Rating-Agenturen
1. Begriff der Rating-Agentur
Rating-Agenturen geben Stellungnahmen zur Kreditwürdigkeit von Emittenten oder Finanzinstrumenten ab. Die Einschätzungen von Rating-Agenturen sind von erheblichem Gewicht für die Kauf- oder Verkaufentscheidungen des Anlegerpublikums. Das Rating gibt die Wahrscheinlichkeit an, zu der ein Emittent aktuell entweder all seinen finanziellen Verpflichtungen oder seinen Verpflichtungen aus einem bestimmten Schuldtitel oder festverzinslichen Wertpapier nachzukommen vermag (Emittenten- bzw. Instrumenten-Rating). Ratings sind nicht auf Unternehmen beschränkt, sondern können sich auch auf öffentlich-rechtliche Körperschaften und Staaten beziehen. Das Rating wird unter Verwendung einer feingliedrigen Bonitätsskala ausgedrückt, die von der höchsten Bonitätsstufe (investment grade) bis zur schlechtesten Einstufung (speculative grade) reicht. Der Risikograd wird häufig durch eine Buchstabenkombination, z.B. „AAA“ für höchste und „D“ für niedrigste Bonität, ausgedrückt. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass das Rating wie die Finanzanalyse als Meinungskundgabe einzuordnen ist. Im Unterschied dazu stellt das Rating aber keine Empfehlung dar und unterliegt deshalb nicht den für die Finanzanalysten geltenden Vorgaben. Vom Regelfall des Ratings im Auftrag des Emittenten (Solicited Rating) ist die auftragslose Abgabe einer Bonitätsbewertung (Unsolicited Rating) zu unterscheiden. Bei letzterer erfolgt kein Zugriff auf interne Informationen des Emittenten. Neben ihrem Kerngeschäft bieten die Agenturen häufig auch Risikobewertungen im Rahmen der Beratung zu Anlageobjekten oder zur Strukturierung von Finanzprodukten an.
2. Einordnung und Funktion des Ratings
Rating-Agenturen zählen zu den Finanzintermediären im weiteren Sinne. Finanzintermediäre im weiteren Sinne erbringen vor allem Informationsdienstleistungen. Damit ermöglichen oder unterstützen sie die Zusammenführung von Kapitalangebot und ‑nachfrage durch Finanzintermediäre im engeren Sinne wie insbesondere die Banken (Europäischer Bankenmarkt). Informationsdienstleistungen von vergleichbarer Bedeutung erbringen neben den bereits angesprochenen Finanzanalysten auch die Abschlussprüfer. Zusammen mit diesen gelten Rating-Agenturen als die wichtigsten Informationsintermediäre des Kapitalmarkts. Übergreifend besteht die Aufgabe sämtlicher Informationsintermediäre darin, fehlende Informationen zu substituieren, vorhandene Informationen zu verifizieren und Informationen im wirtschaftlichen Gesamtkontext zu evaluieren. Die Leistungen der genannten Informationsintermediäre ergänzen sich und bauen teilweise direkt oder indirekt aufeinander auf. Sie folgen aber einer jeweils eigenen Methodik. Der Schwerpunkt des Ratings liegt in der Evaluation, die anders als die ebenfalls schwerpunktmäßig evaluierende Finanzanalyse nicht zukunfts-, sondern wie der Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers gegenwartsbezogen ist.
Das Rating-Urteil stützt sich auf die Analyse quantitativer Daten wie Umsatz, cash flow, Eigenkapitalquote, bezieht aber auch Branchenrisiken und Risiken des nationalen Wirtschaftsraums mit ein. Auch qualitative Kriterien wie insbesondere das Verhalten bei der Rückzahlung von Krediten in der Vergangenheit und die Corporate Governance des Emittenten werden bewertet. Vor allem zur Beurteilung der qualitativen Kriterien nehmen Rating-Agenturen in der Regel Kontakt mit der Unternehmensleitung des Emittenten auf.
Ratings sind heute weltweit ein fester Bestandteil der Vertragsgestaltung innerhalb und außerhalb des Finanzmarkts. Durch sog. Rating-Triggers wird der Eintritt bestimmter Rechtsfolgen vertraglich von Veränderungen der Bonität des Vertragspartners abhängig gemacht. Z.B. bei langfristigen Darlehen wird die Zinshöhe an Veränderungen der Bonitätsbeurteilung des Schuldners ausgerichtet. Rechtstechnisch handelt es sich um eine aufschiebende oder auflösende Bedingung. Von besonderer Bedeutung sind Ratings für Finanzintermediäre im engeren Sinne. So wirken sich die Ratings der Darlehensnehmer auf die Anforderungen an die Eigenkapitalausstattung von Kreditinstituten aus. Die Bonitätsbewertung und die Risikoklassifikation des Kreditinstituts selbst können außerdem für den Beitragssatz maßgeblich sein, den das Kreditinstitut zur Finanzierung der Einlagensicherung zu leisten hat. Die hierzu herangezogenen Risikoklassifikationen werden allerdings z.B. in Deutschland nicht durch allgemeine Rating-Agenturen, sondern durch spezialisierte Prüfungsverbände erbracht. Einige Staaten knüpfen weitere aufsichtsrechtliche Regeln an ein bestimmtes Rating-Ergebnis. Z.B. können sich die Möglichkeiten eines Pensionsfonds, in private Anleihen zu investieren, nach deren Rating bestimmen. Hinzu kommen Regeln von Börsen wie z.B. die von Euronext, nach denen die Platzierung von Finanzinstrumenten von der Vorlage und Veröffentlichung eines Ratings abhängig gemacht werden kann.
Im finanzmarktlichen Kontext ist das Rating regelmäßig rechtstatsächliche Voraussetzung für die Fremdfinanzierung durch Finanzinstrumente wie Inhaberschuldverschreibungen. Das gilt in besonderem Maße für noch nicht fest etablierte Emittenten. Zu weiten Teilen bestimmt das Rating den Zinssatz, der für die Inanspruchnahme einer Fremdfinanzierung anzubieten ist, wirkt sich aber auch auf die Börsenkurse und somit auf die Kosten der Kapitaleinwerbung insgesamt aus.
3. Stand der europäischen Rechtsangleichung
Die europäische Rechtsangleichung blickt bei Rating-Agenturen auf eine noch junge Geschichte zurück. Erst am 23.4.2009 wurde der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über Ratingagenturen vom 12.11.2008 (SEK(2008) 2745 und 2746) durch den Europäischen Rat und das Europäische Parlament verabschiedet (dazu unter 4.). Die vorausgehend diskutierten Kernfragen und die wesentlichen Entwicklungsschritte werden hier nachgezeichnet.
Der nach wie vor geltende Rechtsrahmen besteht zunächst aus den beiden Richtlinien, die die marktlichen Verhaltenspflichten der Finanzintermediäre insgesamt betreffen. Die wichtigste ist die Marktmissbrauchs-RL (RL 2003/6), nach der jede Form der Beeinflussung der Kurse von Finanzinstrumenten, also Insidergeschäfte und Marktmanipulationen, mit Sanktionen belegt wird. Für Rating-Agenturen besonders relevant sind die Regeln zu Interessenkonflikten, zur sachgerechten Darbietung von Anlageempfehlungen und zum Zugang zu Insider-Informationen. Wie die Finanzanalysten haben auch Rating-Agenturen interne Grundsätze und Verfahren zur Gewährleistung einer sachgerechten Informationsvermittlung festzulegen. Darüber hinaus sind alle nennenswerten Interessen oder Interessenkonflikte im Zusammenhang mit einem Finanzinstrument oder Emittenten, das bzw. der Gegenstand eines Ratings ist, offen zu legen. Kommt die Rating-Agentur mit Insiderwissen in Berührung, unterliegt sie einer Geheimhaltungspflicht bis zur Veröffentlichung der Information durch den Emittenten. Auch das Rating selbst kann eine Insider-Information darstellen und darf vor seiner Veröffentlichung nicht für Handelszwecke verwendet werden.
Weiter ist für Rating-Agenturen die gleich einer Verfassung für den Finanzmarkt konzipierte Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID, RL 2004/39) von Bedeutung. In den Anwendungsbereich der MiFID und ihrer Durchführungsvorschriften fallen Rating-Agenturen jedoch nur, wenn sie wie andere Finanzintermediäre Wertpapierdienstleistungen oder Nebendienstleistungen erbringen. Rating-Agenturen können hiernach also einer Genehmigung bedürfen und unterliegen dann auch den engmaschigen Wohlverhaltensregeln und organisatorischen Anforderungen der MiFID. Etwa bei der Erbringung von Anlageberatungsleistungen können (kostspielige) organisatorische Maßnahmen zur Trennung zwischen Wertpapierdienstleistungen und Ratings erforderlich werden.
Von bloß mittelbarer aber gleichwohl kaum zu unterschätzender Bedeutung sind die Richtlinien zur Eigenkapitalausstattung der Kreditinstitute und Wertpapierdienstleister (RL 2006/48 und RL 2006/49). In deren Zusammenhang werden Rating-Agenturen durch die vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht 2004 geschlossene Rahmenvereinbarung „Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und der Eigenkapitalanforderungen“ (Basel II, überarbeitet 2005) regulatorisch in Dienst genommen. Die Risikogewichte und die daraus resultierenden Eigenkapitalanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierdienstleister dürfen hiernach anhand externer Ratings bestimmt werden. Von den zuständigen Aufsichtsbehörden werden aber lediglich die Ratings akkreditierter Agenturen akzeptiert. Das Akkreditierungsverfahren wird durch die Richtlinie selbst geregelt und stellt Anforderungen an die Objektivität, Unabhängigkeit, und Transparenz des Ratings. Zudem haben die Agenturen die veröffentlichten Bonitätsbeurteilungen in regelmäßigen Abständen zu überprüfen.
Kennzeichnend für die Regulierung von Rating-Agenturen war im Übrigen, dass in größerem Maße als bei der Abschlussprüfung oder der Finanzanalyse auf die Selbstregulierung durch Codes of Conduct (Private Rechtsetzung und Codes of Conduct) gesetzt wurde. Wie für Finanzintermediäre allgemein waren insoweit auch für Rating-Agenturen die Berichte und Empfehlungen der Internationalen Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden (International Organization of Securities Commissions, IOSCO) von maßgeblicher Bedeutung. Im Jahre 2003 legte die IOSCO einen Verhaltenskodex für Rating-Agenturen vor, der zuletzt im Mai 2008 überarbeitet wurde. Die dort formulierten Anforderungen gehen (deutlich) über das bis hierher beschriebene europäische Richtlinienrecht hinaus. Empfohlen werden konkrete Verhaltensweisen zur Gewährleistung und Überwachung der Qualität und Ordnungsmäßigkeit des Rating-Verfahrens. Vor allem aber werden detaillierte Empfehlungen zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Rating-Agentur und ihrer Mitarbeiter und zur Vermeidung von Interessenkonflikten aufgestellt.
In Reaktion auf Erfahrungen im Rahmen der 2007 ausgelösten Finanzmarktkrise fasste die IOSCO im Jahr 2008 das Verbot von Leistungskombinationen klarer. Abgesehen werden soll hiernach von der Beratung zur Strukturierung von Finanzprodukten, sofern die Agentur ein Rating zu eben diesen Produkten anbietet. Weiterhin werden Empfehlungen zum verantwortungsvollen Umgang mit den Interessen des Anlegerpublikums und der Emittenten ausgesprochen. Hierzu zählen die transparente und zügige Veröffentlichung der Bonitätsbeurteilung und auch Geheimhaltungspflichten. Zuletzt wird die Veröffentlichung einer Erklärung dazu verlangt, ob und wie die Rating-Agentur die Kodex-Empfehlungen umsetzt.
Der Kodex baut auf eine freiwillige Befolgung und wurde, soweit ersichtlich, in keinem der europäischen Mitgliedstaaten vollständig in nationales Recht umgesetzt. Mehrere Rating-Agenturen sind der Empfehlung der IOSCO gefolgt und haben jeweils einen eigenen Verhaltenskodex aufgestellt. Die drei größten Rating-Agenturen verpflichteten sich außerdem um den Jahreswechsel 2005/06 dazu, dem von der Europäischen Kommission eingesetzten Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (Committee of European Securities Regulators, CESR) jährlich in Briefform über ihre Maßnahmen zur Umsetzung der IOSCO-Empfehlungen zu berichten. Dem von CESR veröffentlichten Jahresbericht 2008 ist zu entnehmen, dass der Befolgungsgrad als grundsätzlich hoch einzuschätzen ist.
4. Regelungsfragen und ‑strukturen
In der Debatte um die 2009 im Verordnungswege verabschiedete Regulierung von Rating-Agenturen stellten sich vergleichbare Grundsatzfragen zu Reichweite und Grenzen der Marktkräfte wie bei Finanzanalysten. Auslöser für die international intensiv geführte Debatte war auch bei den Rating-Agenturen nicht erst die seit 2007 fortdauernde Finanzmarktkrise, sondern bereits zuvor der plötzliche Zusammenbruch von Enron im Jahr 2001. Enron, dem seinerzeit zweitgrößten Energieversorger der USA, war noch wenige Wochen vor der Insolvenzanmeldung von führenden Rating-Agenturen eine hohe Bonität (investment grade) bescheinigt worden. Der vergleichbar unerwartete Zusammenbruch des italienischen Herstellers von Milchprodukten Parmalat im Jahre 2003 belegte sodann, dass bei Enron nicht allein Schwächen des US-amerikanischen Systems der Rating-Regulierung zu Tage getreten waren.
Gleichwohl sollte dem ersten CESR-Bericht von 2005 zufolge ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Rechtsvorschriften und Selbstregulierung bereits gefunden sein. Zunächst folgte die Europäische Kommission dieser Sichtweise in ihrer 2006 veröffentlichten Mitteilung (2006/ C 59/02). Erneute Zweifel kamen jedoch im Zusammenhang mit der 2007 ausgelösten Finanzkrise auf. Ursache der Finanzkrise sind nach derzeitigem Kenntnisstand Überbewertungen im US-amerikanischen Hypothekenmarkt. Diese flossen in strukturierte Finanzprodukte ein, die einen hohen Komplexitätsgrad aufwiesen, infolge dessen die Risiken auch von professionellen Marktteilnehmern wie den Banken nicht mehr beherrschbar waren. Frühwarnungen durch Rating-Agenturen unterblieben auch hier.
Noch nach dem Mitte 2008 vorgelegten Bericht der Expertengruppe Europäische Wertpapiermärkte (European Securities Markets Expert Group, ESME) sollten Maßnahmen ausreichen, die in der allgemeinen Debatte um die Corporate Governance seit langem bekannt sind. Dazu gehören die Trennung von Leitungs- und Überwachungsaufgaben in einem einstufig organisierten Verwaltungsrat. Hierzu soll der Verwaltungsratsvorsitz (chairman of the board) und der Geschäftsführungsvorsitz (chief executive officer, CEO) zwischen verschiedenen Personen aufgeteilt werden. Auch soll die Rolle der nicht geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder (non-executive directors) gestärkt werden, um die Leistungsfähigkeit der Überwachung zu steigern.
Die weiteren ESME-Vorschläge zur Vermeidung von Interessenkonflikten entsprechen den aus dem Recht der Abschlussprüfer bekannten Ansätzen. Auf die Gefahr der Abhängigkeit von einzelnen Auftraggebern soll mit einer Pflicht zur Offenlegung reagiert werden, wenn die Einnahmen aus dem Rating eines einzelnen Emittenten 10 % der Gesamteinnahmen aus allen Ratings überschreiten. Dieser Standard blieb noch hinter dem für Abschlussprüfer geltenden zurück, denn im Recht der Abschlussprüfung bestehen nicht nur Offenlegungs-, sondern Inhabilitätsregeln für als zu groß befundene finanzielle Abhängigkeiten. Referenzgrößen sind dort außerdem nicht allein die Einnahmen aus der Abschlussprüfung, sondern auch die Summe der Einnahmen aus Abschlussprüfung und sonstigen Leistungen. Diese und weitere Verbesserungsvorschläge wurden zunächst im Wege von Konkretisierungen der IOSCO-Empfehlungen umgesetzt, also weiterhin auf freiwilliger Grundlage.
Am 23.4.2009 wurde der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über Ratingagenturen vom 12.11.2008 (SEK(2008) 2745/2746) von Europäischen Parlament und Rat angenommen. Damit werden die IOSCO-Empfehlungen in eine unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbare Regulierung übersetzt. Hervorzuheben ist das verpflichtende Verbot einer Leistungskombination von Rating und Beratung. Erhöhte Qualifikationsanforderungen werden durch eine Pflicht zur Einrichtung einer internen Qualitätsüberwachung abgesichert. Die Publizität wird verstärkt durch einen Transparenzbericht sowie die Offenlegung von Modellen, Methoden und grundlegenden Annahmen, auf die sich die Ratings stützen. Weiter sind Ratings komplexer Produkte zu kennzeichnen. Eine Verbesserung der Corporate Governance von Rating-Agenturen soll durch die Bestellung von zwei unabhängigen Mitgliedern in den Aufsichts- oder Verwaltungsrat bewirkt werden, denen eine Amtszeit von höchstens fünf Jahren zu gewähren ist und die bei beruflichem Fehlverhalten entlassen werden können. Bei zumindest einem Mitglied muss es sich um einen Experten für Verbriefungen und strukturierte Finanzinstrumente handeln. Die Vergütung der unabhängigen Mitglieder muss vom Unternehmensergebnis der Ratingagentur entkoppelt sein.
Die jetzt verpflichtenden Regeln waren zu weiten Teilen bereits zuvor auf freiwilliger Basis anerkannt, müssen sich aber fortan auch als zwingendes Recht praktisch bewähren. Mit der neuen Verordnung ist eine geradezu offensichtliche Lücke im europäischen Recht der Informationsintermediäre geschlossen worden, indem die auf Rating-Agenturen anwendbaren Regeln deutlich an die für andere Finanzintermediäre im weiteren Sinne, also Abschlussprüfer und Finanzanalysten geltenden Standards angenähert wurden.
5. Vereinheitlichungsprojekte und Perspektiven
Der Blick auf künftige Vereinheitlichungsprojekte und Perspektiven war gerade bei Rating-Agenturen lange Zeit ein Blick in eine ungewisse Zukunft. Noch nach der Mitteilung der Europäischen Kommission von 2006 sollte auf einschneidende Legislativmaßnahmen verzichtet werden können. Spätestens mit dem Ende 2008 veröffentlichten Kommissionsvorschlag zu einer Verordnung über Rating-Agenturen wurde aber klar, dass weite Teile der bis zuletzt allein von den IOSCO-Empfehlungen erfassten Regelungsbereiche in verpflichtendes Recht überführt werden würden.
Für die Fortentwicklung der regulatorischen Indienstnahme der Rating-Agenturen in Europa wird weiterhin die Arbeit des Ausschusses der Europäischen Bankaufsichtsbehörden (Committee of European Banking Supervisors, CEBS) von Bedeutung sein. Maßgeblich von dessen Arbeiten hängt der Fortschritt bei der Konvergenz der Verfahren zur Anerkennung von Rating-Agenturen im Bereich der Eigenkapitalbewertung von Kreditinstituten und Wertpapierhandelsunternehmen ab.
Übergreifendes Petitum der europäischen Integration sollte es sein, innerhalb der gewachsenen Informationsmärkte unnötige Markteintrittsbarrieren für neue Wettbewerber im Rating-Markt zu vermeiden. Denn ein grundsätzliches und in seinen Auswirkungen bislang weder europäisch noch international abschließend geklärtes Problem ergibt sich aus der Konzentration des Markts für Ratings großer börsennotierter Unternehmen. Das weltweite Oligopol besteht aus zwei großen und einer kleineren Rating-Agentur: Moody’s, Standard & Poor‘s, Fitch, allesamt US-amerikanischer Prägung. Der Markt der Rating-Agenturen ist damit sogar noch stärker konzentriert als derjenige der Abschlussprüfer – mit allen dort näher beschriebenen Gefahren oligopolistischer Marktstrukturen.
Die Ursachen für die Marktkonzentration werden bei den Rating-Agenturen zum Teil in den erstmals im Jahre 1975 eingeführten US-amerikanischen Akkreditierungserfordernissen gesucht. Die Registrierung ist zu erteilen bei Nachweis einer gewissen Akzeptanz der Bonitätsbeurteilungen im Markt. Mit dem Credit Rating Reform Agency Act von 2006 wurde das Problem möglicher Markteintrittsbarrieren für neue Anbieter erkannt und ein formelles Zulassungsverfahren eingeführt, das jedoch weiter auf Marktpräsenz und ‑akzeptanz setzt.
Der Rating-Markt wird nach wie vor durch US-amerikanische Anbieter dominiert. Wie für die europäische Integration im Recht der Finanzintermediäre insgesamt ist deshalb der transatlantische Dialog, insbesondere mit der US-amerikanischen Börsenaufsicht (Securities and Exchange Commission, SEC), europäisch wie international über die IOSCO fortzuführen und weiter zu intensivieren.
Zu den künftigen Herausforderungen zählt die Grundsatzfrage, ob und in inwieweit Rating-Agenturen in ein übergreifendes Konzept der Marktzugangskontrolle durch Informationsintermediäre (gatekeeping) eingebunden werden können und sollten. Hierbei handelt es sich um eine grundlegende Regulierungsfrage die über Rating-Agenturen hinaus sämtliche Finanzintermediäre, also auch Abschlussprüfer und Finanzanalysten betrifft.
Literatur
Holger Fleischer, Empfiehlt es sich im Interesse des Anlegerschutzes und zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland das Kapitalmarkt und Börsenrecht neu zu regeln, Gutachten F zum 64. Deutschen Juristentag, 2002; Mathias Habersack, Rechtsfragen des Emittenten-Ratings, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 169 (2005) 185 ff.; Gérard Hertig, Using Basel II to Facilitate Access to Finance, in: Klaus J. Hopt, Eddy Wymeersch, Hideki Kanda, Harald Baum, (Hg.), Corporate Governance in Context, 2005, 511 ff.; Arthur R. Pinto, Control and Responsibility of Rating Agencies in the United States, American Law Journal, Supplement, 54 (2006) 341 ff.; John C. Coffee, Gatekeepers, 2006; Hans E. Büschgen, Oliver Everling, (Hg.), Handbuch Rating, 2. Aufl. 2007; The Committee of European Securities Regulators, CESR’s Second Report to the European Commission on the Compliance of Credit Rating Agencies with the IOSCO Code and the Role of Credit Rating Agencies in Structured Finance, Ref: CESR/08-277, Mai 2008; European Securities Markets Expert Group, ESME’s Report to the European Commission: Role of Credit Rating Agencies, 2008; Jan von Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts, 2008; Patrick C. Leyens, Unabhängigkeit der Informationsintermediäre zwischen Vertrag und Markt, in: Perspektiven des Wirtschaftsrechts: Beiträge für Klaus J. Hopt, 2008, 423 ff.