Vertragsschluss: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 31. August 2021, 18:08 Uhr

von Martin Illmer

1. Begriff und Systematik

Der Vertragsschluss begründet den Vertrag zwischen zwei oder mehreren Parteien. In ihm manifestiert sich die Willensübereinstimmung der Parteien, deren zentrale Elemente heute in allen europäischen Rechtsordnungen und internationalen Regelwerken Angebot und Annahme sind.

Das BGB regelt den Vertragsschluss in der Rechtsgeschäftslehre des Allgemeinen Teils. Angebot und Annahme sind lediglich ein Unterfall der Willenserklärung, so dass neben den spezifischen Regelungen zum Vertragsschluss die allgemeinen Regeln über Willenserklärungen zur Anwendung kommen. Dem folgt der polnische Kodeks cywilny (Polnisches ZGB). Der portugiesische Código civil und das niederländische Burgerlijk Wetboek regeln zwar den Vertragsschluss als solchen im allgemeinen Schuldrecht, doch gelten für Angebot und Annahme zahlreiche Vorschriften der ebenfalls in einem Allgemeinen Teil enthaltenen Rechtsgeschäftslehre. Das schweizerische OR verortet Vertragsschluss und Rechtsgeschäftslehre im allgemeinen Schuldrecht.

Die älteren, naturrechtlich geprägten Kodifikationen, allen voran der französische Code civil (1804) und ihm folgend ursprünglich auch der belgische Code civil, der erste italienische Codice civile (1865) sowie der spanische Código civil (1889), aber auch das österreichische ABGB (1811) kannten weder eine Rechtsgeschäftslehre als solche, die im Wesentlichen ein Produkt der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts ist, noch enthielten sie Regelungen zum Vertragsschluss. Während das italienische, spanische und österreichische Recht die Lehre von Angebot und Annahme im Zuge von Reformierungen in ihre Kodifikationen aufnahmen, enthalten der französische und belgische Code civil bis heute keine Vorschriften zum Vertragsschluss (Art. 1108 frz. Code civil nennt lediglich die Wirksamkeitsvoraussetzungen eines Vertrags). Die entsprechenden Regeln wurden vielmehr durch die Rechtsprechung entwickelt.

Im nicht kodifizierten englischen common law ist der Vertragsschluss Bestandteil des noch immer im Wesentlichen aus case law (Richterrecht) bestehenden law of contract. Nachdem der Vertrag ursprünglich auf das Versprechen als Grundlage rechtsgeschäftlicher Verpflichtung gestützt worden war, setzten sich im 19. Jahrhundert das Vertragsprinzip und mit ihm die Lehre von Angebot und Annahme durch.

Vereinzelte Vorschriften des acquis communautaire erwähnen das Erfordernis eines Vertragsschlusses (Art. 2(1) Fernabsatz-RL [RL 97/7]) und nehmen auf Angebot und Annahme Bezug (Art. 1(3) und (4) Haustürwiderrufs-RL [RL 85/ 577]). Auch der EuGH setzt in seiner Rechtsprechung das Vertragsschlussmodell von Angebot und Annahme voraus, ohne allerdings auf seine Ausgestaltung näher einzugehen (EuGH Rs. C-96/00 – Gabriel, Slg. 2002, I-6367, Rn. 48 f.) Der Vertragsschlussmechanismus von Angebot und Annahme wird damit zwar im acquis zugrunde gelegt, jedoch nicht geregelt. Die Vertragsschlussregeln der PECL, der ACQP und des DCFR mussten daher aus den Regelungen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen entwickelt werden, die jenseits der systematischen Unterschiede häufig zu ähnlichen Ergebnissen gelangen. Dabei übernehmen die ACQP und der DCFR die Vertragsschlussregeln der PECL inhaltlich fast unverändert.

2. Angebot

Das Angebot ist in Art. 2:201(1) PECL, Art. II.-4:201(1) DCFR und Art. 2.1.2 UNIDROIT PICC ausdrücklich definiert als ein hinreichend bestimmter und mit Rechtsbindungswillen gemachter Vorschlag zum Abschluss eines Vertrages. Die meisten nationalen Rechtsordnungen setzen den Begriff des Angebots – inhaltlich damit übereinstimmend – schlicht voraus.

a) Rechtsbindungswille und invitatio ad offerendum

In allen Rechtsordnungen stellt sich bei Erklärungen gegenüber einem größeren Personenkreis die Frage, ob es sich dabei um ein Angebot (häufig ad incertas personas) oder nur um eine sog. invitatio ad offerendum handelt. Entscheidend ist der objektiv, also anhand von Indizien zu ermittelnde Rechtsbindungswille des Erklärenden: Will der Erklärende den Erklärungsempfängern ermöglichen, durch Annahme bereits einen Vertrag zu schließen oder will er sie nur auffordern, ihrerseits Angebote abzugeben, deren Annahme ihm dann freisteht?

Während alle europäischen Rechtsordnungen diese Differenzierung als solche kennen, typisieren sie bestimmte Fälle durch Auslegungsvermutungen abweichend. So wird die Anpreisung in Anzeigen, Katalogen oder einer Warenauslage im deutschen, italienischen und englischen Recht sowie nach Art.14(2) CISG (Warenkauf, internationaler (Einheitsrecht)) in der Regel nur als invitatio eingeordnet, während insbesondere die Auslage von Waren im französischen und schweizerischen Recht (letzterenfalls jedenfalls bei Preisangabe) als Angebot ad incertas personas angesehen wird. Ein Angebot vermuten im Fall der Anpreisung in Anzeigen, Katalogen und Warenauslagen auch Art. 2:201(3) PECL und Art. II.-4:201(3) DCFR, allerdings beschränkt auf den vorhandenen Vorrat. Gegen ein Angebot mag insbesondere sprechen, dass sich der Erklärende den Vertragspartner nach dessen Zahlungsfähigkeit aussuchen oder die Ware breit streuen möchte.

b) Bestimmtheit und Dissens

Als Angebot muss die Erklärung des Anbietenden inhaltlich hinreichend bestimmt sein (so explizit Art. 2:201(1) PECL, Art. II.-4:201(1) DCFR, Art. 2.1.2 UNIDROIT PICC und Art. 14 CISG; ebenso die meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen). Dafür reicht es jedoch aus, dass die für den jeweiligen Vertragstyp wesentlichen Elemente, die sog. essentialia negotii, bestimmbar sind. Dies betrifft insbesondere Vertragsgegenstand und Gegenleistung. Bestimmbar ist der Vertragsinhalt grundsätzlich auch im Falle eines Vorbehalts künftiger Vereinbarung und bei Vereinbarung einer einseitigen nachträglichen Leistungsbestimmung. Einige Regelwerke sehen zudem dispositive Regelungen vor, die bei Unbestimmtheit eingreifen (etwa für den Kaufpreis sec. 8 Sale of Goods Act 1979, Art. 7:4 BW, Art. 1474 Codice civile, Art. 212 OR, Art. 55 CISG). Fehlt es jedoch selbst an der Bestimmbarkeit, liegt in der Regel keine Einigung vor; der Vertragsschluss scheitert. Sind hingegen bloße accidentalia negotii unbestimmt oder gar nicht geregelt, hindert dies den Vertragsschluss meist nicht. Vielmehr greifen zur Lückenfüllung Handelsbräuche, Gepflogenheiten, eine ergänzende Vertragsauslegung oder dispositives Gesetzesrecht ein. Das Bestimmtheitserfordernis korrespondiert mit den Regeln des (offenen) Dissenses. Danach kommt der Vertrag nach den meisten Rechtsordnungen im Ergebnis zustande, auch wenn sich die Parteien nicht über jeden Punkt geeinigt haben, sofern es sich hierbei um einen unwesentlichen Punkt handelt. Dies gilt nicht, wenn eine Partei die Einigung über diesen Punkt zur Bedingung des Vertragsschlusses gemacht hat (so im Ergebnis das deutsche Recht über § 154 BGB, das niederländische Recht über Art. 6:225 BW sowie das französische, englische, österreichische und spanische Recht; ebenso Art. 2:103 PECL, Art. II.-4:103 DCFR).

c) Wirksamwerden, Widerruflichkeit und Erlöschen des Angebots

Unter Anwesenden (zahlreiche Rechtsordnungen stellen den telefonischen Vertragsschluss ausdrücklich gleich; etwa § 147 S. 2 BGB, Art. 4 Abs. 2 OR, § 862 S. 2 ABGB) wird das Angebot im Augenblick der Erklärung wirksam und kann nur sofort angenommen werden. Geschieht dies nicht, erlischt es.

Unter Abwesenden wird das Angebot mit dem Zugang beim Empfänger wirksam. Im Hinblick auf die Widerruflichkeit ist zu differenzieren. Fast alle Regelwerke gehen davon aus, dass das Angebot vor oder zeitgleich mit seinem Zugang zurückgenommen werden kann (etwa § 130 Abs. 1 S. 2 BGB, Art. 3:37 Abs. 5 BW, Art. 9 Abs. 1 OR (sogar bis Kenntniserlangung), Art. 2.1.3(2) UNIDROIT PICC, Art. 15(2) CISG, Art. 1:303(5), (6) PECL, Art. II.-106(1), (5) DCFR; meist gilt dies spiegelbildlich für die Annahmeerklärung). Ob dagegen das bereits zugegangene und damit wirksam gewordene Angebot widerrufen werden kann, ist einer der zentralen Unterschiede der europäischen Vertragsschlussregime. Dabei ist vorwegzuschicken, dass der Anbietende das Angebot nach allen Regelwerken widerruflich oder unwiderruflich (im englischen Recht allerdings nur gegen eine consideration) ausgestalten kann. Unterschiede bestehen jedoch im Hinblick auf den gesetzlichen Regelfall. Das deutsche Recht geht in § 145 BGB von der Unwiderruflichkeit des Angebots aus. Dem folgen das schweizerische, österreichische und portugiesische Recht. Dagegen ist das Angebot nach französischem, italienischem, spanischem, aber auch englischem Recht sowie nach Art. 2:202 PECL, Art. II.-4:202 DCFR, Art. 2.1.4 UNIDROIT PICC, Art. 16 CISG grundsätzlich widerruflich; der Widerruf muss der anderen Partei jedoch vor Absendung der Annahme zugehen. Dabei geht das englische Recht mit der freien Widerruflichkeit am weitesten, während etwa das französische Recht bei missbräuchlichem Widerruf (insb. vor Ablauf einer gesetzten Annahmefrist) eine deliktische Schadensersatzpflicht statuiert. PECL, DCFR und UNIDROIT PICC sehen das Angebot sogar als unwiderruflich an, wenn der Anbietende eine Annahmefrist setzt, der Annehmende auf die Unwiderruflichkeit vertrauen durfte oder bereits im Vertrauen auf die Unwiderruflichkeit gehandelt hat (nach Art. 2:202(4) DCFR soll dies wiederum nicht gelten, wenn der Anbietende ein Widerrufsrecht nach Buch II oder IV des DCFR im Hinblick auf den Vertrag hätte).

Abgesehen von Rücknahme oder Widerruf erlischt das Angebot auch durch Ablehnung (etwa § 146 BGB, Art. 2:203 PECL, Art. II.-4:203 DCFR) und bei nicht rechtzeitiger Annahme innerhalb einer gesetzten Annahmefrist (s.u. 3.c). Ob der Tod des Anbietenden bzw. Angebotsempfängers zum Erlöschen führt, ist nach den Umständen und je nach Vertragstyp durch Auslegung zu ermitteln. Während einige Rechtsordnungen im Zweifel bei Tod des Anbietenden kein Erlöschen annehmen (etwa § 130 Abs. 2, 153 BGB, Art. 6:222 BW, § 862 ABGB), gehen andere Rechtsordnungen im Zweifel von einem Erlöschen aus (etwa Art. 1329 Abs. 2 Codice civile, ebenso das englische Recht ab Kenntnis des Annehmenden).

3. Annahme

Die Annahme besteht grundsätzlich in der uneingeschränkten Zustimmung zum Angebot. Während das Angebot meist in Form einer Erklärung erfolgt, weist die Annahme häufiger auch andere Formen auf.

a) Annahme durch Erklärung

Im Falle der Annahme durch ausdrückliche Erklärung stellt sich vordringlich das Problem, zu welchem Zeitpunkt die Annahme wirksam wird und der Vertrag damit geschlossen ist, da jedenfalls ab diesem Zeitpunkt ein Widerruf des Angebots nicht mehr möglich ist. Auch unter Abwesenden verliert das Problem allerdings dadurch an Bedeutung, dass Absenden und Zugang einer Erklärung bei Nutzung moderner Kommunikationsmittel, insbesondere Telefax und e-mail, ohne zeitliche Verzögerung stattfinden.

Nach Art. 2:105(1) PECL, Art. II.-4:205(1) DCFR wird die Annahme wie in zahlreichen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen erst mit dem Zugang beim Anbietenden wirksam (§ 862a ABGB, Art. 224 portug. Código civil; § 130 Abs. 1 S. 1 BGB, Art. 3:37 Abs. 3 BW; ebenso Art. 2.1.6(2) UNIDROIT PICC, Art. 18(2), 23 CISG). Auch das englische Recht geht im Grundsatz davon aus, dass die Annahme empfangsbedürftig ist, lässt davon jedoch mit der sog. postal rule (Adams v. Lindsell (1818) 1 B & Ald 681 (KB); Henthorn v. Fraser [1892] 2 Ch 27 (CA)) eine wichtige Ausnahme zu. Im Falle der Versendung per Post ist die Annahme mit der Aufgabe zur Post wirksam und der Vertrag damit geschlossen, auch wenn der Brief auf dem Postweg abhanden kommt oder verspätet zugeht. Bei Nutzung von e-mail oder Telefax gilt die postal rule nur, wenn der Annehmende einen in der Übertragung auftretenden Fehler nicht erkennen konnte. Auch auf die Übermittlung per Brief findet sie nur dann Anwendung, wenn diese Versendungsart angemessen war und der Anbietende den Zugang nicht zur Bedingung der wirksamen Annahme gemacht hat. In Frankreich ist die Rechtslage unklar. Die Rechtsprechung stellt auf die Umstände des Einzelfalls ab. Zur Wahrung der Annahmefrist soll in der Regel die rechtzeitige Absendung genügen. Eine überholende Rücknahmeerklärung der Annahme ist jedoch wie im englischen Recht möglich.

Das Zusammenspiel von Widerruflichkeit des Angebots und Wirksamwerden der Annahme wird deutlich: Ist das Angebot unwiderruflich, bedarf der Angebotsempfänger nicht zusätzlich des Schutzes durch ein frühes Wirksamwerden der Annahme. Umgekehrt ist eine Widerruflichkeit eher hinzunehmen, wenn der Angebotsempfänger den Widerruf bereits durch Versendung der Annahme ausschließen kann. PECL, DCFR und CISG sehen eine Zwischenlösung vor: Zwar wird die Annahme erst mit Zugang wirksam und der Vertrag damit geschlossen, doch muss der Widerruf des Angebots vor Absendung der Annahme zugehen.

b) Annahme durch schlüssiges Verhalten

Zahlreiche Kodifikationen, etwa BGB, ABGB, OR, portug. Código civil, Codice civile, Kodeks cywilny, erkennen eine Annahme durch schlüssiges Verhalten ebenso an wie das englische und französische Recht. In Art. 2:204 PECL und Art. II-4:204 DCFR ist sie ausdrücklich von der Definition der Annahme erfasst: „Any form of statement or conduct …“ (ebenso Art. 2.1.6(1)1 UNICROIT PICC). Die Annahme wird in diesen Fällen jedoch grundsätzlich erst wirksam, wenn der Anbietende von dem schlüssigen Verhalten Kenntnis erlangt. Dagegen kommt der Vertrag bereits mit dem Beginn der Ausführungshandlung des schlüssigen Verhaltens zustande, wenn das Angebot es so vorsieht oder sich dies aus Verkehrssitte, Handelsbrauch oder Übung zwischen den Parteien ergibt (Art. 2:205(3) PECL, Art. II.-4:205(3) DCFR, Art. 18(3) CISG, ähnlich § 151 BGB und ihm folgend § 864 Abs. 1 ABGB, Art. 1327 Codice civile, Art. 234 portug. Código civil; ähnlich auch Art. 10 Abs.2 OR).

c) Annahmefrist und verspätete Annahme

Es ist stets möglich, im Angebot eine Frist für die Annahme zu setzen (vgl. etwa §148 BGB; Art. 2:206(1) PECL; Art. II.-4:206 DCFR). Fehlt es an einer solchen Fristsetzung, greift die dispositive gesetzliche Regelung ein. Während ein Angebot unter Anwesenden danach nur sofort angenommen werden kann (etwa Art. 2.7 S. 2 UNIDROIT PICC, Art. 18(2)3 CISG, § 147 Abs. 1 BGB), ist unter Abwesenden zu differenzieren. Bei einer ausdrücklichen Annahme muss die Erklärung dem Anbietenden innerhalb einer unter Berücksichtigung der Überlegungs-, Entscheidungs- und Übermittlungszeit angemessenen Frist zugehen (§ 147 Abs. 2 iVm § 130 Abs. 1 S. 1 BGB, Art. 6:221 Abs. 1 iVm Art. 3:37(3) BW, Art. 862 ABGB Art. 5 OR, Art. 1326 Abs. 2 Codice civile, Art. 2.7 S. 1 UNIDROIT PICC; Art. 18(3)2 CISG, Art. 2.206(2) PECL und Art. II.-206(2) DCFR (beide „within a reasonable time“). Dies gilt auch im englischen Recht. Greift die postal rule ein, genügt es, die Annahme innerhalb einer reasonable time abzusenden; ebenso in der Regel das französische Recht. Im Fall der Annahme durch schlüssiges Verhalten muss der Anbietende innerhalb einer angemessenen Frist von dem schlüssigen Verhalten Kenntnis erlangen. Genügt zur schlüssigen Annahme jedoch der Beginn der Ausführungshandlung (s.o. 3. b), so reicht es aus, wenn dieser innerhalb der angemessenen Frist erfolgt (Art. 2:206(3) PECL; Art. II.-4:206(3) DCFR, Art. 18(3) CISG; ebenso implizit die meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen).

Ein Vertrag kommt trotz verspäteter Annahme nach einigen Regelwerken mit Zugang dieser Annahme zustande, wenn der Anbietende die Annahme als rechtzeitig gelten lässt (Art. 6:223 Abs. 1 BW, Art. 229(2) portug. Código civil, Art. 1326 Abs. 3 Codice civile, Art. 2.207(1) PECL, Art. II.-4.207 DCFR, Art. 21(1) CISG). Zahlreiche andere Rechtsordnungen (z.B. Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, Belgien) kennen keine derartige Regel, kommen aber nach den Regeln über die modifizierende Annahme (s.u. 3. d) zu einem ähnlichen Ergebnis (Vertragsschluss allerdings zeitlich erst mit Annahme der als Angebot behandelten modifizierenden Annahme).

Ein Vertrag kommt trotz einer bloß verspätet zugegangenen Annahme zustande, wenn der Anbietende den Grund der Verspätung kannte oder kennen musste und dies dem Annehmenden nicht unverzüglich anzeigt (§ 149 BGB, Art. 862a S. 2 ABGB, Art. 5 Abs. 3 OR, Art. 6:223 Abs. 2 BW, Art. 229 Abs. 1 portug. Código civil, Art. 67 Kodeks cywilny, Art. 2:207(2) PECL, Art. II.-4:207(2) DCFR, Art. 21(2) CISG). Im englischen und französischen Recht stellt sich die Problematik in der Regel nicht, da die Annahme in diesen Fällen mit rechtzeitiger Absendung per Post wirksam wird.

d) Modifizierende Annahme

Eine das Angebot modifizierende Antwort der anderen Partei ist grundsätzlich als Ablehnung des Angebots verbunden mit einem Gegenangebot anzusehen (Art. 2:208(1) PECL, Art. II.-4:208(1) DCFR, § 150 Abs. 2 BGB, Art. 6:225 Abs. 1 BW, Art. 233 portug. Código civil, Art. 68 Kodeks cywilny, Art. 19(1) CISG; ebenso die französische und englische Rechtsprechung). Ausnahmsweise stellt sie jedoch dann eine Annahme dar, wenn sie nur unwesentliche Ergänzungen oder Abweichungen vom Angebot enthält und der Annehmende trotz der Modifizierungen seine Zustimmung zum Angebot zum Ausdruck bringt (Art. 2:208(2) PECL; Art. II.-4:208(2) DCFR; Art. 2.22(2) UNIDROIT PICC; Art. 19(2) CISG; Art. 6:225 Abs. 2 BW, teilweise ebenso die deutsche Rechtsprechung). Hiervon wird allerdings eine Rückausnahme in denjenigen Fällen gemacht, in denen das Angebot eine Modifizierung ausdrücklich ausschließt, der Anbietende der Änderung unverzüglich widerspricht oder der Annehmende die Annahme von der Zustimmung des Anbietenden zu den Modifizierungen abhängig macht und ihn diese Zustimmung nicht nach einer angemessenen Bedenkzeit erreicht (so Art. 2:208(3) PECL; Art. II.-4:208(3) DCFR). Nach Art. 6:225 Abs. 2 BW, Art. 2.1.11(2) UNIDROIT PICC und Art. 19(2) CISG kann der Vertragsschluss mit dem modifizierten Inhalt vom Anbietenden dagegen nur durch unverzüglichen Widerspruch verhindert werden.

e) Schweigen und kaufmännisches Bestätigungsschreiben

Schweigen oder Untätigkeit stellen für sich genommen keine Annahme dar (so ausdrücklich Art. 2:204(2) PECL, Art. II.-4:204(2) DCFR und Art. 2.1.6(1)2 UNIDROIT PICC). Einzig das schweizerische Recht sieht in Art. 6 OR vor, dass der Angebotsempfänger dem Angebot widersprechen muss, wenn nach der Natur des Geschäfts oder den Umständen eine Annahme nicht zu erwarten ist.

Entgegen der allgemeinen Regel kann Schweigen im geschäftlichen Verkehr (im Gegensatz zum Rechtsverkehr zwischen Verbrauchern) eine Annahme darstellen. Dies ist für bestimmte Situationen gesetzlich geregelt (etwa § 362 dt. HGB), kann sich aber auch aus Handelsbrauch oder Verkehrssitte ergeben. Vereinzelte Fälle dieser Art finden sich in der deutschen, französischen, italienischen und englischen Rechtsprechung.

Ein besonderer Fall des Schweigens als Annahme im geschäftlichen Verkehr ist das sog. kaufmännische Bestätigungsschreiben, das vor allem im deutschen Recht gewohnheitsrechtlich anerkannt ist, aber auch Eingang in die PECL (Art. 2:210), den DCFR (Art. II.-4:210) und die UNIDROIT PICC (Art. 2.12) gefunden hat. Wird durch ein Schreiben unter Kaufleuten der Inhalt eines bereits geschlossenen (darauf sind PECL, DCFR und UNIDROIT PICC beschränkt) oder eines nur in der Vorstellung des Schreibenden geschlossenen Vertrages (so das deutsche, dänische und finnische Recht) präzisiert und fixiert, kommt der Vertrag mit diesem Inhalt zustande, wenn die andere Partei dem Schreiben nicht unverzüglich widerspricht. Dies gilt nicht, wenn der Inhalt bewusst unrichtig wiedergegeben wird (PECL und DCFR enthalten keine derartige Regel) oder wesentlich vom Verhandlungsergebnis bzw. dem bereits geschlossenen Vertrag abweicht. Damit behandeln die PECL und der DCFR die modifizierende Annahme und das kaufmännische Bestätigungsschreiben gleich, während dies im deutschen Recht nicht der Fall ist.

f) Kollidierende AGB

Ein besonderes Problem des Vertragsschlusses stellen kollidierende Allgemeine Geschäftsbedingungen in Angebot und Annahme dar. Es stellt sich die Frage, ob der Vertrag überhaupt zustande kommt und, wenn ja, mit welchem Inhalt. Die Beantwortung beider Fragen ist stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig, doch haben sich im Grundsatz zwei Lösungen herausgebildet.

Nach der sog. last shot rule gelten die allgemeinen Vertragsschlussregeln. Die Annahme unter Verweis auf die eigenen AGB ist daher als Ablehnung des Angebots, verbunden mit einem neuen Angebot anzusehen. Dieses kann der ursprünglich Anbietende – insbesondere konkludent, indem er mit der Vertragsdurchführung beginnt – annehmen. Verweist er in seiner Antwort jedoch wiederum auf seine AGB, lehnt er das Angebot, verbunden mit einem neuen, eigenen Angebot, ab. Der Vertrag kommt also entweder gar nicht zustande oder aber auf der Grundlage der AGB, auf die zuletzt unwidersprochen verwiesen wurde. Diesem Modell folgen das englische und schottische Recht. Das niederländische Recht sieht in Art. 6:225 Abs. 3 BW umgekehrt eine first shot rule vor; die AGB des Anbietenden gelten.

Nach der sog. knock out rule kommt der Vertrag trotz abweichender AGB (bereits mit der Annahme) zustande, wenn die Parteien sich ansonsten geeinigt haben. Die AGB werden nur insofern Inhalt des Vertrages, als sie sich nicht widersprechen. Im Übrigen greifen die dispositiven gesetzlichen Regelungen ein. Diesem Modell folgen etwa die PECL, der DCFR, die UNIDROIT PICC, das deutsche, österreichische und französische Recht, aber auch die wohl herrschende Auffassung zum CISG (an einer Regelung fehlt es). Nach Art. 2:209(2) PECL und Art. II.-4:209(2) DCFR scheitert der Vertrag jedoch, wenn eine der Parteien – bezogen auf den konkreten Vertrag, also nicht durch eine Abwehrklausel in den AGB – zuvor geäußert hat, im Falle abweichender AGB der anderen Partei nicht gebunden sein zu wollen (ähnlich das deutsche und österreichische Recht) oder dies unverzüglich nach Erhalt der Annahme äußert.

4. Vertragsschluss jenseits von Angebot und Annahme

Insbesondere im Falle der Benutzung angebotener Einrichtungen, die keine direkte Zugangskontrolle vorweisen, etwa eines Parkplatzes oder der Straßenbahn, stellt sich die Frage, ob man den Vertrag in dieser eher auf dem tatsächlichen Leistungsaustausch als auf einer Willenseinigung beruhenden Situation mit dem rechtsgeschäftlichen Modell begründet. Die Art. 2:211 PECL, Art. II.-4:211 DCFR und Art. 2.1.1 UNIDROIT PICC erkennen einen Vertragsschluss auch auf anderem Wege als durch Angebot und Annahme an. Sie wenden – ebenso wie die meisten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen – die Vorschriften über Angebot und Annahme entsprechend an. Die Grenze zwischen rein tatsächlichem Verhalten und konkludenter Erklärung von Angebot und Annahme ist freilich fließend. Die Regelungen haben daher eine bloße Auffangfunktion, um etwaige Lücken im Vertragsschlussmechanismus zu schließen.

Literatur

Rudolf B. Schlesinger (Hg.), Formation of Contracts: Study of the Common Core of Legal Systems, 2 Bde., 1968; Arthur T. von Mehren, The Formation of Contracts, in: IECL VII/1, Kap. 9-19 ff., 50 ff., 112 ff., 1991; Hein Kötz, Europäisches Vertragsrecht, Bd. 1, 1996, § 2; Helmut Köhler, Das Verfahren des Vertragsschlusses, in: Jürgen Basedow (Hg.), Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, 2000, 33 ff.; Peter Oestmann, §§ 145-156, in: Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. I, 2003; Rodolfo Sacco, Formation of Contracts, in: Arthur Hartkamp, Martijn Hesselink, Ewoud Hondius, Carla Joustra, Edgar du Perron, Muriel Veldman (Hg.), Towards a European Civil Code, 3. Aufl. 2004, 353 ff.; Karl Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006, § 13; Guenter H. Treitel, Edwin Peel, The Law of Contract, 12. Aufl. 2007, Kap. 2; Filippo Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. 2009, Kap. 2-4.

Abgerufen von Vertragsschluss – HWB-EuP 2009 am 25. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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