Erbnachweis

Aus HWB-EuP 2009

von Manfred Wenckstern

1. Begriff

Der untechnische Begriff „Erbnachweis“ umschreibt das Dokument, mit dem ein Erbe sich im Rechtsverkehr, d.h. insbesondere gegenüber Banken, Grundbuchamt, Handelsregister sowie Gläubigern und Schuldnern des Erblassers als solcher legitimiert und seine Verfügungsbefugnis über das Nachlassvermögen nachweist, ohne die Grundlagen für seine Rechtsposition erneut belegen zu müssen.

Während die romanischen Rechtsordnungen einem formalisierten Erbnachweis insbesondere mit Gutglaubenwirkungen ursprünglich im Interesse des wahren Erben kritisch gegenüberstanden und z.T. (Italien) noch heute stehen, haben andere europäische Rechtsordnungen im Interesse der Leichtigkeit des Rechtsverkehrs – historisch gewachsen – ganz unterschiedliche Erbnachweise geschaffen.

So gibt es sowohl gerichtliche, als auch notarielle, als auch private Verfahren zur Erlangung eines Erbnachweises. Die Wirkungen dieser Erbnachweise weichen stark voneinander ab und reichen von materieller Rechtskraft über Gutglaubenswirkungen und widerleglichen Erbvermutungen über Sachverhaltsdarstellungen, die bei Fehlerhaftigkeit Schadensersatzansprüche (Schadensersatz) auslösen können, bis hin zu Sachverhaltsdokumentationen ohne jede Richtigkeitsgewähr, auf die die Praxis dennoch vertraut.

Die konkrete Ausgestaltung der Erbnachweise ist oft verknüpft mit dem im jeweiligen Land bestehenden System des Erbschaftserwerbs (Universalsukzession, Erbschaftsannahme/-ausschlagung|Erbschaftsannahme und ‑ausschlagung) und dem Grundbuchsystem, wobei allerdings zahlreiche Rechtsordnungen nicht nur eine Art des Erbnachweises kennen.

Daneben kennen alle Länder kontradiktorische Gerichtsverfahren zur Klärung streitiger Fälle, die hier keiner näheren Betrachtung unterzogen werden sollen.

Mangels Einheitlichkeit des internationalen Erbrechts (Erbrecht, internationales) haben die nationalen Erbnachweise primär eine innerstaatliche Bedeutung, ihre europaweite Anerkennung ist bisher nicht gesichert.

2. Rechtsvergleichung

a) Gerichtliche Erbnachweise

In Österreich geht der zunächst liegende Nachlass mit der Einantwortung auf den Erben über (Erbschaftsannahme und ‑ausschlagung). Der Gerichtsbeschluss über die Einantwortung (Einantwortungsurkunde) erwächst in Rechtskraft und legitimiert damit zugleich den Erben.

In England wird der Vermögensübergang auf den personal representative des Erblassers dann, wenn dieser vom Erblasser im Testament benannt wurde (executor), im gerichtlichen Bestätigungszeugnis (grant of probate) deklaratorisch bezeugt bzw. dann, wenn er erst vom Gericht benannt wurde (administrator), mit der Ernennungsurkunde (grant of letter of administration) bewirkt. Der jeweilige grant wird entweder in einem nichtstreitigen Verfahren (in common form) oder in einem streitigen Gerichtsverfahren (in solemn form) erteilt. In letzterem Fall erwächst er in Rechtskraft. Der grant ist mithin der Erbnachweis. Aufgrund der Zwischenschaltung des personal representative ist der kraft gesetzlicher oder testamentarischer Erbfolge Begünstigte (beneficiary) kein Gesamtrechtsnachfolger und wird als solcher in keinem Erbnachweis aufgeführt.

Im italienischen Südtirol gibt es – auf österreichischen Wurzeln fußend – einen vom Gericht erteilten Erbschein nach italienischem Recht, der – ohne Einantwortung – den Erben (und auch den Begünstigten eines Vindikationslegats) insbesondere für Grundbuchzwecke legitimiert, die Vermutung der Erbeneigenschaft begründet und (eingeschränkt) Gutglaubenswirkungen entfaltet.

In Deutschland und Griechenland gibt es einen auf Antrag vom Nachlassgericht nach einem amtlichen Ermittlungsverfahren ausgestellten Erbschein, der die Erben, ihre Erbquoten sowie das Bestehen oder Nichtbestehen von Beschränkungen der Erben (Vor- und Nacherbschaft, Testamentsvollstreckung) ausweist. Der Antragsteller muss dabei zu seinem Tatsachenvortrag eine eidesstattliche Versicherung abgeben. Für den Testamentsvollstrecker kann ein gesondertes Testamentsvollstreckerzeugnis ausgestellt werden. Die Richtigkeit der Aussagen des Erbscheins bzw. des Testamentsvollstreckerzeugnisses wird widerleglich, d.h. ohne in Rechtskraft zu erwachsen, vermutet. Der Erbschein ist mit sog. öffentlichen Glauben ausgestatten, d.h. ein gutgläubiger Dritter, der auf den Erbschein vertraut, wird geschützt. Ähnlich gibt es in Polen eine gerichtliche Bestätigung des Erbschaftserwerbs und seit kurzem alternativ dazu in unstreitigen Fällen einen Notar-Erbschein.

Alternativ zum Erbschein reicht in Deutschland für Registerzwecke wie z.B. das Grundbuch die Vorlage eines notariellen Testaments nebst gerichtlichem Eröffnungsprotokoll aus, sofern sich daraus die Erbenstellung unmittelbar ergibt. Öffentlichen Glauben genießen diese Dokumente allerdings nicht. Bei Kleinstnachlässen und unter Privatleuten wird oftmals auch das gerichtlich eröffnete holographische Testament, das keinerlei Richtigkeitsgewähr verkörpert, als Erbnachweis anerkannt.

In Elsass-Lothringen gibt es – auf deutschen Wurzeln fußend – einen gerichtlichen Erbschein (certificat d’heritier) nach französischem Recht, dessen Aussagen ebenfalls – widerleglich – als richtig vermutet werden und der ebenfalls öffentlichen Glauben genießt. Er wird überall in Frankreich akzeptiert und ersetzt die dort sonst erforderliche Offenkundigkeits- und Eigentumsbescheinigung (acte de notorieté), die freilich in Elsass-Lothringen ebenfalls anerkannt wird.

b) Notarielle Erbnachweise mit Gutglaubenswirkungen

Im übrigen Frankreich und in den Niederlanden kann der Erbe (wie auch der Erb- oder Universalvermächtnisnehmer (légataire universel) und der Erbteilsvermächtnisnehmer (légataire a titre universel) auf Antrag vom Notar eine Urkunde über seine Erbenstellung (acte de notoriété, verklaring van erfrecht) erhalten, die heute Gutglaubenswirkung entfaltet und in Frankreich sogar bis zum Gegenbeweis die Erbeneigenschaft belegt. Dem Notar sind dazu umfassende Unterlagen vorzulegen bzw. sind diese von ihm zu beschaffen. Ist die Erbfolge streitig, kann sie mittels einer Erbschaftsklage gerichtlich geklärt werden.

In Spanien kann der Erbe seine Erbenstellung bei testamentarischer Erbfolge durch eine beim Notar zu beantragende und von diesem zu errichtende escritura pública de aceptación y adjudicación de herencia nachweisen. Bei gesetzlicher Erbfolge durch den Ehegatten, Abkömmlinge oder Voreltern können diese zusammen mit zwei Zeugen beim Notar eine acta de notoriedad als Erbnachweis erlangen. Nur bei gesetzlicher Erbfolge durch entferntere Verwandte ist ein gerichtliches Verfahren zu durchlaufen, aufgrund dessen eine declaración de herederos ab intestato erstellt wird.

c) Privaturkunden

In Schweden und Finnland wird der Erbnachweis durch ein von allen Nachlassbeteiligten unter Hinzuziehung von zwei zuverlässigen Vertrauenspersonen aufzustellendes, auf Ehre und Gewissen zu versicherndes Nachlassverzeichnis erbracht, das die gesamte Nachlasssituation umfassend darstellt und dem Finanzamt als Grundlage für die Erbschaftsbesteuerung einzureichen ist (Erbschaftsannahme und ‑ausschlagung). Es vermittelt guten Glauben und reicht für den Nachweis der Erbenstellung grundsätzlich aus.

d) Sonderfall Italien

Das gemeine italienische Recht kennt keinen Erbschein; die Anforderungen an den Nachweis der Erbenstellung hängen vom Einzelfall ab. Faktisch wird die Erbeneigenschaft primär durch Vorlage der Urkunde mit der Erklärung über die Annahme der Erbschaft belegt. Für die Umschreibung von Immobilien muss die Erbeneigenschaft durch Vorlage aller für die Erbfolge relevanten Dokumente nachgewiesen werden (Art. 2648, 2660-2662 Codice civile). Ansonsten behilft sich die Praxis mit der Vorlage der Erbschaftsanzeige (dichiarazione di successione), die der Erbe bei der Agenzia delle Entrate abgeben muss und ohne deren Vorlage die Notare und anderen Amtspersonen keine Veräußerungsurkunden über im Erbwege erworbene Güter aufnehmen oder beglaubigen dürfen. Auch eine eidesstattliche Erklärung zweier Zeugen vor einem Notar über die Erbfolge (atto di notorietà) wird z.T. als Erbnachweis akzeptiert. Es gibt Bestrebungen einen notariellen Erbnachweis einzuführen.

e) Nationale Tendenzen

In den romanischen Ländern, die im Interesse der wahren Erben ursprünglich einem formalisierten Erbnachweis mit Gutglaubenswirkungen kritisch gegenüber standen, gibt es seit einigen Jahren ein Umdenken: Die Vorzüge eines solchen Erbnachweises für die Leichtigkeit des Rechtsverkehrs wurden erkannt und die gesetzlichen Vorschriften bereits in Frankreich, den Niederlanden und Spanien geändert.

3. Europäisches Vereinheitlichungsprojekt: Rom IV

Die grenzüberschreitende Anerkennung der unterschiedlichen nationalen Erbnachweise scheitert in Europa bisher zum einen daran, dass das internationale Erbrecht (Erbrecht, internationales) noch nicht vereinheitlicht ist und es daher hinsichtlich der Erbfolge keinen internationalen Entscheidungseinklang gibt. Dies ist auch der Hauptgrund dafür, dass das Haager Nachlassverwaltungsabkommen von 1973, das einen grenzüberschreitenden Nachweis für Fremdverwalter des Nachlasses, etwa Testamentsvollstrecker, vorsieht, bisher kaum Erfolg hatte. Zum anderen wird die Verlässlichkeit der Erbnachweise aufgrund der sehr unterschiedlichen Anforderungen an die Voraussetzungen für ihre Erteilung oft als nicht ausreichend eingeschätzt. Und schließlich bereiten die sehr unterschiedlichen dogmatischen Strukturen und Erbrechtsinstitute sowie die Abgrenzungen insbesondere zum Nachlassverfahrensrecht, Ehegüterrecht, Sachenrecht und Gesellschaftsrecht Anwendungsprobleme. Daher drängt die Praxis seit langem auf die Schaffung eines europäischen Erbscheins oder die Schaffung der Voraussetzungen für die grenzüberschreitende Anerkennung der nationalen Erbnachweise.

In den Wiener Aktionsplan von 1998 wurde daraufhin das internationale Erbrecht aufgenommen. Als ersten Schritt hat das Deutsche Notarinstitut im Auftrag der Kommission in Zusammenarbeit mit Heinrich Dörner und Paul Lagarde im Jahre 2002 eine ausführliche rechtsvergleichende Studie zum internationalen Erb- und Nachlassverfahrensrecht mit Vorschlägen zu ihrer Harmonisierung sowie zur Schaffung eines europäischen Erbscheins vorgelegt. Auf der Basis dieser Studie hat die Kommission am 1.3.2005 ein Grünbuch zum Erb- und Testamentsrecht (KOM(2005) 65 endg.) vorgelegt, in dem insbesondere auch Fragen zur Ausgestaltung eines europäischen Erbscheins gestellt werden. Die eingegangenen Antworten begrüßen ganz überwiegend die Idee eines europäischen Erbscheins, so insbesondere auch das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 16.11.2006 mit Empfehlungen an die Kommission zum Erb- und Testamentrecht (A6-0359/2006 endg.). Die Kommission plant nunmehr, im Jahr 2009 einen ersten Entwurf für eine Rom IV-Verordnung über das internationale Nachlassverfahrensrecht, das internationale Erbrecht, die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Erbsachen und den europäischen Erbschein vorzulegen (Erbrecht, internationales).

Literatur

Felix Odersky, Die Abwicklung deutsch-englischer Erbfälle, 2001; Deutsches Notarinstitut (Hg.), Internationals Erbrecht in der EU: Perspektiven einer Harmonisierung, 2004 (enthält u.a. die Rechtsvergleichende Studie der erbrechtlichen Regelungen des Internationalen Verfahrensrechtes und Internationalen Privatrechts der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Zusammenarbeit mit Heinrich Dörner und Paul Lagarde); Markus Stögner, Alice Perscha, Verlassenschaftsverfahren in Österreich, Notarius International 2005, 113 ff.; Alfonso Renteria (Hg.), Manuel de Droit Privé et de Justice Préventive en Europe, 2007; Rembert Süß (Hg.), Erbrecht in Europa, 2. Aufl. 2008.

Abgerufen von Erbnachweis – HWB-EuP 2009 am 19. März 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

Die hier veröffentlichten Artikel unterliegen exklusiven Nutzungsrechten der Rechteinhaber des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht und des Verlages Mohr Siebeck; sie dürfen nur für nichtkommerzielle Zwecke genutzt werden. Nutzer dürfen auf die öffentlich frei zugänglich gemachten Artikel zugreifen, diese herunterladen, Ausdrucke anfertigen und Kopien der Dateien anfertigen. Weiterhin dürfen Nutzer die Artikel auszugsweise übersetzen und im Rahmen von wissenschaftlicher Arbeit zitieren, sofern folgende Anforderungen erfüllt werden:

  • Nutzung zu nichtkommerziellen Zwecken
  • Erhalt der Text-Integrität des Artikels und seiner Bestandteile
  • Zitieren der Fundstelle gemäß wissenschaftlichen Standards unter Angabe von Autoren, Stichworttitel, Werkname, Jahr der Veröffentlichung (siehe Zitiervorschlag).