Familienwohnung

Aus HWB-EuP 2009
Version vom 28. September 2021, 15:49 Uhr von Jentz (Diskussion | Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

von Walter Pintens

1. Allgemein

Familienwohnung und Hausrat erfuhren besonderen Schutz im Zuge der Reformen des Rechts der allgemeinen Ehewirkungen und des Ehegüterrechts während der 1960er und 1970er Jahre. Dieser Schutz betrifft sowohl die Familienwohnung, die Eigentum eines oder beider Ehegatten ist, als auch die Mietwohnung.

Der Begriff der Familienwohnung wird nicht in allen Rechtssystemen identisch definiert. In vielen Rechtssystemen wie in Belgien (Art. 215, § 1, Abs. 1 ZGB) und Frankreich (Art. 215 Abs. 3 Code civil) wird nur die Hauptwohnung und nicht die Zweitwohnung geschützt, in einigen Rechtssystemen wie in Dänemark (§ 18 EhewirkungsG), England und Wales (Matrimonial Homes Act 1983) sowie den Niederlanden (Art. 88 ZGB) werden alle Familienwohnungen geschützt.

Es besteht eine starke Tendenz dazu, die Familienwohnung auch in nichtehelichen Lebensgemeinschaftenen und insbesondere bei registrierten Partnerschaften – wie etwa in Belgien (Art. 1477 ZGB) oder England – zu schützen.

2. Schutz der Familienwohnung während der Ehe

Die meisten kontinentalen Rechtssysteme schützen die Familienwohnung, die zum Eigenvermögen eines Ehegatten oder zum Gesamtgut gehört, über das Recht der allgemeinen Ehewirkungen oder über das Ehegüterrecht. Das freie Verfügungsrecht wird beschränkt. Veräußerungen und meistens auch andere Rechtsgeschäfte wie z.B. die Vermietung sind nur mit Zustimmung des anderen Ehegatten möglich. Dies ist geltendes Recht in Belgien (Art. 215 § 1 Abs. 1 ZGB), Dänemark (§ 18 Ehewirkungsgesetz), Frankreich (Art. 215 Abs. 3 Code civil), Litauen (Art. 3.36 ZGB), den Niederlanden (Art. 88 Abs. 1a BW), Norwegen (§ 32 Ehegesetz v. 4.7.1991), Österreich (§ 97 ABGB), Portugal (Art. 1682B ZGB), Schweden (§ 5, §§ 1-2 Ehegesetz) und in der Schweiz (Art. 169 Abs. 1 ZGB). Gleiches gilt für den sich dort befindenden Hausrat, wie z.B. in Belgien (Art. 215 § 1 Abs. 2 ZGB), Dänemark (§ 19 Ehewirkungsgesetz), Deutschland (§ 1369 BGB), den Niederlanden (Art. 88 Abs. 1a BW), Portugal (Art. 1682-1682A ZGB) und Schweden (§ 5 Nr. 3 Ehegesetz) explizit gesetzlich geregelt ist. In Deutschland ist die Familienwohnung nur im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft geschützt, wenn sie mehr als 85 % bis 90 % des Vermögens eines Ehegatten ausmacht. In diesem Fall gilt eine Verfügung über die Familienwohnung als eine Verfügung über das Vermögen im Ganzen, die nur mit Zustimmung des anderen Ehegatten erfolgen kann (§ 1365 BGB).

Mehrere Rechtssysteme schützen auch die gemietete Familienwohnung und weisen das Mietrecht beiden Ehegatten zu, auch wenn der Mietvertrag nur von einem Ehegatten – sogar vor der Eheschließung – abgeschlossen wurde wie z.B. in Belgien (Art. 215 § 2 Abs. 1 ZGB), Frankreich (Art. 1751 Code civil), Griechenland (Art. 612 ZGB), Norwegen (§ 41 Ehegesetz v. 4.7.1991) und in der Schweiz.

3. Schutz der Familienwohnung nach Auflösung der Ehe

Bei Eheauflösung durch Ehescheidung (Scheidung) kennen viele Rechtssysteme die Möglichkeit, die Familienwohnung, die zum Gesamtgut gehört, präferentiell einem Ehegatten in Eigentum zuzuweisen, wie dies etwa in Belgien (Art. 1447 ZGB) und Dänemark (§ 70a TeilungsG) üblich ist, in anderen Systemen ebenfalls, wenn sie den beiden Ehegatten in Miteigentum gehört, wie etwa im französischen Recht (Art. 267 Code civil) In einigen Rechtsordnungen können die Eigentumsverhältnisse nicht geändert werden und es werden nur Nutzungsrechte zugewiesen wie etwa in Deutschland (vgl. bei Trennung § 1361b BGB). Gehört die Wohnung einem Ehegatten, dann weisen die Rechtssysteme meistens keine Eigentumsrechte zu. Häufig werden höchstens auf Zeit beschränkte Mietrechte – wie etwa in Frankreich (Art. 285 Code civil) – zugestanden. Große Ausnahme ist das common law, wo der Richter mit einem property adjustment order die Familienwohnung, die Eigentum eines Ehegatten ist, dem anderen Ehegatten in Eigentum zuweisen kann. Auch das norwegische und österreichische Recht kennen Übernahmemöglichkeiten, wobei das Kindesinteresse eine große Rolle spielt.

Die meisten Rechtssysteme wie das deutsche und französische gestatten die Zuweisung von Mietrechten.

Bei Eheauflösung durch Tod bestehen vergleichbare Regelungen, welche die präferentielle Zuweisung der Familienwohnung die zum Gesamtgut gehört, zulassen und t das Erbrecht des überlebenden Ehegatten oft so gestalten, dass es die Familienwohnung umfasst. Erbt der Überlebende volles Eigentum, kann er dies entweder mit der Familienwohnung ausfüllen – wie in England – oder ihm diese präferentiell zuweisen lassen wie in Frankreich (Art. 1476 Code civil). Erbt er den ganzen Nachlass in Nießbrauch, umfasst dies die Familienwohnung wie etwa in Belgien (Art. 1446 ZGB). Reicht das Erbrecht nicht aus, dann kennen die Systeme oft noch ein Wohnrecht wie etwa in Frankreich (Art. 274 20 Code civil). In Belgien ist der Nießbrauch an der Familienwohnung sogar durch das Noterbrecht des überlebenden Ehegatten geschützt (Art. 915bis § 2 ZGB).

Es besteht eine starke Tendenz dahingehend, dem überlebenden Ehegatten das Mietrecht an der Familienwohnung unter Ausschluss der anderen Erben zuzuweisen wie in Deutschland (§ 563 Abs. 1 BGB).

4. Schutz der Familienwohnung in nichtehelichen Lebens­gemeinschaften

Registrierte Partnerschaften (Nichteheliche Lebensgemeinschaften) kennen meistens den gleichen Schutz der Familienwohnung wie in der Ehe wie etwa in Belgien, England und Wales, Norwegen, Schweden und der Schweiz geregelt ist.

Nichteheliche Lebensgemeinschaften, welche nicht die Form einer registrierten Partnerschaft angenommen haben, kennen nicht den gleichen Schutz. In vielen Rechtssystemen bestehen aber Minimalregelungen, die z.B. eine Übernahme der Familienwohnung (Norwegen) oder eine Fortsetzung des Mietvertrags bei Auflösung des Zusammenlebens ermöglichen (Frankreich, Norwegen). Ein weitgehend mit der Ehe vergleichbarer Schutz ist in Schweden zu finden.

Ähnlich wie der Ehegatte genießt auch der überlebende registrierte Partner eine exklusive Zuweisung des Mietrechts an der gemeinsamen Wohnung unter Ausschluss der übrigen Erben wie in Deutschland (§ 563 Abs. 1 BGB).

5. Familienwohnung und Partnergewalt

In den letzten Jahren haben die meisten Rechtssysteme Regeln aufgenommen, welche zulassen den Ehegatten, der sich an Partnergewalt schuldig macht, durch Urteil oder behördliche Anweisung aus der Familienwohnung zu verweisen wie z.B. in Belgien (Art. 223 Abs. 3 ZGB), England und Wales (Art. 33 Family Law Act 1996), Frankreich (Art. 220-1 Abs. 3 Code civil), Deutschland (§ 1361b Abs. 2 BGB) und Österreich (§ 38a Sicherheitspolizeigesetz). Weiterhin geregelt ist den an Partnergewalt schuldigen Ehegatten bei einer Ehescheidung die präferentielle Zuweisung der Familienwohnung zu verweigern wie etwa in Belgien (Art. 1447 Abs. 2 ZGB).

6. Familienwohnung und Menschenrechte

Die Empfehlung Nr. R(81)15 des Ministerkomitees des Europarates vom 16.10.1981 hat die Mitgliedstaaten aufgerufen, Gesetzgebung zu verabschieden, welche Verfügungen über Familienwohnung und Hausrat ohne Zustimmung des anderen Ehegatten verhindert.

Auf Grund von Art. 8 EMRK kann nicht verhindert werden, dass eine Person mit ihrem Partner in einer Mietwohnung zusammenlebt. Gegenteilige Bestimmungen im Mietvertrag verstoßen gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Gesetzgebung, welche die Fortsetzung des Mietvertrags durch den überlebenden Partner ermöglicht, darf im Lichte der Art. 8 und 14 EMRK den gleichgeschlechtlichen Partner (Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften) nicht ausschließen (EGMR Nr. 40016/98 − Karner).

Die Weigerung, die Bestimmungen über die Zuweisung einer Familienwohnung nach Ehescheidung analog auf das nichteheliche Zusammenleben anzuwenden, hat der EGMR im Hinblick auf die margin of appreciation der Mitgliedstaaten akzeptiert (EGMR Nr. 37784/97 − Saucedo Gómez) (Grund- und Menschenrechte: GRCh und EMRK).

Literatur

Dieter Henrich, Dieter Schwab (Hg.), Der Schutz der Familienwohnung in europäischen Rechtsordnungen, 1995; Maria Giovanna Cubeddu, La casa familiare, 2005; Rembert Süß, Gerhard Ring (Hg.), Eherecht in Europa, 2006; Isabell Götz, Gerd Brudermüller, Die gemeinsame Wohnung, 2008; Rembert Süß, Erbrecht in Europa, 2. Aufl. 2008.

Abgerufen von Familienwohnung – HWB-EuP 2009 am 21. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

Die hier veröffentlichten Artikel unterliegen exklusiven Nutzungsrechten der Rechteinhaber des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht und des Verlages Mohr Siebeck; sie dürfen nur für nichtkommerzielle Zwecke genutzt werden. Nutzer dürfen auf die öffentlich frei zugänglich gemachten Artikel zugreifen, diese herunterladen, Ausdrucke anfertigen und Kopien der Dateien anfertigen. Weiterhin dürfen Nutzer die Artikel auszugsweise übersetzen und im Rahmen von wissenschaftlicher Arbeit zitieren, sofern folgende Anforderungen erfüllt werden:

  • Nutzung zu nichtkommerziellen Zwecken
  • Erhalt der Text-Integrität des Artikels und seiner Bestandteile
  • Zitieren der Fundstelle gemäß wissenschaftlichen Standards unter Angabe von Autoren, Stichworttitel, Werkname, Jahr der Veröffentlichung (siehe Zitiervorschlag).