Kapitalmarktpublizität und Kapitalmarktrecht: Unterschied zwischen den Seiten

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von ''[[Alexander Hellgardt]]''
von ''[[Klaus J. Hopt]]''
== 1. Einleitung; Begrifflichkeiten ==
== 1. Begriff, Funktion und Rechtsquellen ==
Die Kapitalmarktpublizität umfasst sowohl die Informationspflichten bei Markteintritt als auch die Marktteilnahmepflichten der Gesellschaften, deren Wertpapiere/‌Finanzinstrumente zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind. Die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts bei Börsenzulassung und eine damit einhergehende Prospekthaftung waren bereits im 19. Jahrhundert bekannt (dazu [[Prospekthaftung]]). Die Kapitalmarktpublizität im engeren Sinne, also die Pflichten börsennotierter Unternehmen (''Emittenten'') zur kontinuierlichen Information des Anlegerpublikums über die handelsrechtliche [[Rechnungslegung]] hinaus, ist dagegen in vielen europäischen Rechtsordnungen erst im Zuge europarechtlicher Harmonisierung in den 1970er und 1980er Jahren eingeführt worden. Diese Informationspflichten dienen dem fortlaufenden Wertpapierhandel am sogenannten ''Sekundärmarkt'', das ist der Umlaufmarkt für bereits zuvor am ''Primärmarkt'' emittierte Finanzinstrumente.
Kapitalmarktrecht regelt den Kapitalmarkt. Scheinbar selbstverständlich, ist doch beides begrifflich umstritten. Für rechtliche Zwecke mag man Kapitalmarkt als den Teil der Finanzmärkte umschreiben, auf dem Beteiligungstitel an Unternehmen oder andere fungible Wertpapiere (samt Wertrechten und Derivaten) wie Schuldverschreibungen und Investmentanteile gehandelt werden. Prototyp eines Kapitalmarkts ist die Börse, ein angesichts der neueren technischen Entwicklungen zu börsenähnlichen Handelsplattformen (MTF, ''multilateral trading facilities'') ebenfalls nicht mehr unumstrittener Begriff. Prototyp des Kapitalmarktrechts ist das Börsenrecht ([[Börsen]]). Nach einem weiten Begriff des Kapitalmarktrechts gehören dazu z.B. Gesellschaftsrecht, Bankrecht, Steuerrecht u.a. Praktikabler ist ein engerer Begriff. Zum Kapitalmarktrecht gehören danach die Verfassung des Kapitalmarkts, also einschließlich Börsenrecht, ebenso wie die Vorschriften über die Transaktionen auf dem Primärmarkt (zwischen Emittenten, Banken und Anlegern) und dem Sekundärmarkt (zwischen den Anlegern und den verschiedenen Arten von [[Finanzintermediär]]en). Kapitalmarktrecht ist danach anders als [[Gesellschaftsrecht]] ein typisches Querschnittsrecht, das sowohl öffentliches wie privates Recht umfasst und verschiedentlich auch strafbewehrt ist.


Der Preis eines Wertpapiers wird maßgeblich durch die zukünftigen Gewinne bestimmt, die die Marktteilnehmer erwarten und die – bei Aktien in Form von Dividenden an die Anleger ausgeschüttet werden. Da die zukünftige Ertragslage naturgemäß ungewiss ist und von einer Vielzahl von Faktoren abhängt, sind die Marktteilnehmer auf eine zuverlässige und regelmäßige Information durch die Emittenten angewiesen, um fortlaufend angemessene Preise für die Wertpapiere bilden zu können. Zugleich ist es effizienter, dem Emittenten als „Produzenten“ der unternehmensinternen Umstände die Pflicht zur Information aufzuerlegen und nicht die einzelnen Anleger zu parallelen Recherchen über die wirtschaftliche Situation börsennotierter Gesellschaften zu zwingen. Damit dienen die kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten sowohl den Interessen des einzelnen Anlegers als auch der Gesamtwirtschaft (''Anleger- und Funktionenschutz'') ([[Kapitalanlegerschutz]]).
Das moderne Kapitalmarktrecht hat seine Wurzeln in der US-amerikanischen ''securities regulation'', die dort durch ihre Geschichte, ihre Verfassung in den großen Gesetzen der 1930er Jahre namentlich ''Securities Act 1933'', ''Securities Exchange Act 1934'' und ''Investment Company Act'' und ''Investment Advisers Act'' von 1940 – und durch das Aktionsfeld der ''Securities and Exchange Commission'' (SEC) ohne Sorge um den Begriff konstituiert ist und einen Siegeszug um die Welt bis hin nach Japan angetreten hat. In Europa folgten als erstes Land Belgien 1935, später Frankreich mit der ''Commission des Opérations de Bourse'' (COB) 1967, Deutschland hingegen erst unter dem Druck europäischer Richtlinien (WpHG 1994 mit einer Kapitalmarktaufsichtsbehörde, heute BaFin, und WpÜG 2001) und zuletzt in den 1990er Jahren die Länder Mittel- und Osteuropas.  


Beim Börsengang fließt der Gesellschaft der Vorteil einer Informationspflichtverletzung in Form eines höheren Emissionserlöses direkt zu, weshalb die Existenz der Prospekthaftung unmittelbar einleuchtet. Demgegenüber ist der wirtschaftliche Vorteil einer Fehlinformation am Sekundärmarkt für den dort am Wertpapierhandel unbeteiligten Emittenten nicht so offensichtlich. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, weshalb viele europäische Rechtsordnungen der Haftung für die durch Fehlinformation des Kapitalmarkts verursachten ''reinen Vermögensschäden'' traditionell skeptisch gegenüberstehen. So hat etwa England, das seit dem 19. Jahrhundert die Prospekthaftung kennt, eine Haftung für Pflichtverletzungen am Sekundärmarkt erst 2006 im Zuge der Umsetzung der Transparenz-RL (RL 2004/‌109) eingeführt.
Das Kapitalmarktrecht hat die Funktion, Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Kapitalmarkt zu schaffen. Dabei geht es um die Allokationseffizienz des Kapitalmarkts, die nur bei hinreichender Informationsversorgung erreicht werden kann, um die operationale Effizienz, damit die Transaktionen möglichst rasch und kostengünstig durchgeführt werden können, und um die institutionelle Effizienz, die vor allem am Vertrauen der Marktteilnehmer hängt. Letzteres bedingt einen hinreichenden [[Kapitalanlegerschutz]]. Besondere Herausforderungen für das Kapitalmarktrecht ergeben sich aus der Informationsasymmetrie zwischen den Marktgegenseiten und den Interessenkonflikten der Banken und anderen [[Finanzintermediär]]en. Rechtlich unterschieden werden innerhalb des Kapitalmarkts Regeln für den Primärmarkt und solche für den Sekundärmarkt. Aber zwischen beiden gibt es Übergänge, etwa Privatplazierungen, und Funktionszusammenhänge, namentlich die gemeinsame Vertrauensgrundlage.  


== 2. Kapitalmarktrechtliche Publizitätspflichten ==
Zentraler Regelungsmechanismus des Kapitalmarktrechts ist die kapitalmarktrechtliche Publizität, die neben die herkömmliche kapitalgesellschaftsrechtliche Rechnungslegungspublizität etwa als Prospektpublizität, Beteiligungsoffenlegungspublizität ab bestimmten Schwellen und ''ad hoc''-Publizität bei kursrelevanten Ereignissen tritt. Die Verfassung von Märkten regeln für die Börsen das Börsenrecht und für den Markt für Unternehmenskontrolle das Übernahmerecht. Breiten Raum nehmen die Regeln für Anlagevehikel, etwa das Investmentrecht, und besondere Vorschriften für [[Finanzintermediär]]e wie Börsenmakler, Banken, Analysten, [[Rating-Agenturen]] u.a. ein. Vieles davon ist heute durch europäische Vorgaben geprägt.  
Die kapitalmarktrechtliche Publizität am Sekundärmarkt gliedert sich in die Regelpublizität, die Anlasspublizität und Beteiligungspublizität. Daneben treten besondere Informationspflichten im Falle der Übernahme einer börsennotierten Gesellschaft ([[Übernahmerecht]]). Die Regelpublizität bezeichnet die periodische Information des Anlegerpublikums in Form von Jahresabschlüssen und Zwischenabschlüssen. Dadurch sollen die Anleger in die Lage versetzt werden, sich ein grundlegendes Bild von dem betreffenden Unternehmen zu machen. Demgegenüber ist es Aufgabe der Anlasspublizität (auch: ''ad hoc''-Publizität), unerwartete Umstände, die in der Zeit zwischen den periodischen Berichten auftreten, den Anlegern so bald wie möglich zur Kenntnis zu bringen und damit einerseits Markttransparenz als Grundlage für eine korrekte Preisbildung herzustellen und andererseits der Ausnutzung eines Informationsvorsprungs Einzelner durch Insiderhandel ([[Insidergeschäft]]) vorzubeugen. Die Beteiligungspublizität komplettiert die Anlegerinformation, indem das Erreichen, Über- und Unterschreiten bestimmter Beteiligungshöhen an einer börsennotierten Gesellschaft gemeldet werden müssen. Die Zusammensetzung des Aktionärskreises und die Veränderungen maßgeblicher Aktienbeteiligungen sind wichtige Kriterien für die Anlageentscheidungen gerade der institutionellen Investoren.


Im Zuge der Umsetzung des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen (''Financial Services Action Plan'') von 1999 wurde die Kapitalmarktpublizität im europäischen Recht durch den Erlass einer neuen Generation von Kapitalmarktrichtlinien auf eine völlig neue Basis gestellt.
== 2. Europäische Rechtsangleichung ==
Die europäische Rechtsangleichung hat schon Ende der 1970er Jahre eingesetzt und sich zunächst auf die Rechtsangleichung des Börsenrechts ([[Börsen]]) konzentriert. Dazu ergingen in rascher Folge die Börsenzulassungs-RL vom 5.3.1979 (RL 79/‌279), die Börsenzulassungsprospekt-RL vom 17.3.1980 (RL 80/‌390), die Zwischenberichts-RL vom 15.2.1982 (RL 82/‌121) und die Transparenz-RL vom 12.12.1988 (RL 88/‌627). Die Börsennotierungs-RL vom 28.5.2001 (RL 2001/‌34) hat diese vier Richtlinien konsolidiert und zusammengefasst. Sie wurde durch die Transparenz-RL vom 15.12.2004 (RL 2004/‌109) geändert und ergänzt. Zahlreiche weitere europäische Richtlinien haben mittlerweile dazu geführt, dass das europäische Kapitalmarktrecht heute zu den am weitesten entwickelten europäischen Rechtsgebieten gehört und viel weitergehend angeglichen ist als etwa das [[Gesellschaftsrecht]]. Eine Zusammenstellung des europäischen Gesellschafts- und Finanzrechts von 2007 zählt bis Herbst 2006 nicht weniger als 34 Einträge. Diese können hier nicht näher dargestellt werden. Stattdessen werden drei besonders wichtige Richtlinien kurz vorgestellt, die Marktmissbrauchs-RL von 2003 (RL 2003/‌6), die das Insider- und Marktmanipulationsverbot enthält, die Finanzmarkt-RL (MiFID, RL 2004/‌39) und die Übernahme-RL (RL 2004/‌25), beide von 2004.


=== a) Regelpublizität ===
== 3. Insider- und Marktmanipula­tionsrecht ==
Die Regelpublizität findet ihre Grundlage in der Transparenz-RL sowie in den dazu im Rahmen des sogenannten ''Lamfalussy-Verfahrens''<nowiki> erlassenen Durchführungsbestimmungen, insbesondere der Durchführungs-RL (RL&nbsp;2007/‌14). Diese Richtlinien gelten für Gesellschaften, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind. Gemäß Art.&nbsp;4 der Transparenz-RL müssen die Emittenten Jahresfinanzberichte veröffentlichen, die aus dem geprüfte Jahresabschluss (soweit der Emittent unter den Anwendungsbereich der Konzernabschluss-RL [RL&nbsp;83/‌349] fällt, ist dies ein IAS/‌IFRS-Abschluss im Einklang mit der IAS-VO [VO&nbsp;1606/‌2002], ansonsten der Jahresabschluss nach nationalem Recht) und dem Lagebericht bestehen. Hinzu kommt ein sogenannter „Bilanzeid“, mit dem die verantwortlichen Personen versichern, dass der Abschluss ihres Wissens (</nowiki>''to the best of their knowledge'') ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt und dass der Lagebericht die Lage so darstellt, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild entsteht, und dass er die wesentlichen Risiken und Ungewissheiten beschreibt. Sodann verpflichtet Art.&nbsp;5 zur Veröffentlichung von Halbjahresfinanzberichten, die aus einem verkürzten Abschluss (Zwischenbericht nach IAS/‌IFRS bei Konzerngesellschaften, ansonsten ergeben sich die Anforderungen aus Art.&nbsp;3 der Durchführungs-RL), einem Zwischenlagebericht sowie wiederum aus einem Bilanzeid bestehen. Schließlich sind gemäß Art.&nbsp;6 Transparenz-RL in der ersten und zweiten Hälfte des Geschäftsjahrs Zwischenmitteilungen der Geschäftsführung zu veröffentlichen, so dass das Anlegerpublikum vierteljährlich einen mehr oder weniger detaillierten Bericht über die Lage des Emittenten und seine finanzielle Situation erhält. Daneben sind die Emittenten gemäß Art.&nbsp;16, 17 und 18 der Transparenz-RL verpflichtet, den Aktionären oder Schuldverschreibungsinhabern zusätzliche Informationen über ihre Rechte sowie über Haupt- und Gläubigerversammlungen zu erteilen.
Insidergeschäfte sind Erwerb und Veräußerung von Kapitalmarktpapieren im weitesten Sinne, die ein Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied oder eine ähnliche Person mit privilegiertem Zugang zu Informationen über das Unternehmen und seine Papiere unter Ausnutzung seines Informationsvorsprungs abschließt. Die Vorabausnutzung eines solchen Informationsvorsprungs vor dem Börsen- und Anlegerpublikum gilt heute international in nahezu allen modernen Rechtsordnungen als ungerechtfertigt. Auch abgesehen von der Übervorteilung der Anleger schaden sie Börse und Kapitalmarkt, weil sie die Kauf- und Verkaufsangebotsspannen vergrößern und Vertrauen kosten. Das gilt erst recht für die [[Marktmanipulation]].


Weitere wichtige Vorgaben für die Regelpublizität hat Art.&nbsp;10 der Übernahme-RL (RL&nbsp;2004/‌ 25, [[Übernahmerecht]]) gebracht. Danach müssen Gesellschaften, deren Wertpapiere an einem geregelten Markt zum Handel zugelassen sind, im Lagebericht eine Vielzahl von Angaben aufführen über Umstände, die sich als strategisches Übernahmehindernis darstellen könnten.
Die RL&nbsp;2003/‌6 vom 28.1.2003 über Insidergeschäfte und Marktmanipulationen (Marktmissbrauch) ist an die Stelle der Insider-RL von 1989 (RL&nbsp;89/‌592) getreten und hat das Recht der [[Insidergeschäft]]e und, neu, das der Marktmanipulation vereinheitlicht. Personen, die über eine Insiderinformation verfügen, dürfen nicht unter Nutzung derselben für eigene oder fremde Rechnung Finanzinstrumente, auf die sich die Information bezieht, erwerben oder veräußern. Das gilt insbesondere für Vorstand und Aufsichtsratsmitglieder des Emittenten, aber unter bestimmten Voraussetzungen auch für Aktionäre und Arbeitnehmer desselben. Diese Personen dürfen Insiderinformationen auch nicht an Dritte weitergeben, soweit dies nicht im normalen Rahmen der Ausnutzung ihrer Arbeit geschieht. Außer den genannten Primärinsidern werden von diesen Verboten auch Sekundärinsider erfasst, also solche, die wissen oder wissen müssen, dass sie eine Insiderinformation haben.


Im Jahr 2006 wurden Art.&nbsp;46a in die Jahresabschluss-RL (RL&nbsp;78/‌660) und Art.&nbsp;36a in die Konzernabschluss-RL eingefügt, die funktional ebenfalls der sekundärmarktrechtlichen Regelpublizität zuzurechnen sind, da sie allein auf Gesellschaften Anwendung finden, deren Wertpapiere an einem geregelten Markt zum Handel zugelassen sind. Danach sind in den Lagebericht ergänzende Angaben zur ''[[Corporate Governance]]'' der betreffenden Emittenten aufzunehmen.
Was Marktmissbrauch ist, ist ökonomisch umstritten und auch in der Richtlinie kompliziert definiert und geregelt. Vereinfacht gesprochen handelt es sich um Irreführung des Marktes durch Transaktionen, die falsche oder irreführende Signale aussenden oder den Kurs derart beeinflussen, dass ein anormales oder künstliches Kursniveau erzielt wird (außer es handelt sich um eine zulässige Marktpraxis), um Transaktionen unter Täuschung und um Verbreitung falscher oder irreführender Informationen.


=== b) ''Ad hoc''-Publizität ===
Diese Regeln bedurften der Konkretisierung. Die Kommission hat das in mehreren Durchführungsregelungen unternommen. Sie hat Ausnahmeregelungen für Rückkaufprogramme und Kursstabilisierungsmaßnahmen erlassen und genauer definiert, was Insiderinformation und Marktmanipulation ist und was dazu veröffentlicht werden muss. Nähere Regeln behandeln die sachgerechte Darbietung von Anlageempfehlungen und die Offenlegung von Interessenkonflikten. Schließlich werden die zulässigen Marktpraktiken erläutert und die Führung von Insiderverzeichnissen vorgeschrieben.
Damit es nicht zu Preisverzerrungen kommt, wenn in den Phasen zwischen der Regelberichterstattung wesentliche neue Ereignisse eintreten, die eine andere Bewertung des Finanzinstruments implizieren, sind die Emittenten nach Art.&nbsp;6(1) der Marktmissbrauchs-RL (RL&nbsp;2003/‌6) verpflichtet, solche Umstände, wenn sie davon unmittelbar betroffen sind, „so bald als möglich“ der Öffentlichkeit bekannt zu geben. Diese Pflicht greift bereits ein, sobald sich herausstellt, dass ein bewertungsrelevanter Umstand mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der Zukunft eintreten wird. Zugleich stellt die Kenntnis eines solchen bewertungsrelevanten Umstands eine Insiderinformation dar, deren Nutzung Art.&nbsp;2 und deren Weitergabe Art.&nbsp;3 der Marktmissbrauchs-RL untersagen ([[Insidergeschäft]]).


Das Ziel der Markttransparenz wird allerdings nicht absolut gesetzt. So erlaubt Art.&nbsp;6(2) der Marktmissbrauchs-RL den Emittenten, die Bekanntgabe auf eigene Verantwortung aufzuschieben, wenn ansonsten ihre berechtigten Interessen beschädigt werden könnten. Voraussetzung ist aber, dass die Unterlassung nicht geeignet ist, die Öffentlichkeit irrezuführen und der Emittent in der Lage ist, die Vertraulichkeit der Information zu gewährleisten.
== 4. Recht der Märkte für Finanz&shy;instrumente ==
Die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (RL&nbsp;2004/‌39; ''Markets in Financial Instruments Directive'', MiFID) vom 21.4.2004 ist das Grundgesetz des europäischen Finanzmarktrechts. Sie hat die völlig veraltete Wertpapierdienstleistungs-RL (''Investment Services Directive'', ISD) vom 10.5.1993 (RL&nbsp;93/‌22) ersetzt und wesentlich umgestaltet und erweitert. Die Neuerungen betreffen insbesondere den Anwendungsbereich, Transparenzanforderungen für Handelsplattformen und die rechtlichen Grundlagen zur Ausführung von Wertpapiergeschäften.  


Hinsichtlich der Einzelheiten der Veröffentlichung verweist Art.&nbsp;2(1)(I) der Durchführungs-RL auf das Regime von Art.&nbsp;20 und 21 Transparenz-RL. Dies zeigt die enge Verzahnung von ''ad hoc''-Publizität und Regelpublizität.
Die MiFID regelt zunächst die Zulassung von Wertpapieren und Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit. Dazu gehören Vorschriften für Aktionäre und Mitglieder mit qualifizierten Beteiligungen – diese dürfen nicht ungeeignet sein –, die Mitgliedschaft in einem zugelassenen Anlegerentschädigungssystem, Anfangskapitalisierung und organisatorische Anforderungen. Besonders geregelt sind die multilateralen Handelssysteme (MTF).


=== c) Beteiligungspublizität ===
Sodann wird die Ausübung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen geregelt. Dazu gehören Regeln über Interessenkonflikte, Bestimmungen zum Anlegerschutz wie Wohlverhaltensregeln und die Verpflichtung zur kundengünstigsten Ausführung von Aufträgen (''best execution'') und Regeln über Markttransparenz und Marktintegrität, für die namentlich Publizität (Vorhandels- und Nachhandels-Transparenzvorschriften) wichtig ist.  
Eine etwas andere Zielrichtung als Regel- und ''ad hoc''-Publizität hat die Beteiligungspublizität. Gemäß Art.&nbsp;9 der Transparenz-RL muss ein Aktionär das Erreichen, Über- oder Unterschreiten der Schwellen von 5, 10, 15, 20, 25, 30, 50 oder 75&nbsp;% der Aktien, an die Stimmrechte geknüpft sind, an den betreffenden Emittenten melden. Art.&nbsp;10 erweitert diese Meldepflichten für Fälle, in denen der betreffende Anleger nicht die Aktien direkt, sondern sonstige Berechtigungen an den Stimmrechten erwirbt. Gemäß Art.&nbsp;12(2) der Transparenz-RL (konkretisiert in Art.&nbsp;8 und 9 der Durchführungs-RL) muss die Mitteilung an den Emittenten so rasch wie möglich, jedoch spätestens nach vier Tagen, erfolgen und ist sodann gemäß Art.&nbsp;12(6) der Transparenz-RL vom Emittenten sobald er diese erhält, spätestens jedoch nach drei weiteren Handelstagen, zu veröffentlichen.


Neben den Meldepflichten der Aktionäre (und der Weiterleitungspflicht des Emittenten) besteht auch eine eigene Meldepflicht des Emittenten hinsichtlich des Erwerbs eigener Aktien. Nach Art.&nbsp;14(1) der Transparenz-RL ist der Emittent zur unverzüglichen Meldung innerhalb von spätestens vier Tagen verpflichtet, wenn er hinsichtlich seines Bestands an eigenen Aktien die Schwellen von 5 oder 10 Prozent erreicht, über- oder unterschreitet.
Unter den weiteren Vorschriften der Richtlinie sind solche über die Rechte von Wertpapierfirmen im Binnenmarkt und über geregelte Märkte zu nennen. Geregelter Markt ist ein europäischer Grundbegriff des Kapitalmarktrechts, der in der Richtlinie gebietsübergreifend definiert ist. Über alledem steht die Kapitalmarktaufsicht durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, die zusammenarbeiten müssen.


Die Beteiligungspublizität weist eine enge Verzahnung mit dem [[Übernahmerecht]] auf, indem sie bereits im Vorfeld eines möglichen Kontrollerwerbs oder seiner Abwehr durch die Gesellschaft die Transparenz der Beteiligungsstruktur gewährleistet. Zugleich sind Kontrolltransaktionen besondere Anlässe in der Existenz börsennotierter Publikumsgesellschaften und die Kenntnis davon gleicht einer Insiderinformation. Häufig wird der Kontrollerwerb sogar eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation darstellen.
Beim Umgang mit der Finanzmarktrichtlinie ist die durch das ''Lamfalussy''-Rechtsetzungsverfahren in der EU komplizierte Normhierarchie zu beachten. Nach diesem vierstufigen Verfahren stehen nebeneinander (1) die Finanzmarktrichtlinie als vom Europäischen Parlament und Europäischen Rat erlassene Rahmenrichtlinie, (2) Durchführungsverordnungen und &#8209;richtlinien der Kommission, (3) eine einheitliche Aufsichtspraxis durch das CESR (''Committee of European Securities Regulators'', Vertreter der Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten) und (4) Überwachung der einheitlichen Umsetzung und Einhaltung der Rechtsvorschriften durch die Europäische Kommission. An Durchführungsvorschriften sind unter anderem eine Durchführungsrichtlinie vom 10.8.2006 und eine Durchführungsverordnung vom 10.8.2006 über Aufzeichnungspflichten für Wertpapierfirmen, Meldung von Geschäften, Markttransparenz, Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel und bestimmte Definitionen zu nennen.


== 3. Kapitalmarkthaftung ==
In Deutschland ist die MiFID durch das Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 16.7.2007 (auch FRUG genannt) umgesetzt worden. Dieses Gesetz hat das Börsengesetz völlig neu gefasst und durch einheitliche Regelung der Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel (keine Trennung mehr zwischen amtlichem und geregeltem Markt) von 64 auf 52 Paragraphen verschlankt. Außerdem wurde das Wertpapierhandelsgesetz umfassend geändert. Die Änderungen betreffen vor allem den Anwendungsbereich, Transparenzanforderungen für Handelsplattformen und die rechtlichen Grundlagen zur Ausführung von Wertpapiergeschäften.
=== a) Europarechtliche Vorgaben ===
Weitaus weniger detailliert sind die Vorschriften über die Kapitalmarkthaftung im Falle der Verletzung einer der vorerwähnten Pflichten. So verlangt Art.&nbsp;7 der Transparenz-RL von den Mitgliedstaaten nur, dass diese die Verantwortung für die in Jahresfinanzberichten, Halbjahresfinanzberichten, Zwischenmitteilungen der Geschäftsführung sowie in Mitteilungen nach Art.&nbsp;16 veröffentlichten Informationen zumindest dem Emittenten oder dessen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan zuweisen. Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Haftung auf diese verantwortlichen Personen anwendbar sind. Hinsichtlich der Sanktionen bei Verletzung der Beteiligungspublizität schweigt die Richtlinie dagegen. Gar keine expliziten Haftungsregeln enthält die Marktmissbrauchs-RL im Falle der Verletzung der Pflicht zur ''ad hoc''-Publizität. In diesen Fällen können lediglich allgemeine ''effet utile''-Prinzipien dazu führen, dass die Mitgliedstaaten zu einer haftungsrechtlichen Sanktionierung verpflichtet sind. So hat etwa Deutschland im Jahr 2002 spezielle Haftungsvorschriften bei Verletzung der ''ad hoc''-Publizität eingeführt, um damit einem Vertragsverletzungsverfahren aufgrund zahlreicher Verstöße durch die Emittenten zuvorzukommen.


=== b) Mitgliedstaatliche Rechte ===
== 5. Übernahmerecht ==
Das Recht der Mitgliedstaaten im Bereich der Kapitalmarkthaftung ist in Anbetracht dieser spärlichen Vorgaben und unterschiedlicher nationaler Traditionen im Deliktsrecht noch sehr heterogen ([[Prospekthaftung]]). Gewisse Veränderungen sind aber im Zuge der Umsetzung von Art.&nbsp;7 der Transparenz-RL eingetreten. Während Deutschland sich auf den Standpunkt gestellt hat, die allgemeinen zivilrechtlichen Rechtsbehelfe seien ausreichend, so dass die deutschen Gerichte in Zukunft im Wege der europarechtskonformen Auslegung zu einer effektiven Haftung nach allgemeinem Deliktsrecht gelangen werden müssen, haben andere Mitgliedstaaten die Umsetzung zum Anlass für eine vollständige Revision ihres Kapitalmarkthaftungsrechts genommen. Insbesondere England hat sec. 90A und sec. 90B in den ''Financial Services and Markets Act 2000'' eingefügt; und das Treasury hat im Anschluss an den ''Davies''-Review eine umfassende Neuregelung der Sekundärmarkthaftung angekündigt, die neben der Regel- auch die ''ad hoc''-Publizität umfassen soll. Zuvor war im englischen Recht eine Sekundärmarkthaftung weithin abgelehnt worden.
Ein funktionierender Markt für Unternehmenskontrolle ist für den Binnenmarkt und die (externe) ''[[Corporate Governance]]'' ganz unverzichtbar. Übernahmen führen tendenziell zur Nutzung von Synergien und zur Kontrolle der Leitung von börsennotierten Unternehmen mit breiter Eigentumsstreuung. Es ist deshalb wichtig, dass – nach jahrzehntelangen Geburtswehen – schließlich doch noch die zwar nicht ideale, aber insgesamt doch akzeptable Übernahmeangebote-RL vom 21.4.2004 (RL&nbsp;2004/‌25) zustande gekommen ist.


Frankreich und andere Länder wenden die deliktische Generalklausel des Art.&nbsp;1382 ''Code civil'' an. Häufig werden dort Schadensersatzansprüche im Rahmen von Adhäsionsverfahren vor Strafgerichten geltend gemacht.
Der Inhalt der Richtlinie betreffend Übernahmeangebote, insbesondere was Verfahren, Transparenz, Pflichtangebot und Preisbildung und den ''squeeze-out'' und ''sell-out'' angeht, ist hier nicht näher darzustellen ([[Übernahmerecht]]). Das deutsche WpÜG hat wesentliche Punkte der Richtlinie vorweggenommen, und die Änderungen gemäß der Richtlinie sind mittlerweile in das WpÜG übernommen worden. Es genügt, zwei Kernpunkte kurz anzusprechen, das Vereitelungsverbot mit dem Durchgriff und die Optionsregelung einschließlich Reziprozität.


== 4. Internationales Privatrecht ==
Die Richtlinie geht in Art.&nbsp;9 von einem strikten Vereitelungsverbot für das Leitungsorgan der Zielgesellschaft aus. Verteidigungsmaßnahmen ab dem Zeitpunkt, zu dem das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft die vorgesehene Information über das Angebot erhalten hat, bis zum endgütigen Ergebnis des Angebots sind grundsätzlich Sache der Hauptversammlung, die kurzfristig einberufen werden können muss. Das gilt insbesondere für die Ausgabe von Wertpapieren, durch die der Bieter auf Dauer an der Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft gehindert werden könnte. Ausnahmen sind die Suche nach konkurrierenden Angeboten (weißer Ritter) und vor dem soeben genannten Zeitraum gefasste Entscheidungen, wenn sie bereits teilweise oder vollständig umgesetzt oder innerhalb des normalen Geschäftsverlaufs gefasst wurden.
Die Anknüpfung der Publizitätspflichten ist in den Richtlinien inzwischen ausdrücklich geregelt. So unterliegen die Emittenten hinsichtlich der durch die Transparenz-RL präformierten Pflichten dem Recht ihres „Herkunftsmitgliedstaates“. Dieser wird in Art.&nbsp;2(1)(i) der Transparenz-RL legaldefiniert und bestimmt sich im Falle der Emission von Aktien nach dem Satzungssitz der emittierenden Aktiengesellschaft. Die ''ad hoc''-Publizität richtet sich gemäß Art.&nbsp;2 (1)(I) der Durchführungs-RL zur Marktmissbrauchs-RL (i.V.m. der Übergangsbestimmung in Art.&nbsp;32 letzter UAbs. der Transparenz-RL) nach dem Regime von Art.&nbsp;20 und 21 der Transparenz-RL, so dass auch hier der „Herkunftsmitgliedstaat“ im Sinne der Transparenzrichtlinie einschlägig ist.


Nicht geregelt ist dagegen die Anknüpfung der Kapitalmarkthaftung. Kapitalmarkthaftungsansprüche sind für die Zwecke des IPR deliktsrechtlich zu qualifizieren. Die Ansprüche fallen unter den Anwendungsbereich der Rom&nbsp;II-VO (VO&nbsp;864/‌2007); insbesondere werden sie nicht von den Bereichsausnahmen in Art.&nbsp;1(2)(c) und (d) erfasst. Im Schrifttum wird bislang meist die Anknüpfung an den Marktort (also den Belegenheitsort der betreffenden Börse) favorisiert. Seit der Einführung des Herkunftsstaatsprinzips durch die Transparenzrichtlinie sprechen aber die besseren Argumente dafür, akzessorisch an die verletzte Pflicht anzuknüpfen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil es den Mitgliedstaaten – jedenfalls im Bereich der Regelpublizität – weithin erlaubt ist, über die Anforderungen des Europarechts hinauszugehen. Eine Anwendung des Marktrechts müsste also die Besonderheiten des Herkunftsstaates im Sinne einer Sonderanknüpfung innerhalb des Tatbestands berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist es überzeugender, eine engere Verbindung im Sinne von Art.&nbsp;4(3) der Rom&nbsp;II-VO anzunehmen.
Ergänzt wird das Vereitelungsverbot durch die Durchgriffsregel des Art.&nbsp;11. Satzungsmäßige und vertragliche Genehmigungsvorbehalte zum Erwerb von Aktien, wie etwa bei vinkulierten Namensaktien, werden im Übernahmefall unwirksam. Höchststimmrechte und andere satzungsmäßige Stimmrechtsbeschränkungen werden wirkungslos, wenn die Hauptversammlung über Verteidigungsmaßnahmen entscheidet. Vor allem aber greift die Durchgriffsregel, wenn der Bieter nach dem Angebot über 75&nbsp;% oder mehr des stimmberechtigten Kapitals verfügt. Genehmigungsvorbehalte, Stimmrechtsbeschränkungen und Sonderrechte zur Ernennung oder Abberufung von Organmitgliedern können dadurch außer Kraft gesetzt werden.


== 5. Entwicklungstendenzen ==
Nach der auf Portugal zurückgehenden Optionsregelung des Art.&nbsp;12 brauchen die Mitgliedstaaten die Regelungen des Art.&nbsp;9 und/‌oder Art.&nbsp;11 nicht zu übernehmen (''opting out''). Sie müssen dann aber den Gesellschaften mit Sitz in ihrem Staatsgebiet die widerrufliche Möglichkeit einräumen, sich durch satzungsändernden Hauptversammlungsbeschluss für Art.&nbsp;9 und/‌ oder Art.&nbsp;11 zu entscheiden (''opting in''). Für den Fall, dass eine Gesellschaft das tut, kann der Mitgliedstaat bestimmen, dass diese Gesellschaft daran dann nicht gebunden ist, wenn sie Ziel eines Übernahmenangebots seitens einer Gesellschaft ist, die ihrerseits nicht an die betreffende Regelung gebunden ist (sog. Reziprozitätsregelung).
Nach der Umsetzung des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen ist die europarechtliche Harmonisierung der Kapitalmarktpublizität zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. Die aktuellen Aktivitäten beschränken sich auf die Feinabstimmung im Rahmen des Ausschusses der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR). Großer Harmonisierungsbedarf besteht dagegen im Bereich der Haftung für fehlerhafte Publizitätsakte. Dieses Thema steht allerdings ebenfalls nicht auf der Tagesordnung der Kommission. Sollte es zu einem europaweiten Finanzskandal kommen, könnte sich dies schnell ändern.
 
Deutschland hat sich bekanntlich für ein ''opting out'' entschieden. Das WpÜG sieht zwar als Grundsatz die Vereitelungsregelung vor, lässt aber entgegen Art.&nbsp;9 zu, dass der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats, ohne ein Votum der Hauptversammlung einzuholen, Verteidigungsmaßnahmen vorsieht. Auch die Durchgriffsregelung gilt nur optional. Wenn eine Gesellschaft hineinoptiert, gilt die Reziprozitätsregelung. Angaben über die Umsetzung in anderen EU-Ländern gibt ein ''Commission Staff Working Document'' vom 21.2.2007. Die Kommission ist mit der Umsetzung nicht zufrieden und will daraus Schlüsse für ihren nach Art.&nbsp;20 für 2011 anstehenden Erfahrungsbericht und eine erforderlichenfalls vorzuschlagende Änderung der Übernahme-RL ziehen.


==Literatur==
==Literatur==
''Klaus J. Hopt'', Europäisches Kapitalmarktrecht, in: Stefan Grundmann (Hg.), Systembildung und Systemlücken in Kernbereichen des Europäischen Privatrechts, 2000, 307&nbsp;ff.;'' Hanno Merkt'', Unternehmenspublizität, 2001;'' Klaus J. Hopt'', ''Hans-Christoph Voigt ''(Hg.), Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, 2005; ''Michael Brellochs'', Publizität und Haftung von Aktiengesellschaften im System des Europäischen Kapitalmarktrechts, 2005; ''Paul Davies''<nowiki>, Davies Review of Issuer Liability: Final Report, <www.hm-treasury.gov.uk> (zuletzt abgerufen am 15.7.2009), 2007, </nowiki>''Dagmar Pütz'', Sanktionen wegen Verletzung der sekundärmarktbezogenen Kapitalmarktpublizität in Frankreich und England, Recht der Internationalen Wirtschaft 2007, 514&nbsp;ff.; ''Paul L. Davies'', Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8.&nbsp;Aufl. 2008, Kap.&nbsp;26; ''Alexander Hellgardt'', Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008.
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Version vom 8. September 2021, 12:09 Uhr

von Klaus J. Hopt

1. Begriff, Funktion und Rechtsquellen

Kapitalmarktrecht regelt den Kapitalmarkt. Scheinbar selbstverständlich, ist doch beides begrifflich umstritten. Für rechtliche Zwecke mag man Kapitalmarkt als den Teil der Finanzmärkte umschreiben, auf dem Beteiligungstitel an Unternehmen oder andere fungible Wertpapiere (samt Wertrechten und Derivaten) wie Schuldverschreibungen und Investmentanteile gehandelt werden. Prototyp eines Kapitalmarkts ist die Börse, ein angesichts der neueren technischen Entwicklungen zu börsenähnlichen Handelsplattformen (MTF, multilateral trading facilities) ebenfalls nicht mehr unumstrittener Begriff. Prototyp des Kapitalmarktrechts ist das Börsenrecht (Börsen). Nach einem weiten Begriff des Kapitalmarktrechts gehören dazu z.B. Gesellschaftsrecht, Bankrecht, Steuerrecht u.a. Praktikabler ist ein engerer Begriff. Zum Kapitalmarktrecht gehören danach die Verfassung des Kapitalmarkts, also einschließlich Börsenrecht, ebenso wie die Vorschriften über die Transaktionen auf dem Primärmarkt (zwischen Emittenten, Banken und Anlegern) und dem Sekundärmarkt (zwischen den Anlegern und den verschiedenen Arten von Finanzintermediären). Kapitalmarktrecht ist danach anders als Gesellschaftsrecht ein typisches Querschnittsrecht, das sowohl öffentliches wie privates Recht umfasst und verschiedentlich auch strafbewehrt ist.

Das moderne Kapitalmarktrecht hat seine Wurzeln in der US-amerikanischen securities regulation, die dort durch ihre Geschichte, ihre Verfassung in den großen Gesetzen der 1930er Jahre – namentlich Securities Act 1933, Securities Exchange Act 1934 und Investment Company Act und Investment Advisers Act von 1940 – und durch das Aktionsfeld der Securities and Exchange Commission (SEC) ohne Sorge um den Begriff konstituiert ist und einen Siegeszug um die Welt bis hin nach Japan angetreten hat. In Europa folgten als erstes Land Belgien 1935, später Frankreich mit der Commission des Opérations de Bourse (COB) 1967, Deutschland hingegen erst unter dem Druck europäischer Richtlinien (WpHG 1994 mit einer Kapitalmarktaufsichtsbehörde, heute BaFin, und WpÜG 2001) und zuletzt in den 1990er Jahren die Länder Mittel- und Osteuropas.

Das Kapitalmarktrecht hat die Funktion, Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Kapitalmarkt zu schaffen. Dabei geht es um die Allokationseffizienz des Kapitalmarkts, die nur bei hinreichender Informationsversorgung erreicht werden kann, um die operationale Effizienz, damit die Transaktionen möglichst rasch und kostengünstig durchgeführt werden können, und um die institutionelle Effizienz, die vor allem am Vertrauen der Marktteilnehmer hängt. Letzteres bedingt einen hinreichenden Kapitalanlegerschutz. Besondere Herausforderungen für das Kapitalmarktrecht ergeben sich aus der Informationsasymmetrie zwischen den Marktgegenseiten und den Interessenkonflikten der Banken und anderen Finanzintermediären. Rechtlich unterschieden werden innerhalb des Kapitalmarkts Regeln für den Primärmarkt und solche für den Sekundärmarkt. Aber zwischen beiden gibt es Übergänge, etwa Privatplazierungen, und Funktionszusammenhänge, namentlich die gemeinsame Vertrauensgrundlage.

Zentraler Regelungsmechanismus des Kapitalmarktrechts ist die kapitalmarktrechtliche Publizität, die neben die herkömmliche kapitalgesellschaftsrechtliche Rechnungslegungspublizität etwa als Prospektpublizität, Beteiligungsoffenlegungspublizität ab bestimmten Schwellen und ad hoc-Publizität bei kursrelevanten Ereignissen tritt. Die Verfassung von Märkten regeln für die Börsen das Börsenrecht und für den Markt für Unternehmenskontrolle das Übernahmerecht. Breiten Raum nehmen die Regeln für Anlagevehikel, etwa das Investmentrecht, und besondere Vorschriften für Finanzintermediäre wie Börsenmakler, Banken, Analysten, Rating-Agenturen u.a. ein. Vieles davon ist heute durch europäische Vorgaben geprägt.

2. Europäische Rechtsangleichung

Die europäische Rechtsangleichung hat schon Ende der 1970er Jahre eingesetzt und sich zunächst auf die Rechtsangleichung des Börsenrechts (Börsen) konzentriert. Dazu ergingen in rascher Folge die Börsenzulassungs-RL vom 5.3.1979 (RL 79/‌279), die Börsenzulassungsprospekt-RL vom 17.3.1980 (RL 80/‌390), die Zwischenberichts-RL vom 15.2.1982 (RL 82/‌121) und die Transparenz-RL vom 12.12.1988 (RL 88/‌627). Die Börsennotierungs-RL vom 28.5.2001 (RL 2001/‌34) hat diese vier Richtlinien konsolidiert und zusammengefasst. Sie wurde durch die Transparenz-RL vom 15.12.2004 (RL 2004/‌109) geändert und ergänzt. Zahlreiche weitere europäische Richtlinien haben mittlerweile dazu geführt, dass das europäische Kapitalmarktrecht heute zu den am weitesten entwickelten europäischen Rechtsgebieten gehört und viel weitergehend angeglichen ist als etwa das Gesellschaftsrecht. Eine Zusammenstellung des europäischen Gesellschafts- und Finanzrechts von 2007 zählt bis Herbst 2006 nicht weniger als 34 Einträge. Diese können hier nicht näher dargestellt werden. Stattdessen werden drei besonders wichtige Richtlinien kurz vorgestellt, die Marktmissbrauchs-RL von 2003 (RL 2003/‌6), die das Insider- und Marktmanipulationsverbot enthält, die Finanzmarkt-RL (MiFID, RL 2004/‌39) und die Übernahme-RL (RL 2004/‌25), beide von 2004.

3. Insider- und Marktmanipula­tionsrecht

Insidergeschäfte sind Erwerb und Veräußerung von Kapitalmarktpapieren im weitesten Sinne, die ein Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied oder eine ähnliche Person mit privilegiertem Zugang zu Informationen über das Unternehmen und seine Papiere unter Ausnutzung seines Informationsvorsprungs abschließt. Die Vorabausnutzung eines solchen Informationsvorsprungs vor dem Börsen- und Anlegerpublikum gilt heute international in nahezu allen modernen Rechtsordnungen als ungerechtfertigt. Auch abgesehen von der Übervorteilung der Anleger schaden sie Börse und Kapitalmarkt, weil sie die Kauf- und Verkaufsangebotsspannen vergrößern und Vertrauen kosten. Das gilt erst recht für die Marktmanipulation.

Die RL 2003/‌6 vom 28.1.2003 über Insidergeschäfte und Marktmanipulationen (Marktmissbrauch) ist an die Stelle der Insider-RL von 1989 (RL 89/‌592) getreten und hat das Recht der Insidergeschäfte und, neu, das der Marktmanipulation vereinheitlicht. Personen, die über eine Insiderinformation verfügen, dürfen nicht unter Nutzung derselben für eigene oder fremde Rechnung Finanzinstrumente, auf die sich die Information bezieht, erwerben oder veräußern. Das gilt insbesondere für Vorstand und Aufsichtsratsmitglieder des Emittenten, aber unter bestimmten Voraussetzungen auch für Aktionäre und Arbeitnehmer desselben. Diese Personen dürfen Insiderinformationen auch nicht an Dritte weitergeben, soweit dies nicht im normalen Rahmen der Ausnutzung ihrer Arbeit geschieht. Außer den genannten Primärinsidern werden von diesen Verboten auch Sekundärinsider erfasst, also solche, die wissen oder wissen müssen, dass sie eine Insiderinformation haben.

Was Marktmissbrauch ist, ist ökonomisch umstritten und auch in der Richtlinie kompliziert definiert und geregelt. Vereinfacht gesprochen handelt es sich um Irreführung des Marktes durch Transaktionen, die falsche oder irreführende Signale aussenden oder den Kurs derart beeinflussen, dass ein anormales oder künstliches Kursniveau erzielt wird (außer es handelt sich um eine zulässige Marktpraxis), um Transaktionen unter Täuschung und um Verbreitung falscher oder irreführender Informationen.

Diese Regeln bedurften der Konkretisierung. Die Kommission hat das in mehreren Durchführungsregelungen unternommen. Sie hat Ausnahmeregelungen für Rückkaufprogramme und Kursstabilisierungsmaßnahmen erlassen und genauer definiert, was Insiderinformation und Marktmanipulation ist und was dazu veröffentlicht werden muss. Nähere Regeln behandeln die sachgerechte Darbietung von Anlageempfehlungen und die Offenlegung von Interessenkonflikten. Schließlich werden die zulässigen Marktpraktiken erläutert und die Führung von Insiderverzeichnissen vorgeschrieben.

4. Recht der Märkte für Finanz­instrumente

Die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (RL 2004/‌39; Markets in Financial Instruments Directive, MiFID) vom 21.4.2004 ist das Grundgesetz des europäischen Finanzmarktrechts. Sie hat die völlig veraltete Wertpapierdienstleistungs-RL (Investment Services Directive, ISD) vom 10.5.1993 (RL 93/‌22) ersetzt und wesentlich umgestaltet und erweitert. Die Neuerungen betreffen insbesondere den Anwendungsbereich, Transparenzanforderungen für Handelsplattformen und die rechtlichen Grundlagen zur Ausführung von Wertpapiergeschäften.

Die MiFID regelt zunächst die Zulassung von Wertpapieren und Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit. Dazu gehören Vorschriften für Aktionäre und Mitglieder mit qualifizierten Beteiligungen – diese dürfen nicht ungeeignet sein –, die Mitgliedschaft in einem zugelassenen Anlegerentschädigungssystem, Anfangskapitalisierung und organisatorische Anforderungen. Besonders geregelt sind die multilateralen Handelssysteme (MTF).

Sodann wird die Ausübung der Tätigkeit von Wertpapierfirmen geregelt. Dazu gehören Regeln über Interessenkonflikte, Bestimmungen zum Anlegerschutz wie Wohlverhaltensregeln und die Verpflichtung zur kundengünstigsten Ausführung von Aufträgen (best execution) und Regeln über Markttransparenz und Marktintegrität, für die namentlich Publizität (Vorhandels- und Nachhandels-Transparenzvorschriften) wichtig ist.

Unter den weiteren Vorschriften der Richtlinie sind solche über die Rechte von Wertpapierfirmen im Binnenmarkt und über geregelte Märkte zu nennen. Geregelter Markt ist ein europäischer Grundbegriff des Kapitalmarktrechts, der in der Richtlinie gebietsübergreifend definiert ist. Über alledem steht die Kapitalmarktaufsicht durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, die zusammenarbeiten müssen.

Beim Umgang mit der Finanzmarktrichtlinie ist die durch das Lamfalussy-Rechtsetzungsverfahren in der EU komplizierte Normhierarchie zu beachten. Nach diesem vierstufigen Verfahren stehen nebeneinander (1) die Finanzmarktrichtlinie als vom Europäischen Parlament und Europäischen Rat erlassene Rahmenrichtlinie, (2) Durchführungsverordnungen und ‑richtlinien der Kommission, (3) eine einheitliche Aufsichtspraxis durch das CESR (Committee of European Securities Regulators, Vertreter der Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten) und (4) Überwachung der einheitlichen Umsetzung und Einhaltung der Rechtsvorschriften durch die Europäische Kommission. An Durchführungsvorschriften sind unter anderem eine Durchführungsrichtlinie vom 10.8.2006 und eine Durchführungsverordnung vom 10.8.2006 über Aufzeichnungspflichten für Wertpapierfirmen, Meldung von Geschäften, Markttransparenz, Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel und bestimmte Definitionen zu nennen.

In Deutschland ist die MiFID durch das Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 16.7.2007 (auch FRUG genannt) umgesetzt worden. Dieses Gesetz hat das Börsengesetz völlig neu gefasst und durch einheitliche Regelung der Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel (keine Trennung mehr zwischen amtlichem und geregeltem Markt) von 64 auf 52 Paragraphen verschlankt. Außerdem wurde das Wertpapierhandelsgesetz umfassend geändert. Die Änderungen betreffen vor allem den Anwendungsbereich, Transparenzanforderungen für Handelsplattformen und die rechtlichen Grundlagen zur Ausführung von Wertpapiergeschäften.

5. Übernahmerecht

Ein funktionierender Markt für Unternehmenskontrolle ist für den Binnenmarkt und die (externe) Corporate Governance ganz unverzichtbar. Übernahmen führen tendenziell zur Nutzung von Synergien und zur Kontrolle der Leitung von börsennotierten Unternehmen mit breiter Eigentumsstreuung. Es ist deshalb wichtig, dass – nach jahrzehntelangen Geburtswehen – schließlich doch noch die zwar nicht ideale, aber insgesamt doch akzeptable Übernahmeangebote-RL vom 21.4.2004 (RL 2004/‌25) zustande gekommen ist.

Der Inhalt der Richtlinie betreffend Übernahmeangebote, insbesondere was Verfahren, Transparenz, Pflichtangebot und Preisbildung und den squeeze-out und sell-out angeht, ist hier nicht näher darzustellen (Übernahmerecht). Das deutsche WpÜG hat wesentliche Punkte der Richtlinie vorweggenommen, und die Änderungen gemäß der Richtlinie sind mittlerweile in das WpÜG übernommen worden. Es genügt, zwei Kernpunkte kurz anzusprechen, das Vereitelungsverbot mit dem Durchgriff und die Optionsregelung einschließlich Reziprozität.

Die Richtlinie geht in Art. 9 von einem strikten Vereitelungsverbot für das Leitungsorgan der Zielgesellschaft aus. Verteidigungsmaßnahmen ab dem Zeitpunkt, zu dem das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft die vorgesehene Information über das Angebot erhalten hat, bis zum endgütigen Ergebnis des Angebots sind grundsätzlich Sache der Hauptversammlung, die kurzfristig einberufen werden können muss. Das gilt insbesondere für die Ausgabe von Wertpapieren, durch die der Bieter auf Dauer an der Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft gehindert werden könnte. Ausnahmen sind die Suche nach konkurrierenden Angeboten (weißer Ritter) und vor dem soeben genannten Zeitraum gefasste Entscheidungen, wenn sie bereits teilweise oder vollständig umgesetzt oder innerhalb des normalen Geschäftsverlaufs gefasst wurden.

Ergänzt wird das Vereitelungsverbot durch die Durchgriffsregel des Art. 11. Satzungsmäßige und vertragliche Genehmigungsvorbehalte zum Erwerb von Aktien, wie etwa bei vinkulierten Namensaktien, werden im Übernahmefall unwirksam. Höchststimmrechte und andere satzungsmäßige Stimmrechtsbeschränkungen werden wirkungslos, wenn die Hauptversammlung über Verteidigungsmaßnahmen entscheidet. Vor allem aber greift die Durchgriffsregel, wenn der Bieter nach dem Angebot über 75 % oder mehr des stimmberechtigten Kapitals verfügt. Genehmigungsvorbehalte, Stimmrechtsbeschränkungen und Sonderrechte zur Ernennung oder Abberufung von Organmitgliedern können dadurch außer Kraft gesetzt werden.

Nach der auf Portugal zurückgehenden Optionsregelung des Art. 12 brauchen die Mitgliedstaaten die Regelungen des Art. 9 und/‌oder Art. 11 nicht zu übernehmen (opting out). Sie müssen dann aber den Gesellschaften mit Sitz in ihrem Staatsgebiet die widerrufliche Möglichkeit einräumen, sich durch satzungsändernden Hauptversammlungsbeschluss für Art. 9 und/‌ oder Art. 11 zu entscheiden (opting in). Für den Fall, dass eine Gesellschaft das tut, kann der Mitgliedstaat bestimmen, dass diese Gesellschaft daran dann nicht gebunden ist, wenn sie Ziel eines Übernahmenangebots seitens einer Gesellschaft ist, die ihrerseits nicht an die betreffende Regelung gebunden ist (sog. Reziprozitätsregelung).

Deutschland hat sich bekanntlich für ein opting out entschieden. Das WpÜG sieht zwar als Grundsatz die Vereitelungsregelung vor, lässt aber entgegen Art. 9 zu, dass der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats, ohne ein Votum der Hauptversammlung einzuholen, Verteidigungsmaßnahmen vorsieht. Auch die Durchgriffsregelung gilt nur optional. Wenn eine Gesellschaft hineinoptiert, gilt die Reziprozitätsregelung. Angaben über die Umsetzung in anderen EU-Ländern gibt ein Commission Staff Working Document vom 21.2.2007. Die Kommission ist mit der Umsetzung nicht zufrieden und will daraus Schlüsse für ihren nach Art. 20 für 2011 anstehenden Erfahrungsbericht und eine erforderlichenfalls vorzuschlagende Änderung der Übernahme-RL ziehen.

Literatur

Klaus J. Hopt, Vom Aktien- und Börsenrecht zum Kapitalmarktrecht? Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 140 (1976) 201 ff. und 141 (1977) 389 ff.; Holger Fleischer, Hanno Merkt, Empfiehlt es sich im Interesse des Anlegerschutzes und zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland das Kapitalmarkt- und Börsenrecht neu zu regeln?, Gutachten F und Gutachten G, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hg.), Verhandlungen des vierundsechzigsten Deutschen Juristentages, Bd. I, 2002; Eberhard Schwark (Hg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, 2004; Kerstin Stünkel, EG-Grundfreiheiten und Kapitalmärkte, 2005; Susanne Kalss, Martin Oppitz, Johannes Zollner, Kapitalmarktrecht, Bd. I: System, Bd. II: Europäische und österreichische Rechtsquellen des Kapitalmarktes, 2005; Stefan Grundmann, Florian Möslein, European Company Law, 2007; Klaus J. Hopt, Eddy Wymeersch (Hg.), European Company and Financial Law: Texts and Leading Cases, 4. Aufl. 2007; Klaus J. Hopt, Rüdiger Veil, Jörn Axel Kämmerer (Hg.), Kapitalmarktgesetzgebung im Europäischen Binnenmarkt, 2008; Niamh Moloney, EC Securities Regulation, 2. Aufl. 2008; Wolfgang Groß, Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2009.