zur Verhinderung von Monopolen, einzugreifen, jedoch ist der ordnungspolitische Rahmen des Marktes ohne die Autarkie des darin wirkenden, von privater Initiative getragenen Vertragsrechts sinn- und zwecklos. Die Beschränkung auf die möglichst unverfälschte Durchsetzung des Parteiwillens ist nicht zuletzt auch eine Forderung der ökonomischen Analyse, für die der Vertrag in einer idealen Welt ohne Transaktionskosten und externe Effekte Ausgangs- und Endpunkt effizienter Güterallokation ist.

b) Prozedurale und materielle Ansätze

Hinsichtlich der Maßstäbe der Verantwortlichkeit bei Vertragsschluss wird traditionell zwischen prozeduralen und materiellen Theorien unterschieden. Als „prozedural gerecht“ wird dabei ein Vertrag angesehen, wenn die vertragschließende Person grundsätzlich zu rechtsgeschäftlichem Handeln in der Lage ist und keine den Prozess des Vertragsschlusses störenden Faktoren vorgelegen haben. Als solche die Freiwilligkeit ausschließenden Gründe gelten klassischerweise Zwang und Irrtum. Materielle Ansätze stellen demgegenüber auf den Inhalt des Vertrages ab. Ein Beispiel ist die laesio enormis des gemeinen Rechts (ius commune), heute etwa § 934 ABGB, wonach eine Unterschreitung des „wahren“ Wertes um die Hälfte als solche bereits zur Unwirksamkeit führen kann. Bei diesem Ansatz wird ein iustum pretium nicht von den Parteien selbst bestimmt, sondern vom Staat, womit letztlich externe Schranken gesetzt werden. Die vielzitierte These Walter Schmidt-Rimplers von der „Richtigkeitsgewähr“ des Vertrages ist Teil einer materiellen Theorie, die zwar zunächst an prozedurale Elemente anknüpft, den Vertrag als bloßes Ordnungsmittel aber unter den Vorbehalt der externen Kontrolle des Ergebnisses stellt. Nach wohl auch rechtsvergleichend geteiltem heutigem Verständnis bedürfen demgegenüber zwar der Vertrag wie das Eigentum notwendig der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung, doch sind deren Regeln wiederum am Ideal der Vertragsfreiheit und damit der Befugnis zur prinzipiell eigenverantwortlichen Gestaltung der Rechtsverhältnisse zu messen.

Die ursprüngliche Position des deutschen und französischen Rechts betont die prozeduralen Maßstäbe, die jedoch gelegentlich mit materiellen Kriterien kombiniert werden. Formal-prozedurale Elemente sind im englischen Recht heute noch dominant. Das BGB sah neben Regeln der Geschäftsfähigkeit und der Willensmängel Drohung, Täuschung und Irrtum keine sonstigen, die Wirksamkeit der Willenserklärung einschränkenden Bedingungen vor (vgl. im französischen Recht erreur, Art. 1110, violence, Art. 1112, dol, Art. 1116 des Code civil). Ein auffälliges Missverhältnis der Leistungen reichte nach § 138 Abs. 2 BGB zur Unwirksamkeit nur aus, wenn zudem die Zwangslage oder die Unfähigkeit der benachteiligten Partei „ausgebeutet“ wurden (im Ausgangspunkt die Unwirksamkeit wegen lésion ablehnend auch das französische Recht, vgl. Art. 1118 Code civil mit Ausnahmen, etwa Art. 1674 bezüglich Grundstücken). Aufgegeben wurde das Erfordernis eines Willensdefizits auch später nicht, jedoch verlegte die Rechtsprechung den Schwerpunkt auf die materiellen Kriterien, als sie bei „wucherähnlichen“ Rechtsgeschäften dazu überging, bei Vorliegen materiell bestimmter Nachteile prozedurale Mängel zu vermuten (RG 13.3.1936, RGZ 150, 1).

Verhältnismäßig früh wurden in Deutschland Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen inhaltlich überprüft (zunächst auf der Grundlage von § 138 BGB sowie Treu und Glauben ohne explizite gesetzliche Ermächtigung, nunmehr Klausel-RL [RL 93/13], §§ 305 ff. BGB). Obwohl sich die Rechtsprechung dabei vom „Gerechtigkeitsgehalt“ des dispositiven Rechts leiten lässt (BGH 17.2.1964, BGHZ 41, 151), beruht der richterliche Eingriff in den Vertrag auf einem im Kern prozeduralen Manko, denn es ist angesichts knapper Verhandlungsressourcen nicht durchweg praktikabel, den Inhalt vorgefertigter Klauseln auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Daneben gab es immer schon extern, gesamtwirtschaftlich motivierte Einschränkungen, etwa den Kontrahierungszwang bei Transportverträgen.

c) Vertragsparität und sozialer Rechtsstaat

Für den Strukturwandel seit dem Ende des 19. Jahrhunderts steht also eine andere Entwicklung, die Ludwig Raiser schon 1958 mit den Worten zusammenfasst, dass das dem BGB zugrunde liegende Leitbild der „freien selbstverantworteten Persönlichkeit“ nicht „unverändert“ übernommen werden könne. In den siebziger Jahren attestierte sodann Ernst A. Kramer liberalem Vertragsdenken eine „Krise“. Diese bereits von zeitgenössischen Kritikern des BGB formulierte Gegenposition zu seinem Prinzip „formal gleicher Freiheit“ (Joachim Rückert) hält vordergründig an der prozeduralen Konzeption des Vertrages fest, bestimmt die Freiwilligkeit des Vertragsschlusses aber nun nicht mehr allein negativ-„formal“, durch die Abwesenheit von Zwang oder Irrtum, sondern verlangt positiv, dass den Vertragsparteien „reale“ Entscheidungsfreiheit zukommt. Begrifflich kommt dies unter anderem in der Forderung nach „Vertragsparität“ zum Ausdruck (so insb. Günther Hönn, der den Ansatz des BAG 31.10.1969, NJW 1970, 1145, aufnimmt; in England steht Patrick Atiyah für eine ähnliche Analyse; dagegen ist Lord Dennings Ansatz einer inequality of bargaining power in Lloyd’s Bank Ltd v. Bundy [1975] 1 QB 326 (CA), isoliert geblieben). Sei die Parität „gestört“, drohe Fremdbestimmung und das Vertragsrecht müsse „kompensierend“ zum Schutz der schwächeren Partei eingreifen. Der Höhepunkt dieser Entwicklung dürfte mit der sog. „Bürgen-Entscheidung“ des BVerfG vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214, erreicht worden sein, in der das BVerfG die Zivilgerichte nachdrücklich aufforderte, jeden materiell für eine Seite ungewöhnlich nachteiligen Vertrag daraufhin zu überprüfen, „ob die vereinbarte Regelung eine Folge strukturell ungleicher Verhandlungsstärke ist“. Die Kehrseite des wohlmeinenden Schutzes der „schwächeren“ Partei, wie jedes paternalistischen Ansatzes, ist die Übertragung der Verantwortung auf den Staat und die Einschränkung der Fähigkeit des Einzelnen, insofern rechtsgeschäftlich tätig zu sein.

Dass die Fälle, die Anlass dieser Entwicklung waren und die aus emotionaler Verbundenheit übernommene, ruinöse Bürgschaften naher Angehöriger des Hauptschuldners betrafen, mit Hilfe klassisch-prozeduraler Kategorien erfasst werden können, zeigen die Parallelentscheidungen englischer Gerichte (Royal Bank of Scotland v. Etridge (No. 2)[2001] UKHL 44 (HL)). Auch der auf den Vertragsschluss bezogene Verbraucherschutz (Verbraucher und Verbraucherschutz)), der den Schutz des „kleinen Mannes“ gegen den „großen Konzern“ auf der Stirn zu tragen scheint (so Lord Denning in George Mitchell (Chesterhall) Ltd v. Finney Lock Seeds Ltd [1983] 2 AC 803 (HL)), kann überwiegend als Reaktion auf klassisch prozedurale Mängel des Vertragsschlusses rationalisiert werden, wenn diese Mechanismen auch mit groben Typisierungen operieren. Paradigmatisch dafür steht der Vertragsschluss in einer Haustürsituation, bei dem angenommen wird, dass der „überrumpelte“ Verbraucher in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt war. Auch die vielfältigen Informationspflichten (etwa über den effektiven Jahreszins eines Darlehens, § 492 Abs. 5 S. 5 Nr. 5 BGB) bezwecken einen prozedural einwandfreien Vertragsschluss und sind daher grundsätzlich gleichfalls mit klassischen Zurechnungskriterien vereinbar.

Der Übergang von Regelungen des Vertragsrechts, die die Vertragsfreiheit prozedural ausformen, zur Förderung außerhalb des Vertrages liegender Zwecke unter den Schlagworten der Parität und des „Ethos des sozialen Rechtsstaats“ (Franz Wieacker) ist fließend. Die Tendenz, einzelne Vertragstypen mit präsumtiv „unterlegenen“ Vertragspartnern inhaltlich zwingend auszugestalten (Zwingendes Recht), löst sich bewusst weitgehend vom klassisch-liberalen Vertragsmodell. Die Entwicklung in Deutschland ist typisch auch für andere europäische Länder, insbesondere Frankreich (dirigisme, Code de la consommation von 1992). Praktisch bedeutsam sind die Regelungen des Individualarbeitsrechts sowie des „sozialen“ Mietrechts und einzelne dem Verbraucherschutzrecht zuzuordnende und zwingend ausgestaltete Vertragstypen (Verbrauchsgüterkauf (Kauf), Verbraucherdarlehen (Darlehen), Pauschalreise (Reisevertrag (Pauschalreisen)) usw.). Waren die Einschränkungen im Wohnraummietrecht zunächst jedenfalls noch durch eine Schieflage des Marktes und Wohnraumnot bedingt, so wurde die Regulierung des Arbeitsvertrages in einer Periode relativ großer Nachfrage nach Arbeitnehmern nach Ende des zweiten Weltkrieges intensiviert. Zwingend ausgestaltet sind dabei einzelne Aspekte (etwa der Urlaub des Arbeitsnehmers, die Modernisierung des Wohnraums), restriktiv reguliert ist aber vor allem die Beendigung dieser Dauerschuldverhältnisse (etwa bezüglich der Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung nach § 1 Abs. 3 KSchG oder dem Erfordernis der Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung des Vermieters gemäß § 573 BGB). Darüber hinaus sind bestimmte Typen der Dienstleistung umfassend reguliert, etwa die Vergütung von ärztlicher Behandlung (u.a. Gebührenordnung für Ärzte) oder Rechtsdienstleistungen (RVG). Schließlich ist der Bereich der sog. „Daseinsvorsorge“, in dem der Staat bestimmte wirtschaftlich relevante Leistungen erbringt und damit ein Monopol in Anspruch nimmt, noch ganz überwiegend reguliert, selbst wenn in bestimmten Bereichen, wie etwa Energie und Telekommunikation, die Privatisierung und mit ihr der Wettbewerb eingesetzt hat. In diesen Bereichen ist regelmäßig ein sog. Kontrahierungszwang (als Einschränkung der Abschlussfreiheit) vorgesehen.

Welche verteilungspolitischen und gesamtwirtschaftlichen Effekte durch diese flächendeckenden Eingriffe in die Vertragsfreiheit mittels externer Schranken erzielt werden, ist ebenso umstritten, wie die grundsätzliche Frage, ob der Vertrag aus prinzipieller und ökonomischer Sicht überhaupt ein geeignetes Mittel zur Erzielung distributiver Gerechtigkeit ist. Die Gegenposition fordert dabei nicht notwendig den Abbau des Schutzes des „Schwächeren“, etwa des Arbeitnehmers oder des Mieters, sondern weist diese Aufgabe vielmehr dem Sozialstaat zu. Eine solch strenge Trennung von Privatrecht mit prozeduralem, inhaltlich neutralem Charakter und öffentlichem Recht, dem die Aufgabe zufällt, die faktischen Rahmenbedingungen freier Persönlichkeitsentfaltung zu schaffen, entspricht am ehesten auch der ursprünglichen Konzeption des BGB.

Neben diesen am Marktmechanismus des Vertrages ansetzenden Schutzmechanismen geht eine neuere Tendenz dahin, die Wahl des Vertragspartners sowie die inhaltliche Gestaltung des Vertrages auf ihre Richtigkeit nach einem staatlich vorgebebenen Wertekanon hin zu überprüfen, so insb. im Hinblick auf die Gleichbehandlung der Geschlechter und den Schutz vor Diskriminierung aufgrund rassischer oder sonstiger Merkmale (Diskriminierungsverbot (allgemein)). Verträge sind danach kein Wert an sich selbst, sondern werthaltig, weil die vertraglich verfolgten Ziele anerkennenswert sind (so dezidiert insb. der perfektionistische Liberalismus des Joseph Raz). Die Kritik hieran stellt nicht die mit dieser Materialisierung des Vertrages verfolgten Ziele als solche in Frage, sondern stellt lediglich die Kompetenz des Staates zur Regelung dieser nach ihrer Auffassung dem Bereich der Tugendlehre zugewiesenen Fragen in Abrede.

3. Europäisches Einheitsrecht

Die Reichweite der Vertragsfreiheit wird in den PECL einerseits und dem DCFR andererseits unterschiedlich interpretiert. Hauptgrund dafür ist das Bestreben des DCFR, nach entsprechender Vorarbeit der sog. Acquis-Gruppe, dem Regelungsansatz des Europäischen Sekundärrechts Rechnung zu tragen, der eine verbraucherschützende Tendenz aufweist. Weil zwingendes Recht im Lichte der Privatautonomie als Anomalie erscheint, ist das Unternehmen, die Vertragsprinzipien dem gegenwärtigen acquis communautaire durch Induktion zu entnehmen, auf Widerspruch gestoßen.

Die PECL (insoweit ähnlich die UNIDROIT PICC) gehen nicht auf externe Schranken (Rechtswidrigkeit, Sittenwidrigkeit) der Vertragsfreiheit ein, bei denen die nationalen Traditionen stark divergieren. Insgesamt beschränken sich die Grundregeln auf die Kernelemente des Vertragsrechts und lassen weitgehend offen, welche der vorgesehenen Regeln überhaupt zwingenden Charakter aufweisen, der somit lediglich aus der Natur der Regelung geschlossen werden kann. Kap. 4 regelt detailliert den Irrtum, die Täuschung und Drohung, das Ausnutzen eines Willensdefizites sowie die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Weitergehende Anforderungen an „reale“ Vertragsparität enthalten die Grundregeln nicht; insbesondere wird die Problematik der „Bürgen-Entscheidung“ mit Hilfe prozeduraler Mittel gelöst (unter Hinweis auf das Ausnutzen der Zwangslage oder Unerfahrenheit des Bürgen). Kap. 8 und 9 beschreiben die Rechtsbehelfe zur Durchsetzung des Vertrages.

Der DCFR nimmt die in den PECL enthaltenen strukturellen Normen des Vertragsrechts weitgehend unverändert auf, ergänzt diese jedoch in wesentlicher Hinsicht. So wird etwa hinsichtlich der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Regelungsansatz der Grundregeln fortgeführt und die im Sekundärrecht vorgesehene Beschränkung auf den Verbraucherschutz aufgegeben, andererseits aber auch die Klausel-RL berücksichtigt und eine Liste regelmäßig unzulässiger Klauseln vorgeschlagen (Art. II.-9:411). Der DCFR greift zudem die den Vertragsschluss betreffenden, prozedural erklärbaren und aus dem Sekundärrecht (wie etwa der Haustürwiderrufs-RL [RL 85/577] ) stammenden Mechanismen des Verbraucherschutzes auf (insb. Informationspflichten, z.B. Art. II.-3:102, und Widerrufsrechte, z.B. Art. II.-5:201). Hinsichtlich externer Schranken wird zum einen erstmals normiert, dass von der Rechtsordnung der EU oder der Mitgliedstaaten missbilligte Zwecke nicht Gegenstand eines Vertrages sein können (Art. II.-7:401). Des Weiteren werden die Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien umgesetzt (Art. II.-2:101 ff.). In den Bereichen, in denen der DCFR auf Europäischer Ebene erstmals systematisch die besonderen Vertragsverhältnisse regelt, nimmt er die gleiche die Vertragsfreiheit einschränkende Haltung wie das Sekundärrecht ein. So wird etwa in Art. IV.A.-4:102 der zwingende Charakter der Regelung der Rechtsbehelfe bei Schlechtleistung, wie sie die Verbrauchsgüterkauf-RL (RL 1999/44) vorsieht, repliziert und sogar noch auf den Schadensersatz ausgedehnt. Aber auch in Bereichen, in denen das Sekundärrecht keine zwingende Regelung kennt, bevorzugt der DCFR diese wiederholt (z.B. Art. IV.C.-8:103). Der DCFR spiegelt damit die restriktive Tendenz des Sekundärrechts wider, die in der Rechtsprechung des EuGH meist noch verstärkt wird.

Das Europarecht hat jedoch seit seinen Anfängen insgesamt überwiegend deregulierend gewirkt, weil der EuGH früh dazu übergegangen war, nationale Beschränkungen des Handels mit Waren und Dienstleistungen, des Kapitalverkehrs und der Freizügigkeit unmittelbar an den Grundfreiheiten des EG-Vertrages zu messen. Externe Schranken der Vertragsfreiheit bedürfen somit, sofern sie den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr signifikant beeinflussen, der Rechtfertigung durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Es sind damit zwei gegenläufige Effekte innerhalb des europäischen Rechts zu beobachten: einerseits Restriktion und paternalistischer Verbraucherschutz durch Rechtsakte der EG, andererseits das Leitprinzip freien Handels, sofern es um nationale Beschränkungen der Ausübung der Vertragsfreiheit geht.

Literatur

Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftpolitik, 2. Aufl. 1959, 276 ff.; Franz Wieacker, Das Bürgerliche Recht im Wandel der Gesellschaftsordnungen, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des deutschen Juristentages, 1960, 1 ff.; Arthur T. von Mehren, A General View of Contract, in: IECL VII/1, Kap. 1-64 ff, 1980; Patrick S. Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, 1985; Wolfram Höfling, Vertragsfreiheit, 1991; Werner Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, 6 ff.; Michael J. Treblicock, The Limits of Freedom of Contract, 1993; Joachim Rückert, Vor § 1, Rn. 43 ff., 72 ff., in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. I, 2003; François Terré, Philippe Simler, Yves Lequette, Les obligations, 9. Aufl. 2005, 37 ff., 379 ff.; Nils Jansen, Reinhard Zimmermann, Grundregeln des bestehenden Gemeinschaftsprivatrechts?, Juristenzeitung 2007, 1113 ff.