Vermächtnis und Verordnung: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Tobias Helms]]''
von ''[[Karl Riesenhuber]]''
== 1. Abgrenzung ==
== 1. Begriff ==
In allen europäischen Rechtsordnungen ist das Vermächtnis ein zentrales Gestaltungsinstrument des Erblassers, um dem Begünstigten einen Vermögensvorteil aus dem Nachlass zukommen zu lassen.
Die Verordnung ist neben der [[Richtlinie]] die wichtigste der Handlungsform der [[Europäische Gemeinschaft|EG]] ([[Europäische Union|EU]]) im Bereich des Privatrechts. Von den [[Rechtsakte der EG (sonstige Rechtsakte)|sonstigen Rechtsakten]] hat darüber hinaus vor allem die Entscheidung im Wettbewerbsrecht größere Bedeutung. Die Verordnung sichert in besonderem Maße die einheitliche und gleiche Anwendung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben (EuGH Rs. 819/79 – ''Deutschland/Kommission'', Slg. 1981, 21, Rn. 10), sie bietet sich daher vor allem dort an, wo nicht nur eine Rechtsangleichung, sondern eine Rechtsvereinheitlichung angestrebt wird. Dem sind freilich unter den Gesichtspunkten von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit kompetentielle Grenzen gesetzt. Anwendungsbeispiele im Privatrecht sind die Kartell-VO (VO 1/2003) (früher Kartell-VO Nr. 17 von 1962; Grundlage: Art. 83 EG/103 AEUV), die Verordnungen über Gruppenfreistellungen vom Kartellverbot (Art. 81(3) EG/101(3) AEUV) ([[Kartellverbot und Freistellung]]; [[Gruppenfreistellungsverordnungen]]); das [[Internationales Privatrecht|internationale Privat-]] und Verfahrensrecht wird derzeit oder wurde kürzlich in Verordnungen (neu) geregelt (Rom I-VO [ VO 593/2008], [[Vertragliche Schuldverhältnisse (IPR)]]; Rom II-VO [ VO 864/2007], [[Außervertragliche Schuldverhältnisse (IPR)]]); im [[Gesellschaftsrecht]] hat die EG die supranationalen Rechtsformen durch Verordnungen eingeführt ([[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)|Europäische Aktiengesellschaft]], [[Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea)|Europäische Genossenschaft]], [[Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung]]; s.a. den Vorschlag für eine Verordnung über das Statut der [[Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea)|Europäischen Privatgesellschaft]]); aus dem Arbeitsrecht ist die Freizügigkeits-VO (VO 1612/68) zu nennen ([[Arbeitnehmerfreizügigkeit]]), aus dem Vertragsrecht vor allem die Verordnung über Gebühren beim grenzüberschreitenden Geldtransfer (VO 2560/ 2001) und die Verordnung über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder wegen großer Verspätung (VO 261/2004).


=== a) Rechtsordnungen mit „zweispurigem“ System ===
Die Verordnung hat „allgemeine Geltung“, „sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat“ (Art.&nbsp;249(2) EG/288(2) AEUV), man bezeichnet sie daher auch als „Europäisches Gesetz“ (so auch im gescheiterten Verfassungsvertrag). Mit der ''allgemeinen Geltung'' wird die Verordnung als abstrakt-generelle Regelung einer unbestimmten Vielzahl von Sachverhalten gekennzeichnet, das unterscheidet sie von der Entscheidung (EuGH Rs.&nbsp;101/76 – ''Scholten Honig'', Slg. 1977, 797, Rn.&nbsp;8&nbsp;ff., 20&nbsp;ff.). Allerdings „verliert ein Rechtsakt seinen Verordnungscharakter nicht schon dadurch, dass sich die Rechtssubjekte, für die er in einem bestimmten Zeitraum gilt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmen lassen, solange feststeht, dass diese Geltung sich aus einer in dem Rechtsakt umschriebenen objektiven Rechts- oder Sachlage in Verbindung mit der Zielsetzung dieses Aktes ergibt“ (EuGH Rs.&nbsp;242/81 ''Roquette Frères'', Slg. 1982, 3213, Rn.&nbsp;7). Anders als die [[Richtlinie]], die erstens nur die Mitgliedstaaten und diese zweitens auch nur hinsichtlich des <nowiki>Ziels bindet, und anders als Empfehlungen und Stellungnahmen, die unverbindlich sind, ist die Verordnung in allen ihren Teilen verbindlich. Adressaten der Verordnung können neben Mitgliedstaaten und Einzelnen (z.B. Freizügigkeits-VO [VO&nbsp;1612/68], SE-Statut [VO&nbsp;2157/2001]) auch die Organe der EG sein (so z.B. im Beamtenstatut [VO&nbsp;259/68]). Umstritten ist, ob eine an einzelne Mitgliedstaaten gerichtete Verordnung schon der Rechtsform nach unzulässig („gilt in jedem Mitgliedstaat“) oder nur durch den Gleichheitssatz an das Erfordernis eines sachlichen Grundes gebunden ist. Jedenfalls zulässig sein soll eine abstrakt-generelle Verordnung, die leidglich aus tatsächlichen Gründen nur regional praktische Bedeutung hat.</nowiki>
In den meisten europäischen Rechtsordnungen (etwa Deutschland, Griechenland, Italien, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweiz, Spanien) hat der Erblasser – der Tradition des [[Römisches Recht|römischen Recht]]s folgend – die Wahl, ob er den Begünstigten als Erben oder Vermächtnisnehmer einsetzen möchte. Formal lassen sich beide Formen testamentarischer Anordnungen klar voneinander abgrenzen: Erbe ist derjenige, der – zusammen mit anderen (Mit‑)Erben oder auch allein – als Gesamtrechtsnachfolger unmittelbar in die Rechtsstellung des Erblassers einrückt ([[Universalsukzession]]). Während dem Erben demnach ''per definitionem'' eine unmittelbare Beteiligung am gesamten Vermögen des Erblassers zufällt und er als Gesamtrechtsnachfolger grundsätzlich auch für die Nachlassverbindlichkeiten einzustehen hat ([[Erbenhaftung]]), beschränkt sich die Berechtigung des Vermächtnisnehmers auf den Vorteil, den ihm der Erblasser zukommen lassen wollte.


Manche Rechtsordnungen sehen daher auch eine Auslegungsregel vor, wonach derjenige, dem nur einzelne Gegenstände zugewandt worden sind, als Vermächtnisnehmer anzusehen ist (Deutschland: §&nbsp;2087 Abs.&nbsp;2 BGB; Österreich: §&nbsp;535 ABGB; Italien: Art.&nbsp;588 ''Codice civile''<nowiki>; Spanien: Art.&nbsp;768 </nowiki>''Código civil''). Zwingend ist die Begrenzung des Vermächtnisnehmers auf einzelne Gegenstände jedoch nicht. Vielmehr kann ihm auch ein Teil des Nachlasses (Quotenvermächtnis) oder der gesamte Nachlass (Universalvermächtnis) zugewendet werden. Wirtschaftlich können daher Erbeinsetzung und Vermächtnisanordnung gleichwertig sein (zur Haftung für Nachlassverbindlichkeiten [[Erbenhaftung]]).
== 2. Unmittelbare Geltung und Umsetzung  ==
Die Verordnung gilt in den – und nicht nur für die – Mitgliedstaaten unmittelbar. Das bedeutet, „dass die Verordnung in Kraft tritt und zugunsten oder zu Lasten der Rechtssubjekte Anwendung findet, ohne dass es irgendwelcher Maßnahmen zur Umwandlung in nationales Recht bedarf“ (EuGH Rs.&nbsp;34/73 – ''Variola'', Slg. 1973, 981, Rn.&nbsp;10). Die Mitgliedstaaten – alle staatliche Gewalt: Gerichte und Behörden – haben sie ohne Weiteres anzuwenden. Die Verordnung steht in diesem Sinne dem nationalen Gesetz gleich und ist formal Bestandteil der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung, indes ohne damit ihren gemeinschaftsrechtlichen Charakter zu verlieren. Damit steht die Verordnung ''normhierarchisch'' zwar nicht über dem mitgliedstaatlichen Recht, sie genießt diesem gegenüber jedoch einen umfassenden ''Anwendungsvorrang. ''Entgegenstehendes nationales Recht ist zwar nicht nichtig (Geltungsvorrang), hat aber außer Anwendung zu bleiben. Dieser Anwendungsvorrang gilt auch gegenüber zeitlich nachfolgendem mitgliedstaatlichen Recht; ein vom [[Europäischer Gerichtshof|EuGH]] angenommener Vorrang gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht wird vom deutschen BVerfG nur mit Vorbehalt anerkannt.


=== b) Rechtsordnungen mit „einspurigem“ System ===
Mitgliedstaatliche ''Umsetzungs- oder Ausführungsakte'' oder verbindliche Auslegungsregeln sind nicht nur ''unnötig''. Soweit sie die effektive Durchführung der Verordnung einschließlich ihrer Auslegung durch den EuGH beeinträchtigen könnten, sind sie ''unzulässig ''(„Umsetzungsverbot“)''.'' Daher hat der Gerichtshof Maßnahmen für unzulässig gehalten, die den Gemeinschaftsrechtscharakter der Verordnung verschleiern oder ihre unmittelbare Geltung vereiteln oder auch nur „aufs Spiel setzen“ könnten, wie z.B. eine wiederholende Gesetzgebung oder verbindliche Auslegungsregeln. Lediglich in engen Grenzen kommt eine punktuelle Wiederholung des Verordnungsrechts in Betracht, etwa wenn dies wegen der Komplexität der Regelung oder des Zusammenwirkens von Verordnungsrecht und mitgliedstaatlichem Recht erforderlich ist. Auch unverbindliche, klarstellende Auslegungsregeln, z.B. von einer Behörde, können bei Zweifelsfragen zulässig sein. Gegenstück zum Umsetzungsverbot ist die Pflicht, ''kollidierende Normen abzuändern oder aufzuheben'' und nicht neu einzuführen. Würden sie wegen des Anwendungsvorrangs der Verordnung auch rechtlich zurücktreten, so könnten sie doch zu Unklarheit und Ungewissheit über die Rechtslage führen und damit die effektive Durchführung der Verordnung behindern, insbesondere die Adressaten davon abhalten, sich auf die Verordnung zu berufen.
Andere europäische Rechtsordnungen räumen dem Erblasser demgegenüber nicht die Rechtsmacht ein, den oder die Erben testamentarisch zu bestimmen. Dieser Ansatz geht auf das germanische Erbrecht zurück, das ein auf der Blutsgemeinschaft aufbauendes Verwandtschaftserbrecht kannte und keine Verfügungen von Todes wegen zuließ. In diesen Ländern kann der Erblasser nur im Wege der Vermächtnisanordnung von Todes wegen über sein Vermögen verfügen.


Weitgehend zwingend ist die Wahl dieses „einspurigen“ Modells für die Länder, die nicht dem Grundsatz der Universalsukzession folgen. So geht in England sowie den nordischen Ländern der Nachlass nicht direkt auf die gesetzlich oder testamentarisch Begünstigten über, sondern zunächst auf einen Verwalter bzw. Treuhänder, der alle Nachlassverbindlichkeiten begleicht ([[Erbenhaftung]]) und nur den von allen Verbindlichkeiten bereinigten Nachlassrest an die Begünstigten auskehrt. Bei einem solchen Modell besitzt die Unterscheidung zwischen Erben als Gesamtrechtsnachfolgern (denen die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über den Nachlass zufällt und die für Nachlassverbindlichkeiten haften) und Vermächtnisnehmern als Einzelrechtsnachfolgern keine Bedeutung.
Eine ''Umsetzungspflicht'' besteht nur ausnahmsweise dort, wo die Verordnung selbst dies (sekundärrechtlich) vorsieht (s. z.B. SE-Statut, [[Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea)|Europäische Aktiengesellschaft]]) oder es doch der Sache nach erfordert (dann schon Art.&nbsp;249(2) EG/288(2) AEUV, ggf. i.V.m. Art.&nbsp;10 EG/4(3) AEUV); man spricht auch von unvollständigen oder ''hinkenden Verordnungen''.  


In den übrigen Rechtsordnungen, die dem „einspurigen“ System folgen, werden die Erben grundsätzlich gesetzlich zwingend festgelegt (z.B. Belgien, Frankreich und Rumänien). Allerdings ist in diesen Ländern die Stellung eines Universal- oder Erbteilsvermächtnisnehmers typischerweise an die eines Erben angeglichen. Dies zeigt sich vor allem daran, dass diese auch für Nachlassverbindlichkeiten haften (Belgien und Frankreich: jeweils Art.&nbsp;1009, 1012 ''Code civil''<nowiki>; Rumänien: Art.&nbsp;775 </nowiki>''Codul civil'').
== 3. Unmittelbare Wirkung ==
Von der unmittelbaren Geltung ist die unmittelbare Wirkung der Verordnung zu unterscheiden. Allerdings erzeugt die Verordnung „schon nach ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem des Gemeinschaftsrechts … unmittelbare Wirkungen und ist als solche geeignet, für die Einzelnen Rechte zu begründen, zu deren Schutz die nationalen Gerichte verpflichtet sind“ (EuGH Rs.&nbsp;43/71 – ''Politi/Finanzministerium der Italienischen Republik'','' ''Slg. 1971, 1039, Rn.&nbsp;9; EuGH Rs.&nbsp;34/73 – ''Variola'', Slg. 1973, 981, Rn.&nbsp;8). Rechtsnatur und Adressaten entspricht es weiterhin, dass die unmittelbare Wirkung nicht auf das Vertikalverhältnis zwischen Bürger und Staat beschränkt ist, sondern – anders als die Richtlinie – auch im ''Horizontalverhältnis'' von Privatpersonen untereinander zum Tragen kommen kann. Die Verordnung kann mit anderen Worten Privatpersonen unmittelbar gegenüber anderen Privaten berechtigen und auch verpflichten; die von ihr begründeten Rechte und Pflichten müssen ggf. im Zivilprozess durchgesetzt werden können (EuGH Rs.&nbsp;C-253/00 – ''Muñoz und Superior Fruiticola'', Slg. 2002, I-7289, Rn.&nbsp;30&nbsp;f.). Zum Beispiel kann man an die VO&nbsp;261/2004 über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder wegen großer Verspätung denken: Sie begründet u.a. Ansprüche der Fluggäste gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen auf Ausgleichszahlungen, auf Erstattung oder anderweitige Beförderung sowie auf Betreuung.


=== c) Gesetzliche Vermächtnisse ===
Die allgemeinen Voraussetzungen einer unmittelbaren Wirkung, dass die Regelungen hinreichend bestimmt und unbedingt sind und keiner weiteren Umsetzung durch die Gemeinschaft oder die Mitgliedstaaten bedürfen, ist bei den Verordnungen im Bereich des Privatrechts regelmäßig gegeben. Ausnahmen sind – neben den hier nicht bedeutsamen Verordnungen des EG-(EU‑)Binnenrechts und sog. Grundverordnungen, die nur die wesentlichen Aspekte eines Sachbereichs regeln – vor allem die hinkenden Verordnungen (s.o. 2. a.E.).  
Außer den durch letztwillige Verfügungen angeordneten Vermächtnissen gibt es in manchen europäischen Rechtsordnungen auch gesetzliche Vermächtnisse, die jedoch nur sehr eingeschränkte praktische Relevanz besitzen. In Deutschland und Österreich etwa stehen dem überlebenden Ehegatten Haushaltsgegenstände sowie Hochzeitsgeschenke von Gesetzes wegen als sog. Voraus zu (§&nbsp;1932 Abs.&nbsp;2 BGB; §&nbsp;758 ABGB). Außerdem können in Deutschland Familienangehörige des Erblassers, die zur Zeit des Todes des Erblassers zu dessen Hausstand gehört und von ihm Unterhalt bezogen haben, in den ersten 30 Tagen nach dem Eintritt des Erbfalls in demselben Umfang, wie der Erblasser es getan hat, vom Erben Unterhalt verlangen und sind zur Benutzung der Wohnung und der Haushaltsgegenstände befugt, sog. Dreißigster (§&nbsp;1969 BGB).


== 2. Rechtsvergleichender Überblick ==
== 4. Rechtsschutz ==
=== a) Wirksamkeitsvoraussetzungen ===
Rechtsschutz unmittelbar gegen eine (primärrechtswidrige) Verordnung steht grundsätzlich nur den Organen der EG offen, Art.&nbsp;230(2) EG/263(2) AEUV. Der Einzelne kann die Primärrechtskonformität lediglich inzident (in einem Rechtsstreit über die Anwendung der Verordnung) überprüfen lassen. Ausnahmsweise steht dem Einzelnen indes dann eine Nichtigkeitsklage nach Art.&nbsp;230(4) EG/263(4) AEUV offen, wenn er durch die Verordnung unmittelbar individuell betroffen ist (als Verordnung ergangene Entscheidung, sog. Scheinverordnung; hybrider Rechtsakt). So hat der Gerichtshof z.B. die Nichtigkeitsklage eines Schaumweinherstellers gegen eine Verordnung für zulässig gehalten, die zwar allgemein Geltung hatte, insbesondere aber auch den Kläger an der Weiterbenutzung einer eingetragenen Marke hinderte (EuGH Rs.&nbsp;C-309/89 – ''Cordniu'', Slg. 1994, I-1853, Rn. 14&nbsp;ff.).  
Vermächtnisse können stets in einem [[Testament]] (Deutschland: §&nbsp;1939 BGB; Frankreich: Art.&nbsp;1002 ''Code civil''<nowiki>; Österreich: §&nbsp;647 ABGB; Schweiz: Art.&nbsp;481, 484 ZGB; Rumänien: Art.&nbsp;887 </nowiki>''Codul civil''<nowiki>; Spanien: Art.&nbsp;764 </nowiki>''Código civil'') und – soweit dieser zulässig ist – auch in einem [[Erbvertrag und gemeinschaftliches Testament|Erbvertrag]] angeordnet werden (Deutschland: §&nbsp;1941 Abs.&nbsp;1 BGB; Österreich: §&nbsp;1249 ABGB; Schweiz: Art.&nbsp;494 ZGB). Wenn der Erblasser die vermachte Sache später veräußert, wird das Vermächtnis hierdurch im Zweifel unwirksam (Deutschland: §&nbsp;2169 BGB; Österreich: §&nbsp;724 ABGB; Frankreich: Art.&nbsp;1038 ''Code civil''<nowiki>; Spanien: Art.&nbsp;869 Nr.&nbsp;2 </nowiki>''Código civil'').
 
Vermächtnisnehmer kann jede natürliche oder juristische Person sein. Während in manchen Rechtsordnungen auch eine noch nicht gezeugte Person mit einem Vermächtnis bedacht werden darf (Deutschland: §§&nbsp;2162 Abs.&nbsp;2, 2178 BGB; Italien: Art.&nbsp;462 Abs.&nbsp;3 ''Codice civile''<nowiki>; Portugal: Art.&nbsp;2033 </nowiki>''Código civil''), kann in anderen Rechtsordnungen Vermächtnisnehmer nur der werden, der im Zeitpunkt des Erbfalls bereits gezeugt war (Frankreich und Belgien: jeweils Art.&nbsp;906 Abs.&nbsp;2 ''Code civil''<nowiki>; Österreich: §&nbsp;647 ABGB).</nowiki>
 
Die Forderung des Vermächtnisnehmers entsteht grundsätzlich bereits mit dem Eintritt des Erbfalls (Deutschland: §&nbsp;2176 BGB; Belgien: Art.&nbsp;1014 Abs.&nbsp;1 ''Code civil''<nowiki>; Frankreich: Art.&nbsp;1014 Abs.&nbsp;1 </nowiki>''Code civil''<nowiki>; Griechenland: Art.&nbsp;1997 ZGB; Italien: Art.&nbsp;649 </nowiki>''Codice civile''<nowiki>; Rumänien: Art.&nbsp;899 </nowiki>''Codul civil''<nowiki>; Spanien: Art.&nbsp;881 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Schweiz: Art.&nbsp;543 Abs.&nbsp;1 ZGB; Österreich: §&nbsp;684 ABGB). In manchen Rechtsordnungen wird jedoch der Fälligkeitszeitpunkt hinausgeschoben. So wird in der Schweiz das Vermächtnis erst mit der Annahme der Erbschaft bzw. dem Verlust des Ausschlagungsrechts durch den beschwerten Erben fällig (Art.&nbsp;562 Abs.&nbsp;2 ZGB). In Österreich hingegen wird das Vermächtnis – wenn der Erblasser nichts anderes angeordnet hat – grundsätzlich erst ein Jahr nach dem Tod des Erblassers fällig (§&nbsp;685 Hs.&nbsp;2 ABGB).</nowiki>
 
=== b) Gegenstand ===
Den Inhalt des Vermächtnisses kann der Erblasser weitgehend frei bestimmen, dies ist Ausfluss der ihm gewährten Testierfreiheit. Typisch sind sog. Stückvermächtnisse, bei denen ein einzelner, dem Erblasser gehörender Gegenstand vermacht wird (vgl. Spanien: Art.&nbsp;882 Abs.&nbsp;1 ''Código civil''<nowiki>; Belgien und Frankreich: jeweils Art.&nbsp;1014&nbsp;ff. </nowiki>''Code civil''<nowiki>; Rumänien: Art.&nbsp;899&nbsp;ff. </nowiki>''Codul civil''<nowiki>; Schweiz: Art.&nbsp;484 Abs.&nbsp;2 ZGB). Im englischen Recht spricht man bei Zuwendung einzelner Gegenstände von </nowiki>''specific devises'' (Immobilien) oder ''specific bequests'' (Mobilien). Denkbar sind auch sog. Wahlvermächtnisse, bei denen der Vermächtnisnehmer von mehreren Gegenständen nur den einen oder den anderen erhalten soll (Deutschland: §&nbsp;2154 BGB; Griechenland: Art.&nbsp;1973 ZGB; Spanien: Art.&nbsp;874 ''Código civil''<nowiki>; Portugal: Art.&nbsp;2267 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Schweiz: Art.&nbsp;484 ZGB).</nowiki>
 
Daneben besteht regelmäßig die Möglichkeit, den vermachten Gegenstand nur der Gattung nach zu bestimmen (Deutschland: §&nbsp;2155 BGB; Österreich: §&nbsp;656 ABGB; Italien: Art.&nbsp;653 ''Codice civile''<nowiki>; Portugal: Art.&nbsp;2253 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Spanien Art.&nbsp;875 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Schweiz: Art.&nbsp;484 Abs.&nbsp;1 ZGB). Oftmals wird es </nowiki>sich dann um ein sog. Verschaffungsvermächtnis handeln. Bei einem Verschaffungsvermächtnis, das als Stück- oder Gattungsvermächtnis vorkommt, ist der mit dem Vermächtnis Beschwerte zur Beschaffung des vermachten, bislang noch nicht im Nachlass befindlichen Gegenstandes verpflichtet (Deutschland: §&nbsp;2170 BGB; Italien: Art.&nbsp;651 Abs.&nbsp;2, 652 ''Codice civile''<nowiki>; Spanien: Art.&nbsp;861, 862 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Schweiz: Art.&nbsp;484 Abs.&nbsp;1 ZGB). Im englischen Recht werden der Gattung nach bestimmte Gegenstände mittels sog. </nowiki>''general legacies'' vermacht. Im Zweifel muss der Testamentsvollstrecker einen entsprechenden Gegenstand innerhalb eines Jahres beschaffen, anderenfalls dem Bedachten den Wert des Gegenstandes auszahlen.
 
Vermacht der Erblasser eine fremde Sache, die er für seine eigene hält, so ist das Vermächtnis regelmäßig unwirksam. Erfolgt diese Anordnung jedoch in Kenntnis der Umstände, so liegt ein Verschaffungsvermächtnis vor (Griechenland: Art.&nbsp;1984 Abs.&nbsp;1 ZGB; Italien: Art.&nbsp;651 ''Codice civile''<nowiki>; Spanien: Art.&nbsp;861, 862 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Portugal: Art 2251 Abs.&nbsp;1 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Rumänien: Art.&nbsp;906, 907 </nowiki>''Codul civil''). Obwohl in Frankreich nach dem Wortlaut des Art.&nbsp;1021 ''Code civil'' jedes Vermächtnis unwirksam ist, das sich auf einen Gegenstand bezieht, der nicht im Eigentum des Erblassers steht, gelangt die Rechtsprechung im Wege einschränkender Auslegung zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie die vorgenannten Rechtsordnungen.
 
Eine gewisse Besonderheit stellen das Universal- und das Quotenvermächtnis dar, weil sie wirtschaftlich mit einer Erbeinsetzung vergleichbar sein können (zur Haftung für Nachlassverbindlichkeiten [[Erbenhaftung]]). Dabei wird dem Bedachten entweder der gesamte Nachlasswert oder eine Geldsumme vermacht, deren Höhe sich auf einen bestimmten Bruchteil des nach Begleichung der Nachlassverbindlichkeiten verbleibenden Nachlasswertes beläuft. Im englischen Recht spricht man bei Zuwendung des Restvermögens oder von Bruchteilen von ''residuary devises'' (Immobilien) oder ''residuary bequests'' (Mobilien). In den Rechtsordnungen, die zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnisanordnung unterscheiden (vgl. 1.), liegt – soweit im Testament keine eindeutige Festlegung getroffen wird – in diesen Fällen die Annahme nahe, dass eine Erbeinsetzung gewollt ist (Deutschland: §&nbsp;2087 Abs.&nbsp;1 BGB; Schweiz: vgl. Art.&nbsp;483 ZGB). Doch kann sich durch Auslegung der Verfügung ergeben, dass es sich gleichwohl um ein Vermächtnis handeln soll.
 
=== c) Dingliche oder schuldrechtliche Wirkung ===
Bereits im römischen Recht unterschied man zwischen dem Vindikationslegat (''legatum per vindicationem''), das dem Bedachten unmittelbar Eigentum verschafft und somit dingliche Wirkung entfaltet (Singularsukzession), und dem Damnationslegat (''legatum per damnationem''), bei dem der Vermächtnisnehmer lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch auf Leistung des vermachten Vermögensvorteils erhält. Einige moderne Rechtsordnungen lehnen Vindikationslegate ab und sehen nur schuldrechtlich wirkende Damnationslegate vor (Deutschland: §&nbsp;2174 BGB; Schweiz: Art.&nbsp;562 ZGB; Österreich: §&nbsp;684 ABGB; Niederlande: Art.&nbsp;4:117 BW; Polen: Art.&nbsp;986 ''Kodeks zywilny''). Wenig überraschend ist diese Weichenstellung für die Länder des germanischen Rechtskreises, die im Sachenrecht dem Traditionsprinzip bzw. Eintragungsprinzip folgen und den [[Eigentum]]serwerb von Mobilien grundsätzlich erst mit der Besitzverschaffung und den Eigentumserwerb von Immobilien erst mit der Eintragung im Grundbuch eintreten lassen. Demgegenüber ist für das englische Recht dieser Ansatz die systematische Konsequenz aus dem Umstand, dass der Nachlass zunächst auf einen Treuhänder ([[Trust und Treuhand|''Trust'' und Treuhand]]) übergeht, der erst nach Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten ([[Erbenhaftung]]) den verbleibenden Restnachlass an die Begünstigten (''beneficiaries'') auskehrt.
 
Demgegenüber kennen vor allem die romanischen Rechtsordnungen, die im Sachenrecht dem Konsensprinzip folgen ([[Eigentum]]serwerb), neben Damnationslegaten auch Vindikationslegate (Frankreich und Belgien: jeweils Art.&nbsp;1014 ''Code civil''<nowiki>; Spanien: Art.&nbsp;882 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Portugal: Art.&nbsp;2249&nbsp;ff. </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Italien: Art.&nbsp;649 </nowiki>''Codice civile''<nowiki>; Rumänien: Art.&nbsp;888&nbsp;ff. </nowiki>''Codul civil''). Da der Vermächtnisnehmer die Berechtigung am vermachten Gegenstand unmittelbar mit dem Erbfall erwirbt, können sich Vindikationslegate naturgemäß nur auf einzelne konkret bestimmte Sachen oder Rechte (z.B. Forderungen) beziehen, die dem Erblasser selbst zustehen (Stückvermächtnis). Demgegenüber sind Gattungs- oder Verschaffungsvermächtnisse auch in den romanischen Rechtsordnungen Damnationslegate. Auch wenn der Vermächtnisnehmer unmittelbarer (Einzel‑)Rechtsnachfolger des Erblassers wird, bedeutet dies nicht, dass er sich selbständig den Besitz an der vermachten Sache verschaffen darf, vielmehr muss er sich hierfür an den Erben oder Testamentsvollstrecker halten (Frankreich: Art.&nbsp;1014 ''Code civil''<nowiki>; Spanien: Art.&nbsp;885 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Belgien: Art.&nbsp;1011, 1014 Abs.&nbsp;2 </nowiki>''Code civil''<nowiki>; Italien: Art.&nbsp;649 Abs.&nbsp;3 </nowiki>''Codice civile'').
 
Demgegenüber eröffnet das griechische Recht eine Wahlmöglichkeit: Grundsätzlich erlangt der Vermächtnisnehmer gemäß Art.&nbsp;1995 ZGB mit Anfall des Vermächtnisses nur das obligatorische Recht, vom Beschwerten die Leistung des vermachten Gegenstandes zu fordern. Ein Vindikationslegat liegt – soweit der Erblasser nichts Gegenteiliges bestimmt hat – gemäß Art.&nbsp;1996 S.&nbsp;1 ZGB jedoch dann vor, wenn der Erbe (und nicht ein Vermächtnisnehmer mit einem Untervermächtnis) beschwert ist, der vermachte Gegenstand eine bestimmte Sache oder ein bestimmtes Recht ist und zum Nachlass gehört.
 
=== d) Beschwerter ===
Wer zur Erfüllung des Vermächtnisses verpflichtet ist, bestimmt in erster Linie der Erblasser. Neben allen oder einzelnen Erben kann auch ein Vermächtnisnehmer mit einem (Unter‑)Vermächtnis beschwert werden (vgl. etwa Österreich: §§&nbsp;649, 650 ABGB; Schweiz: Art.&nbsp;484 Abs.&nbsp;2 ZGB; Spanien: Art.&nbsp;858 ''Código civil''). Hat der Erblasser keine Bestimmung getroffen, so trifft die Verpflichtung die Erben (Deutschland: §&nbsp;2147 S.&nbsp;2 BGB; Griechenland: Art.&nbsp;1967 Abs.&nbsp;2 ZGB; Italien: Art.&nbsp;662 ''Codice civile''<nowiki>; Portugal: Art.&nbsp;2265 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Spanien: Art.&nbsp;859 Abs.&nbsp;2 </nowiki>''Código civil''<nowiki>; Niederlande: Art.&nbsp;4:117 Abs.&nbsp;2 BW).</nowiki>
 
In einigen Rechtsordnungen kann der Erblasser auch ein sog. Nachvermächtnis anordnen. Dies bedeutet, dass der vermachte Gegenstand dem ersten Vermächtnisnehmer nicht dauerhaft zusteht, sondern ab einem bestimmten Zeitpunkt an einen Dritten, den Nachvermächtnisnehmer, herauszugeben ist. Die Möglichkeit, Nachvermächtnisse anzuordnen, unterliegt oftmals gewissen Schranken. In Deutschland etwa gibt es eine zeitliche Begrenzung nach §§&nbsp;2162, 2163 BGB. In Österreich ist, sofern alle eingesetzten Personen Zeitgenossen des Erblassers sind, die Anzahl an Nachvermächtnisnehmern („fideikommissarische Erben“) nach §&nbsp;611 ABGB nicht eingeschränkt. Sind demgegenüber die (Nach‑)Vermächtnisnehmer zur Zeit der Anordnung noch nicht geboren, kann bei Geld und Mobilien ein zweistufiges, bei Immobilien nur ein einstufiges Nachvermächtnis angeordnet werden (§&nbsp;612 ABGB). In der Schweiz (Art.&nbsp;488 Abs.&nbsp;2 und 3 ZGB) und in Spanien (Art.&nbsp;781 ''Código civil'', „fideikommissarische Substitution“) hingegen ist grundsätzlich nur eine einstufige Nachvermächtnisanordnung erlaubt, wobei in Spanien das Nachvermächtnis nur zugunsten zur Zeit des Erbfalls bereits lebender Personen zulässig ist. In Frankreich eröffnen die sog. ''libéralités graduelles'' (stufenweise Zuwendungen) Gestaltungsmöglichkeiten, die mit dem Nachvermächtnis vergleichbar sind (Art.&nbsp;1048-1056 ''Code civil''), doch ist auch hier nur eine einstufige Bindung möglich (Art.&nbsp;1053 ''Code civil'').
 
== 3. Fazit ==
In allen europäischen Rechtsordnungen werden dem Erblasser durch das Vermächtnis recht ähnliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Die weitgehende Übereinstimmung der dargestellten Regeln dürfte darauf zurückzuführen sein, dass Konsens darüber besteht, dass es sich beim Vermächtnis um ein zentrales Instrument handelt, um von der [[Testierfreiheit]] Gebrauch machen zu können. Abweichungen in Einzelfragen ergeben sich vor allem deshalb, weil die Regeln über das Vermächtnis in das Gesamtsystem des Erb- und Sachenrechts eingepasst werden müssen und somit auf die unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen in diesen Bereichen reagieren.


== Literatur==
== Literatur==
''Schröder'', Vermächtnis, in: Franz Schlegelberger (Hg.), Rechtsvergleichendes Handwörterbuch für das Zivil- und Handelsrecht des In- und Auslandes, Bd.&nbsp;7, 1940, 216&nbsp;ff.; ''Franz-Notker Lichtinger'', Der Voraus im Erbrecht, 2000; ''Rembert Süß'', Das Vindikationslegat im Internationalen Privatrecht, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 65 (2001) 245&nbsp;ff.;'' Rembert Süß'', Erbrecht in Europa, 2.&nbsp;Aufl. 2008; ''Murad Ferid'', ''Karl Firsching'', ''Heinrich Dörner'', ''Rainer Hausmann'', Internationales Erbrecht, 9&nbsp;Bde. (Loseblatt); ''Walter Pintens ''(Hg.), International Encyclopedia of Laws, Bd.&nbsp;2, Family and Succession Law (Loseblatt).
''Hans-Jürgen Rabe'', Das Verordnungsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1963; ''Wolfdietrich Möller'', Die Verordnung der Europäischen Gemeinschaften, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 1969, 1&nbsp;ff.; ''Derrick Wyatt'', The nature of regulations and directives, European Law Review 1977, 215&nbsp;ff.; ''Xabier Arzoz'', Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaften, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 2001, 299&nbsp;ff.; ''Armin v. Bogdandy'', ''Jürgen Bast'', ''Fabian Arnd'', Handlungsformen im Unionsrecht, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 62 (2002) 78&nbsp;ff.; ''Johannes Köndgen'', Rechtsquellen des Europäischen Privatrechts, in: Karl Riesenhuber (Hg.), Europäische Methodenlehre, 2006, 133&nbsp;ff.


[[Kategorie:A–Z]]
[[Kategorie:A–Z]]
[[en:Legacies]]
[[en:Regulation]]

Version vom 29. September 2021, 15:30 Uhr

von Karl Riesenhuber

1. Begriff

Die Verordnung ist neben der Richtlinie die wichtigste der Handlungsform der EG (EU) im Bereich des Privatrechts. Von den sonstigen Rechtsakten hat darüber hinaus vor allem die Entscheidung im Wettbewerbsrecht größere Bedeutung. Die Verordnung sichert in besonderem Maße die einheitliche und gleiche Anwendung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben (EuGH Rs. 819/79 – Deutschland/Kommission, Slg. 1981, 21, Rn. 10), sie bietet sich daher vor allem dort an, wo nicht nur eine Rechtsangleichung, sondern eine Rechtsvereinheitlichung angestrebt wird. Dem sind freilich unter den Gesichtspunkten von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit kompetentielle Grenzen gesetzt. Anwendungsbeispiele im Privatrecht sind die Kartell-VO (VO 1/2003) (früher Kartell-VO Nr. 17 von 1962; Grundlage: Art. 83 EG/103 AEUV), die Verordnungen über Gruppenfreistellungen vom Kartellverbot (Art. 81(3) EG/101(3) AEUV) (Kartellverbot und Freistellung; Gruppenfreistellungsverordnungen); das internationale Privat- und Verfahrensrecht wird derzeit oder wurde kürzlich in Verordnungen (neu) geregelt (Rom I-VO [ VO 593/2008], Vertragliche Schuldverhältnisse (IPR); Rom II-VO [ VO 864/2007], Außervertragliche Schuldverhältnisse (IPR)); im Gesellschaftsrecht hat die EG die supranationalen Rechtsformen durch Verordnungen eingeführt (Europäische Aktiengesellschaft, Europäische Genossenschaft, Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung; s.a. den Vorschlag für eine Verordnung über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft); aus dem Arbeitsrecht ist die Freizügigkeits-VO (VO 1612/68) zu nennen (Arbeitnehmerfreizügigkeit), aus dem Vertragsrecht vor allem die Verordnung über Gebühren beim grenzüberschreitenden Geldtransfer (VO 2560/ 2001) und die Verordnung über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder wegen großer Verspätung (VO 261/2004).

Die Verordnung hat „allgemeine Geltung“, „sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat“ (Art. 249(2) EG/288(2) AEUV), man bezeichnet sie daher auch als „Europäisches Gesetz“ (so auch im gescheiterten Verfassungsvertrag). Mit der allgemeinen Geltung wird die Verordnung als abstrakt-generelle Regelung einer unbestimmten Vielzahl von Sachverhalten gekennzeichnet, das unterscheidet sie von der Entscheidung (EuGH Rs. 101/76 – Scholten Honig, Slg. 1977, 797, Rn. 8 ff., 20 ff.). Allerdings „verliert ein Rechtsakt seinen Verordnungscharakter nicht schon dadurch, dass sich die Rechtssubjekte, für die er in einem bestimmten Zeitraum gilt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmen lassen, solange feststeht, dass diese Geltung sich aus einer in dem Rechtsakt umschriebenen objektiven Rechts- oder Sachlage in Verbindung mit der Zielsetzung dieses Aktes ergibt“ (EuGH Rs. 242/81 – Roquette Frères, Slg. 1982, 3213, Rn. 7). Anders als die Richtlinie, die erstens nur die Mitgliedstaaten und diese zweitens auch nur hinsichtlich des Ziels bindet, und anders als Empfehlungen und Stellungnahmen, die unverbindlich sind, ist die Verordnung in allen ihren Teilen verbindlich. Adressaten der Verordnung können neben Mitgliedstaaten und Einzelnen (z.B. Freizügigkeits-VO [VO 1612/68], SE-Statut [VO 2157/2001]) auch die Organe der EG sein (so z.B. im Beamtenstatut [VO 259/68]). Umstritten ist, ob eine an einzelne Mitgliedstaaten gerichtete Verordnung schon der Rechtsform nach unzulässig („gilt in jedem Mitgliedstaat“) oder nur durch den Gleichheitssatz an das Erfordernis eines sachlichen Grundes gebunden ist. Jedenfalls zulässig sein soll eine abstrakt-generelle Verordnung, die leidglich aus tatsächlichen Gründen nur regional praktische Bedeutung hat.

2. Unmittelbare Geltung und Umsetzung

Die Verordnung gilt in den – und nicht nur für die – Mitgliedstaaten unmittelbar. Das bedeutet, „dass die Verordnung in Kraft tritt und zugunsten oder zu Lasten der Rechtssubjekte Anwendung findet, ohne dass es irgendwelcher Maßnahmen zur Umwandlung in nationales Recht bedarf“ (EuGH Rs. 34/73 – Variola, Slg. 1973, 981, Rn. 10). Die Mitgliedstaaten – alle staatliche Gewalt: Gerichte und Behörden – haben sie ohne Weiteres anzuwenden. Die Verordnung steht in diesem Sinne dem nationalen Gesetz gleich und ist formal Bestandteil der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung, indes ohne damit ihren gemeinschaftsrechtlichen Charakter zu verlieren. Damit steht die Verordnung normhierarchisch zwar nicht über dem mitgliedstaatlichen Recht, sie genießt diesem gegenüber jedoch einen umfassenden Anwendungsvorrang. Entgegenstehendes nationales Recht ist zwar nicht nichtig (Geltungsvorrang), hat aber außer Anwendung zu bleiben. Dieser Anwendungsvorrang gilt auch gegenüber zeitlich nachfolgendem mitgliedstaatlichen Recht; ein vom EuGH angenommener Vorrang gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht wird vom deutschen BVerfG nur mit Vorbehalt anerkannt.

Mitgliedstaatliche Umsetzungs- oder Ausführungsakte oder verbindliche Auslegungsregeln sind nicht nur unnötig. Soweit sie die effektive Durchführung der Verordnung einschließlich ihrer Auslegung durch den EuGH beeinträchtigen könnten, sind sie unzulässig („Umsetzungsverbot“). Daher hat der Gerichtshof Maßnahmen für unzulässig gehalten, die den Gemeinschaftsrechtscharakter der Verordnung verschleiern oder ihre unmittelbare Geltung vereiteln oder auch nur „aufs Spiel setzen“ könnten, wie z.B. eine wiederholende Gesetzgebung oder verbindliche Auslegungsregeln. Lediglich in engen Grenzen kommt eine punktuelle Wiederholung des Verordnungsrechts in Betracht, etwa wenn dies wegen der Komplexität der Regelung oder des Zusammenwirkens von Verordnungsrecht und mitgliedstaatlichem Recht erforderlich ist. Auch unverbindliche, klarstellende Auslegungsregeln, z.B. von einer Behörde, können bei Zweifelsfragen zulässig sein. Gegenstück zum Umsetzungsverbot ist die Pflicht, kollidierende Normen abzuändern oder aufzuheben und nicht neu einzuführen. Würden sie wegen des Anwendungsvorrangs der Verordnung auch rechtlich zurücktreten, so könnten sie doch zu Unklarheit und Ungewissheit über die Rechtslage führen und damit die effektive Durchführung der Verordnung behindern, insbesondere die Adressaten davon abhalten, sich auf die Verordnung zu berufen.

Eine Umsetzungspflicht besteht nur ausnahmsweise dort, wo die Verordnung selbst dies (sekundärrechtlich) vorsieht (s. z.B. SE-Statut, Europäische Aktiengesellschaft) oder es doch der Sache nach erfordert (dann schon Art. 249(2) EG/288(2) AEUV, ggf. i.V.m. Art. 10 EG/4(3) AEUV); man spricht auch von unvollständigen oder hinkenden Verordnungen.

3. Unmittelbare Wirkung

Von der unmittelbaren Geltung ist die unmittelbare Wirkung der Verordnung zu unterscheiden. Allerdings erzeugt die Verordnung „schon nach ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem des Gemeinschaftsrechts … unmittelbare Wirkungen und ist als solche geeignet, für die Einzelnen Rechte zu begründen, zu deren Schutz die nationalen Gerichte verpflichtet sind“ (EuGH Rs. 43/71 – Politi/Finanzministerium der Italienischen Republik, Slg. 1971, 1039, Rn. 9; EuGH Rs. 34/73 – Variola, Slg. 1973, 981, Rn. 8). Rechtsnatur und Adressaten entspricht es weiterhin, dass die unmittelbare Wirkung nicht auf das Vertikalverhältnis zwischen Bürger und Staat beschränkt ist, sondern – anders als die Richtlinie – auch im Horizontalverhältnis von Privatpersonen untereinander zum Tragen kommen kann. Die Verordnung kann mit anderen Worten Privatpersonen unmittelbar gegenüber anderen Privaten berechtigen und auch verpflichten; die von ihr begründeten Rechte und Pflichten müssen ggf. im Zivilprozess durchgesetzt werden können (EuGH Rs. C-253/00 – Muñoz und Superior Fruiticola, Slg. 2002, I-7289, Rn. 30 f.). Zum Beispiel kann man an die VO 261/2004 über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder wegen großer Verspätung denken: Sie begründet u.a. Ansprüche der Fluggäste gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen auf Ausgleichszahlungen, auf Erstattung oder anderweitige Beförderung sowie auf Betreuung.

Die allgemeinen Voraussetzungen einer unmittelbaren Wirkung, dass die Regelungen hinreichend bestimmt und unbedingt sind und keiner weiteren Umsetzung durch die Gemeinschaft oder die Mitgliedstaaten bedürfen, ist bei den Verordnungen im Bereich des Privatrechts regelmäßig gegeben. Ausnahmen sind – neben den hier nicht bedeutsamen Verordnungen des EG-(EU‑)Binnenrechts und sog. Grundverordnungen, die nur die wesentlichen Aspekte eines Sachbereichs regeln – vor allem die hinkenden Verordnungen (s.o. 2. a.E.).

4. Rechtsschutz

Rechtsschutz unmittelbar gegen eine (primärrechtswidrige) Verordnung steht grundsätzlich nur den Organen der EG offen, Art. 230(2) EG/263(2) AEUV. Der Einzelne kann die Primärrechtskonformität lediglich inzident (in einem Rechtsstreit über die Anwendung der Verordnung) überprüfen lassen. Ausnahmsweise steht dem Einzelnen indes dann eine Nichtigkeitsklage nach Art. 230(4) EG/263(4) AEUV offen, wenn er durch die Verordnung unmittelbar individuell betroffen ist (als Verordnung ergangene Entscheidung, sog. Scheinverordnung; hybrider Rechtsakt). So hat der Gerichtshof z.B. die Nichtigkeitsklage eines Schaumweinherstellers gegen eine Verordnung für zulässig gehalten, die zwar allgemein Geltung hatte, insbesondere aber auch den Kläger an der Weiterbenutzung einer eingetragenen Marke hinderte (EuGH Rs. C-309/89 – Cordniu, Slg. 1994, I-1853, Rn. 14 ff.).

Literatur

Hans-Jürgen Rabe, Das Verordnungsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1963; Wolfdietrich Möller, Die Verordnung der Europäischen Gemeinschaften, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 1969, 1 ff.; Derrick Wyatt, The nature of regulations and directives, European Law Review 1977, 215 ff.; Xabier Arzoz, Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaften, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 2001, 299 ff.; Armin v. Bogdandy, Jürgen Bast, Fabian Arnd, Handlungsformen im Unionsrecht, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 62 (2002) 78 ff.; Johannes Köndgen, Rechtsquellen des Europäischen Privatrechts, in: Karl Riesenhuber (Hg.), Europäische Methodenlehre, 2006, 133 ff.