Gerichtsstandsvereinbarung, internationale

Aus HWB-EuP 2009

von Martin Illmer

1. Begriff, Gegenstand und Funktion

In einer Gerichtsstandsvereinbarung wird die Zuständigkeit des darin bestimmten Gerichts vereinbart (Prorogation), während die Zuständigkeit des unabhängig von der Gerichtsstandsvereinbarung nach den gesetzlichen Regeln zuständigen Gerichts abgewählt wird (Derogation). Beide Aspekte sind getrennt voneinander zu beurteilen. Die Zuständigkeit des prorogierten Gerichts wird meist als ausschließliche, bisweilen aber auch lediglich als zusätzliche, sogenannte besondere Zuständigkeit vereinbart.

Als eine von den Parteien eines Rechtsverhältnisses geschlossene Vereinbarung über die Zuständigkeit ist die Gerichtsstandsvereinbarung Ausdruck der auch im Prozessrecht geltenden Parteiautonomie. Das Ordnungsinteresse des Staates an der Einhaltung der gesetzlichen Zuständigkeiten tritt gegenüber den Parteiinteressen innerhalb gewisser Grenzen zurück. Im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr sprechen für eine Gerichtsstandsvereinbarung insbesondere die Rechtssicherheit, der Gleichlauf von lex fori und lex causae durch eine kombinierte Gerichtsstands- und Rechtswahlvereinbarung, die Wahl eines neutralen oder besonders sachkundigen Gerichts und die Vollstreckungsmöglichkeit im Urteilsstaat. Gegen Gerichtsstandsvereinbarungen lässt sich insbesondere anführen, dass Sie die strukturell schwächere Partei eines Vertragsverhältnisses vor die (ggf. weit entfernten) Heimatgerichte der stärkeren Partei zwingen können, was die Rechtsdurchsetzung erheblich erschweren oder gar unmöglich machen würde. Gegenüber Verbrauchern, Versicherungsnehmern und Arbeitnehmern sind Gerichtsstandsvereinbarungen daher häufig eingeschränkt oder sogar ausgeschlossen (vgl. etwa Art. 13, 17, 21 Brüssel I-VO (VO 44/‌2001); diese Wertung steht auch hinter dem Ausschluss vom Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen nach dessen Art.2(1)(a); in den betroffenen Konstellationen ist häufig auch eine Rechtswahl nur eingeschränkt möglich, vgl. etwa Art. 6(2), 7(3), 8(1), aber auch 5(2)3 Rom I-VO (VO 593/‌2008)).

2. Geschichte und Tendenzen der Rechtsentwicklung

Bereits im römischen Zivilprozessrecht des Formularverfahrens war der von den Parteien gewählte Gerichtsstand, das später gemeinrechtlich so bezeichnete forum prorogatum, anerkannt. So konnte etwa die Zuständigkeit des praetor peregrinus auch in einem Rechtsstreit zwischen römischen Bürgern vereinbart werden. Ebenso konnten zwei Fremde die Zuständigkeit des praetor urbanus vereinbaren (Ulp. D. 5,1,2,1 zitiert diesbezüglich die lex Iulia iudiciorum aus dem Jahre 17 n. Chr.). Erforderlich war eine einverständliche Unterwerfung, die solange widerrufen werden konnte, bis der entsprechende praetor als Gerichtsmagistrat angerufen war. Willensmängel führten zur Unwirksamkeit der Unterwerfung. Voraussetzung war außerdem, dass beide Parteien die Unzuständigkeit nach den an sich bestehenden Gerichtsständen kannten. Die Zustimmung des angerufenen praetor war dagegen nicht erforderlich.

Dieser liberalen Auffassung, die der Parteiautonomie Vorrang vor staatlichen Ordnungsinteressen einräumte, stand im Gemeinen Recht (ius commune) die germanisch geprägte Dingpflicht gegenüber, welche die Vereinbarung der Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts nicht zuließ. Insbesondere die Derogation der inländischen Zuständigkeit und Gerichtsbarkeit wurde als mit der territorialen Justizhoheit unvereinbar angesehen. Diese ablehnende Haltung gegenüber der Derogation einer inländischen Zuständigkeit hat sich in einigen europäischen Rechtsordnungen sehr lange gehalten; so etwa bis 1995 in Italien zugunsten eigener Staatsangehöriger und bis Anfang der 1990er Jahre in Spanien. Zudem ist noch heute in zahlreichen Rechtsordnungen, die eine Pro- und Derogation anerkennen, nur die Prorogation ausdrücklich geregelt (siehe etwa § 38 ZPO, § 104 Abs. 1 JN, Art. 22 Abs. 2 LOPJ, Art. 23 Brüssel I-VO). Eine ausdrückliche Regelung der Derogation findet sich etwa im niederländischen Recht (Art. 8 Nr. 2 Rv).

Heute ist die Zuständigkeitsbegründung durch Gerichtsstandsvereinbarung in den Zuständigkeitsregelungen der Mitgliedstaaten und der Brüssel I-VO anerkannt. Dabei sehen die europäischen Rechtsordnungen die Gerichtsstandsvereinbarung im Grundsatz übereinstimmend als vertragliche Vereinbarung an. Jenseits dieses gemeinsamen Nenners besteht jedoch zwischen common law und civil law-Jurisdiktionen ein unterschiedliches systematisches Verständnis. Die meisten civil law-Jurisdiktionen sehen die Gerichtsstandsvereinbarung als Prozessvertrag bzw. materiell-rechtlichen Vertrag über prozessuale Beziehungen an. Daraus wird geschlossen, dass die Gerichtsstandsvereinbarung keine Verpflichtungs-, sondern volle Verfügungswirkung hat: Durch die Prorogation wird der vereinbarte Gerichtsstand unmittelbar begründet. Mangels Verpflichtungswirkung kann die Befolgung der Prorogation aber nicht von der anderen Partei im Wege einer einstweiligen Verfügung oder einer Unterlassungsklage erzwungen werden. Es bleibt vielmehr nur die Rüge der Unzuständigkeit vor dem unter Verletzung der Gerichtsstandsvereinbarung angerufenen Gericht. Das englische common law sieht die Gerichtsstandsvereinbarung hingegen als einen Vertrag wie jeden anderen materiellrechtlichen Vertrag an. Er begründet Rechte und Pflichten, deren Einhaltung gerichtlich erzwungen werden kann. Dies geschieht insbesondere mittels anti-suit injunctions. Durch diese Prozessführungsverbote wird dem Kläger bereits vor oder nach Klageerhebung vor einem anderen als dem prorogierten Gericht strafbewehrt untersagt, diese Klage anzustrengen oder weiter zu betreiben. Soweit das unter Verletzung der Gerichtsstandsvereinbarung angerufene Gericht die Derogation der eigenen Zuständigkeit anerkennt, ist ein derartiges Prozessführungsverbot an sich nicht notwendig. Es stellt lediglich ein zusätzliches, meist aber besonders effektives Mittel zur Durchsetzung der Gerichtsstandsvereinbarung gegenüber prozessverzögernden Taktiken dar. Dabei greift das Prozessführungsverbot allerdings in die Entscheidungsautonomie des angerufenen Gerichts ein (auch wenn es sich formal nur an die andere Partei richtet). Ob anti-suit injunctions im Anwendungsbereich der Brüssel I-VO zulässig sind, war lange Zeit unklar. Der Streit entzündete sich nicht an der Rechtsnatur der Gerichtsstandsvereinbarung, sondern an der Systematik und den Grundprinzipien der Brüssel I-VO. Schließlich hat der EuGH Prozessführungsverbote für mit der Brüssel I-VO unvereinbar erklärt (EuGH Rs. C- 159/‌02 – Turner, Slg. 2004, I-3855), da sie gegen das der Verordnung zugrunde liegende Prinzip gegenseitigen Vertrauens der mitgliedstaatlichen Gerichte verstoßen und in die Zuständigkeitsentscheidung eines nach der Brüssel I-VO angerufenen Gerichts eingreifen. Mit der Problematik eng verbunden ist die Frage des Verhältnisses der lis alibi pendens-Regel (Art. 27) zu ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen. Englische Gerichte haben die ihre Zuständigkeit begründenden Gerichtsstandsvereinbarungen lange Zeit als vorrangig gegenüber dem lis alibi pendens-Grundsatz angesehen (und durch anti-suit injunctions abgesichert). Auch dem hat der EuGH in der Rechtssache Gasser (Rs. C-116/‌02, Slg. 2003, I-14693) widersprochen und dem lis alibi pendens-Grundsatz Vorrang eingeräumt. Das Verhältnis der lis alibi pendens-Regel zu Gerichtsstandsvereinbarungen ist eine der zentralen Fragestellungen im jüngst veröffentlichten Grünbuch der Kommission (KOM(2009) 175 endg.) zur Überprüfung der Brüssel I-VO (dort unter 3.). Angesichts der Entscheidungen des EuGH in Gasser und Turner erscheint auch ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung problematisch. Er greift zwar nicht direkt in die Zuständigkeitsentscheidung des abredewidrig angerufenen Gerichts ein, fällt hierüber aber doch ex post ein Urteil. Der EuGH hatte bisher noch keine Gelegenheit, diese Frage zu klären. Englische Gerichte stehen derartigen Schadensersatzklagen offen gegenüber.

3. Regelungsstrukturen im europäischen Zivilprozessrecht

Die Zuständigkeit kraft Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 ist eine der praktisch wichtigsten Zuständigkeiten der Brüssel I-VO. In seinem Anwendungsbereich verdrängt Art. 23 die mitgliedstaatlichen Regelungen, so dass insbesondere die Prorogations- und Derogationsschranken der nationalen Rechte keine Wirkung entfalten. Dabei stellt Art. 23 geringere Anforderungen als die Regelungen der meisten Mitgliedstaaten.

a) Räumlicher Anwendungsbereich

Der räumliche Anwendungsbereich des Art. 23 ist gegenüber den Zuständigkeitsregelungen von Mitglieds- und Drittstaaten weit gezogen. In Verbindung mit dem Vorbehalt zugunsten von Art. 23 in Art. 4 reicht es aus, wenn eine der Parteien ihren Wohnsitz bzw. Sitz in einem Mitgliedstaat hat und ein grenzüberschreitender Bezug, sei es auch nur zu einem Drittstaat, besteht (EuGH Rs. C-412/‌98 – Josi Reassurance, Slg. 2000, I-5925, Rn. 42 (noch zu Art. 17 EuGVÜ)). Ausdrücklich erfasst Art. 23 nur die Prorogation eines mitgliedstaatlichen Gerichts. Der EuGH hat noch zum EuGVÜ festgehalten, dass dessen Art. 17 (dem Art. 23 Brüssel I-VO entspricht) auf die Derogation eines mitgliedstaatlichen Gerichts bei Prorogation eines nichtmitgliedstaatlichen Gerichts nicht anwendbar ist, sondern sich die Derogation nach dem nationalen Recht des derogierten Gerichts richtet (Rs. C-387/‌98 – Coreck Maritime, Slg. 2000, I-9337).

b) Sachlicher Anwendungs­bereich und Wirksamkeits­voraussetzungen

Art. 23 regelt nicht sämtliche Voraussetzungen einer Gerichtsstandsvereinbarung. Die Vorschrift verlangt lediglich eine tatsächliche Einigung der Parteien, wobei der Begriff der Einigung autonom auszulegen ist, und die Einhaltung einer bestimmten Form. Letztere umfasst die Schriftform oder eine mündliche Vereinbarung mit schriftlicher Bestätigung, aber auch eine den Gepflogenheiten zwischen den Parteien oder die einem Handelsbrauch im betreffenden Geschäftszweig (etwa kaufmännisches Bestätigungsschreiben, Konnossemente, Versteigerungsbedingungen) entsprechende Form. Die beiden letztgenannten Formen können die Formstrenge im Einzelfall erheblich lockern, insbesondere für die Einbeziehung der Gerichtsstandsvereinbarung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen. Neben der Schriftform ist nach Art. 23(2) auch eine elektronische Form ausreichend, sofern sie dauerhaft reproduzierbar ist (insb. per e-mail durch Speicherung oder Ausdruck). Das Formerfordernis dient primär dazu, den Konsens sicherzustellen: Ist die Form eingehalten, besteht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass ein Konsens bestand. Bestand ein Konsens, besteht wiederum die ebenfalls widerlegbare Vermutung für eine ausschließliche Zuständigkeit des prorogierten Gerichts. Darüber hinaus sieht Art. 23(5) Derogationsverbote zugunsten des ausschließlichen dinglichen Gerichtsstands und der besonderen Gerichtsstände in Versicherungs- (Art. 8–14), Verbraucher- (Art. 15–17) und arbeitsvertraglichen Sachen (Art. 18–21) vor.

Eine autonome, allgemeine Missbrauchskontrolle europäischen Rechts hat sich noch nicht herausgebildet. Dies folgt aus dem abschließenden Charakter des Art. 23(5) in Verbindung mit einem Umkehrschluss aus Art. 13, 17 und 21. Außerdem ist der Gemeinschaftsgesetzgeber dem Vorbild des Haager Übereinkommens von 1965 (Art. 4(3)) für eine allgemeine Missbrauchsschranke nicht gefolgt. Bei Gerichtsstandsvereinbarungen in [Allgemeinen Geschäftsbedingungen findet freilich eine Inhaltskontrolle nach den nationalen Umsetzungen der Klausel-RL (RL 93/‌13) statt; dies betrifft insbesondere Verbraucherverträge (EuGH Rs. C-240/‌98 bis 244/‌98 – Océano Grupo, Slg. 2000, I-4941, Rn. 26: Missbrauchskontrolle durch nationale Gerichte von Amts wegen).

Auch zahlreiche weitere Aspekte im Hinblick auf die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung werden von Art. 23 Brüssel I-VO nicht geregelt und lassen sich auch (noch) nicht autonom lösen. Sie sind daher nach der lex causae, dem Gerichtsstandsvereinbarungsstatut, zu beurteilen. Dies betrifft insbesondere Willensmängel, Widerruflichkeit (beide Vertragsstatut), Geschäftsfähigkeit (Personalstatut) und Rechtsnachfolge (Vertragsstatut). Obwohl auch im Rahmen des Art. 23 die doctrine of separability Anwendung findet, nach der die Unwirksamkeit des Hauptvertrages, dessen Bestandteil die Gerichtsstandsvereinbarung ist, deren Wirksamkeit unberührt lässt, gilt im Hinblick auf das Gerichtsvereinbarungsstatut die Vermutung, dass das auf den Hauptvertrag anzuwendende Recht auch auf die Gerichtsstandsvereinbarung anzuwenden ist. Als bloßer Rückschluss auf den mutmaßlichen Willen der Parteien wird diese Vermutung nicht durch Art. 1(2)(e) Rom I-VO gesperrt, wonach Gerichtsstandsvereinbarungen vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgeschlossen sind. Im Bereich der Willensmängel ließe sich eventuell statt auf das jeweilige Gerichtsstandsvereinbarungsstatut auf die Regelungen der PECL (oder auch des Draft DCFR) als einheitliches, europäisches Regime zurückgreifen: Art. 1:201 PECL postuliert ein allgemeines Gebot von Treu und Glauben; Art. 4:107 und 4:108 PECL eröffnen ein Anfechtungsrecht bei Täuschung und Drohung; Art. 4:109 PECL gewährt ein Anfechtungsrecht bei Ausnutzung einer wirtschaftlichen Notsituation oder Unerfahrenheit.

c) Persönlicher Anwendungsbereich

Der Personenkreis, der wirksame Gerichtsstandsvereinbarungen abschließen kann, ist durch Art. 23 – wie in den Rechtsordnungen der meisten Mitgliedstaaten – nicht beschränkt. Selbst diejenigen Mitgliedstaaten, die im nationalen Bereich den Personenkreis im Wesentlichen auf Kaufleute beschränken, rücken von dieser Beschränkung für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen ab; vgl. etwa § 38 Abs. 2 ZPO und die richterrechtliche Abweichung von Art. 48 CPC in Frankreich. Im englischen Recht ist der Personenkreis seit jeher unbeschränkt.

d) Forum conveniens

Anders als in einigen Mitgliedstaaten muss zur Wirksamkeit der Prorogation nach Art. 23 Brüssel I-VO kein sachlicher oder persönlicher Bezug zum prorogierten Gericht bestehen. Die Wahl eines neutralen Forums ist ohne weiteres möglich. Die Zuständigkeit darf insbesondere nicht aus forum non conveniens-Gesichtspunkten abgelehnt werden. Allerdings sind selbst die englischen Gerichte im Bereich von Gerichtsstandsvereinbarungen mit forum non conveniens-Erwägungen sehr zurückhaltend.

4. Abgrenzung zur rügelosen Einlassung

Die Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 Brüssel I-VO ist von der rügelosen Einlassung nach Art. 24 Brüssel I-VO abzugrenzen, deren räumlicher Anwendungsbereich ebenfalls lediglich einen grenzüberschreitenden Bezug und den Wohnsitz einer der Parteien in einem Mitgliedstaat voraussetzt.

Funktional besteht eine gewisse Verwandschaft zwischen beiden Rechtsinstituten: Die Parteien begründen durch ihr Verhalten eine Zuständigkeit jenseits der gesetzlichen Gerichtsstände. Den Parteiinteressen wird Vorrang gegenüber dem Ordnungsinteresse des Staates eingeräumt.

Die systematische Einordnung hängt von der Sichtweise ab: Die rügelose Einlassung lässt sich entweder als nachträgliche, konkludente Vereinbarung über die Zuständigkeit im Prozess oder als ein Anwendungsfall der prozessualen Präklusion einordnen. Die Regelung in Art. 24 folgt dem Modell der konkludenten Vereinbarung über die Zuständigkeit. Dementsprechend sind sowohl die Gerichtsstandsvereinbarung als auch die rügelose Einlassung in der Brüssel I-VO in demselben Abschnitt 7 unter der Überschrift „Vereinbarung über die Zuständigkeit“ geregelt. Dieses systematische Verständnis herrscht insbesondere auch in denjenigen Mitgliedstaaten vor, die für die rügelose Einlassung eine spezielle Zuständigkeitsregel im Zusammenhang mit der Regelung über Gerichtsstandsvereinbarungen vorsehen; siehe etwa Art. 38–40 ZPO, Art. 9 Rv, Art. 22 Abs. 2 LOPJ und Art. 43 griech. ZPO (dort ausdrücklich als stillschweigende Vereinbarung bezeichnet). Ein anderes systematisches Verständnis wird in denjenigen Rechtsordnungen zugrunde gelegt, die nicht über eine solche spezielle Zuständigkeitsregelung verfügen. Sie begründen die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts mit dem Modell einer prozessualen Präklusion; so etwa das französische, belgische und luxemburgische Recht. Im englischen Recht ist die submission systematisch eigenständig, wird also weder als konkludente Gerichtsstandsvereinbarung noch als Folge prozessualer Präklusion angesehen.

Jenseits dieser systematischen Divergenzen herrscht über die Voraussetzungen der Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung weitgehend Einigkeit. Ausreichend ist ein tatsächliches, objektiv als Einlassung des Beklagten zu verstehendes Verhalten. Es bedarf keines entsprechenden rechtsgeschäftlichen Willens; insbesondere ein Rechtsfolgenirrtum ist unbeachtlich. Der Begriff des Einlassens ist in autonomer Auslegung weit zu verstehen. Bezugspunkt ist in Art. 24 und den meisten europäischen Rechtsordnungen das Verfahren an sich, nicht nur die Hauptsache (so aber § 39 ZPO und § 104 Abs. 3 JN). Für eine Einlassung reicht daher jedes mündliche oder schriftliche Verteidigungsvorbringen aus, insbesondere auch Verfahrensrügen. Anders als im Falle der Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 sehen fast alle europäischen Rechtsordnungen wie Art. 24 für die rügelose Einlassung kein Formerfordernis vor. Sie muss lediglich die Prozesshandlungsvoraussetzungen der jeweiligen lex fori erfüllen. Auch ein richterlicher Hinweis auf die an sich bestehende Unzuständigkeit und die Folgen einer rügelosen Einlassung ist in den meisten europäischen Rechtsordnungen nicht vorgesehen und auch nach Art. 24 nicht erforderlich (anders als nach der ZPO im amtsgerichtlichen Verfahren nach §§ 39, 504 ZPO und in Österreich nach § 104 Abs. 3 JN, sofern der Beklagte nicht anwaltlich vertreten ist). Damit besteht trotz des unterschiedlichen systematischen Verständnisses im Ergebnis weitgehend Übereinstimmung zwischen den Regelungen der Mitgliedstaaten und Art. 24. Die Abgrenzung der Anwendungsbereiche von europäischem und nationalem Recht ist daher in diesem Bereich von geringer praktischer Bedeutung.

Ebenso wie die Gerichtsstandsvereinbarung kann auch die rügelose Einlassung die ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 nicht überwinden. Im Unterschied zur Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 ist eine rügelose Einlassung nach Art. 24 jedoch auch wirksam, wenn sie die besonderen Gerichtsstände der Brüssel I-VO in Versicherungs-, Verbraucher- und arbeitsvertraglichen Sachen durchbricht. Dies folgt aus dem abweichenden Wortlaut von Art. 24 sowie im Umkehrschluss aus Art. 13 Nr. 1, 17 Nr. 1, 21 Nr. 1 Brüssel I-VO. Im Falle eines Konflikts zwischen einer zeitlich früheren Gerichtsstandsvereinbarung und einer nachfolgenden rügelosen Einlassung geht letztere regelmäßig vor.

5. Entwicklungen im Einheitsrecht

Im Rahmen der Haager Konferenz für IPR wurden wiederholt Anläufe unternommen, internationale Gerichtsstandsvereinbarungen staatsvertraglich zu regeln. Diese Versuche sind gescheitert.

Das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit des vertraglich vereinbarten Gerichts beim internationalen Kauf beweglicher Sachen vom 15.4.1958 ist ebenso wie das Haager Übereinkommen über einheitliche Regelungen über die Gültigkeit und die Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarungen vom 25.11.1965 bisher nicht in Kraft getreten. Hiermit ist auch nicht mehr zu rechnen.

Ein letzter Versuch wurde im Jahre 2002 unternommen, nachdem das Projekt einer umfassenden Konvention, welche die internationale Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen mit weltweiter Geltung regeln sollte, gescheitert war. Zumindest für Gerichtsstandsvereinbarungen (Wirkungen von Pro- und Derogation, Anerkennung und Vollstreckung auf ihrer Grundlage ergangener Entscheidungen) sollte ein konsensfähiges Übereinkommen erarbeitet werden. Nachdem die Entwürfe durch zahlreiche Ausnahmen vom Anwendungsbereich und Vorbehalte zusammengestutzt worden waren, wurde am 30.6.2005 ein Resttorso als Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen beschlossen. Die Kernelemente bestehen darin, dass das vereinbarte Gericht seine Zuständigkeit nach Art. 5(2) nicht unter forum non conveniens-Gesichtspunkten ablehnen darf, dass andere Gerichte als das vereinbarte die Klage grundsätzlich nach Art. 6 als unzulässig abweisen oder das Verfahren aussetzen müssen (dies gilt nach Art. 7 wie nach Art. 31 Brüssel I-VO nicht für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes), und dass die Entscheidung des vereinbarten Gerichts in den anderen Vertragsstaaten nach Art. 8 ff anerkannt und vollstreckt werden muss. Obwohl anti-suit injunctions nicht ausdrücklich verboten sind, spricht mehr für ihre Unzulässigkeit, da sie der Systematik des Übereinkommens widersprechen.

Der Anwendungsbereich des Übereinkommens ist begrenzt (siehe Art. 2): Erstens werden nur ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen erfasst. Zweitens sind zahlreiche Bereiche vom persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich ausgeschlossen. Dies betrifft unter anderem Gerichtsstandsvereinbarungen unter Beteiligung natürlicher Personen, die nicht zu gewerblichen Zwecken handeln, weite Bereiche des gewerblichen Rechtsschutzes mit Ausnahme des Urheberrechts und lizenzvertraglicher Streitigkeiten, kartell- und wettbewerbsrechtliche Angelegenheiten, deliktsrechtliche Ansprüche, Ansprüche wegen Körperschäden, Ansprüche aus Personen- und Güterbeförderung sowie insolvenzrechtliche Angelegenheiten. Darüber hinaus kann jeder Vertragsstaat weitere Rechtsgebiete vom Anwendungsbereich ausschließen (Art. 21). Drittens kann jeder Vertragsstaat vorsehen, dass seine Gerichte ihre Zuständigkeit trotz ausschließlicher Prorogation ablehnen können, sofern kein Inlandsbezug besteht (Art. 19). Den Vertragsstaaten soll dadurch die Möglichkeit eröffnet werden, sich als Forum auch für reine Drittstaatenfälle zur Verfügung zu stellen oder dies eben gerade auszuschließen. Forum non conveniens-Gesichtspunkte, die an sich durch Art. 5(2) ausgeschlossen sind, werden damit doch wieder ermöglicht und die Wahl neutraler Gerichtsstände gegebenenfalls deutlich erschwert.

Bisher (Stand: Juni 2009) hat Mexiko das Übereinkommen ratifiziert, die USA (19.1.2009) und die EG (1.4.2009) haben es unterzeichnet; die Kommission hat kürzlich auch die Ratifikation vorgeschlagen. Das Verhältnis zur Brüssel I-VO ist unklar. Nach Art. 26(6) des Haager Übereinkommens könnte dieses bei rein innergemeinschaftlichen Sachverhalten zurücktreten. Die Brüssel I-VO regelt das Rangverhältnis in Art. 71(1) nicht. Die Revision der Brüssel I-VO sollte diesbezüglich Klarheit schaffen; das Grünbuch der Kommission spricht die Problematik nicht an.

Literatur

Gerhard Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozess, 1935; Jochen Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971; Sabine Schulte-Beckhausen, Internationale Zuständigkeit durch rügelose Einlassung im europäischen Zivilprozeßrecht, 1994; Friederike Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes, 1997; Gerhard Wagner, Prozessverträge, 1998; Barbara Lindenmayer, Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit und das darauf anwendbare Recht, 2002; Thomas Rauscher (Hg.), Europäisches Zivilprozessrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2006; Ulrich Magnus, Peter Mankowski (Hg.), Brussels I, 2007; Florian Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln im deutsch-amerikanischen Handelsverkehr, 2007; Adrian Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, 2008; Rolf Wagner, Das Haager Übereinkommen vom 30.6.2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 73 (2009) 102 ff; Peter Mankowski, Ist eine vertragliche Absicherung von Gerichtsstandsvereinbarungen möglich?, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts 2009, 23 ff.

Abgerufen von Gerichtsstandsvereinbarung, internationale – HWB-EuP 2009 am 06. Oktober 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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