Außenkompetenzen der EG: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 31. August 2021, 18:07 Uhr

von Jan Asmus Bischoff

1. Einführung

Durch die fortschreitende Vereinheitlichung des Privatrechts auf der gemeinschaftlichen Ebene wird zunehmend auch eine Beteiligung der EG an privatrechtsvereinheitlichenden Übereinkommen von Bedeutung. Die Europäische Gemeinschaft ist eine internationale Organisation mit Völkerrechtssubjektivität (Art. 281 EG). Als solche kann sie auf der internationalen Ebene gelöst von ihren Mitgliedstaaten in rechtliche Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten eintreten. Da die EG nach dem Willen ihrer Mitgliedstaaten Vertragsschlussfähigkeit besitzt, kann sie im Rahmen ihrer Kompetenzen (2. und 3.) insbesondere vertragliche Rechte erwerben und Verpflichtungen eingehen. Dies umfasst zum einen (privatrechtsvereinheitlichende) völkerrechtliche Verträge, zum anderen die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen. Mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon hört die EG als Rechtsperson auf zu existieren und die EU, die dann nach Art. 47 EU (2007) ausdrücklich Rechtspersönlichkeit besitzt, folgt in ihre Rechtsposition nach.

2. Begrifflichkeiten der Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der EG

Als Ausfluss des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung besitzt die EG nur dort die Verbandskompetenz zum Setzen von Rechtsakten, wo ihr diese von den Mitgliedstaaten übertragen wurde (vgl. Art. 5 S. 1 EG/ersetzt durch Art. 5(2) EU (2007), Art. 5 EU(1992)/im Wesentlichen ersetzt durch Art. 13(2)1 EU (2007)). Dies erfasst auch die Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge. Ausdrücklich sind der EG in den Art. 111, 133, 170(2), 174(4), 181, 302-304, 308 und 310 EG/219, 207, 186(2), 191(4), 211, 220, 352, 217 AEUV solche Kompetenzen zugewiesen worden. Daneben hat der EuGH (Europäischer Gerichtshof) in der sog. AETR-Rechtsprechung (EuGH Rs. 22/70 – AETR, Slg. 1971, 263) aus den Bestimmungen des EG-Vertrags ungeschriebene, sog. implizite Außenkompetenzen (implied powers) entwickelt, die für den Bereich der Privatrechtsvereinheitlichung fast ausschließlich maßgeblich sind (vgl. aber Art. 133(5) EG/207(4)(II) AEUV bezüglich der handelsbezogenen Aspekte des geistigen Eigentums).

Nach herrschendem Verständnis unterscheidet man zur Erfassung der Kompetenzverteilung für Verträge zwischen ausschließlichen, parallelen, konkurrierenden sowie gemischten/geteilten Kompetenzen. Die Terminologie wird jedoch mitunter uneinheitlich gebraucht. Ausschließliche Außenkompetenzen werden der Gemeinschaft nach der Rechtsprechung des EuGH durch besondere Kompetenztitel etwa im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik, der Fischereipolitik sowie für den Abschluss von Assoziierungsabkommen verliehen. Im Bereich des Privatrechts von größerer Bedeutung sind allerdings die teilweise klarstellend sekundär genannten ausschließlichen Außenkompetenzen. Hierbei handelt es sich um implizite konkurrierende Außenkompetenzen, die in Ausschließlichkeit erstarken, sobald und soweit die EG von einer Rechtssetzungskompetenz nach innen Gebrauch gemacht hat. Über diesen Grundsatz hinaus sind viele Einzelfragen der impliziten konkurrierenden Außenkompetenzen ungeklärt; auf die Details wird im Folgenden einzugehen sein (siehe 3.). Hingegen verbleibt im Falle der parallelen Kompetenzen, die in dem hier interessierenden Bereich einzig in Art. 133(5)(IV) EG/keine Entsprechung im AEUV vorkommen, im Rahmen der Pflicht zur Gemeinschaftstreue den Mitgliedstaaten das Recht zum Tätigwerden neben der Gemeinschaft, auch wenn diese Rechtsakte setzt oder Verträge schließt.

Große praktische Bedeutung haben die sog. gemischten bzw. geteilten Kompetenzen. Fällt die von einem Abkommen abgedeckte Sachmaterie nur zum Teil in die Zuständigkeit der Gemeinschaft, so spricht man von einer gemischten oder auch geteilten Kompetenz der Gemeinschaft. Treten einem Abkommen in gemischter Kompetenz die Gemeinschaft sowie nur ein Teil der Mitgliedstaaten bei, spricht man von einem unvollständig gemischten Abkommen. Die Begriffe der gemischten und der geteilten Kompetenz werden von der Lehre gleichbedeutend verwendet. Soweit es hingegen den EuGH betrifft, ist unklar, ob dieser unter dem Begriff der geteilten Kompetenzen nicht auch die konkurrierenden Kompetenzen versteht. Ebenso verwendet der EU-Vertrag (2007) wie auch der AEUV den Begriff der geteilten Kompetenzen im letzteren Sinne (vgl. Art. 11(2) des Entwurfs eines Vertrages über eine Verfassung für Europa (EVerfV) sowie Art. 2(2) AEUV).

Eine Ausnahme von der dargestellten Kompetenzverteilung findet sich in Art. 307 EG/351 AEUV, wonach insbesondere die Rechte dritter Staaten aus Übereinkünften, die vor dem Inkrafttreten des EWG-Vertrages bzw. dem Beitritt zur EG geschlossen wurden, durch den EG-Vertrag nicht berührt werden. In der Literatur wird darüber hinaus die analoge Anwendung dieser Bestimmung auf später geschlossene Verträge befürwortet, soweit die EG noch keine ausschließliche Außenkompetenz erworben hat. Die Mitgliedstaaten sind jedoch gemäß Art. 307 S. 2 EG/351 S. 2 AEUV dazu verpflichtet, diese Unvereinbarkeiten zu beheben.

Keine echte Ausnahme von der Kompetenzverteilung stellt der Vertragsschluss durch die Mitgliedstaaten im Interesse der Gemeinschaft dar. Dieses Mittel ist eine Antwort auf ein Auseinanderfallen von gemeinschaftsrechtlicher Kompetenzverteilung und völkerrechtlicher Beteiligungsmöglichkeit. Hierbei handelt es sich um eine Ermächtigung entweder in der Form der Verordnung oder der Entscheidung seitens der Gemeinschaft an die Mitgliedstaaten, das fragliche Abkommen im Namen der Gemeinschaft zu ratifizieren (vgl. EuGH Gutachten 2/91 – ILO-Übereinkommen Nr. 170, Slg. 1993, I-1061). Auch wenn in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung über den Abschluss grundsätzlich bei der Gemeinschaft und damit die Kompetenzverteilung gewahrt bleibt, stellt dies aufgrund der Schwierigkeiten bei der Durchführung keine echte Alternative zu einem Beitritt der Gemeinschaft dar.

Die dargestellten Grundsätze der Kompetenzverteilung betreffen über Verträge hinaus auch die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen. Spezielle Grundlagen hierfür finden sich ferner in den Art. 302 ff. EG/220 f. AEUV sowie den Art. 151(3), 164, 174(4), 181(1) EG/167 (3), 180, 191(4), 211 AEUV welche die EG zur Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen ermächtigen und verpflichten.

3. Rechtsprechung des EuGH zu den ungeschriebenen Außenkompetenzen der Gemeinschaft

Die ungeschriebenen Außenkompetenzen wurden erstmalig durch den EuGH im bereits erwähnten AETR-Urteil entwickelt. Seitdem sind sie Bestandteil der ständigen Rechtsprechung. Durch die Mitgliedstaaten in Erklärung Nr. 10 zum Maastricht-Vertrag indirekt anerkannt, ist im Detail jedoch vieles ungeklärt. Mit den Art. 3 (2), 216(1) AEUV (vgl. auch Art. 13(2), 323(1) EVerfV) werden die ungeschriebenen Außenkompetenzen kodifiziert werden.

Die sog. AETR-Doktrin bildet einen ersten Pfeiler der Rechtsprechung zu den Außenkompetenzen, welche der EuGH in besagtem Urteil unter den Randnummern 15 bis 17 wie folgt formulierte: „Um zu ermitteln, ob die Gemeinschaft zum Abschluss internationaler Abkommen zuständig ist, muss auf das System und auf die materiellen Vorschriften des Vertrages zurückgegriffen werden. Eine solche Zuständigkeit ergibt sich nicht nur aus einer ausdrücklichen Erteilung […], sondern sie kann auch aus den anderen Vertragsbestimmungen und aus in ihrem Rahmen ergangenen Rechtsakten der Gemeinschaft fließen. Insbesondere in den Bereichen, in denen die Gemeinschaft zur Verwirklichung einer vom Vertrag vorgesehenen gemeinsamen Politik Vorschriften erlassen hat, die in irgendeiner Form gemeinsame Rechtsnormen vorsehen, sind die Mitgliedstaaten weder einzeln noch selbst gemeinsam handelnd berechtigt, mit dritten Staaten Verpflichtungen einzugehen, die diese Norm beeinträchtigen.“ In dieser Passage äußert sich der EuGH zu zwei separaten Fragen: die Existenz ungeschriebener Kompetenzen und die Voraussetzungen, unter denen solche Kompetenzen ausschließlich werden. Gerade der „insbesondere“-Nachsatz wirft aber die Frage auf, inwiefern der Erlass eines Binnenrechtsakts für eine Außenkompetenz der Gemeinschaft konstitutiv ist oder allein die Ausschließlichkeit betrifft.

Einen zweiten Pfeiler stellt das Gutachten 1/76 (EuGH Gutachten 1/76 – Stillegungsfonds, Slg. 1977, 741) dar, in dem der EuGH das AETR-Urteil bestätigte und weiter ausführte: „Wenn die internen Maßnahmen der Gemeinschaft erst anlässlich des Abschlusses und der Inkraftsetzung der völkerrechtlichen Vereinbarung ergriffen werden, [...] dann ergibt sich die Befugnis, die Gemeinschaft gegenüber Drittstaaten zu verpflichten, dennoch stillschweigend aus den die interne Zuständigkeit begründenden Bestimmungen des Vertrages, sofern die Beteiligung der Gemeinschaft an der völkerrechtlichen [...] Vereinbarung notwendig ist, um eines der Ziele der Gemeinschaft zu erreichen.“

Das genaue Verständnis dieser beiden Urteile sowie ihr Verhältnis zueinander ist in der Lehre auch nach über 30 Jahren umstritten. So ist unklar, ob die Gemeinschaft überhaupt eine Außenkompetenz besitzt, ohne zuvor nach innen tätig geworden zu sein; bejahendenfalls, ob allein ein Tätigwerden nach innen die (sekundäre) Ausschließlichkeit auslöst, sodass bei einem Tätigwerden der Gemeinschaft nur nach außen eine (parallele) Kompetenz der Mitgliedstaaten bestehen bliebe; und schließlich, ob die sekundäre Ausschließlichkeit nicht bloß eine materielle Sperrwirkung als Ausfluss des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts umschreibt, die den Mitgliedstaaten nur ein Tätigwerden verbietet, soweit die gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakte durch ein Tätigwerden der Mitgliedstaaten beeinträchtigt oder in ihrer Reichweite geändert werden können. Die wohl damals wie heute herrschende Auffassung geht von einer Parallelität der Binnen- und Außenkompetenz (in foro interno, in foro externo) aus. Hiernach beträfe das Gutachten 1/76 allein die Ausschließlichkeit. Lange Zeit lieferte die Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH Gutachten 2/92 – OECD, Slg. 1995, I-521 sowie Gutachten 2/91 – EFTA, Slg. 1993, I-1061) keinen Anlass dafür, die Richtigkeit dieser Auffassung zu überdenken. Zweifel an diesem Verständnis hingegen nährten insbesondere das Gutachten 1/94 (EuGH Gutachten 1/94 – WTO-Beitritt, Slg. 1994, I-5267) sowie die sog. open skies-Entscheidungen (vgl. insb. EuGH Rs. C-467/98 – Kommission/Dänemark, Slg. 2002, I-9519). Erstmals bezog der EuGH allerdings im Mox Plant-Urteil (EuGH Rs. C-459/03 – Mox Plant, Slg. 2006, I-4635) zur Frage des Bestehens einer Außenkompetenz klar Stellung und stellte fest: „[...] dass das Vorhandensein der Außenkompetenz der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Schutzes der Meeresumwelt grundsätzlich nicht vom Erlass von Rechtsakten des abgeleiteten Rechts abhängt, die den genannten Bereich umfassen und im Fall einer Beteiligung der Mitgliedstaaten am Verfahren für den Abschluss der fraglichen Übereinkunft im Sinne des vom Gerichtshof in Randnummer 17 des Urteils AETR entwickelten Grundsatzes berührt sein könnten.“ Dieses Urteil scheint klar die Parallelitätsthese zu stärken. Allerdings sind auch andere Deutungen möglich. Insbesondere differenzieren einige Autoren nach der Ausrichtung der Kompetenzgrundlage. Art. 71 EG/91 AEUV sei etwa auch nach außen gerichtet und könne daher im Sinne des Gutachtens 1/76 ein Tätigwerden nach außen ermöglichen, ohne dass ein Binnenrechtsakt ergangen sei. Hingegen erfordere die Rechtsangleichung im Binnenmarkt nach Art. 95 EG/114 AEUV einen internen Rechtsakt, um nach der AETR-Doktrin die Außenkompetenz auszulösen.

Unbeschadet des Streits über die Bedeutung des Binnenrechtsaktes für das Bestehen einer Kompetenz ist unbestritten, dass im Sinne des AETR-Urteils der Binnenrechtsakt bzw. die Gefahr der Beeinträchtigung seiner Wirksamkeit für die Ausschließlichkeit der Gemeinschaftskompetenz maßgeblich ist. Aus der Rechtsprechung des EuGH geht hervor, dass der Begriff der Beeinträchtigung abstrakt-theoretisch verstanden werden muss. Es bedarf keines konkreten Widerspruchs zwischen dem Binnenrechtsakt und einem völkerrechtlichen Tätigwerden der Mitgliedstaaten (vgl. ILO-Gutachten und Open Skies). Zwar betonte der EuGH in dem Gutachten 1/03 (EuGH Gutachten 1/03 – Lugano-Nachfolgeabkommen, Slg. 2006, I-1145), dass die Annahme impliziter ausschließlicher Außenkompetenzen nur aufgrund einer konkreten Analyse des Verhältnisses des Gemeinschaftsrechts und des geplanten Abkommens erfolgen dürfe. Ausschlaggebend sei dabei aber Natur und Inhalt des Gemeinschaftsrechtsakts an sich. Die Analyse des Abkommens könne allenfalls das zuvor gefundene Ergebnis bestärken, allein gesehen aber die Annahme einer Beeinträchtigung nicht widerlegen. Einer Trennungs- bzw. Vorrangklausel zugunsten des Gemeinschaftsrechts maß der EuGH in dem Gutachten 1/03 daher keine Bedeutung zu. Eine vollständige Harmonisierung eines Sachgebietes ist nicht erforderlich, um die (sekundäre) Ausschließlichkeit einer Gemeinschaftskompetenz auszulösen. In dem ILO-Gutachten wie auch den folgenden open skies-Entscheidungen ließ es der EuGH bereits genügen, dass der im völkerrechtlichen Abkommen geregelte Sachverhalt vollständig oder weitestgehend in den Anwendungsbereich von Gemeinschaftsnormen falle. Insofern muss im Einzelfall die sachliche Übereinstimmung von völkerrechtlichem Vertrag und Gemeinschaftsnormen überprüft werden. Im Grundsatz genügt auch der Erlass von Richtlinien, welche die Mitgliedstaaten zum Handeln nach innen nicht nur berechtigen, sondern sogar verpflichten, um den Mitgliedstaaten das Handeln nach außen zu verwehren. Einzig in dem ILO-Gutachten, wo sowohl der Gemeinschaftsrechtsakt als auch der völkerrechtliche Vertag den Charakter von Mindestvorschriften hatten, schloss der EuGH trotz der internen Harmonisierung eine abstrakte Beeinträchtigung aus.

Ausnahmsweise kann im Sinne des Gutachtens 1/76 ein dem Abschluss bzw. der Inkraftsetzung des völkerrechtlichen Vertrages vorangehender Binnenrechtsakt entbehrlich sein, um die Kompetenz der Gemeinschaft ausschließlich werden zu lassen. Der Abschluss der völkerrechtlichen Vereinbarung muss indes, wie der EuGH im Gutachten 1/94 klarstellte, untrennbar mit der Verwirklichung der Ziele des EG-Vertrages verbunden sein, die sich durch die Aufstellung einer autonomen gemeinschaftlichen Regelung nicht erreichen ließen.

Über die ausschließlichen Kompetenzen hinaus kann aber auch im Rahmen der mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten das EG-Recht Sperrwirkungen entfalten, trifft doch auch hier die Mitgliedstaaten die Pflicht aus Art. 10 EG/im Wesentlichen ersetzt durch Art. 4(3) EU (2007), eine konkrete Beeinträchtigung des primären wie sekundären Gemeinschaftsrechts zu unterlassen.

Die Art. 3(2), 216(1) AEUV folgen dem EVerfV und versuchen eine Kodifikation der AETR-Rechtsprechung. Während Art. 3(2) die Frage der Ausschließlichkeit einer Außenkompetenz regelt, betrifft Art. 216(1) das Bestehen einer Außenkompetenz an sich. Nach Art. 216(1) kann die EU Verträge schließen, „wenn dies in den Verträgen vorgesehen ist oder wenn der Abschluss einer Übereinkunft ... entweder zur Verwirklichung eines der in den Verträgen festgesetzten Ziele erforderlich oder in einem verbindlichen Rechtsakt der Union vorgesehen ist oder aber gemeinsame Vorschriften beeinträchtigen oder deren Anwendungsbereich ändern könnte.“ Da Art. 3(2) und 216(1) einander im Wortlaut sehr ähnlich sind, bleibt die Frage, ob nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon überhaupt geteilte Außenkompetenzen im Sinne des Art. 4(1) bestehen können. Denn trotz der leichten Abweichungen im Wortlaut (Notwendigkeit zur Ausübung der internen Zuständigkeit verglichen mit der Erforderlichkeit zur Verwirklichung eines der in den Verträgen festgesetzten Ziele) ist fraglich, ob eine unterschiedliche rechtliche Behandlung gerechtfertigt ist. Soll dem Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit neben dem ohnehin geltenden Grundsatz der Subsidiarität bzw. der Verhältnismäßigkeit überhaupt eine Bedeutung zukommen, spricht dies dafür, den Art. 216(1) im Lichte des Gutachtens 1/94 eng auszulegen.

4. Vertragsschlussverfahren

Das Vertragsschlussverfahren richtet sich nach Art. 300 EG/218 AEUV, sofern nicht Sonderregelungen einschlägig sind (vgl. etwa Art. 111, 133(3)-(7), 308 EG/219, 207(3)-(6), 352 AEUV). Die Initiative für den Vertragsschluss liegt im Falle eines reinen Gemeinschaftsabkommens bei der Kommission, die dem Rat nach Art. 300(1)1 EG/218(3) AEUV eine Empfehlung zum Abschluss eines Abkommens gibt. Der Rat erteilt daraufhin der Kommission ein Mandat zur Aufnahme von Verhandlungen, das Vorgaben für die Verhandlungsführung vorsieht. Ist ein endgültiger Vertragstext gefunden, beschließt der Rat auf Empfehlung der Kommission die Unterzeichnung des Vertrages. Dieser Beschluss ergeht grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit. Die Unterzeichnung selbst obliegt dem Rat, kann aber delegiert werden. Nach der Unterzeichnung folgt die Anhörung des Parlaments nach Art. 300(3) EG/218(6)(II) AEUV, die grundsätzlich nur unverbindlich ist. Innergemeinschaftliche Wirksamkeit erlangt der Vertrag nach Art. 300(3) EG/218(6)(II) AEUV durch einen weiteren Beschluss des Rates. Die Ratifikationsurkunde wird durch einen Ratsbevollmächtigten unterzeichnet und das Abkommen wird dann im Amtsblatt veröffentlicht.

Für Aushandlung und Abschluss eines gemischten Abkommens beinhaltet der EG-Vertrag keine klaren Vorgaben. Aus Art. 10 EG/im Wesentlichen ersetzt durch Art. 4(3) EU (2007) leitet der EuGH aber das Erfordernis einer engen Kooperation der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaftsorgane zwecks einheitlicher Vertretung der Gemeinschaft im Falle gemischter Abkommen ab (vgl. EuGH Rs. C-25/94 – FAO-Fischereiübereinkommen, Slg. 1996, I-1469). Bereits die Zusammensetzung der Verhandlungsdelegation gestaltet sich schwierig. Die Vertragspraxis zeigt hier verschiedene Lösungen. Eine Regelung entsprechend Art. 102 EuratomV, wonach ein gemischtes Abkommen von der Gemeinschaft erst ratifiziert werden darf, wenn alle Mitgliedstaaten dies „nach den Vorschriften ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung anwendbar“ geworden ist, findet sich im EG-Vertrag nicht. Auch wenn die Literatur diese Vorschrift für entsprechend anwendbar hält, bestätigt die Praxis diese Auffassung nicht. Der Ratifikationsbeschluss der EG sieht vielmehr – soweit möglich – eine gemeinsame Hinterlegung der Ratifikationsurkunden vor, um ein gleichzeitiges völkerrechtliches Inkrafttreten zu erreichen. Damit kann der gemischte Abschluss mit erheblichen Problemen verbunden sein.

5. Stellung des Völkervertragsrechts in der Gemeinschaftsrechtsordnung

Gemäß Art. 300(7) EG/216(2) AEUV binden die Verträge der Gemeinschaft sowohl die EG als auch die Mitgliedstaaten. Hierbei handelt es sich allerdings um eine rein gemeinschaftsrechtliche, keine völkerrechtliche Bindung. Tritt ein Übereinkommen für die Gemeinschaft in Kraft, so bildet dieses einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung (vgl. EuGH Rs. 181/73 – Haegeman, Slg. 1974, 449, Rn. 2, 6) und hat somit an dessen Vorrang teil. Zugleich wird hierdurch auch die Auslegungszuständigkeit der Gemeinschaftsgerichte begründet. Dem Range nach steht der Vertrag dann zwischen dem Primär- und Sekundärrecht (vgl. EuGH Rs. 21-24/72 – International Fruit Company, Slg. 1972, 1219). Unmittelbar anwendbar ist das Übereinkommen jedoch nur, wenn aus dem Wortlaut, dem Gegenstand und der Art des Abkommens zu schließen ist, dass es eine klare, eindeutige und unbedingte Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkung nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängt. Die konkrete Anwendung dieser Kriterien durch den EuGH insbesondere zum GATT hat in der Wissenschaft für Kritik gesorgt.

Treten sowohl Gemeinschaft als auch die Mitgliedstaaten einem Übereinkommen bei, bestimmt sich der Umfang der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft unabhängig von der internen Kompetenzverteilung. Dies gilt jedoch nur insoweit, als der Vertrag nicht ausdrücklich auf die Kompetenzverteilung Bezug nimmt. Unklar ist, in welchem Umfang ein solches gemischtes Übereinkommen „integrierender Bestandteil“ der Gemeinschaftsrechtsordnung wird. Die Rechtsprechung des EuGH konnte hier bisher keine Klärung bringen.

6. Folgerungen für den Bereich des Privatrechts

Die EG ist bis jetzt nur wenigen privatrechtsvereinheitlichenden Übereinkommen im Bereich des Transportrechts und des Rechts des geistigen Eigentums beigetreten. Daneben haben die Mitgliedstaaten eine gewisse Zahl von Übereinkommen der International Maritime Organization im Interesse der Gemeinschaft abgeschlossen. Seit 2007 ist die EG Mitglied der Haager Konferenz für IPR. Auch die Tätigkeit der WTO, deren Mitglied die EG neben ihren Mitgliedstaaten ist, berührt im Bereich des geistigen Eigentums privatrechtliche Fragen. Gründe für diese noch geringe Beteiligung sind zum einen, dass der Umfang der (ausschließlichen) Außenkompetenzen davon abhängt, dass die EG auch intern Recht gesetzt hat. Derzeit fallen große Bereiche des internationalen Zivilverfahrensrechts, insbesondere im Bereich der Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen (vgl. Gutachten 1/03), des internationalen Privatrechts sowie Bereiche des Rechts des geistigen Eigentums in die ausschließliche Außenkompetenz der Gemeinschaft. Soweit ein Abkommen neben diesen Teilbereichen auch andere Dinge regelt, ist eine Beteiligung der Mitgliedstaaten zwingend bzw. möglich, je nachdem ob man eine zumindest konkurrierende Kompetenz der Gemeinschaft annimmt. Tatsächlich ist eine Beteiligung der Mitgliedstaaten in solchen Fällen jedoch immer gegeben.

Unbeschadet der Problematik der Kompetenzen ist die nur geringe Beteiligung der EG insbesondere darauf zurückzuführen, dass nach dem gegenwärtigen Stand des Völkerrechts eine spezielle Beteiligungsregelung für internationale Organisationen erforderlich ist, um diesen den Beitritt zu ermöglichen. Es entsteht jedoch erst schleppend ein Bewusstsein der internationalen Gemeinschaft dafür bzw. eine Bereitschaft, sich im Bereich der internationalen Privatrechtsvereinheitlichung auch für die Beteiligung der EG zu öffnen. Hierfür mag insbesondere die Komplexität der Regelungen sprechen, die ein Vertrag im Bereich der gemischten Kompetenzen mit sich bringt.

Literatur

Jean Groux, Philippe Manin, Die Europäischen Gemeinschaften in der Völkerrechtsordnung, 1984; Rudolf Geiger, Vertragsschlußkompetenzen der Europäischen Gemeinschaft und auswärtige Gewalt der Mitgliedstaaten, Juristenzeitung 1995, 973 ff.; Alan Dashwood, Christophe Hillion (Hg.), The General Law of E.C. External Relations, 2000; Jürgen Basedow, Die Europäische Gemeinschaft als Partei von Übereinkommen des einheitlichen Privatrechts, in: Festschrift für Peter Schlechtriem, 2003, 165 ff.; Piet Eeckhout, External Relations of the European Union, 2004; Christian Tomuschat, Art. 300 EG, in: Hans von der Groeben, Jürgen Schwarze, Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Bd. IV, 6. Aufl. 2004; Delano Verwey, The European Community, the European Union and the International Law of Treaties, 2004; Thomas Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, § 30; Fausto Pocar (Hg.), The External Competence of the European Union and Private International Law, 2007; Jan Asmus Bischoff, Die Europäische Gemeinschaft und die Haager Konferenz für internationales Privatrecht, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht 16 (2008) 334 ff.

Abgerufen von Außenkompetenzen der EG – HWB-EuP 2009 am 22. November 2024.

Nutzungshinweise

Das Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, als Printwerk im Jahr 2009 erschienen, ist unter <hwb-eup2009.mpipriv.de> als Online-Ausgabe frei zugänglich gemacht.

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