Europäisches Patent – Gemeinschaftspatent

Aus HWB-EuP 2009

von Joseph Straus

1. Gemeinsame historische Wurzeln

Die territoriale Wirkung des Patentrechts und die politische Zersplitterung Europas ließen schon von Beginn des 20. Jahrhunderts an Wünsche und Ideen aufkommen, die Erlangung von Patenten durch Internationalisierung des Erteilungsverfahrens in Europa zu vereinfachen. Auf Initiative der französischen Regierung wurde am 15. 11.1920 ein internationales Abkommen „pour la création d’un Bureau Central des Brevets d’Invention“ von acht Staaten unterzeichnet, denen später noch weitere drei folgten. Allerdings trat dieses Abkommen, dem insbesondere Deutschland und das Vereinigte Königreich fern blieben, nie in Kraft.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es wiederum Frankreich, das bereits 1945 den europäischen Gedanken aufgriff und 1947 zusammen mit den drei Benelux-Staaten das Abkommen über das Internationale Patentinstitut in Den Haag (Institut International des Brevets, IIB) unterzeichnete, das am 10. Juni 1949 in Kraft trat. Es wurde 1961 revidiert. Die revidierte Fassung trat 1971 in Kraft. Aufgabe des IIB, das 1978 als Zweigstelle Den Haag in das Europäische Patentamt (EPA) eingegliedert wurde und damit als selbständige internationale Institution aufgehört hat zu existieren, war im Wesentlichen die Erstellung von Neuheitsrecherchen für die nationalen Ämter der Mitgliedstaaten. Das Abkommen stand allen Mitgliedstaaten der Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) offen.

Im Jahre 1949 legte der französische Senator Longchambon der Beratenden Versammlung des Europarates einen Plan für die Einrichtung eines europäischen Patentamts vor. Es sollte „europäische Erfindungszertifikate“ nach der Prüfung der Neuheit und Patentfähigkeit erstellen, die dann den nationalen Ämtern zugeleitet werden sollten. Nach Prüfung der weiteren Erteilungsvoraussetzungen sollten die nationalen Patentämter dann Patente erteilen. Der Ministerrat beschloss daraufhin die Einsetzung eines Sachverständigenausschusses für die Patentfragen des Europarates. Als Folge dieser Aktivitäten kamen 1953 die europäische Übereinkunft über Formerfordernisse bei Patentanmeldungen und 1954 die europäische Übereinkunft über die internationale Patentklassifikation zustande.

Einen ersten echten Schritt in Richtung europäisches Patent stellt das 1963 in Straßburg unterzeichnete Übereinkommen zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente dar, an dessen Entwurf man bereits 1955 zu arbeiten begonnen hatte. Es trat erst 1980 in Kraft, sorgte aber dafür, dass letztlich die Patentierungsvoraussetzungen europaweit vereinheitlicht wurden, womit die Grundlage für weitere europäische Entwicklungen gelegt wurde. Diese begann unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Rom-Vertrages am 1. Januar 1958. Die Kommission der neu gegründeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) erkannte sogleich das Problem, dass (die) nationalen Patente wegen ihrer territorialen Wirkung dem freien Verkehr der Güter im Gemeinsamen Markt im Wege standen. Schon 1960 arbeitete eine von den sechs Mitgliedstaaten errichtete Arbeitsgruppe Grundsätze für ein europäisches, d.h. Gemeinschaftspatentrecht aus, das neben die nationalen Patente treten und ein autonomes und einheitliches Patent, somit also kein Bündel nationaler Patente darstellen sollte. 1962 wurde der erste und 1965 ein zweiter Abkommensentwurf vorgelegt. Da man sich über die Frage, ob das Vertragswerk nur den damals sechs EWG-Mitgliedern oder auch außenstehenden Staaten offen stehen sollte, nicht einigen konnte, kamen alle Arbeiten zunächst zum Stillstand; dieser dauerte bis 1969.

Wiederum war es Frankreich, das 1969 die Entwicklung erneut in Gang brachte, diesmal allerdings mit dem Vorschlag für zwei Abkommen. Aufgrund des ersten, allen europäischen Staaten offen stehenden Abkommens, sollte ein europäisches Patentamt gegründet werden, das ein Bündel europäischer Patente erteilen sollte. Das zweite Abkommen sollte nur den Mitgliedstaaten der EWG zugänglich sein, auf dem ersten Abkommen aufbauen und ein europäisches Patent für den Gemeinsamen Markt schaffen.

Zwischen Mai 1969 und Juni 1972 tagte die Luxemburger Regierungskonferenz unter Beteiligung von 22 europäischer Staaten. Die Konferenz mündete in der Münchner Diplomatischen Konferenz von 1973, in der ein 1972 vorgelegter Entwurf des ersten Abkommens, nämlich des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente (EPÜ), beraten und am 5.10.1973 von Belgien, Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, Monaco, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Schweden und der Schweiz unterzeichnet wurde. Es trat am 7.7.1977 mit der Hinterlegung der 10. Ratifikationsurkunde in Kraft. 1991 wurde das EPÜ erstmals einer eher marginalen (Ergänzung des Art. 63(2) durch lit. b) und 2000 einer großen Revision unterzogen. Letztere trat am 13.12.2007 in Kraft. Gegenwärtig (2009) gehören dem EPÜ neben allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union noch Island, Kroatien, Liechtenstein, die frühere jugoslawische Republik Mazedonien, Norwegen, San Marino, die Schweiz und die Türkei an. Darüber hinaus bestehen zwischen der Europäischen Patentorganisation (EPO) und Albanien, Bosnien und Herzegowina und Serbien sog. Erstreckungsabkommen.

Parallel zu den Arbeiten der Luxemburger Regierungskonferenz liefen aufgrund eines Beschlusses des EG-Ministerrates von 1969 Arbeiten an dem zweiten Abkommen. Eine aus Vertretern der EG-Staaten bestehende Sachverständigengruppe „Gemeinschaftspatent“ der Kommission, die später zu einer Arbeitsgruppe des Ministerrates wurde, legte ihren Arbeiten den Entwurf von 1965 zugrunde und passte ihn den Ergebnissen der Luxemburger Konferenz an. Der endgültige Entwurf war im Dezember 1973 fertig gestellt und wurde am 15.12.1975 in Luxemburg auf einer weiteren Konferenz unterzeichnet (Übereinkommens über das europäische Patent für den gemeinsamen Markt, Gemeinschaftspatentübereinkommen – GPÜ). Da das GPÜ von einem EG-Mitgliedstaat nicht ratifiziert wurde, trat es nie in Kraft. Nach dem Grundkonzept des EPÜ und des GPÜ 1975 hätte ein Anmelder durch die Benennung eines einzigen Mitgliedstaates der EG in einer Anmeldung für ein europäisches Patent nur noch ein Gemeinschaftspatent erteilt bekommen (Art. 3 GPÜ). Art. 142(1) EPÜ sieht von Anfang an die Möglichkeit vor, dass eine Gruppe von Vertragsstaaten, „die in einem besonderen Übereinkommen bestimmt hat, dass die für diese Staaten erteilten europäischen Patente für die Gesamtheit ihres Hoheitsgebietes einheitlich sind“, auch vorsehen kann, „dass europäische Patente nur für alle diese Staaten gemeinsam erteilt werden können.“ Macht eine Gruppe – gemeint waren auch von Anfang an die Mitgliedstaaten der EG – von dieser Ermächtigung Gebrauch, dann kommen Art. 143 ff. EPÜ zur Anwendung, die u.a. Vorschriften über besondere Organe des EPA enthalten, die für die Durchführung der Aufgaben zuständig sein würden, die dem EPA durch das Gemeinschaftspatent zusätzlich entstünden.

Um der unbefriedigenden Situation, die durch das Nichtinkrafttreten des GPÜ entstand, abzuhelfen, unternahmen die EG-Mitgliedstaaten einen zweiten Anlauf und unterzeichneten nach einer dritten Luxemburger Konferenz am 15.12.1989 ein umfangreiches Vertragswerk, das aus folgenden Vereinbarungen bzw. Übereinkommen bestand: Vereinbarung über Gemeinschaftspatente, Gemeinschaftspatentübereinkommen nebst Ausführungsordnung, Streitregelungsprotokoll, Protokoll über eine etwaige Änderung der Bedingungen für das Inkrafttreten der Vereinbarung über Gemeinschaftspatente und eine gemeinsame Erklärung der Regierungen der EG-Mitgliedstaaten. Die wesentlichen Änderungen dieses Vertragswerkes bezogen sich auf die nunmehr eingeräumte Möglichkeit der Wahl zwischen einem europäischen und einem Gemeinschaftspatent auch in Bezug auf die EG-Mitgliedstaaten und die Möglichkeit, über das Inkrafttreten des GPÜ ohne Beteiligung aller EG-Mitgliedstaaten in einer einzuberufenden Konferenz neu zu verhandeln. Auch dieses Vertragswerk ist nie in Kraft getreten. Allerdings blieb es nicht ganz ohne Folgen für die nationale Patentgesetzgebung der Mitgliedstaaten. Als Folge der Gemeinsamen Erklärung der Regierungen der Mitgliedstaaten der EG, die eine Entschließung über Vorbenutzung oder Vorbesitz, eine weitere Entschließung über eine gemeinsame Regelung für die Erteilung von Zwangslizenzen am Gemeinschaftspatent und eine Erklärung über die Anpassung des nationalen Patentrechts enthielt, sind entsprechende Regelungen in nationale Gesetze übernommen worden.

Seitdem die Europäische Kommission mit dem 1997 veröffentlichten Grünbuch über das Gemeinschaftspatent und das Patentschutzsystem in Europa (KOM(97) 314) die Beratungen über das Gemeinschaftspatent wieder in Gang gebracht hat, hat sie – diesmal gestützt auf Art. 308 EG/352 AEUV – mehrere Vorschläge für eine Verordnung des Rates über das Gemeinschaftspatent unterbreitet; den ersten am 1.8. 2000 (KOM(2000) 412 endg.), die vorerst letzten am 23.5.2008 (Dok. 9465/08) und 7.4.2009 (Dok. 8588/09). Als unüberwindbare Hürden für die Verabschiedung dieser Verordnung erwiesen sich bisher die Regelung der Übersetzungsfrage, das Problem der Patentgerichtsbarkeit und verschiedene Gebührenfragen. Als Konsequenz dieser annähernd 35 Jahre währenden Fehlschläge verfügt die Gemeinschaft trotz eines europäischen Binnenmarkts sowie einer gemeinsamen Währung (EZB; Währung) und trotz der Gemeinschaftsmarke, dem Gemeinschaftssortenschutz (Sortenschutz) und dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster weiterhin nicht über ein Gemeinschaftspatent.

2. Gegenstand und Zweck des europäischen Patents

Das Europäische Patentübereinkommen von 1973 ist ein völkerrechtlicher Vertrag außerhalb des rechtlichen Rahmens der Gemeinschaft. Nach seiner Präambel ist das EPÜ ein Sonderabkommen im Sinne des Art. 19 PVÜ. Es soll die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten, also auch Nichtmitgliedern der Gemeinschaft, auf dem Gebiet des Schutzes von Erfindungen verstärken, und zwar durch Schaffung eines einheitlichen Patenterteilungsverfahrens und einiger flankierender Vorschriften. Mit dem EPÜ wurde die Europäische Patentorganisation (EPO) mit Sitz in München und einer Zweigstelle in Den Haag gegründet, die mit verwaltungsmäßiger und finanzieller Selbständigkeit ausgestattet wurde und deren Aufgabe es ist, europäische Patente zu erteilen. Diese Aufgabe wird vom Europäischen Patentamt (EPA) als Organ der EPO wahrgenommen, dessen Tätigkeit wiederum vom einem weiteren Organ der EPO, dem Verwaltungsrat, überwacht wird (Art. 4). Seit der Revision des EPÜ im Jahre 2000 besteht auch eine Konferenz der für Patentangelegenheiten zuständigen Minister der Vertragsstaaten, deren Aufgabe es ist, im fünfjährigen Turnus über Fragen der Organisation und des EPÜ zu beraten (Art. 4a).

Die vom EPA erteilten europäischen Patente haben für jeden Vertragsstaat, für den sie erteilt worden sind, dieselbe Wirkung und unterliegen denselben Vorschriften wie ein in diesem Staat erteiltes nationales Patent, soweit das EPÜ nichts anderes bestimmt (Art. 2 (2), Art. 64(1)). Letzteres regelt z.B. die Gründe aus welchen ein europäisches Patent für nichtig erklärt werden kann (Art. 138), die Bestimmung des Schutzumfangs (Art. 69), die Schutzdauer (Art. 63) und einige Mindestrechte (Art. 64(2) und Art. 67). Bei einem europäischen Patent handelt es sich somit um ein europäisches Bündelpatent mit europäischen und nationalen Schutzwirkungen (Friedrich-Karl Beier).

Mit dem EPÜ ist ein geschlossenes System zur Erteilung von europäischen Patenten begründet worden, das aus einer Eingangs- und Formalprüfung, Erstellung des europäischen Recherchenberichts, Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung und der sachlichen Prüfung der Patentierungsvoraussetzungen der Neuheit, erfinderischer Tätigkeit, gewerblicher Anwendbarkeit und ausreichender Offenbarung besteht. Das EPÜ enthält dazu ebenso genaue Bestimmungen wie darüber, welche Gegenstände dem Patentschutz zugänglich sind und welche nicht. Nach erfolgter Sachprüfung wird von der Prüfungsabteilung entweder ein europäisches Patent erteilt oder die Anmeldung zurückgewiesen. Im ersten Fall steht jedem Dritten die Möglichkeit offen, gegen das Patent innerhalb bestimmter Fristen Einspruch bei der Einspruchsabteilung des EPA einzulegen und insbesondere geltend zu machen, dass der Gegenstand des europäischen Patents nicht patentierbar ist. Die Einspruchsabteilung kann das Patent ganz oder teilweise aufrechterhalten bzw. widerrufen. Das Einspruchsverfahren vor dem EPA stellt die einzige Möglichkeit eines zentralen Angriffs auf die Gültigkeit eines europäischen Patents dar. Gegen Entscheidungen der EPA-Organe, einschließlich der Einspruchsabteilungen ist Beschwerde zu den Beschwerdekammern des EPA möglich, die einen gerichtsähnlichen Status genießen. Schließlich können die Beschwerdekammern zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, die Große Beschwerdekammer entweder von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten befassen. An die Stellungnahmen der Großen Beschwerdekammer sind dann die Beschwerdekammern im anhängigen Verfahren gebunden. Im Falle abweichender Entscheidungen zweier Beschwerdekammern, kann auch der Präsident des EPA eine Rechtsfrage der Großen Beschwerdekammer vorlegen. Seit dem Inkrafttreten der Revision des EPÜ 2000 im Dezember 2007, kann auch jeder an einem Beschwerdeverfahren Beteiligte, der durch die Entscheidung einer Beschwerdekammer beschwert ist, einen Antrag auf Überprüfung der Entscheidung durch die Große Beschwerdekammer stellen. Dies allerdings nur, wenn er schwerwiegende, im neuen Art. 112a EPÜ genau definierte Verstöße gegen seine prozessualen Rechte geltend machen kann. Die Große Beschwerdekammer entscheidet dann, ob solche Voraussetzungen gegeben sind oder nicht.

Streitigkeiten über Verletzungen europäischer Patente werden nach nationalem Recht (Art. 64(3)) und vor nationalen Gerichten der Vertragsstaaten entschieden. Desgleichen kann die Rechtsgültigkeit eines europäischen Patents nach dem im EPA abgeschlossenen Verfahren nur mit Nichtigkeitsklagen bzw. Nichtigkeitseinwänden, je nach nationalem Recht, vor nationalen Behörden und Gerichten geltend gemacht werden, wobei diese dann allerdings an die EPÜ Vorschriften gebunden sind (Art. 138).

Das Fehlen einer zentralen europäischen Patentgerichtsbarkeit wird seit langem als Problem und Nachteil des EPÜ-Systems beklagt und wiegt mit wachsender Zahl der EPÜ-Vertragsstaaten immer schwerer. Seit der Regierungskonferenz der Vertragsstaaten des EPÜ in Paris im Jahre 1999 beschäftigt sich daher eine Arbeitsgruppe „Streitregelung“ mit einem Entwurf eines Streitregelungsübereinkommens (European Patent Litigation Agreement – EPLA). Der bisher erarbeitete EPLA-Entwurf sieht ein Europäisches Patentgericht vor, das für Klagen, die eine tatsächliche oder eine drohende Verletzung betreffen, für Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung, Nichtigkeitsklagen bzw. Widerklagen und Klagen auf Schadensersatz oder Entschädigung aufgrund des einstweiligen Schutzes einer veröffentlichten europäischen Patentanmeldung zuständig sein sollte. Dabei hat man sich für ein sog. „Verbundsystem“ entschieden, d.h. dass über die Verletzung und Rechtsgültigkeit eines europäischen Patents im selben Verfahren vor demselben Gericht verhandelt werden soll. Wegen der Kontroverse mit der Europäischen Kommission über die Außenzuständigkeit der EG-Vertragsstaaten (zum Abschluss internationaler Verträge) und wegen der parallelen Arbeiten der EU-Kommission an einer Gemeinschaftspatentgerichtsbarkeit, kam es bislang aber zu keiner Einigung über das EPLA.

Trotz dieser beachtlichen Unzulänglichkeiten des Systems hat sich aber das EPÜ in der Praxis bewährt und als Erfolg erwiesen. Dies gilt sowohl für die Anzahl der Vertragsstaaten, die ihm inzwischen angehören, als auch insbesondere in Bezug auf die Entwicklung der Anmeldezahlen. Letztere stiegen von 181.085 im Jahre 2004 auf 226.813 im Jahre 2008.

3. Gegenstand und Zweck des Gemeinschaftspatents

Das Gemeinschaftspatentübereinkommen von 1975, die Vereinbarung von 1989 und auch die später von der Europäischen Kommission unterbreiteten Verordnungsentwürfe für ein Gemeinschaftspatent bauen sämtlich in komplexer Weise auf dem EPÜ auf. Das EPA wird als Patenterteilungsbehörde in das System einbezogen und bleibt für das gesamte Patenterteilungsverfahren zuständig. Konzeptionell kann man von einem „Fortsetzungszusammenhang“ sprechen (Friedrich-Karl Beier). Allerdings verfolgen beide Instrumente deutlich unterschiedliche wirtschafts- und rechtspolitische Ziele. Während das EPÜ primär Rationalisierungszwecken dient, verfolgen das GPÜ und seine, zuletzt in EG-Verordnungen gekleideten Nachfolger primär Integrationsziele der Gemeinschaft. Wegen der bisher erlittenen Fehlschläge allerdings mit abnehmender Tendenz. Dies macht sich besonders dadurch bemerkbar, dass die Entwürfe von 2000 und 2008/2009 ausdrücklich erklären, dass das auf Gemeinschaftspatente anwendbare gemeinschaftliche Patentrecht nicht das Patentrecht der Mitgliedstaaten und auch nicht das durch das Europäische Patentübereinkommen geschaffene europäische Patentrecht ersetzen dürfe. Nach diesen Entwürfen erscheint es nämlich nicht gerechtfertigt, die Unternehmen zu zwingen, ihre Patente als Gemeinschaftspatente anzumelden, da die einzelstaatlichen Patente und die europäischen Patente nach wie vor für diejenigen Unternehmen notwendig sind, die keinen Schutz ihrer Patente auf Gemeinschaftsebene wünschen (Erwägungsgrund 4 des Entwurfs von 2000). Im Erwägungsgrund 4b des Entwurfs von 2008/2009 heißt es, dass das Gemeinschaftspatent die dritte Option darstellen würde. Die Anmelder sollten die Freiheit behalten, stattdessen nationale oder europäische Patente zu wählen. Damit scheint der europäische Gesetzgeber bereit zu sein, auf Dauer auf die vollständige Integrationswirkung des Gemeinschaftspatents zu verzichten und davon abzurücken, was in der Präambel des GPÜ unmissverständlich zum Ausdruck kam, nämlich dass das Gemeinschaftspatent dazu beitragen solle, die Ziele der Gemeinschaft zu verwirklichen, insbesondere die Verfälschungen des Wettbewerbs innerhalb der Gemeinschaft, die sich aus der territorialen Begrenzung der nationalen Schutzrechte ergeben können, zu beseitigen. Die Schaffung eines gemeinschaftlichen Patentsystems sei, so die GPÜ-Präambel, untrennbar von der Verwirklichung der Ziele des Rom-Vertrages und daher mit der rechtlichen Ordnung der Gemeinschaft verbunden. Die Präambel machte auch klar, dass es sich beim GPÜ um ein Abkommen im Sinne von Art. 142 EPÜ handeln würde. Beim Gemeinschaftspatent des GPÜ handelte es sich um ein einheitliches Recht, das in allen Hoheitsgebieten der Gemeinschaft seine Geltung und die gleiche Wirkung hätte und nur für alle diese Gebiete erteilt, übertragen oder für nichtig hätte erklärt werden könnte, bzw. erlöschen würde (Art. 2 GPÜ). Das GPÜ enthielt ferner eine ausführliche Regelung für die besonderen Organe des EPA und Bestimmungen über die Wirkungen des Gemeinschaftspatents und der europäischen Anmeldung.

Mit der Verankerung des Verbots der mittelbaren Benutzung der Erfindung (Art. 30), dem Ausschluss der Wirkungen des Patents u.a. auf Handlungen zu Versuchszwecken, die sich auf den Gegenstand der patentierten Erfindung beziehen (Art. 11(1)(b)), des Grundsatzes der EU-weiten Erschöpfung, wenn das patentierte Erzeugnis in irgendeinem Mitgliedstaat vom Patentinhaber oder mit seiner Zustimmung in Verkehr gebracht wird (Art. 33), des Vorbenutzungsrechts (Art. 28) und schließlich der Regelung der Zwangslizenzen (Art. 46-48), wirkt das GPÜ, trotz aller Fehlschläge und Rückschläge des Gemeinschaftspatents, insofern nach, als diese seine Regelungen in die nationalen Patentgesetze der Mitgliedstaaten der EG übernommen wurden. Für Nichtigkeits- und Verletzungsklagen erklärte das GPÜ die nationalen Gerichte für zuständig (Art. 68-70). Angesichts der Tatsache, dass gemäß diesem Schema nationale Gerichte der Mitgliedstaaten der EG für die gemeinschaftsweite Vernichtung von Gemeinschaftspatenten zuständig gewesen wären, stieß die geplante Regung auf dezidierte Ablehnung insbesondere der Industrie, aber auch einiger Mitgliedstaaten.

Die Hinnahme von sogar drei parallel existierenden Patentsystemen innerhalb des Binnenmarktes der Union deutet außer der Abkehr von dem strikten Integrationsgedanken eine Tendenz an, das Gemeinschaftspatent überwiegend nur noch als ein Mittel für Kostenreduzierung, Verbesserung der Qualität von Patenten und Verbesserung der Kooperation zwischen den nationalen Patentämtern und dem EPA zu begreifen und zu verwenden. Ferner weist der zuletzt beratene Verordnungsentwurf gegenüber dem ursprünglichen Text des GPÜ Unterschiede auf insbesondere bezüglich der Frage der Übersetzung einerseits und der Regelung der Patentgerichtsbarkeit andererseits. Darüber hinaus enthält er aber auch eine ausführlichere Zwangslizenzregelung. Ein von einer Arbeitsgruppe des Ministerrates im Mai 2008 vorgelegter Entwurf für ein Abkommen über die Patentgerichtsbarkeit der Europäischen Union sieht die Errichtung eines Gerichts Erster Instanz und eines zentralen Berufungsgerichts vor. Das Gericht Erster Instanz soll sowohl aus einer zentralen Abteilung als auch aus lokalen und/ oder regionalen Abteilungen bestehen. Lokale Abteilungen sollten auf dem Gebiet der Vertragspartei, die ein entsprechendes Gesuch gestellt hatte, eingerichtet werden. Vertragsstaaten, welche eine lokale Abteilung beherbergten, würden für die Bestimmung des Sitzes zuständig sein und für die Infrastruktur der Abteilung sorgen. Der Entwurf enthält des Weiteren Vorschriften über die rechtlich und technisch qualifizierten Richter(innen), die Zuständigkeiten des Gerichts, seine Organisation, und darüber hinaus auch materiellrechtliche Bestimmungen und Vorschriften über die Verfahrensabläufe. Im Mai 2009 hat die Kommission, basierend auf den Vorarbeiten im Rahmen des EPLA, schon einen Satz von Regeln für das Verfahren vor dem einheitlichen Patentgericht zur Diskussion gestellt.

Auch nach beinahe 35 Jahren der wiederholt missglückten Versuche des EU-Ministerrates und der Europäischen Kommission, der Gemeinschaft in Form eines Gemeinschaftspatents ein wichtiges Integrationsmittel zur Überwindung von Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt an die Hand zu geben und die extrem hohen Kosten des Patenterwerbs in Europa zu reduzieren, ist die Zukunft des Gemeinschaftspatents nach wie vor völlig unsicher und die Gemeinschaft weiterhin ohne ein rechtliches Integrationsinstrument im Bereich der Patente.

Literatur

Friedrich-Karl Beier, in: idem, Kurt Haertel, Gerhard Schricker, Europäisches Patentübereinkommen, 1. Lieferung 1984; Kurt Haertel, in: idem, Friedrich-Karl Beier, Gerhard Schricker, Europäisches Patentübereinkommen, 1. Lieferung 1984; Albrecht Krieger, Dirk Brouear, Detlef Schennen, Die dritte Luxemburger Konferenz über das Gemeinschaftspatent vom 11. bis 15. Dezember 1989, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil 1990, 173 ff.; Joseph Straus, The Present State of the Patent System in the European Union, 1997; Gerald Paterson, The European Patent System: The Law and Practice of the European Patent Convention, 2001; Georg Benkard, Europäisches Patentübereinkommen, 2002; Ian Muir, Mathias Brandi-Dohrn, Stephan Gruber, European Patent Law, 2002; Rudolf Busse, Patentgesetz unter Berücksichtigung des Europäischen Patentübereinkommens und des Patentzusammenarbeitsvertrages, 2003; Margarete Singer, Dieter Stauder (Hg.), European Patent Convention, 3. Aufl. 2003; Hanns Ullrich, National, European and Community Patent Protection: Time for Reconsideration, 2006; Rainer Schulte, Patentgesetz mit Europäischen Patentübereinkommen, 8. Aufl. 2008; Tobias Bremi, The European Patent Convention and Proceedings before the European Patent Office (EPC 2000), 2008; Rudolf Kraßer, Patentrecht, 2009.

Abgerufen von Europäisches Patent – Gemeinschaftspatent – HWB-EuP 2009 am 07. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

Die hier veröffentlichten Artikel unterliegen exklusiven Nutzungsrechten der Rechteinhaber des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht und des Verlages Mohr Siebeck; sie dürfen nur für nichtkommerzielle Zwecke genutzt werden. Nutzer dürfen auf die öffentlich frei zugänglich gemachten Artikel zugreifen, diese herunterladen, Ausdrucke anfertigen und Kopien der Dateien anfertigen. Weiterhin dürfen Nutzer die Artikel auszugsweise übersetzen und im Rahmen von wissenschaftlicher Arbeit zitieren, sofern folgende Anforderungen erfüllt werden:

  • Nutzung zu nichtkommerziellen Zwecken
  • Erhalt der Text-Integrität des Artikels und seiner Bestandteile
  • Zitieren der Fundstelle gemäß wissenschaftlichen Standards unter Angabe von Autoren, Stichworttitel, Werkname, Jahr der Veröffentlichung (siehe Zitiervorschlag).